Der Barde (veraltete Fassung)

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Der Applaus hielt sich zwar dieses Mal in Maßen, dennoch gewährte man mir ein warmes Bett und eine gute Mahlzeit. Sogar einige Münzen konnte ich von den Bohlen lesen, insgesamt zwölf Pfennig und vier Heller ergatterte ich. Zusammen mit meinem vorhandenen Bestand an Münzen hatte ich nun fast achtunddreißig Pfennige und elf Heller, also mehr als vier Groschen erspart. Der Gesang hatte sich gelohnt und sogar Hamp konnte mir wieder einen Dienst erweisen. Hamp ist mein kleiner, tanzender Hund, ohne den so mancher Auftritt keinen Heller eingespielt hätte. Wenn ein weißer Köter Kunststücke vorführt, erweichen die jungen Mädchen und ihre Väter spendieren mir ein Bier oder werfen mir ein paar Münzen vor die Füße. In Tavernen und Gasthäusern belohnt sich mein Gesang und meine Musik meist mit einer guten Mahlzeit und einem Bett für die Nacht, damits der Barde schön warm und gesellig habe, sodass er im nächsten Jahre wiederkommt. So verdiene ich mir Tag für Tag meine Almosen durch Gesang und Spielmannskunst. Ich bin ein Spielmann und Wanderer, ein Minnesänger und Abenteurer. Ich bin bekannt in den Dörfern im westlichen Böhmen, von Eger bis Prag. Ich habe keinen Namen, ich bin nur der Barde.

Seid nunmehr zwei Dutzend Jahren pendle ich nun zwischen Eger und Prag und stimme in jedem Dorf, durch das ich komme, ein Liedchen an. Geboren wurde ich im Jahre 1352, zwei Tage nachdem der alte Papst Clemens VI verstorben war wie man sich erzählte, nahe Waldsassen in einer kleinen Hütte im Wald. Ich weiß nicht viel über meine Eltern, denn mein Vater wurde sehr bald des Diebstahls wegen gehängt und meine Mutter kam eines Tages von ihrem Waschgang am nahen Bach nicht zurück. Der Tratsch sprach davon, dass sie sich aus Kummer um ihren Mann ertränkt hätte, doch Wochen später fand man ihre geschändete Leiche im Wald liegen. Niemand wusste sich um mich zu sorgen und so lief ich davon. Mit acht Jahren wusste ich nichts vom Überleben und so vergriff ich mich schnell an den falschen Beeren. Ein reisender Hanse fand mich fiebernd zwischen den Bäumen liegend und nahm mich mit nach Eger zu

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einem Mediziner. Der Hanse wollte mich nicht mit sich nach Schlesien nehmen, also wuchs ich in der Gosse der Stadt auf. Schon damals konnte ich mich nicht mehr an meinen Namen erinnern, so nannte man mich nur „Strobo“. Mit einer kleinen Gruppe gleichaltriger Waisen und Bettelskinder streiften wir durch die Gassen, plünderten alte Fässer und Kisten oder bestahlen die Adligen auf dem Markt, bis man uns vom Platze warf. Wir aßen das wenige gestohlene Brot und kauften uns für den Winter ein paar Decken mit dem gestohlenen Geld. Nicht immer überlebten alle Knaben den Winter, viele wachten eines Morgens nicht mehr auf. Schließlich kam der Tag, wo ich mich von den anderen abwandte und meiner eigenen Wege ging. Mit nur zwei Pfennigen machte ich mich auf einen neuen Platz zum Schlafen zu suchen, welchen ich in einer dunklen Gasse fand. Dort blies einem der Wind nicht ganz so arg um die Ohren und man war ein wenig vor Regen geschützt. Hier lebte ich zwar angenehmer, als mit der Knabenbande, jedoch war ich immer allein. Nachts vertrieb ich mir die Einsamkeit mit lauten Gesang. Nacht für Nacht sang ich Lieder, welche ich durch die Fenster von Tavernen hörte oder erfand einige Eigene. Schließlich kam der Tag, da wurde ich unsanft aus meinem leichten Schlaf gerissen. Die jungen Gauner Benno und Campo wollten mich meiner letzten heller berauben, doch ich bekam unerwartet Hilfe von einem großen Manne. Er verpasste Benno einen Tritt, dass die Knochen knackten und verscheuchte mit erhobener Faust schließlich auch Campo. Dann fragte er mich ob ich der Sänger der vergangenen Nächte sei. Schüchtern bestätigte ich dies und war mir sicher, gleich doch meiner Münzen beraubt zu werden. Doch es kam anders. Der Mann war ein reisender Handelsmann, welcher Laken und Tücher in nahen Dörfern verkaufte. Er wollte mich mit sich nehmen, damit ich mit meinem Gesang die Kundschaft herbei locken sollte. Zu erst war ich unsicher, doch als er mir einen Pfennig pro Woche versprach und mir versicherte, dass ich all mein Geld behalten dürfte, stimmte ich zu und ging mit ihm. Erst später wurde mir bewusst, dass ich ohne lange darüber nachzudenken einem Fremden vertraut hatte, dessen Gesinnung ich nicht erfassen konnte. Doch so kam ich heraus aus Eger und unternahm meine ersten Reisen in die Welt hinaus. Graman war ein Watmanger, ein reisender Tuchhändler, der von Dorf zu Dorf zog um dort seine Leinen zu verkaufen. Ich war sein Schellenschläger, der die Kundschaft durch Gesang und Glockenspiel heranlocken sollte.

