BAKK1 - Bakkalaureats-Seminar VLZ.Nr.220012_SE, SoSe 2009 Dr. Gianluca Wallisch
Tweeting the News Über den Einsatz von Twitter im Journalismus
Nicole Kolisch (
[email protected]) Mtr. Nr. 9002037 Studienkennzahl 033641
Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft Universität Wien
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung .......................................................................................................................... 3 2. Theoretische Grundlagen .................................................................................................. 5 2.1 Kommunikation als Unterscheidungsmerkmal? ........................................................... 5 2.2 Dialogische vs. diskursive Medien ............................................................................... 6 2.3 Kreisdialoge vs. Netzdialoge........................................................................................ 8 2.4 Informationssynthese im Dialog: Mashups made at Agora........................................... 9 2.5 Kollektive Online-Intelligenz........................................................................................11 2.6 Die Rolle des Journalisten in einer Welt der „Social News“ ........................................13 3. Fallbeispiel Twitter............................................................................................................16 3.1 #iranelection: Twitter als Nachrichtenagentur .............................................................16 3.2 „If you knew Neda personally tell us more”: Twitter als Recherchetool .......................19 3.3 Trending Topics & Didi Constantini: Twitter als Ideenpool ..........................................20 3.4 Blick am Abend: Twitter als User Generated Content .................................................21 3.5 Dinner mit Demi: Selbstpräsentation und Leser-Blatt-Bindung via Twitter...................22 3.5.1 Exkurs: Was bedeutet Medienbindung und wie entsteht sie?...............................22 3.5.2 Medienbindung via Twitter ...................................................................................23 3.5.3 Euke & Demi – Unmittelbarkeit & Intimität............................................................25 3.5.4 Armin Wolf ...........................................................................................................26 3.6 Grüne Vorwahlen: Agenda-Setting via Twitter ............................................................27 4. Ausblick............................................................................................................................30 5. Quellenverzeichnis: ..........................................................................................................32 5.1 Literatur ......................................................................................................................32 5.2 Wikipedia-Einträge .....................................................................................................36 5.3 Andere Quellen...........................................................................................................36 5.4 Tweets........................................................................................................................37 5.5 Weiterführende Literatur .............................................................................................38 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Kreisdialog........................................................................................................ 8 Abbildung 2: Netzdialog......................................................................................................... 9 Abbildung 3: Britannica vs. Wikipedia...................................................................................12 Abbildung 4: Old Media vs. Social Media..............................................................................13
Zu Gunsten des Leseflusses wurde darauf verzichtet, stets explizit männliche und weibliche Formen zu verwenden. Es sind jedoch in jedem Fall beide Geschlechter gleichermaßen angesprochen.
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“The Internet doesn’t come with a manual that tells you how to use it well. (…) The main divide now is not between people who have economic access to technology [and those who don’t] (..) The real divide is between those who know how to use online media effectively and those who not know.” – Howard Rheingold, 2009 „Twitter hat keinen Sinn, außer man findet ihn selbst heraus.“ – Robert Lender, 2008
1. Einleitung „Durch Twitter verwandelt sich das System der Massenmedien, in dem sich wenige Sender an eine große, anonyme Masse von Rezipienten wendet, in eine plurale Landschaft aus kleinen und großen Knoten, die Nachrichten, Meinungen (...) austauschen, kommentieren und diskutieren“, schreibt Benedikt Köhler (2008: o.S.). Dadurch rücken die Visionen von Brecht1 und Enzensberger2, denen zufolge die am Kommunikationsprozess beteiligten Menschen, nicht nur stillschweigende Empfänger, sondern jeweils auch aktive Sender sein sollten, in greifbare Nähe. Von „Bürgerjournalismus“ ist die Rede, von Demokratisierung der Informationsprozesse, von „Empowerment“. Gleichzeitig wächst die Angst der etablierten Medien, die mit dem Informationsmonopol auch die Anzeigekunden und somit die Existenzgrundlage verlieren. Die Saat für ein weltweites Zeitungssterben wurde deutlich vor 2006 (dem TwitterGründungsjahr) gepflanzt. Es wäre daher Unsinn dieses dem Microbloggingdienst in die Schuhe zu schieben. (Eher müsste in dem Zusammenhang einmal eine Arbeit über Google geschrieben werden...) Sehr wohl ist es aber möglich, am Beispiel von Twitter jene Strukturen zu beleuchten, welche das Web 2.0 grundsätzlich ausmachen und unsere Medienlandschaft in Zukunft zunehmend bestimmen werden. Veränderungen unseres Verständnisses von Journalismus sind unausweichlich. Darüber sind sich im Grunde alle einig. „Die Muster der Produktion, Reproduktion und Distribution
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Bertolt Brecht (1927/1932): Radiotheorie. Abgedruckt in: Hannes Haas / Wolfgang R. Langenbucher (2005): Medien- und Kommunikationspolitik. Ein Textbuch zur Einführung. Wien: Braumüller. 2 Hans Magnus Enzensberger (1970): Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Kursbuch 20. Berlin: Wagenbach
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kultureller Inhalte haben sich vermutlich nie zuvor in der Geschichte so radikal und in so kurzer Zeit verändert, wie dies in den letzten Jahrzehnten geschehen ist.“ (Hartmann 2008: S.112) Ob diese Veränderungen als Bedrohung oder als Chance verstanden werden, liegt sehr stark im Ermessen einzelner Medien bzw. Journalisten. Es ist eine Binsenweisheit, dass die Apokalyptiker gemeinhin mehr Gehör finden, als die Integrierten3, dass die Gefahren von Veränderungen überschätzt und ihre Potentiale unterschätzt werden. Die vorliegende Arbeit bemüht sich daher bewusst, einen Standpunkt der Hoffnung einzunehmen. Dazu soll im ersten Teil ein theoretischer Blick auf die Kommunikationsstrukturen von Twitter einerseits, und etablierten Massenmedien andererseits, geworfen werden. Welche Berührungspunkte und Synergien lassen sich feststellen? Wo sind sich die beiden scheinbaren Gegenpole näher als vermutet? In Folge widmet sich der zweite Teil praktischen Fallbeispielen dieser Synergien: Welchen konkreten Nutzen können Journalisten aus Twitter ziehen; wie wirkt sich der Dienst auf ihre Arbeitsweise aus, welche Chancen bietet er?
Wie sich die Arbeit von Journalisten in Zukunft gestalten wird, ist ungewiss. Es gibt aber bereits Konzepte und Ideen dazu. Einige davon will diese Arbeit aufzeigen.
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zu dieser Terminologie vergleiche Umberto Eco (1999): Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur. Frankfurt: Fischer
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2. Theoretische Grundlagen 2.1 Kommunikation als Unterscheidungsmerkmal? Zwischen jener Art von Kommunikation, wie man sie auf Twitter vorfindet und jener, die etablierte Massenmedien ausmacht, bestehen auf den ersten Blick gravierende Unterschiede. Durch das System der „Follower“ bilden sich auf Twitter unterschiedlich große Interaktionsgruppen, in denen Gruppenkommunikation stattfindet. Gruppenkommunikation bedeutet, nach Sabine Misoch (2006: S.34), „dass sich mehrere innerhalb eines sozialen Netzwerks befindliche Individuen – welches entweder durch geografische Anwesenheit der Teilnehmer oder durch Gleichzeitigkeit der Teilnahme (online) bestimmt ist – multidirektional austauschen können. Im Face-to-Face-Kontext kann dies z.B. eine Situation am Stammtisch sein, in welcher sich theoretisch alle Anwesenden mit jeweils allen anderen austauschen können.“
Im Gegensatz dazu steht das Modell der Massenmedien, bei dem es sich um eine öffentliche und „einseitige (unidirektionale) Informationsübertragung von einem Sender zu vielen Empfängern“ (ebd.) handelt. Diese Definition enthält zwei Elemente, die in Zusammenhang mit Twitter wichtig erscheinen und sich, nach Maletzke (vgl. Maletzke 1963: S.32, zitiert nach Burkart 2002: S.171) folgendermaßen definieren lassen. –
öffentlich: ohne begrenzte und personell definierte Empfängerschaft
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einseitig: ohne Rollenwechsel zwischen Aussagendem und Aufnehmendem
Betrachtet man Twitter genauer, so zeigt sich, dass die oben behauptete Gruppenkommunikation keine hermeneutische und die angenommene „Gruppe“ in gewissem Maße Illusion ist. Um bei dem von Misoch aufgebrachten Bild des Stammtisches zu bleiben: Dieser Stammtisch steht nicht in einem Extrazimmer, sondern inmitten der Gaststube. Somit hat jeder Restaurantbesucher die Möglichkeit, die Gespräche zu verfolgen und sich ggfs. auch selber einzubringen. In Folge kommt es zu Effekten, die gleichzeitig der Gruppen- wie auch der Massenkommunikation zuordenbar sind. Themen, die sich durch Interaktion der Gruppe generieren, werden
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simultan, ganz im Sinne Maletzkes, an ein disperses Massenpublikum vermittelt, das eben nicht begrenzt und nicht personell definiert ist. Das wirft die Frage auf, ob Twitter als Massenmedium bezeichnet werden kann, also durchaus im Sinne der etablierten Massenmedien wie Zeitung, Rundfunk und Fernsehen.
