1982 freyermuth.com
Reprint
Unter Rauchern Eine Leidensgeschichte
Als vor einigen Wochen Karlsruher Richter einen Teil des Nichtraucherschutzes aufhoben, witterten viele Süchtige jene Morgenluft, die sie mit Vorliebe verpesten. Natürlich hoffe ich, dass die dramatischen Schicksale, die ich schon vor über einem Vierteljahrhundert schilderte, alle Pro-QualmPositionen widerlegen mögen ... Weiter>
Von Gundolf S. Freyermuth vol. 2008.09
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it fünf Jahren verlief ich mich in einem Schneesturm, weil mich mein Vater in die
Dunkelheit hinausschickte, ihm zwei Päckchen Zigaretten zu holen — zum zweiten Mal an diesem kalten Wintertag. Als ich aufgelesen wurde, war ich halb erfroren. Gerade noch konnten meine vereisten Kinderlippen die Adresse meiner lieben Eltern stammeln. Mein Vater erwartete mich, im Zimmer auf und ab gehend und seine zittrigen Finger wringend. »Nun sind alle Läden geschlossen!« rief er mit einer Stimme, deren Ton mich seltsam rührte. Ich hatte meinen Vater ohne Zigaretten gelassen. Zum ersten Mal in meinem jungen Leben spürte ich den Schmerz eines schlechten Gewissens. Es sollte nicht mein einziger Schmerz bleiben. Von meiner Rücksichtslosigkeit in die Strudel des Entzugs gestürzt, begann mein Vater, mich warm zu schlagen. Im Zorn des Süchtigen ließ er erst von mir ab, als er seine Hände wieder anderweitig gebrauchen konnte, weil meine Mutter zurückkam. Die hatte er nicht mich suchen, sondern zu den Nachbarn geschickt, die den kleinen Tabakwarenladen an der Ecke betrieben. Ein Auftrag übrigens, den meine Mutter kaum ohne kräftiges Zureden übernommen haben dürfte, denn sie hasste alle Nachbarn und weigerte sich seit Jahren,
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mit ihnen ein Wort zu wechseln. Aber natürlich war auch sie eine starke Raucherin und brauchte den Nachschub.
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eit diesem Schlüsselerlebnis meiner Kindheit ist keine Woche vergangen, in der
nicht der eine oder andere Raucher versucht hätte, mein Leben zu zerstören. Ich musste lernen, dass Raucher rücksichts- und gewissenlos sind, dass sie keine Skrupel kennen, wenn es um die Beschaffung von rauchbaren Naturprodukten geht, und dass sie für »ihre« Marke nicht nur in unwirtliche Dschungelgebiete, sondern auch über Leichen ihrer besten Freunde gehen. Ich hatte mich daran zu gewöhnen, morgens mit dem harten Kopfschmerz des starken Mitrauchers aufzuwachen, und ich störte mich bald kaum mehr an dem kalten Rauch, der mir entgegenschlug, wenn ich die Tür des Wagens öffnete, in dem ich am Vortag einen meiner süchtigen Freunde transportiert hatte. Stangenweise schmuggelte ich ihren Stoff aus dem billigeren Ausland ein, und bisweilen verführte ich gar eine Frau, die mehr an ihrem Glimmstengel als an mir saugte. Dass dabei mehrfach mein Bett mehr Feuer fing als ich, war in diesen Nächten nicht mal das
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Schlimmste. Denn eher tanzt ein Kamel den Öko-Tango, als dass ein Raucher auf Lebewesen Rücksicht nimmt, die üblicherweise Sauerstoff atmen.
