Heimatgefühle

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  • May 2020
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  • Words: 430
  • Pages: 6
© Uwe Fengler

Heimatgefühle Eine Erzählung von

Uwe Fengler

Ich sitze an der Ruhr. Dieser Fluss fließt mitten durch die Stadt Essen, in der ich seit 27 Jahren wohne. Ich denke darüber nach, warum ich mich gerade im Moment so rundum zufrieden fühle. Es ist kein besonderer Tag, sogar gearbeitet habe ich heute schon. Ich höre das Rauschen von nicht weit entfernt vorbei fahrenden Autos. Hinter mir spielen Kinder. Ein Ehepaar mit einem Hund kommt vorbei. Ein ganz gewöhnlicher Tag. Liegt dieses unerwartete Glücksgefühl vielleicht daran, dass ich mich nach all den Jahren hier zu Hause fühle? Oder fühle ich mich nur in diesem Augenblick beheimatet, weil ich mich an einem Fluss befinde, denn meine Geburtsstadt Höxter liegt an der Weser. Ist vielleicht gerade darum mir alles plötzlich so vertraut hier, dass ich an manchen Tagen denken muss: Hier will ich nie weg?

Es ist ein heißer schwüler Sommertag. Es riecht nach Regen. Beginnt es da nicht sogar weit entfernt schon leise zu grollen? Ein Gewitter scheint sich unaufhaltsam zu nähern. Vor mir springen zwei Jungen von einem kleinen Boot in den Fluss und suchen so auf ihre Weise eine Abkühlung. Am gegenüberliegenden Ufer sitzen zwei Mädchen auf einem Stein, von denen eine ihre Füße ins Wasser hält. Sie scheinen sich angeregt zu unterhalten. Trotz der Schwüle und des sich nähernden Gewitters liegt Frieden in der Luft. Ein Frieden wie ich ihn selten zuvor erlebt habe. Ein Moment den ich nie vergessen möchte. Bin ich wirklich hier zu Hause?

Ich beginne mir Orte vorzustellen, an denen ich mich ähnlich wohlgefühlt habe. Ein Spaziergang an einem Sylter Strand, am Roten Kliff vorbei, kommt mir in den Sinn. Ich höre das Rauschen der Wellen, ein rauer Wind weht mir vom Meer her entgegen. Nur wenige Menschen sind unterwegs. Welch eine friedliche Stimmung zu jeder Jahreszeit. Stundenlang könnte ich mich dort aufhalten – bei jedem Wetter. Auf den verschiedenen Berggipfeln die ich in jüngeren Jahren bestiegen habe, habe ich mich ähnlich gefühlt: Momente von Sieg und Leidenschaft gepaart mit dem Gedanken: halte es fest für immer. Nur hier kann Frieden sein, nur hier kann es Dir gut gehen. Nur hier willst Du sein. Ich bin dort zu Hause, wo ein Fleckchen Frieden ist. Wo sich die Menschen nicht

mehr bekriegen, sei es in der Familie, am Arbeitsplatz oder global. Nur dort werde ich wirklich leben können und zufrieden sein. Nur dort kann meine Heimat sein. Und bis es soweit ist, werde ich ruhelos sein und mir immer wieder einen Platz auf dieser Welt suchen müssen, an dem ich leben kann.

© Uwe Fengler

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