Freitag, 11.04.2008 16:17 Uhr Hamburg, Deutschland -Sylvia Anton-
Ich
kann mich noch genau an den Tag erinnern, an dem der Untergang begann. Es war ein friedlicher Tag, Carolin war in der Schule und Toni hatte sich einen Tag Urlaub genommen, um ihn mit mir zu verbringen. Ich war glücklich... Heute ist alles anders. Meine Freunde, sogar meine Familie existiert nur noch in Bruchstücken, viele Leute die ich früher kannte sind nun tot. Und bis heute weiß niemand was eigentlich geschehen war...
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Donnerstag, 03.04.2008 01:26 Uhr Hongkong, China -Srgt. Frank Baldwyn-
Es
hallen Schüsse durch die Stille der Nacht, doch sie gelten nicht uns. Noch weiß niemand, dass wir hier sind. Diese Unwissenheit wird für Kao Quong und seine Männer den Untergang bedeuten. Vor drei Stunden wurden wir nahe Hongkong abgesetzt und haben seid dem versucht unbemerkt in die Nähe unserer Zielperson zu kommen. Wir konnten herausfinden in welchem Haus sich Kao Quong versteckt und dieses unbemerkt infiltrieren. Außerhalb haben Enders und Smith zwei geeignete Scharfschützenpositionen ausgemacht und halten sich seid dem auf Bereitschaft. Doch ich möchte mit dem Attentäter persönlich sprechen, bevor die Exekution vollzogen wird. Woods und ich haben uns in das stark bewachte Haus geschlichen und befinden uns nun in der Entlüftungsanlage, direkt über Kaos Büro. Von hier aus wäre es eine Leichtigkeit dem Mann eine Kugel ins Hirn zu jagen, doch zu erst möchte ich ihm noch einige Fragen stellen. Diese hockende Position schmerzt langsam in den Knien. Wird Zeit für meinen Auftritt und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Ich gebe Woods das Zeichen für den Zugriff und stemme mich selbst nach oben. Nun bringe ich all meine Kraftreserven auf um mich durch den vergitterten Boden des Lüftungsschachts zu stoßen. Knirschend gibt der metallene Boden nach und ich falle zwei Meter tief in das Büro. Sofort richte ich meine Waffe auf die Stelle an der sich Kao befindet, doch der Lauf zielt nur in leere Luft. „Suchen Sie mich Amerikaner?“, ertönt hinter mir eine Stimme mit starkem Akzent, „Nicht umdrehen, es könnte schmerzhaft für Sie enden.“ Ich bin in eine Falle getappt, das ist mir sofort klar. Doch hoffentlich ist das auch Woods klar. In mir brannte das Bedürfnis nach oben zu schauen und mich davon zu überzeugen, dass mir Woods nicht folgt, doch das würde ihn verraten. Also befolge ich nur die Befehle des Chinesen und werfe meine Waffe in eine Ecke des Raums. „Langsam umdrehen Baldwyn. Ich möchte Ihnen in die Auge sehen, bevor sie sterben.“, sagt Kao Quong. Langsam wende ich mich zu dem Mann mit der Pistole. „Ich verstehe nicht warum Sie es schon wieder versuchen, Amerikaner! Es ist nun das dritte Mal, dass Sie vergeblich versuchten mich zu fangen oder zu töten, Baldwyn. Ihr Interesse an meiner Person ist schmeichelhaft, jedoch nicht relevant für das Gesamtwerk. Sie wissen doch welcher Tag heute ist, nicht wahr?“ Natürlich weiß ich das.... Heute ist ein Tag der Ereignisse: Mein Auftrag in Hongkong wird nur von der Tatsache der beiden Geburtstage des heutigen Tages übertroffen. Sowohl meine Tochter Lindsay, als auch Präsident Carlson feiern heute ihr Jubiläum. Der Erfolg dieser Mission sollte mein Geschenk an den Präsidenten werden, jedoch scheinen sich die Dinge zu ändern... „Heute ist der dritte April 2008...“, erwidere ich langsam. Ein Lächeln huscht über Kaos Gesicht, bevor er weiter spricht: „Oh und verstehst du nun, wem ich heute ein ganz besonderes Geschenk überliefern werde?“ Mit einer Handbewegung macht er mich auf einen Monitor aufmerksam. Eine politische Karte der Welt ist darauf zu sehen. In einer Tabelle daneben stehen eine Menge Daten, doch auf den ersten Blick kann ich mit ihnen nichts anfangen. 2
„Ihre letzte Aufgabe in diesem Leben wird es sein diesen Bildschirm zu betrachten, Amerikaner“, sagt Kao Quong und betätigt eine Taste auf einer Fernbedienung. Seine Waffe ist immer auf mich gerichtet, es gibt kein Entkommen. Ich muss mich fügen.... oder sterben. Eine rote Linie erscheint auf dem Bildschirm. Sie verbindet zwei Orte auf der Karte: Eine Stelle, ca 30 Meilen von Wenzhou entfernt und Washington DC... Langsam beschleicht mich ein ungeheures Gefühl... Mein Blick fällt ein weiteres Mal auf die Tabelle neben der Karte: 'Kraftstoff, Flughöhe, durchschnittliche Geschwindigkeit, Menge und Art des Sprengstoffs'.... „Oh nein, das kann nicht Ihr ernst sein!“, stoße ich entsetzt aus, „So verrückt können Sie nicht sein....“ Eine Welt bricht in mir zusammen. Kaos Lächeln wird immer breiter. Es ist das Lächeln eines Wahnsinnigen... „Amerikaner, haben Sie nun verstanden worum es mir geht? Der Präsident wird eine wunderbare Überraschung zu seinem Frühstück bekommen... 56 Tonnen Uranbereichertem Sprengstoff, versetzt mit einer eigens von mir entwickelten biologischen Substanz. Es wird niemand überleben in dieser gottverdammten Stadt! Niemand in diesem gottverdammten Land!“ Kao betätigt einen weiteren Knopf. Die Linie auf dem Bildschirm beginnt sich langsam grün zu verfärben. Immer in Richtung Washington fliegt die Rakete und nichts könnte sie nun noch aufhalten. Nach drei Minuten hat sich die grüne Linie nun bis auf den Atlantik ausgebreitet. Die Rakete scheint seinen Flug unaufhaltsam fortzusetzen. Lindsay.... Sie ist bei ihrer Mutter in einem Dorf 20 Meilen von Washington entfernt.... Dieser räudige Hund! Ich kann die Rakete nicht mehr aufhalten, doch dies wird nicht der letzte Anschlag Kaos bleiben. Er muss aufgehalten werden! Mit einem Mal bleibt die grüne Linie auf dem Monitor stehen. Kurz darauf verschwindet sie gänzlich. „Was zum.... Baldwyn!“, bringt Kao brummend hervor, bevor ein gewaltiges Rucken durch das Haus geht. Ein unerträglicher Krach ertönt, drückt mir auf das Trommelfell... Fensterscheiben zerspringen und die Wand hinter mir wird fortgerissen. Ich spüre wie eine Kugel meine Schulter durchdringt, doch den Schuss kann ich nicht mehr hören. Alles um mich herum versinkt im Chaos, Geräusche um mich herum werden immer dumpfer. Auf Kaos Gesicht steht das pure Entsetzen geschrieben, also ist dies nicht sein Werk. Doch wessen Werk ist es dann? Der Monitor vor mir gibt Funken sprühend seinen Geist auf, bis kurz darauf die gesamte Wand in Stücke zerrissen wird. Irgendetwas trifft mich am Kopf und die Welt um mich herum versinkt im feuerroten Farbenmeer.
Mittwoch, 02.04.2008 22:45 Uhr Washington DC, USA -Michael Carlson-
Dies
hätte die letzte Stunde meines Lebens sein können, doch Gott bewahrte mich vor dem verfrühten Tod. Vor wenigen Momenten erlebte ich die Zerstörung des weißen Hauses mit eigenen Augen und noch immer kann ich es nicht fassen. Ich befand mich nur 100 Meter von dem Haus entfernt als die Rakete, oder was auch immer es war, in das weiße Haus einschlug. Die Druckwelle warf mich zu Boden, 3
doch mir ist nichts geschehen... doch Lolita war noch im Haus.... Oh mein Gott Lolita! Ich weiß nicht ob ich ihren Tod je verkraften kann, es ist als hätte diese Explosion mein Herz in Stücke zerrissen, wie mein Haus. „Herr Präsident, wir müssen hier sofort verschwinden, dies könnte nicht die einzigste Rakete gewesen sein!“, ruft mir mein persönlicher Leibwächter Morris zu. Eine gepanzerte Limousine fährt vor und man zieht mich in den Wagen. Sofort rast das Fahrzeug los um mich den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in Sicherheit zu bringen. Als wäre dies noch wichtig, jetzt da Lolita tot ist. Mit Tränen in den Augen blicke ich aus dem verdunkelten Fenster. Rote Streifen zeichnen den Nachthimmel, die Stadt steht in Flammen. Irgendetwas ist dort heruntergekommen, doch ich bin mir sicher dass dies nicht das Werk von Raketen ist. Es waren eher... kleine brennende Kugeln... Verwirrt und verzweifelt über die Situation werfe ich einen weiteren Blick in den schwarzen Himmel. Rote Streifen kennzeichnen die Flugbahnen der Geschosse, und es werden noch immer mehr. Der Angriff ist in vollem Gange. Mit quietschenden Reifen kommt der Wagen zum Stehen. In Panik fliehende Menschenmassen behindern den Wagen beim weiterfahren. Dies ist der Tag des jüngsten Gerichts. Niemand kann diesen Menschen helfen, nicht einmal ich werde in dem Atombunker, in den man mich bringen wird, sicher sein. Niemand wird mehr sicher sein. Ob diese ganze Sache etwas mit Baldwyns Auftrag zu tun hat? Ist dies vielleicht ein Attentat Kao Quongs? Das wäre zumindest eine Erklärung, wenn auch eine in Verzweiflung entstandene. Während weitere Feuerkugeln in der Stadt aufschlagen, fällt mein Blick auf ein Straßennamen-Schild: „10th St NW“ Der Gedanke an ein junges Mädchen schleicht sich mir ins Gedächtnis. „Fahren Sie hier in die 10th und halten Sie am 27. Haus! Morris, gehen Sie hinein und holen Sie das Mädchen dort mit, es darf in der Limousine mitfahren.“ Morris wirft einen verwirrten Blick nach hinten, doch der Fahrer befolgt schon meinen Befehl. Langsam schleicht der Wagen durch die Menschenmassen um niemanden zu verletzen. Am 27. Haus hält der Fahrer an. Morris wirft mir noch einen fragenden Blick zu, welchen ich mit den Worten „Ich bin es ihm schuldig“ kommentiere. Seufzend macht sich Morris auf die Tür zu öffnen und sich einen Weg zum kleinen Haus zu bahnen. Wir haben nicht viel Zeit und dies behindert uns noch viel mehr, doch ich bin es Baldwyn schuldig. Die Minuten verstreichen und Morris befindet sich noch immer im Haus. Nach ganzen sieben Minuten öffnet er die Seitentür mir Gegenüber und lässt zwei kleine Mädchen einsteigen. „Morris, rein mit Ihnen! Wir müssen gleich weg, bevor noch mehr Leute verlangen mitgenommen zu werden“, rufe ich ihm zu, versuchend den Lärm von draußen zu übertönen. Kaum sitzen die beiden verschreckten Mädchen im Auto, wirft Morris die Seitentür auch wieder zu und rennt um das Auto herum zur Beifahrertür. Schon werden die ersten Rufe laut, dass wir noch mehr Leute mitnehmen sollen. Ganz wie ich befürchtete. Von draußen ertönt ein Schuss, dann wird die Beifahrertür aufgerissen. Morris wirft sich auf den Sitz und befiehlt dem Fahrer sofort los zu fahren. Mit einem Rucken zieht Morris die Tür neben sich zu und verriegelt sie von innen. Die Flüchtlinge auf den Straßen klopfen und schlagen gegen die Seiten des Wagens, doch vermögen sie nicht die mehrfach gehärtete Legierung und das Sicherheitsglas zu beschädigen. Erst jetzt komme ich dazu die beiden Mädchen zu begrüßen: „Hallo kleine Lindsay. Weißt du noch wer ich bin?“ Das kleine Mädchen nickt schüchtern, mehr ist von ihm nicht zu hören. „Wer ist denn deine Freundin dort?“, frage ich, da mir das zweite Mädchen unbekannt ist. „Joey“, sagt Lindsay Baldwyn nur und schweigt. Ich lasse die beiden Mädchen nun in 4
Ruhe, der Schock sitzt ihnen bestimmt tiefer als allen anderen Anwesenden hier. Der Wagen kann sich nur schwer durch die Massen der Flüchtlinge bahnen, unser Zwischenstopp hatte uns wertvolle Zeit gekostet. Doch ich bin es Baldwyn schuldig, seine Tochter zu retten.