Ein Medium wird aber nicht durch die mit ihm verbundenen Rezeptions-, sondern auch durch Produktionsprozesse bestimmt. Ist bei einer Zeitung, der Sender (Herausgeber, Redakteure) und die Absicht (Blattlinie etc.) klar erkenntlich, wird diese Definition bei Twitter schwieriger. Group Generated Content oder auch kollektive Intelligenz (letzteres vgl. Hartmann 2008: 106f) sind Schlagworte, die immer wieder mit Produktionsprozessen des Internets in Verbindung gebracht werden. Das Konzept von „intercreativity“ geht bereits auf Tim Berners-Lee, den Erfinder des World Wide Web, zurück (vgl. Weischenberg/Loosen 2000: S.71) Wie also sehen die strukturellen Unterschiede aus, die dem Prozess der Informationserzeugung und -distribution zugrunde liegen?
2.2 Dialogische vs. diskursive Medien Vilém Flusser (2007: S.16) unterscheidet zwischen dialogischen und diskursiven Medien:
„Um Information zu erzeugen, tauschen Menschen verschiedene bestehende Informationen aus, in der Hoffnung, aus diesem Tausch eine neue Information zu synthetisieren.4 Dies ist die dialogische Kommunikationsform. Um Information zu bewahren, verteilen Menschen bestehende Informationen, in der Hoffnung, dass die so verteilten Informationen der entropischen Wirkung der Natur besser widerstehen. Dies ist die diskursive Kommunikationsform.“
Als Beispiele für diskursive Medien nennt Flusser u.a. Kinos und Plakate, während dialogische Medien z.B. die Börse oder der Marktplatz sind. Gerade in diesen Beispielen zeigt Flusser auch die Fragwürdigkeit des Unterscheidungsmerkmales auf: Ein Plakat wird zu einem dialogischem Medium, wenn man es mit Graffiti
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Dieses Konzept liegt auch sogenannten Mashups zugrunde: die Erzeugung neuer Inhalte durch Rekombination und Mischung bereits bestehender Inhalte (vgl. Hartmann 2008: 107)
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bekritzelt, „und Kinos, wenn man die Leinwand mit Eiern bewirft; andererseits können Börsen zu diskursiven Medien werden, wenn man nicht bietet, sondern die Preistafeln liest, und Dorfplätze, wenn man nicht zum Plaudern hingeht, sondern um sich einen Politiker anzuhören.“ (Flusser 2007: S. 272) Letztlich sind das Dialogische und das Diskursive also nicht Eigenschaften des jeweiligen Mediums, sondern abhängig von der Mediennutzung. Was zählt, sind Kulturen des Gebrauchs. Auch hier lässt sich unschwer die Zwitterstellung von Twitter erkennen: Ob Twitter für den jeweiligen Nutzer zur diskursiven Morgenzeitung wird (wie etwa Steve Johnson im TIME Magazin vorschlägt) oder zur dialogischen Community, ist ausschließlich nutzer-abhängig: The medium is not the message.5
In jedem Fall besteht für Flusser eine klare Abhängigkeit zwischen Diskurs und Dialog: „Im Dialog werden Informationen hergestellt, die im Diskurs so verteilt werden, dass deren Empfänger in künftigen Dialogen daraus wieder neue Informationen herstellen können.“ (Flusser 2007: 273) Beide Arten von Medien sind somit aufeinander angewiesen.
Umgelegt auf die angesprochenen Synergien zwischen Twitter und den etablierten Medien, ergibt sich so ein harmonisches Bild: Twitter, das dialogische Medium (bzw. das Medium, das von einem gewissen Prozentsatz der User dialogisch genutzt wird) generiert Information durch Synthese, die wiederum beispielsweise für Zeitungen von Nutzen ist. Zeitungen verteilen diese Information diskursiv, wodurch sie sich mehrt. („Nach dem Diskurs ist die Summe der Information größer, weil sie verteilt wurde.“ Flusser, 2007: S.273) Die vermehrte Information wiederum dient als Diskussionsbasis für den Fortbestand des Twitter-Dialogs.
Das ist schön; die Analyse würde aber, meines Erachtens nach, zu kurz greifen. Denn auch Redaktionen sind keine Ein-Mann- oder Ein-Frau-Betriebe: „Collaboration“ ist ein Buzzword, aber keine Erfindung des Webs und kommt auch bei redaktionellen Prozessen zu tragen. Es lohnt sich also neben der Unterteilung in diskursive und dialogische Prozesse auch die Frage nach unterschiedlichen Formen des Dialogs. 5
Dass dennoch manche Medien ausschließlich diskursiv genutzt werden, ist – so vermutet Fuller - eine gesellschaftliche Frage.
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2.3 Kreisdialoge vs. Netzdialoge Flusser unterscheidet zwei Formen von Dialogen: Kreisdialoge und Netzdialoge. Kreisdialoge (vgl. Flusser 2007: 29f) lassen sich als „runde Tische“ verstehen. Entscheidungsprozesse in demokratischen Institutionen beruhen ebenso auf diesem System, wie – für die vorliegende Arbeit relevanter – Redaktionssitzungen.
Abbildung 1: Kreisdialog
„Das Prinzip der Struktur ist einfach: Man findet einen gemeinsamen Nenner aller Informationen, die in den Gedächtnissen der am Dialog Beteiligten gespeichert sind, und erhebe diesen gemeinsamen Nenner in den Rang einer neuen Information.“ (ebd.) Der Prozess ist komplex und, wenn er funktionieren soll, muss die Anzahl der Beteiligten notwendigerweise begrenzt sein. Darin sieht Flusser das Grundproblem des Kreisdialogs: Er ist eine „geschlossene Schaltung“ und eben dadurch eine zwangsläufig „elitäre Kommunikationsform“ (ebd.)
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Im Gegensatz dazu stellen Netzdialoge (vgl. Flusser 2007: 32f) eine „offene Schaltung“ dar und sind „in authentischer Weise demokratisch. Während Kreisdialoge selten erfolgreich sind und zu neuer Information führen, sind es Netzdialoge immer.“
Abbildung 2: Netzdialog
Das Web 2.0-Schlagwort Participation bezeichnet genau diesen Prozess: „Anwender und Communities generieren ihre eigenen Inhalte, es entsteht neuer Nutzwert durch Teilhabe.“ (Hartmann 2008: 101)
Wie genau nun Information im Dialog entsteht, soll im nächsten Abschnitt beleuchtet werden.
2.4 Informationssynthese im Dialog: Mashups made at Agora Information entsteht ohne dahinterliegende Absicht. In Netzdialogen synthetisiert sie sich aus der „Verformung der verfügbaren Informationen durch das Eindringen von Geräuschen“. (Flusser 2007: S.32)
Traditionell stellt der Marktplatz, die Agora, das bedeutendste Medium des Dialoges dar. Flusser merkt an, dass sich zwar unsere technischen Möglichkeiten seit den alten Griechen weiterentwickelt haben, sich diese Entwicklungen aber in erster Linie auf diskursive Medien auswirken, also etwa im Sinne Neil Postmans, der davon ausgeht, dass die Technik den Diskurs formt (vgl. Postman 1988).
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Was den Dialog anbelangt, so gestaltet er sich so archaisch wie eh und je – unabhängig davon, ob er via Twitter oder an der hauseigenen Bassena gedeiht. In der Tat haben die Agora und Twitter viel gemein:
„Es ist ein Platz, der dem Austausch dient, und das in einem doppelten Sinne des Wortes. Einerseits tauschen dort die Bewohner des Dorfs Dinge untereinander und andererseits tauscht das Dorf dort seine eigenen gegen fremde hereinkommende Dinge. Der Kreis des Marktplatzes ist also relativ offen: Dinge kommen per Wagen, zu Schiff oder zu Pferd von überall her an, um ausgetauscht zu werden.“ (Flusser 2007: S.289)
Der zentrale Platz ist von Privathäusern umgeben, ebenso wie sich ja auch das Leben der Twitternutzer nicht online, sondern offline, also im „Privaten“ abspielt. Hier, im Privaten, werden die Dinge erzeugt, die der oder die Einzelne dann auf den Markt trägt. Dabei kann es sich auch um Immaterielles handeln, wie Ideen, Gedanken und Wünsche.
