Peter Arbeitet Nicht Mehr Hier

  • Uploaded by: Uwe
  • 0
  • 0
  • May 2020
  • PDF

This document was uploaded by user and they confirmed that they have the permission to share it. If you are author or own the copyright of this book, please report to us by using this DMCA report form. Report DMCA


Overview

Download & View Peter Arbeitet Nicht Mehr Hier as PDF for free.

More details

  • Words: 1,526
  • Pages: 12
© Uwe Fengler

Peter arbeitet nicht mehr hier

1 Es geht mir einfach nicht aus dem Kopf, was mit Peter passiert ist. Er ist immerhin mein bester Freund gewesen. Wir hatten uns vor gut 6 Jahren während unserer Ausbildung zum Industriekaufmann kennengelernt, und auch die ganzen Jahre danach nie wirklich aus den Augen verloren. Nun gut, einige Zeit nach meiner Heirat war es zunächst etwas ruhiger um uns geworden, aber nachdem ich ihn vor etwa 2 Jahren zufällig in der Stadt begegnete, trafen wir uns wieder regelmäßig und wir wurden richtig gute Freunde.

Peter hatte nie geheiratet, seine Beziehungen zu zahlreichen Frauen liefen immer nur kurze Zeit. Während unserer Ausbildung war er einer der besten im Kurs. Ohne dass er wirklich viel dafür arbeiten musste, schaffte er den Abschluss fast mit sehr gut. Alle Türen standen ihm danach offen. Innerhalb kurzer Zeit war er zum Abteilungsleiter aufgestiegen und verdiente gut. Umso mehr wunderte es mich, dass Peter mir vor etwa einem halben Jahr bei einem Bier erzählte, er werde die Stellung wechseln. „Hast Du Dir das auch wirklich gut überlegt“, fragte ich kopfschüttelnd und setzte mein Glas an die Lippen. „Ich habe einfach keine Lust mehr auf diesen ganzen zusätzlichen Stress. Ich hatte vorgestern mein Vorstellungsgespräch bei einem richtig schönen Kleinbetrieb und habe schon eine mündliche Zusage erhalten. Ich warte nur noch die Schriftliche ab, dann mache ich einen Auflösungsvertrag.“ Peter nahm einen kräftigen Schluck von seinem Weizenbier und sah sich dabei im Lokal um. „Ich denke, das ist ein Betrieb, in dem ich es bis

zur Rente aushalten werde. Der Chef scheint ganz okay zu sein und wahrscheinlich ist in so einer kleinen Firma das Betriebsklima auch besser. Kein Stress mehr und damit auch mehr Zeit für das Wesentliche im Leben.“ Sein Blick fiel dabei auf zwei blonde Schönheiten am Nachbartisch. 2 Peter begann seine neue Arbeit und danach hörte ich immer seltener von ihm. Die erste Zeit telefonierten wir noch häufiger, er wirkte jedoch etwas wortkarg und nach etwa 3 Monaten erreichte ich nur noch den Anrufbeantworter. Auf meine regelmäßig darauf gesprochenen Nachrichten reagierte er nicht. Er scheint seine neu gewonnene stressfreie Zeit voll auszunutzen, dachte ich mir. Richtig Sorgen zu machen begann ich mir aber erst, als ich ihn im Supermarkt traf. Ich hätte ihn fast nicht erkannt, sein Gesicht

wirkte grau und eingefallen, unter seinen Augen befanden sich dunkle Ränder. Er schob seinen Einkaufswagen direkt auf mich zu und war wohl so in Gedanken, dass er mich nicht gleich erkannte. „Hallo Peter!“ Er schrak sichtlich zusammen, erkannte mich dann aber. „Ach, Jürgen, Du bist es.“ „Lange nicht gesehen“, fügte er etwas später hinzu. „Ich erreiche Dich nicht mehr, so im privaten Stress?“ fragte ich grinsend. „Schön wäre es, aber tatsächlich ist es vom ersten Tag an die Hölle und es wird immer schlimmer. Ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll.“ „Es ist mal wieder Zeit für ein Bier“, sagte ich, und da ich nicht mehrere Tage bis dahin verstreichen lassen wollte, verabredeten wir uns noch für den gleichen Abend. Er kam etwa eine halbe Stunde zu spät, was eigentlich auch schon untypisch für ihn war. Wir hatten noch einen letzten Tisch in einer kleinen