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abei habe ich nichts gegen Raucher, wenn sie jung, wohlhabend und ungebunden
sind. Ich mag, wie sie durch die freie Natur der westlichen und Dritten Welt streifen, zu Fuß, mit dem Motorboot oder dem Sportflugzeug, und fröhlich ihrem putzigen Laster nachgehen. Ich mag, wie sie sich nach getanem Nichtstun vor dem Hintergrund eines Sonnenuntergangs eine anbieten, sich Feuer geben und Kumpel sind. Aber ich hasse Raucher, wenn sie sich gegenseitig ständig ihre Einwegfeuerzeuge klauen, wenn sie sich um die letzte Kippe belauern, wenn sie angekokelte Zähne und vergilbte Pfoten haben, wenn sie mir mit ihrer Kurzatmigkeit in den Ohren rumkeuchen und wenn sie mir in schlecht gelüfteten, kleinen Zimmern ungehemmt diese Mischung aus Rauch und Atem in die Fresse blasen. Ich verachte ihre unbeherrschte Gier, wenn sie nach langem Suchen doch noch ein Päckchen Lullen in der hintersten Ecke des Wo-immer-sie-gerade-Sind gefunden haben und nun ungeduldig an der knisternden Folie fingern — einer Folie übrigens, die grund-
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sätzlich irgendwo rumfliegt, an einem festklebt und nur in Glücksfällen nicht von einem miesen Saugstengel, sondern von einem guten ehrlichen Tampon stammt. Zur Not kann ich es noch ertragen, wenn so ein zittriges Raucherlein sich selbst in Ketten und an seine käuflichen Mutterwarzen anlegt. Diese lustlos saugenden Ganztagsraucher versuche ich, so gut es eben geht, zu ignorieren. Aber wie soll man Raucher ignorieren, wenn sie aus irgendwelchen belanglosen Gründen gerade nicht rauchen können? Und dann so fix wie ein Flitzer auf die Stufe einer kleinen Krähe regredieren, die rücksichtslos und selbstvergessen nach Nahrung schnappt? Wie soll man übersehen, wenn so ein leidlich menschliches Wesen von einer unsäglichen Säugernull zu einem unerträglichen Gibberer wird? Na, ehrlich gesagt, ich kann Raucher schlicht nicht riechen. Weil sie halt den ganzen qualmenden Tag lang fürchterlich stinken. Wie die Pest, die sie unter sozialen Gesichtspunkten auch sind.
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ine Qual, ein Unsegen, eine Plage, die späte Rache der Indios am weißen Mann,
kurz: die Geißel der Moderne. Sie belästigen die Geschmackvollen, die ihre Zungenner-
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ven noch nicht abgefackelt haben, sie verräuchern unschuldige Mitatmer und treiben jedem, der ihrem Qualm standzuhalten versucht, die Tränen in die Augen. Was soll man mit ihnen anfangen? Weitgehend wehrlos müssen wir ihrem Treiben zusehen, denn sie gelten wie alle Triebtäter als unzurechnungsfähig. Früher schloss man sie stundenweise in sogenannte Raucherzimmer weg. Im Zeitalter der offenen Anstalten, wo keiner mehr Anstalten macht, den anderen nicht zu vergiften, ist das leichter gesagt als getan. Doch stete Glut schürzt die Wut. Vor einem Vierteljahr war es soweit. Meine Leiden erreichten jenen Punkt, an dem den Opfern dieser Welt nur dreierlei bleibt: zu morden, das nächstgelegene tiefe Gewässer aufzusuchen oder vor den Peinigern zu kapitulieren.
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ch hatte eine Einladung zum Essen ausgesprochen. Den Vormittag verbrachte ich mit
ununterbrochenen Einkäufen, die mich weit über den Rand des Ruins hinaus trugen. Während des Nachmittags beschäftigte ich mich wechselweise mit Kochen, Aufwaschen und Saubermachen. Und gegen acht Uhr hatte ich es endlich geschafft: Die zartesten Soßen, die feinsten Gemüse, das unvergiftetste Fleisch und die erlesensten Weine, die
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ich in Berlin — eine kulinarische Umgebung gibt es dort nicht — hatte auftun können, warteten auf Michael, Lolli, Wolf und Maria. Auch ich wartete. Und zwar eine ganze Weile. Als es schon auf neun zuging, klingelte es. Maria erschien. Sie war reizend. Allerdings hatte ihr Blick etwas Unstetes. »Du, tut mir leid«, sagte sie, »dass ich zu spät komme. Sind die anderen schon da? Das hast du aber alles schön gemacht« — ein kurzer flackender Blick über den gedeckten Tisch, die Weine auf dem Vertiko, zurück zum Tisch und noch einmal quer durch den Raum, stärker flackernd. Ich begann zu ahnen: etwas fehlte. »Möchtest du einen Aperitif?« fragte ich. »Oh, ja danke.« In ihrer hohen Stimme war ein vorsichtiges, aber gieriges Zögern zu hören. »Ach«, sagte sie beiläufig, zu beiläufig, viel zu beiläufig, »könnte ich wohl eine Zigarette haben?« Eine Zigarette! Woher, in einem Nichtraucherhaushalt? Ich hatte ein paar hundert Mark an die Feinkosthändler der Stadt verschwendet, aber ich hatte kein Krümelchen dieses gottverdammten braunen Krauts erworben. Natürlich nicht. Maria wartete meine gewundene Entschuldigung gar nicht erst ab.
