Palech – der Zauber russischer Lackminiaturen Zauberhafte Lackminiaturen aus dem russischen Dorf Palech präsentiert das Puppenhausmuseum Basel. Die über 60 Schatullen und Dosen aus einer schweizerischen Privatsammlung zeigen Märchenszenen, folkloristische Alltagsszenen sowie Motive aus altrussischen Heldenepen. Die Sonderausstellung läuft bis 14. Februar 2010. Von Felix Waechter / maiak.info Die Geschichte der Lackminiaturen aus Palech Lackminiaturen auf Papiermaché werden in Russland seit dem späten 18. Jahrhundert gemalt. Im 19. Jahrhundert waren die Manufakturen von Lukutin und Wischnjakow in Danilkowo nördlich von Moskau berühmt. Die Künstler malten mit Ölfarben Reproduktionen bekannter Gemälde auf Schatullen, Schnupftabakdosen, Zigarettenetuis und andere kleine Gegenstände. Im 20. Jahrhundert fand die Tradition der Ölmalerei auf Papiermaché ihre Fortsetzung in Fedoskino, einer Nachbargemeinde von Danilkowo, wo bis heute Lackminiaturen in Öltechnik hergestellt werden. Ganz anders präsentiert sich die Geschichte des gut dreihundert Kilometer nordöstlich von Moskau gelegenen Malerdorfs Palech. Mit dem Namen Palech verbinden Kunstliebhaber zwei spezielle Arten russischer Kunst: Ikonen von feinmalerischer Exklusivität und die ebenso filigran auf Papiermaché gemalten Lackminiaturen. Schon im 17. Jahrhundert wurde Palech zu einem Zentrum der Ikonenmalerei. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich der heute in der russischen Ikonenmalerei als "Palecher Schule" bekannte Stil. Auf den Palecher Ikonen finden sich nebst den dargestellten Heiligen reich verzierte Architekturkulissen und üppig gestaltete Landschaften als gleichberechtigte Elemente der Komposition. Im 19. Jahrhundert wurden Ikonen mehr und mehr in kommerziell ausgerichteten Manufakturen und Ikonenstudios gemalt und bis in die Ukraine und auf dem Balkan verkauft. Zu den bekanntesten Herstellern gehörten die Manufakturen Safonow und Belusow. Symbiose zwischen Sozialistischem Realismus und Ikonenmalerei Nach der Oktoberrevolution 1917 und mit dem Aufbau der atheistisch-kommunistischen Sowjetunion konnten die Palecher Künstler keine Ikonen mehr schaffen, weshalb Iwan Golikow und mit ihm weitere Palecher Ikonenmaler auf die Lackmalerei auf Papiermaché auswichen. Im Jahr 1924 gründeten sie die "Genossenschaft für Altrussische Malerei" und begannen mit der gewerbsmässigen Herstellung von kleinen, in Eitemperatechnik bemalten und lackierten Kunstgegenständen aus Papiermaché. Bereits 1925 wurden die Palecher Lackarbeiten mit grossem Erfolg in Paris ausgestellt. Im Jahr 1928 begann man mit der Ausbildung von Lehrlingen, und auf Veranlassung von Maxim Gorki wurde in Palech 1935 ein Museum eröffnet.
