Probleme In Der Mathematik

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WAS KÖNNEN SIE TUN, WENN SIE IN DER MATHEMATIK PROBLEME HABEN?

Vielleicht gehören Sie zu jenen Leuten, die sich mit der Mathematik schwer tun und sie auch grässlich finden. Dieser kurze Text soll Ihnen ein wenig helfen, Ihren Schwierigkeiten bei der Mathematik auf die Spur zu kommen.

Zuerst erläutere ich Ihnen, wie ich dies erreichen will. Ich gehe von folgender Überlegung aus:

Ganz gleich, ob Sie ein Buch lesen, mit dem Motorrad fahren oder ein Schnitzel zubereiten - alles, was Sie tun, stellt an Sie verschiedene geistige Anforderungen. Sind Sie diesen Anforderungen gewachsen, machen Sie die Dinge richtig. Sind Sie ihnen nicht gewachsen, machen Sie die Dinge falsch.

Dies ist in der Mathematik genau gleich. Jede Mathematikaufgabe stellt

an Sie

verschiedene geistige Anforderungen. Richtig lösen können Sie die Aufgabe nur dann, wenn Sie diesen Anforderungen gewachsen sind. Sind Sie Ihnen nicht gewachsen, machen Sie Fehler.

Damit Sie mit der Mathematik zurecht kommen, müssen Sie also dafür sorgen, dass Sie jene Anforderungen bewältigen können, die die Mathematikaufgaben an Sie stellen.

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Das jedoch gelingt Ihnen nur dann, wenn Sie auf 3 Fragen eine Antwort wissen:

In einem ersten Schritt müssen Sie wissen, welche Anforderungen die Aufgaben in der Mathematik überhaupt stellen können.

In einem zweiten Schritt geht es darum, dass Sie herausfinden, welchen Anforderungen Sie gewachsen sind und welchen nicht.

In einem dritten Schritt müssen Sie dafür sorgen, dass Sie die Anforderungen, die Ihnen Mühe machen, künftig besser bewältigen können.

Der Aufbau des Textes orientiert sich an diesen drei Schritten. In einem ersten Teil möchte ich Ihnen vor Augen führen, welche Anforderungen die Mathematik eigentlich stellt. In einem zweiten Teil schildere ich Ihnen, wie Sie vorgehen können, wenn Sie herausfinden möchten, welchen Anforderungen Sie nicht gewachsen sind. In einem dritten Teil gebe ich dann einige Tipps, die Ihnen helfen sollen, mit den Anforderungen besser zurecht zu kommen.

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I. Welche geistigen Anforderungen werden an Sie gestellt, wenn Sie Mathematikaufgaben lösen sollten?

In der Regel nehmen die Leute an, dass die Mathematik nur mit logischem und abstraktem Denken zu tun hat. Doch das stimmt überhaupt nicht. Wenn Sie eine Mathematikaufgabe vor sich haben, stellt diese ein ganzes Bündel verschiedener Anforderungen an Sie - und keineswegs alle dieser Anforderungen haben mit dem logischen und abstrakten Denken zu tun.

Man kann in der Mathematik vier verschiedene Anforderungen unterscheiden, die an Sie gestellt werden. Ich erläutere Ihnen diese Anforderungen an einem sehr, sehr einfachen Beispiel. Es hat auf den ersten Blick wenig mit dem zu tun, was in der Schule von Ihnen verlangt wird. Doch so überraschend dies vielleicht tönen mag: Die Anforderungen, die in der Schule in der Mathematik an Sie gestellt werden, sind nicht anders als jene, die Sie auch bei dieser einfachen Aufgabe antreffen.

Die Aufgabe, von der ich ausgehe, lautet:

Max hat 3 Murmeln; Moritz hat 64 Murmeln. Moritz gibt seine Murmeln Max - wie viele Murmeln hat Max?