sehr verräucherten Kneipe finden können. Nur zögernd begann er zu erzählen. Ich konnte einfach nicht glauben, was ich da hörte. „Weißt Du, schon der erste Tag war eine einzige Katastrophe. Niemand schien zu wissen, dass ich dort anfange. Der Chef, der mich damals eingestellt hatte, war auch noch in Urlaub. Man hat mich vom ersten Moment an einfach ignoriert.“ Es war wirklich haarsträubend. Mein Freund Peter, den ich wegen seiner guten Leistungen und seinem ausgeprägten Selbstbewusstsein immer so bewundert hatte, schien am Ende zu sein. Wenn er überhaupt mal eine Arbeit bekam, waren es nur noch irgendwelche Pseudoaufgaben. „Ich verbringe mehr Zeit am Fotokopierer als während meines Praktikums“, meinte er ratlos. „Hast Du mal mit Deinem Chef gesprochen?“ „Sicher, aber der konnte sich das alles gar nicht vorstellen, sagte irgendetwas von einem guten Betriebsklima und dann schien die Sache für ihn erledigt zu sein.“ „Such Dir doch einfach was Neues und kündige“,

riet ich ihm. „Ich will aber nicht so schnell meinen Arbeitsplatz wechseln, das macht nun mal keinen guten Eindruck.“ Wir schwiegen eine Zeitlang. Peter schien seine Umwelt im Gegensatz zu früher gar nicht mehr war zu nehmen. Es war ihm sogar möglich gewesen während unseres Gespräches an den Nachbartischen mitzuhören und witzige Bemerkungen darüber zu machen. Er habe ein Ohr mal wieder am Nebentisch, meinte meine Frau oft scherzend, wenn wir ab und zu gemeinsam Essen waren. Nichts mehr von dem alten Peter war zu spüren, er brütete vor sich hin. „Oder such doch mal einen Arzt auf, lass Dich einfach mal krankschreiben“, brach ich nach einiger Zeit das Schweigen. „Was meinst Du, was ich gemacht habe. Ich war sogar innerhalb weniger Tage bei zwei Ärzten.“ Ich wusste, wie sehr er Arztbesuche hasste. „Der erste war mein Hausarzt, er konnte damit wohl überhaupt nichts anfangen. Sagte so was wie, ja, die lieben Kollegen und ich müsse lernen

in meiner Freizeit richtig abzuschalten. Hat mir eine Überweisung zu einem Psychiater mitgegeben und sich verabschiedet.“ „Und da bist Du gewesen?“ „Aus lauter Verzweiflung, aber richtig helfen konnte der mir auch nicht. Ich müsse lernen mich richtig durchzusetzen, aber damit habe ich doch noch nie Probleme gehabt.“ „Und wenn Du es noch mal bei einem anderen Arzt versuchst?“ „Mein Bedarf ist vorerst gedeckt. Bringt doch auch nichts.“ Als wir uns an diesem Abend verabschiedeten nahmen wir uns vor, uns wieder regelmäßig zu treffen. „Du kannst mich auch jederzeit anrufen!“ rief ich ihm nach, als er die Tür seines Taxis zu schlug, wusste aber nicht, ob es noch bei ihm angekommen war.

