2085 Sonntag

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2085 S O N N T A G [Leseprobe aus meinem unveröffentlichten Roman]

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„Ihr Menschen, ihr wollte glücklich sein? Es ist ein schwerer Weg, aber ich kann euch helfen. Denkt nicht groß, denkt klein. Erfreut euch an der Hoffnung auf ein besseres Leben, später, wenn ihr euch würdig erwiesen habt. Darum seht niemals über die Mauer, kümmert euch nicht um das Morgen. Was um euch herum geschieht betrifft euch nicht. Vom Aufblicken und Nachdenken werdet ihr nicht satt. Arbeitet und betet. Für Veränderungen seid ihr zu schwach.“ So sprechen die Herrschenden. ____________________

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____________________ J o h a n n a Sonntag, 5. August 2085 früher Nachmittag

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E

s ist schön, so in der Sonne zu liegen und ausgerechnet jetzt muss ich kotzen.“ Die heiße Nachmittagssonne umschmeichelte ihr

Gesicht und sie hielt die Augen fest geschlossen. Kein Ton kam aus ihrem trockenen Mund und das Würgen in ihrem Magen wollte nicht aufhören. Sie sprach es nicht aus, aber die blutig zerbissenen Lippen formten den Satz: „Du musst ruhig atmen und beten, dann überstehst du auch diesen Tag.“ Angestrengt versuchte sie die stickige Großstadtluft gleichmäßig in ihre Lungen zu ziehen, zwei, drei Sekunden in sich zu behalten und dann langsam auszuatmen. Sie hatte es oft geübt, aber mit jedem Atemzug fiel es ihr schwerer. Johanna lag auf dem Rücken und die Stiche in den Lungenflügeln bereiteten ihr wieder Schmerzen. Zweifel, Angst und viele Fragen vermischten sich zu wirren Gedankenfetzen. Alles konzentrierte sich auf die Fragen: „Warum bleibe ich nicht so liegen und warum schlafe ich nicht einfach ein? Warum geschieht das alles? Das hat doch keinen Sinn. Man wird mich

Das leichte Zittern, das in kleinen Schüben ihren schmalen

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entdecken und dann ist es vorbei.“

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____________________ Körper schüttelte, ließ etwas nach. Die heißen Sonnenstrahlen durchdrangen das dünne, löchrige Kleid und brannten auf ihrer Haut, aber in Johanna war eine eisige Kälte. Mit einer schläfrig wirkenden Bewegung zog sie den dünnen Stoff des fleckigen Kleides etwas höher. Ihre Gedanken begannen abzuschweifen, zu einem unbesiegbaren Beschützer, weit weg in den kleinen Wolken am strahlend blauen Himmel, der ihr fern und ihrem Herzen doch so nah war. Dann fing sie kaum hörbar an zu beten. „Herr im Universum, der du alles geschaffen hast. Der du alles siehst und beherrscht. Was ist das für ein Höllenwurm der in mir nagt?“ Johanna breitete die Arme aus und öffnete etwas die Beine. Das Leben der geschäftigen City klang beruhigend wie aus weiter Ferne, und plötzlich schlug ihr Herz ruhiger. „Du musst dich nicht fürchten.“ War es nur Einbildung, Fiberwahn, oder hatte er aus dem Licht zu ihr gesprochen? Solange keine gellenden Töne den eintönigen Brei der Geräusche überlagerten, gab es keinen Grund, sich zu fürchten. Alles war scheinbar wie immer, doch in diesem Moment, an diesem Sonntag im achten Monat des Jahres 2085 sollte alles anders werden.

Langsam und ohne sich aufzurichten, drehte sie sich auf den Bauch. Für Sekunden blieb Johanna so liegen, und sie vergrub ihr Gesicht in den unter dem Kopf verschränkten Armen. In ihren Gedanken war ein verzweifeltes, fast befreiendes Lachen, aber die Reste der Anspannung ließen sich nicht vertreiben.

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____________________ Der durch die Mittagshitze aufgeheizte Beton erzeugte ein angenehmes Gefühl an ihren Schenkeln, an ihrem Bauch und den Brüsten. Johanna drückte ihre linke Wange fest auf den warmen Boden und für einen kurzen Moment verzog sie das Gesicht zu einem Lächeln. Ein kaum hörbares Flüstern kam aus ihrem ausgetrockneten Mund: „Warum nur, warum kann es nicht immer so friedlich sein? Herr, bitte hilf mir. Ich möchte zurück, nach Hause.“ Ihr Verstand sagte ihr, dass das unmöglich war. Alles was sie erreicht, geschaffen und zerstört hatte, wäre sinnlos gewesen. Sie öffnete die Augen und hob den Kopf. Dann sah sie kurz in das gleißende Sonnenlicht. Plötzlich war sie wieder da. Die leise, eindringliche Stimme, die aus der Glutscheibe heraus zu ihr sprach: „Fürchte dich nicht, du bist unsterblich. Tu es. Such dir eine aus. Nur du triffst die Entscheidung. Setz ein leuchtendes Zeichen und nimm sie.“ Wie schon oft antwortete Johanna der Stimme mit einem leisen und demütig klingenden „Ja.“

Es lag nicht an dem Tag, der wie jeder andere Tag von einer hektischen Geschäftigkeit war. Der siebte Tag in der Woche war kein geschützter Tag der Ruhe und des Abschaltens von den Belastungen der Arbeit. Tage mit Namen und Bedeutungen waren nur noch

die Menschen noch Zahlen und Zeichen deuten konnten. Johanna versuchte sich zu erinnern. Warum war der siebte Tag heiliger Tag gewesen? War es ein Tag der Erinnerung an das

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lebensgefährliche Legenden, aus einer Zeit vor vielen Jahrzehnten, als

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____________________ göttliche Werk der Schöpfung, die doch nichts anderes als Lug und Trug gewesen war? Wer sich noch daran erinnern konnte, schwieg, und die Geschichten über die längst vergangenen Zeiten gerieten in Vergessenheit. Aber Johanna konnte lesen und schreiben, und sie ahnte, dass sich hinter den uralten Legenden noch mehr verbarg.

„Du bist es. Dich will ich. Dich nehm ich.“ Von der ersten Sekunde war Johanna von dem Anblick fasziniert. Alles andere, die sich dicht drängenden Maschinen, die wie ein Lindwurm die Bewegungen des Durcheinanders der sich scheinbar ziellos bewegenden Leiber steuerten, verschwammen zu einer in- und übereinander kriechenden, wabernden Masse, aus der sie wie eine strahlende Göttin heraus ragte. Plötzlich waren die Zweifel verschwunden. Jetzt gab es nur noch den anmutigen Körper im weichen Nachmittags-Licht, und Johanna war froh, sie aus sicherer Entfernung betrachten zu dürfen.

„Herr, bitte verzeih mir. Ich weiß, es ist nicht richtig. Am siebten Tag sollte ich es nicht tun. Aber es ist dein Wille und ich werde das tun, was getan werden muss.“

Vielleicht hätte Johanna an anderen Tagen nicht auf sie geachtet. Es gab zu viele davon und sie waren überall. Doch jetzt betrachtete sie voller Demut ihren grazilen Gang und die Bewegungen des schlanken Leibs, der in dem eng geschnittenen Rock mit der kurzen schmalen Uniformjacke besonders gut zur Geltung

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____________________ kam. Wenn man sie nach Menschenjahren bewerten würde, dann war sie höchstens zwanzig Jahre alt.