Diese Aufgabe packen Sie an, indem Sie zuerst den Text lesen. Haben Sie ihn verstanden, können Sie sich ein Bild von dem machen, was im Text steht. Beim Beispiel mit den Murmeln gelangen Sie schnell zu einem solchen Bild: Vor Ihrem geistigen Auge sehen Sie zwei Knaben, von denen einer eine Anzahl Murmeln dem andern gibt.

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Wenn ich sage, dass Sie den Text verstehen sollen, habe ich eine erste Anforderung genannt, die in den meisten Mathematikaufgaben vorkommt:

Erste Anforderung:

Sie müssen sich ein Bild von dem machen, was im Text einer Mathematikaufgabe steht.

Dabei gibt es manchmal natürlich Schwierigkeiten: Wie Sie ihnen begegnen können, erläutere ich im dritten Teil.

Wenn Sie den Text verstanden und sich ein Bild gemacht haben, haben Sie die Rechnung natürlich noch lange nicht gelöst. Um dies zu tun, müssen Sie sich einer weiteren Anforderung stellen

- Sie müssen erreichen, dass ‚aus dem Text eine

Rechnung wird’.

Das ist bei unserem Beispiel nicht besonders schwierig - die Rechnung, die sich aus dem Text ergibt, lautet:

3 + 64 = ?

Wenn Sie sich diese Anforderung näher anschauen, sehen Sie, dass es hier um ein Übersetzen geht: Der Text der Rechenaufgabe ist in der gewöhnlichen deutschen Sprache formuliert

- und diesen Text müssen Sie in die Sprache der Mathematik

übersetzen.

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Dass ich hier von ‚übersetzen’ spreche, mag Ihnen merkwürdig vorkommen. Und doch ist es so: Das, was Sie als Mathematik kennen, ist eigentlich nichts anderes als eine spezielle Sprache, die ich hier als ‚Mathematiksprache’ bezeichne - und so kann man tatsächlich sagen, dass Sie bei der Mathematik von der alltäglichen deutschen Sprache in die Mathematiksprache übersetzen müssen.

Das kann man auch so darstellen:

Text auf Deutsch Max hat 3 Murmeln; Moritz hat 64 Murmeln. Moritz gibt seine Murmeln Max. Wie viele Murmeln hat Max?

Text in der Mathematiksprache

übersetzen Æ

64 + 3 = ?

Daraus ergibt sich die zweite Anforderung:

Sie besteht darin, dass Sie eine Textaufgabe in die Sprache der Mathematik übersetzen müssen.

Auch das geht nicht immer ohne Probleme - Hilfsmöglichkeiten finden Sie im Teil 3.

5

Ich gehe einen Schritt weiter. Stellen Sie sich vor, dass Sie einen Text in die Sprache der Mathematik übersetzt und jetzt folgende Aufgabe vor sich haben:

3 + 64 = ?

Die meisten Menschen können diese Aufgabe sofort lösen. Sie sagen, dass sie 67 ergibt. Die meisten Menschen sagen aber auch, dass sie nicht gerechnet haben, indem sie zur Zahl 3 die Zahl 64 hinzu gezählt haben. In ihrem Kopf haben die Menschen die Zahlen vertauscht. Sie sind nicht von 3 + 64, sondern von 64 + 3 ausgegangen.

Meistens merken die Leute gar nicht, dass sie beim Ausrechnen die Zahlen vertauscht haben. Es lohnt sich aber, wenn wir uns hier genauer ansehen, was da eigentlich passiert ist

- denn das, was passiert ist, führt zu einer weiteren

Anforderung.

Wenn man es sich genauer anschaut, merkt man es: Die Leute haben drei Schritte gemacht, als sie die Aufgabe ausrechnen mussten.

In einem ersten Schritt haben sie die Aufgabe gelesen und haben gesehen, dass sie 3 + 64 rechnen müssen.

In einem zweiten Schritt haben sie die Zahlen vertauscht: 64 +3 = ?

Und in einem dritten Schritt haben sie dann die Rechnung gelöst.

