Kurt Edler: Entgegnung Auf Claudia Roths Antwort Auf Seine Kritik

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Wer wegschaut und verdrängt, kann im Konfliktfeld keine Politik gestalten Eine Entgegnung auf Claudia Roth Liebe Claudia, vielen Dank für Deine ausführliche und argumentationsreiche Antwort auf meine Polemik gegen den bündnisgrünen Europawahlprogrammentwurf! In der Tat haben wir in der Rechtsextremismus-Kommission gemeinsam eine fundierte Argumentation sowie Politikvorschläge gegen eine der beiden gegenwärtig relevanten menschenrechts- und demokratiefeindlichen politischen Bewegungen entwickelt. Dennoch tut sich für mich nun - angesichts des Europaprogramm-Entwurfs - eine politische Differenz auf, die ich für elementar halte. Es geht um die Frage, ob die von uns gegen den Rechtsextremismus verteidigten Verfassungswerte und Rechtsnormen universelle Geltung haben; und weiter geht es darum, ob wir mit derselben demokratischen Wachheit und Klugheit auch in anderen Konfliktfeldern agieren. Um welche Werte und Normen geht es? Nun, zum Beispiel um die Meinungsfreiheit. Wir verteidigen den Meinungspluralismus und die Parteienvielfalt gegen neonazistische Vorstellungen von einem Führerstaat. Aber verteidigen wir diese Werte auch gegen die Vorstellung von einem ideologisch gleichgeschalteten „Gottesstaat“? Das betrifft ja auch das Individuum. Fix sind die Grünen mit (guten!) Argumenten dabei, wenn es um den Schutz von Aussteigern aus der Nazi-Szene geht. Unsere engsten Bündnispartner sind die Aktivisten von „Exit“ und ähnlichen Programmen. Aber wo verteidigen wir das Grundrecht eines Menschen, als Kritiker aus seiner Religionsgemeinschaft auszutreten, ohne Schaden und Gefahr, ohne die Notwendigkeit, womöglich untertauchen zu müssen? Wird unser Europawahlprogramm die schlichte Tatsache erwähnen, dass es in Europa eine extremistische Bewegung gibt, die ihre Ketzer und Kritiker mit dem Tode bedroht? Und werden die Grünen hierzu einen Politikvorschlag machen? Gewiss, die beiden Extremismen, die ich hier diskutiere, sind sehr verschiedener Herkunft - der eine, der nationale, ist rassistisch und heidnisch-völkischer Provenienz; der andere, also der Islamismus, in seiner radikalsten Zuspitzung auch „Dschihadismus“ genannt, versteht sich als religiös-fundamentalistisch - und beruft sich, zum Unbehagen vieler Muslime, auf den Koran. Aber dass er auch in Europa zahlreiche Anhänger und Unterstützer hat, lässt sich nicht bestreiten. Das ist leider keine Schimäre von Wolfgang Schäuble oder George Dabbelju. Und ebensowenig lässt sich leugnen, dass es zwischen Neonazismus und islamistischem Extremismus ideologische Gemeinsamkeiten gibt, die so weit gehen, dass es auf Kaderebene sogar zu Kontakten und positiven Bezugnahmen aufeinander kommt. Dass Horst Mahler sich an Ahmadinedshads „Holocaustlügen“-Kolloquium beteiligen wollte, war kein Zufall. Die Schärfe des grünen Blicks ist beeindruckend, aber geblickt wird nur auf ein gesellschaftliches Segment. Solange es um den Neonazismus geht, lassen sich die Grünen in der Radikalität des Urteils von niemandem übertreffen. In unserer Kommission war sogar die These mehrheitsfähig, dass der „Rechtsextremismus in der 1

