Geschichte Ohne Titel

© Uwe Fengler

Geschichte ohne Titel

Ich erwachte ausnahmsweise sehr früh am Morgen dieses 20. April 2010. Mein erster Blick wenn ich die Augen aufschlage, ist stets der auf meine Armbanduhr. Ich lege diese Uhr niemals ab, auch nicht, wie vielleicht viele Menschen, wenn ich zu Bett gehe. Es hat nichts damit zu tun, dass diese Uhr für etwas was ich mir für Gewöhnlich anschaffe, sehr teuer war. Sie kostete als ich sie mir vor 4 Jahren kaufte fast 300 Euro. Manchmal denke ich immer noch, dass ich damals wahnsinnig gewesen sein muss, soviel Geld für ein so winziges Ding ausgegeben zu haben.

Aber sie tickt , zeigt mir stetig die Zeit an, die hier auf der Erde vergeht. 4 Jahre schon; sie ist nie stehen geblieben, nie musste ich bisher die Batterien erneuern. Sie tickt unaufhörlich weiter, ohne das ich darüber nachdenken muss. Sie erinnert mich durch ihr Ticken an mein Herz, das schlägt ohne das ich es wahrnehme. Meine Uhr erinnert mich auch an meinen Tod. Manchmal wünsche ich mir dann, dass beide gleichzeitig aufhören werden zu ticken: Meine Uhr und mein Herz. Ich hätte natürlich eine Uhr für weniger Geld erstehen können. Neulich habe ich auf dem Wochenmarkt Uhren gesehen, die nur 10 – 20 Euro kosteten. Manche sahen sogar ähnlich aus wie meine Uhr. Aber eben nur ähnlich. Das Besondere an meiner Uhr ist auch, das sie die Zeit der Metropolen dieser Welt anzeigen kann. Ich brauche diese Funktion

eigentlich nicht, da ich nie ins Ausland verreise. In Wahrheit verlasse ich sogar mein Zimmer so gut wie nie. Und doch ist es gut zu wissen, wie viel Uhr es gerade in Tokio ist, oder in New York. Zeit ist in meinem Alter etwas sehr Kostbares. Ich denke darum darf der Preis für eine Uhr mit zunehmenden Alter auch steigen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass in meinem fortgeschrittenen Alter die Zeit viel schneller vergeht als meine Uhr ticken kann. Als Kind hatte ich kaum eine Ahnung von der Zeit die verstreicht. Als Jugendlicher schritt meine Zeit in scheinbar wilden und durchsoffenen Nächten schneller voran, als die Zeit am Tage. Und in diesen so schnell vergehenden Augenblicken wünschte ich

mir oft damals schon in den Armen der jeweiligen Frau sterben zu können, die diese kurzweiligen Nächte begleitete. Aber jetzt, vor ein paar Tagen bin ich 69 Jahre alt geworden, denke ich die Zeit auf dieser meiner Welt, die von ihren Bewohnern Erde genannt wurde, fliegt nur so dahin. Wie viele Sommer noch? Jeder Mensch in meinem Alter stellt sich doch diese Frage. Jeder Mensch in meinem Alter hat zumindest eine Ahnung davon, das Alles in jedem Moment vorbei sein kann. Ich quäle mich langsam aus meinem Bett, ich spüre dabei meine Knie und insbesondere meinen Rücken. Das macht vor allem das Alter aus: Man spürt seinen Körper – im Grunde bei jeder Bewegung.

An diesem Vormittag, wenige Tage nach meinem 69jährigen Geburtstag treffe ich eine Entscheidung. Ich werde heute Abend, wenn meine Sinne vom Alkohol benebelt sind, meine Uhr, meine einzigartige Uhr, ablegen. Ich werde auf das Muster sehen, dass sie auf meinem Arm hinterlassen wird, und werde sie einfach auf meinen Nachtschrank ablegen. So wie es im Grunde genommen jeder Mensch macht, egal ob jung oder alt. Und wenn diese Uhr dann dort in der Dunkelheit auf meinem Nachtschrank vor sich hin tickt, werde ich in Gedanken diesen Raum und diese Uhr verlassen. Dabei werde ich mir vorstellen, dass in anderen, weit entfernten Welten, die Zeit ganz anders tickt, als in der Unseren. Und ich werde dann davon träumen dort, in dieser anderen Zeit zu leben, wo es keine Uhren gibt, und das Leben darum mehr als

normal verlaufen wird, und vielleicht wird es dort sogar ewig dauern. © Uwe Fengler