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Dass ich von Schritten gesprochen habe, ist kein Zufall. Sehr oft ist es so, dass man eine Mathematikaufgabe nur dann ausrechnen kann, wenn man verschiedene Schritte ausführt

- und zwar in der richtigen Reihenfolge ausführt. Das haben Sie

vermutlich als Kind schon gemerkt, als Sie eine Zahl durch eine andere teilen mussten

-

zum Beispiel 156 geteilt durch 12. Mit dieser Rechnung kamen Sie

zurecht, wenn Sie wussten, wie man schriftlich teilt. Und das heisst: Sie kamen mit ihr zurecht, wenn Sie wussten, was Sie als Erstes, als Zweites etc. mit den Zahlen zu tun haben. Sollte es Ihnen dagegen passiert sein, dass Sie nicht wussten, was Sie als Erstes, als Zweites etc. mit den Zahlen machen mussten, waren Ihre Probleme vorprogrammiert: Dann konnten Sie die Aufgabe nicht lösen.

Damit haben Sie eine dritte Anforderung kennen gelernt:

Sie müssen wissen, welche Schritte Sie in welcher Reihenfolge durchzuführen haben, um eine bestimmte Mathematikaufgabe zu lösen.

Man kann diese Anforderung nicht genug hervorheben: Sehr, sehr vieles in der Mathematik setzt voraus, dass man weiss, welche Schritte man in welcher Reihenfolge ausführen muss. Ganz besonders wichtig ist dies bei der Algebra, die Sie vielleicht hassen - da ist man absolut hilflos, wenn man nicht weiss, welche Schritte in welcher Reihenfolge gemacht werden müssen.

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Wir kehren ein weiteres Mal zu den beiden Knaben und ihren Murmeln zurück. Wir haben gesehen, dass es hier darum ging, eine Rechnung zu lösen, die wie folgt lautet:

64 + 3 =? . Als Kind haben die Erwachsenen für diese Aufgabe noch die Finger gebraucht, jetzt aber ist ihnen das Ergebnis klar, ohne dass sie irgendetwas gerechnet haben: Sie wissen ganz einfach, dass 3 + 4 als Resultat 7 ergibt: Wenn man so will, haben sie auswendig gewusst, was 3 + 4 gibt.

Das führt uns zur vierten Anforderung:

Wenn Sie Mathematikaufgaben lösen, müssen Sie Dinge aus Ihrem Gedächtnis abrufen, die Sie auswendig wissen sollten.

Dass man Dinge in der Mathematik auswendig wissen muss, kommt vielen Leuten sehr merkwürdig vor. Und dennoch ist es so: In der Mathematik muss man sich auf viele Dinge verlassen können, die man einfach m Kopf hat.

Das ist bei der Rechnung 3 + 4 so. Es ist auch bei der Rechnung 8 – 1 so, und es ist ganz allgemein bei dem so, was unter das ‚Kopfrechnen’ fällt. Es ist aber auch bei vielen andern Dingen so, an die Sie möglicherweise noch gar nie gedacht haben.

Es ist zum Beispiel bei allen Formeln so: Diese kann man durchaus auswendig lernen. Oder es ist bei den Masseinheiten so: Unlängst lernte ich eine Schülerin kennen, die angeben musste, wie viele Dutzende sich aus 156 Stück ergeben - und die scheiterte, weil sie nicht mehr auswendig wusste, wie gross eigentlich ein Dutzend ist : Sie dachte sich, dass es 10 Stück umfasst. 8

DIE ANFORDERUNGEN AUF EINEN BLICK

Eine typische Mathematikaufgabe kann an Sie vier verschiedene Anforderungen stellen:



den Text verstehen und sich ein Bild von dem machen, was im Text steht.



ihn in die Sprache der Mathematik übersetzen



sich erinnern, welche Schritte man tun muss, um die Rechnung zu lösen



sich an Dinge erinnern, die man auswendig wissen muss.

Jetzt wissen Sie, welche geistigen Anforderungen die Mathematikaufgaben an Sie stellen können. Der Frage ‚Woran scheitern Sie?’ gehen wir im zweiten Teil nach.

