Robert Arndt
User Generated Content im Fernsehen und auf Videoportalen
Eine empirische Vergleichsstudie zur Wahrnehmung und Bewertung nutzergenerierter Videos in verschiedenen Medienumgebungen
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EINFÜHRUNG Hype um nutzergenerierte Inhalte User Generated Content gilt als einer der großen Medientrends der jüngeren Vergangenheit. Videoportale haben einen großen Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet. Unter Teenagern und jungen Erwachsenen schon heute ein Massenphänomen: Über die Hälfte der 14-19jährigen ‚Onliner‘ zählen zu den regelmäßigen Nutzern von Videoportalen. Bereits jeder zehnte Jugendliche hat schon einmal selbst ein Video YouTube & Co. hochgeladen.
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EINFÜHRUNG Professionelle Medienunternehmen integrieren UGC Viele traditionelle Medienunternehmen wollen von der zunehmenden Nutzerbeteiligung profitieren bzw. wollen den Trend nicht ‚verschlafen‘. Verlage lassen Leser auf ihrem Internet-Portal bloggen und veröffentlichen die besten Beiträge in der Zeitung. BILD-Leserreporter bereits eine feste Institution Auch im Bereich Fernsehen und nutzergeneriertes Bewegtbild gibt es inzwischen zahlreiche Beispiele: Pleiten, Pech & Pannen-Shows (diverse Sender) Myvideo-Show (SAT1) Nutzergeneriertes Footage (Tsunami, Bombenanschläge in London etc.) Pilotprojekte mit nutzergenerierten Nachrichtenbeiträgen (BBC) Südwild (Bayrischer Rundfunk) etc. 3
FRAGESTELLUNG Aber der Umgang mit nutzergenerierten Inhalten ist für viele noch mit großer Unsicherheit verbunden. Funktioniert das, was im Internet als sympathischer Dilettantismus durchgeht und gerade den Charme vieler Videos ausmacht, auch im professionellen Medium Fernsehen? Existieren nicht vielmehr (auf Basis bisheriger Erfahrungen) unterschiedliche Erwartungshaltungen an verschiedene Mediengattungen, die das Rezipientenurteil mit beeinflussen? Zentrale Forschungsfrage:
Werden nutzergenerierte Videos im Fernsehen anders wahrgenommen und bewertet als im Internet?
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THEORETISCHER HINTERGRUND Professionalität in der Medienproduktion Systematische Unterscheidung zwischen professionellen und partizipativen Formen der Medienproduktion (bezogen auf Kommunikator, Inhalt und Medium) Herausarbeitung der unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Content-Produktion Schema-Theorie Aus Sozialpsychologie Schemata repräsentieren Wissensstrukturen und dienen der Klassifizierung von Personen, Ereignissen und Objekten. Auf diese Weise steuern sie die menschliche Wahrnehmung und erklären unterschiedliche Erwartungshaltungen an verschiedene Medientypen. Kontexteffekte Vor allem aus Werbewirkungsforschung Welchen Einfluss hat das mediale Umfeld auf die Wahrnehmung und Bewertung eines Werbespots? Welchen Stellenwert hat der ‚Fit‘ zwischen Medieninhalt und Medienumgebung? 5
METHODIK Experiment Einbettung nutzergenerierter Videos in unterschiedliche Medienumgebungen TV-Version: Präsentation über TV-Gerät, eingebettet in ein professionelles redaktionelles Umfeld (Jugendsendung Südwild vom Bayrischen Rundfunk) Videoportal-Version: Präsentation über YouTube Anschließend: Bewertung der Videos mittels standardisiertem Fragebogen Durchführung/Stichprobe Gymnasium Großburgwedel (Region Hannover) Stichprobe: 190 Schüler zwischen 14 und 19 Jahren Experimentalgruppe TV: n = 100 Experimentalgruppe Videoportal: n = 90 Gleichverteilung der Gruppen bezüglich Soziodemographie und Mediennutzung geglückt 6
STIMULUS-MATERIAL Auswahl der nutzergenerierten Videos (1) Info-Clip: Studienbedingungen an der Uni Würzburg Studenten dokumentieren die Missstände an der Uni Würzburg: Trotz Studiengebühren lässt die Unterrichtssituation sehr zu wünschen übrig (die Seminare finden teilweise in Sporthallen statt). Quelle: Südwild (BR) vom 27.01.2008; Länge: 02:36 Minuten.