Wir überquerten mit unserem Wagen den nahen Tepl und kamen auch bald in Karlsbad an. „Sieben Jahre ist es nun her, dass Kaiser Karl diesen Ort gründete. Hier werden wir am nahen Fresser einen Stand aufbauen und die ersten Lumpen verhökern. Mach dich bereit, Strobo, ich zähle auf dich.“, erklärte mir Graman, als wir in die junge Stadt einfuhren. Die Dörfler auf den Straßen sahen uns neugierig hinterher, als wir die breite Hauptstraße entlang fuhren. Dann erreichten wir die Quelle, genannt Fresser. Angeblich soll diese schon Karl IV von seinen Wunden geheilt haben, drum schuf er diesen Ort. Graman lenkte den Wagen in die Mitte des Platzes vor der Quelle und sprang vom Bock. „Was sitzt du da so rum? Mach dich auf und hilf die Tücher aufzuhängen!“, fuhr er mich an, nachdem ich eine kurze Zeit tatenlos herumgesessen habe. Also sprang auch ich vom Bock und half die Leinen aus dem Wagen zu holen und auf einigen Balken aufzuhängen. Schon jetzt kamen einige Schaulustige und besahen sich die Lumpen. Graman bemerkte ihre Blicke und sprach laut auf den Platz hinaus: „Liebe Leute, der Watmanger ist wieder im Dorf. Kauft Tücher, kauft Laken! Kommt einher von Karlsbad, von Berghäuseln und Meierhöfen. Kommt, beguckt und kauft die billigen Leinen! Nur einen Pfennig für ein kleines Tuch, kommt einher.“ Sein Geschrei lockte noch mehr Leute an und nun kamen auch die ersten näher um sich die Laken anzusehen und ihre Qualität zu fühlen. Der Watmanger gab mir einen Stoß in die Seite. Mir war bewusst, dass er mich zum singen bewegen wollte, doch mir blieb die Stimme im Halse stecken. Wütend verpasste mir der Alte einen schmerzhaften Tritt. „Sing endlich, Dummkopf!“ Ängstlich fing ich an ein Sauflied zu singen, welches ich in einer Taverne in Eger aufgeschnappt hatte: Wir sitzen hier und trinken Bier wir sitzen hier und saufen Wer will sich setzen hier zu uns dem Trinkerhaufen Wir sitzen hier, bei Fleisch und Brot Wir sitzen hier und fressen

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Und der der kommt aus großer Not der soll sich setzen und vergessen Ich sah die Faust des alten Mannes gar nicht mal auf mich zukommen, doch ich spürte seine Gewalt nur zu gut. Wie ein Baum gefällt, fiel ich zu Boden in den Dreck. Tränen schossen mir in die Augen. Schluchzend rappelte ich mich wieder von der Erde auf und sah Graman ängstlich ins Gesicht. „Du blöder Hund, du sollst die Käufer nicht verjagen, sondern anlocken! Geh auf den Wagen, ich will dich heute nicht mehr draußen erblicken.“, brüllte er mich an. Glucksend stieg ich auf den Wagen und legte mich hinein. Erst als die Sonne am Untergehen war, baute der Watmanger den Stand wieder ab. Schweigend fuhren wir aus Karlsbad heraus, vorbei an der heißen, sprudelnden Quelle namens Fresser, hinaus in das Land.

„Was sollte das sein? Dein Gekrächze ist keinen Heller wert! Du solltest die Dörfler heranlocken, nicht vertreiben“, brüllte mir der Watmanger erbost ins Gesicht. Wir waren schon länger wieder auf Fahrt, Karlsbad lag weit hinter uns. Gramans Wut war groß, dennoch wollte er mich im nächsten Dorf ein weiteres Mal singen lassen. „Und überlege dir diesmal vorher, welcher Art Lied du anstimmen möchtest, Bursche. Der Gemeine hört gerne Lieder über den Lenz und die Liebe. Minnesang, wie in alten Tagen“, trug mir der Herr auf. Ich überlegte ob mir ein Minnesang bekannt war, doch mir kamen nur Sauflieder in den Sinn. Doch war ich vielleicht in der Lage ein eigenes Lied zu dichten? Wir hatten noch eine ganze Tagesreise vor uns, also hätte ich genügend Zeit. Und so kam es, dass ich als noch unbedeutender Jüngling das kurze Liedlein „Lenz“ ersann. Das Land ist weiß, die Vögel fort, seh dich um es ist Winter Fach Feuer an, die Tür mach zu, die Kälte lass dahinter Der Streicher schlägt nun draus im Feld sein kühles Lager auf Der Wind zerrt ihm an seim Gebein, die Zeit nimmt ihren Lauf Eine Schwalbe kommt von Süden her, eine Blüte wächst heran Die Sonne treibt die Kälte fort, der Streicher zieht von Dannen Die Tür reiß auf, das Land gedeiht, es ist wies immer war Die Vögel hier, der Streicher fern, schau an der Lenz ist da Dies Lied sollte mich zu meinen ersten Hellern führen, einige von Graman, viele jedoch von Zuhörern. So fuhren wir durch das Land auf die große Stadt Prag zu und in jedem Dorf rasteten wir, ich sang, der Watmanger verkaufte seine Lumpen. Ich begann die Lieder in immer schöneren, umschweifenderen Tönen anzustimmen und so kam der Tag, als die Leute kaum ein Tuch kaufen wollten, da sie alle wie verzaubert waren durch meinen Gesang. Der Watmanger war darüber nicht gerade begeistert, was er mich aber erst am Abend spüren ließ. Er schlug mich grün und blau, und legte sich dann ans Feuer schlafen. In einer ruhigen Minute schlich ich mich schließlich davon, um meinen eigenen Weg als Spielmann zu gehen. Erst ein paar Tage später in einem kleinen Bauernhaus erfuhr ich von meinem unverschämten Glück: Kaum dass ich von Graman weg war, wurde dieser in der Nacht schlafend von Banditen ermordet und all seines Geldes und der Tücher beraubt. Wäre ich bei ihm geblieben, hätte mich das gleiche Schicksal ereilt. Doch nun war ich frei, lebend, jung und bereit in die Welt zu ziehen.

So kams, dass ich mit fünfzehn Wintern auf den jungen Schultern den Reizen einer jungen Frau verfiel. Zu dieser Zeit verdiente ich mein täglich Brot durch Gesang in Tavernen und Tagelöhnerei. Ich durchstreifte die Wälder zwischen Eger und Prag, jagte Wild und verkaufte die Trophäen in den Dörfern und Städten. An jenen Tagen arbeitete ich für ein Bett und eine warme Mahlzeit auf einem der Höfe nahe Eger. Der alte Prego war der Bauer der umgebenden Felder und Marie, die Bauerstochter, hats mir schon am ersten Tage angetan. Ihretwegen blieb ich auch noch zwei Tage länger auf dem Hof um für Prego verschiedene Arbeiten zu verrichten. Doch die Arbeit war mir keinen Heller wert, der Grund meines weiteren Aufenthalts waren die