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»Gleich kommt sicher Wolf«, rief ich aus der Küche, wo ich den Sherry öffnete, »oder Lolli, die gibt dir eine von ihren ...«, da hörte ich draußen auf dem Flur die Tür zuschlagen.
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ach einer guten Stunde — Michael, Wolf und Lolli waren inzwischen eingetroffen
und nach mehreren Litern Kir und Sherry gerade noch in der Lage, in rhythmischen Abständen Feuerzeug und Zigaretten beziehungsweise Zigarillos beziehungsweise Pfeife auf Mundhöhe zusammenzuführen; gegen zehn Uhr also, als der überbackene Meeresfrüchtesalat im Ofen die Farbe eines einjährigen Koteletts angenommen hatte, kam Maria vom Zigarettenholen zurück. Sie hechelte heftig, warf ihren schwarzen Second-Hand-Pelz ab und schnappte nach Luft. Dann schmiss sie sich in den Sessel, zündete sich eine, wie sie sagte »Appetitlulle« an und lamentierte. »Altbau, vier Treppen, kein Fahrstuhl«, stöhnte sie schwer atmend und stieß den Rauch in die Richtung der knapp vier Meter entfernten Decke, unter der sich im Laufe der letzten Stunden die Qualmwolken eines mittleren Buschbrandes zusammengezogen hatten. „Du solltest dir mal eine ordentliche Wohnung suchen!«
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Man erlaubte mir zu servieren. Schweren Herzens legten Maria und Wolf ihre Zigaretten, Lolli ihren Zigarillo und Michael seine Pfeife beiseite. In Griffweite glommen die Rauchwaren vor sich hin. »Tut mir leid, dass ihr warten musstet«, entschuldigte sich Maria, »aber ich bin bis zum Bahnhof. Hier« — ein weiterer vorwurfsvoller Seitenblick in meine Richtung — »gibt es nirgends meine Sorte.« Michael, Wolf und Lolli lächelten verständnisinnig und entschuldigten alles. »Schmeckt gut«, sagte Lolli mit einem Gesicht, auf dem geschrieben stand, dass ihr irgend etwas nicht passte. Michael kam ihr zu Hilfe. »Toll«, sagte er und spielte leicht geistesabwesend mit seiner Pfeife und dem Gedanken, sie anzuzünden. »Aber ein wenig lasch« — nun lächelte ich verständnisinnig —, »hast du vielleicht Salz, Pfeffer und irgend’n Fischgewürz?« Ich gab ihm Salz und erklärte ihm meine Ansicht von dem zarten Eigengeschmack der Scampi. »Der Wein ist wohl naturrein«, hörte ich Lolli unzufrieden sagen, als ich das Zimmer verließ, um die Involtini di vitello anzurichten, »der ist so flach.«
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olf, dessen Stimme etwas verzögert zu klingen begann, folgte mir in die Küche,
um eine weitere Flasche meines flachen 1969er Chablis zu holen. »Sieht ja stark aus«, lobte er den Anblick, den der Inhalt der Pfanne bot. »Wie macht man denn das?« »Die Soße«, antwortete ich, »da musst du ...« »Ist ja stark«, sagte Wolf, unruhig mit seinem lila Einwegflammenwerfer spielend, »du, ich hab’ meine Zigaretten drin liegengelassen, bin gleich wieder da ...« Zehn Minuten später waren die Involtini so gut wie fertig. Und Wolf, dessen Zigarettenvorrat sich dem Ende zugeneigt hatte, war vom Automaten zurück. Er rauchte eine handelsüblichere Marke als Maria. »Tabak ist Tabak, pflege ich immer zu sagen«, pflegte er immer zu sagen. Ich probierte gerade mit spitzer Zunge das Ergebnis meiner stundenlangen Vorbereitungen, als Wolf wieder in der Küche erschien, sorglos sein leeres lila Spielzeug auf den Nachtisch legte und um Feuer bat. Mit den letzten Streichhölzern hatte ich die Kerzen angezündet.
