Sanfte Provokation Raus Aus Der Arbeit, Rein Mit Der

  • May 2020
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  • Words: 395
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raus aus der arbeit, rein mit der realität!

sanfte provokation

die unwirtlichkeit des wartens und die wirklichkeit des shareholder value: die künstlerInnengruppe bankleer teilte vom 10. bis 14. mai 2004 ihr leben mit den menschen, die zufällig, freiwillig oder fremdbestimmt den zweiten stock der stuttgarter agentur für arbeit bevölkerten. karin kasböck und christoph leitner improvisierten eine spielerische raumbefragung: die erstkontaktzone wurde mit altersgrauen amtsmöbeln, teilmoderner medientechnik und unprivater kuschelzone zu einem irritierenden irrgarten widersprüchlichster zeichen, symbole und aktionen: bilder sozialer kämpfe aus zeiten, die noch klare unterschiede der klassen kannten, wurden verschnitten mit uneindeutigen protestmarkenzeichen der gegner der ökonomischen globalisierung; die normative kraft der paragraphen traf auf gebrochene lebenswege und unbefriedete nischenexistenzen; die utopie eines bürgergehaltes, das auch die schrankenlose teilnahme am kulturellen leben sichert, wurde im kompakten diskurs mit dem sich am grundgesetz reibenden streben nach steigenden aktienkursen konfrontiert; der künstlerische und kulturelle mehrwert wurde an seiner steuer gemessen. und das ist natürlich kunst: sanfte provokation mit ästhetischen anmutungen, die risse im alltag aufzeigen und aufbrechen können. freilaufende künstler, die ihre gegenentwürfe zur herrschenden zumutung auch an orten präsentieren, an denen sie nicht nur den bekehrten predigen. die in galerien eingesperrte kunst betrifft nur die geldbeutel der sammler: interessanter und wichtiger ist aber zu untersuchen, wie sich staatliche transferleistungen oder der empfang von mageren löhnen und gehältern auf den hunger nach kultur auswirken: wird dieser hunger als nagender, fressender, brennender hunger gespürt, oder wird er tatsächlich schon durch eine boulevardisierte tagesschau befriedigt, so dass die suche nach irgendeinem superstar den selben stellenwert im leben bekommt wie die suche nach einem neuen bundespräsidenten oder gar die suche nach arbeit? und kunst ist natürlich auch eine aufgabe und eine verantwortung der agentur für arbeit. die auseinandersetzung mit ästhetischen prozessen dient zwar möglicherweise nicht sofort dem ausgleich am arbeitsmarkt, schafft aber verständnis für zusammenhänge über den arbeitsalltag hinaus. dieses unser gemeinwesen als soziale skulptur zu begreifen, zu erleben und mitzugestalten; veränderungen nicht als bedrohung zu empfinden sondern als tastende schritte hin zu einem besseren leben: die kunst kann uns tatsächlich provozieren, die rolle des „staatsdieners“ neu zu denken. und ein letzter, noch weiter abschweifender gedanke: der nomade, der ungezwungene wanderer, der fröhliche philosoph, den nicht nur joseph beuys gerne besungen hat, taucht auch wunderbarerweise im leitbild der bundesagentur auf: „wir schlagen zelte auf und bauen sie wieder ab, je nachdem, wo wir gerade gebraucht werden.“ ralf siemers

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