Tief verwurzelt in der altrussischen Tradition der Ikonenmalerei, hatten die Ikonenmaler in der Sowjetunion einen Weg gefunden, ihre künstlerischen Fähigkeiten in Feinmalerei weiterhin zu verwirklichen. Ländliche Alltagszenen, Szenen aus russischen Märchen, aus altrussischen Heldenepen und aus der russischen Geschichte waren die auf den Lackarbeiten hauptsächlich dargestellten Sujets. Die Umstellung von sakralen Themen der Ikonenmalerei auf weltliche Darstellungen fiel den Künstlern nicht sonderlich schwer, weil die Palecher Ikonenmaler keine Mönche waren, sondern in einem weltlichen Umfeld aufwuchsen und lebten. So weltlich, dass sie ab den 1930er Jahren auch politisch-ideologische Sujets malten, welche die gesellschaftlichen Umwälzungen nach der Oktoberrevolution, den Ruhm der Roten Armee im Bürgerkrieg und später im Zweiten Weltkrieg verherrlichten. So kam es zu einer Symbiose zwischen dem vom politischen System geförderten „Sozialistischen Realismus“ und stilistischen Elementen aus der Ikonenmalerei. In den 1930er Jahren bekamen die Palecher die repressiven Methoden der Sowjetmacht dennoch zu spüren und in den 1940er Jahren wurden sie wie viele andere auch in den Krieg geschickt. Nachdem in den 1950er Jahren die Mehrzahl der noch als Ikonenmaler ausgebildeten Künstler der ersten Generation aufgehört hatte zu malen, konzentrierte sich die Palecher Schule auf politisch-ideologische Sujets. In den 1970er und 1980er Jahren nahm aber eine neue Generation von Künstlern wieder die traditionellen Werte der Palecher Schule auf. Die Lackminiaturen aus Palech heute Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde Palech wieder mit einer neuen Situation konfrontiert: Das neue Russland beschäftigt keine staatlichen Kunstkritiker und Kulturbürokraten mehr, die zu bestimmen hätten, was Palecher Kunst sein soll. Es gab auf einmal keine staatliche Künstlergenossenschaft mehr, die Ausstellungen finanzierte, und keinen "Brand Name" Palech, der für Authentizität und Qualität bürgte. Jeder Künstler war jetzt selbst verantwortlich für sein Schaffen und musste den ständig wechselnden Ansprüchen eines globalen Kunstmarkts genügen. Viele namhafte Palecher Künstler sahen darin keine Zukunft; sie wandten sich von der dekorativen Lackminiaturmalerei ab und der Sakralkunst zu. Seit den 1990er Jahren malen oder restaurieren sie Ikonen und Fresken in den vielen neuen und alten russischen Kirchen. Denn obwohl nach 1917 keine Palecher Ikonen mehr gemalt werden durften, ging die Technik nicht verloren, sie blieb in der Sowjet-Ära in der Lackminiaturmalerei erhalten. So schliesst sich der Kreis: von der Ikone über die Lackminiatur wieder zur Ikone. Die Technik der Herstellung von Lackminiaturen aus Palech Die aus Papiermaché gefertigten Rohlinge sind noch sehr fragil, bevor sie mit heissem Leinöl getränkt werden. Erst durch das Trocknen werden aus ihnen sehr harte und robuste Gegenstände wie Schatullen und Dosen, die eine Grundierung aus mehreren Schichten von Ton, Öl und Russ erhalten. Schliesslich werden die Aussenseite mit einem schwarzen und die Innenseite mit einem roten Firnis bestrichen.
Dann beginnt der künstlerische Prozess: Der Maler zeichnet mit einer stumpfen Nadel die Umrisse und malt diese anschliessend mit Zinkweiss aus. Erst jetzt werden die Farben gemalt, wobei in Eigelb, Essig und Wasser emulgierte Mineralpigmente zur Anwendung kommen. Diese als Eitempera bezeichnete Technik kommt in der Ikonenmalerei seit Jahrhunderten zur Anwendung. Zunächst werden die Grundfarben angelegt, dann malt der Künstler nach und nach alle Details, wobei zunehmend hellere Farbtöne aufgetragen werden. Nach fünf bis zehn weiteren Lackschichten appliziert der Künstler das Blattgold, 700 Mal dünner als ein menschliches Haar. Die Goldmalerei verleiht den dargestellten Menschen und Tieren Volumen und verziert die gemalten Pflanzen und Gebäude sowie die feinen und feinsten Ornamente an den Seitenwänden der Dosen und Schatullen. Nach dem Polieren des Blattgoldes mit einem Wolfszahn kommen noch einmal bis zu zehn Lackschichten hinzu, die schliesslich mit Samt und mit dem Handballen poliert werden. Je nach der Grösse und Feinheit der Komposition arbeitet der Maler einige Wochen oder sogar mehrere Monate an einer Dose oder Schatulle mit Palecher Lackminiaturmalerei. HONORARFREIER ABDRUCK Dieser Text ist lizenziert unter Creative Commons BY-NC-ND 2.5 Switzerland. Sie dürfen diesen Text mit Nennung des Autors und von maiak.info honorarfrei vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen (aber nicht anderen Medien verkaufen!). Textkürzungen sind erlaubt, jedoch darf der Text in keiner anderen Weise verändert werden. Den Originalbeitrag finden Sie hier: http://www.maiak.info/palech-lackminiaturen-ausstellung-basel-puppenhausmuseum