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Nein, an denen könne man sich weder Zigaretten noch Zigarillos und erst recht keine Pfeife anstecken. Ein solches Verhalten sei wegen des giftigen Stearins, das in diesen gesundheitsschädlichen Beleuchtungskörpern verbrenne, leichtsinnig und nur in äußersten Notfällen angebracht, erklärte mir Wolf, dabei ruhig seine quittegelben Finger knetend. Unter Zuhilfenahme eines Bogens von meinem persönlichen Briefpapier gelang es dann anstandslos, ein gesundes Feuer für den lebensnotwendigen Verbrennungsvorgang zu gewinnen. Allerdings nahm im Laufe des Abends das Briefpapier so rapide ab, dass ich die Tante mütterlicherseits dieses Jahr bereits im Spätsommer um ihr Weihnachtsstandardpräsent werde bitten müssen.
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ber das Essen ist weiter nicht viel zu sagen. Meine Gäste taten es auch nicht. Sie
sprachen über verschiedene Zigarettenreklamen und warteten begierig darauf, dass auch ich endlich meinen Teller geleert hatte. Denn — und das lobten sie immerhin ausdrücklich — das beste an einem mehrgängigen Essen sei doch die Vielzahl von Verdauungszigaretten, –zigarillos und –pfeifen, die man sich zwischendurch gönnen könne.
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In Eile kauend musste ich an das hervorragende Restaurant denken, das ich in Paris besucht hatte und in dem jedem Gast, der sich zwischen den Gängen eine Zigarette anzündete, als besondere Serviceleistung ein Kaffee und die Rechnung gebracht wurde. Die Blicke, die meine Gäste mir und meinem Teller zuwarfen, beunruhigten mich. Wie soll man gleichgültig bleiben, wenn etwa ein ausgewachsener Koloss mit stattlichem Übergewicht, nachdem er seine Portion eilig verschlungen hat und nun mit dem Rauchen anstandshalber noch warten muss, sich plötzlich benimmt wie ein Kind im besten Flegelalter, dem man verboten hat, während des Essens zu onanieren?
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as soll’s«, sagte Michael, als das lezte Blatt meines Briefpapiers — ich hatte einen
kleinen Stapel unbemerkt in Sicherheit gebracht — niedergebrannt war. Umständlich zündete er dann seine Pfeife an einer der Kerzen an, deren langsames Kürzerwerden ich mit ungeduldiger Erwartung verfolgte. »Ah, das brennt gut«, lobte Maria, zufrieden den Marc de Bourgogne kippend, und lehnte sich wohlig zurück. »Vorsicht«, schrie Michael, mehr begeistert als besorgt, doch da hatte Maria schon mit ihrer Zigarette den Teppichboden angesengt.