Johanna lächelte und flüsterte kaum hörbar: „Komm schon her. Du bist die Auserwählte. Komm zu mir Süße. Beweg dich etwas schneller blöde Sau.“ Johanna musste wieder husten und der Geschmack von Blut war in ihrem Mund. Als sie die Augen wieder öffnete, war die schöne Frau aus ihrem Blickfeld verschwunden. Angestrengt starrte Johanna auf das Gewimmel der Leiber, voller Angst sie verloren zu haben. Das helle Licht der Sonne und das angestrengte Beobachten der sich scheinbar ziel- und sinnlos bewegenden Körper taten ihr in den Augen weh. Mit der linken Hand versuchte sie die salzigen Tränen weg zu wischen, die sich mit dem Schweiß auf ihrem Gesicht vermischt hatten, und die in den Augen brannten.

Ihr Blick blieb an einem uralten Blechschild hängen. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, das Schild abzunehmen, da kaum noch jemand die Zeichen deuten konnte. Johanna konnte lesen und die eigentümlich anmutenden Buchstaben entziffern. Die Straße hieß vor langer Zeit einmal Leibnizstraße.

Herz schlug schneller. Ihre Freude wollte sie laut hinausschreien, aber sie bekam nur ein knurrendes Geräusch zustande. Die junge Frau kam mit schnellen, selbstbewussten Schritten

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„Da bist du ja. Wo hattest du dich denn versteckt?“ Johannas

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____________________ aus der schattigen, der mit dichten, hohen Bäumen bewachsenen Seite der Straße. Als sie ins helle Licht des Nachmittags trat, glänzten die schulterlangen, blonden Haare wie fließendes Gold. Mit zielsicheren Schritten ging sie zur Straßenkreuzung.

„Sie ist schön. Sie ist es wirklich.“ Johanna sah, dass ihr die langen Haare etwas ins Gesicht fielen, und sie konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Mit zärtlicher Aufmerksamkeit betrachtete sie jedes Detail an dem sich mit einer grazilen Lässigkeit bewegenden Körper. Johanna wusste, dass es zu riskant gewesen wäre, sich ihr zu nähern und noch gefährlicher, sie anzusprechen. Johannas Lippen bewegten sich kaum, als sie die Worte flüsterte: „Komm Honey, zeig dich ganz, komm zu mir, komm näher. Beweg deinen kleinen Knackarsch. Ja, so ist es gut. Zeig mir wie du dich bewegen kannst.“ Johanna erschrak und ihr schmaler Körper begann zu zittern. Sie hörte in ihrem Kopf das laute Rauschen des Blutes und sie spürte, wie ihr Herz laut und wild zu klopfen begann. Mitten in den Bewegungen hatte die schöne blonde Frau den Kopf etwas angehoben, und den Blick in Johannas Richtung gerichtet. Johanna senkte erschrocken den Kopf und ihr Magen zog sich zusammen. Es war wieder da, das widerliche Würgen in ihrem Leib. Instinktiv presste sie sich noch dichter auf den warmen Beton. „Habe ich zu laut gesprochen, oder bilde ich mir das nur ein. Können die Biester über eine so große Entfernung meine Gedanken lesen?“ Sie war abrupt stehen geblieben und Johanna verzog die

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____________________ Mundwinkel zu einem verkniffenen Lächeln. Jetzt war es zu spät. Es gab keinen Ausweg mehr. Nach einem kurzen Moment des Zögerns sah sich die blonde Frau nach rechts und nach links um. Sie wollte die breite Straße, die vor langer Zeit zu Ehren eines längst vergessenen Adligen gebaut worden war, überqueren, aber der dichte Verkehr mit der endlos erscheinenden Kolonne graugrüner Truppentransporter hinderte sie am weitergehen. Sie blieb stehen und Johanna sah die Verärgerung in ihrem Gesicht. „Das wäre eine gute Gelegenheit gewesen. Aber jetzt noch nicht. Bitte achte nicht auf mich. Such mich nicht. Ich entscheide was, wann und wie geschehen wird. Beweg dich wieder. Komm beweg dich für mich.“ Wie eine Bitte um Verzeihung, flüsterte Johanna: „Ich weiß Herr, ich soll sie lieben, aber ich kann es nicht. Ich will sie nicht lieben. Ich hasse sie.“ Johanna verabscheute ihre Art, ihr Aussehen und das Auftreten stellvertretend für die schönen, makellosen Frauen, die immer mehr wurden und sich wie unkastrierte Karnickel vermehrten. Johannas Gesicht verzog sich zu einem bitteren Lächeln und sie ertappte sich bei dem Gedanken: „Verflucht sollst du sein. soweit hast du mich gebracht, jetzt führe ich schon Selbstgespräche wie eine

Ohne die junge Frau aus den Augen zu lassen, schüttelte sie etwas den Kopf, um die Stimmen in ihrem Gehirn zu verscheuchen.

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von den vielen Schwachsinnigen.“

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____________________ Aber eine leise, heisere Stimme flüsterte in einem schmeichelnden Tonfall zu ihr: „Jetzt noch nicht. Es ist zu früh. Die ist etwas Besonderes. Wenn sie sich nicht bewegt, ist es etwas für Anfänger.“ Johanna wusste genau was sie tat und sie hatte sich lange darauf vorbereitet. „Profis müssen üben, üben, üben, um noch besser zu werden, aber ich muss meine Gefühle beherrschen und ruhig bleiben.“ Obwohl sie sich nicht das erste Mal in so einer Situation befand, fiel es Johanna schwer, ihre Erregung zu unterdrücken. „Wer einen Baum beschneidet, muss gut überlegen. Mir darf kein Fehler passieren.“ Johanna spürte den Schweiß unter den Armen und zwischen den Beinen. Die heiße Augustsonne brannte auf ihrem Rücken, und sie griff nach dem grauen Wollmantel um ihn über sich zu ziehen. Johannas Ellbogen schmerzten und sie fühlte den Druck ihres Körpers.

Als sie die Augen wieder öffnete, war es ihr, als ob sie ein Zeichen empfangen hätte. Die Sonne war trotz des späten Nachmittags noch strahlender. „Herr sind das deine Lichtpfeile die du für mich bestimmt hast?“ Dann sah sie an der Hauswand einen Schatten, der wie eine riesige Gestalt schützend seine Arme hob. Die schöne blonde Frau hob den Kopf und sah mit einem überheblich erscheinenden Blick wieder in ihre Richtung. Es waren die Zeichen auf die Johanna gewartet hatte.

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„Sie ist nur ein nutzloses Nichts. Eine Laus und nur ein Körper, wie unzählige Millionen andere auch. Aber warum ausgerechnet ich? Warum bin ich dazu ausersehen? Herr im Himmel, hilf mir, dass ich alles richtig mache.“ Nur noch ein Gedanke blieb in ihrem Kopf: „Beherrsch dich. Lass dich nicht von deinen Gefühlen leiten. Sei stark. Gefühle sind nur überflüssige Altlasten. Wirf sie endlich weg.“ Immer und immer wieder hatte Johanna jeden Handgriff trainiert. Alles war nur noch auf ein Ziel fixiert: „Ich muss meinen Jagdinstinkt und die Reste meiner sentimentalen Gefühle beherrschen.“ Johanna konnte jedes Detail an dem Körper erkennen, und sie sah den teuer aussehenden, exquisiten Schmuck im Sonnenlicht blitzen. Fast liebevoll tastete sie mit dem Zielfernrohr den Körper ab. Der zitternde rote Punkt wanderte langsam an den langen Beinen hoch, über die Taille und blieb kurz an ihrer linken Brust stehen. Johannas Adrenalinspiegel stieg in neue Höhen. Auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, Johanna spürte plötzlich so etwas Fragiles wie Liebe. „Sie gefällt mir gut, ein hübsches Ding.“ Leise, wie zur Abwehr eines Teufels murmelte Johanna ein Gebet: „Geheiligt werde dein

husten, und der Geschmack von Blut war wieder in ihrem Mund.