Donnerstag, 03.04.2008 14:24 Uhr Bargteheide, Deutschland -Sylvia Anton-
Es
begann zunächst sehr harmlos, doch mittlerweile ist das Dorf, in welchem ich mit meiner kleinen Familie lebe, nur noch ein einziger Trümmerhaufen. Am Anfang hielt ich die schwarzen Streifen und Punkte am Himmel für Jets, doch als die ersten Explosionen ertönten wurde mir sehr schnell bewusst dass etwas ganz sicher nicht mit rechten Dingen zuging. Ich rief sofort nach Toni und wir fuhren zusammen los um Carolin von der Schule abzuholen. Unterwegs sahen wir bereits die ersten brennenden Häuser, überall rannten Menschen aus der Stadt heraus. Nun befinden wir uns am Eingang der Schule und versuchen unter den knapp Tausend Kindern Carolin heraus zu suchen. „Kannst du sie irgendwo sehen?“, fragt Toni immer wieder, langsam beginnen wir zu verzweifeln. Doch dann fällt mein Blick auf Isabelle, Carolins Freundin. So geht ich es vermag bahne ich mir einen Weg durch die panischen Schüler und packe sie bei der Schulter. „Frau Anton! Was geschieht hier?“, fragt sie mich sofort wie sie mich erkennt. Ich kann ihr keine Antwort geben, dieselbe Frage beschäftigte mich selbst die letzten grausamen Minuten. „Wo ist Carolin?!“, frage ich energisch. Toni tritt neben mich, er konnte sich erst eben einen Weg durch die Schüler bahnen. Isabelle wirft mir einen schüchternen Blick zu. Sie weiß wo Carolin ist.... „Frau Anton, bitte seien Sie nicht böse auf Carolin!“, versucht sie meine aufsteigende Wut abzuschwächen. Dieses Mädchen! „Isabelle, deine Eltern und du sollten schnellstens aus der Stadt kommen, ich glaube das ist erst der Anfang der Zerstörung“, sage ich noch, dann renne ich bereits zurück zum Auto. Toni setzt sich ohne ein Wort auf den Beifahrersitz, er weiß sicherlich auch schon wo sich Carolin befindet. Sie war wieder bei ihrem Freund, diesem Nichtsnutz. Sogar die Schule geschwänzt hat sie für den Jungen! Dabei ist sie doch erst 15 Jahre alt und sollte besser lernen, anstatt ihre Zeit bei diesem Jungen zu verschwenden. Ich hatte schon oft das Vergnügen meine Tochter vom Haus dieses Burschen abholen zu dürfen, weswegen ich den Weg mittlerweile recht gut kenne. Keine Minute vergeht und wir stehen vor dem Haus des Jungen. Sofort steige ich aus und renne auf die Tür zu. Auf halbem Wege wird die Tür von innen geöffnet und Carolin stürzt mit ihrem Freund zusammen auf mich zu. Ich bemerke sofort dass das arme Kind schrecklich weint. „Mama, es ist schrecklich! Überall explodieren Häuser, Dirks Eltern sind auch verschwunden! Oh mein Gott was geschieht hier nur?“ Ich habe keine Antworten darauf. Widerwillig erkläre ich den beiden Jugendlichen, dass sie schnell in das Auto einsteigen sollen. Kaum sitzen die beiden auf der Rückbank, fahre ich auch schon los, auf die Landstraße zu, die uns aus der Stadt führen wird. Bei einem 5
Blick in den Rückspiegel bemerke ich, dass Dirks Arm tröstend um die Schultern meiner Tochter liegt. Auch wenn ich etwas gegen diese Beziehung habe, so bin ich doch froh dass jemand Carolin tröstet. Sie sieht wirklich fertig aus, das arme Kind. Toni wirft mir einen bedeutsamen Blick zu, als wir auf die Hauptstraße kommen. Erst jetzt bemerke ich, dass die gesamte Straße voller Autos stand. Weiter vorne stieg Rauch auf, womöglich gab es einen Unfall oder einer dieser Feuerkugeln ist auf der Straße aufgeschlagen. Mit dem Auto werden wir nicht mehr weiterkommen, wir müssen wohl oder übel zu Fuß weiter. Es würde ein langer Tag werden.
Donnerstag, 03.04.2008 23:36 Uhr Hongkong, China -Srgt. Frank Baldwyn-
Ganz
langsam erwache ich aus der Dunkelheit. Noch bevor ich meine Augen öffne, versuche ich mich an die letzten Minuten zu erinnern. Ich habe Kao gegenübergestanden und ich war mir bewusst, dass mein Tod kurz bevor stand... Warum also war ich noch am Leben? Da war Kaos Rakete, dessen Signal über dem Atlantik verschwand. Kam sie in Washington an? Geht es meiner Tochter gut? Und schließlich war da noch diese Alles zerstörende Explosion gewesen, die den ganzen Raum zertrümmert und mich von den Beinen gerissen hat. Wo lag ihr Ursprung? Langsam öffne ich meine Augen. Um mich herum ist alles dunkel, nirgends ist ein Licht zu sehen. Erst jetzt bemerke ich den starken Druck, der auf meinem Körper lastet. Etwas hartes, kantiges drückt auf meinen Brustkorb. Langsam beginne ich zu begreifen.... Ich bin unter den Trümmern Kaos Hauses begraben, soviel steht fest. Doch ich kann meinen Körper kaum bewegen, mich selbst zu befreien ist wohl unmöglich. Es hat keinen Zweck sich etwas vor zu machen... Ein jeder meiner Aufträge bringt akute Lebensgefahr mit sich, das war mir immer klar. Doch ich bin davon ausgegangen, dass ich durch eine Kugel getötet werde und womöglich meinem Mörder noch in die Augen sehen könnte wenn es soweit ist. Aber unter den Trümmern eines Hauses darauf zu warten dass einem die Luft ausgeht oder man schließlich verdurstet, hatte ich nicht ahnen können. Doch zu ändern ist es eben nicht mehr. Hoffentlich geht es Lindsay gut... Ich hatte ihr versprochen dass wir ins Disney-Land fahren, sobald ich wieder in Washington bin. Sie ist so tapfer, man kann sie schon im Alter von 9 alleine zu Hause lassen, denn sie macht keine Dummheiten. Trotzdem sehen die Nachbarn stündlich nach ihr und achten darauf dass sie regelmäßig ihr Insulin spritzt. Dieses Mal hat sie sich noch ihre beste Freundin nach Hause eingeladen. Ich habe nichts dagegen, so hat sie wenigstens Beschäftigung. Die Nachbarn sollten den Beiden etwas zu Essen herüber bringen und sie später frühzeitig ins Bett schicken. Und sobald ich wieder von meinem Auftrag zurück bin, wären wir gleich ins Disney-Land gefahren. Lindsay hat sich bereits die ganze Woche darauf gefreut. Doch wie wird man ihr nun erklären, dass ihr Vater nicht heim kehren wird? Sie ist der Meinung ich arbeite bei einer großen Firma im Büro, wie soll man ihr erklären dass ich bei einem Betriebsausflug ums Leben gekommen bin? Ich habe mir oft Gedanken darüber gemacht was aus Lindsay wird, in dem Fall mir stoße etwas zu. Sie wird fortan bei ihrer Tante leben, außer mir ihre 6
einzigste noch lebende Verwandte. Es war ein harter Schlag für uns, als damals ihre Mutter Lora bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Doch wir haben es überstanden, zu meiner Überraschung Lindsay mehr als ich. Ich vermisse meine Frau noch immer und dies wird sich lange Zeit nicht ändern. Doch schon bald werde ich sie wieder in die Arme schließen dürfen... Ein plötzlicher Lichtstrahl fällt genau in mein linkes Auge. Ich höre dumpfes Gemurmel, kann jedoch kein Wort davon verstehen. Geblendet schließe ich mein Auge und versuche laut um Hilfe zu rufen. Doch zu mehr als einem Krächzen kann ich meine Stimmbänder nicht bewegen. Doch scheinbar reicht dieses Krächzen aus um auf mich aufmerksam zu machen, denn ich höre wie Steine und Schutt beiseite geschafft wird. Das Licht um mich herum wird immer heller, die Last auf meinen Körper nimmt stetig ab. Dann mit einem mal kann ich meinen Linken arm wieder bewegen. Eine zitternde Hand fasst mich am Handgelenk und ich öffne vorsichtig meine Augen. Ein schemenhafter Umriss nimmt langsam Gestalt an. Er kommt mir seltsam vertraut vor. „Amerikaner, ausgerechnet Sie muss ich finden!“, sagt jemand mit leichtem chinesischem Akzent. Enttäuscht schließe ich wieder meine Augen. Da hatte ich das Glück aus meinem dunklen Grab befreit zu werden und da war es ausgerechnet ein Terrorist und Attentäter der mich finden musste. „Ich hätte sie töten sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte“, sagte Kao und hob einen großen Stein von meiner Brust. Ich war zu erschöpft um Antwort geben zu können. Doch Kao sprach trotzdem weiter: „Doch in der jetzigen Situation bleibt uns wohl nichts anderes übrig als zusammen zu arbeiten, um zu überleben. Alleine kommt man hier nicht weit, der verdammte Weltuntergang ist das“ Weltuntergang... Aufstöhnend begebe ich mich in eine aufrechte Position und öffne wieder die Augen. Während Kao die Trümmer von meinen Beinen entfernt, sehe ich mich um. Um uns herum sind nur überall Trümmerhaufen. Metallgebilde ragen weit in den Himmel hinauf und warfen schaurige Schatten auf das Land. Eine rote Sonne stand am Himmel und hüllte die Welt in einen finsteren Ton. Oh mein Gott, was ist hier nur geschehen? Ist dies noch Hongkong oder befinde ich mich in einer anderen Welt? Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Kao und ich sind in dieser zerstörten Welt alleine. Endlich entschließe ich mich auch etwas zu der bisher recht einseitigen Unterhaltung beizutragen. „Ist das Ihr Werk, Kao? Ist etwa Ihre Rakete nach hinten losgegangen?“, frage ich hustend. Der Staub in der Luft erleichtert einem das Atem und Sprechen nicht gerade. „Amerikaner, wenn dem so wäre, dann hätten wir wohl nicht überlebt“, lacht Kao und zieht den letzten Brocken von meinem linken Bein. Vorsichtig, an einem aus dem Boden ragenden Metallpfosten stützend versuche ich aufzustehen. Ein beißender Schmerz durchzieht mein linkes Bein. Es ist mit Sicherheit gebrochen. Aufstöhnend ziehe ich Luft zwischen meinen Zähnen durch und lasse mich wieder zu Boden fallen. Es grenzt an ein Wunder, dass nicht noch mehr Knochen zertrümmert sind. Womöglich hat es noch die eine oder andere Rippe erwischt, doch damit kann ich leben. „Können Sie laufen, Amerikaner? Wir sollten hier möglichst bald weg, Richtung Hafen. Wir brauchen Nahrung und Wasser, sonst leben wir nicht mehr lange“, entgegnet Kao. „Suchen Sie mir eine längere Strebe und ein kurzes Stück Seil, dann schiene ich mein Bein. So kommen wir wohl ein Stück voran“, erwidere ich und sehe mit an wie Kao die Trümmer nach geeigneten Materialien durchwühlt. „Warum tun Sie das?“, will ich wissen. Kao sieht nur kurz auf und sucht dann weiter, während er sagt: „Was meinen Sie, Amerikaner? Warum ich ihnen helfe? Weil ich zusammen mit einem Verletzten höhere Überlebenschancen habe, als mit einem Toten.“ 7
Er ist ein eiskalter Logiker, dieser Mann. Schade nur dass er auf der falschen Seite steht, wir könnten mehr solcher entschlossenen Männer in unseren Reihen brauchen... Doch da ich nicht weiß ob überhaupt noch irgendeine Seite existiert, muss ich wohl ein Übergangsbündnis mit meinem alten Feind eingehen. Die Hoffnung meine Tochter jemals wieder zu sehen steigt langsam wieder auf. Entschlossenen schiene ich mit den von Kao gefundenen Gegenständen mein Bein und unternehme einige erste vorsichtige Schritte. Unter starken Schmerzen zwar, doch laufen kann ich. „Wir müssen dort lang um zum Hafen zu gelangen“, erklärt Kao und zeigt dabei zwischen zwei riesigen Metall-Türmen hindurch. Erst jetzt wird mir bewusst, dass diese beiden einmal Hotels waren. Was auch immer Hongkong vernichtet hatte, es hatte scheinbar eine ungeheure Kraft gehabt. Ein Atomschlag ist dennoch auszuschließen, denn dann hätten sich nach all der verstrichenen Zeit bereits erste Symptome einer Strahlung bemerkbar machen müssen. Da meine Armbanduhr noch funktioniert, hat auch kein EMP stattgefunden. Was also kann die ungeheure Gewalt einer Atombombe haben, aber dabei keine Radioaktivität ausstoßen? Vielleicht ein geheimer Wasserstoffbomben-Test? Doch auch dieser hätte keine Solche Zerstörungsgewalt. Und erst jetzt wird mir klar, dass nirgends ein Krater zu sehen ist. Entweder hinterließ diese Waffe keine Krater, was ungeheuerlich klingt, oder aber der Krater war an die hundert Kilometer entfernt, doch das klingt noch ungeheuerlicher. Also bleibt mir Vorerst nichts weiter übrig als Kao zum Hafen zu begleiten. Vielleicht lassen sich ja dort Antworten finden...