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lieblichen Züge der jungen Bauerstochter. Wann immer ich ein paar Minuten übrig hatte beobachtete ich Maries schöne Rundungen aus der Ferne. Am Abend des dritten Tages bemerkte der Hirte Ogit meinen Blick. „Wenn dir dein Leben lieb ist, dann vergiss das Mädchen lieber schnell“, riet mir der Alte lächelnd. Meiner fehlenden Erfahrung wegen konnte ich mit diesem rat nicht viel anfangen. „Der alte Prego wird dir den Kopf vom Hals reißen, wenn er erfährt, dass ein Tagelöhner seine junge Tochter verführt hat. Sie ist doch noch unerfahren und sogar unberührt.“ Hätte ich mich doch bloß an diesen Rat gehalten, doch auch ein Barde muss seine Erfahrungen machen. Sowohl die Guten, als auch die Schlechten. Und so schrieb ich mein zweites Lied, welches Marie gewidmet war. Die Sonne scheint so hell und warm, Doch du scheinst heller tausend Mal, Dein Haar so blond wie ein Weizenfeld, Wie Engel schön im Himmelszelt, Die Augen blau wie Meeresflut, Dein Körper heißer als die Glut, Bleib länger um zu singen dir, Von Minne und von Liebe hier, Auf dass die Sonne ewig scheint, Und wir zwei irgendwann vereint. Den Minnesang trug ich ihr des nächtens am Lagerfeuer der Arbeiter vor. Das war das erste Mal, dass ich einen glücklichen Menschen gesehen hatte, all das Leid, all das Elend schien verschwunden. Die Arbeiter applaudierten mir noch, bevor sie in die Scheine schlafen gingen. Marie aber ging nicht ins Haus. Stattdessen stand sie auf, nahm meine Hand und rannte mit mir hinein in den dunklen Wald. Es ist erstaunlich wie geschwind das Mädchen von vierzehn Jahren durch das Geäst schnellte. Diese Nacht würde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen, da es die wohl schönste Liebesnacht meines Lebens war, allerdings würden die Konsequenzen die wunderbare Erinnerung mehr als wett machen. Ich hätte auf Ogit hören sollen. Doch ich wäre nicht der Barde, wenn ich eine solche Chance verstreichen lassen würde.

Ein kleiner, namenloser Bach hatte hier seinen Ursprung. Weiter südlich würde er in die Wondreb fließen und sich schließlich mit der Eger vereinen. Doch dies war nicht von Belang, tat sich doch nahe der Quelle in der Waldlichtung ein viel amüsanteres Bild ab. Dort saß ich nun, nur noch mit Hosen bekleidet, neben Marie und starrte mit lüsternen Blick auf ihren entblößten, weißen Busen, unfähig mich zu rühren. Maries Hand schoss nach vorne, fand ihren Weg durch den Hosenbund und ergriff mein bestes Stück. Entsetzt erwachte ich aus meiner Starre und sprang auf. Wie ich nun auf das kichernde Mädchen herabsah, dämmerte mir, dass Marie gar nicht so unschuldig war, wie sie zu sein vorgab. Hatte der alte Zausel etwa mehr gewusst, als er mir zu sagen wagte? Noch während ich, mit halb herabgelassenen Hosen, dastand und in Gedanken versunken war, befreite sich Marie nun gänzlich aus ihrem braunen Kleid. Mein Blick wanderte ihren schönen Körper hinab und blieb auf ihrem Schoss stehen. Schnell verwarf ich meinen Zweifel und setzte mich wieder nahe zu ihr. Der Trieb siegte über die Vernunft. Marie schien mein Zieren zu bemerken und packte mich ohne Scheu erneut am Glied. Ich legte mich zurück und schloss die Augen, ließ sie einfach machen. Als sie sich dann auf mich stürzte kam der Zweifel wieder in mir hoch, doch mit der Zeit wurde aus dem Unbehagen ein unbeschreibliches Gefühl. In mir breitete sich eine nie gefühlte Wärme aus. „Schließ die Augen und lass dich gehn“, raunte mir Marie zu. Ein leichtes Stöhnen war zu hören. Ich wollte etwas erwidern, doch plötzlich hingen ihre Lippen an den meinen und ich brachte nicht mehr als das leise Aufstöhnen der Lust heraus. Die Augen fest geschlossen, konnte ich doch ihre langsamen Bewegungen über mir spüren, stetig auf und ab, immer schneller werdend. Aus den leisen Lauten wurden kräftige Keucher. Ich spürte plötzlich einen Schmerz in mir wachsen, langsam nach oben steigend. Unter der Lust bäumte ich mich auf und ergoss meine Saat in ihren jungen Körper. Schwer atmend kroch sie von mir herab und ließ sich neben mir ins weiche Gras fallen. „Du kannst die Augen nun öffnen“, flüsterte sie mir ins Ohr. Doch ich genoss den Augenblick noch ein wenig, bevor ich die Augen öffnete. Leider war es schon zu spät wie ich feststellen musste. Die Sonne war am untergehen, Marie bereits wieder auf dem Hof. Ich muss eingeschlafen sein. Doch mir machte das weiter nichts aus, wollte ich doch sowieso nicht mehr zurück auf den Hof des alten Gauners, der mir womöglich

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noch ans Leder wollte. Zwar sehnte ich mich schon wieder nach dem wunderbaren Körper Maries, doch gab es mehr junge Frauen als sie. Und in meiner jugendlichen Überheblichkeit wollte ich sie alle haben, war es doch so einfach sie zu bekommen und ins Bett zu bekommen. Und so streifte ich weiter, als Spielmann und Frauenfänger. Ich war ein Blatt im Wind. Ich war ein Narr.

Es ward ein Jahr vergangen seid ich Pregos Hof verließ. Ich schrieb immer neuere Lieder und mit der Zeit brannte sich auch eine winzige Erinnerung an mich in die Köpfe der Menschen. So besuchte ich erneut das kleine Herzogtum Egersprung, nahe des großen Flusses. Zum vierten Mal sang ich in der örtlichen Taverne, in der sich zumeist nur das höhere Volk aufhielt. Zu dieser Zeit hatte ich noch nicht viel mit dem Adel zu tun gehabt und womöglich war dies der Auslöser der späteren Ereignisse. So sang ich von Minne und von Heldentum und erwartete einen großen Haufen Pfennige und sogar den einen oder anderen Groschen nach der kleinen Vorführung. Doch kaum versiegte der letzte Ton im, mit nicht wenig Menschen gefüllten, Tavernenraum, als auch schon einer von ihnen aus der Reihe trat. Er trug ein teures, blaues Gewand mit dem herzoglichen Siegel darauf. Sein kurzes, blondes Haar würde mir ewig in Erinnerung bleiben. „Ihr hörtet den großartigen Barden, den Minnesänger und Spielmann dieser Region. Wäre er von edlem Blute, hätte ich sein Gejaule vielleicht sogar als schwache Kunst anerkannt, liebe Freunde!“, rief er in den Saal, was lautes Gelächter zur Folge hatte. Diese Schmach konnte ich nicht auf mir sitzen lassen und so erwiderte ich dieser Beleidigung einen Satz, welchen ich meinem heißen Blut noch Jahre später bereuen würde. Ich sah dem jungen Adelsmann in die Augen und sprach laut: „Vor euch ziehe ich den Hut, mein Herr. Ihr habt die Begabung das Maul so weit aufzureißen, dass man gar denken könne ihr seid ein Gemeiner!“ Für eine kurze Zeit verstärkte sich das Gelächter noch, doch der junge Adelsmann brachte mit einer schnellen Handbewegung die grölenden Bürger zum Schweigen. „Calvin von Egersprung. Präge dir diesen Namen gut ein, denn man wird noch lange Zeit von dem Mann sprechen, deren Ruf vom Barden vergebens in den Dreck zu ziehen versucht wurde. Dein Urteil ist dir sicher, Strolch“ Eine Welt brach in mir zusammen. Meinem großen Mundwerk hatte ich es nun zu verdanken von der Stadtwache dem herzog vorgeführt zu werden. Angeklagt wegen Beleidigung eines Adligen, Beleidigung des Sohns des Herzogs.