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II. Welche Anforderungen machen Ihnen Mühe?

Sie haben jene vier Anforderungen kennen gelernt, die von Ihnen verlangt werden, wenn Sie Mathematikaufgaben lösen sollten. Sie wissen jetzt auch, dass die Mathematikaufgaben diese Anforderungen stellen können. In einem nächsten Schritt müssen Sie sich ein Bild davon machen, welche Anforderungen Ihnen Probleme bereiten. Das zu tun, ist extrem wichtig. Wenn Sie nicht ein genaues Bild davon besitzen, welche Anforderungen für Sie zu hoch sind, können Sie auch nie gezielt an jenen Anforderungen arbeiten, die Ihnen Mühe machen. Und dann werden Sie in der Mathematik auch nie besser.

Wenn Sie herausfinden wollen, welche Anforderungen Ihnen Mühe machen, müssen Sie folgende Fragen beantworten: •

Habe ich den Text der Aufgabe verstanden, oder konnte ich mir von Anfang an kein Bild von dem machen, worum es eigentlich geht?



Konnte ich die Aufgabe in die Mathematik übersetzen - oder wusste ich nicht, wie ich dies tun muss?



Wusste ich immer, was ich beim Lösen der Aufgabe als nächstes zu tun habe - oder gab es Momente, in denen ich nicht sicher wusste, wie der nächste Rechenschritt aussieht, denn ich machen muss?



Bin ich am Wissen und damit an den Kleinigkeiten gescheitert - habe ich eine Formel falsch erinnert, habe ich falsche Grössenordnungen gewählt etc.?

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Wie können Sie herausfinden, an welchen Anforderungen Sie scheitern?

Es gibt drei Möglichkeiten.

1. Fehleranalyse

Eine erste Möglichkeit besteht darin, dass Sie Ihre eigenen Prüfungen ansehen und sich die Frage stellen, wo genau Sie gescheitert sind und was genau Sie falsch gemacht haben.

Begreiflicherweise widerstrebt es den meisten Leuten, ihre eigenen Prüfungen genauer anzusehen, wenn diese missglückt sind. Doch auch wenn es Ihnen widerstreben sollte, einen genaueren Blick auf Ihre Prüfungen zu werfen: Es lohnt sich immer, die eigenen Prüfungen unter die Lupe zu nehmen und der Frage nachzugehen, woran man eigentlich gescheitert ist.

2. Eigenbeobachtung

Legen Sie sich verschiedene Mathematikaufgaben vor und beobachten Sie bei sich selber, wie Sie beim Lösen vorgehen:

Wie geht es Ihnen, wenn Sie die Aufgaben zu lösen versuchen? An welchen Punkten haben Sie Mühe oder scheitern Sie sogar?

Dass Sie sich dabei an den vier Anforderungen orientieren, die ich erwähnt habe, ist selbstverständlich. 11

3. Lernberatung

Am besten gelingt es natürlich, Ihren Problemen auf die Spur zu kommen, wenn Sie dies mit Hilfe einer Person tun. Diese Person sollte fähig sein, Mathematikaufgaben in ihre Anforderungen zu zerlegen und sie soll auch merken, wie Sie auf diese Anforderungen reagieren.

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III. Wenn Sie mit einer Anforderung nicht zurecht kommen

In diesem Abschnitt gehe ich der Frage nach, was Sie tun können, wenn Sie bei einer der vier Anforderungen Schwierigkeiten haben. Das Ziel ist es, Ihnen einige Tipps zu geben, wie Sie auf die Schwierigkeiten reagieren können.

1. Wenn Sie sich kein Bild machen können von dem, was in der Textaufgabe steht.

Dazu eine Vorbemerkung: Einen Text zu lesen und sich ein Bild zu machen von dem, was im Text steht

- das ist eine Anforderung, die eigentlich nichts mit der

Mathematik zu tun hat. Es ist eine Anforderung, die sich in jedem Schulfach und bei jeder Prüfung stellt: Ganz gleich, ob Sie in der Chemie, in der Geschichte, in der Volkswirtschaftslehre oder eben in der Mathematik eine Aufgabe vor sich haben – als Erstes müssen Sie immer herausfinden, worum es dieser Aufgabe geht. Und das setzt voraus, dass Sie den Text verstehen, in dem die Aufgabe formuliert ist.

