Howard Phillips Lovecraft - Ein Nachruf (c) 2003 Dane Rahlmeyer

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Howard Phillips Lovecraft: ein Nachruf von Dane Rahlmeyer

Prolog: Eine wahre Geschichte Es lebe die urbane Legende! Auf einer Party vor ein paar Jahren kam irgendwann, irgendwie, irgendwo das Thema H. P. Lovecraft auf. Und natürlich sprachen wir dabei auch über das Necronomicon. »Wusstest du«, begann ein Kumpel verschwörerisch, in jenem Stadium der Alkoholisierung, in dem man die falschen Dinge ernst nimmt, »dass sich eine Hälfte der Originalausgabe des Necrodingsbums in einem geheimen Flügel des British Museum befindet?« »Aha«, sagte ich. »Und wo ist die andere Hälfte?« »Arkham, Massachusetts – in einem Safe der Fakultät für Okkultes in der Miskatonic University!« Lovecraft hätte seinen Spaß dran gehabt ... Die frühen Jahre Howard Phillips Lovecraft wurde am 20. August 1890 in Providence, Rhode Island als einziger Sohn von Winfield Scott Lovecraft und Sarah Susan Phillips geboren. Als er drei Jahre alt war, erlitt sein Vater, Handelsreisender einer Silberschmiede, während eines Aufenthalts in Chicago einen Nervenzusammenbruch. Er wurde in das dortige Butler-Krankenhaus eingeliefert, wo er am 19. Juli 1898 an einer Form der Neurosyphilis starb. Lovecraft zog anschließend zusammen mit seiner Mutter in das Haus seines Großvaters, Whipple Van Buren Phillips. Lovecrafts Tanten Lilian D. Clark und Annie E. Gamwell hatten großen Anteil an seiner Erziehung. Lovecraft litt an einer Art Kälte-Allergie: Kleinste Temperaturbewegungen abwärts lösten bei ihm Krämpfe aus. Diese und seine zahlreichen anderen Krankheiten waren wohlmöglich

psychosomatisch und verhinderten regelmäßigen Schulbesuch.

einen

Abdul al-Hazred der Jüngere Zumindest konnte er sich so den Schätzen der großväterlichen Bibliothek widmen: Lovecraft verschlang alle Märchenbücher, die ihm in die Finger kamen, ebenso Kinderbuchausgaben der Ilias und Odyssee – und ganz besonders die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, die den Jungen derart begeisterten, dass er sich den Phantasienamen Abdul al-Hazred zulegte (welcher wiederum sehr viel später von ihm als Autor des gefürchteten Kitab al azif, bzw. des Necronomicons genannt wurde). Lovecraft erstaunte seine Familie mit seiner Intelligenz und seinem Wissensdurst: Mit drei Jahren trug er Gedichte vor, und seine erste Geschichte – The Noble Eavesdropper – schrieb er mit sechs Jahren. Sein Großvater nährte seinen Hunger für übernatürliche und unheimliche Geschichten. Der junge Howard interessierte sich außerdem sehr für Astronomie und schrieb mehrere Leserbriefe an Zeitschriften zu diesem Thema. Und dann waren da noch die Alpträume: Früh plagten Lovecraft Nachtmahre um dämonische Wesen, die er Night Gaunts nannte; Kreaturen, die ihn aus seinem Bett entführten, und auf einen fernen Planeten mitnahmen, um ihn dort zu quälen. Auch wenn diese Wesen irgendwann aufhörten, seinen Schlaf zu stören, finden sich viele Einzelheiten dieser Träume, an die er sich mit bemerkenswerter Klarheit erinnerte, später in seinen Geschichten wieder. Der Außenseiter