Das Private auf den Markt zu tragen, heißt, es zu veröffentlichen, es im ursprünglichen Sinne des Wortes zu „publizieren“. (vgl. Flusser 2007: S.290). Im Tausch und im Vergleich mit anderen, entstehen Normen und Werte (griech. Logoi): Auf dem „Marktplatz Twitter“ sind es Backlinks (generiert durch öffentliche Antworten und Retweets), die innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie als Währung fungieren (vgl. Schulzki-Haddouti 2008: S.8) und so den Wert eines Tweets kennzeichnen. „Das ist, was die Griechen Dia-logos, den Austausch von Logoi, nannten.“ (Flusser 2007: S.291)
Information entsteht also, indem das Private publiziert, ein Wert festgestellt und die Öffentlichkeit (das Dorf, die Twittersphäre) informiert wird. Dem Dialog kommt dabei ein dialektischer Charakter zu: „Durch den Tausch, intersubjektiv, kommen die Menschen der Wahrheit immer näher.“ (ebd.)
Letztlich entspricht dieser Prozess genau der Definition, die die Universität St.Gallen 2006 für den schwammigen Begriff „Web 2.0“ lieferte: „Die Idee der gemeinsamen Maximierung kollektiver Intelligenz und der Bereitstellung von Nutzwerten für jeden Teilnehmer durch formalisierte und dynamische Informationsteilung und -herstellung.“ (Meckel 2006: S.8)
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2.5 Kollektive Online-Intelligenz „Der heute aktuellen Online-Medienkultur gilt als selbstverständlich, dass Inhalte aus dem sozialen Kontext heraus generiert werden (Social Media)“ (Hartmann 2008: S.97) Eine Gruppe von Menschen (Stichwort: „Tribe“) arbeitet zusammen, um Information und Wissen zu schaffen. „Das Resultat dieser Kooperation ist die Herstellung kollektiver Intelligenz durch einen gemeinsamen, sich selbst regulierenden qualitätssichernden Prozess.“ (Meckel 2006: S.9)
Meiner Einschätzung nach ruht dieser qualitätssichernde Prozess auf vier Säulen:
a) Statistische Nivellierung der Extremwerte: Surowiecki (2004, zitiert nach Wikipedia) spricht hier von „der Weisheit der Vielen“, die darin besteht, dass – in Fallstudien erwiesen – Gruppenentscheidungen bei Problemlösungen besser sind als Einzelentscheidungen.
b) Informationsmanagment, das dem Open-Source-Prinzip folgt: „ähnlich einer Aktiengesellschaft, in der jeder Aktionär als Kapital sein Wissen, seine Erfahrungen im Raum, seine Fähigkeit zu lernen und zu lehren einbringt.“6 (Lévy 1997: S.114, zitiert nach Hartmann 2008: S.108)
c) Transparenz des Informationsherstellungs- und Teilungsprozess: „Die User können die ursprüngliche Entwicklung der Information beobachten und sie können auch sehen, wie die Information weiterverbreitet wird.“ (Meckel 2006: S.9)7
d) Egalität und kollektiver Nutzen: Der Prozess garantiert, dass alle Beteiligten davon profitieren. Das Konzept „Kollektiv“ bezeichnet nicht die totalitäre Variante, in der sich das Individuum der Masse unterwirft (vgl. Hartmann 2008: S.108), sondern eine Ermächtigung des Einzelnen in der Gruppe. Denn letztlich existiert jede miteinander kooperierende Gruppe von Menschen in der Welt der Konkurrenzgesellschaften nur deswegen,
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vgl. dazu die Idee der BarCamps, die ebenfalls aus der Online-Kultur entstanden sind und auf diesem Prinzip aufbauen 7 Inwiefern ein Inhalt hierbei auch geändert werden kann, hängt u.a. von den Lizenzbedingungen ab, vgl. Creative Commons, die ihrerseits zur Transparenz beitragen
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„weil jeder innerhalb der Gruppe erkannt hat, dass es irgendetwas von Wert gibt, das zu erlangen nur im Zusammenwirken aller möglich ist.“ (Rheingold 1994: S.25)
In ebendiesem letzten Punkt zeigt sich auch die Bedeutung der Netzstruktur. Im Gegensatz zu hierarchisch-dirigistischen Organisationsstrukturen gibt es kein „oben“ und „unten“. Jedem Knotenpunkt (node) des Netzes kommt (zumindest systemtheoretisch) die gleiche Wichtigkeit zu. Eine Egalität, die durch die „Nichtübertragung von social context cues“ (Misoch 2006: S.72, Hervorhebung im Original) noch verstärkt wird: Bei computervermittelter Kommunikation werden nämlich statusbezogene Zeichen nicht (oder kaum) übertragen, wodurch eine „Egalisierung der Interaktionssituation“ (ebd.) eintritt.8
Farnberger (2008: o.S.) vergleicht „alte“ und „neue“ Strukturen, in dem er die Organisation eines Löwenrudels und eines Ameisenstaates gegenüberstellt und in folgender Visualisierung auf den Punkt bringt:
Abbildung 3: Britannica vs. Wikipedia
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vgl. „Social Cues Filtered Out Approach“ von Kiesler et al. (1984/1986/1991, zitiert nach Misoch 2006. S.72f.)
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Beziehungsweise:
Abbildung 4: Old Media vs. Social Media
Wie aber können „Old Media” von „Social Media“-Strukturen profitieren? Das ist die Diskussion, die derzeit stark emotionalisiert geführt wird. „YOUR OLD JOURNALISM JOB IS NEVER COMING BACK THE WAY IT WAS. Reinvent yourself!”, twittert Ruth Anne Harnisch (26.6.2009, Hervorhebung im Original) Worin könnte diese „Reinvention“, ein neues journalistisches Selbstverständnis bestehen?
2.6 Die Rolle des Journalisten in einer Welt der „Social News“ 9 In der Literatur zum Thema Online-Kommunikation bzw. Online-Journalismus wird immer wieder darauf hingewiesen, „dass durch Erweiterung der Kommunikationsmodi das einseitige Sender-Empfänger-Prinzip aufgelöst und so die Mediennutzung demokratisiert werden könne.“ (Loosen / Weischenberg 2000: S.89). 9
der Begriff „Social News“ wird für unterschiedliche Sachverhalte verwendet. Ich benutze ihn als Aggregat aus „Social Media“ und „News“, also für Nachrichten, die aus einem sozialen, partizipatorischen Kontext heraus entstehen. In diese Kategorie fällt auch der Begriff des „Citizen Journalism“ (vgl. dazu http://en.wikipedia.org/wiki/Citizen_journalism)
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Das käme der Eingangs erwähnten Utopie von Brecht nahe, dem Modell eines partizipativ-emanzipatorischen Mediengebrauchs. „Zweifellos bietet das Internet ein besonderes Interaktionspotential“, merken Loosen und Weischenberg (ebd.) an, „Und damit auch Chancen, das kommunikationsbestimmte In-group-Verhalten von Journalisten, das immer wieder beklagt worden ist, zu unterlaufen.“ Konsequent weitergedacht käme es dadurch zu einer publizistischen Aufwertung des Publikums, die nicht im Interesse des etablierten (Berufs-)Journalismus ist, denn letztlich würde dieser „damit Gefahr laufen, seine Systemgrenzen bis hin zum Identitätsverlust aufzuweichen.“ (ebd., S.90) Zwar gibt es immer wieder Entwürfe eines Journalismus der Zukunft, bei dem den Journalisten die Funktion von Moderatoren oder Community Managern zukommt, allerdings: „Ein Kommunikator der überhaupt keine Aussagen mehr produziert, sondern lediglich den technischen Ablauf der Kommunikation kontrolliert (...), wäre wohl auch gar kein Journalist mehr.“ (Loosen / Weischenberg 2000: S.90) Er wäre höchstens ein weiterer „Knotenpunktes in einer Fülle von Netzen und Teilöffentlichkeiten“. (Friedrichsen et al. 1999. S.141, zitiert nach Loosen / Weischenberg 2000: S.90)
Was hier deutlich negativ konnotiert ist, empfindet Flusser (2007: S.274) de facto als Befreiungsschlag: „Vom Standpunkt der Information sind diskursive Medien Informationskonserven, und die weitgehend von diskursiven Medien gespeiste Massenkultur ist eine konservative Gesellschaft. Revolutionär wäre, solche diskursiven Medien zu dialogischer Funktion umzuwandeln. Meiner Meinung nach ist dies die heute einzig mögliche Form einer revolutionären Aktion in der Konsumgesellschaft.“ Was des einen Apokalypse, ist des anderen Utopie10. Unabhängig vom persönlichen Erleben wird aber klar: Um als Journalist deutlich erkennbar zu bleiben, muss selbiger auf Qualitäten rekurrieren, die auch unter sich laufend ändernden Bedingungen invariant bleiben.