(2) Comedy-Clip (Sketch): Seitensprung Ein Junge und ein Mädchen werden von einem bedrohlich wirkenden jungen Mann beim Seitensprung ertappt. Die Pointe: Es sind die beiden Männer, die eigentlich ein Verhältnis miteinander haben. Quelle: Videoportal YouTube; Länge: 01:26 Minuten.
(3) Comedy-Clip (Musik/Trash): Nur die Liebe fehlt Ein junger Mann sitzt im Wald und trägt ein (nicht ganz ernst gemeintes) Liebeslied vor. Dazu gibt es ein paar ‚billige‘ visuelle Effekte. Die Bezeichnung ‚trashig` passt wohl am besten, um den Charakter dieses Videos zu beschreiben. Quelle: Videoportal Sevenload; Länge: 02:09 Minuten. Links: (1) http://de.youtube.com/watch?v=NpEPWJcqxDg (2) http://de.youtube.com/watch?v=5RbArSGlHYk (3) http://de.youtube.com/watch?v=thcn__PlL1g
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ERGEBNISSE 1. Nutzergenerierte Videos stechen im Fernsehen deutlich aus dem Gesamtangebot hervor, sie werden als etwas ‚Besonderes‘ wahrgenommen. 2. Die Befragten stehen der Integration von UGC im Fernsehen zwar nicht prinzipiell ablehnend gegenüber. Dennoch werden die Videos hier als bedeutsam ‚ungeeigneter‘ empfunden, als das bei der Rezeption über Videoportale der Fall ist. Ein Qualitätsverlust wird hier eher befürchtet. 3. Fragt man jedoch nach der Qualität der einzelnen präsentierten Videos, so kann vor allem das informationsorientierte Video von der Medienumgebung Fernsehen profitieren. 4. Der ‚schräge‘ Humor und die unkonventionelle Machart des Comedy-Clips (Musik/Trash) wirkt im Fernsehen hingegen anscheinend vollkommen deplatziert. Bei einer ganzheitlichen Betrachtung der Ergebnisse lässt sich schlussfolgern, dass die Inkongruenz zwischen Medium und Inhalt hier eine unfreiwillig komische Wirkung bei den jugendlichen Zuschauern ausgelöst hat. 5. Unterhaltungsorientierte Videos werden bei der Rezeption über Videoportale hinsichtlich ihrer technisch-handwerklichen Produktionsqualität weniger streng beurteilt. 6. Ob ein informationsorientiertes Video im Fernsehen geeignet erscheint, hängt mit der wahrgenommenen Relevanz des Themas zusammen. Bei Videoportalen zählt (bei InfoClips) eher die Produktionsqualität. 8
FAZIT
Fernsehsendern könnte bei der Verbreitung von informationsorientierten Nutzer-Videos eine wichtige Rolle zukommen, da sie die Massen an nutzergeneriertem Material kanalisieren und Falsches wie Unwichtiges aussortieren können. Bei der Ausbildung journalistischer Nachwuchskräfte wird daher in Zukunft verstärkt darauf zu achten sein, diese auch im Umgang mit Nutzern und den von ihnen generierten Inhalten zu schulen. Im Internet haben sich offensichtlich spezielle Darstellungsformen entwickelt (v.a. Trash-Comedy), die fürs Fernsehen eher ungeeignet erscheinen. Allerdings hängt diese Entscheidung wohl auch vom Selbstverständnis und der inhaltlichen Ausrichtung eines Senders ab.
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AUSBLICK
Die Ergebnisse der Studie liefern erste wissenschaftliche Erkenntnisse zur Integration von nutzergenerierten Videos bei professionellen Fernsehsendern. Bevor diese jedoch als Faustregeln in das Repertoire der zuständigen Redakteure übergehen, ist weitere Forschung von Nöten. Allgemein hat sich die Diskussion um nutzergenerierte Inhalte in der Wahrnehmung des Autors in der jüngsten Vergangenheit wieder etwas beruhigt. Dennoch: Die neuen Möglichkeiten der Nutzer bleiben weiterhin bestehen. Die Nutzung und Verbreitung von User Generated Content wird vermutlich auch in Zukunft weiter zunehmen.
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