Wenn Sie Mühe haben, sich von einer Textaufgabe in der Mathematik ein Bild zu machen, kann dies verschiedene Ursachen haben; ich nenne hier die drei wichtigsten.

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Mögliche Ursache 1:

Es kommen in den Textaufgaben Begriffe vor, die Sie nicht kennen - zum Beispiel mathematische Fachausdrücke, die Ihnen bekannt sein sollten.

Beachten Sie an dieser Stelle, dass es in der Mathematik eine ganze Menge von Fachausdrücken gibt

– zum Beispiel addieren; potenzieren; ergänzen; Summe;

Quersumme, Spalte, Brutto, Wurzel etc. Alle diese Fachausdrücke müssen Sie kennen, sonst können Sie eine Textaufgabe nicht verstehen.

Beachten Sie aber auch:

Ziemlich häufig scheitern die Leute an einer Aufgabe, weil sie ganz einfach die Ausdrücke nicht kennen, die in ihr vorkommen - schon manche Leute sind zum Beispiel daran gescheitert, dass sie über Wochen und Monate Prozentrechnungen zu lösen versuchten, ohne genau zu wissen, was man unter einem ‚Prozent’ eigentlich versteht.

Mögliche Ursache 2:

Häufig ist es so, dass sich die Menschen deshalb kein Bild machen können, weil sie sich zu wenig Zeit nehmen, um den Text wirklich zu lesen und wirklich zu verstehen.

Das hat damit zu tun, dass sich die Menschen unter Druck setzen, wenn sie eine Mathematikaufgabe vor sich haben. Sie haben das Gefühl, sie müssten sich sofort ans Rechnen machen. Und so kommt es dann, dass sie oft schon nach wenigen Sekunden damit beginnen, mit den Zahlen zu rechnen, obwohl sie den Text noch gar nicht verstanden haben.

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Es ist klar, wie Sie Abhilfe schaffen können: Sie müssen sich angewöhnen, eine Textaufgabe in aller Ruhe zu lesen und erst mit dem Rechnen zu beginnen, wenn Ihnen der Text wirklich klar ist - denken Sie daran, dass man es üben kann, in aller Ruhe eine Textaufgabe zu lesen und deren Inhalt zur Kenntnis zu nehmen.

Mögliche Ursache 3:

Diese Ursache ist selten, sollte aber im Auge behalten werden: Manchmal haben die Menschen mit dem Lesen dermassen grosse Mühe, dass sie einen Text nicht richtig erfassen können.

Wenn Sie den Eindruck haben, dass das Lesen als solches Ihnen Mühe macht, sollten Sie Ihr Lesen untersuchen lassen.

2. Wenn Sie Mühe haben, sich eine Aufgabe vorzustellen

Wenn die Leute sich ein Bild von dem machen sollten, was im Text steht, bringen sie häufig eine Klage vor: Sie sagen, dass sie sich in der Mathematik ‚nicht vorstellen können, worum es eigentlich geht’.

Wenn Sie ebenfalls zu diesen Leuten gehören, sollten Sie unbedingt folgenden Punkt beachten:

In der Mathematik müssen Sie sich manchmal Dinge vorstellen. Umgekehrt gibt es manchmal aber auch Momente, in denen Sie sich eben gerade nichts vorstellen sollten. Sich etwas vorzustellen – das ist in der Mathematik manchmal sinnvoll und manchmal nicht.

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Ich erkläre dies an einem Beispiel. Vor sich haben Sie eine Mathematikaufgabe. Sie lautet:

Hans hat 138 Murmeln, Heinz hat deren 72. Wie viele Murmeln muss Heinz an Hans überreichen, damit Hans vier Mal so viele Murmeln wie Heinz hat?