Mitte der Gesellschaft“ angelangt sei. Eine solch sensible Verfolgung ideologischer Spuren bis in den banalen Lebensalltag hinein sucht man bei den Grünen jedoch vergeblich, wenn es um das Zusammenspiel zwischen den extremeren und weniger extremen Varianten des Islamismus geht. Es gibt keinerlei strategische Reflexion oder Beobachtung des Phänomens. Wahrscheinlich ist der ärgerlichste Schaden, der dadurch angerichtet wird, dass die Partei sich selber dumm macht. Liebe Claudia, trotz Deiner persönlich wertschätzenden Worte in der Einleitung Deiner Antwortmail - und diese Wertschätzung möchte ich voll und ganz erwidern! - entnehme ich Deiner politischen Argumentation, dass der Bundesvorstand sich fest vorgenommen hat, an der Linie des Wegschauens und Verdrängens festzuhalten. Pflichtschuldige Einfügungen im Programm werden daran nichts ändern; denn die Ausblendung des Konfliktfelds islamistischer Extremismus / Terrorismus ist systematisch und - das muss ich Deiner Mail leider entnehmen - bewusst gewollt. Auch wie Du meine Kritik am Fehlen der Freiheitsdimension zu parieren suchst, überzeugt mich nicht. Es geht mir nicht um Sprachästhetik. Mir ist einfach nur aufgefallen, dass ihr in eurem Entwurf den Gegensatz von Demokratie und Diktatur nicht erörtert. Bei euch fehlt schlicht und einfach das, was für mich, euch und alle, die dies lesen, das Leben in Europa lebenswert macht: der Genuss der kostbaren, auf den Idealen der Aufklärung basierenden Freiheit1 , um die uns unzählige Menschen beneiden, die unter der Knute einer weltlichen oder religiösen Despotie dahinvegetieren. Lebensstil ist doch nicht nur eine Frage des „carbon footprint“! Wenn man aber Europa nicht nur als sozialökologisches Regelwerk und Demokratie nicht nur als Institution versteht, sondern als verteidigenswerte Gesellschafts- und Lebensform, dann muss man sich als demokratische Partei anlegen mit allen Kräften, die - und sei es unter dem Vorwand der Religionsfreiheit - diese Freiheitsstandards zurückschrauben wollen. Deiner gesamten Aufzählung von grünen Forderungen und grüner Öffentlichkeitsarbeit zu Menschen- und Bürgerrechten im Hinblick auf die Frauendiskriminierung kann ich nur zustimmen. Das ist alles gut, sinnvoll und richtig, und in der Tat wäre es gut, wenn andere deutsche Parteien da so weit wären wie wir. Aber gerade weil die Grünen die am wenigsten nationale, die am wenigsten patriarchale Partei sind, haben sie auch eine besondere Verantwortung, sich einem internationalen Konflikt zu stellen, der sich in dieser Deutlichkeit erst nach dem 11. September 2001, aber in seinen Anfängen seit Mitte der achtziger Jahre entwickelt hat und dessen Erscheinungsformen tief in den europäischen Alltag greifen. Ich finde Deine Reaktion auf meinen Vorwurf, die Grünen würden sich nicht zur Notwendigkeit der Terrorismusbekämpfung bekennen, kurios. Gerade noch, vor wenigen Monaten, haben wir in der Rechtsextremismus-Kommission über die Gefahr geredet, dass der Neonazismus seine terroristische Variante entfalten könnte (Passau lässt ja jetzt grüßen), da fällt Dir, wenn der Kurt „Terrorismus“ sagt, sofort George Dabbelju 1

Am Hamburger Rathausturm steht: Libertatem quam peperere majores digne studeat servare posteritas. Und zur „würdigen Erhaltung der Freiheit, wie sie die Alten errangen“, gehört eben auch, denjenigen Kräften entgegenzutreten, die diese Freiheit - gleich aus welchen Gründen - scheibchenweise reduzieren möchten. Auch wenn sie im Gewande einer religiösen Erneuerungsbewegung auftreten.

