A. Monade Und Die Zeitlichkeit Ihrer Attribute Im Unendlichkleinen

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Wolfgang Cernoch

Die Monade und die Zeitlichkeit ihrer Attribute im Unendlichkleinen Hermann Cohen, Das Princip der Infinitesimal-Methode und seine Geschichte. Ein Kapitel zur Grundlegung der Erkenntniskritik, Berlin 1883

Cohen verfolgt die Geschichte der mathematisch-philosophischen Diskussion des Infinitesimalkalküls von Newton und Leibniz bei Euler, La Grange, Carnot, Wolf, Baumgarten, Lambert, Kant, Cournot und anderen. Ich habe hier nicht vor, diese Diskussion in allen Varianten zu verfolgen, sondern konzentriere mich auf den Grund, weshalb Cohen zur Auffassung gekommen ist, damit auch die Grundlegung der Erkenntnistheorie überhaupt in den Blick genommen zu haben. Historisch gibt es vielerlei Hinweise, daß das Momentum zwischen dem Problem des materiellen Minimums und des geometrischen Minimums nicht als rein mathematisch sondern zuerst als wirkliches Problem der Mechanik und der Dynamik angesehen worden ist. Mit der Übertragung des Problems des Minimums auf die Arithmetik verschiebt sich allerdings die Fragestellung. Anhand der Unterscheidung der Zahl mit einer erfüllten und bestimmbaren Grenze, und einer bloßen Grenze im Kontinuum der Größe, die keine Zahl bestimmt, soll das Verhältnisse von unendlichkleinen Teilen einer Zahl oder der Null bestimmt werden. Um die Fixierung der berechenbaren Verhältnisse auf unendlichkleine Größen oder die Null zu vermeiden, darf nicht stehen geblieben werden, es kann aus dem Rechenprozess nicht ausgestiegen werden, weil ansonsten eben das Problem unendlichkleiner Größen oder das Problem voneinander nach größer und kleiner, oder sonst wie unterscheidbare Nullen droht. Von zahlreichen Mathematikern des Achzehnten Jahrhunderts wurde die Vorgeschichte des Problems des unendlich Kleinen, die von der Frage nach der Unterscheidbarkeit der materiellen und der geometrischen Minima bis zum wirklichen und realen Momentum reicht, zum Anlass genommen, die Intensität in diesen dynamischen Horizont der Infinitesimalrechnung zwischen dem Unendlichkleinem und den ungleichen Nullen mit der gedanklichen Bewegung des infinitesimalen Rechnens analog zu setzen. Noch Cohen spricht emphatisch davon, daß damit die Unendlichkeitsmathematik die Realität einfängt. Das Momentum als naturphilosophische Vorgeschichte verbindet mit der Bewegung des Denkens die Vorstellung einer Kraft, die die Bewegung erst hervorbringt, die im Rahmen der mathematischen Philosophie