Ein Wertewandel findet (analog zur Internetpiraterie-Debatte) auch hier in puncto Urheberrecht und geistiges Eigentum statt: Nachrichten, die aus kollektiver Online10
oder, um in Web 2.0-Terminologie zu bleiben: „Was des einen Mist ist, ist des anderen Mashup“ (AkinHecke, 11.6.2009)
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Intelligenz aggregiert werden, sind nicht im herkömmlichen Sinn „Eigentum“ des vermittelnden Journalisten. Durch seine Selektion (Stichwort: Gatekeeper), durch seinen quellenkritischen Umgang, durch seine Bearbeitung und letztlich auch durch sein Bekenntnis zu Transparenz und Community, kann der Journalist den Nachrichten aber einen Mehrwert verleihen. Wie so etwas ablaufen kann, wird von Jeff Jarvis eindrucksvoll geschildert:
„Journalists end up playing new roles in the news ecosystem. Again, I followed the Iran story in the live blogs of The New York Times, the Guardian, the Huffington Post, and Andrew Sullivan and they performed new functions: curating, vetting, adding context, adding comment, seeking information, filling out the story, correcting misinformation. They worked with social media, quoting and distributing and reporting using it. I watched the filling out of the Neda video story as the Guardian called the man who uploaded it to YouTube and Paulo Coelho blogged about his friend in the video, the doctor who tried to save Neda. Piece by piece, the story came together before our eyes, in public. The journalists added considerable value. But this wasn’t product journalism: polishing a story once a day from inside the black box. This was process journalism and that ensured it was also collaborative journalism – social journalism, if you like.“ (Jarvis 2009: o.S.)
Fazit: „Social Journalism” – das bedeutet also den Rezipienten nicht mehr als passiven, sondern als aktiven Teilnehmer im Kommunikationsprozess wahrzunehmen. „Als Partner“, wie Albrecht (2006: S.32) vorschlägt, „denn die digitale Revolution macht potentiell jeden zum Anbieter von Content.“
Nicht unerwähnt bleiben darf auch der Punkt „Vertrauen“. Etablierte Medien genießen – insbesondere im deutschsprachigen Raum – einen Vertrauensvorsprung vor (noch) namen- und gesichtlosen Bloggern. Das darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass „Angebote der Konkurrenz nur einen Mausklick entfernt erreichbar sind.“ (ebd.) In einer Ökonomie der Aufmerksamkeit entwickeln markante und bekannte Marken (wie etwa die BBC oder auch Der Standard) eine stärkere Anziehungskraft (vgl. ebd.) Diese muss aber das in sie gesetzte Vertrauen bestätigen, wenn sie erhalten bleiben soll.
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3. Fallbeispiel Twitter Im Folgenden soll anhand von praktischen Beispielen gezeigt werden, wie sich der Brückenschlag zwischen Journalismus und dem Web 2.0-Tool Twitter gestaltet – manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreich. Die Auflistung erhebt dabei keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, zumal die Beziehung von „old“ und „new media“ eine sehr bewegte, sich konstant entwickelnde ist. (So wurde z.B. soeben der erste Twitter Client für Journalisten „gelaunched“: http://www.journotwit.com/)
3.1 #iranelection: Twitter als Nachrichtenagentur Twitterfall, eine Applikation zur Beobachtung zuvor ausgewählter Hashtags11 oder Themenbereiche, hat Einzug in den Newsroom des Daily Telegraphs gefunden (vgl. Oliver 2009: o.S.) und nimmt dort die Funktion eines Newstickers ein, der via Screen die Redaktion über die aktuellsten Updates informiert. Aber nicht alle journalistischen Institutionen öffnen sich derart für neue Medien. So heißt es etwa im Journalisten-Handbuch von Reuters (2008: o.S.): „Online information sources which rely on collaborative, voluntary and often anonymous contributions need to be handled with care.”12 Sicherlich, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit von kollaborativen Netzinformationen ist das zentrale Thema, will man Twitter als alternative Nachrichtenagentur nutzen. So verbreitete sich die Falschmeldung vom Tod des Schauspielers Jeff Goldblum via Twitter in Windeseile, wurde – aus welchen Gründen auch immer – von der Neuseeländischen Polizei bestätigt und unhinterfragt im neuseeländischen Fernsehen ausgestrahlt. (vgl. Skelton 2009: o.S.) Hätte es noch eines Beweises für die Notwendigkeit eines quellenkritischen Umgangs bedurft, so wäre er hiermit geliefert. „The word »confirmed« in so many tweets means little since one doesn't know who's confirming & how”, bemerkt Jeff Jarvis (20.6.2009). Tatsächlich unterscheidet sich Twitter darin aber kaum von
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Definition von Kanalley (2009): # – The hashtag can be used before any word or abbreviation on Twitter to make it easier for others to find who are interested in the same topic. It is commonly used at major events and conferences, as well as at times of breaking news (example: #Obama, #Iran). 12 Auch Wikipedia wird (nicht nur) von Reuters als Quelle abgelehnt und mit großer Skepsis betrachtet. Dabei gibt es bereits seit 2006 Studien, die Wikipedia-Einträge als ebenso akkurat wie Einträge der Ezyklopaedia Britannica ausweisen (vgl. Meckel 2006: S.9)
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anderen Quellen. „Warum soll ein Journalist glaubwürdiger sein, nur weil er ein Journalist ist?“ (Wallisch, Diskussionsbeitrag vom 24.6.2009)
Was Twitter als Nachrichtenagentur auszeichnet, ist die Geschwindigkeit, mit der Meldungen verbreitet werden. Beispiele, die inzwischen schon als klassische TwitterSternstunden gelten, sind die Anschläge auf das Hotel Taj Mahal in Mumbai (November 2008), die Landung eines U.S. Airways Jets am Hudson River (Jänner 2009)13 und der Amoklauf von Winnenden (März 2009), die zuerst über Tweets an die Öffentlichkeit gelangten.
Auch Sarah Palin, die nach Bekanntgabe ihres Rücktritts als Gouverneurin von Alaska für die Presse unerreichbar war, zog es vor, die Öffentlichkeit via Twitter und Facebook über ihre Motive zu informieren. Da keine anderen Informationen zur Verfügung standen, sah sich die Washington Post gezwungen, Palins FacebookStatement 1:1 abzudrucken (vgl. Cashmore 2009: o.S.)
In der unmittelbaren Vergangenheit waren es die Konflikte im Iran, die die Bedeutung von Twitter offenkundig machten. Eine umfassende Aufarbeitung der Ereignisse, die auf Twitter „#iranelection“, „#neda“ oder „#gr88“14 getagged wurden, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Auch die Rolle, die Twitter nach wie vor als Sprachrohr der oppositionellen Iraner spielt, kann hier keinen Platz finden. Was ich aber schon kurz ansprechen möchte, ist der Beitrag Twitters als Nachrichtenagentur.
Am 12. Juni 2009 fanden im Iran Präsidentschaftswahlen statt. Das Ergebnis wurde am Tag danach (Samstag, 13.6.2009) verkündet und der amtierende Präsident Mahmud Ahmadinedschad zum Wahlsieger erklärt. Bereits am selben Tag verdichteten sich Gerüchte bezüglich Wahlbetrug und Manipulation. Anhänger des Oppositionskandidaten Mir-Hossein Mousavi gingen auf die Straße. Es kam zu Massenprotesten und Straßenschlachten – unbemerkt und unkommentiert von Mainstream-Medien: „The leading name in news, CNN, is shockingly absent from the story” (Kirkpatrick 2009: o.S.) Während sich die Lage im Iran zuspitze, wurde weiterhin „brav (...) auf praktisch allen Sendern der offizielle Wahlsieg von Ahmadi-
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„There's a plane in the Hudson. I'm on the ferry going to pick up the people. Crazy.“ (Krums, 2009) „gr“ steht als Kürzel für „green revolution“, 88 ist das aktuelle Jahr nach iranischer Zeitrechnung.