Vor vielen Jahren, als es noch vereinzelte Bücher gab, hatte

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Name ...“ Dann biss sie sich fest auf die Lippen. Johanna musste

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____________________ Johanna in einer Beschreibung über Großwildjagden in den Savannen Afrikas gelesen, dass man mit seiner zu erlegenden Beute mitgehen und jede Bewegung vorausahnen und so etwas wie eine Einheit werden muss. „Ob die Biester ein Herz haben? Sie muss ihn doch sehen. Warum sieht sie ihn nicht?“ In diesem Moment waren solche Gedanken unwichtig geworden. Johanna sah, wie sie den Kopf mit den im weichen Licht des Nachmittags rotblond schimmernden Haaren etwas zurück warf. „Geh endlich los“, und Johanna spürte die Kraft ihres Willens. Zielstrebig und mit entschlossenen Schritten ging die schöne junge Frau los, um die breite Straße zu überqueren. „Eigentlich ist sie nur Teil einer ekligen Masse. Ein Schädling, nutzlos und gefährlich.“ Johanna bewegte ihre Schultern in kaum sichtbaren Bewegungen mit. „Nur Profis treffen ihr Opfer in der Bewegung.“ Das kaum hörbare Klicken des Abzugs und den Rückschlag an ihrer rechten Schulter nahm Johanna nicht war. Nur mühsam konnte sie den Drang aufzustehen und wegzurennen unterdrücken. Johanna flüsterte: „Wieder eine weniger“, als ihr Opfer wie von einem Schlag mit der Faust ins Gesicht zurückgerissen wurde. Ein lautes, fast befreiendes „Wow“ kam in dem Moment aus Johannas Mund, als sie sah, wie die linke Gesichtshälfte der schönen Frau wie in Zeitlupe zerplatzte. Langsam sackte der Körper in der Mitte der Straße, zwischen graugrünen Trucks und der Masse sich bewegender Leiber zusammen. Jetzt erst, als sie schon am Boden lag, hörte

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____________________ Johanna durch das Rauschen des Blutes in ihren Ohren, wie aus weiter Ferne das Geräusch des Schusses.

Niemand hatte auf das leise „Plopp“ geachtet, oder dass Mündungsfeuer bemerkt. Aber alles schien für Sekundenbruchteile still zu stehen, als der leblose Körper in einer grotesken Haltung mitten auf der Straße lag. Ihr Rock war hoch gerutscht und Johanna betrachtete durch das Zielfernrohr noch einen Moment die langen, braungebrannten Beine. Die Fahrzeugkolonne kam zum Stehen und wild gestikulierende Körper in gefleckten Kampfanzügen sprangen aus den Fahrzeugen. Johanna kroch langsam auf dem Dach des Bürohauses zurück, das Gewehr dicht an ihren Körper gepresst. Der graugefleckte Mantel, den Johanna über sich gezogen hatte, war eine perfekte Tarnung. „Das war ja einfacher als ich dachte ...“ und sie spürte ein prickelndes Gefühl von Macht und Unfehlbarkeit. Laut lachend sagte sie zu sich selbst: „Du hast noch viel vor. Das war erst der Anfang. Am siebten Tag ist es getan.“

So wie sie es immer und immer wieder trainiert hatte, schraubte Johanna das Gewehr auseinander und verstaute es in ihrem Rucksack. Einen Moment dachte sie daran, dass das Metall

angebracht waren, erfasst werden könnte. Als sie ins weiche Licht der Sonne sah, kamen ihr die kleinen Zweifel und Ängste wie Blasphemie vor. Sie wagte nicht es laut

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durch die Detektoren, die seit einigen Monaten überall in der Stadt

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____________________ auszusprechen: „Herr, du hast dich wieder einmal geirrt. Am Anfang steht nicht das Wort, am Anfang und vor jeder Veränderung steht immer nur die Tat.“ Dann spürte sie ihre Blase und den Drang sich zu erleichtern, jetzt, hier auf dem Dach des Ministeriums für Frauenintegration.

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____________________ Bestreiten, leugnen, empört als Unterstellung zurückweisen? Es ist unglaublich, mit welcher Geschwindigkeit Werte verfallen, wenn der eigene Vorteil im Vordergrund steht. Menschen, die ihre Fahne wie eine Botschaft hochhalten, die aufzeigen, wie genau und präzise die Welt zu funktionieren hat, denen die Schwachen nachlaufen und die bewundert werden, weil deren Welt nicht so geordnet ist, gleichen altmodischen Uhrwerken. Sie funktionieren nur, wenn die Rädchen der Prinzipien gut geölt ineinander greifen, und wenn ein Antrieb vorhanden ist. Sie müssen durch die Jagd nach Gewinnen immer wieder aufgezogen werden, damit sie ihren Antrieb nicht verlieren. Und führen doch nur ein gleichförmiges Leben, immer auf der Suche nach Ursache, Nutzen und Wirkung. Vor solchen Menschen habe ich Angst. Du willst überleben? Dann lass dich nicht vom perfekten Funktionieren und von den Funktionierenden blenden.

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____________________ J o h a n n a

u n d

N o u i

Berlin am heißen Sonntag, 5. August 2085 Später Nachmittag

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J

ohannas Hände zitterten immer noch und sie spürte ihr pulsierendes Blut im Hals und in den Schläfen. Nur mühsam gelang es ihr, das nervöse Zucken des

linken Augenlids zu unterdrücken. Es fiel ihr schwer, sich ruhig und besonnen in der hektisch zusammenlaufenden Menschenmenge zu bewegen. Langsam zwängte sie sich durch die Menge der gaffenden Leiber. Für wenige Sekunden sah sie in ein zerfetztes Gesicht, und in einer großen dunkelroten Blutlache, die sich am Boden ausgebreitet hatte, mit Blut verklebte, lange blonde Haare. „Man sieht es dir nicht an. Du gehörst dazu. Bleib ruhig und bewege dich wie ein Fisch im Wasser …“ Die immer gleichen Sätze in ihrem Kopf zeigten langsam ihre Wirkung. Die Anspannung fiel von Johanna ab. Wer würde schon auf die Idee kommen, dass der Jäger unmittelbar nach der Tat sich hier, dicht bei seiner Beute aufhalten könnte. Innerlich begann sie zu lachen, aber sie musste sich beherrschen. In lebensgefährlichen Situationen war es besser, unauffällig zu bleiben und einer Frau stand es nicht zu, sich ohne Begleitung zwischen Männern aufzuhalten.

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____________________ „Die denken alle, dass nur ein Mann so etwas Großartiges tun kann.“ In ihren Gedanken war kein Mitgefühl und ihr Mund verzog sich zu einem kaum sichtbaren Lächeln. Aber sie presste die schmalen Lippen fest zusammen, nur um zu vermeiden, dass in der Erregung ein unbedachtes Wort daraus schlüpfen könnte. Es wäre zu gefährlich gewesen, ihren Triumpf auszusprechen: „Es tut mir leid Süße, aber Krieg ist nun mal eine brutale Angelegenheit. Besser du als ich.“ Johanna genoss das mächtige Gefühl der Überheblichkeit. „Es wäre toll, dir jetzt meinen Fuß ins Genick zu stellen und mich feiern zu lassen.“ Am liebsten hätte sie sich hinunter gebeugt und in die blutverschmierten, mit für sie unerreichbarem Schmuck behängten Ohren geflüstert: „Ich weiß, es ist eine schreckliche Sache, dass du jetzt da liegst und von allen angestarrt wirst. Aber betrachte es mal von meiner Seite. Es war eine notwendige Amputation. Wenn ein Glied des Körpers verseucht ist und zu faulen beginnt, muss man sofort und konsequent handeln und zwar, bevor der ganze Körper vom Gift befallen ist. Hätte ich zögern sollen? Du hättest es auch nicht anders gemacht. Jedes Zögern wäre pures Gift gewesen. Und dein schönes rotes Blut auf der Straße ist eine bleibende Erinnerung

Schätzchen, du bist eine Heldin, du hast eine gute Tat vollbracht. An dich werden sie noch lange denken.“

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für die Mutlosen.