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zur Intensität abstrahiert wird. Kant charakterisert in der Erörterung der Antizipationskategorie das reine Bewußtsein mit der Intensität = 0. Die verschiedenen Grade der Intensität entsprächen in dieser Interpretation, die formalontologisch und ontologisch zugleich ist, aber modallogisch verschiedene Grade von Realität, womöglich verschiedene Aspekte oder Arten von Realität wie die vermutete Differenz zwischen der Seinsweise des Substantiellen und der Seinsweise des Prädikativen ausdrücken können. Die modale Auffassung der Uneigentlichkeit des Prädikativen, ist die, welche die Seinsweise des im Prädikat Ausgedrückten einseitig von der Eigentlichkeit der Substanz abhängig macht, sodaß die Substanz als Ursache, und das im Prädikat Ausgedrückte als Wirkung gedacht wird. Die semantische Auffassung der Uneigentlichkeit bezieht sich einerseits auf die Verwendungsweise des Prädikats, ob es direkt auf den Gegenstand zu beziehen ist, oder indirekt wegen einer mit dem direkt bezeichneten Gegenstand in Zusammenhang stehenden Wirkung eines anderen Gegenstandes, der nunmehr mit dem Prädikat des ersten Gegenstandes bezeichnet wird (die »eigentlich« für die Lunge gesunde Luft). Der Beginn der Kategorienlehre hängt mit dem nämlichen Problem zusammen, die metaphorische Verwendung nach ihrer diagnostischen und ursächlichen Funktion zu unterscheiden. Schließlich hängen andererseits manche Prädikat vom Substrat der Zuschreibung oder auch von der unmittelbaren Umgebung der darin ausgedrückten Qualitäten ab, wie Farbe, Geschmack, die Rolle der Akustik für die räumliche Orientierung des Hörens, was auch als weitere Bestimmung eines notwendigen Attributs des materialen In-Existenz-seins des naturphilosophischen Momentums gelten können müßte. Alle diese Grundbegriffe der Wahrnehmung (Perzeption) inklusive der Kausalität als Vermögen zu wirken, besitzen die Charakteristik, die mit »Intensität« und Kontinuität des Anhebens und Vergehens bezeichnet wird. Ich denke, daß im letzten Punkt zwar die Paßfähigkeit der Mathematik auf naturwisssenschaftliche Fragestellungen auf für die moderne mathematische Naturwissenschaft verblüffende Art und Weise nachzuweisen gelungen ist, die Mathematik dabei aber wie bei Kant gegenüber der Theoriebildung und deren logisch-semantischen Leitfaden zur Hilfswissenschaft herabsinkt. Das bedeutet aber, daß der Fragekreis des dynamischen Momentums anders als mittels analoger (ethymematische) Schlußfolgerungen mit dem skizzierten Problem der Mathematik des Unendlichkleinen nichts zu tun hat.

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Mit der Übersetzung Euklids durch Commandinus im 16. Jhdt. wird ein Feld der Geometrie aufbereitet, das zuerst die Bewegung aus der reinen Geometrie ausschließt, aber anhand der Kegelschnitte als Konstruktionsprinzip gelten läßt. Diese Bewegung ist deskriptiv und konstruierend zu verstehen, nicht mechanisch oder dynamisch als physikalische Bewegung von Körpern. Sie ist die Fortführung der Hilfs- und Konstruktionslinien, die schon mit der Visierlinie in der Geradendefinition des Euklids von Beginn an in der Geometrie zwischen Konstruktion und Figur unterschieden worden ist. Das System von Proportionen ist ein weiteres Hilfsmittel der Euklid’schen Geometrie und setzt auf Geraden die Längen entlang derjenigen Strahlen ins Verhältnis, von welchen sie auf den Geraden ausgeschnitten worden sind. Proportionen sollen nach dieser Vorstellung auch zwischen verschiedenen Größenordnungen von klein, mittel, groß (Mikro-, Meso- und Makrowelt) erhalten bleiben. Von da weiter gehend, findet der Vorstellungskreis der Proportion auch Eingang in den Überlegungen der mathematischphilosophischen Spekulation zwischen dem sehr Kleinen, dem Unendlichkleinen und dem beinahe Nichtsseienden. Das Kontinuum der kontinuierlich kleiner werdenden Größen soll zwischen semantisch inkomensurablen Größenbegriffe zumindest die Errichtung analoger Verhältnisse erlauben, so wie es schien, daß es zwischen Mikro-, Meso- und Makrobereich möglich ist, analoge Proportionen zu finden, ohne daß alle Größenordnungen durchlaufen werden müßten. Die Besonderheit dieser Überlegung liegt für uns darin, daß die Kontinuität der verschiedenen Bereiche der Größenordnungen in der Physik für die Quantenphysik wie für die Relativitätstheorie bereits widerlegt, oder stark eingeschränkt ist. Die Errichtung von Proportionen, von denen mindestens ein Glied bei logischer Identifikation einen Widerspruch erzeugt, ist auch in der Mathematik nicht üblich. Neue Arten von Zahlen verletzen nicht das principium contradictionis, sie sind vielmehr das Ergebnis von Gleichungen, die als Definition genommen werden. Das infinitesimale Delta ist hingegen nur die Zusammennehmung eines endlosen kontinuierlichen Teilungsprozesses, nicht dessen explizites Auseinandergelegtsein. Unter der Voraussetzung einer gleichbleibenden Regel der Teilung kann die Zusammennehmung ohne deren expliziten und ostensiven Auseinandergelegtsein gedacht werden. Es kann mit der ostensiven Auslegung jederzeit begonnen, diese aber kann nie beendet werden. Die Verbindung mit der Intensität wird erst durch die Frage nach Existenz der