„Wer wagte es meinen Sohn Calvin in aller Öffentlichkeit zu blamieren? Sprich!“ „Ich habe keinen Namen. Früher nannte man mich Strobo, doch heute bin ich nur noch der Barde“ Walther von Egersprung sah mitleidig auf mich herab. „Hast du etwas zu deiner Verteidigung zu sagen, dann sprich jetzt. Dies sind sonst deine letzten Worte, Wicht“ „Ich kam in diese Stadt weder um den noblen Calvin vorzuführen, noch um sonstigen Ärger zu machen. Mir lag es nur daran eine gute Vorführung zu bieten und mit einigen Pfennigen mehr in der Tasche weiterzuziehen. Erhabener Herzog, hätte euer Sohn mich nicht provoziert, wäre mir diese Beleidigung auch nicht aus meinem losen Mundwerk herausgerutscht. Ich bitte hiermit um Entschuldigung und frage, ob es eine andere Möglichkeit gäbe mich zu bestrafen ohne mich zu Rädern.“ Der Herzog blickte nachdenklich drein. Als er langsam den Kopf schüttelte und den Wachen mit einem Wink zu verstehen gab mich abzuführen, gab ich mich innerlich auf. Mein Leben war vorbei, bevor es richtig begonnen hatte. Man schleppte mich aus dem Saal, doch noch bevor wir durch die große Pforte schritten, ertönte hinter mir erneut die Stimme Walthers: „Singe ein Lied für mich. Wenn du es schaffst mich mit diesem einen Lied zu überzeugen, lasse ich dich am Leben, drum wähle das Lied gut.“ Verwirrt und erleichtert zugleich atmete ich innerlich auf. Man stieß mich in die Mitte des Saals und erwartete sofort ein Lied von mir. Nervös traf ich meine Wahl unter meinen neuen Liedern. Schließlich entschied ich mich für mein Lied mit dem Namen „Das Kind“. Das Kind wirkte glücklich fast lief einsam entlang den Pfad dies tats jedoch ganz ohne Hast und das den ganzen Tag

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Der Weg vor ihm war voller Schatten doch Schatten gibts nie ohne Licht denn wenn Leute Träume hatten erfüllten sich diese meistens nicht Ein Weiser sagte einmal zu dem Kind 'Der Schmerz lauert überall mein Sohn Drum mache dich auf geschwind Sonst verfolgt er dich mit ewig Hohn.' Das Kind aber – man glaubt es nicht war überglücklich mit Elan dabei spiegelt das ewig Lächeln im Gesicht nur wider seinen irren Wahn Es herrschte lange Zeit Ruhe, nachdem der letzte Ton verhallt war. Herzog Walther von Egersprung saß auf seinem Stuhl und blickte nachdenklich drein. Dann sah ich ein Blitzen in seinen Augen. Eine einsame Träne rollte über dessen Wange gen Boden, wurde jedoch auf halbem Wege von einer eiligen hand verwischt. „Es ist selten, dass ich durch ein Lied Trauer empfinde, mein junger Freund. Nein Sterben sollst du noch nicht. Aber Strafe muss sein, deshalb höre nun mein Urteil: Du wirst zu Hofe viele Arbeiten verrichten, acht volle Wochen lang. Abends wirst du mir an jedem zweiten Tage ein Lied vorsingen. Du wirst mit den Dienstleuten schlafen und speisen und ihnen bei den Arbeiten helfen. Dies soll deine Strafe sein.“ Bis auf die Selle erleichtert bedankte ich mich ausführlich beim hochwürdigen Herzog und wurde von den verwirrten Wachen zu den Zimmern der Dienstleute geleitet. Auf dem Weg aus dem Saal begegneten wir einem entrüsteten Calvin und seiner wunderschönen Schwester. Der Herzogssohn knurrte mich an, als wir an ihnen vorüber gingen. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt gewusst, was dieser Mann in wenigen Jahren noch für ein leid verbreiten würde, ich hätte ihm wohl ohne Zögern und auf der Stelle einen Dolch in die Brust gerammt. Doch ich war Barde und kein Hexer, ich konnte die Zukunft nicht ahnen. Und womöglich war das sogar besser so.

„Und ich sah, dass das Lamm das erste der sieben Siegel auftat, und ich hörte eine der vier Gestalten sagen wie mit einer Donnerstimme: KOMM!“ Ein Peitschenschlag ertönte und ich wurde unsanft aus meinen süßen Träumen gerissen. Ich sah mich mit müdem Auge in der engen Kammer um und entdeckte Varius, der sich einen weiteren Abend zu geißeln pflegte. Eines der Dienstmädchen erklärte mir am zweiten Tage, dass Varius ein Waise sei. Seine Eltern fielen einst dem schwarzen Tod zum Opfer, Varius selbst erkrankte damals aber nicht. Sein Vater war ein Diener Gottes gewesen und sein Sohn folgte diesem Pfad auf eigene Art. „Und ich sah, und siehe, ein weißes Pferd. Und der darauf saß, hatte einen Bogen, und ihm wurde eine Krone gegeben, und er zog aus sieghaft und um zu siegen. Und als es das zweite Siegel auftat, hörte ich die zweite Gestalt sagen: KOMM!“, ertönte es aus der Ecke und ein weiterer Peitschenschlag war zu hören. Rote Striemen bedeckten den geschundenen Rücken des Flagellanten. Varius war der festen Überzeugung, dass die Pest das dritte Anzeichen der Apokalypse sei. Er wiederholte jeden Abend die gleichen Verse und geißelte sich um Gottes Erzürnung zu mindern. „Und es kam heraus ein zweites Pferd, das war feuerrot. Und dem, der darauf saß, wurde Macht gegeben, den Frieden von der Erde zu nehmen, dass sie sich untereinander umbrächten, und ihm wurde ein großes Schwert gegeben. Und als es das dritte Siegel auftat, hörte ich die dritte Gestalt sagen: KOMM!“ Ich warf einen flüchtigen Blick auf das alte, leicht vergilbte, gebundene Buch in Varius' Ecke. Ich hatte nie die Möglichkeit Lesen zu lernen, so konnte ich auch nicht viel mit der Bibel anfangen. Varius erklärte mir, dass die heilige Schrift gefüllt sei mit Versen wie denen, die er jeden Abend wiederholte. Aber wie konnte ein Buch als heilig gelten, wenn es Leute dazu veranlasste sich selbst den Rücken blutig zu prügeln? „Und ich sah, und siehe, ein schwarzes Pferd. Und der darauf saß, hatte eine Waage in seiner Hand. Und ich hörte eine Stimme mitten unter den vier Gestalten sagen: Ein Maß Weizen für einen Silbergroschen und drei Maß Gerste für einen Silbergroschen; aber dem Öl und Wein tu keinen Schaden! Und als es das vierte Siegel auftat, hörte ich die Stimme der vierten Gestalt sagen: KOMM!“ Zwei Wochen lebte ich nun schon mit den Dienstleuten des Kleinherzogs zusammen und verrichtete Arbeiten auf dem Gut. Ich hielt mich an die Vereinbarung und spielte dem Herzog des Abends ein weiteres