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Bei dem Versuch, die Glut zu löschen, aschte mir Lolli auf den Kopf und dann für den Rest des Abends in die große Schüssel Meißner Porzellan, ein Erbstück. Wolf, der sich weiter an den flachen Chablis gehalten hatte, schmiss, weil er sie im Klo leeren wollte, zwei Aschenbecher in die Badewanne. Er bekundete seine Freude darüber, dass nur der gläserne zu Bruch gegangen war, denn es gebe ja nur wenige Aschenbecher in dieser Wohnung. Der unbeschadete Metallascher hatte lediglich einen unbedeutenden Teil der Wannenbeschichtung abgeschlagen. Ich beseitigte den Dreck in aller Eile, um meine Gäste nicht allzu lange allein und unbeaufsichtigt zu lassen, und ging den Flur entlang zum Wohnzimmer. Schon auf halber Strecke schlug mir eisige Luft sowie das ausgelassene Gebrüll einiger rauchiger Stimmen entgegen. Ohne lange nachzudenken, schloss ich mich der Fraktion an, die meinte, es sei besser, im eigenen Qualm zu ersticken als im eisigen Nordwind zu erfrieren. Ausschlaggebend für meine Parteinahme war die Befürchtung, die ausdringenden Rauchschwaden könnten meine Nachbarn veranlassen, Feueralarm auszulösen. Lolli verrammelte wieder die Fenster und lehnte sich flach durchatmend an die Wand, an der sie dabei einen daumengroßen Brandflecken hinterließ. Zur Entschuldigung bot
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sie mir einen Zigarillo an und gab mir, als ich dankend ablehnte, einen Kuss, der so alt schmeckte, wie Lolli wohl nie werden wird.
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aria war im Sessel eingeschlafen, der qualmte nun leise. Michael hatte — verse-
hentlich, wie er betonte — seine Pfeife in mein Aquarium geleert. Der sich daran anschließende Disput weckte Maria. Sie beschuldigte Wolf, ihre letzte Zigarette geraucht zu haben. Dies nun allerdings war ein Kapitalverbrechen. Richtete sich das Strafgesetzbuch nach dem Willen des durchschnittlichen Rauchers (hier von einem »gesunden« Rechtsempfinden zu sprechen, wäre ein Euphemismus), so stünde auf das verbreitete Stehlen von Feuerquellen der Pranger, auf das von Zigaretten der Tod durch Räuchern und auf das der letzten Lulle viertägiges langsames Verglühen. Erst nämlich, wenn sie nicht mehr rauchen können, weil es keine Zigaretten mehr gibt oder weil eine nette ältere asthmatische Dame sich das blaue Gift verbittet — ja, dann erst offenbaren die selbstsicheren Nuckler ihr wahres, scheußliches Gesicht. Ein durchschnittliches Massaker erscheint harmlos gegenüber einem solchen Augenblick. Denn in ihm zeigt sich, dass hinter jedem Glimmstengel ein Asozialer steckt,
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der für seine Lulle seine geliebte Großmutter an eine Bande geiler Gorillas verhökern würde. Und der mit der Lieblingstochter seines hässlichen Freundes sogar in eine deutsche Kleinstadt durchbrennen würde, garantierte man ihm nur für den Rest seines ohnehin nicht sehr langen Lebens die Versorgung mit einem Kraut, das jedem Gesunden die Lunge in Knoten legte. Diesmal rettete ein kleines schäbiges Drehdingsbums, ein Relikt aus der Steinzeit des modernen Maschinenmenschen, fürs erste den Frieden. Wolf gab es Maria, und Maria ging glücklich lächelnd über Wolfs dreisten Diebstahl hinweg und dazu über, mit Michaels Tabak ihre Lullen selber zu drehen. Bald versorgte sie die anderen eifrig mit. Ein paar Stunden später, die Kerzen waren fast ausgebrannt und neben jeden meiner qualmenden Gäste hatte ich einen Wassereimer gestellt, bemerkte Maria beiläufig, dass sie kein Papier mehr hatte. Gedankenverloren griff sie in das Bücherregal zu ihrer rechten Seite und erwischte unglücklicherweise die Erstausgabe von Stefan Georges »Der siebente Ring« auf handgeschöpftem Büttenpapier. »Das Pergament-Zeug«, grollte sie, »lässt sich kaum rollen.« Auf meine vorsichtigen Einwände hin entschloss man sich, eine kleine Expedition an die frische Luft zu unternehmen und — ein hasserfüllter Seitenblick in meine Richtung, wie
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er nur Süchtigen zu Gebote steht, in deren Körper der Entzug wütet — Zigaretten sowie Feuer zu besorgen. Ich könnte ja inzwischen ein wenig lüften.