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____________________ In der Menge achtete niemand auf Johanna. Alle Augen waren auf den toten Körper am Boden gerichtet. Aber sie spürte die Gedanken der Menschen, die niemand mehr wagte, laut auszusprechen: „Wer konnte so eine großartige Tat vollbringen?“ Schnell ging sie mit gesenktem Kopf weiter, ohne noch einmal auf den leblosen Frauenkörper zu blicken, der mit eigentümlich abgewinkelten Beinen auf der Mitte der Straße lag. Johanna wusste, dass sie in der Menge nur dann relativ sicher war, solange sie durch ihr Verhalten nicht auffiel. Zu große Anteilnahme und ein offener Blick wären verdächtig gewesen, obwohl sie einen Moment dachte: „Der beste, der mir zustehende Platz, ist bei meiner, über meiner Beute.“ Je weiter sie sich entfernte, umso mehr spürte sie ihren Triumph. „Ihr werdet scheitern und untergehen. Ihr werdet es nicht mehr erleben, wir leben ewig. Nur wir besitzen eine Seele und sind Geschöpfe Gottes, nicht ihr.“ Dennoch war eine seltsame Leere in ihr. Es war doch nur ein weiterer, lebloser Körper gewesen. Sie empfand nichts und Mitleid war etwas, was sie nicht mehr kannte. Aber solche Gedanken waren nur Spielereien mit den Möglichkeiten einer Macht, die sie nicht besaß. Johanna wusste genau, dass in diesem Moment alle Straßen abgesperrt wurden. Zu oft hatte sie gesehen, wie Widerstandsversuche rücksichtslos gebrochen wurden und die Anführer in wenigen Minuten gefasst waren. Aber das waren

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____________________ dumme, verzweifelte Männer. Johannas Tat war etwas vollkommen Anderes. „Die sind schlau, aber so schnell sind die nicht. Die können noch nicht wissen, dass eine Frau geschossen hat. Die werden zuerst nach einem Mann suchen um dann die Mittäter aus ihm heraus zu pressen ...“

Es war überraschend leicht gewesen. Ohne aufzufallen und angehalten zu werden war es Johanna gelungen, die Waffe in die City zu schmuggeln. Der Zugang zu dem schwarzen Bürohaus war ungesichert und das Dach unbewacht. Offensichtlich fühlten sie sich sehr sicher. Johanna hatte deutliche Spuren hinterlassen, die ihr zumindest eine kurze Zeit die Möglichkeit zum Agieren gaben. Der verdreckte und stinkende Männermantel und der große Männerhandschuh, die sie auf dem Dach zurückgelassen hatte, würden den Verdacht auf einen männlichen Täter lenken und das Täterprofil einige Zeit begrenzen. Es war ihre Chance, sich unentdeckt vom Ort des Triumphes zu entfernen. „Wer achtet schon auf eine unauffällige und dumme Frau, die mit gesenktem Blick, wie es sich gehört, durch die Menge geht. Niemand achtet darauf.“ Johanna sollte recht behalten. Das Feindbild der Eliteeinheit,

einfach übersehen wurde.

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die nach wenigen Minuten eintraf, war so klar umrissen, dass sie

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____________________ Johanna ging langsam weiter durch die sich dicht drängenden Körper über die breite Straße, die von den Menschen früher Kurfürstendamm genannt wurde, in die ruhigere Seitenstraße hinein. Den gleichen Weg in der langsam schwächer werdenden Nachmittagssonne zurück, auf dem ihr schönes Opfer ihr entgegen gekommen war.

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Glaubt an das Unglaubliche, weil es nicht undenkbar ist, dass das Unfassbare zur Realität werden kann. Denkt daran, dass es wahrscheinlich ist, dass auch geschehen kann, was man unglaublich findet. Misstraut dem Unwahrscheinlichen, weil Ihr darauf vertrauen könnt, dass der gesunde Menschenverstand euch leiten wird. Glaubt mir, es ist kein Wunder, wenn das Undenkbare tatsächlich geschieht. Manche Ereignisse werden wahrscheinlich, wenn Ihr an mich glaubt. In Gefahr begebt Ihr euch nur, wenn Euch Zweifel plagen. Dann seid Ihr auf das Ungewisse nicht vorbereitet.

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Berlin am heißen Sonntag, 5. August 2085 Später Nachmittag

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ohanna blieb wie angewurzelt stehen. Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht mit diesem Anblick, an diesem Sonntagnachmittag und an diesem Ort. Ihr

erster Gedanke war: „Er sieht gut aus, die graue Uniform steht ihm gut.“ Dann spürte sie einen brennenden Schmerz in der Brust und ihre Beine begannen zu zittern. Zuerst wollte sie schnell weitergehen, der Angst gehorchen und der Erscheinung wie einem Spuk ausweichen. Dann dachte sie an die heiligen Worte: „Fürchte dich nicht ...“

Es war purer Zufall, als sie ihn durch die großen Fenster in dem luxuriösen Bistro erkannte. Noui saß allein an einem kleinen, runden Metalltisch und sah aus, als ob er rundum zufrieden wäre. Es war wie ein innerer Zwang, dem sie sich nicht entziehen konnte. Mit klopfendem Herz griff sie nach dem schweren Haltegriff aus glitzerndem Metall. Sie zog daran und die Glastür öffnete sich ohne Widerstand. Sie gehörte nicht an diesen Ort. Alle konnten es ihr ansehen. Johanna gehörte zur untersten sozialen Kaste, dem Human

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____________________ Trash der Slums. Ihr Platz war weit außerhalb der streng abgeschotteten Zentren der Privilegierten, aber trotz der Gefahren musste sie ihn einfach ansprechen. Johanna hatte nichts mehr zu verlieren, und Noui konnte ihr nützlich sein. Ohne sich umzusehen ging sie direkt auf ihn zu. „Was machst du denn hier? Dich habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen. Bist du es wirklich?“ Nur mühsam gelang es ihr, ihre Aufregung zu unterdrücken. Johannas Stimme klang beherrscht und freudig, aber doch nicht so laut um gefährliche Aufmerksamkeit zu erregen. Johanna spürte die abschätzenden Blicke und hörte das leise Getuschel der wenigen Gäste in dem Bistro. Natürlich war er es, und in ihrer unerlaubten Frage war der eine Antwort provozierende Unterton nicht zu überhören. Hinter Johannas Begrüßungsfrage versteckte sich auch eine große Portion Verwunderung. So wie sie ihn in Erinnerung hatte, war Noui kein Mann der sich gern an öffentlichen Orten aufhielt, wenn es nicht einen wichtigen Grund gab. Schon als Kind war Noui ein Einzelgänger gewesen. So etwas wie Freunde, Freizeit oder Ereignisse, die sich außerhalb seiner kleinen Scheuklappenwelt abspielten, gab es in seinem Leben noch nie. Es gehörte nicht viel Phantasie dazu, um zu erraten, dass Noui, wie so viele andere Privilegierte auch, sich den präzisen Regeln der inneren Bezirke ohne

unwahrscheinlich gewesen, ihn hier anzutreffen.