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meiner zahlreichen Lieder vor. Wo ich nur konnte erledigte ich besondere Arbeiten für den Herzog und bemühte mich nebenbei bei Dalila, seiner Tochter, aufzufallen. Calvin ging ich bestmöglich aus dem Weg, war ihm doch seine Meinung über mein Weiterleben anzusehen. Irgendetwas ging unter dem blonden Schopf vor sich, doch mir wollte nicht in den Sinn, was der junge Herzogssohn im Schilde führte. Ich sollte es noch früh genug erfahren. Womöglich früher, als mir lieb war. „Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war: Der Tod, und die Hölle folgte ihm nach. Und ihnen wurde Macht gegeben über den vierten Teil der Erde, zu töten damit Schwert und Hunger und Pest und durch die wilden Tiere auf Erden.“, erklärte Varius energisch und die Peitsche schlug einen weiteren tiefen Streifen in seinen Rücken. Der Herzog Walther sagte eines Abends zu mir, er könne Varius nur im Hause behalten, da er nicht zur Sekte der Geißler und Flagellanten gehöre, sondern seinen eigenen Glauben habe. Auch der Barde hat seinen eigenen Glauben, doch bezieht sich dieser nur auf seiner selbst und seiner Fähigkeiten, welche er ohne Frage besitzt. Doch mit dem Temperament der Jugend war mir dies nicht bewusst.

In der Urteilsverkündung des Herzogs hieß es, dass ich mit den Dienstleuten schlafen werde. Herzog Walther wusste gar nicht, wie treffend diese Aussage war. Schon nach drei Wochen lag mir Simone, Dalilas Magd zu Füßen, oder besser gesagt: unter mir. Ich versprach ihr ewige Liebe und Hochzeit, nur um mich einmal mit ihr im Heu wälzen zu können. Mir war nicht klar welche Konsequenzen diese Lüge noch haben sollte, doch zu dieser Zeit wäre es mir wohl auch egal gewesen. Ich wollte nur meine wenige freie Zeit möglichst freudig verbringen und nebenbei Dalila immer näher kommen. Wenn dies durch ihre Magd geschah war das doch kein schlechter Plan. In den Wochen an des Herzogs Gut wurden Gerüchte um eine weitere Seuchen-Welle laut. Der schwarze Tod holte sich in den östlichen Ländern erneut seine Opfer und wanderte langsam gen Westen auf Böhmen und Sachsen zu. Gewisser Weise war meine Strafzeit am Gute des Kleinherzogs ein guter Schutz vor der Pest, denn draußen in den Wäldern war die Gefahr der Ansteckung größer. Der Medicus des Gutes empfahl zum Schutze vor dem schwarzen Tod alle Fenster und Türen wenn möglich immer verschlossen zu halten. So konnten die Überträger nicht durch die Luft ins Haus gelangen. Doch stellt sich die Frage nur: Wenn ein Pest-Erreger ins Haus gelangen sollte, wie soll er bei all den verschlossenen Fenster wieder heraus kommen? So wären gänzlich alle Hausbewohner dem Tode geweiht. Doch auf einen laienhaften Barden und sogar noch Sträfling wollte ein erhabener Medicus nicht achten. Und so kam der Tag an dem Simone erkrankte. Doch es war nicht die Pest, was sich an den fehlenden Eiterbeulen erklären ließ, nein es war die berüchtigte Seitenkrankheit, welche das arme Dienstmädchen befallen hatte. Trotz dass sich der Medicus auch noch so bemühte, sie sollte die übernächste Wochen nicht mehr erleben. Dies war ein harter Schlag für die Freunde des Mädchens und des fehlenden Diener-Platzes wegen, wurde ich als persönlicher Diener Dalilas eingesetzt. So hatte Simones Tod wenigstens ein Gutes gehabt. Ich war der Herzogstochter näher als je zuvor. Doch bis ich sie in meinen Armen halten konnte, sollte noch ein halber Mondzyklus vergehen.

Durch all die Arbeit und das abendliche Gesange zog die Zeit wie ein Vogelschwarm vorüber. Ich verbrachte die meiste freie Zeit in der kleinen Kammer der Dienstleute und schrieb an neuen Liedern herum. Und dann kam der eine Tag, der Tag an dem sich mein letzter Weg aus der heiklen Sache wieder herauszukommen endgültig auflöste. Der Tag an dem mich Dalila auf ihr Zimmer rief. „Was kann ich für die holde Dame tun?“, fragte ich höflich und deutete eine Verbeugung vor. „Singe ein Lied für mich, Spielmann“, trug sie mir auf und machte es sich auf ihrem Bette gemütlich. Ich brauchte mir nicht einmal ein Lied auszudenken, es floss wie von selbst über meine Zunge. Ich brauchte sie nur anzusehen. Du bist das Licht welches mich leitet in der Nacht Ich bin der arme Narr der nicht lacht Du bist das Feuer das meine Haut verglüht Ich bin der Baum der niemals blüht Ein Kuss von dir würde mich erwecken Ziehst mich hinaus aus dem heißen Becken