Donnerstag, 03.04.2008 00:03 Uhr 65 Meilen vor Washington DC, USA -Michael Carlson-
Seit
drei Minuten haben wir den dritten April zweitausendundacht. Dieser Tag wird wohl als der schwärzeste Tag der Welt in die Geschichte eingehen. Nachdem wir aus der Stadt herausgekommen sind wurde es ruhiger um uns herum. Es fallen nun auch keine Feuerbälle mehr vom Himmel, stattdessen wird die Nacht von einer roten Sonne beleuchtet. Doch aus irgendeinem Grund ist diese Sonne nicht rund, nein sie ist eher oval, länglich verzogen. Mein Blick fällt wieder auf die beiden jungen Mädchen neben mir. Sie haben kaum ein Wort gesprochen seit wir aus der Stadt heraus sind. Joey hat nur einmal ein Glas Wasser gewünscht, doch dann war auch sie wieder in schweigsame Trauer verfallen. Auf einmal beginnt die Signallampe am Monitor vor mir zu leuchten, das Zeichen für eine hergestellte Verbindung. Das Funknetz scheint wenigstens noch zu funktionieren. Ohne langes Zaudern betätige ich die Bestätigungstaste und die Verbindung zum Kommandanten der Luftwaffe in dieser Region ist hergestellt. „Präsident Carlson. Sie wünschten Informationen über die jetzige Situation?“, fragt der Mann auf dem Bildschirm. „Sprechen Sie, Owald, wir haben nicht viel Zeit“, befehle ich ihm schnell. Owalds Bild verschwindet und an seiner Stelle erscheint eine Karte der USA. Rote Einfärbungen markieren die meisten Gebiete auf der Karte. „Rote Markierungen zeigen Angriffe der letzten zwei Stunden. Ausnahmslos wurden rote Feuerkugeln oder brennende Geschosse gesichtet, die mit ungeheuerlicher 8
Geschwindigkeit zu Boden schossen. Die Zerstörungsrate liegt bei 76% in den USA. Opferzahlen bisher unmöglich zu bestimmen, doch werden sie ungefähr bei 80 Millionen liegen.“ 80 Millionen... Das sind fast 1/3 der Bevölkerung der Vereinigten Staaten. Was kann nur eine solche Gewalt haben? „Weiß man schon um was es sich bei diesen Feuerkugeln handelt? Gab es keine Radarortungen? Wie konnten sie durch unsere landesweiten Punktabwehrsysteme durchdringen?“, frage ich Owald. Ich kann es noch immer nicht richtig fassen was geschehen war. „Unsere Wissenschaftler werten gerade unsere ersten Messergebnisse aus. Bis jetzt steht nur fest, dass die Geschosse nicht metallisch waren, zumindest aus keinem uns bekannten Metall bestanden. Das würde erklären warum sie nicht auf dem Radar erschienen sind und die Punktabwehrsysteme nicht reagierten. Doch viel wichtiger ist wohl die Tatsache dass wir um 01:41:12 PM den Kontakt nach Asien verloren haben.“, erklärt Owald. „Den Kontakt nach Asien verloren? Was meinen sie genau damit und warum wurde ich nicht informiert?“, frage ich entsetzt. Eine dunkle Vorahnung kommt mir auf. „Wir warteten noch auf neuere Ergebnisse, es kommt nicht selten vor, dass man den Satelliten-Kontakt durch Interferenzen verliert. Jedoch handelt es sich dabei in der Regel um eine Sache von einer oder zwei Stunden. Diesmal ist jedoch ein halber Tag vergangen. Aus den nahöstlichen Ländern wurden Berichte über blaue Explosionen und Feuerkugeln laut. Wir warteten mit einem Bericht für Sie, bis wir nähere Informationen hatten, doch leider ist uns nun das gleiche widerfahren wie den fernöstlichen Staaten.“ Wenn dem wirklich so ist, gibt es keinen sicheren Ort mehr auf der Welt. Ich habe Owald nichts mehr zu sagen, also beende ich die Übertragung und überlasse meinen Kopf meinen wirren Gedanken. Ist dies wirklich der Tag des jüngsten Gerichts, hat das Sterben noch lange nicht aufgehört. Die Feuerkugeln werden wiederkommen und erneut Opfer fordern. Es ist nur eine Frage der Zeit...
Donnerstag, 03.04.2008 14:52 Uhr Delingsdorf, Deutschland -Sylvia Anton-
Wir
haben den Weg in das Nachbardorf Delingsdorf zu Fuß in Rekordzeit bewältigt. Doch die Feuerkugeln, welche vom Himmel fielen kamen uns zuvor. Delingsdorf ist nur noch ein Schutthaufen. Ein großer Krater ragt mitten in dem Dorf aus dem Boden. Hier hatte früher mal eine Tankstelle gestanden, eine der Feuerkugeln muss sie getroffen haben. Auf dem Weg hierher kamen uns viele Menschen entgegen, Delingsdorf selbst ist wie ausgestorben. Ausgestorben... das Wort hat einen entsetzlichen Nachgeschmack, wenn ich die Zerstörung hier vor mir sehe. Von den einst zweitausend Einwohnern, werden wohl nicht mehr als dreihundert überlebt haben. Verbrannte Leichen schmücken die geschwärzte Straße, weswegen wir möglichst schnell das Dorf durchquerten. Carolin, das arme Mädchen, ist ein seelisches Wrack. All die Toten, all die Zerstörung, haben ihr wohl stark zugesetzt. Ich kann es ihr nicht verübeln. Mir ist der Hals wie zugeschnürt wenn ich überlege wer wohl von unseren Freunden aus Bargteheide 9
entkommen ist und wer nun unter den verbrannten Trümmern eines Hauses verschüttet liegt. Doch Carolin hat den ganzen Weg kein Ton gesagt. Dirk hat sie in den Arm genommen und flüstert ihr pausenlos beruhigende Worte ins Ohr. Ich wünschte Toni würde dies bei mir machen. Möglicherweise habe ich mich in dem Jungen geirrt. Vielleicht ist Dirk ja gar kein Taugenichts. Bis jetzt hat er zumindest bewiesen, dass er sich wirklich um meine Tochter sorgt. Ich werde später in einem ruhigen Moment einmal mit ihm sprechen. Dies hätte ich schon viel früher tun sollen, es hätte mir und Carolin viele Sorgen und viel Streit erspart. Doch wann werden wir einmal einen ruhigen Moment haben? Die Feuerbälle haben aufgehört auf das Land niederzuregnen und die Straße ist, von den kleinen Kratern abgesehen, völlig leer. Delingsdorf ist nicht mehr als neun Kilometer von Hamburg entfernt, wir sollten es bis dort hin vor Sonnenuntergang schaffen. Doch was wird uns dort erwarten? Noch mehr Zerstörung, noch mehr Tod? Am Besten mache ich mir jetzt keine Gedanken darum. „Ich halte es für keine gute Idee auf der Straße zu laufen. Das Feld gibt uns Deckung, dort sind wir sicherer. Außerdem sparen wir uns den Weg durch das nächste Dorf. Dort wird es...“, sagt Toni plötzlich neben mir und unterbricht sich selbst. „Weswegen hältst du das Feld für sicherer? Was könnte uns auf der Straße passieren?“, frage ich ihn, doch er kann mir keine Antwort geben. Wenn ich in seine Augen blicke, bemerke ich diesen besonderen Glanz. Es ist der gleiche Glanz, wie damals als wir uns kennen lernten. Damals stand Toni einfach vor mir. Ich arbeitete zu dieser Zeit im Hamburger Bahnhof am Informationspult, als ich auf einmal diesen attraktiven jungen Mann vor mir sah. Er fragte nach einem billigen Hotel, in dem er für ein paar Tage untertauchen könnte. Ich weiß bis heute nicht, weshalb ich ihm anbot ein paar Nächte bei mir Daheim zu wohnen. Schon bald darauf verliebte ich mich in den jungen Italiener, mit dem leichten Akzent, und aus den paar Nächten wurden viele Jahre. Er hat mir nie viel über seine Vergangenheit erzählt und ich habe mich damit abgefunden. Die Vergangenheit ist unwichtig, nur die Gegenwart zählt, besonders heute. „Carolin, Dirk, kommt! Wir werden einige Stunden in diese Richtung durchs Feld laufen. Wir wollen versuchen nach Hamburg durchzukommen. Toni hält es dabei für sicherer die Straße zu meiden“, erkläre ich den Kindern und folge Toni ins Feld. Als ich ihn eingeholt habe, wirft Toni einen kurzen Blick nach hinten und sagt dann leise: „Hör zu, Sylvia. Es ist möglich, dass du bald einige Seiten von mir kennen lernst, die du noch nicht kennst. Es ist auch möglich, dass dich einige meiner Vorgehensweisen überraschen oder gar erschrecken. Dies alles hängt mit meiner Vergangenheit in Italien zusammen, doch ich kann dir jetzt nichts dazu sagen. Ich möchte nur, dass du immer zu mir hältst, auch sich alles in dir dagegen sträubt. Versprichst du mir das?“ Was soll das jetzt? Ich spüre Tonis Beunruhigung. Was meint er damit, dass ich zu ihm halten soll, egal was passieren wird? „Versprich es mir!“, drängt Toni. „Nagut ich verspreche es, aber Toni. Was hat dies zu bedeuten? Weißt du vielleicht was diese Städte zerstört hat? Hast du in deiner Vergangenheit schon einmal damit zu tun gehabt?“, frage ich beunruhigt, doch Toni schüttelt nur den Kopf. „Später, Schatz, später. Alles wird sich aufklären, du musst mir nur vertrauen!“, sagt er noch, dann verfällt er in Schweigen. Plötzlich tippt mir Carolin von hinten auf die Schulter und bemerkt: „Mama, ich kann nicht mehr. Ich muss mich mal hinsetzen und ausruhen. Das Alles war zu viel heute!“ Toni nickt nur und sagt: „Gut wir werden hier rasten und ein paar Stunden schlafen, sofern wir das können. Doch noch diese Nacht müssen wir weiter nach Hamburg.“ „Was ist denn in Hamburg?“, fragt Dirk, als er uns eingeholt hat, doch Toni gibt keine Antwort darauf. Langsam macht er mir Angst... 10
Freitag, 04.04.2008 00:12 Uhr Hongkong, China -Srgt. Frank Baldwyn-
Die
rote Sonne am Himmel beginnt sich langsam zu dehnen. Seid vielen Minuten schon beobachte ich dieses unmögliche Naturphänomen um mich abzulenken. Der Weg zum Hafen war schwer, doch die Enttäuschung ihn dann endlich vorzufinden wog dies hundertfach auf. In Kao brach in diesem Moment eine Welt zusammen, als er all die Zerstörung dort sah. Noch immer sitzt er schweigend auf einem Stein und starrt in die Ferne. Weit weg, kurz vor dem Horizont spiegelt sich das schwache Licht der roten Sonne im Wasser, doch bis dorthin war das Meer wie ausgetrocknet. Seltsam verfärbter Sand bedeckt den Grund des einstigen Hafens. Zerstörte Schiffskörper liegen auf dem Boden und werden wohl nie wieder ins Wasser gelassen werden. Das Meer hat sich bis nah an den Horizont zurückgezogen, ich schätze 30 Meilen weit. Von den Lagerhäusern voller Lebensmittel und frischem Wasser ist nirgends etwas zu sehen, lediglich die Grundrisse sind von manchen Lagerhäusern geblieben. Kao hat er Mut verlassen. Als er seine letzte Hoffnung unter Trümmern begraben sah, hat er sich nur auf einen Stein gesetzt um in die Ferne zu starren. Seid Minuten hat er nichts mehr gesagt, keine Regung ist auf seinem Gesicht zu erkennen. Ich glaube er wartet auf sein Ende, hat mit dem Leben abgeschlossen. Wir hätten in dem Feuersturm umkommen müssen, wie der Rest der Menschen Hongkongs. Warum ausgerechnet wir überlebt haben ist mir ein Rätsel. Doch noch habe ich nicht all meine Hoffnung verloren. Mir bleibt die Zuversicht, dass Washington der Zerstörung entgangen ist und ich Verbindung zum Nachrichtendienst bekomme. Seid wenigen Minuten bastle ich an meinem Minisender herum, welcher in meiner Armbanduhr versteckt ist. Er ist durch die starken Einwirkungen von außen leicht beschädigt worden, doch das ist nichts, was ich nicht reparieren kann. Ich kann nur hoffen, dass die Satelliten noch im Orbit kreisen um meinen Notruf zu empfangen. Und dass noch jemand lebt, der ihn lesen könnte... „Es ist schon absurd, nicht war? Nun sitzen zwei Erzfeinde gemeinsam im Nichts und warten darauf wer zu erst stirbt“, sagt Kao plötzlich. Überrascht sehe ich auf. „Es muss nicht so enden Kao, noch gibt es Hoffnung. Ich muss nur diesen Sender hier reparieren“ Kao schüttelt langsam den Kopf. „Baldwyn, du begreifst es nicht. Wenn deine Leute kommen um dich abzuholen, dann stecken sie mich ins Gefängnis und ich warte dort nur ab bis mein Todesurteil verkündet wird. Für mich gibt es keinen anderen Weg mehr.“ „Hat es jemals einen anderen Weg gegeben, Kao?“ Kao sieht amüsiert zu mir herüber: „Du hast es erfasst, Amerikaner. Warum glaubst du habe ich all diese Untaten begangen? Warum habe ich eine Atomrakete nach Washington geschickt?“ Dieser Bastard! Versucht er mich nun aggressiv zu machen? Möchte er dass ich ihn hier und jetzt töte, um sein Leid zu beenden? Wütend lasse ich von meinem Sender ab und frage ihn: „Wie kann ein Mensch so tief sinken? Aus welchem Grund hasst du die 11
Menschheit so sehr, dass du keinen Tag verstreichen lässt wo du nicht einige von ihnen getötet hast? Wie viele sind es nun? Sechshundertachzehn?“ Kao lacht und verbessert mich: „Sechshunderteinundsiebzig, Amerikaner. Und keine dieser Morde bereue ich. Es fehlen noch an die vierhundert bis mein Werk vollendet ist. Beende ich es nicht, wird es jemand anderes tun.“ „Warum müssen so viele Menschen sterben? Was haben sie dir getan?“, will ich von Kao wissen, doch dieser schüttelt nur den Kopf. „Du kannst nicht wissen was dein Land meinen Leuten angetan hat. Was dein Präsident und seine Männer einst meinen Leuten angetan hat. Doch jetzt ist nicht die Zeit darüber zu reden. Du trägst noch zu viel Hass und Hoffnung in dir um zu begreifen.“ Dann ging Kao den engen Weg zwischen den Trümmern zum nun trockenen Hafen hinunter. Ich werde diesen Mann nie begreifen können. Ich hasse ihn für das was er getan hat, doch aus irgendeinem Grund verspüre ich auch Mitleid mit ihm. Und was meint er mit dem Satz 'Was dein Präsident und seine Männer meinen Leuten angetan hat'? Das alles ergibt keinen Sinn. Doch Kao wird jetzt nicht mit mir reden wollen, also werde ich mich wieder dem Sender zuwenden. Die Hoffnung stirbt zuletzt...