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Nejad verkündet“ (Proschofsky 2009: o.S.). Statt dessen häuften sich die Berichte im Netz: Twitter meldete im Sekundentakt, auf youtube fanden sich die ersten Videos. Auf CNN lief ein Interview von Larry King mit einem Motorradkonstrukteur.
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. „Iran went to hell. Media went to bed.”, schrieb der Economist (18.6.2009). „Dear CNN, Please Check Twitter for News About Iran” titelte die New York Times (14.6.2009) und im Standard schaffte es sogar das twitterinterne Kategorisierungsgimmick Hashtag (#) in die Schlagzeile: „#CNNFail: Der Iran und das Versagen der klassischen Medien“ (15.6.2009)
Inzwischen hatten die klassischen Medien aufgeholt. Spätestens am Montag, 15.6.2009, gab es auch „offline“ kein Vorbeikommen mehr an den Protesten im Iran. Die Geschichte zeigt aber deutlich: „Twitter has proven a powerful tool for spreading news of developing events in the country, but it has also taken on the role of media watchdog: thousands of Twitter users adopted the hashtag #CNNfail to highlight a lack of Iran coverage from the news organization. “ (Cashmore 2009: o.S.)
Wie aber konnten traditionelle Medien über den Iran berichten? Nachdem das ursprünglich auf 10 Tage ausgestellte Visum ausländischen Wahlberichterstatter nicht verlängert wurde, mussten diese die Krisenregion verlassen. Informationen waren vor Ort nicht mehr recherchierbar. Im ZIB2Tagebuch schildert Armin Wolf:
“Ein ganz zentraler Informationsweg ist deshalb in den letzten Tagen Twitter geworden (...) Wer über die Twitter-Suchfunktion nach "Iran" sucht, bekommt in einer atemberaubenden Geschwindigkeit immer neue Meldungen zu lesen. Hunderte pro Minute! Das Problem dabei: sehr viele dieser sogenannten "tweets" werden von den Lesern gleich weitergeschickt, wiederholen sich also dutzende Male. Und sie sind natürlich schwer zu verifizieren. Aber Journalisten auf der ganzen Welt haben in den letzten Tagen die "Live-Berichterstattung" via Twitter verfolgt (...) Die US-Regierung hat sogar an die Twitter-Betreiber appelliert, eine einstündige Service-Unterbrechung heute abend zu verschieben - wegen der vielen Iran-Meldungen.“ (Wolf 2009: o.S.)
Tatsächlich bestand der ZIB2-Beitrag zum Thema Iran am 24.6.2009 ausschließlich aus User Generated Content (UGC): Die Videoeinspielungen lieferte die Plattform youtube/citizentube, die von youtube speziell für iranischen Bürgerjournalismus
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aufgesetzt wurde. Die zitierten Texte eines betroffenen Iraners stammten von @persiankiwi, einem anyonymen Twitteruser.
Auch der Standard schreibt: „Wer wirklich topaktuelle Bilder und Berichte über die aktuelle Situation im Iran haben will, der kommt an Twitter und Co. (...) kaum mehr vorbei. Gerade das Microblog erweist sich derzeit als relativ resistent gegen die Zensurversuche der Behörden, jenseits der traditionellen Medien werden hier laufend neue Videos, Bilder und kurze Berichte über die Situation geliefert.“ (Proschofsky 2009: o.S.)
3.2 „If you knew Neda personally tell us more”: Twitter als Recherchetool Am 21.6.2009 twitterte die NBC-Journalistin Ann Curry folgenden Aufruf: „If you knew Neda personally tell us more. Is her family willing to speak about her and what she cared about? #iranelection“ (Curry, 21.6.2009) Neda Agha-Soltan, jene iranische Studentin, die zu einem Aushängeschild der “Grünen Revolution” werden sollte, war am Vorabend erschossen worden.
Jenseits der Frage, ob es sich hier um Betroffenheitsjournalismus handelt, zeigt Currys Tweet, wie Twitter als Recherchetool eingesetzt werden kann. Auf Grund ihrer hohen Zahl an Followern (246.285 – Stand von Juli 2009) und dem zu erwarteten Schneeballeffekt war mit einer verwertbaren Antwort zu rechnen.
Es gibt aber noch andere, indirektere Methoden, die Twitter als Werkzeug auszeichnen: Die Twittersuche (http://search.twitter.com/) ermöglicht – vor allem in Verbindung mit Hashtags – gezieltes Suchen nach Stichwörtern. Bei aktuellen Themen sind die Ergebnisse dabei akkurater als bei Google. Da Google einen Algorithmus verwendet, der gut verlinkte (und daher ältere) Websites bevorzugt, werden Ereignisse, die gerade im Moment der Suche stattfinden, nicht erfasst. Twitter Search ermöglicht hingegen „Echtzeitsuche“. Wer also Informationen über den Fußballverein Los Angeles Galaxy sucht, ist bei Google gut aufgehoben. Wer jedoch Interesse an dem Tor hat, das David Beckham vor zwei Sekunden für Los Angeles Galaxy geschossen hat, wendet sich an Twitter Search.
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Ein zusätzlicher Mehrwert entsteht durch die Nutzung von Hashtags bei der Suche. Hashtags konstituieren ein „semantisches Tagging“. Sie ordnen einer Aussage/Information einen Kontext zu. Zwar steckt das tatsächlich semantische Web noch in den Kinderschuhen, Twittersuche mittels Hashtags bietet aber eine quasi „handgestrickte“ Variante.
3.3 Trending Topics & Didi Constantini: Twitter als Ideenpool „Fasse zusammen: Wolf weg, Milborn weg, Lachner weg, Zielina noch weg, werde fürs Sommerloch neue Twitterer brauchen, um an Content zu kommen“ – Thomas Mohr15, 3.7.2009
Nicht nur fürs Sommerloch werden Ideen auf Twitter gesucht. Global Player wie Reuters beobachten die Twittertrends (vgl. O’Connor / Stone 2009: o.S.) ebenso wie österreichische Kolumnisten. Dass Twitter am rechten Bildschirmrand selber eine Liste der „Trending Topics“ führt, erleichtert die Sache ungemein. Hier konnte man z.B. erkennen, dass Mitte Juni Twitteruser begeistert ein Spiel betrieben, indem es darum ging, „postkoitale Kommentare“ (Kuhn 2009: o.S.) zu erfinden, möglichst witzig, absurd und – dem Medium entsprechend – prägnant: #threewordsaftersex lautete der entsprechende Hashtag.16 Kurz darauf (13.6.2009) erschien die Sexkolumne von Gabriele Kuhn im Kuriermagazin Freizeit, die (mit Verweis auf Twitter) ebendies zum Thema hatte. Dabei ist anzumerken: Gabriele Kuhn twittert selber nicht. Ihr Account ist verwaist (nur zwei Updates, das letzte von 27. Februar17). Man muss also nicht twittern, um Twitter zu nutzen.
Wer nicht die Trending Topics verfolgt, findet Ideen einfach durch Fragen. Armin Wolfs fussball-agnostischer Tweet ist inzwischen legendär: „Darf/muss um 20h15 Didi Constantini interviewen. Habe keine Ahnung von Fussball! Was soll ich fragen?“ (Wolf, 5.3.2009).
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Moderator der Austria News in SAT1 nachvollziehbar auf http://hashtags.org/ 17 Stand: 11.7.2009 16
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Auch Ingrid Brodnig rekurrierte für ihren Twitter-Artikel im Falter18 auf den Ideenpool der Twitteruser: „hallo an alle 111 follower! kurze umfrage: was gefällt euch an twitter?“ (Brodnig, 28.6.2009/1) – und hatte bereits sechs Stunden später ausreichend Material gesammelt: „Danke für die zahlreichen Antworten! Ich werde schauen, das im kommenden Falter unterzubringen.“ (Brodnig, 28.6.2009/2)
3.4 Blick am Abend: Twitter als User Generated Content Es geht noch direkter. Während die Beispiele Brodnig, Kuhn und Wolf Twitter als einen Ideenpool ausweisen, der Ansatzpunkte für journalistische Contentproduktion liefert, übernimmt die Schweizer Gratiszeitung Blick am Abend Twittercontent eins zu eins, sprich unbearbeitet:
„Nachrichten auf Twitter sind oft zu gut, um sie in den Tiefen des Netz’ versauern zu lassen. Seit Anfang der Woche druckt Blick am Abend darum täglich den »Tweet des Tages«. Meistens greift er ein aktuelles Thema auf. Dazu durchforsten wir jeden Morgen Twitter nach guten Beiträgen (via search.twitter.com). Natürlich dürfen Sie uns auch auf einen guten Beitrag aufmerksam machen – egal, ob er nun von Ihnen oder anderen Usern stammt. senden Sie ihn uns per Twitter an www.twitter.com/blickamabend“ (Benkö 2009/1: S.22)
Die Auswahlkriterien hat Benkö klar definiert: Der „Tweet des Tages“ soll: –
neu bzw. höchstens 24 Stunden alt sein.