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Aus der schwarzen Asche eines innern Brand Auf dass ich leben kann und atmen einzig durch deine Hand Ich werd dich retten aus des Drachen Fängen Rettest du mich aus meiner Qual hier Auch wenn sie mich deswegen werden hängen Meine Liebe gehört alleine dir Und so war es um sie geschehn. Auch wenn meine Vernuft mich versuchte zu warnen, sei es drum. Zaghaft winkte sie mich zu sich ins große Bett. Die Begierde wurde immer größer, erhob sich aus meinen Tiefen und eroberte den Rest meines schändlichen Körpers. Ich war wie besessen von ihrem Anblick, konnte nichts mehr bewusst tun. Vorsichtig streifte ich ihr Kleid über die Schultern und ließ es bis zu den Hüften hinabfallen. Ihre junge Brust ragte mir entgegen und nun konnte ich nicht mehr widerstehen. Ich küsste sie, lange und andauernd. Mein Atem wurde schwerer, spürte ich doch die Lust in ihr. „Diese Nacht soll ich dir gehören, werter Spielmann. Niemand sonst hätte meine Liebe verdient“, flüsterte sie mir leicht stöhnend ins Ohr. „Nur diese eine Nacht?“, fragte ich und begab mich küssend an ihrem Körper hinab. Schnell zog ich ihr den Rest des Kleides vom Leib und küsste die weiche Haut zwischen ihren Schenkeln. Ihre Antwort ging in lauter werdendem Aufstöhnen unter. Dann entledigte auch ich mich von den störenden Gewändern und drang in sie ein. Keuchend wandte sie das Gesicht von mir ab, doch ich merkte sehr wohl ihr Gefallen an dem Akt der Liebe. „Hör nicht auf“, gebot sie mir. Ich spürte jede Bewegung ihres Körpers unter dem Meinen. Immer schneller, immer wilder wurden unsere Bewegungen bis wir schließlich beide den lustvollen Höhepunkt erreichten. Keuchend schlief sie kurze Zeit später neben mir ein. Erst dann wurde mir bewusst was ich gerade getan hatte. Wenn auch nur der leiseste Ton über diese Nacht an des Herzogs Ohr kam, war mein Schicksal besiegelt. Es tat mir im Herze weh Dalila verlassen zu müssen, doch was war ihr ein toter Barde wert? Drum beschloss ich mich noch diese Nacht von dannen zu stehlen und meinen stetigen Weg durch die Orte zwischen Eger und Prag fortzusetzen. Ich würde wiederkommen, das war mir bewusst, doch was ich an diesem Tage vorfinden sollte konnte ich nicht ahnen.

Es waren drei Jahre vergangen und langsam beschlich mich das dumpfe Gefühl der einzigste Barde im gesamten Land zu sein. Nicht einmal hörte ich von einem einzelnen Sänger und Wanderer, es wurde nur von Spielmannsgruppen berichtet, welche das ganze Land durchstreiften. Eine davon sollte ich im frühen August des Jahres 1371 treffen und sogar eine Weile begleiten dürfen. Sie waren weither unter dem Namen „Berber-Brüder“ bekannt und bestanden aus Ralf, Jocha und Gerib, Söhne des Berbers von Frankfurt, von dem weder ich noch sonst wer in der Umgebung gehört hatte. Ich traf die jungen Männer auf einem kleinem Hofe nahe Prag und begleitete sie eine Weile nach Westen. Sie boten mir an ihre kleine Gruppe vorübergehend als Sänger zu unterstützen, dafür wollte mich Jocha in der Kunst des Zisterspielens unterrichten. Wir zogen von Dorf zu Dorf, gaben eine gute Vorstellung und holten uns die eine oder andere Belohnung unserer Mühen in Form von Geld oder Weibern. Doch es waren nicht die Brüder welche am schnellsten zu meinen Freunden wurden, nein es war Hova, die junge Hündin. Wann immer ich konnte beobachtete ich Ralf und Hova bei ihren täglichen Übungen. Ralf schnippte mit den Fingern und Hova stand auf den Hinterbeinen und tanzte im Kreis herum. Noch nie hatte ich ein solch intelligentes und gehorsames Tier gesehen. Die Reise mit den Brüdern veränderte mein Leben auf tiefste Weise, doch mir gefiel die Veränderung. Als ich sie nach 2 Jahren wieder verließ hatte ich viel Erfahrung im Zisterspielen gesammelt. Zum Abschied bekam ich sogar Jochas Zister geschenkt, doch das schönste Geschenk machten mir Ralf und Hova. Einen Monat zuvor hatte Hova einen kleinen Wurf Welpen zur Welt gebracht und Ralf überließ mir zum Abschied den stärksten und schönsten der kleinen Tiere. Ich taufte ihn Hamp und schon bald sollten wir unzertrennliche Freunde sein. Trotz das mir der Abschied von den Brüdern schwer fiel, sehnte ich mich doch nach der Zeit in der ich frei wie der Wind durch die Wälder Böhmens zog und meine Spielmannskunst zur Schau bot. Diese Zeit war kaum wieder heran gebrochen, als dass sie auch wieder je zerschnitten wie ein Band beendet war. Sechs Jahre nach meinem plötzlichen Aufbruch aus Egersprung kam ich erneut in die kleine Stadt. Die Veränderungen blieben mir keine Sekunde vorenthalten, doch nicht nur die Stadt war größer geworden. Es stand ein ungeheures Ereignis bevor, die Luft schien beinahe schon zu zittern vor Aufregung. Doch zu diesem Zeitpunkt war mich nicht bewusst welcher Art das Ereignis sein würde.