3 Es waren nur wenige Tage vergangen. Sylvia war mit einer Freundin unterwegs. Katharina, unsere Tochter, schlief bereits. Ich hatte es mir gerade vor dem Fernseher gemütlich gemacht, als das Telefon schellte. Ich stand etwas widerwillig auf und hielt nach dem Hörer Ausschau. Schließlich fand ich ihn unter der Fernsehzeitung, die ich wohl selbst darauf abgelegt hatte. Ich nahm das Gespräch an. „Ich bin es, Peter“, hörte ich nach einigen Sekunden Schweigen. „Die waren beim Chef“, sagte er nach weiteren Augenblicken der Stille, „ich würde selbst einfache Aufgaben nicht fehlerfrei erledigen. Ich käme zur Arbeit, setzte mich ohne zu grüßen an meinen Platz und würde erst mal frühstücken. Ich würde Fingernägel kauen und sei darum wahrscheinlich psychisch krank. Auf keinen Fall sei ich tragbar in so einem gut funktionierten Team.“ „Und, hat er Dich gekündigt?“ fragte ich und dachte, das wäre wirklich das Beste was ihm in so

einer miesen Firma passieren könnte. „Nein, er meinte, meine Referenzen seien so gut, dass er es weiter mit mir versuchen wolle, ich solle mich einfach mal ein bisschen anpassen.“ „Das ist doch wirklich das Letzte. Versuch doch noch einmal einen Krankenschein zu bekommen.“ Mir fiel in diesem Augenblick wirklich keine andere Lösung ein. „Ich habe momentan einen Krankenschein für drei Tage wegen einer Magenverstimmung. Gelöst ist das Problem damit aber wirklich nicht“, erwiderte er. „Wir sollten uns morgen Abend sehen. Heute kann ich leider nicht mehr, weil Sylvia nicht da ist und ich Katharina noch nicht alleine zu Hause lassen möchte.“ Wir verabredeten uns für den nächsten Tag. 4 Pünktlich wartete ich vor unserem Stammlokal,

aber Peter war auch nach einer Stunde noch nicht erschienen. Meine Versuche ihn mit dem Handy zu erreichen schlugen fehl, es meldete sich immer nur der Anrufbeantworter. Nach einer weiteren halben Stunde des Wartens entschloss ich mich nach Hause zu fahren. Auch in den nächsten Tagen gelang es mir nicht Peter telefonisch zu erreichen. Am vierten Tag erfragte ich die Telefonnummer seiner Firma bei der Auskunft. Dort sagte man mir, dass ein Herr Krüger dort nicht arbeite. Nach einer Woche vergeblicher Versuche Peter zu erreichen, versuchte ich es bei seinen Eltern. „Sie sind es Jürgen“, die Stimme seiner Mutter klang älter, als ich sie in Erinnerung hatte. „Sie wundern sich wahrscheinlich, dass sie nicht mehr von Peter gehört haben. Wir hatten gehofft, dass Sie die Anzeige in der Zeitung lesen. Wir wussten ja leider Ihre Anschrift nicht, wir hätten Ihnen ja gerne eine Nachricht zu kommen lassen. Peter hat immer so viel von Ihnen erzählt.“ Ich glaubte nicht, was ich da hörte. Sie sprach

von meinem Freund in der Vergangenheit. Ich legte ohne ein weiteres Wort zu sagen den Hörer auf und machte mich auf den Weg zu seinen Eltern. 5 Ich zögerte etwas bevor ich an der Tür schellte, ahnte ich doch, was mich nun erwartete. Es dauerte nicht lange, bis mir geöffnet wurde. „Treten Sie ein, Jürgen.“ Peters Mutter führte mich in ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer. „Ich habe gewusst, dass Sie kommen würden, am Telefon wäre es auch nicht ganz passend gewesen.“ Sie hatte Zeitungen, die etwa drei Tage alt waren auf dem Tisch ausgebreitet. Daraus hatte sie Todesanzeigen und einen kleinen Artikel ausgeschnitten. Peter, der gute Autofahrer, war in der letzten Woche auf gerader Landstraße gegen einen Baum gefahren. Der genaue Unfallhergang konnte nicht ermittelt werden, Alkohol hatte der Fahrer auch

nicht getrunken. Nach allem was Peter mir erzählt hat, kann ich seine letzte Fahrt ganz gut nachvollziehen. © Uwe Fengler

Related Documents


More Documents from ""

Sorglosigkeit
June 2020 1
June 2020 6
May 2020 6
May 2020 5