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aum waren meine Gäste inmitten der Schwaden ihrer letzten Zigaretten hinaus-
gewankt, verriegelte ich die Tür. Als wenig später vier mit Zigarettenschachteln und Einwegfeuerzeugen bewaffnete Gestalten vor dem Haus randalierten und Einlass begehrten, rief ich Polizei und Feuerwehr.
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enn soviel ist sicher: bei Rauchern handelt es sich durchweg um geltungssüchtige
Pyromanen. Schon jeder pubertierende Anfänger spielt insgeheim mit dem Gedanken, seine Umwelt einzuäschern. Nun ist, Prometheus sei Dank, das systematische Versauen einer zuvor gesunden Lunge eine phylogenetisch sehr junge Perversion. Andernfalls nämlich wäre die abendländische Kultur nicht, wie gegenwärtig, vom Erstickungstod bedroht, sondern erst gar nicht entstanden. Diogenes wäre in einer Schachtel verglüht; Nero hätte sich seine Bemühungen sparen können, denn schon vor seiner Geburt wäre die klassische Kapitale durch achtlos weggeworfene Rauchkörper mehrfach in Schutt und Asche gelegt worden; die Völkerwande-
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rung wäre nur meilenweit gegangen und nie weiter als bis zum nächsten Tabakhändler gekommen; Barbarossa hätte der Mangel an Tabak und Kiff aus dem fast gleichnamigen Berg getrieben, falls er nicht schon zuvor, mit brennender Kippe in den tausendjährigen Schlaf gefallen, durch ein Feuer in seinem Pyromanenbart ums Leben gekommen wäre. »Hohenstaufen-Schnauferl«, die Marke der Kaiser und Könige, hätte wohl den höchsten Anteil auf den mittelalterlichen Rauchermärkten errungen. Ach, und die minderjährigen Debütanten im modernen Spiel um Lunge und Luftröhre amüsierten sich heute im Religionsunterricht über einen Tischspruch Martin Luthers, 1546 an Lungenkrebs gestorben, der da lautete: »Warum rülpset und rauchet ihr nit, hat es euch nit geschmacket?« Was wären all diese desillusionierenden Folgen einer Raucherweltgeschichte aber gegen den Lustgewinn der Zeitgenossen, die einst die papierene Nikotinhaut Cleopatras hätten bewundern können, die dem hechelnden Husten Caesars gelauscht und Jesus einen letzten Glimmstengel bewilligt hätten, die unter der Zigarettenfolter der Vandalen gelitten und den Atem der Historie aus dem Mund Karls des Großen gespürt hätten, so abgestanden wie das Badewasser von letzter Woche.
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er kalte Rauch hing noch in der Wohnung, als ich zwei Tage nach meinem geselligen
Fiasko aus dem Rausch erwachte, in den ich mich mit dem Rest des Marc de Bourgogne, einer fabrikneuen Röhre Valium sowie viel Verzweiflung versetzt hatte. Da ich nicht hatte sterben sollen, beschloss ich, meinem Leben einen neuen Sinn zu geben. An diesem Morgen verpfändete ich den Trauring meiner Mutter, der sich seit zweihundert Jahren im Besitz unserer Familie befand — ich wusste, meine Eltern hätten es verstanden. Von dem Erlös erwarb ich zwei Pfeifen, eine Drehmaschine samt Blättchen, mehrere Sorten Tabak, ein Kästchen mit dreihundert Zigaretten aus aller Welt, Zigarillos deutscher und indischer Fertigung, eine Großpackung Einwegfeuerzeuge, für den Fall der Fälle Streichhölzer, zwei Dutzend Aschenbecher und soviel Zigaretten, wie mir mein Kleinkredit erlaubte. Das hört sich mehr an, als es war, wenn man bedenkt, dass ich bis heute weder eine Wasserpfeife noch Kau- oder Schnupftabak mein eigen nennen kann. Die zu den jeweiligen Utensilien passende Körperhaltung übte ich vor dem Spiegel. Auch den Gesichtsausdruck beim Ein- und Ausatmen überprüfte ich gewissenhaft. Nach
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drei Tagen intensiven Trainings meinte ich, mich von einem professionellen Raucher in nichts mehr zu unterscheiden. Nun begab ich mich auf eine Besuchstour. Meine Bekannten sollten von meinem neuen Leben erfahren. Mit mir würde sich ein endloser Strom von leeren Zigarettenpackungen und Einwegfeuerzeugen, von Asche und Brandflecken in die Wohnungen meiner Gastgeber ergießen. Krümmte sich mir auch vorläufig noch die Luftröhre ein wenig, ich war endlich einer der Ihren.