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mit seinem „War on Terror“ ein. Claudia, hallo, ich bin es! Immer noch! In diese Schublade kannst Du mich nun wirklich nicht stecken. Na gut, Du fragst dann ja auch, wie ich es nun gemeint habe. Meine Antwort: die Grünen haben die Bedeutung der Erziehungs- und Bildungsarbeit bei der Prävention des Rechtsextremismus erkannt. Der Transfer liegt auf der Hand. Auch auf die Islamismus-Prävention sollten die Grünen Wert legen. Der Islamismus versteht sich selbst als eine radikale, kämpferische Ideologie 2; er verachtet die schlichte, unpolitische Frömmigkeit. Er pocht auf göttliches Recht und erkennt eine freie, menschliche Gesetzgebung nicht an, ist also per se antiparlamentarisch und antidemokratisch 3. Selbstverständlich zielt er auch in Europa auf die Gewinnung der jungen Generation. Er benutzt traditionelle religiöse Symbole, um sie politisch aufzuladen und die postmoderne Gesellschaft in einen Streit über Religion zu versetzen. Wer als Achtundsechziger politisch aktiv war, dem wird an dieser Strategie so manches bekannt vorkommen4. Was hindert den Bundesvorstand daran, eine Kommission zum islamistischen Extremismus zu bilden und hierdurch der Partei zu der Kompetenz zu verhelfen, mit dem Phänomen im Alltag umzugehen, in den Institutionen und auf der Ebene politischer Diskurse? Uns Grünen wird doch wahrscheinlich am ehesten zugetraut, solch eine Intervention nicht aus einem dualistischen Weltbild heraus zu organisieren. Also eben nicht als Kreuzzug oder als Clash of Civilizations. Nur, machen wir uns nichts vor: dazu muss sich die Partei den neuen, schwierigen Fragen der politischen Gegenwart stellen, und Problemen, die bisher in der Partei nicht diskutiert und öffentlich von unseren Vertretern häufig kleingeredet werden5. Einige davon will ich hier zum Schluss nennen: • • • • • •

Was bedeutet Terrorismus-Prävention als gesellschaftspolitische Aufgabe? Ist es ein Problem für die Grünen, dass Verleger, Intendanten und Chefredakteure mit dem, was sie heute zum Islam publizieren, so vorsichtig sein müssen wie bei keiner anderen Religion? Wie stehen die Grünen zum Laizismus in einer Zeit „politisierter“ Religion? Wie gehen sie damit um, dass die Religionsfreiheit strategisch als Kontrapunkt zu anderen Menschen- und Bürgerrechten in Stellung gebracht wird? Wie gehen sie damit um, dass mit dieser Strategie Sonderrechte im Namen einer Religionsgemeinschaft propagiert werden? Wo setzt die islamistische Agitation in den muslimischen Communities an?

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Zur Definition vgl. Rosenzweig, Beate und Ulrich Eith: Islamistischer Terrorismus. Hintergründe und Gegenstrategien. Schwabach/Ts. 2006, S. 7 f. 3

Seyyid Qutb: Milestones. Damascus o.J. Der Autor gilt als Gründervater des Islamismus, und sein revolutionäres Kampfbuch beginnt (natürlich!) mit einer Dolchstoßlegende: der Demütigung und Marginalisierung aller Muslime. 4 5

Ich empfehle gerade in dieser Hinsicht Ed Husain: The Islamist. Penguin Book, London 2007.

Wenn eine junge Migrantin von ihrem Bruder wegen ihres freiheitlichen Lebensstils ermordet wird und aus grünem Mund dies damit kommentiert wird, dass es auch in deutschen Familien Tragödien gebe, dann ist das genau die Wegschau- und Verharmlosungsstrategie, die die Grünen unglaubwürdig macht.

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Wie setzen wir uns mit dem islamistischen Antisemitismus auseinander? Wo vermittelt der Islamismus/Dschihadismus Kindern und Jugendlichen menschenfeindliche und antidemokratische Ideologien?

Liebe Claudia, ich wünsche Dir und dem ganzen Bundesvorstand Mut und Weitblick für ein neues Jahr voller schwieriger Herausforderungen! Mit besten Grüßen Kurt Edler [email protected]

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1.1. 2009

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