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Widerspruch untergeordnet hatte, denn sonst wäre es

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____________________ Johanna hatte Noui, ihre Liebe aus Jugendtagen, schon über ein Jahrzehnt nicht mehr gesehen. Eines Tages war er wie das Licht einer erloschenen Kerze aus ihrem Leben verschwunden. Sie trug es ihm nicht nach. Es war nicht Nouis Schuld. Die Zeiten und die neuen Glaubensregeln waren daran schuld, und Johanna ahnte, dass auch Noui zu schwach war um sich gegen die Veränderungen zu wehren, und zu egoistisch, um sich um andere Menschen zu kümmern. In diesem Moment spürte sie, dass der Graben zwischen ihren Gefühlen und Noui lag, unüberbrückbar tief geworden war. Johanna trug nicht das sichtbare Zeichen des gefahrlosen Umgangs, die Anstecknadel der ehrenwert Sterilisierten, und vom Stand der geschützten und geehrten Über-Siebzigjährigen war sie zu weit entfernt. Sie besaß auch keine der seltenen und begehrten Legitimationen zur Heirat. Aber der schlimmste Makel, ethisch verwerflich und gesellschaftspolitisch geächtet war die Existenz von Johannas Tochter. Mit der illegalen Geburt ihrer Tochter war Johanna ein unkalkulierbares Risiko eingegangen. Sie hatte nicht nur gegen die strengen Bestimmungen der Sozial- und Bevölkerungshygiene, sondern auch gegen eine ganze Reihe von weltweit geltenden Gesetzen zur Eindämmung der unkontrollierten Vermehrung und zur Einhaltung der öffentlichen Moral verstoßen. Dass sie ihre Tochter beschützt und mit vielen Entbehrungen allein aufgezogen hatte, war keine Leistung auf die sie stolz sein konnte, sondern eine vorsätzliche und schwere Straftat.

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____________________ Noui wusste von Johannas Tochter nichts, aber es war ihr klar, dass es für Noui gefährlich werden könnte, sich mit ihr in der Öffentlichkeit zu zeigen. Auch für Johanna war es gefährlich. Zu offensichtliche Kontakte mit Männern, auch wenn sie so harmlos wie Noui waren, konnten sie in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Frauen in den Citys, die nicht zu den Privilegierten gehörten, mussten sich vorsichtig verhalten und ständig mit Kontrollen patrouillierender Sitten- und Glaubenswächter rechnen. Johanna hatte in ihren Papieren den für unsterilisierte Frauen obligatorischen HWG Vermerk, der sie als gebärfähige Frau mit häufig wechselnden Geschlechtspartnern brandmarkte. Schon ein vager Verdacht, dass sie auf der Suche nach einem Samenspender sein könnte, reichte aus, sie zu verhaften, und verdächtige Frauen verschwanden ohne Begründung zu wochenlangen Verhören mit anschließenden, dauerhaften Verweisen aus den inneren Bezirken. Solche Verweise bedeuteten, dass es keinen Zugang zu den notwendigsten Dingen des täglichen Bedarfs mehr gab. Überall gab es Denunzianten. Sogar fanatische Frauen waren Tag und Nacht als Greiferinnen unterwegs, um verdächtiges Verhalten sofort zu melden. Aber die Gefahr war ihr egal, denn die dreiste Tat, wenige hundert Meter entfernt, zog alle Aufmerksamkeit auf sich.

über die Absonderlichkeit, dass jemand wagte ihn anzusprechen, ungehalten war. Er sah Johanna durch seine kleinen Brillengläser an,

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An Nouis gerunzelter Stirn konnte Johanna erkennen, dass er

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____________________ als ob er erst überlegen müsste, wer sie war. Nach einigen Sekunden, die Johanna endlos vorkamen, antwortete er: „Johanna?“ Seine Stimme klang zögernd und sein fragender Unterton tat ihr weh. Johanna hatte ihn nie vergessen, aber er tat so, als ob sie nur noch ein kümmerlicher Rest in einer kleinen Ecke seines Gedächtnisses sei. „Ich hätte dich fast nicht erkannt.“ An seinen ausdruckslosen Augen konnte sie nicht erkennen, ob sein angebliches Nichterkennen der Wahrheit entsprach, oder nur eine höfliche Floskel war, weil er von Niemandem und vermutlich ganz besonders nicht von einer jungen Frau aus den Außenbezirken gestört werden wollte. Außer dass sich Johanna verändert und ihre feuerroten Haare wie vorgeschrieben millimeterkurz geschnitten trug, war sie immer noch seine Jugendfreundin, die er schon über zwanzig Jahre kannte und die mit ihm so ziemlich alles unternommen hatte, was man in Kinder- und Jugendtagen miteinander tun konnte.

Auf Äußerlichkeiten hatte sie noch nie viel Wert gelegt, aber jetzt fühlte sich in der Umgebung der eleganten Straße und in dem chromblitzenden Bistro unwohl. Für einen kurzen Moment schob sie seine emotionslose Antwort auf ihr Aussehen. Ihr graubraunes einfaches Kleid sah nicht besonders elegant aus. Es war schäbig und an mehreren Stellen erkennbar von ungeübter Hand ausgebessert. Die schweren, löchrigen Arbeitsstiefel, die sie dazu trug, waren mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Johanna besaß schon lange keine Cashkarte mehr, um sich auf legalem Weg etwas Neues zu kaufen.

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____________________ Und sie hatte auch keinen Job der notwendige Voraussetzung für staatliche Zuwendungen war, weil es schon seit langer Zeit für Frauen keine Jobs mehr gab. Der schwere Armeerucksack auf ihrem schmalen Rücken gab ihrer ärmlichen Erscheinung ein gebeugtes Aussehen. Sie spürte an Nouis abweisendem Verhalten, dass er lieber allein sein wollte. Mit einem spöttischen Unterton in der Stimme sprach sie weiter: „Du hast doch nichts dagegen, wenn ich einen Moment bei dir bleibe?“ Noui sah sich mit einer flüchtigen Kopfdrehung unauffällig um. Ohne seine Antwort abzuwarten, setzte Johanna sich neben ihn und schob mit ihrem Fuß den fleckigen, grauen Rucksack unter den kleinen Tisch. Niemand achtete auf das metallische Geräusch beim aufsetzen auf den Steinfußboden. „Der Feigling traut sich nicht, mir die Wahrheit zu sagen“, dachte sie amüsiert. Sie sprach ihre Gedanken nicht aus. „Nein, natürlich nicht.“ Vielleicht wollte er sie nicht verletzen, aber aus dem Klang seiner Antwort und seinem unruhigen Blick konnte sie wie in einem offenen Buch lesen. „Na ja, das klingt nicht besonders ehrlich, aber ich verzeih dir. Besonders aufmerksam warst du ja noch nie.“

überzeugend. Auf der Straße vor dem Bistro fuhren große, schwer gepanzerte Mannschaftswagen vorbei und in der Kühle des Bistros konnte man die kreischenden Rotoren der über den Dächern

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Johannas Antwort sollte fröhlich klingen, aber es klang nicht