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olf begrüßte mich mit freundlicher Zurückhaltung. Er wirkte verlegen. Statt in
das Wohnzimmer führte er mich in die Küche. Vergeblich hielt ich Ausschau nach Lolli und einem Aschenbecher, um meine Zigarette auszudrücken. »Lolli nicht da?« fragte ich. »Doch«, antwortete Wolf mit ungewohnter Einsilbigkeit. Er druckste sichtlich herum. »Wir rauchen nicht mehr«, hauchte er endlich mit dem Gesicht eines gebrochenen Mannes. »Und du, du darfst ...«, stotterte er weiter und warf einen ängstlichen Blick zur Tür. Schließlich sagte er mit einer Stimme, die er sicherlich für fest hielt: »Nimm es mir bitte nicht übel, aber Lolli erlaubt nicht, dass in unserer Wohnung noch geraucht wird.«
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Ich begann, mir ein Pfeifchen zu stopfen. Wolf, der feige Renegat, schaute hilflos weg. »Warum so plötzlich das ganze Entziehungstheater?« fragte ich, um die peinliche Stille zu unterbrechen, als ich das Ritual, das sich mit dem Ingangsetzen einer Pfeife notwendig verbindet, erfolgreich beendet hatte. Wolf murmelte verschämt und leise etwas von ungesund und schädlich, er flüsterte von Raucherbeinen und verteerten Lungen, er behauptete, man spare als Nichtraucher einen Haufen Geld — während er das sagte, lag in seinen Augen ein Ausdruck tiefsten Unglaubens —, Tabak sei krebserregend, das Nikotin habe er kaum mehr von seinen Fingern waschen können, seine Haare hätten begonnen auszufallen — wo, war mir angesichts seiner Rasputin-Tolle ein Rätsel —, das Essen schmecke ihm jetzt besser, der Husten habe sich weitgehend gegeben, falls er sich das nicht nur einbilde, habe auch seine Potenz zugenommen, er sei nicht mehr so kurzatmig. Wolf wich meinem Blick aus und rutschte unruhig auf dem Küchenschemel hin und her. Arme und Beine würden bei längerem Sitzen nicht mehr so schnell absterben, er schlafe wesentlich besser, seit die Wohnung nicht mehr allabendlich voll gequalmt werde — ein Witz angesichts seines müden Blickes —, überhaupt habe sich sein Kreislauf gebessert, er brauche sich keine Gedanken mehr zu machen, ob habituelles Rau-
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chen die Erbmasse verändere — seine Stimme bekam einen schluchzenden Unterton —, das Langlauftraining habe er nach acht Jahren wieder aufnehmen können — Wolf fuchtelte kraftlos in der Luft herum, als ob er nicht mehr wisse, was tun mit seinen Händen —, jeden Kuß von Lolli, an dem er bislang allenfalls ihre Zigarillomarke habe erkennen können, spüre er jetzt bis in die Zehenspitzen ... Seine Stimme versagte fast. Gierig sei er, der er mit zwölf Jahren zum Raucher geworden sei, allenfalls nach frischer Luft, das Zurücktreten der Sucht — Wolf schien dem Zusammenbruch nahe — erfahre er als ein Stück Lebensqualität und als ein Stück Freiheit mehr, seine Zähne würden jeden Tag weißer und er müsse nicht mehr ständig auf der Suche nach Feuer sein. Schluchzend und zitternd verstummte er.