–
zum Thema des Tages - oder sonst zu einer größeren Geschichte im Blatt passen
–
möglichst keine Links/Kurz-URLs enthalten und in sich geschlossen verständlich sein
–
deutsch geschrieben sein
–
aus der Schweiz stammen
(vgl. Benkö 2009/2)
Die Integration von Twitter und Print wird von Blick am Abend auf mehreren Ebenen vorexerziert, so etwa wenn es um Leserfeedback oder die Suche nach neuen Werbespeüchen geht (vgl. ebd.). Auch lokale Chronikmeldungen der Kategorie 18
Brodnig, Ingrid (2009): Wir haben alle einen Vogel! In: Falter 27/09. Wien: Falter Verlag
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„dümmster Autofahrer Zürichs“ basieren auf Twittermeldungen. Das liegt sicher auch daran, dass Nachrichtenchef Benkö selber Blogger und sehr Web-affin ist. Dieser Affinität kommt nicht nur redaktionell Bedeutung zu. Sie kommt auch zu tragen, wenn es darum geht, sich als Medium auf Twitter zu präsentieren.
3.5 Dinner mit Demi: Selbstpräsentation und Leser-Blatt-Bindung via Twitter Man mag gegenüber Blick am Abend durchaus einen kritischen Standpunkt einnehmen, der zeitungseigene Twitterauftritt ist aber gut und zielgruppenadäquat betreut. Das ist keine Selbstverständlichkeit. So hat beispielsweise die New York Times mit Jennifer Preston einen eigenen Social Media Editor engagiert, deren Job es ist, die Social Media Auftritte des Blattes zu betreuen. Die anfängliche Euphorie über diese Brücke zwischen old und new media, ist inzwischen in Kritik umgeschlagen, da Preston keine wahrnehmbare online Präsenz zeigt und ihr Mangel an (Social-Media-)Verständnis und Engagement vorgeworfen wird (vgl. Schroeder 2009: o.S.) Sicherlich ein wichtiger Lernprozess für die Beteiligten, denn: Gut genützt bietet ein Twitterauftritt sowohl Medien, als auch einzelnen Journalisten Möglichkeiten, sich als Marke zu etablieren bzw. eine starke Bindung zum Publikum aufzubauen.
3.5.1 Exkurs: Was bedeutet Medienbindung und wie entsteht sie? „In der Leserschaftsforschung bezeichnet Leser-Blatt-Bindung den Grad der Verbundenheit und der emotionalen Affinität der Leser zu einem Periodikum.“ (Koschnick 2003: o.S.) Der Begriff bezieht sich ursprünglich auf den Print-Bereich, die zugrunde liegenden Mechanismen können aber prinzipiell auf andere Medien übertragen werden, weshalb in der Literatur immer häufiger von Nutzer-Medium-Bindung (bzw. verkürzt „Medienbindung“) die Rede ist. (vgl. Koschnick: ebd.).
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Medienbindung kommt der werbetreibenden Wirtschaft ebenso zugute, wie dem jeweiligen Medium und den Rezipienten selbst. Ein hoher Grad an Bindungsstärke19 bedeutet demnach einen Mehrwert für sämtliche Beteiligten des Kommunikationsprozesses.
Bei der Entstehung von Medienbindung spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Neben klassischen Werten wie Kontinuität, Verlässlichkeit, Qualität etc., kommt dem Bereich der Interaktivität und der Nutzereinbindung eine immer größere Bedeutung zu. Dabei muss jedoch zwischen „echter“ und „unechter“ Interaktivität unterschieden werden. (vgl. Loosen/ Weischenberg 2000: S.85f)
„Unechte“ Interaktionselemente sind z.B. eine Suchfunktion, ein Archiv oder Links. „Als »echte« Interaktionsangebote würde man demgegenüber eher alle Elemente bezeichnen, die User-Feedback und direkten Austausch ermöglichen“ (ebd.), also eine computergestützte Mensch-Mensch-Kommunikation.
3.5.2 Medienbindung via Twitter Die angesprochene Unterscheidung ist wichtig, wenn man sich ansieht, wie unterschiedliche Medien Twitter nutzen. Wird Twitter in seiner Pushfunktion genutzt, um die neuesten Schlagzeilen des eigenen Printproduktes zu verlautbaren? Oder kommt es zu „echter“, sprich Mensch-Mensch-Interaktion? Es zeigt sich, dass auf Twitter (mit wenigen Ausnahmen) nur letzteres Erfolg bringt.
Kommunikatoren, die auf Twitter reüssieren wollen, müssen die klassischen Massenkommunikationsformen one-to-many oder few-to-many, durch Integration vielgestaltiger anderer „Kommunikationsmodi wie one-to-one, one-to-few und manyto-many-Kommunikation“ (Loosen, Weischenberg: 2000: S.74) ergänzen. Dadurch ergeben sich „neue Rückkopplungsmöglichkeiten und damit erweiterte Möglichkeiten der Interaktion“ (ebd.)
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„Ein von der Regionalpresse e.V. in ihrer Studie zum "Einkaufs- und Informationsverhalten 1990" entwickelter Index der Medienbindung, der mit Hilfe von drei Fragen zur Nähe, Vertrautheit und zum Vermissen eines Mediums ermittelt wurde.“ (Koschnick 2003: o.S.)
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Wo das gelingt, entsteht auch Medienbindung der Nutzer an das eigene Stammmedium, denn: Interaktion vermittelt soziale Präsenz. Soziale Präsenz erzeugt jene emotionale Affinität (s.o.), auf der Medienbindung beruht.
Die Social Presence Theory von Short/Williams/Christie (1976, zitiert nach Misoch 2006: S.63f) geht davon aus, dass „der entscheidende Faktor, durch welchen sich Medien voneinander unterscheiden, in dem Ausmaß der medial vermittelten sozialen Präsenz gesehen werden kann.“ (ebd.)
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Das Konzept „soziale Präsenz“ wird dabei von den Autoren mit den Begriffen Intimität und Unmittelbarkeit verknüpft, wobei folgende Relationen entstehen: –
Soziale Präsenz trägt zur Entstehung von Intimität bei.
–
Unmittelbarkeit unterstützt und verstärkt Intimität.
–
Unmittelbarkeit verstärkt soziale Präsenz.
(vgl. Misoch 2006: S.64)
Das folgende Beispiel zeigt wie Euke Frank, Chefredakteurin der Zeitschrift WOMAN, die angesprochenen Konzepte via Twitter umzusetzen vermochte.
3.5.3 Euke & Demi – Unmittelbarkeit & Intimität „auch wenn es derzeit wichtigeres20 zu twittern gibt: werde heute mit demi moore zu abend essen....“, twittert Euke Frank am 23.6.2009 (1)21, und verspricht: „... und werde aus paris twittern, ob ihr gatte ashton auch twittert...“ (2)
Was folgt ist ein Live-Bericht (hier nur auszugsweise wiedergegeben), den Frank via Mobiltelefon an die Leser schickt: Von ihrer Fahrt zum Flughafen, dem Wetter in Paris, ihr Warten auf den Superstar – „zwischen ihr und mir sind bloss zwei personen - aber bislang ist nur ihr tischkaertchen anwesend...“(3), kleine Beobachtungen – „sie ist heiser!“ (4) – etc. Dazwischen kommt Frank ihrer Funktion als Reporterin für ein Frauenmagazin nach – „so, und jetzt soll ich noch herausfinden, von wem das federkleid ist, das sie traegt....“ (5), bzw. kurz darauf: „sie weiss nicht, von wem das kleid ist, das sie traegt. aber sie schickt ein mail. versprochen!“ (6)
Der viel diskutierte „Prozessjournalismus“ (im Gegensatz zu „Produktjournalimus“) entspinnt sich hier vor den Augen der Follower (vgl. Jarvis 2009/2: o.S.). Und das in aller Unmittelbarkeit. Frank hat kein Interesse daran, ein geschliffenes fertiges Produkt abzuliefern. Sie vertippt sich, bessert sich selber aus, entschuldigt sich dafür (jeweils nachzulesen auf http://twitter.com/EukeFrank). Leser und Leserinnen, die den Bericht lieber in Reinschrift wollen, können – darauf weist sie natürlich hin – ihn 20
Frank twittert generell in Kleinbuchstaben; ich habe die Schreibweise beibehalten aufgrund der Menge habe ich die Tweets in diesem Abschnitt durchnummeriert, genauere Angaben dazu finden sich im Quellenverzeichnis 21
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in der Juli-Ausgabe von WOMAN nachlesen. Wer aber die Unmittelbarkeit schätzt, verfolgt Franks Twitterstream.