Der nächste schwere Schlag traf Lovecraft, als sein Großvater im Jahre 1904 starb. Bald darauf musste seine Mutter aus finanzieller Not das viktorianische Anwesen ihres Vaters verkaufen und mit ihrem Sohn in eine winzige Wohnung in der Angel Street 598 ziehen. Der Verlust seiner Geburtstätte traf Lovecraft so hart, dass er mit dem Gedanken an Selbstmord spielte. Vier Jahre später erlitt er einen Nervenzusammenbruch und musste die Hope Street High School kurz vor seinem Abschluss verlassen. Damit starb sein lang gehegter Traum, die Brown University in Providence zu besuchen. Die folgenden fünf Jahre verbrachte Lovecraft zurückgezogen, ohne seinen literarischen oder astronomischen Neigungen nachzugehen. Er entwickelte eine sehr enge Beziehung zu seiner Mutter, die wiederum durch eine Hass-Liebe mit ihrem einzigen Kind verbunden war. Erst 1914 kehrte Lovecrafts Interesse an der Literatur zurück: Er entdeckte die Pulps für sich, jene auf billigem Papier gedruckten, oftmals reißerischen Groschenhefte, die in Amerika kurz vor dem ersten Weltkrieg in hoher Auflage gedruckt wurden. Er schrieb zahlreiche Gedichte, Essays und Leserbriefe, wobei er sich in letzteren nicht mit rassistischen Äußerungen zurückhielt. In derselben Zeit kultivierte er auch seine Selbstdarstellung als neuenglischer Gentleman, der dem guten, alten 19. Jahrhundert nachtrauerte und mehr Freude in der Vergangenheit fand als der Gegenwart – oder der Zukunft. So entschuldigen denn auch viele Biographen seinen Rassismus als eine Art Spleen, der eben zu seinem Image gehörte – und weisen darauf hin, dass ausländerfeindliche und antisemitische Äußerungen damals nun mal zum Zeitgeist gehörten, und dass Lovecraft nichtsdestotrotz mit einer Jüdin verheiratet war.

Das ändert dennoch nichts daran, dass sich Überzeichnungen finsterer, paganistischer Ausländer und bösartiger Kulte aus Übersee wie ein roter Faden durch seine Geschichten ziehen, besonders Call of Cthulhu und The Shadow over Innsmouth. Im Jahr 1917 erschienen Lovecrafts erste Gehversuche als Schriftsteller: die Kurzgeschichten The Tomb und Dagon. Die Aufmerksamkeit, die ihm dadurch zuteil wurde, holte ihn etwas aus seiner Einsiedelei zurück, und er bemerkte dazu: »Zum ersten Mal wurde mir klar, dass meine plumpen, literarischen Gehversuche mehr waren, als nur leise Schreie in einer lauten Welt«. Lovecraft schrieb vornehmlich Gedichte und Essays, doch er begann auch einen enormen Briefwechsel mit Freunden und Organisationen in ganz Amerika (dazu später mehr). 1919 wurde seine Mutter nach einem Nervenzusammenbruch ins Butler-Hospital, Chicago eingeliefert – das gleiche Krankenhaus, in dem schon ihr Mann verstorben war. Sarah Susan Phillips starb am 24. Mai 1921 an den Folgen einer misslungenen Operation an der Gallenblase. Das Grauen in Red Hook Lovecraft traf der Tod seiner Mutter schwer, doch bereits am 4. Juli des gleichen Jahres war er erholt genug, um an einem Kongress von Amateur-Journalisten teilzunehmen. Hier lernte er seine spätere Frau kennen: die Millionstochter Sonia Greene, die in der Fifth Avenue in New York ein Hutgeschäft betrieb, und ganze sieben Jahre älter war als Lovecraft. Das Paar heiratete im März 1924. Lovecraft zog in Sonias Brooklyner Apartment. Zu dieser Zeit

setzte er sich als Profi-Schriftsteller allmählich durch, und das Pulp-Magazin Weird Tales, ein Jahr zuvor gegründet, veröffentlichte einige seiner frühen Geschichten. Doch die Probleme ließen nicht lange auf sich warten: Sonias Geschäft ging pleite, und ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide. Lovecrafts Bemühungen, eine »richtige« Arbeit zu finden, waren derweil vergeblich: Wer wollte schon einen kränklichen, vierunddreißigjährigen Mann ohne Berufserfahrung und Ausbildung einstellen? So blieb das Schreiben sein einziger Gelderwerb – und leider ein sehr magerer. Im Januar 1925 ging Sonia schließlich nach Cleveland, um dort einen Job anzunehmen. Lovecraft dagegen kam in einem Einzelapartment in Red Hook unter, einem heruntergekommenen Viertel Brooklyns. Es ist bekannt, dass er sein Leben hier leidenschaftlich hasste, denn in Red Hook, mit seinem hohen Anteil an Ausländern, wurden all die Horrorvisionen des Gentlemans aus Providence Wirklichkeit (siehe auch: The Horror in Red Hook, 1925). Die Rückkehr Und so kehrte Lovecraft am 17. April 1926 in sein geliebtes Providence zurück – wohlgemerkt allein; die Ehe wurde allerdings erst 1929 geschieden. (Die beliebte Annahme, Lovecraft sei homosexuell und ein Frauenfeind gewesen, kann ad acta gelegt werden: Er liebte Sonia nach eigenem Bekunden, und die beiden trennten sich in gegenseitigem Einvernehmen.) Es hält sich hartnäckig das Bild von Lovecraft als einem Stubenhocker, der den lieben langen Tag in seinem zwielichtigen Arbeitszimmer verbrachte. Aber das stimmt nicht: in den Jahren von 1926 bis zu seinem Tod 1937 war Lovecraft so oft wie möglich auf Reisen.