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____________________ kreisenden Helikopter hören. Das Serviceteam in dem Bistro stand an den großen Fenstern und die Augen waren neugierig auf die Straße gerichtet. Johanna wurde nicht beachtet. Sie nahm all ihren Mut zusammen. Nach mehrmaligem, lautem Rufen kam mit einem schlurfenden Gang ein älterer, androgyn aussehender Kellner an den Tisch. Johanna war für ihn nicht existent. Er ignorierte sie und sah Noui fragend an, so als ob er die Zustimmung des Privilegierten erwarte. Johanna konnte nur mühsam ihren Zorn verbergen. Ohne Johanna zu fragen, bestellte Noui mit einer kurzen, kaum bemerkbaren Handbewegung einen der neuen grellfarbigen Fresh-Drinks, die seit einigen Monaten überall kostenlos angeboten wurden. Auf den riesigen Bildschirmen, die überall in der City aufgestellt waren, und die das Informationsbedürfnis der Menschen stillen sollten, wurden die Herstellungsmethoden in grellbunten Bildern dargestellt. Auf bis zum Horizont reichenden Feldern ernteten fröhliche Menschen bunte Früchte, die angeblich in den Drinks enthalten sein sollten. Die Stimmen aus den Lautsprechern erklärten ausführlich die Herstellung und immer wieder wurde herausgestellt, dass es sich um ein Getränk mit natürlichen Inhaltsstoffen handeln sollte. Nach den Verlautbarungen des Ministeriums für Ernährungswissenschaften waren die Drinks eine soziale Leistung zur Erhaltung der Bevölkerungsgesundheit. Angeblich waren darin biologisch produzierte, psychoaktivierende Mohnsubstanzen, die neue Energie für die bevorstehenden, großen Wunder gaben und den Körper gesund erhalten sollten. Fast alle tranken die angenehm schmeckende Flüssigkeit. Nicht wegen der zugeschriebenen

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____________________ Heilwirkung, sondern weil das Getränk nach wenigen Schlucken die Sinne benebelte und die Wahrnehmung in ein weiches und sinnliches Licht tauchte. Außerdem verschwand für viele Stunden jedes Hungergefühl. Es war gefährlich, darüber zu sprechen, denn es widersprach den Gesetzen, und die Gesetze waren unantastbar für alle Ewigkeit gültig, aber Johanna kannte auch die kursierenden Gerüchte. Zwar wusste es niemand genau, aber nach dem was geflüstert wurde, sollten die in den Getränken enthaltenen Substanzen das Erinnerungsvermögen irreparabel betäuben. Dennoch schien sich nur eine kleine Minderheit daran zu stören. Die Mehrzahl der Menschen wollte von den Gefahren nichts wissen. Auch in den äußeren Bezirken wurden die Getränke kostenlos ausgeschenkt. Aber anders als in den inneren Bezirken, wirkten die Getränke stärker, und vor den öffentlichen Trinkstellen in den Slums gab es Tag und Nacht lange Schlangen von Wartenden, die ihre kostenlosen Rationen abholen wollten. Johanna wollte so etwas nicht. Ihr Gehirn hatte immer funktioniert und manchmal sogar zu gut. Sie war auch nicht, wie viele andere, von dem bunten Gesöff abhängig. Auch wenn es in solchen Zeiten oft sehr schwer war. Sie war schon immer darauf bedacht, sich so gut es ging gesund zu ernähren. Aber Johanna war auch klug

dachte, dass es vielleicht gut zu ihr und ihrer Anwesenheit an einem Ort passen könnte, der nicht zu ihr passte und an dem sie nur geduldet war.

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genug, sich den Umständen anzupassen, wenn es notwendig war. Sie

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____________________ Als sich der Kellner mit allen Anzeichen des Missfallens, nicht ohne sich noch einmal umzudrehen und sie von oben bis unten mit einem verächtlichen Blick zu mustern, abgewandt hatte, flüsterte sie mit einem sarkastischen Unterton in der Stimme zu Noui: „Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass wir nur noch eine Last sind.“ Noui antwortete nicht und Johanna schwieg. Sie sah ihn direkt an, aber er wich ihrem Blick aus. An seinen Fingerbewegungen konnte sie erkennen, dass er nervös war. Es dauerte einige Minuten, bis das Getränk mit einer herablassenden Bewegung vor Johanna abgestellt wurde. Die Ignoranz, mit der man ihr begegnete, verletzte sie sehr, aber sie konnte sich beherrschen. Sie durfte nicht auffallen. Bis jetzt hatte ihr nur die Fähigkeit, sich an die Umgebung anzupassen und ihr Überlebenswille geholfen, nicht zu resignieren. Sie wusste, dass es vor langer Zeit eine andere, eine bessere Welt gegeben hat. Für ihr Ziel lohnte es sich, zu kämpfen, zu täuschen, zu töten und sich zu erniedrigen, auch wenn die Regierung mit ihrem übermächtig erscheinenden und alle Lebensbereiche beeinflussenden Werbeapparat behauptete, jetzt wäre für die Menschheit die beste aller Zeiten.

Als sie den ersten Schluck aus dem fast dreißig Zentimeter hohen Glas trank, spürte sie zuerst ein Brennen in ihrem Hals und dann die Wirkung der eiskalten Flüssigkeit. Kaum merkbar kroch ein kribbelndes Gefühl der Leichtigkeit durch die Glieder in ihr Gehirn. Ihre Erregung legte sich und ihr Puls ging langsamer. Johanna fühlte

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____________________ sich plötzlich sicher und geborgen und ihre Augenlieder wurden plötzlich schwer. „Wie geht es dir denn? Wie ist es dir die letzten Jahre ergangen?“ Johanna spürte, wie sich ihre Lippen zu einem Lächeln verzogen, obwohl ihr nicht danach war. Nouis Frage klang wie aus weiter Ferne und passte nicht zu ihm und seinem Status. Fragen war schon seit Jahrzehnten, seit man sie als Ursache für alle Konflikte identifiziert hatte, für die Privilegierten tabu. War es nur der Beginn einer harmlosen Konversation oder interessierte es ihn wirklich, was in den letzten Jahren geschehen war? Zögernd und etwas stotternd, als ob sie unschlüssig wäre es auszusprechen, antwortete Johanna: „Ich hab eine dreizehnjährige Tochter.“ Es war gefährlich so etwas auszusprechen. Sie wusste nicht, ob Noui es verstehen würde. Man konnte selbst den besten Freunden nicht mehr trauen. Überall gab es Regierungsagenten und Spitzel, die für kleine Vorteile die besten Freunde und sogar die eigenen Kinder an die Behörden verrieten. Aber in Nouis Gesicht konnte sie keine Regung erkennen. Nouis Antwort klang nicht ängstlich, aber sie nahm an, einen überraschten Unterton heraus zu hören: „Es ist schön, dass Du die Genehmigung für eine Tochter bekommen hast.“ Johanna hatte gelernt, zu überleben und wichtigste Regel war,

unbedachte Wort, ein falscher Satz konnte eine Katastrophe auslösen, aber in dem Moment war ihr alles egal.

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die Dinge so zu sagen, dass sie neutral und unwissend klangen. Jedes

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____________________ „Es soll mal Zeiten gegeben haben, da musste man keinen Antrag stellen und nicht auf eine Genehmigung hoffen. Ich habe eine Tochter, weil es der Wille des Herrn war und weil ich Sex mit einem mutigen Mann hatte.“ In Johannas trotziger Antwort klang Hohn und deutliche Verachtung für die beschütze Welt der Privilegierten mit. Sie wollte Nouis Gefühle verletzen. „Er muss es doch spüren. Warum merkt er nichts?“ Sie musste sich zusammenreißen, um ihm nicht ihre Gedanken zu erzählen. Trotz der vielen Männer vor ihm konnte nur Noui der Vater ihrer Tochter sein. „Es gibt keinen Gott.“ Nouis Antwort klang scharf und überheblich. „Jeder einigermaßen vernünftige Mensch weiß, dass Götter nur Erfindungen sind um dummen Menschen ihr Schicksal zu erleichtern und den Schwachen eine schwere Last aufzuerlegen. Dass du eine Tochter hast, war bestimmt nicht der Wille deines dubiosen Herrn im Wolkenhimmel. Es war eine biologisch erklärbare Wirkung die auf eine Ursache zurückzuführen ist und vermutlich eine verbotene Handlung.“ Aus Nouis Antwort war der belehrende Unterton und der Spott nicht zu überhören. Johanna sah auf ihr Getränk und ging auf sein brüskes Verhalten nicht ein. Sie wollte Noui nicht die Wahrheit sagen und wechselte mit einem gekünstelten Lächeln abrupt das Gesprächsthema.

