Noch Drei Schritte

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  • Words: 969
  • Pages: 10
© Uwe Fengler

Noch drei Schritte

1

Sie wurde bereits von den ersten Sonnenstrahlen, die durch das geöffnete Fenster fielen, geweckt. Es war noch sehr früh und trotzdem schon fast hell wie am Tag im Raum. Sie reckte sich und gähnte dabei leise. Auf keinen Fall wollte sie, dass ihr Mann aufwachte, bevor sie das Frühstück vorbereitet hatte. Schließlich sollte es auch für ihn heute ein ganz besonderer Tag werden. Durch das

geöffnete Fenster hatte sie bisher keinen Laut wahrgenommen, nur einige Vögel zwitscherten. Es ist schon von Vorteil in einer ländlichen Gegend Urlaub zu machen, dachte sie, wenn man in einer Großstadt an einer Hauptverkehrsstraße wohnt. Leise stand sie nun auf. Irgendwo erklang durch das geöffnete Fenster das Geräusch eines anfahrenden Autos. Die Tochter der Zimmervermieterin machte eine Ausbildung zur Krankenschwester in der nahen Kreisstadt. Wahrscheinlich hatte sie Frühdienst und fuhr gerade zu Arbeit. Dann musste es jetzt etwa so halb sechs sein. Als sie um das Bett herum ging sah sie auf ihren Mann. Er lag auf dem Rücken und atmete tief. Er hatte die Bettdecke auf

seine merkwürdige Art um den Körper gewickelt. Nur sein Kopf und am anderen Ende sein rechter Fuß schauten unter der Bettdecke hervor. Sie schlich sich ins Badezimmer nebenan. Sie duschte nun ausgiebig. Bald wird die Bäckerei geöffnet haben, dachte sie, dann werde ich ihm Brötchen holen. Später beim Metzger werde ich ihm seine Lieblingswurst kaufen; wahrscheinlich werde ich ihm heute auch Eier kochen. So wie er sie mochte, das gelbe außen fest und in der Mitte noch flüssig, auf keinen Fall zu hart.

2

Als er erwachte, wusste er zunächst nicht wo er sich befand. Er lag auf dem Bauch und hatte die Bettdecke, in die er sich immer fest einhüllte, bevor er einschlief, weit von sich gestrampelt. Ohne die Decke fühlte er sich nackt und so drehte er sich auf den Rücken und tastete mit beiden Händen nach ihr ohne sie finden. Schließlich schlug er die Augen auf. Er sah seine Frau am Fußende stehen, mit der Decke in der Hand. Er rieb sich die Augen und gähnte. „Was ist los, wahrscheinlich ist es noch viel zu früh“, stellte er fest. Gleichzeitig nahm er den Geruch von frischem Kaffee war. Das roch irgendwie nach Aufstehen für ihn, also setzte er sich an den Bettrand. „Geh schon mal duschen“, sagte sie, „ich bereite inzwischen weiter das Frühstück vor.“ Sie klingt etwas euphorisch, dachte er, während er sich ins Badezimmer begab.

Meistens war im morgens jedes Wort zu viel, aber der Duft des Kaffees und die Freude auf die frischen Brötchen stimmten ihn versöhnlich. Als er den lauwarmen Wasserstrahl auf seinem Körper spürte, war er plötzlich richtig wach. Heute machen wir ja mal wieder eine unserer Extremwanderungen, fuhr es plötzlich durch seine Gedanken. Er beruhigte sich jedoch gleich wieder. Er war diesen Weg mit ihr schon einmal gegangen und schließlich war auch damals nichts passiert. Es würde schon alles gut gehen. Er verstand ihre Vorliebe für Bergwanderungen nicht so ganz. Es gab doch noch mehr auf der Welt zu sehen als ein paar Berge. Außerdem war er noch nie so richtig schwindelfrei gewesen und fühlte sich in luftigen Höhen gar nicht richtig wohl. Er hatte ihr noch in diesem

Jahr vorgeschlagen einmal am Meer Urlaub zu machen, aber sie hatte sogleich begonnen von einer gemeinsamen Wanderung im letzten Urlaub zu schwärmen. Er konnte ihren Wunsch einfach nicht ablehnen. So waren sie nun wieder hier gelandet, einem kleinen Ort in Südtirol in den Sarntaler Alpen. Egal, dachte er, sei froh, dass Du Urlaub hast. Er mochte seinen Job nicht besonders. Die Arbeit in der Firma ihres Vaters machte er eigentlich nur, um sie zufrieden zu stellen. Sie hatte so ein verdammt starkes Bedürfnis nach Sicherheit, wünschte sich Kinder, die es zu ernähren galt – da passten seine Vorstellungen ein freiberuflicher Journalist und Fotograf zu sein, einfach nicht in ihren Plan. Er konnte nicht mehr sagen, ob er gerne alle seine Wünsche aufgegeben

hatte. Es war einfach so, und er lebte damit. Jetzt nicht daran denken, jetzt nur hier sein, die Zeit genießen und leben. 3 Sie waren seit etwa 4 Stunden unterwegs. Er ging langsam voran, sie folgte ihm in einem Abstand von ein paar Metern. So, dass sie sich noch unterhalten konnten, ohne das er sich umdrehen musste und sich trotzdem verstehen konnten. Er sprach nur wenig, sie konnte seine Ängstlichkeit an schwierigen Stellen spüren. Was hatte sie nur für einen Waschlappen geheiratet? Einen der nicht geregelt bekam, der froh sein konnte, dass er in der Firma ihres Vaters ein einigermaßen sicheres Einkommen erwirtschaftete; der alles nur ihr zu verdanken hatte, sonst würde er heute als

mittelmäßiger Fotograf oder vielleicht was noch schlimmer wäre, als erfolgloser Schriftsteller vor sich hin vegetieren. Er hatte immer so viele Träume, aber was kann er schon wirklich? Nur noch wenige Schritte, dann waren sie an der Stelle, die er am meisten fürchtete. Es gibt keinen anderen Weg, dachte sie. Es muss einfach sein. Ich bin noch so jung und kann das alles den Rest meines Lebens einfach nicht ertragen. An Scheidung war einfach nicht zu denken, da hatte ihre Familie noch ein Wörtchen mit zu reden. Da ging eben alles einen ordentlichen Weg. Nein, es musste einfach sein. Jetzt, jetzt ist es gleich soweit... Nur noch wenige Schritte, und sie würde die trauernde Witwe sein und nicht die Frau, die vor dem Scherbenhaufen einer gescheiterten Ehe steht.

Noch 5 Schritte, noch 4 Jetzt...

4

Er war seit einiger Zeit schweigend, tief in seine Gedanken versunken, weiter gewandert. Plötzlich hörte er ihren Schrei. Als er sich umdrehte, sah er sie schon nicht mehr, so schnell musste sie in die Tiefe gestürzt sein. Er hatte keine Vorstellung, wie dies passieren konnte, war er doch immer der gewesen, der an schwierigen Wegen seine Probleme hatte. © Uwe Fengler

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