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Als ich aus der Taverne herauskam bemerkte ich sofort die vielen Bewaffneten im Dorf. Sie trugen auf ihren Hemden das Siegel des Herzogs, doch etwas stimmte nicht damit. Hamp erleichterte sich an einem nahen Baum, so konnte ich noch etwas länger dastehen und beobachten. Das rege Treiben von damals war von Dannen, nichts erinnerte hier mehr an den einstigen Marktplatz. „Du bist der Barde, habe ich recht?“, fragte jemand aus dem nahen Gebüsch. Eine junge Frau versteckte sich dort. „Sieh nicht her! Sie sollen nicht wissen, dass ich hier bin.“ Ich verstand. Wie als würde ich zu mir selbst sprechen fragte ich: „Was möchte ein Bettlerskind auf der Flucht von dem Barden? Kannst du mir sagen was in diesem einst schönen Dörfchen geschehen ist?“ Ich sah nicht zu der Frau, doch konnte ich ihre Trauer und Verzweiflung spüren. „Es war der Sohn des Herzogs. Er tötete seinen Vater und übernahm selbst die Macht der Ländereien. Nun befürchtet er einen Übergriff des Kaisers Karl und hat die Kämpfer im Dorf verstärkt. Er sollte nicht erfahren, dass der Barde im Lande ist...“ Calvin von Egersprung hatte also seinen Alten Walther gemordet, um selbst das Herzogtum zu übernehmen. Ohne Frage würde er auf meine Anwesenheit nicht erfreut reagieren, war ich doch sein alter Rivale. Doch was war mit Dalila und den Dienstleuten geschehen? Ich musste unbedingt mehr über den Vorfall in Erfahrung bringen. „Wann ist dies alles geschehen? Wisst ihr etwas darüber, ob die Tochter des alten Herzogs noch im Gut ist?“, fragte ich, bekam jedoch keine Antwort mehr. Hamp stand schnüffelnd im Gebüsch, die Bettlersfrau war verschwunden, es war nur ein leises Pfeifen zu hören. Es war eine mir gut bekannte Melodie. Dies Lied sang ich einst für Dalila höchst selbst, doch wiederholte es nie mehr. Konnte es sein....? In diesem Moment stieß mich einer der Bewaffneten unsanft an der Schulter an. „Mann, was stehst du hier rum? Geh in dein Haus, auf der Straße herrscht Verbot!“, befahl er mir drohend. „Entschuldige Mann, wisset ihr welchen Wege ich muss beschreiten um möglichst bald anzukommen in Eger?“, fragte ich den Mann in der Sprachweise des hochgestellten Adels. Ich hatte viel von den BerberBrüdern gelernt und das war nicht nur Musik. Der Bewaffnete besah mich von Kopf bis Fuß, sah ich doch nicht einmal aus wie ein Bürger mit meinen Lumpen, doch wies er mir etwas freundlicher den Weg aus der Stadt. Dankend beschritt ich diesen Wege nun, bis man mich nicht mehr sehen konnte. Nun ging ich ab vom Weg, durch die Wiesen und Felder, möglichst nahe heran an das Gut, welches nun Calvin selbst besaß. Auf dem Wege zum Haus wurde ich sicherer, jedoch auch leichtsinniger. Ich lockerte meinen Dolch, so dass ich ihn schneller werde ziehen können, wenn es der Gewalt bedurfte. Leider konnte ich mir das Ausmaß der Gewalt nicht vorstellen. Jahre später würde man das Gut des Herzogs von Egersprung nur noch als das Schlachthaus bezeichnen und dies nicht ohne Grund. Und ich war das ahnungslose Wild, welches dem Jäger in die Falle lief. Doch ich war nicht bereit in dieser Falle zu sterben.

Der alte Brunnen war verschwunden. Nun ragte ein Galgen dem Himmel entgegen, das Rad lehnte daran. Aus dem Vorgarten des Guts hatte man einen Platz der Hinrichtung geschaffen. Auf einem Podest stand der Bock, frisches Blut klebte daran. Mir schien als würde Calvin sein neues Amt mit harter Hand verteidigen. Mein Blick wanderte über den Platz und kam am Pranger nahe der Hauswand stehen. Geschundene Hände und ein kaltes Gesicht stachen durch das hölzerne Gestell. Calvin hatte Varius, den Flagellanten, vorführen lassen, womöglich war ihm sein Glaube zuwider. Mitleidig dreinblickend schlich ich mich an den Geschundenen heran. Müde sah der Mann auf, seine Augen hatten einen seltsamen trüben Glanz. „Der Barde kommt zurück? Was ist dein Ziel, junger Mann?“, fragte er, wie als wäre ihm seine Situation nicht bewusst. Ich warf schnelle Blicke um mich, doch konnte niemanden erkennen. So hob ich die Klappe des Prangers nach oben und entfernte die Schellen von des Mannes Händen. Erleichtert und dankbar ließ er sich auf dem Boden nieder. Ich beugte mich zu ihm herab und fragte: „Was ist hier geschehen? Weshalb hat Calvin dich an den Pranger gestellt?“ Varius warf mir einen traurigen Blick zu. „Du kannst froh sein die letzten Jahre nicht hier gewesen zu sein. Calvin ist wahnsinnig! Er hält sich für irgendeinen Heiligen, dem es bestimmt ist die gesamte Welt zu unterwerfen. Dabei schafft er es nicht mal das kleine Herzogtum unter seiner vollständigen Kontrolle zu halten. Er sieht es einfach nicht...“, sagte er. Dann fügte er hinzu: „Ich glaube dass er einer der Todesreiter sein kann. Die Pest wird wiederkommen und auch den letzten Menschen auf Erden töten, wenn er nicht aufgehalten wird!“ Er packte mich am Arm. „DU musst ihn aufhalten, Barde! Nur du hast all diese Erfahrungen in der Wildnis gesammelt, nur du kannst Calvin bezwingen.“

9

„Übertreibe nicht, mein alter Kamerad. Ich werde versuchen die Ordnung wieder herzustellen, jedoch werde ich einen Gefährten benötigen. Komme mit mir, nur du wirst mir helfen können die große Not abzuwenden“ Dies war zwar gelogen, erfüllte jedoch seinen Zweck. Varius hatte einen größeren Glauben in mich, als ich selbst jemals haben könnte. Doch auch dieser Glaube des Geißlers stärkte mich. Varius nickte mir aufmunternd zu und versuchte einige zaghafte Schritte. Seine Knochen waren schwach geworden durch die lange Plagerei im Pranger. Der arme Junge hatte mein Mitgefühl. Zusammen strichen wir weiter durch das Gebüsch, um zur Hintertür ins Haus zu gelangen. In gewisser Weise hatte Varius recht: Die letzten Stunden waren nah!