Donnerstag, 03.04.2008 02:11 Uhr 160 Meilen vor Washington DC, USA -Michael Carlson-
Die
wenigsten Menschen in den Vereinigten Statten wissen über diesen Hochsicherheitsbunker unter dem Juniata River, nahe Huntingdon in Pennsylvania. Der Eingang befindet sich in einem öffentlichen Gebäude, welches als Treffpunkt für eine Naturschutzgruppe getarnt ist. Leider ist all die zu schützende Natur nun durchseht von kleinen Kratern. Huntingdon hat es ebenso erwischt, wie die meisten anderen Dörfer und Städte, durch die wir in den letzten Stunden gefahren sind. Es ist grausam all diese Zerstörung zu sehen, ohne etwas dagegen tun zu können. Ich als Präsident der Vereinigten Staaten wurde aber gewählt um etwas zu unternehmen. Grade in Situationen wie diesen. Und doch bin ich fortgelaufen, wie alle anderen Menschen auch. Nur ich kann mich unter 51 Meter reinem Beton und Stahl verstecken. Eine Möglichkeit die den hilfsbedürftigen Menschen dort draußen nicht zusteht. Die Welt ist ungerecht. Ich würde lieber nach draußen gehen, zu den normalen Leuten, denn ich bin nicht besser als sie. Ich habe nur mehr Macht und nur hier unten habe ich die Möglichkeit diese Macht einzusetzen. Doch leider weiß ich nicht wie ich diese Macht einsetzen soll. Zur Zeit warte ich auf die näheren Untersuchungsergebnisse unserer Wissenschaftler. Lindsay und ihre Freundin wurden in ein Zimmer gebracht, wo sie sich ausruhen und etwas schlafen könnten. Schlafen... Wie gern würde ich mich für ein, zwei Stunden zur Ruhe legen, die letzten Stunden waren mehr als anstrengend. Doch auch dieser Wunsch bleibt mir verwehrt. Also bleibt mir nichts weiteres übrig als mich zu entspannen bis die Ergebnisse eintreffen. Ein plötzliches Pfeifen lässt mich aus meinen Tagträumen erwachen. Nervös betätige ich den Schalter unter dem, an der Wand angebrachten, Monitor. Sofort wird eine Verbindung zu Owald hergestellt. Nach wenigen Sekunden erscheint sein Gesicht auf dem Bildschirm. In der vergrößerten Auflösung kann ich deutlich die dunklen Ringe unter seinen Augen 12
feststellen. Der Mann musste seid vielen Stunden auf den Beinen sein. „Owald, liegen die Ergebnisse vor?“, frage ich ihn ohne lange Begrüßungsfloskeln. „Unsere Wissenschaftler haben sie mir vor vierzig Sekunden gemailt“, erklärt Owald. „Wird mir das Ergebnis gefallen?“, frage ich den General lächelnd. Owalds Gesichtszüge entspannen sich, als er dennoch trocken bemerkt: „Wenn sie auf Weltuntergangsnachrichten stehen.“ Ich versenke meinen Kopf in meinen Händen. Nach einer kurzen Pause fährt Owald fort: „Ich habe wenigstens eine gute Nachricht diesen Abend. Unsere Anti-EMP-Maßnahmen waren erfolgreich, wenn auch unsere Orbital-Sensoren ausgefallen sind. Anscheinend ist eine ungeheure Gamma-Welle über uns hinweg geschossen und das bereits vor 22 Stunden. Sie war so stark, dass sie unsere Sensoren einfach geröstet hat. Die darauf folgende EMP-Welle, war dank unseren Gegenmaßnahmen wirkungslos. Unsere Sensoren erfassten die Welle noch bevor diese uns erreichte und unsere Reaktoren bildeten in sekundenschnelle ein positives Magnetfeld, um der EMP-Welle entgegen zu wirken. Warum allerdings kein Alarm ausgegeben wurde ist noch ungeklärt. Unsere Wissenschaftler vermuten allerdings, dass aufgrund der hohen Gamma-Strahlung die Geräte beschädigt wurden.“ „Halt Owald!“, unterbreche ich ihn, „Lassen sie mich diese Nachrichten für einen Moment verdauen! Sie sagen also, dass eine Gamma-, sowie eine EMP-Welle die Erde getroffen hat? Da die EMP-Welle wirkungslos war, bleibt noch die Gamma-Welle. Wenn ich damals auf dem College in Chemie richtig aufgepasst habe, hieße das ja, dass dies die gleichen Auswirkungen wie nach einer Atombombe sind!“ Owald nickt bedächtig und erklärt: „Eine Nuklearwaffe würde in der Tat die gleichen Auswirkungen haben. Doch wir haben es hier mit einer so enormen Gamma-Welle zu tun, wie man es nur schwer begreifen kann. Es ist, wie als hätte man vierzehntausend Hiroshimabomben im Orbit gezündet. Wir können von Glück reden, dass diese Welle die Erde nur gestreift hatte, sonst würde es nun kein Leben mehr auf unserem Planeten geben. Die Krebserkrankungen werden in den nächsten Jahren dennoch ins Unermessliche steigen.“ „Sind denn nicht schon genug Menschen durch diese Feuerbälle gestorben?“, frage ich entsetzt. „Zu den Feuerbällen wollte ich gerade kommen. Bisher konnten unsere Wissenschaftler nicht herausfinden worum es sich bei ihnen handelt. Theorien gibt es allerdings einige. Wenn sie einige von ihnen hören möchten...?“ „Nicht jetzt, Owald... Lassen sie mir eine Stunde um dies alles zu verarbeiten. Ich melde mich“, sage ich noch, dann unterbreche ich per Knopfdruck die Verbindung. Dies alles ist zu viel für mich. Die Tatsache dass die gesamte Welt fast völlig entvölkert wurde, reicht schon, warum müssen auch noch die meisten von ihnen verstrahlt sein? Dies ist der wohl schlimmste Schlag gegen die Menschheit. Es ist wie die Apokalypse, der Tag des jüngsten Gerichts.
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Donnerstag, 03.04.2008 18:23 Uhr Im Feld, ca 10km vor Hamburg, Deutschland -Sylvia Anton-
Das
Wetter verschlechterte sich während unserer Rast zunehmend und nun kommen schon die ersten Tropfen vom Himmel. Doch wenigstens bestehen diese Tropfen aus Wasser und nicht aus Feuer. Toni wollte die ganze Zeit über Wache halten, doch ich konnte ihn überzeugen sich wenigstens für eine Stunde hin zulegen. Wache halten derzeit Dirk und ich. So kann ich nun auch endlich das längst überfällige Gespräch mit dem jungen Mann bezüglich meiner Tochter führen. Scheinbar beiläufig setze ich mich an seine Seite und schaue über die, von Regenwolken verdunkelten, Felder nahe Hamburgs. Dirk war es, der das Schweigen zu erst brach. „Ich hatte niemals vor Ihnen Ihre Tochter wegzunehmen.“, sagt er. Nein, sicherlich nicht bewusst... „Ich glaube dir das, Dirk. Und du kannst mich ruhig Sylvia nennen.“, sage ich freundschaftlich. „Ich liebe Ihre... deine Tochter wirklich. Ich weiß ich sollte jetzt wohl bei meiner Familie sein... Sofern noch jemand von ihnen lebt... Aber ich muss doch Carolin beschützen, ich spürte wie groß ihre Angst in den letzten Stunden war.“ Scheinbar meint er es wirklich ernst. „Und du bist nicht einfach nur mit uns gegangen um dich selbst zu retten?“, frage ich dennoch zweifelnd. Entrüstet schüttelt Dirk seinen Kopf: „Wäre Carolin noch in Bargteheide, dann wäre ich bei ihr geblieben. Bis zum bitteren Ende...“ Ich habe mich in Dirk getäuscht. Er ist nicht so ein Nichtsnutz wie die meisten in seinem Alter. Der Junge war erwachsener als viele volljährige. Und auch wenn es meinem Mutterherz wehtut Carolin erwachsen werden zu sehen, so ist Dirk doch der Richtige für sie. „Ich danke dir Dirk“, sage ich nur und stehe auf. Es wird nun Zeit weiter zugehen. Vorsichtig wecke ich Toni und Carolin. Als beide richtig wach sind, geht unsere Reise gen Hamburg weiter. Wir sind noch keine drei Minuten unterwegs, als ich ein Rascheln aus den nahen Büschen vernehme. Sofort springt Toni herum und sieht sich um. Da kommen zwei Personen aus den Büschen, beide in zerrissene Klamotten gehüllt. „Na wen haben wir denn da?“, fragt der eine Mann grinsend. Selbst auf die Entfernung kann ich sehen, dass seine Nase gebrochen ist. „Was wollt ihr von uns?“, fragt Toni energisch zurück. Der Mann mit der gebrochenen Nase grinst schief und antwortet: „Wir wollen euch, mehr nicht. Habt ihr Essen oder Wasser bei euch? Ist verdammt knapp geworden in der letzten Zeit, nicht war? Ach und Klamotten könnten wir auch gebrauchen, falls ihr es nicht bemerkt habt“ „Vergiss es, wir haben selbst nur das, was wir am Körper tragen!“, erklärt Toni nervös. Seine Hand verschwindet in seiner Hosentasche. Was hat er darin? Ein lauter Knall ertönt. Der zweite Mann hat nun ein Gewehr in der Hand und zielt auf Toni. Sein erster Schuss ging vorbei, doch wird Toni noch einmal ein solches Glück haben? 14
„Du fängst an mir auf die Nerven zu gehen, Mann! Wer hat denn gesagt, dass wir euch am Leben lassen?“, sagt der Mann mit der gebrochenen Nase und mustert uns der Reihe nach. Auf Carolin bleibt sein Blick stehen. „Oder ich nehme mir das Mädchen da und vergnüge mich einige Minuten mit ihr im Gebüsch. Womöglich lasse ich euch danach weiter ziehen. Ohne Klamotten und Proviant versteht sich.“, verlangt der Mann dann grinsend. „Du lässt sie in Ruhe, du widerliches Arschloch!“, brüllt Dirk laut und stellt sich vor Carolin. Der Mann mit gebrochener Nase fängt an lautstark zu lachen: „Was für ein Held! Mark, leg ihn zuerst um!“ Der zweite Mann legt das Gewehr an und zielt auf Dirk. Mit einem Mal reißt Toni seine Hand hoch. Eine Pistole befindet sich darin. Doch dann ertönt bereits der Schuss. Blut spritzt auf. Dann ist es vorbei.
