© Uwe Fengler
Schritte auf dem Asphalt Ich sitze in meinem Wohnzimmer und lese ein Buch. Es ist bereits dunkel, ich kann nachts wenn draußen alles ruhig ist und niemand meine Gedanken stört, am besten lesen. Plötzlich höre ich durch das geöffnete Fenster Schritte auf dem Gehweg näher kommen. Ungewöhnlich um diese Zeit, in diesem ruhigen Viertel meiner Stadt, denke ich, lege das Buch zur Seite,
stehe von meinem Platz auf und gehe ans Fenster. Ich blicke nach rechts, aus dieser Richtung höre ich die immer lauter werdenden, gleichmäßigen Schritte. Plötzlich kann ich die Umrisse eines Menschen erkennen. Es ist ein mir unbekannter Mann, der da ohne nach rechts und links zu sehen die um diese Zeit kaum noch befahrene Straße überquert. Er bleibt im Licht einer Straßenlaterne stehen. Jetzt sieht er sich um und blickt gleich darauf auf seine Armbanduhr. Im nächsten Augenblick steckt er sich kopfschüttelnd eine Zigarette an, nimmt ein paar hastige Züge. Während er so vor sich hin raucht scheint sein Blick die graue
Hauswand entlang zu gleiten. Ich trete einen Schritt zurück, möchte nicht entdeckt werden. Schließlich wirft er seine nur halb angerauchte Zigarette zu Boden. Es sieht so aus, als ob er einen letzten liebevollen Blick auf die noch glimmende Glut zu seinen Füßen fallen lässt, als fast gleichzeitig sein linker Fuß die Zigarette aus tritt. Ohne zu zögern bewegt er sich nun nach links und geht weiter die Straße entlang. Ich kann seine immer langsamer werdenden Schritte auf dem Asphalt vernehmen, bis er schon längst in der Dunkelheit verschwunden ist.
Ich gehe langsam zu meinem Sessel zurück. Ich kann mich aber jetzt nicht einfach hinsetzen und weiter lesen, zu sehr bin ich mit dem eben Erlebten beschäftigt. Also gehe ich wieder ans Fenster und sehe hinaus. Nur noch Dunkelheit in alle Richtungen. So oft ich auch nach rechts oder links sehe: Dunkelheit. Ich trete einen Schritt rückwärts vom Wohnzimmerfenster zurück. Dunkelheit... Sonst nichts.
Genauso verläuft unser Leben, denke ich plötzlich. Plötzlich werden wir geboren. Nach einiger Zeit befinden wir uns in einem Augenblick des Lichts, bis wir dann wieder in ewiger Dunkelheit und Nichts verschwinden werden. Viel Spaß auch – dass ist unser Leben.
© Uwe Fengler