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____________________ „Was machst du denn so, lebst du immer noch für deine Analysen, die kein normaler Mensch jemals beachtet?“ war ihre scherzhafte Frage, vielleicht in der Hoffnung, Noui zum Widerspruch zu provozieren. „Seit wann kennst du dich damit aus?“ kam seine überraschte und fast ironisch klingende Gegenfrage. Johanna konnte nicht erkennen, ob die Frage sie als Unwissende und Inkompetente zum Schweigen bringen sollte oder nur rhetorisch gemeint war. „Ich kenn mich damit nicht aus. Du weißt doch, dass mich eher das reale Leben interessiert. Aber sag mal, was macht denn bei dir die Liebe, machst du es dir immer noch selber, oder sind eure Triebstrukturprogramme endlich aus der Erprobungsphase? Ihr Privilegierten müsst doch auf Sex verzichten?“ Einen Moment dachte Johanna, dass sie mit ihrer vorlauten Schnauze vielleicht etwas zu weit gegangen wäre. Aber sie wusste, dass sie mit Noui so direkt sprechen konnte. Er sah sie mit einem mitleidigen Lächeln an. „Da wird so viel geredet. Auch wir haben Sex. Anderen Sex als ihr draußen. Aber wenn Du es genau wissen willst, ich kann nicht klagen, der Liebe geht es gut.“ „Ja, das denk ich mir. Lebst du immer noch allein?“

du es besorgst“ hinzufügen, als sie an seinen Augen und seinen Mundwinkeln eine Veränderung sah. Er wollte ihr etwas sagen.

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Johanna wollte noch „oder hast du jetzt eine Plastikpuppe der

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____________________ Etwas, das ihm auf der Zunge lag und das er nur mühsam zurückhalten konnte. Aber Noui schwieg. „Du lebst nicht mehr allein. Du bist mit einer Frau zusammen. Ich sehe es dir an. Ich glaub es ja nicht.“ Johanna spielte die Überraschte, aber in Wirklichkeit war es ein stechender Schmerz, der sich in ihrem Herzen ausbreitete. Sie konnte es nicht fassen. Er hatte noch nichts gesagt, aber Noui, der Unsichere, der sie vor vielen Jahren als Pubertierender so ungeschickt geküsst hatte, dass sie sich vor Lachen fast nass gemacht hätte. Dem pedantischen und ungeschickten Noui war es gelungen seinen virtuellen Illusionen zu entsagen und eine der seltenen lebenden Frauen zu finden. Noui antwortete verständnislos, so als ob er ihre überraschte Frage nicht verstanden hätte. „Es ist doch nicht ungewöhnlich. Ja, ich habe eine Frau gefunden.“ In seiner Antwort schwang Stolz über sein Glück mit. „Ihr dürft mit Frauen zusammen sein. Das ist ja etwas ganz Neues. Ich hab immer gedacht ihr Privis lebt in Askese um die Welt vor der Überbevölkerung zu retten. Wie in einem streng bewachten Paradies inmitten der schlechten Welt. Wer ist sie denn? Erzähl doch mehr und lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.“ „Du kennst sie nicht. Du kannst sie nicht kennen. Außerdem darfst du nicht alles glauben, was man dir über uns erzählt. Das sind alles nur üble Verleumdungen. Wir sind ganz normale Menschen.“

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____________________ Viel Erfolg bei Frauen hatte sie Noui noch nie zugetraut, aber Johanna war neugierig und sie nahm an, dass es vielleicht eine der wenigen, privilegierten Frauen sei. „Wir sind jetzt schon drei Jahre zusammen. Ich liebe sie, und sie liebt mich“, sagte Noui voller Besitzerstolz. „Das glaubst du doch selber nicht. Du machst mir doch etwas vor?“ war Johannas zweifelnde Antwort. „Erzähl doch mehr, wie sieht sie denn aus?“ „Willst du ein Bild von ihr sehen?“ Seine Frage kam auffallend schnell. Aber eigentlich war es keine Frage, denn er drängte ihr das Bild mit einem Griff in seine Jackentasche förmlich auf. Johanna war gespannt, wen er gefunden oder besser, welche aufopferungsvolle Frau es geschafft hatte, trotz aller Unannehmlichkeiten in seine enge Welt einzudringen. Mit einem amüsierten Lächeln sah sie ihm zu, wie er umständlich in der linken Innentasche seiner Uniformjacke nach etwas suchte.

Mit allem hatte sie gerechnet, aber als er ein abgegriffenes, schwarzes Notizbuch herauszog, war sie doch sehr überrascht. Noui, der Elektronikfreak, für den die Welt nur aus komplexen, virtuellen Vernetzungen bestand, besaß noch ein altertümliches und eigentlich schon seit Jahren verbotenes Notizbuch. Als er das Notizbuch, ohne

wurde, aufschlug und darin blätterte, sah sie für einen Moment, dass die ehemals weißen und jetzt abgegriffenen Seiten, dicht mit winzigen, seltsam gleichförmig anmutenden Zeichen beschrieben

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sich umzusehen und sich zu vergewissern, dass er nicht beobachtet

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____________________ waren. Entweder waren es mathematische Formeln oder Abkürzungen. Genau erkennen konnte sie es nicht, aber sie sah sofort - er schrieb mit der Hand und die Zeichen waren eindeutig. Noui besaß ein seltenes Instrument, einen Schreibstift, der mit Tinte gefüllt werden musste, den es gar nicht mehr geben sollte. Und er war so unvorsichtig, es ihr zu zeigen. Nach kurzem Blättern fand Noui zwischen den Seiten eine kleine hauchdünne, fast schwarze Folie und legte sie auf den Tisch. Vorsichtig faltete er sie auseinander. Mit seinen Fingerspitzen schob er sie ihr zu. Johanna wusste für einige Sekunden nicht, was sie sagen sollte. Sie nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas und ihr ratloser Gesichtsausdruck sprach Bände, als sie auf das sich blaugrüngelb verfärbende Rechteck sah. „Das ist deine neue Liebe? Wie hast du denn das geschafft?“ brach es mit einem Lachen aus Johanna heraus. „Warte ab, es dauert ein paar Sekunden bis das Licht wirkt.“ Es war eines der neuen plastischen Bilder, die bei Licht eine realistisch anmutende, dreidimensionale Illusion vermittelten und sogar Töne von sich geben konnten. Plötzlich war auf dem Rechteck das Bild einer schönen, schwarzhaarigen Frau zu sehen, die mit einer weichen, melodiösen Stimme, offensichtlich etwas Sehnsüchtiges flüsterte. So eine Frau hatte sie nicht erwartet. Es kam ihr wie ein unwirklicher Scherz vor, der sich nach einigen Erklärungen von selbst auflösen würde. „Das ist Alea und wir sind zusammen. Sie lebt bei mir, und sie wird immer bei mir bleiben.“