Auch hier muss, wenn man die Aufgabe lösen will, der Text in die Sprache der Mathematik übersetzt werden. Wenn man dies macht, ergibt sich eine Gleichung, die so aussieht:

4. (72 – x) = 138 + x.

Selbst wenn Sie beim Anblick dieses Ausdrucks ein Schaudern packen sollte - es ist Ihnen klar, welche Anforderung an Sie gestellt wird, wenn Sie die Aufgabe lösen wollen: Sie müssen die richtigen Rechenschritte durchführen, damit Sie sagen können, wie gross x ist - dann wissen Sie auch, wie viele Murmeln Heinz abgeben muss.

Wenn Sie aber diese Schritte durchführen, sollten Sie sich nur darauf konzentrieren, diese Schritte durchzuführen. An Heinz, an Hans oder an die Murmeln sollten Sie nicht denken, und dementsprechend sollten Sie sich in diesem Moment eben gerade nicht vorstellen, worum es eigentlich geht - das würde Sie nur davon ablenken, die einzelnen Schritte korrekt auszuführen.

Das gilt allgemein:

Sich in der Mathematik etwas vorzustellen - das ist dann sinnvoll, wenn Sie einen Text lesen und sich vom Inhalt des Textes ein Bild machen müssen. Es ist dagegen nicht sinnvoll, wenn Sie damit beschäftigt sind, bei einer Rechenaufgabe jene Schritte durchzuführen, die Sie zur Lösung brauchen. Dann sollten Sie sich auf diese Schritte konzentrieren, aber Sie sollten darauf verzichten, sich vorzustellen, worum es geht.

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3. Wenn Sie die Mathematik zu abstrakt finden

Wenn Sie ein Buch oder eine Zeitung lesen, wird darin über Dinge und Geschehnisse berichtet, die ‚wirklich’ sind und die es irgendwo auf der Welt gibt oder gegeben hat - und diese Dinge und Geschehnisse können Sie sich dann auch vorstellen.

In der Mathematik aber können Sie einer Aufgabe begegnen, die wie folgt aussieht:

a - bx – 2ax (3 + 5x) = 154.76

x=?

Was Sie da vor sich haben, ist ein Satz, der in der Mathematiksprache formuliert ist. Allerdings gibt nichts auf der Welt, das Sie mit diesem Satz verbinden können - und damit gibt es auch nichts, das Sie sich vorstellen können, wenn Sie diesen Satz lesen: Er ist, wie man sagt, abstrakt.

Das stört viele Leute. Sie finden die Mathematik schrecklich, weil in ihr Aufgaben vorkommen, die abstrakt sind und bei denen es nichts gibt, was man sich darunter vorstellen kann. Doch vorwerfen sollte man dies der Mathematik eigentlich nicht - schliesslich und endlich ist es ja gerade die Aufgabe der Mathematik, sich mit Angelegenheiten zu beschäftigen, die abstrakt sind.

Von da her sollten Sie sich also nicht über die Mathematik ärgern, wenn Sie eine abstrakte Aufgabe antreffen - das gehört einfach zu ihr.

Sie sollten sich aber noch aus einem andern Grund nicht ärgern: Mit der Mathematik kommen Sie nämlich auch dann ganz gut zurecht, wenn sie abstrakt formuliert ist und wenn es für Sie nichts vorzustellen gibt.

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Das sehen Sie bei jener Aufgabe, die ich oben angeführt habe. Bei ihr handelt es sich um eine quadratische Gleichung. Für quadratische Gleichungen aber gibt es eine Formel. Diese Formel können Sie verwenden, ohne dass Sie sich darunter irgendetwas vorstellen

- Sie müssen einfach jene Schritte in der richtigen

Reihenfolge ausführen, die Ihnen die Formel vorschreibt und die es braucht, um eine quadratische Gleichung zu lösen.