Freitag, 04.04.2008 00:36 Uhr Hongkong, China -Srgt. Frank Baldwyn-
Ich
habe Kao nicht mehr auf seine Vergangenheit angesprochen und mich stattdessen wieder dem Minisender zugewandt. Ich denke ich habe den Fehler gefunden und er sendet bereits seine Nachricht. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass dort oben noch einer der Satelliten kreist und meine Nachricht empfängt. Kao sitzt wieder auf einem Stein und starrt hinaus zum fernen Meer. Sein Blick ist traurig und friedlich zugleich. Es ist eine völlig neue Erfahrung den Weltfeind-Nr. 1 hier so friedlich sitzen zu sehen. Kann ein Mensch mit solchen Augen wirklich solche Untaten und Grausamkeiten vollbracht haben? Ich setze mich zu ihm hinüber, da ich derzeit nichts besseres zu tun habe. Er scheint mich zunächst nicht einmal zu bemerken. „Der Sender ist repariert“, erkläre ich, doch Kao schweigt weiterhin. Erst nachdem einige Minuten vergangen sind, fragt er plötzlich: „Sind Sie verheiratet Baldwyn? Haben Sie eine Familie?“ Erstaunt sehe ich auf. „Früher ja“, gestehe ich, „doch jetzt ist alles anders. Von meiner Frau sind mir nur noch Erinnerungen geblieben.“ „Sind es schmerzhafte?“ „Zunächst waren sie es, ja. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum es ausgerechnet meine Frau sein musste. Es war nur die Schuld dieser Männer! Ich wollte die Täter zur Rechenschaft ziehen, doch irgendwann lernte ich mit meinem Schmerz umzugehen.“ „Wurde ihre Frau ermordet?“ „Nein... es war ein Unfall. Es gab einen perfekt organisierten Banküberfall damals, bei dem es den Tätern sogar gelang zu fliehen. Meine Frau hatte sie nicht sehen können! Sie fuhr einfach wie immer die Straße entlang, als der Wagen der Flüchtenden aus einer Seitenstraße schoss. Nur der Beifahrer des Fluchtwagens hatte die Kollision überlebt, doch auch dieser verstarb schließlich im Krankenhaus...“ „So war also niemand mehr am Leben, an dem Sie hätten Rache üben können“, schlussfolgert Kao. 15
„Ich nahm mir den Nächstbesten als Opfer meiner Rache...“, erkläre ich nachdenklich. „Und das war ich...“, erkennt Kao und lächelt, „Wir sind uns sehr ähnlich, Amerikaner, sehr ähnlich...“ Tränen der schmerzlichen Erinnerung treten mir in die Augen, Erinnerungen an Lora und an Lindsay. Dies alles hatte keinen Sinn. So viel Leid kann ein Mensch in seinem Leben nicht aushalten. Und dennoch habe ich es geschafft nicht durchzudrehen. 'Wir sind uns sehr ähnlich', hat Kao gesagt. Wenn ich mir den Mann neben mir so ansehe, erkenne ich, dass er es nicht geschafft hat ruhig und friedlich zu bleiben. Die Hoffnung stirbt zwar zuletzt, doch für diesen Mann ist sie bereits vor langer Zeit gestorben. „Was war damals geschehen?“, frage ich. Kaos Blick bleibt starr als er zu erzählen beginnt. „Es war vor achtundzwanzig Jahren. Dein Präsident war noch ein junger Soldat, der die Befehlskette starr und engstirnig befolgte und sich keine Gedanken über Moral und sonstige Spielchen machte. Deswegen dachte er auch zu spät über die Folgen nach. Dennoch hätte er mehrmals die Chance gehabt alles noch zum Guten zu wenden, doch er unternahm nichts. Nein. Er half den anderen auch noch meine Familie, mein Dorf zu erschießen und vollständig auszulöschen. Angeblich war ein kommunistischer Rebell unter ihnen, welcher mehrmals versuchte das Ende des kalten Krieges zu Gunsten des Kommunismus zu verschieben. Sie kamen von Südkorea herüber, nur diese eine Einheit. Sie hatten den Befehl eben jenen Spion zu finden und festzunehmen. Gewalt war im Notfall erlaubt. Aber der Offizier, der diese Einheit anführte, war ein sehr rassistischer Mann. Er hasste die Grundzüge des Kommunismus, aber er hasste auch alle Menschen, die nicht an die Weltherrschaft Amerikas glaubten. Er war ein wirklicher Patriot. Als sie den Spion nicht entlarven konnten, eröffneten sie eines Nachts das Feuer auf das kleine Städtchen, was einmal meine Heimat war. Alle Ausgänge aus der Stadt wurden versperrt, es konnte niemand entkommen. Können sie mich jetzt verstehen? Ihr Präsident hat tausendeinhundertundsechzehn Menschen auf dem Gewissen! Nur vierzehn von uns überlebten. Mich traf damals eine Kugel in den Unterleib. Ich stellte mich tot, nur deswegen überlebte ich. Von diesem Tage an schwor ich Rache an den Verantwortlichen dieser Grausamkeit. Jeder einzelne muss gerächt werden. Bald habe ich die Hälfte erreicht...“ Entsetzt über diese Lebensgeschichte, frage ich: „Aber deswegen können Sie doch nicht so viele Leute töten! Man darf Gleiches nicht mit Gleichem heimzahlen!“ „Ich war jung... Es veränderte mich vollkommen, was damals geschehen war. Erst jetzt begreife ich was ich eigentlich getan habe. Aber dennoch bereue ich nichts. Ich musste die unschuldigen Seelen rächen. Man hat über tausend Menschen getötet, nur auf Verdacht auf den Aufenthalt eines Spions. Es hat diesen Spion nie gegeben. Doch jetzt, nach diesem Tag, sind mehr Menschen gestorben als ich rächen wollte. Mein Auftrag ist somit beendet, mein Rachefeldzug.“ Kao war ein Scheusal. Aber dennoch verstand ich seine Gedanken. Er hatte nie Hass auf Amerika gehabt. Er wollte nur sein Leid besiegen. Und er musste einen Sündenbock dafür finden. Er war nicht so stark wie ich. Nachdenklich stehe ich auf und laufe ein paar Schritte, soweit mir dies mit meinem geschienten Bein möglich ist. Ich blicke ein paar Minuten auf den blinkenden Sender, doch sehen tue ich meine Tochter Lindsay. Wie es ihr jetzt wohl geht? Ob in Amerika auch eine solche Zerstörung herrscht wie hier in Hongkong? Möglicherweise ist nur dieser Teil der Welt von dieser unmöglichen Katastrophe betroffen. Erst jetzt mache ich mir wieder Gedanken über den Grund der Zerstörung. Welche Waffe der Welt hatte eine solche Zerstörungskraft? Oder war es möglicherweise keine Waffe dieser Welt? Nachdenklich sehe ich nach oben zu der roten Sonne, welche sich nun zu einem langen Streifen quer 16
über den Himmel verzogen hat. Es ist ein seltsamer Anblick, mitten in der Nacht. Wie ein kosmisches Band zieht sich dieser blutrote Streifen zwischen den Sternen hindurch. Hatte er mit dieser Zerstörung zu tun? Ein lauter Knall reißt mich jäh aus meinen Gedanken. Verwirrt, aber dennoch blitzschnell springe ich herum, die Hand am leeren Waffenholster meines Anzugs. Das war ein Schuss gewesen. Doch er galt nicht mir. Zwei Meter vor mir liegt Kao mit einem klaffenden Loch im Kopf auf dem staubigen Boden. In der linken Hand hält er verkrampft seine Waffe. Eine Blutlache breitet sich unter ihm aus. Er hatte es wohl nicht mehr ertragen. „Es ist vorbei... Mögest du wenigstens dort deine Ruhe finden, wo auch immer du jetzt bist.“, sage ich laut. In der Ferne kann man das leise Sirren von Hubschraubern vernehmen. Hat dieser Alptraum also endlich sein Ende gefunden?
Donnerstag, 03.04.2008 12:49 Uhr Huntingdon, USA -Michael Carlson-
Je
werde ich aus meinen Träumen gerissen. Ein erschöpfter Mann steht in der Tür meines Quartiers und winkt aufgeregt mit den Armen. „Sir, wir haben einen Kanal zur chinesischen Luftwaffe aufgebaut. Es gibt neue Informationen, welche Sie sicher interessieren dürften“, erklärte der junge Soldat aufgeregt. Müde werfe ich einen Blick auf die Uhr. Vierzehn Stunden sind seid der Zerstörung Washingtons vergangen. Vierzehn Stunden ist meine liebe Frau Lolita nun unter den Trümmern des weißen Hauses begraben. Von diesen vierzehn Stunden habe ich nun die letzten drei Stunden geschlafen. Ich konnte mich nicht mehr wach halten, die Ärzte versagten mir schließlich auch die Aufputschmittel. Ich hielt mich dennoch noch mit ein paar Tassen Kaffee eine knappe halbe Stunde wach, bis ich mich zur Vernunft zwang und mich für einige Stunden hinlegte. Baldwyns Tochter und ihre kleine Freundin haben eine Zeit mit unserer Psychologin gespielt und sich dann ebenfalls schlafen gelegt. Nach der Beurteilung der Psychologin werden sie keine bleibenden geistigen Schäden davon tragen, sie haben wohl nicht einmal begriffen was eigentlich geschehen ist. Mich beunruhigt dennoch der Gedanke, dass aller Wahrscheinlichkeit nach keiner der Elternteile eines der beiden Kindern überlebt hat. Was aus ihnen wird, ist ungewiss. Wenigstens konnte ich sie aus Washington retten, ich bin es Baldwyn schuldig. Er ist schon länger mein Freund, als er als Spion für den Geheimdienst arbeitet. Wir kennen uns seid dem College und haben die erste Zeit des Wehrdienstes gemeinsam verbracht, bis man uns in unterschiedliche Einheiten steckte. Ich wurde zwei Jahre lang in die Grenzschutzkompanie in Südkorea gesteckt, da selbst nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandabkommens noch immer heiße Luft zwischen dem nördlichen und südlichen Teil Koreas herrschte. Erst nachdem ich wieder nach Hause beordert wurde und meine Karriere als Soldat aufgab und mich stattdessen der Politik zu wandte, sah ich Frank wieder. Doch jetzt ist auch er tot oder zumindest verschollen. Irgendwo im östlichen China hatte er seinen letzten Auftrag gehabt. China... Der junge Soldat in der Tür hat mich darauf hingewiesen, dass eine Verbindung mit China aufgebaut wurde. Ob das etwas mit Baldwyn zu tun hat? 17
„Vielen Dank, wegtreten!“, befehle ich dem Soldaten und erhebe mich langsam aus meinem Bett. Dieser nickt nur und verlässt den Raum. Noch immer müde trete ich vor den Bildschirm in der Wand und aktiviere die Verbindung. Sofort erscheint das Gesicht eines chinesischen Generals auf dem Monitor. Dunkle Ringe sind unter seinen Augen zu sehen, es lässt sich nur erahnen wie lange er nicht mehr geschlafen hat. „Hier bin ich“, erkläre ich schnell und ohne große Formalitäten. Der Chinese versteht das und kommt gleich zur Sache. „Sie sind das vierte Land, zu welchem wir Verbindung aufnehmen konnten. Wie ich bereits erfahren habe, geht es ihnen nicht viel besser wie dem Rest der Welt.“, bemerkt er in gutem Englisch. „Wie sieht es im Rest der Welt aus? Wissen Sie mehr als wir?“, frage ich ihn. Der chinesische General schließt kurz die Augen bevor er mit seinem Bericht beginnt. „Europa hat es am schlimmsten erwischt. Alles südlich des Breitengrades, auf welchem sich Brüssel befindet, wurde vollkommen vernichtet. Lediglich im Norden konnten einige Menschengruppen überleben. Zur Zeit versuchen die örtlichen Gesetzeshüter die Ordnung aufrecht zu erhalten und die Menschen zu sammeln. Nach den Berichten Moskaus sind die meisten Feuerkugeln im östlichen Russland niedergegangen, wo sie kaum Schaden anrichteten. Wir hatten Kontakt nach Indien und erfuhren, dass dort die Zerstörungsrate ebenfalls recht gering geblieben ist. Am schlimmsten hat es wohl Japan und das östliche China getroffen. Es müssen unzählige Feuerkugeln im Meer um Taiwan niedergegangen sein, denn das Wasser ist zu großen Teilen verdampft. Ganze Salzwüsten sind nun entstanden. Wir haben Rettungsmannschaften mit unbeschädigten Helikoptern losgeschickt Überlebende zu suchen und nach Peking zu bringen. Unsere Hauptstadt hat es sehr gut überstanden, dort wird derzeit vielen Überlebenden geholfen.“ „Sie haben wirklich schnell reagiert!“, lobe ich den General, dessen Gesichtszüge nun Anzeichen von Stolz aufweisen. „Einer unserer Rettungsteams hat eine besondere Person aus den Trümmern von Hongkong befreit. Er ist leicht verletzt, aber das ist nichts, was man nicht kurieren könnte.“ Hongkong... kann es sein...? „Wer ist diese besondere Person? Etwa ein gewisser Sergeant Frank Baldwyn?“, frage ich den Chinesen erwartungsvoll. Dieser nickt nur lächelnd. „Ich verbinde sie nun zu ihm. Er hat ihnen etwas zu berichten.“, erklärt der General und verschwindet dann vom Bildschirm. An seiner Stelle erscheint das mitgenommene Gesicht Baldwyns. Ich hätte nicht erwartet ihn jemals wiedersehen zu dürfen. Es ist als wären meine heimlichen Gebete erhört worden. „Michael...“, sagt Frank nur. Die Erschöpfung steht ihm ins Gesicht geschrieben. „Frank... ist alles in Ordnung? Wie geht es den anderen? Woods?“, frage ich ihn, doch er schüttelt nur den Kopf. „Ich hatte Glück. Kao hatte vor eine biochemische Waffe auf Washington zu schießen, doch er wurde von dieser unheimlichen Katastrophe überrascht.“, berichtet Frank. Sein Blick ist sonderbar. Er sieht mich nachdenklich und zweifelnd an. Was ist los mit ihm? „Was ist mit Kao? Konntest du ihn aufhalten?“, frage ich, obwohl mir die Antwort schon bewusst war. Wäre Kaos Attentat geglückt, dann säße ich nun nicht mehr hier. Franks Blick wird glasig als er sagt: „Kao ist tot“ Das war alles. „Hat er mit dir gesprochen? Frank! Rede mit mir!“, dränge ich ihn, doch Frank schweigt vor sich hin. Sehe ich da Trauer in seinen Augen? „Man soll dich so schnell es geht zurück nach Amerika bringen. Du musst mir einen vollständigen Bericht abliefern.“, erkläre ich ihm. Frank nickt nur kurz und ist im Begriff aus 18
der Kamera zu treten als ich noch schnell etwas ins Mikrofon sage: „Lindsay erwartet dich sehnsüchtig“ Franks Blick wird mit einem Mal noch viel trauriger. Doch diesmal sind es Tränen der Freude, die Baldwyn zurückhalten will. „Danke“, sagt er noch, dann wird das Bild schwarz.