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____________________ Johannas Gesichtsausdruck schwankte zwischen Unglauben und Fassungslosigkeit. Irgendetwas stimmte an der Geschichte nicht. Der unscheinbare, schmächtige und blasse Noui und so eine Frau. Noui, für den Frauen geschlechtslose Wesen waren, dem sie vor vielen Jahren die Hand führen musste und der keine Regung gezeigt hatte, als sie seine Hand auf ihre Brüste und zwischen ihre Beine dirigierte, behauptete, dass er mit dieser schönen Frau auf dem Bild zusammen wäre? Einer Frau, der die Lust ins Gesicht geschrieben stand? Johanna musste laut lachen und Noui spürte den Spott. Er wurde unsicher und versuchte, sich zu rechtfertigen. „Es ist eine von den neuen Frauen. Es ist eine von den Züchtungen, die man jetzt auch für Privathaushalte bekommen kann.“ Im gleichen Moment wusste Johanna, was er getan hatte, und wie er zu dieser schönen Frau gekommen war. In ihr brannte lodernder Hass und sie hätte ihm den Hals umdrehen können. Ihr Freund Noui mit seinen hohen ethischen und moralischen Vorstellungen hatte sich eine Frau gekauft. Es war noch schlimmer. Das Bild war die sichtbare Projektion seiner versteckten Wünsche. Er war nicht anders als all die anderen. Noui war genau so, wie sie sind und immer sein werden. Jetzt verstand Johanna, warum er sie früher

schwul sei oder sich freiwillig einer der vielen Triebneutralisierungsinitiativen angeschlossen hätte, nur um die dicke Prämie und einen sicheren Job zu kassieren. Warum er sie nicht

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so abweisend behandelt hatte, sodass sie annehmen musste, dass er

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____________________ als Frau, sondern als geschlechtsloses, lästiges Wesen gesehen hatte, war für sie jetzt klar. Johanna spielte in Nouis Phantasien keine Rolle. Sie war zu weit entfernt von seinen versteckten Wünschen und seinem Ideal. In seinem uralten genetischen Beuteschema war ein Traumgebilde, ein anbetungswürdiges Produkt, aber keine menschliche Frau mit Schwächen und Mängeln vorgesehen. „Du bist ein Schwein, du hast dich also auch daran beteiligt. Von dir hätte ich das am wenigsten erwartet.“ Ihre Stimme war schrill und sie spürte eine nur noch schwer beherrschbare Wut in sich aufsteigen. Johanna war wütend auf Noui, stellvertretend für alle Männer die gegen die göttlichen Gesetze der Natur und damit gegen ihren Glauben verstießen. Seit den großen Glaubenskriegen gab es nicht mehr sehr viele Menschen im ehemaligen Europa, vielleicht sogar auf der ganzen Welt, die nicht an Propheten und Kriege im Namen eines dubiosen Heilsversprechens, sondern an den reinen und einzigen Gott glaubten. Johanna gehörte noch dazu und ihren Glauben an die göttliche Schöpfung ließ sie sich nicht nehmen. Ihre Stimme wurde hektisch und immer lauter. „Ich lasse es nicht zu, dass Menschen versuchen, Gott zu spielen und Gebilde nach ihren Vorstellungen schaffen, nur zum Vergnügen und um egoistische Vorteile zu erlangen.“ Noui rückte mit seinem Stuhl etwas zurück. Situationen, die außer Kontrolle gerieten kannte er nicht. Johannas Gefühlsausbruch war ihm sichtlich unangenehm. Mühsam beherrscht versuchte er seine Motive und seinen Besitz zu verteidigen.

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____________________ „Ja, ich habe es getan. Aber ich finde es nicht schlimm. Alea ist auch ein Geschöpf der Natur. Gut, ich gebe es ja zu, der menschliche Geist hat etwas nachgeholfen und vielleicht kommt sie nicht von der Erde, sondern von irgendwo her, von dem wir nicht wissen, wo der Ort ist. Vielleicht ist sie mit ihren Schwestern aus dem Paradies ausgebrochen. Man weiß es nicht, aber es ist nichts Verbotenes. Und ich sehe es auch nicht als Verbrechen an, dass ich für sie bezahlt habe. Andere tun es auch.“ Johanna dachte einen Moment: „Er verhält sich wie ein Kind, dem man sein Lieblingsspielzeug wegnehmen will.“ Natürlich wusste er, dass es falsch war, dafür war er zu intelligent. „Du bist doch nicht dumm! Du hast eine Frau gekauft, die nach deinen Wünschen zusammengebaut worden ist. Du hast dir ein Ebenbild geschaffen, und das lässt Gott nicht zu.“ Johanna lachte laut auf: „Das Bild ist die offensichtliche Manifestation deiner Phantasien – in deinem Kopf entstanden und nach deinen Wünschen am Fließband gebaut. Noch deutlicher kannst du es mir nicht zeigen. Deine Alea ist doch nichts anderes als ein dubioses Heilsversprechen von dem du keine Ahnung hast wie es enden wird.“ Ihre Stimme klang erregt. Die wenigen Anwesenden in dem

„Auch wenn es nur ein Wesen ist, das aussieht wie eine Frau. Es ist ein Monstrum und kein entlaufenes, paradiesisches Wesen, sondern ein Produkt der Hölle und du weißt es.“

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kleinen Bistro konnten jedes Wort mithören, als sie wütend ausrief:

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____________________ Noui wollte protestieren und gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass es besser wäre, die Stimme zu senken, aber Johanna war so erregt, dass sie einfach laut weiterredete. „Ich verstehe dich nicht. Warum bist du nicht in irgendein Fun-Center gegangen. Da gibt es noch echte, lebende Frauen. Die kannst du dir für alles ausleihen, was du willst. Die haben Hunger und du tust noch ein gutes Werk. Die werden gut dafür bezahlt, dass die es dir besorgen und ihren Arsch hinhalten. Aber dass du dich so weit herab lässt und einen Frauenersatz für dich und deine kleinen Bedürfnisse züchten lässt, das finde ich, geht doch zu weit.“ Sie war kurz davor, Noui das noch halbvolle Glas mit der klebrigen Flüssigkeit ins Gesicht zu schütten. Johanna sah die Verärgerung in seinen Augen. So kannte sie ihn nicht, denn starke Gefühlsregungen gehörten nicht zu seiner Wesensart. Die Situation war kurz davor zu eskalieren. Überraschend beherrscht und mit leiser und fast feindselig klingender Stimme sagte er: „Das ist mein Leben. Es geht dich nichts an. Misch dich bitte nicht weiter ein.“ Dann stand er auf, nahm sein Bild und ließ Johanna allein. Sie hatte das Gefühl, als ob ihr ein Fremder mit seiner Faust in den Magen geschlagen hätte. „Vielleicht ist er einfach zu dumm, um zu verstehen, dass ich ihn liebe und immer lieben werde, ganz gleich, was auch passiert.“ Jetzt war alles egal. Sie konnte sich nicht mehr beherrschen. Tränen rannen über ihr Gesicht und ein Schluchzen schüttelte ihren schmächtigen Körper.

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Raoul Yannik

Geboren im Oktober 1950 in der damals beschaulichen, schwäbischen Kleinstadt Sindelfingen. Nach Abitur und Ausbildung schloss sich ein längeres, aus heutiger Sicht ziemlich nutzloses Studium in Berlin an. Heute, nach einer kurzen Ehe und anderen Missgeschicken lebe ich aus Lebens- und Liebesgründen in Essen. Ich schreibe Essays, Kurzgeschichten und Romane über die Abgründe der Seele, über die Irrwege der Liebe, über das was sein könnte und was ist.

Meine Schreib-Werkstatt: www.raoulyannik.de Mein Web-Tagebuch: http://raoulyannik.blogspot.com/

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Meine Bücher und Veröffentlichungen HEXENMACHT Roman 560 Seiten Schweitzerhaus Verlag ISBN-10: 3939475211 ISBN-13: 978-3939475217 Im Buchhandel und bei Amazon erhältlich

Kurzgeschichten Schweitzerhaus Verlag ISBN 978-3-939475-06-4

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