Erfahrungsgemäss ist es denn auch so: Die meisten Leute scheitern in der Mathematik nicht an einem mangelnden Vorstellungsvermögen. Sie scheitern in der Regel daran, dass sie jene Schritte nicht richtig durchführen können, die sie zur Lösung einer Aufgabe durchführen müssten.

4. Wenn Sie nicht in die Sprache der Mathematik übersetzen können

Schauen wir uns nochmals eine Aufgabe an:

Trick hat 7 Murmeln, Track hat deren 3 - wie viel Murmeln hat Trick mehr als Track?

Vermutlich können Sie auf diese Rechnung sofort eine Antwort geben: Trick hat 4 Murmeln mehr als Track. Das können Sie, weil Sie auch hier die Rechenaufgabe in die Mathematiksprache übersetzt haben:

3 + ? = 7.

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Wie Sie vermutlich aus eigener und leidvoller Erfahrung wissen, ist es jedoch nicht immer so einfach. Nicht immer gelingt es ohne weiteres, eine Textaufgabe in die Sprache der Mathematik zu überführen.

Ob und wie weit es Ihnen gelingt, eine Textaufgabe in die Sprache der Mathematik zu übersetzen, hängt auch von Ihrer mathematischen Begabung ab. Ich sage bewusst auch, denn es gibt daneben noch andere Gründe, die ebenfalls eine Rolle spielen.

Zu den wichtigsten Gründen zähle ich das Üben und das Auswendiglernen. Genau so, wie Sie das Übersetzen vom Deutschen ins Englische üben und auswendig lernen können, können Sie auch das Übersetzen in die Mathematiksprache üben und auswendig lernen.

‚Üben’ und ‚Auswendiglernen’ heisst bei der Übersetzung in die Mathematiksprache, dass man es lernt, welche Textaufgaben wie in die Mathematiksprache zu übersetzen sind. Dass man dies tatsächlich lernen kann, merken Sie zum Beispiel an den Formeln - wenn Sie für einmal gelernt haben, dass eine bestimmte Art von Textaufgaben jeweils eine bestimmte Formel verlangt, haben Sie genau das getan, wovon ich hier rede: Sie haben auswendig gelernt, was eine bestimmte Art von Textaufgaben ‚auf Mathematisch’ heisst.

Vielleicht widerstrebt es Ihnen, solche Dinge zu üben und auswendig zu lernen: Sie sagen, dass man in der Mathematik verstehen muss, warum man bestimmte Dinge so und nicht anders macht. Das ist zwar richtig, aber Sie sollten etwas bedenken: Wenn Sie eine Textaufgabe in die Mathematiksprache übersetzen, müssen Sie wissen, wie Sie dies tun - Sie müssen ganz einfach die Übersetzung wissen. Ob Sie diese Übersetzung in die Mathematiksprache haben vornehmen können, weil Sie alles verstanden haben oder ob Sie die Übersetzung auswendig lernten, interessiert eigentlich niemanden, wenn Sie die Aufgabe richtig gelöst haben.

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5. Wenn Sie den nächsten Schritt nicht wissen

Hier kann ich eigentlich nur wiederholen, was oben gesagt worden ist: Auch bei den einzelnen Schritten hängt sehr viel vom Üben und vom Auswendiglernen ab: Man kann es lernen, in welcher Reihenfolge welche Schritte auszuführen sind, wenn man eine bestimmte Mathematikaufgabe löst.

Man würde meinen, dass dies immer gemacht wird. Doch ich staune fast jeden Tag darüber darüber, wie wenig die Lernenden oft um die Schritte wissen, die sie angesichts einer bestimmten Rechenaufgabe ausführen müssten.

Das aber finde ich tragisch. Diese Lernenden scheitern nämlich nicht deshalb, weil sie zu wenig intelligent sind oder weil sie zu wenig logisch denken können. Sie scheitern, weil sie die einzelnen Schritte nie gelernt und auch nie geübt haben. Und damit scheitern sie an einer Anforderung, die eigentlich gar nicht so anspruchsvoll wäre - denn sich einzelne Schritte einzuprägen, sie zu üben und sie anzuwenden, ist gar nicht so schwierig und setzt ganz gewiss auch keine überdurchschnittliche mathematische Intelligenz voraus.