Donnerstag, 03.04.2008 18:41 Uhr Im Feld, ca 10km vor Hamburg, Deutschland -Sylvia Anton-
Es
ist schrecklich. Ungläubig betrachte ich den sich langsam vergrößernden Blutfleck auf dem Hemd. Ein Schluchzen entspringt meinen Lippen. Dirks Augen blicken starr auf das Blut, welches nun langsam zu Boden tropft. Auch er kann nicht fassen was gerade geschehen ist. „Verdammt warum wolltet ihr nicht hören?“, ruft der Mann mit dem Gewehr entsetzt zu uns herüber. Würgend und mit Tränen in den Augen lässt er das Gewehr fallen. Toni lässt langsam seine Hand wieder sinken. Erst dann dreht er sich zu Dirk und Carolin um. Der Blutfleck wächst nun nicht mehr, dafür tropft das Blut unaufhörlich auf den kalten Erdboden. Carolins Augen werden groß und füllen sich sanft mit Tränen. „Es tut mir Leid“, stößt sie noch hervor, dann bricht sie in Dirks steifen Armen zusammen. Kurz bevor der Schuss ertönte, hatte sie Dirk plötzlich herum gerissen. Sie hat die Kugel mit ihrem Körper abgefangen. Die Welt ist so grausam. „Mama... Dirk...“, sagt sie weinerlich. „Ich bin hier“, erkläre ich und beuge mich zu ihr herunter. Dirk blickt nur ohne Regung auf das Mädchen in seinen Armen, bringt kein Wort heraus. Carolins Augenlider werden langsam schwer, ihr Blick starr. „Tu mir das nicht an, Carolin“, bitte ich verzweifelnd. Toni tritt an meine Seite und legt seine Hand auf meine Schulter. „Wir müssen die Wunde möglichst schnell verbinden, dann schaffen wir es sicherlich bis nach Hamburg. Dort wird man sich um sie kümmern...“, erklärt Toni aufmunternd und beginnt Streifen aus seinem Pulli herauszureißen. Ich kann es nicht fassen! Wo hat er diese Überlebensstrategien und vor allem die Waffe her? „Toni! Was geht hier vor sich? Woher hast du diese Pistole?“, frage ich wütend und ängstlich zugleich. Nach all den Jahren stelle ich fest, dass ich diesen Mann eigentlich gar nicht kenne. Was hat er damals in Italien gemacht, bevor er nach Deutschland zog? Irgendetwas stimmt doch nicht mit ihm! „Toni!“, dränge ich ihn, „Was ist hier los? Jetzt erkläre es mir doch endlich mal!“ Resignierend senkt Toni den Blick. „Lass mich bitte erst Carolin verbinden. Sie hat bereits zu viel Blut verloren, wir müssen die Blutung jetzt stoppen, damit sie es schafft.“ Die beiden Männer, die uns überfallen wollten, traten nun ebenfalls zu uns. „Hört zu, wir wollten nicht dass jemand verletzt wird. Wir wollen nur überleben und hielten dies für die beste Möglichkeit.“ „Lasst uns in Frieden!“, verlangte Toni energisch, während er Carolins Hemd auszog. 19
„Ihr wollt nach Hamburg? Scheinbar wollen das ziemlich viele Menschen, denn wir sind auch dort hin auf den Weg und viele vor uns wandten sich auch in diese Richtung. Ihr könnt von Glück reden, dass ich meine Hilfsbereitschaft nicht in diesem Feuersturm verloren habe. Wir werden euch helfen das Mädchen nach Hamburg zu bringen.“ „Hilfsbereitschaft?! Das ich nicht lache, ihr seid doch Schuld daran, dass Carolin nun dem Tod viel zu nahe steht!!“, brüllt Dirk plötzlich los. Der Mann, der die Waffe abgefeuert hatte, hob abwehrend die Hände und bemerkte: „Und ich bereue es schon jetzt. Ich möchte nicht für den Tod dieses Mädchens verantwortlich sein, darum bieten wir euch unsere Hilfe an. Ob euch das nun gefällt oder nicht, ich lasse jedenfalls nicht zu, dass es dieses Mädchen nicht mehr bis nach Hamburg schafft.“ Toni nickt dazu nur ruhig und hilft der schwachen Carolin das Hemd komplett auszuziehen. Der zweite Mann reißt nun ebenfalls Streifen aus seinem Hemd heraus, um damit die Wunde zu verbinden. Dirk und Ich stehen abseits und sehen den drei Männern mit zu, wie sie die Wunde erst mit dem wenigen verbliebenen Wasser auswaschen und dann mit den Stoffstreifen verbinden. Wenigstens konnten sie die Blutung stillen, doch Carolin hat bereits zu viel Blut verloren. Aufgeregt winkt Toni Dirk zu sich. „Rede mit ihr, sie darf nicht einschlafen, hörst du? Sie muss wach und bei Verstand bleiben!“ Dirk nickt nur und fängt an leise auf Carolin einzureden. Tränen rinnen meine Wangen hinab und ich kann das Schluchzen kaum noch unterdrücken. Es ist so schrecklich.
Donnerstag, 03.04.2008 19:11 Uhr In einem Flugzeug irgendwo über Westeuropa -Srgt. Frank Baldwyn-
Das
Flugzeug ist alt. Ich befürchte es ist sogar fast so alt wie ich selbst es bin. Man erklärte mir in China, dass kein anderes Flugzeug noch flugfähig sei, da alle Instrumente durch EMP-Wellen zerstört worden sind. Es ist immer wieder seltsam von Osten her durch die Zeitzonen zu fliegen. Vor drei Stunden hatten wir noch den Vierten April, jetzt ist wieder der Dritte. Der dritte April... Dieser Tag wird in die Geschichte eingehen, als der Tag an dem die Welt beinahe unterging. Ich selbst habe nur durch sehr großes Glück überlebt, Milliarden von Menschen hatten weniger Glück als ich. Seid einer halben Stunde wage ich mich nicht mehr aus dem Fenster zu sehen, zu verzweifelnd ist die Zerstörung dort draußen. Doch etwas ist seid kurzer Zeit anders... „Sir! Wir sind nun über dem Atlantik. Sehen Sie bitte einmal nach draußen!“, ruft mir der Co-Pilot zu. Neugierig werfe ich einen Blick aus dem seitlichen Fenster. Von hier aus konnte man gerade noch die französische Küste hinter uns sehen. Das Meer war voller grüner und grauer Punkte. Auch der Atlantik war zu großen Teilen verdampft und eine dichte Wolkendecke überzog die Erde, nur der seltsame rote Streifen war noch am Himmel zu sehen. Was vor Stunden noch wie eine Sonne aussah, ist nun zu einem Gebilde geworden, was den Nordlichtern ähnlich sieht. Neugierig werfe ich einen weiteren Blick auf den, erst 30 Meilen nach dem ursprünglichen französischen Ufer beginnenden, Atlantik und überlege was diese seltsamen Punkte sind, die an der Wasseroberfläche 20
schwimmen. „Gehen Sie etwas tiefer“, verlange ich vom Piloten und das Flugzeug verliert zunehmend an Höhe. Nun kann ich die Punkte dort unten deutlich erkennen. Es sind Fische. Es müssen Millionen sein. Dort unten schwimmen mehr als eine Million toter Fische an der Meeresoberfläche. „Sie müssen durch die Feuerbälle umgekommen sein“, vermutet der Co-Pilot und das ist auch eine plausible Erklärung, doch aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, dass es etwas anderes war, was diese Tiere tötete. An der Oberfläche des Pazifiks schwammen keine Fische, das weiß ich genau. Jetzt, als wir schon fast die amerikanische Küste erreichen, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ein tausende Kilometer langer Streifen toter Fische im Atlantik konnte nur durch eines hervorgerufen worden sein: Kaos Biowaffe muss hier heruntergekommen sein! Das bedeutet, dass nicht noch mehr Menschen sinnlos gestorben sind. In wenigen Stunden bereits werde ich meine geliebte Lindsay wiedersehen. Dann hat dieser Spuk endlich ein Ende. Ich werde aus dem Geheimdienst austreten und mich von nun an ganz um sie kümmern, meine Zeit nur noch ihr widmen. Geld hatte ich mittlerweile genügend angelegt, um mich jetzt schon zur Ruhe zu setzen. Ich habe dieser Welt nun oft genug den Fortbestand gesichert, nun kann auch ich mir einmal meine wohlverdiente Ruhe gönnen.