Neben Unmittelbarkeit stellt Frank auch sehr geschickt Intimität her. Sie etabliert sich in Bezug auf ihre Leser- und Followerinnen als „Schwester im Geiste“: „maedels, sie isst brot! nix da mit trennkost und keine kohlehydrate“ (7) – und dann: „gut, wenn sie sie nicht isst, dann ess ich eben ihre schokokugel vom kaffee...“ (8)
Dazwischen besinnt sie sich auf den interaktiven Charakter der Twitterkommunikation, beantwortet die Frage eines Followers und nimmt „Aufträge“ entgegen: „soll ich peinlich werden und um ein autogramm fragen. eh nicht fuer mich. will einer eines?“ (9)
Wenn sie ein paar Tage später auf die aktuelle (und gleich auch die darauffolgende!) Ausgabe von WOMAN verweist, so kann man das getrost als „Best Practise“ im Bereich Social Media Marketing bezeichnen: „ps: seit gestern am markt: woman mit twitter-story. war erst der anfang, die naechste folgt im august.“ (Frank, 4.7.2009)
Auch Rappold (2009: o.S.) kommentiert: „These: Wenn Frau Frank so weitermacht, dann hat Sie in 1 Jahr vielleicht 6.000 Follower, zum großen Teil Frauen (oder Männer wie mich), die Informationen wie welches Kleid Demi anhatte, oder die Autogrammkarte von Ihr (zumindest die Kopie) so neugierig machen, dass sie das nächste Woman kaufen (und lesen!).“
3.5.4 Armin Wolf In Österreich kann man das Phänomen Medienbindung via Twitter nicht beschreiben, ohne auf Armin Wolf einzugehen. Armin Wolf hat am 13.2.2009 zu twittern begonnen. Bis zum heutigen Tag (Stand: 11.7.2009) hat er 6392 Follower um sich versammelt und einen Output von 1617 Tweets geliefert. Im Juni brachte ihn das auf Platz 16 der deutschsprachigen (also nicht ausschließlich österreichischen) Twittercharts. Wolf twittert nicht als Privatperson, das gab er immer wieder in Interviews an (so etwa im Standard-Interview am 16.3.2009). Er nützt Twitter, um „Hintergrund-Info zur
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ZiB2 zu geben, über die Sendung zu diskutieren, Feedback zu kriegen und auch Infos. (...) ich hoffe, es ist auch nicht fad.“ (Wolf im Interview, 30.4.2009) Und, so das allgemeine Urteil: „Wolf macht das richtig gut - davon könnten sich einige Journalisten, Politiker und andere Twitter-Promis ein Stück abschneiden.“ (Farnberger, 2009: o.S.)
Was Wolf zustande bringt, ist eine Art Wertschöpfungskette zwischen der Zeit-imBild, Twitter und dem ZIB-Tagebuch, einem Moderatoren-Blog auf orf.at:
–
vor der ZIB2 kündigt Wolf die Themen der Sendung an und holt sich Inputs für Interviews: „Albertina-Chef Schröder hat als ZiB2-Gast heute zugesagt: Was würden Sie ihn den fragen?“ (Wolf, 1.7.2009).
–
während der ZIB2 können seine LeserInnen dann das Ergebnis der InterviewRecherche verfolgen
–
nach der ZIB2 diskutiert er Feedback auf Twitter, gibt zusätzliche Hintergrundinfos im ZIB-Tagebuch, auf die er wiederum in seinem Twitterfeed verweist
Auch hier entsteht Leserbindung durch Interaktion und Unmittelbarkeit. Der ZIB2Seher wird – zumindest gefühlsmäßig – „vom Konsumenten zum Komplizen“ (Albrecht 2006: S.32).
3.6 Grüne Vorwahlen: Agenda-Setting via Twitter Der Kerngedanke der Agenda-Setting-Hypothese geht ursprünglich davon aus, dass die Medien „gewissermaßen fest[legen], welche Themen wir auf unsere Tagesordnung (Agenda) setzen.“ (Burkart 2002: S.248f). Immer wieder wurde jedoch darauf hingewiesen, dass die Richtung der Kausalität (so sich eine solche überhaupt nachweisen lässt) auch umgekehrt sein könnte: „Es könnte ja auch das Publikum mit seinen thematischen Präferenzen die Agenda der Medien beeinflussen, weil die Zeitungen und Rundfunkanstalten, die auf einem konkurrierenden Markt bestehen müssen, ohnehin versuchen, sich an den Interessen ihrer Rezipienten zu orientieren.“ (ebd., S.250)
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Zwei Elemente dieser These müssen in Zusammenhang mit Twitter gesondert betrachtet werden:
a) die Interessen der Rezipienten: Twitter verleiht den Rezipienten eine Stimme: „The world of Web 2.0 is also the world of what Dan Gillmor calls »we, the media«, a world in which »the former audience«, not a few people in a back room, decides what's important.” (O’Reilly, 2005: o.S.) Wer twittert, vor allem, wer das konsequent und vor ausreichend großer FollowerAudience tut, wird gehört. Auch vor Web 2.0 hatten Rezipienten die Möglichkeit, ihre Interessen auszudrücken (etwa durch Kauf bzw. Nichtkauf von Medienprodukten). Seit Web 2.0 tun sie es jedoch lauter und klarer.
b) die konkurrierende Marktsituation der Medien „Lesson: Network effects from user contributions are the key to market dominance in the Web 2.0 era.” (O’Reilly, 2005: o.S.) Kurz: Wer am Markt bestehen will, kommt um User Contributions nicht herum.
Die Frage, ob Agenda Setting via Twitter stattfinden kann, muss also eindeutig bejaht werden. Dass dem nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch so ist, zeigt das Beispiel „Grüne Vorwahlen“.
Die Initiative „grüne Vorwahlen“ wurde von zwei aktiven Bloggern und einer Bloggerin ins Leben gerufen, um innerhalb der Wiener Grünen mehr Partizipation und eine Rückbesinnung auf basisdemokratische Grundwerte der Partei zu erwirken.
Die Ausgangssituation: Es gab kein Budget und keine Werbung. Die Initiative wurde von keinem der Beteiligten hauptberuflich betreut. Den Startschuss lieferten drei Blogeinträge am 1. April 2009, sowie deren Bewerbung via Twitter. Bereits am 2. April reagierte der online Standard („Grüne Basis auf Obamas Spuren“: http://derstandard.at/?url=/?id=1237229018219), in Print erschien jedoch nichts. Letztlich war das Thema auch zu klein, handelte (wenn man
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so will) nur von einem Fraktionsstreit innerhalb einer Landespartei, irrelevant für die Bundesebene.
Virale Effekte sind aber nicht zu unterschätzen. Mundpropaganda und Mobiliserung via Twitter, sowie ein gewisser „stickyness factor“ der Nachricht (vgl. Gladwell, 2002: o.S.) ließen das Thema wachsen.
Die Folge: Berichte in allen Mediensparten22, inklusive Fernsehbeiträge in den Sendungen „Report“ (26.5.2009) und „Zeit im Bild 2“(9.6.2009)
Die Twittersphäre hatte die „Grünen Vorwahlen“ auf die Medienagenda gesetzt.
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ein vollständiger Pressespiegel findet sich auf http://www.gruenevorwahlen.at/presse/
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4. Ausblick „I believe journalism is a sustainable business but it will not come via incrementalism & protectionism but from reinvention” – Jeff Jarvis, 2009
Im Jänner 2009 gründete der Journalist Craig Kanalley die Website „Breaking Tweets“, auf der internationale Nachrichten mittels Tweets berichtet werden: „Tweets are manually selected by editors based on relevance and arranged to tell a story in a journalistic style.” (www.breakingtweets.com, 2009) Auch das zeigt eine mögliche Herangehensweise.