6. Wenn Sie das nicht auswendig wissen, was Sie auswendig wissen müssten

Wenn Sie etwas nicht auswendig wissen, das Sie auswendig wissen sollten, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder lernen Sie es so bald als möglich auswendig, oder Sie sorgen dafür, dass Sie Hilfsmittel haben, auf die Sie sich abstützen können - Taschenrechner, Formelsammlungen, Tabellen oder andere Dinge, die Ihnen helfen.

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Das Auswendiglernen sollten Sie dann so vornehmen, wie Sie es auch in den andern Fächern tun: Mit Aufschreiben, mit Repetieren und Abfragen oder mit dem Durcharbeiten von Karteikärtchen.

Viele Leute scheuen sich auch hier davor, in der Mathematik Dinge auswendig zu lernen und sie zu üben - Mathematik muss man mit Hilfe des logischen Denkens bewältigen können, sagen sie. Das ist sicher richtig, aber es ist auch hier zu einseitig. Neben der Logik gibt es in der Mathematik nämlich viele Dinge, die man nicht logisch ableiten kann, sondern die man einfach wissen muss.

7. Wenn Sie Mühe mit dem Kopfrechnen haben

Man kommt nur dann mit dem Kopfrechnen zurecht, wenn man auch hier viele Dinge auswendig weiss - man weiss dann zum Beispiel, dass 4 x 5 als Ergebnis 20 ergibt.

Es gibt Leute, die das Kopfrechnen zwar während der ganzen obligatorischen Schulzeit intensiv geübt haben, die sich aber nie zuverlässig das haben einprägen können, was sie sich hätten einprägen müssen.

Wenn Sie zu diesen Leuten gehören, gibt es meiner Meinung nach eine ebenso einfache wie wirksame Lösung: Verzichten Sie darauf, sich weiterhin das Kopfrechnen aneignen zu wollen und setzen Sie künftig den Taschenrechner ein. Mit dem Taschenrechner entlasten Sie Ihren Kopf vom Kopfrechnen, und das hilft Ihnen, die andern Anforderungen zu bewältigen.

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Wir blicken zurück:

Mathematikaufgaben stellen verschiedene geistigen Anforderungen. Geben Sie die Vorstellung auf, dass diese geistigen Anforderungen nur mit dem logischen und abstraktren Denken zu tun haben und geben Sie auch die Vorstellung auf, dass sie an Ihrer mathematischen Begabung scheitern.

Machen

Sie

sich

stattdessen

mit

den

Anforderungen

vertraut,

die

die

Mathematikaufgaben wirklich stellen.

Klären Sie dann ganz exakt ab, an welchen Anforderungen Sie scheitern.

Bemühen Sie sich in einem nächsten Schritt darum, dass Sie mit diesen Anforderungen künftig besser zurecht kommen – nur wenn Sie mit jenen Anforderungen zurecht kommen, an denen Sie bisher scheiterten, machen Sie Fortschritte.

Hanspeter Weiss

7. 11. . 2007

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Folgende Aufsätze haben mir beim Schreiben des Textes geholfen:

Miitello, L. und Hutton R.: Applied Cognitive Task Analysis (ACTA): a Practioner’s Toolkit for Understanding Cognitive Task Demands. www. spider.hpc.navy.mil/file.download.cfm

Duval, Robert: The Cognitive Analysis of Problems of Comprehension in the Learning of Mathematics. http://www.math.uncc.edu/~sae/dg3/duval.pdf.

Anschrift:

[email protected]

Mehr zum Thema Lernen:

Hanspeter Weiss: Bessere Noten

- mit 10 Regeln zum Erfolg in der Berufsschule.

Sauerländer Oberentfelden, 2005.

Siehe auch: www.lesen-und-verstehen.de

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