Donnerstag, 03.04.2008 16:44 Uhr Huntingdon, USA -Michael Carlson-
Es
tut gut Baldwyn wiederzusehen, doch haben mich die deutlichen Zeichen der vergangenen Schrecken in seinem Gesicht zunächst erschreckt. Ich kann es ihm nicht verübeln, dass er Sitten und Ränge außer Acht lässt und ohne große Floskeln direkt nach Lindsay fragt. Als er sie dann endlich in den Armen hält, scheint all das Leid, all der Tod vergessen. Ich sehe einen Wachmann eine Träne über die Wange rollen und auch mir selbst werden die Augen feucht, als wir dieses wunderschöne Bild der Wiedervereinigung der kleinen Familie betrachten. Ernster werden die Blicke erst, als Lindsays kleine Freundin Joey traurig nach ihren Eltern fragt. Baldwyn erklärt ihr ernst, dass sie nun bei ihm und Lindsay leben kann, bis eines Tages ihre Eltern kommen und sie zu sich nach hause bringen. Er verschwieg ihr, dass sie niemals kommen würden. Ich nicke Baldwyn kurz zu und lasse ihn sich kurz von den Mädchen verabschieden, welche nun wieder von unserer Ärztin betreut werden würden. Uns fehlt jetzt die Zeit nachzulassen, Entscheidungen müssen getroffen werden. Wir verlassen das Zimmer und gehen den weiten Flur hinab, in das provisorische Konferenzzimmer des unterirdischen Stützpunktes. Einige Generäle, sowie eine Gruppe Wissenschaftler warten dort bereits. Ohne lange Zeremonien stelle ich Baldwyn den Anwesenden vor; die Tagung beginnt. Erster Punkt sind die Aufbauarbeiten und Hilfsmaßnahmen im Land. Ein zuständiger Offizier erklärt alle Neuigkeiten von Belang, doch meine Gedanken sind wieder wo anders. Mit halbem Ohr höre ich von wiederhergestellten Funkkontakten, erfolgreichen Hilfsoperationen und dergleichen. Unsere Leute geben sich alle Mühe die Statten unter 21
Kontrolle und Ordnung zu halten. Nächster Punkt sind die internationalen Schadensberichte, welche man in den letzten Stunden sammeln konnte. Erwähnenswert ist dabei lediglich dass die größten Zerstörungen aus der nördlichen Hemisphäre berichtet wurden. Der Vortragende verbindet dies mit der Tatsache, dass man bisher ohnehin wenig Kontakt mit den südlichen Nationen hatte. Die Zerstörungen könnten allumfassend sein, Milliarden Tote könnten die Straßen pflastern, wir würden es lange Zeit nicht erfahren. Ein Realist ohnesgleichen... Doch nun wird es Zeit für den Hauptpunkt der Besprechung. Langsam erhebe ich mich und ergreife das Wort: „Ich danke ihnen. Meine Damen, meine Herren, sie alle wissen um die Ausmaße der Zerstörung, welche diese Feuerbälle verursachten. Doch noch immer ist nicht bekannt, woher diese Feuerbälle eigentlich kamen. Wir wissen um die Auswirkungen, doch die genauen Ursachen sind noch immer unbekannt. Eine Gruppe Wissenschaftler hat eine erste Theorie aufgestellt“, und während ich mich wieder setze, „welche ihnen nun von dem Leiter der Gruppe näher gebracht wird. Sie haben das Wort.“ Ein älterer Mann, namens Ed Albert, Physiker von Beruf, ergriff das Wort. „Nun gut. Zu aller erst möchte ich darauf hinweisen, dass es sich hierbei keineswegs um 'Feuerbälle' jeglicher Art handelt. Wie sie wissen sollten ist Feuer nur die sichtbare Freisetzung von, durch Oxidation entstehender, Energie. Dazu ist Sauerstoff unabdingbar, jedoch herrscht im Weltraum keinerlei Sauerstoff, weswegen keine Oxidation stattfinden und somit auch kein Feuer entfacht werden kann. Wie bereits bei früheren Tests festgestellt, handelt es sich bei diesen Feuerbällen um fusionierende Wasserstoff-Kugeln, wie die Sonne selbst eine ist.“ Ein General hebt erschrocken den Kopf und entgegnet: „Wollen Sie damit sagen, es seien hunderte Fusionsbomben auf die Erde geschlagen?“ Der Physiker nickt ernst: „Genau das. Wir können davon ausgehen dass einige dieser 'Bomben' eine vergleichende Sprengkraft einer 10kt Atombombe hatte. Dass es überhaupt noch Überlebende gibt, liegt einzig und allein an der Tatsache, dass diese Bomben nicht sehr großflächig herabstürzten. Außerdem gab es durchaus einige kleinere Fusionsbälle, welche wesentlich kleine Explosionsradien hatten. Gehen sie davon aus, dass alleine über den USA, etwa 40 Kugeln mit einem fünfzehntel der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe und dazu etwa 4,8 Milliarden Handgranaten herunterfielen. So viel dazu, dass auch physikalisch unbegabtere Militärs unter ihnen die Zerstörung abschätzen können. Doch das ist bereits teilweise bekannt. Ebenfalls bekannt ist die starke EMP-Welle, welche kurz vor der Zerstörung alle Sicherheitssysteme lahmlegte.“ Baldwyn, der bisher geschwiegen hat, meldet sich nun das erste Mal zu Wort: „Für mich ist diese Sache neu, weshalb ich auch noch eine Frage habe: Kurz nach dieser Katastrophe habe ich eine rote Sonne am Himmel gesehen. Mittlerweile hat sich diese aber zu einem langen Streifen verschoben. Können Sie mir erklären um was es sich dabei handelt?“ Der Wissenschaftler nickt lächelnd. „Ich wollte gerade darauf zu sprechen kommen. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen kann es sich nur um eine Art Wolke aus fusioniertem Helium und Wasserstoff handeln, welche die Erde nur knapp verfehlte.“ „Wolke aus Helium und Wasserstoff? Damit Wasserstoff zu Helium fusionieren kann, werden doch ungeheuerliche Energien benötigt, nicht wahr?“, wirft Baldwyn ungläubig ein. „Energie“, erklärt Albert, „ wie sie nur in der Sonne existiert. Meine Damen und Herren, wir haben wohl sie größtmögliche bekannte kosmische Katastrophe überlebt, die wir uns vorstellen können. Uns fehlen leider genaue Messdaten, aber alles deutet darauf hin, dass die Erde ganz knapp einer immensen Sonneneruption entgangen ist.“ „Ganz knapp nennen Sie das? Wir können davon ausgehen, dass nicht mehr als 400 22
Millionen Menschen weltweit überlebt haben; und Sie nennen dies knapp verfehlt?“, frage ich ihn entrüstet, doch der Wissenschaftler lächelt nur gequält. „Haben Sie schon einmal beobachtet, wie sich Metall, wie Aluminium, unter Einfluss von Mikrowellen verhält? Hätte uns dieser Ableger der Sonne voll erwischt, wäre wohl für die nächsten Jahrtausende kein Leben auf der Erde möglich. Wir sprechen hier von Kräften, die man sich nur mathematisch gesehen vorstellen kann, wir können von Glück reden, dass es so viele Menschen wirklich überstanden haben.“ „Überstanden ist allerdings noch gar nichts.“, erwidert ein anderer Wissenschaftler, „Durch den voran gegangenen Gamma Burst, hat sich die Oberflächenstrahlung der Erde drastisch erhöht. Wir müssen darum beten noch fruchtbar zu sein, nach dieser Katastrophe. Unsere Biologen und Genforscher befürchten die schlimmsten Mutationen. Ich wage die Prognose aufzustellen, dass in wenigstens zwei Generationen die Menschheit nicht mehr wiederzuerkennen ist.“ Bedrücktes Schweigen füllt den Raum. Ich muss wieder an Lolita denken. Zu früh ist ihre Zeit gekommen. Doch wenigstens muss sie die wirklich unschöne Zeit nicht mehr miterleben. Plötzlich meldet sich jemand zu Wort, ein junger Wissenschaftler, welcher ohne die deutlichen Zeichen der letzten Stunden sicherlich ein attraktiver Mann ist. Er spricht leise und bedächtig, mit einem schwachen italienischen Akzent: „Ich glaube ich kenne die Ursache für dies alles...“
Donnerstag, 03.04.2008 21:23 Uhr Hamburg, Deutschland -Sylvia Anton-
Der
Himmel verdunkelt sich bereits langsam, als wir endlich die Stadt erreichen. Zumindest das, was von ihr geblieben ist... Ich kann nicht einmal sagen, wann wir wirklich die Stadtgrenze überschritten haben, denn Häuser stehen nur noch sehr wenige, das meiste ähnelt einigen schlechten B-Movies, in welchen Außerirdische eine Stadt zerstören, nur dass dies hier alles aus echtem Stein und Eisen besteht und nicht aus Plastik und Schaumstoff. Bisher sind wir keinen Überlebenden begegnet, doch unsere beiden Begleiter scheint dies nicht sehr zu wundern. Schweigsam räumen sie und Toni die Trümmer fort, welche uns den Weg versperren. Dirk und ich haben Carolin in unsere Mitte genommen und versuchen fortlaufend sie bei Bewusstsein zu halten. Es geht ihr kaum besser, doch sie hält durch bis jetzt. Ich hatte die letzten Stunden viel Zeit zum Nachdenken... Ich habe noch immer keine Antworten auf meine Fragen an Toni, aber ich werde nicht nachlassen. Er hat mir all die Jahre etwas vorgemacht, das werde ich ihm nicht so schnell verzeihen. Ich muss wissen woher er die Waffe hat und was er in Italien getan hat, bevor er nach Deutschland kam. Ist er vielleicht Teil einer Mafia-Familie? Allein die Vorstellung lässt mich innerlich erbeben. Ich habe einen Kriminellen geheiratet! Anders kann ich mir die Waffe und all die Überlebenskünste, die er beherrscht einfach nicht erklären. Kann ich ihm überhaupt noch vertrauen? Konnte ich ihm jemals vertrauen? Möglicherweise wird er von der italienischen Polizei gesucht und ist deswegen nach Deutschland ausgewandert. Hat er einen Mord begangen und musste fliehen? Ich muss endlich die Wahrheit erfahren! Die Männer weiter vorne setzen sich gerade erschöpft auf einige Trümmerteile, eine kurze 23
Rast würde uns allen wohl gut tun. Außerdem bietet sich hier eine gute Gelegenheit, um Toni zur Rede zu stellen. Ich helfe Dirk dabei Carolin auf einen größeren Stein zu legen und gehe dann zu Toni, während Dirk mit Carolin redet um sie wach zu halten. Sie darf nicht einschlafen, es wäre ihr sicherer Tod. Noch während ich auf ihn zugehe, sieht mich Toni aus seinen tiefen Augen durchdringend an und steht auf ebenfalls auf. „Ich muss mit dir reden, Toni“, erkläre ich ihm, worauf er nur nickt. Wir gehen einige Meter von den anderen weg, damit sie nicht mithören können. Kaum nachdem wir aus Hörweite waren, sprudelt es aus mir heraus: „Toni, was geht hier vor sich. Was hast du damals in Italien gemacht? DU hast eine Waffe, du weißt wie man sich in solchen Situationen, in welcher wir uns gerade befinden verhält, und so weiter! Wer bist du, Toni?“ Toni senkt seinen Blick und antwortet: „Ich hätte es dir sagen müssen, ich weiß. Aber ich konnte nicht, ich wollte dich nicht verlieren. Wenn du gewusst hättest, was ich in Italien getan habe... Was für Dinge dort geschehen sind... Du hättest mich nie lieben können. Bitte versteh das, ich habe für uns, für unsere Familie geschwiegen.“ „Wer bist du Toni? Was hast du in Italien getan? Hast du für die Mafia gearbeitet?“ Toni schüttelt nur den Kopf und will gerade zu einer Antwort ansetzen, als wir einen Ruf vernehmen. „Hee! Hier sind noch welche! Ihr da, ihr dort unten! Kommt ihr von Außerhalb? Ihr müsst dort weg.“ Einige Männer erscheinen hinter einigen Trümmern in etwa hundert Meter Entfernung und winken aufgeregt zu uns herüber. Endlich Überlebende, ich dachte schon, die Stadt sei völlig ausgestorben. Schnell laufen Toni und ich zurück zu den anderen und bahnen uns einen Weg zu den Männern. „Wir haben eine Verletzte, habt ihr einen Arzt bei euch?“, ruft einer unserer Begleiter den Männern zu. Kurze Zeit später folgt bereits die Antwort. „Es gibt eine Versammlung auf einem Platz hier ganz in der Nähe. Polizisten und das Militär bewachen das Gelände und suchen nach weiteren Überlebenden“, erklärt uns einer der Männer und versichert: „Dort befinden sich auch einige Ärzte, allerdings haben sie sehr viel Arbeit vor sich, befürchte ich.“ Jetzt, wo wir näher an die Männer herangekommen sind, erkenne ich auch, dass sie Bundeswehr-Uniformen tragen. Muss wohl eines der Suchkommandos sein. „Könnt ihr uns mit der Verletzten bitte helfen?“, bittet Toni die sechs Männer. „Alles wird gut, wir sind bald in Sicherheit“, höre ich Dirk Carolin zuflüstern. Wenn ich doch nur die Zuversicht dieses jungen Mannes teilen könnte. Die Versammlung ist nicht mehr als ein Auffanglager für Überlebende. In einem kleinen, fast unversehrten Gebiet Hamburgs haben Gesetzeshüter alle Überlebenden, die sie finden konnten, zusammengepfercht um eine Panik zu unterdrücken. Militärärzte und auch einige helfende überlebende Ärzte und Freiwillige versorgen so gut es geht, ohne Medikamente und Geräte, die vielen Verletzten im Auffanglager. Es ist ein reines Irrenhaus, kaum jemand hat Überblick. Das Chaos herrscht hier, Polizei und Militär sind damit beschäftigt das Chaos möglichst einzudämmen. Bekämpfen oder gar Besiegen ist aufgrund der Situation schier unmöglich. Kaum als wir angekommen sind, wurde Carolin von Dirk und mir zu einem der Ärzte gebracht. Dieser bat Dirk und mich ihn mit meiner Tochter alleine zu lassen, damit er in Ruhe die Wunde säubern konnte. Wir stehen seit dem am Rande des Platzes, umzingelt von anderen Verzweifelten und warten darauf, dass der Arzt uns wieder zu Carolin lässt.