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ch stand auf und blies ihm im Vorbeigehen den ätzenden Pfeifenrauch in sein asch-
fahles Gesicht. Wolf, der verzweifelt lustlose Konvertit, verdiente es nicht besser. Nichtraucher sind ahnungslos. Sie wissen nicht, was sie versäumen, und können deshalb leidlich tolerant sein. Aber Ex-Raucher sind Neider, sie missgönnen uns, ihren ehemaligen Genossen, den unbeschwerten Genuss.
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Sie wollen uns mit ihrem Gesundheits- und Spargefasel den Spaß verderben, der ihnen versagt ist. Sie sind die geheimen Drahtzieher hinter all den infamen Anti-RaucherKampagnen der jüngsten Vergangenheit. Sie bilden den harten Kern der miesepetrigen Saubermänner, die uns das Rauchen verbieten wollen: nicht nur in öffentlichen Verkehrsmitteln und Ämtern, nicht nur beim Essen und Arbeiten, sondern auch in Zoos, in Supermärkten, in ihren Wohnungen und sogar auf Entbindungs- und Intensivstationen, wo es doch entweder noch nicht oder eben nicht mehr darauf ankommt. Renegaten, Konvertiten, Verräter wie Wolf, das wusste ich als langjähriger Nichtraucher nur zu gut, sind die wahren Feinde einer befreiten Rauchergesellschaft. Sie tarnen sich als Gesundheitsapostel und Freunde der nichtrauchenden Menschheit nur, um zu vertuschen, dass sie krank sind, dass sie sich der Freude des Rauchens nicht mehr hingeben können, dass ihr chronischer Katarrh, ihr Raucherbein, ihr Lungen- oder Kehlkopfkrebs sie unfähig macht, an unserem Glück teilzunehmen. Mitleid überkam mich mit Wolf und seinesgleichen. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass der Vorrat für meinen Nachhauseweg reichen würde, gab ich dem Häufchen
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Elend, zu dem Wolf geworden war, weil er sich auf die Seite der naturgemäß wehrlosen Nichtraucher geschlagen hatte, zwei von meinen Zigaretten. Er nahm sie mir zusammen mit dem Versprechen ab, Lolli nichts davon zu erzählen. Egal, was sie rauchend sein könnten oder vielleicht sogar einmal waren — Nichtraucher sind und bleiben Waschlappen.
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info Dieses Werk ist unter einem Creative Commons
Impressum
Namensnennung-Keine
DRUCKGESCHICHTE
kommerzielle Nutzung-
Nichts gegen Raucher. In TransAtlantik, Juni 1982, S. 93 97.
Keine Bearbeitung 2.0
Als Radiofeature mit Musik gesendet im Hessischen Rundfunk am
Deutschland Lizenzvertrag
26. Dezember 1982.
lizenziert. Um die Lizenz
Nachgedruckt leicht verändert unter dem Titel Unter Rauchern in: Endspieler. Vom Aufstieg und Fall des
anzusehen, gehen Sie bitte
schönen Lebens. Reportagen, Essays und Erzählungen. 287 Seiten. Edition Tiamat: Berlin 1993, S. 89-202.
zu http://creativecommons. org/licenses/by-nc-nd/2.0/ de/ oder schicken Sie einen Brief an Creative Commons, 171 Second Street,
DIGITALER REPRINT Dieses Dokument wurde von Leon und Gundolf S. Freyermuth in Adobe InDesign und Adobe Acrobat erstellt und am 31. August 2008 auf www.freyermuth.com unter der Creative Commons License veröffentlicht (siehe Kasten links). Version: 1.0.
Suite 300, San Francisco, California 94105, USA.
ÜBER
DEN
AUTOR
Gundolf S. Freyermuth ist Professor für Angewandte Medienwissenschaften an der ifs Internationale Filmschule Köln (www.filmschule.de). Weitere Angaben finden sich auf www.freyermuth.com.
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