Der Geruch Von Sauerkraut Und Freiheit

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  • June 2020
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  • Words: 337
  • Pages: 5
© Uwe Fengler

Der Geruch von Sauerkraut und Freiheit eine Kurzgeschichte von

Uwe Fengler

© Uwe Fengler

„Ich hol mir eben noch eine Schachtel Zigaretten“, sage ich, als ich die Tür unserer kleinen 58 qm großen Wohnung öffne. Ich warte keine Antwort ab und lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Ich stehe im Treppenhaus, und plötzlich kommt mir alles so vertraut und doch so fremd vor. Hinter meinem Rücken höre ich eine weibliche Stimme des Werbefernsehens, die mir weiße Wäsche verspricht, durch die

geschlossene Tür klingen. Ich trete zwei kurze Schritte vor. Nun stehe ich an der Treppe und sehe nach unten. Langsam bewege ich mich abwärts. Jede Stufe ist mir vertraut, kein knarren erscheint mir fremd und doch wohne ich erst ein paar Monate hier. Als erstes komme ich an der Wohnung von Frau Krieger vorbei. Das Lieblingsgericht der alleinstehenden Dame scheint Sauerkraut zu sein. Entsprechend riecht es regelmäßig vor ihrer Tür und manchmal scheint der Geruch durch das ganze Haus zu ziehen. Weiter unten wohnt Familie Ziegler mit ihren Kindern. Auch hier höre

ich die Geräusche des Fernsehers, vermischt mit den Klängen von Popmusik die wahrscheinlich aus einem der Kinderzimmer klingt. Im Erdgeschoss ist es ruhig, hier wohnt ein junges schwules Paar, höchstens ein paar Wochen länger als wir. Der Geruch des Mittagessen klingt auch hier nach. Erbsensuppe, denke ich, als die Haustür ins Schloss fällt. Es beginnt schon leicht dunkel zu werden, als ich den Gehweg betrete. Aus einem geöffneten Fenster höre ich die gleichmäßige Melodie eines Telefons. Ein Mann meines Alters mit einem Hund an der Leine geht an mir vorbei ohne mich wahrzunehmen. Ich trete einen

weiteren Schritt vor, stehe jetzt fast am Straßenstrand. Nun schließe ich meine Augen und breite meine Arme aus. Tief atme ich die frische aber noch nicht zu kalte Oktoberluft ein. Freiheit! Weg von den fremden Gerüchen nach Eintopf und Spießigkeit. Nur noch losgehen muss ich, vorbei am geöffneten Kiosk, dann links um die Ecke zur Straßenbahn – und nie mehr zurück. © Uwe Fengler

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