Nach allem was mir bisher über die hiesigen Umstände zu Ohren kam, überraschte mich doch der Anblick einer unbewachten Hintertür. Einsam und verkommen ragte sie zwischen Büschen und Sträuchern versteckt aus der Mauer. Varius stellte bei dem Versuch die Türe zu öffnen fest, dass diese weder verschlossen noch verrammelt war. Niemand hinderte uns daran ins Gutshaus zu gelangen. Doch so sehr mir auch das Glück hold zu sein schien, wollte ich doch kein unnötiges Risiko eingehen und mich mitten auf den Gängen herumtreiben. Also entschieden wir uns durch die Kammern der Dienstleute zu schleichen. Diese wurden selten bewacht und gewährten uns somit Zugang zu den wichtigsten Orten des Hauses. Als erstes schlichen wir uns in die Schlafkammer der Dienstleute. Hier hatte ich vor vielen Jahren selbst einmal gelebt, verändert hatte sich seid dem nicht viel. Alleine die drei Schwerter, die Varius aus einer Ecke holte, waren früher noch nicht vorhanden gewesen. „Wo hast du sie her?“, fragte ich den Flagellanten. „Ich wusste, dass irgendwann Hilfe kommen würde, also stahl ich diese Klingen aus der Rüstkammer des Hauses. Sollen sie uns einen guten Dienst erweisen...“ „Das werden sie“, sprach ich zuversichtlich. Unbeholfen schlug ich einige Male durch die Luft. Nur wenige Male in meinem Leben hatte ich ein Schwert schwingen müssen, doch diesmal war es anders. Diesmal ging es nicht um den Erhalt meines Lebens, sondern um das Beenden eines fremden. Und das klingt immer einfacher als es ist... Fortan durchstreiften wir das Haus, immer den Wachmännern ausweichend, und gelangten endlich vor die Tür der Ratskammer. Von innen hörten wir laute Stimmen, sicherlich war dort ein Streit im Gange. Varius gab mir das Zeichen in das Zimmer zu stürmen und den selbsternannten Tyrannen zu stellen. So sprang ich auf und verschaffte mir mit einem kräftigen Tritt gegen die hölzerne Tür Zutritt zur Kammer. Sofort versiegten die Stimmen und zwei Gestalten starrten zuerst uns, dann unsre Schwerter an. „Beim Haupte meines unnützen Vaters, was geht hier vor sich?“, rief Calvin erbost und verschrocken zugleich aus. „Ich bin gekommen um deine Tyrannei zu beenden, Calvin!“, sprach ich mutiger, als mir zumute war. Varius hob seine Klinge und machte sich bereit auf den, in samtene Gewänder gehüllten, Mann zu zustürmen. „So sieht man sich zur letzten Stunde immer wieder, Barde. Wo bliebst du all die wundervollen Jahre der Ergreifung und Behauptung meiner Macht?“, spottete Calvin, sein Begleiter lachte untertänigst mit. Wut kochte in mir auf: „Hätte ich deine Habgier und Grausamkeit vorhergesehen, hätte ich dir noch in der Taverne einen Dolch ins Herz gerammt, Sklave deiner eigenen Unvernunft!“ Calvin lachte erneut über mich. „Für diese Worte, mein alter Rivale, sollst du hängen.“, sagte Calvin, „Thorin, ergreife den Verbrecher!“ Calvins Begleiter zog auf diese Worte hin sein Schwert und schritt langsam auf Varius und mich zu. „Mein Freund, mir war immer bewusst, dass mich mein Ende früh ereilen würde. Auf dass mein Martyrum den baldigen Untergang verzögere“, sprach Varius und stürmte dann auf Thorin zu. Dieser hob sein Schwert und ließ es zur Seite gleiten. Klirrend schlugen die beiden Klingen aneinander. Varius taumelte zurück und ließ dabei sein Schwert fallen. Bevor ich mich versah durchdrang die Klinge des Leibwächters Calvins den geschundenen Körper des Flagellanten. Keuchend ging er zu Boden. Sich zu wehren wäre sinnlos gewesen, sinnloser noch als mein baldiger Tod am Strick. Drum warf ich mein Schwert von mir und ergab mich wiederstandslos den kräftigen Händen Thorins. Man führte mich noch diesen Abend auf den Richterplatz, um mein Leben zu beenden. Schaulustige waren zahlreich zugegen, als man mich auf die Erhöhung führte. Das Bettlermädchen stand mit traurigen Augen inmitten der Menschen. Ich merkte kaum wie man mir den Strick um den Hals legte, noch den vermummten Mann der dies vollzog, ich hatte nur Augen für das Bettlermädchen. So begriff ich die nächsten Momente vielleicht als Letzter, doch bemerkte ich wohl, wie der vermummte Henker zu einem Schwert griff und es dem anwesenden Tyrannen Calvin mitten in die Brust schlug. Ein Aufkeuchen ging durch die Menschen zu meinen Füßen, welches doch schon längst verebbt war, als Calvins schändlicher Körper auf der staubigen Erde aufschlug.

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Eine weiche Hand zog mir den Strick vom Hals und der Henker entfernte meine Fesseln. Und noch während ich mich versah zogen sowohl das Bettlermädchen als auch der Henker ihre Kapuzen von den Köpfen. „Dies, liebe Leute, ist der Held der Stunde. Er war es, welcher sich ohne Furcht und Tadel dem Tyrannen gegenüberstellte. Er sollte für all die Grausamkeiten an Calvins Stelle bezahlen, doch hat der Tyrann nicht mit den Freunden des Barden gerechnet. So stehen wir nun hier Dalila, rechtmäßige Erbin des Gutes Egersprung, Orion, Medicus des alten Herzogs, und der Barde, Bestreiter vieler Gefahren und Kenner vieler Lieder. Viele Tote hat die Herrschaft Calvins gekostet, doch schließlich hat uns der Barde von der Tyrannei befreit. Hoch lebe der Barde! Hoch lebe der Barde! Hoch lebe der Barde!“ ich begriff wohl als letzter was um mich herum geschehen war. Schon nach kurzer Zeit stimmte das Volk zu unseren Füßen in die Hochrufe des alten Medicus ein. Ich wurde gefeiert wie ein Held, und doch hatte ich nicht viel zur Situation beigetragen. Mein Leben wurde seid diesem Tag weniger beschwerlich, als je zuvor. Dalila gestand mir bald darauf ihre Liebe und wir heirateten noch im gleichen Jahr. Drei Söhne sollte sie mir gebären. Aus dem Barden war ein Herzog geworden, doch meinen Beruf vergaß ich nie. Meine Lieder durchreisten das ganze Land, genau wie die Kunde meines Heldentums. Gerüchte und Sagen verbreiten sich sogar schneller als die Pest, und ich muss es ja wissen, denn ich bin der Barde, Herr der Sagen und Lieder. Und noch während ich diese Zeilen im stolzen Alter von 48 Jahren schreibe, wird mir bewusst dass ich ein erfülltes Leben hatte. So war ich nun Herzog von Egersprung und letzter Spielmann Böhmens zugleich. Der Lieder waren nicht viel, der Weiber zu wenig, doch meine Liebe habe ich gefunden und mein Ziel erreicht. Mögen meine alten Freunde in Frieden Ruhen, sogar du Varius, alter Zausel. Du hattest Unrecht, noch existiert die Welt. Doch ist deine Idee des baldigen jüngsten Gerichts auch nicht mehr als eines meiner Lieder oder diese Geschichte jetzt. Wahr sind sie, doch wie viel davon man glauben will, das muss jeder für sich selbst wissen.

Für alle die ihren Helden in sich noch nicht gefunden haben...

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Written by: –

Emanuel May, alias 'Loofou'

Special thanks to:



Felix Dietrich für das Trinklied

Contact: –

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Danke an alle Leser

© Emanuel May

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