Es ist eine von vielen. Diese Arbeit wurde mit dem Ziel verfasst, Optionen aufzuzeigen, nicht jedoch Handlungsanweisungen zu liefern. Es gibt viele Wege der Integration von old und new media. Die besonders im englischen Sprachraum vehement behauptete Opposition zwischen sogenannten MSM (mainstream media) und der Blogosphäre, zwischen Produkt- und Prozessjournalimus, ist – mit Verlaub – Unfug. Gerade der Ernstfall der Iranberichterstattung hat das eindrucksvoll bewiesen: “The winner of the Iranian protests was neither old media nor new media, but a hybrid of the two”, urteilt der Economist (o.V., 2009: o.S.). Und auch die ZEIT (16.6.2009)23 lieferte einen möglichen Einblick in die Zukunft der Berichterstattung. Am vierten Tag nach der Wahl im Iran veröffentlichte das renommierte Blatt eine Timeline der Ereignisse. Diese Timeline ist (wenn man so will) ein Mashup aus etablierten Medien (BBC, Guardian, Boston Globe etc.) und Bürgerjournalismus (Twitter, youtube, Blogs).
Das Bild einer starren medialen Unvereinbarkeit ist somit nicht haltbar. Genauso wenig haltbar ist jedoch das Bild eines Journalismus „as we knew it“.
23
Schlicht, Daniel: Volksaufstand im Netz (ZEIT ONLINE, 16.6.2009, http://www.zeit.de/online/2009/25/iranblog, Konsultation: 11.07.2009)
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Die für mich schlüssigsten Gedanken zum Thema hat Robert Picard in seinem Essay “The End Of Journalism?” zusammengefasst, weshalb ich ihm gerne ein längeres Schlusswort überlassen möchte:
“(…) Many of the voices and opinions, however, misunderstand the nature of journalism. It is not business model; it is not a job; it is not a company; it is not an industry; it is not a form of media; it is not a distribution platform. Instead, journalism is an activity. It is a body of practices by which information and knowledge is gathered, processed, and conveyed. The practices are influenced by the form of media and distribution platform, of course, as well as by financial arrangements that support the journalism. But one should not equate the two. (...) Journalistic processes and practices have thus never remained fixed, but journalism has endured by changing to meet the requirements of the particular forms in which it has been conveyed and by adjusting to resources provided by the business arrangements surrounding them. Journalism may not be what it was a decade ago-or in some earlier supposedly golden age-but that does not mean its demise is near. Companies and media may disappear or be replaced by others, but journalism will adapt and continue. It will adapt not because it is wedded to a particular medium or because it provides employment and profits, but because its functions are significant for society. The question facing us today is not whether journalism is at its end, but what manifestation it will take next.” (Picard 2009: o.S.)
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Links, die über mehr als zwei Zeilen gehen würden, habe ich zur einfacheren Handhabung mittels Short-URLDienst verkürzt.
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Rheingold, Howard (1994): Virtuelle Gemeinschaft. Bonn/Paris etc.: Addison-Wesley
Riegler, Birgit (2009): Was Armin Wolf zum Zwitschern findet. Auf: DerStandard.at (http://derstandard.at/fs/1234509249109?_seite=2&sap=2; Konsultation, 11.7.2009)
Schroeder, Stan (2009) : Should A Social Media Editor Use Social Media? Auf: Mashable. (http://mashable.com/2009/07/09/social-media-editor/ - Konsultation: 10.7.2009)
Schulzki-Haddouti, Christiane (2008): Mit Bloggern auf Augenhöhe. In: M Menschen Machen Medien, Nr.4/08. Berlin: ver.di
Skelton, John (2009): How I Killed Jeff Goldblum. Auf: John’s Blog. (http://johnskelton.blogspot.com/2009/06/great-jeff-goldblum-twitter-hoax.html, Konsultation: 10.7.2009)
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Wallisch, Gianluca (2009): Diskussionsbeitrag vom 24.6.2009 (zitiert nach Diskussionsmitschrift der Autorin)
Wolf, Armin (2009): Wie berichtet man über den Iran? Auf: ZIB2-Tagebuch (http://zib.orf.at/zib2, Konsultation: 10.7.2009)
5.2 Wikipedia-Einträge Citizen Journalism: http://en.wikipedia.org/wiki/Citizen_journalism (Konsultation: 10.7.2009)
Creative Commons: http://de.wikipedia.org/wiki/Creative_Commons (Konsultation: 10.7.2009)
Die Weisheit der Vielen: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Weisheit_der_Vielen (Konsultation: 10.7.2009)
5.3 Andere Quellen Benkö, Thomas (2009/2): Wie Print von Twitter profitieren kann. Präsentation. Auf: bö │ benkösblog (http://www.benkoe.ch/?p=2195, Konsultation: 11.7.2009) Fahrnberger, Helge (2008): About Lions and Ants. Präsentation. (http://www.slideshare.net/muesli/about-lions-and-ants-presentation, Konsultation: 10.7.2009)
Rheingold, Howard (2009): Interview für audioboo.fm (http://audioboo.fm/boos/39512-howard-rheingold-on-social-media-literacy-atcslive09; aufgenommen: 9.7.2009, Konsultation: ebd.)
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5.4 Tweets Akin-Hecke, Meral (11.6.2009): http://twitter.com/kigo/status/2114842353 (Konsultation: 10.7.2009)
Brodnig, Ingrid (28.6.2009/1): http://twitter.com/brodnig/status/2370924792 (Konsultation: 11.7.2009)
Brodnig, Ingrid (28.6.2009/2): http://twitter.com/brodnig/status/2374497622 (Konsultation: 11.7.2009)
Curry, Ann (21.6.2009): http://twitter.com/AnnCurry/status/2269186519 (Konsultation: 11.7.2009)
Frank, Euke (jeweils 23.6.2009, Konsultation: 11.7.2009): (1) http://twitter.com/EukeFrank/status/2296103303 (2) http://twitter.com/EukeFrank/status/2296129027 (3) http://twitter.com/EukeFrank/status/2298845674 (4) http://twitter.com/EukeFrank/status/2299053973 (5) http://twitter.com/EukeFrank/status/2300885466 (6) http://twitter.com/EukeFrank/status/2300978256 (7) http://twitter.com/EukeFrank/status/2299305080 (8) http://twitter.com/EukeFrank/status/2300815045 (9) http://twitter.com/EukeFrank/status/2300741197
Frank, Euke (4.7.2009): http://twitter.com/EukeFrank/status/2468283633 (Konsultation: 11.7.2009) Harnisch, Ruth Anne (26.6.2009): http://twitter.com/ruthannharnisch/status/2348870632 (Konsultation: 10.7.2009)
Jarvis, Jeff (20.6.2009): http://twitter.com/jeffjarvis/status/2255225422 (Konsultation: 10.7.2009)
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Jarvis, Jeff (10.7.2009): http://twitter.com/jeffjarvis/status/2571347511 (Konsultation: edb.)
Krums, Janis (15.1.2009): http://twitter.com/jkrums/status/1121915133 (Konsultation: 10.7.2009)
Lender, Robert (25.11.2008): https://twitter.com/RobLen/status/1023382891 (Konsultation: 9.7.2009)
Mohr, Thomas (3.7.2009): http://twitter.com/thomas_mohr/status/2452020990 (Konsultation: 10.7.2009)
Wolf, Armin (5.3.2009): http://twitter.com/ArminWolf/status/1283615281 (Konsultation: 11.7.2009)
Wolf, Armin (1.7.2009): http://twitter.com/ArminWolf/status/2421607754 (Konsultation: 11.7.2009)
5.5 Weiterführende Literatur Comm, Joel (2009). twitter power. How to Dominate Your Market One Tweet at a Time. New Jersey: John Wiley & Sons. Inc.
Johnson, Steven (2009): How Twitter Will Change The Way We Live. In: Time, Nr.24/2009. New York: Time Warner Publishing
Langer, Ulrike (2009): 10 Strategien für den Journalismus 2.0. Auf: medial digital (http://medialdigital.de/2009/06/03/global-media-forum-10-strategien-fur-denjournalismus-2-0/)
Shirky, Clay (2009): How social media can make history. Vortrag auf: TED (http://bit.ly/5dcuF)
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Nicole Kolisch
Simon, Nicole / Bernhardt, Nikolaus (2008). Twitter. Mit 140 Zeichen zum Web 2.0. München: Open Source Press
Eine “Recommended Reading”-Liste für Twitter stellt auch das „Centre for Learning & Performance Technologies“ (Somerset, England) zur Verfügung: http://www.c4lpt.co.uk/socialmedia/twitterrl.html (Konsultation: 11.7.2009) Die Aufzählung wird regelmäßig upgedated.
Hier findet man eine Liste der twitternden JournalistInnen Österreichs: http://www.baeck.at/blog/2009/03/12/twitternde-journalisten/#liste