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Größen hergestellt. Damit muß aber wieder explizit und ostensiv gedacht werden. Das Momentum der Naturphilosophie behält also auch bei der Einbeziehung der Geometrie ein unabhängiges Verhältnis zur Mathematik des in sich logisch widersprüchlichen Unendlichkleinen; und ebenso behält es die Beziehung zur Intensität, obwohl die Identifikation der Bewegung mit der Kraft offenbar schon seit der Erörterung des Impulses zwischen Descartes, Newton, Leibniz und Kant anhand der gleichförmigen Bewegung eine eindeutig negative Beantwortung gefunden hat. Es bleibt so bei der eingangs vermuteten Paßfähigkeit und durch geometrische Proportionen ausgezeichnete Analogie zwischen der Mathematik des Unendlichkleinen und des naturphilosophisch exponierten Momentums, auch wenn letzteres zumindest in der gleichförmigen Bewegung nicht mehr die bewegende Kraft in einem die Bewegung selbst verursachendem Sinne beinhaltet. Daraus muß folgen, daß die Bewegung, die in der infinitesimalen Berechnung des unendlich Kleinen nicht verlassen werden darf, ohne in die Alternative eines prädikatslogischen Widersprüch (Unendlichkleines) oder eines identitätslogischen Widerspruches (differente Nullen) zu geraten, nicht naturphilosophisch zu klären sein wird, sondern nur mehr bewußtseinstheoretisch. Die Bewußtseinsphilosophie ist demnach weder rein psychologisch noch rein pragmatisch-anthropologisch, noch weniger allein naturphilosophisch darstellbar, wenngleich sich gezeigt hat, daß die naturphilosophische Fragestellung des Momentums aus dem Fragekreis des Unendlichkleinen semantisch nicht ausgeschlossen, nur klar und deutlich unterschieden werden kann. Darin kann auch der nähere Grund der Wende von Hermann Cohen in seinem nach längerer Pause veröffentlichten Arbeit »System der Philosophie« (Erster Teil, Berlin, Cassierer 1902) von einer Erfahrungsphilosophie zur Ideen- und Bewußtseinsphilosophie gesehen werden (F. Staudinger, Cohens Logik der reinen Erkenntnis und die Logik der Wahrnehmung, in: Kantstudien. Philosophische Zeitschrift Bd.8, Berlin 1903). Die Unterscheidung in materiale und in geometrische Minima, die auf Epikur zurückgeht, ist demnach weniger wichtig als die Unterscheidung der Ursachen der Dynamik der jeweils fraglichen Bewegung. Daß nun die Intensität als letzte Charakteristik eines Momentums der Definitionsart des mathematischen Unendlichkleinen im historischen Diskurs prominent vorkommt, kann m. E. nur zu einem analogen Mittelbegriff und zu einem ethymematischer Schluß denn zu einem logischen Syllogismus führen, da die

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Intensität sowohl im naturphilosophischen wie im bewußtseinspsychologischen Diskurs vorkommt, ohne die unmittelbare Folge oder Wirkung von etwas zu sein. Das erklärt die Verwendung des Kraftbegriffs als Grundbegriff (Quale) bei Kant. Die begrifflich analytische Unterscheidbarkeit der Intensität in sich selbst nach Graden soll vielmehr eine abstrakte Vorstellung von Veränderlichkeit rein logisch zugrunde liegen, wovon die Intensität selbst die Ursache zu sein nur vorgibt. Die Interpretation der Bewegung in der infinitesimalen Rechnung als Intensität verschiebt nur die Fragestellung, da die Frage nach der Ursache der Veränderung der Intensität von der Frage nach dem Grund der Folgen der Intensität strikte zu unterscheiden ist. Diese Doppeldeutigkeit der Vorstellungen von Intensität wird auf Grundlage des ethymematischen Schlußes zu einem paralogistischen Begriff zwischen mathematisch Unendlichkleinem und dem Kraftbegriff als Ursache jeder Veränderung erst fähig.

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