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Er versprach sein bestes zu geben, doch war das aufgrund der Situation nicht sonderlich viel. Toni und die beiden anderen Männer haben wir bereits vor einigen Minuten aus den Augen verloren, als wir dieses Lager betreten haben. Ich habe noch immer keine Antwort von ihm bekommen und ich bin mir nicht sicher ob Toni mir nicht die Antwort ewig schuldig bleiben wird. Ich weiß nicht einmal, ob ich ihn in diesem Getümmel überhaupt wiedersehen werde... ob ich ihn überhaupt jemals wiedersehen werde... Möglicherweise ist seine Vergangenheit so sündig, dass er sich bereits aus dem Staub gemacht hat. Überleben würde er in dieser zerstörten Welt sicherlich, das ist nicht die Frage. Die Frage ist eher, ob ich ohne ihn überleben werde. Dirk schweigt seit unserer Ankunft im Lager ununterbrochen. Er hat weder zu mir noch zu dem Arzt ein Wort gesagt und sitzt nun auch hier draußen stillschweigend herum und blickt starr auf den Boden. Armer Junge, ich habe ihm wirklich unrecht getan. Er liebt meine Tochter so, wie sie es verdient, er ist kein schlechter Mensch und auch kein schlechter Einfluss auf sie. Sie hätte keinen besseren Freund finden können. Ich muss zugeben, dass ich ihn in den letzten Stunden stark in mein Herz geschlossen habe, er kommt mir fast schon wie ein Sohn vor. Ich weiß nicht was aus seiner Familie geworden ist, wir haben auch nie darüber geredet. Möglicherweise hat niemand von ihnen überlebt und wir sind die Einzigsten im Leben, die er noch hat. Ich werde mich um ihn sorgen, wie um einen Sohn, das verspreche ich. „Sie sind Frau Anton, nicht wahr? Die Mutter der jungen Frau mit Schussverletzung...“, erschreckt mich die Stimme eines Mannes, welcher gerade aus dem Haus des Arztes kommt. Ich glaube er war ebenfalls Arzt, oder Assistent oder etwas ähnliches. Sofort drehe ich mich um und frage nach Carolin: „Wie geht es meiner Tochter? Geht es ihr gut? Wird sie es überleben?“ Auch Dirk dreht sich zu dem Mann um, welcher eine Grimasse zieht, wie sie verzweifelter nicht mehr sein kann. „Wissen sie, all die Toten dort draußen, niemand weiß wie viele es wirklich sind. Deswegen sind wir über jedes Leben glücklich, was wir in diesen Wänden retten können. Es zeigt uns, dass wir nicht verloren haben, dass die Menschheit auch eine Katastrophe wie diese überlebt und dass wir uns keinem Schicksal beugen werden.“ Für einen Moment scheint der Mann nach Atem zu ringen, wie als drücke ihm etwas fürchterlich auf die Luftröhre. „Wir haben gekämpft. Um ihre Tochter, um unser aller Wohlergehen und Überleben. Doch das Schicksal... Wissen sie, ich habe meine gesamte Familie in diesem Feuersturm verloren. Ich kann ihre Trauer durchaus verstehen. Ich... es tut mir furchtbar leid, aber wir können nichts mehr für ihre Tochter tun... Dies ist wohl der schwärzeste Tag der Geschichte, der Dritte April... Tag des Jüngsten Gerichts... Doch scheinbar ist es weniger fair, als die Menschheit je gedacht hätte...“ Dann schweigt er und wir starren fassungslos und still geradeaus und warten auf die Pointe.
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Donnerstag, 03.04.2008 22:04 Uhr Hamburg, Deutschland -Srgt. Frank Baldwyn-
Aus
sicheren Quellen waren wir über seinen letzten Aufenthaltsort informiert. Antonio Eugenio, ehemals führender Astrophysiker aus Italien, hat sich nach Norddeutschland zurückgezogen und dort eine kleine Familie aufgebaut. Die Vermutung liegt nahe, dass er sich nach dieser Katastrophe sofort zur nächsten größeren Menschenmenge begeben hat, was in diesem Fall ganz klar Hamburg wäre. Uns bleibt also nichts weiteres übrig, als eine Gesamtuntersuchung der Überlebenden in Hamburg durchzuführen um ihn zu finden. Es gibt vier große Auffanglager in Hamburg, eines armseliger als das nächste. Menschenmassen drängen sich auf einem großen Haufen zusammen, wie Ameisen in ihrem Hügel, die Luft ist erfüllt von Wehklagen. Uns bietet sich ein Bild, welches zu beschreiben ich nicht fähig bin. All diesen Menschen hier, wie sie sich bemitleidenswert zusammendrängen in der Hoffnung bald einfach aufzuwachen aus diesem bösen Traum, all diesen Menschen würde ich gerne helfen. Doch ich bin nur wegen eines Mannes hier. Es wird schwer sein ihn unter all diesen Leuten zu finden. Doch vielleicht ist das Glück diesmal auf unserer Seite, denn scheinbar hat er uns gefunden und nicht wir ihn. Woher er wusste, dass unsere kleine Gruppe hier auftaucht, kann ich nicht einmal ahnen. Doch hier steht er nun vor uns, lächelnd, als wolle er zeigen er sei uns immer einen Schritt voraus. Möglicherweise ist er das sogar, was ihn nur noch gefährlicher macht. Zuerst sehen wir uns nur an, dann sagt er lächelnd auf englisch: „Sie sind der berüchtigte Srgt Baldwyn, nehme ich an. Ich vermute sie haben Kao endlich erledigt und nun stehe ich auf ihrer Abschussliste. Ihr Land stellt doch den Antiterrorismus grundsätzlich über das Wohl der Bevölkerung.“ Ich will gerade protestieren, da schüttelt er nur lächelnd den Kopf. „Wären sie sonst hier? Ich denke sie erwarten, dass ich ihnen etwas zu den jüngsten Ereignissen erkläre, nicht wahr?“ Er ist uns wirklich einen Schritt voraus. „Werden Sie es uns denn sagen?“, frage ich ihn vorsichtig. „Ich weiß nicht was sie genau wissen wollen, ich war damals nur ein Student, welcher durch viel Glück in dieses Projekt eingegliedert wurde.“, erklärt Antonio, doch sein Lächeln ist wie weggewischt. „Erzählen Sie uns von diesem Projekt“, fordere ich ihn auf und der mittelgroße Mann vor mir beginnt mit seiner Geschichte: „Es handelte sich um ein Forschungsprojekt. Die Franzosen machten zunehmend Fortschritte in der Fusionsenergie, meine Regierung wollte dem nicht nachstehen und ließ selbst eine Gruppe von Wissenschaftlern an dem Problem der stabilen kalten Fusion arbeiten. Der kalte Krieg stand kurz vor seiner Beendigung, neue Technologien hoben jeden letzten Vorteil aus. Die italienische Regierung erhoffte sich eine neue Machtposition in Europa und dem Rest der Welt, wenn sie vor den anderen Nationen hinter das Geheimnis der Fusionsenergie kam. Zunächst arbeiteten wir auf den gleichen Bahnen wie die Franzosen: Wir versuchten die Wasserstofffusion der Sonne auf der Erde nachzuahmen, doch stellten wir bald fest, dass diese Reaktion nicht umsonst „kalte Fusion“ genannt wird. Die Reaktion ist so endotherm, sie gibt weniger Energie ab, als wir zur Stabilität und Fortführung des 26
Prozesses benötigen. Also schritten wir auf andere Pfade. Wenn die Fusion nicht ausführbar war, warum 'lebt' dann die Sonne selbst seit Jahrmillionen? Sie muss über irgendeine Art natürlichen Katalysator verfügen und eben diesen gedachten wir zu finden. Aus diesem Grund wurde eine Sonde über die NASA ins All geschossen. Es handelte sich um eine regulären Messsatelliten, welcher sich so nah wie möglich an die Sonne heran begeben sollte, um Daten zu sammeln. Über was die NASA aber nichts wusste, war die zweite Aufgabe der Sonde. Es sollte getestet werden, welche Startenergie nötig wäre um die Wasserstoffatome zum Reagieren zu bewegen. Aus diesem Grund sollten die Auswirkungen einer so ungeheuren Energiemenge, wie ein nuklearer Sprengsatz sie freigibt, auf die Wasserstofffusion hat. Aus diesem Grund enthielt ein spezieller, von der Umgebung vollkommen abgeschirmter und isolierter, Stahlkasten eine kritische Masse an Plutoniumresten, welche durchaus waffenfähig war. Dieses Behältnis entging jeglichen Sicherheitsprogrammen.“ „Eine Atombombe?!“, will ich mich entsetzt vergewissern, doch Antonio winkt nur ab. „Ohne Zünder, denn als Zünder sollte die Sonne selbst dienen.“ Langsam keimt in mir eine Vermutung auf, welche tragischer nicht sein könnte. „Und diese Bombe ist explodiert und hat dieses Sterben verursacht?“ Antonio nickt traurig: „Sie löste eine stärkere Sonneneruption als erwartet aus... Was wir nun abbekommen haben, ist sozusagen die Rückwelle der damaligen Eruption, welche von der Anziehungskraft der Sonne in eine Kreisbahn eingetreten ist. Wir haben damals einen Teil der Sonne ins All geschossen, welcher nun durch unser Sonnensystem kreist und in etwa 500 Jahren durch den Kuipergürtel in den freien Raum abdriften wird. Nachdem diese Ausmaße des fehlgeschlagenen Versuchs bekannt wurden, wurde das Projekt geschlossen, das Team aufgelöst und einige wichtige Mitglieder verfolgt und vor Gericht gebracht. Ich selbst floh nach Deutschland und lebe seither hier mit meiner neuen Familie.“ Schweigen umhüllt uns, als Antonio seinen kurzen Vortrag beendet. Es fällt mir schwer die nächsten Sätze auszusprechen, doch aus diesem Grund bin ich hergekommen. „Antonio Eugenio, sie bekennen sich also schuldig der Mitwirkung an diesem Projekt, welches unmittelbar für diese Katastrophe verantwortlich ist? Sie müssen sich nun leider vor dem Übergangsgericht verantworten, ich werde sie dort hin begleiten.“ „Ich werde meine Familie nicht im Stich lassen!“, schreit Antonio plötzlich und zieht eine Pistole...
Ich sehe einen meiner Begleiter seine Dienstwaffe heben...
Kurz darauf fällt ein Schuss... Mein Bericht an Präsident Carlson wird mit den Worten 'Er leistete Widerstand mit Waffengewalt, welcher in einen für ihn tödlichen Schusswechsel endete.'
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Freitag, 11.04.2008 16:17 Uhr Hamburg, Deutschland -Sylvia Anton-
Ich
kann mich noch genau an den Tag erinnern, an dem der Untergang begann. Es war ein friedlicher Tag, Carolin war in der Schule und Toni hatte sich einen Tag Urlaub genommen, um ihn mit mir zu verbringen. Ich war glücklich... Heute ist alles anders. Meine Freunde, sogar meine Familie existiert nur noch in Bruchstücken, viele Leute die ich früher kannte sind nun tot. Und bis heute weiß niemand was eigentlich geschehen war... Der Tag, an dem Carolin starb, wird mir nie aus dem Gedächtnis gehen. Toni fand mich weinend und resignierend inmitten der Trümmerfelder um das Auffanglager herum. Er tröstete mich und sagt mir, dass von nun an alles besser werden würde und wir einen Neuanfang starten müssten, wie die gesamte restliche Welt. Wir kümmern uns um Dirk, wie um einen Sohn, er trauert ebenso um Carolin wie wir. Carolin war ein wunderbares Mädchen und sie hatte wirklich den besten Freund den ich mir für sie hätte vorstellen können. Er liebte sie wirklich und liebt sie noch immer und ich kann mich gar nicht genug entschuldigen für mein anfängliches Misstrauen ihm gegenüber. Alles hat sich gewandelt... Das Leben hat der Menschheit eine zweite Chance gegeben. Wird sie sie diesmal nutzen?
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Written by: –
Emanuel May, alias 'Loofou'
Special thanks to: –
Johny...
Contact: –
Homepage: http://www.ret-world.de – eMail:
[email protected]
Anmerkung:
Ich war noch nie in einer der genannten Städte und Dörfer gewesen, also kann ich auch nicht sagen wie es dort aussieht. Alle Angaben sind frei erfunden, lediglich die Ortsangaben sind einer Landkarte entnommen. Falls jemand aus einem der erwähnten norddeutschen Dörfern kommt, kann er sich ja einmal bei mir per eMail melden und erzählen wie es dort so ist, wenn alles noch steht.
Danke an alle Leser
© Emanuel May
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