Auch schrieb er in dieser Zeit jene Geschichten, die ihn schließlich berühmt machen sollten: Call of Cthulhu (1926), The Dunwich Horror (1928), At the Mountains of Madness (1931), Shadow over Innsmouth (1931), The Whisperer in Darkness (1937), The Shadow out of Time (1934-1935) und viele mehr. Auch seine Korrespondenz lief auf vollen Touren: Lovecraft unterhielt Brieffreundschaften nicht nur mit anderen Autoren, sondern ermutigte und prägte Nachwuchsschreiber wie Robert Bloch (Autor von Psycho), August Derleth (der später Lovecrafts literarischen Nachlass verwaltete), Fritz Leiber (Schöpfer von Fafhrd and the Grey Mouser) und viele mehr. Insgesamt brachte er es auf mehr als rekordverdächtige 100.000 Briefe, und sein Rat wurde nicht nur von Kollegen sehr geschätzt, sondern auch von Journalisten. Der Mythos wird geboren Es entstand das, was nach Lovecrafts Tod der Cthulhu-Mythos genannt werden wird: die Geschichten um die Großen Alten, jenen außerirdischen Wesen von unvorstellbarer Macht, die vor Äonen auf die Erde kamen, quasi aus Versehen die Menschheit schufen, bis sie von noch größeren Mächten vom Antlitz der Welt verbannt wurden – und noch immer darauf warten, ihren alten Einfluss zurückzugewinnen (auf Kosten der Menschheit). Immer wieder werden dabei die fiktive Stadt Arkham und die Miskatonic University erwähnt, sowie das unvermeidliche Necronomicon, jenes abscheuliche Buch des wahnsinnigen Arabers Abdul al-Hazred (wir erinnern uns), von dem trotz Lovecrafts gegenteiliger Beteuerungen viele, viel zu viele glauben, dass es tatsächlich existiert... Der besondere Reiz des Mythos´ liegt in der Verknüpfung von Horror und Elementen der

Science-Fiction. Lovecraft mag vielleicht ein wenig subtiler Autor gewesen sein, den Menschen wenig bis kaum interessierten, und der mit aufgeblasenen Attributen wie »unbeschreiblich«, »grauenhaft«, »unbenennbar« nur so um sich schmeißt – und doch liegt der wahre Horror in seiner Annahme, dass die Menschheit nichts weiter als ein kosmisches Häufchen Staub darstellt, dass sich als Krone der Schöpfung wähnt, während es keine Ahnung hat, von den Gewalten die jenseits des Äthers lauern. Was vielleicht mehr der Wahrheit entspricht, als er sich alpträumen ließ ... Den Einfluss seines Lieblingsschriftstellers Edgar Allen Poe (1809-1849) merkt man deutlich in Geschichten wie The Outsider (1921) und Lovecrafts Vorliebe für die Geschichten des Lord Dunsany (1878-1957) spiegelt sich in seinen eher märchenhaften Geschichten um die »Traumlande« wider (The Dream-Quest for Unkown Kadath, 1926, Through the Gates of the Silver Key, 1932). Das Ende Trotz seiner treuen Fan-Gemeinde, schaffte es Lovecraft nie, höhere literarische Weihen zu empfangen: Seine Geschichten, die immer länger und komplexer wurden, waren schwer zu verkaufen. Der Gentleman alter Schule, dem es verpönt war, allein für den schnöden Mammon zu schreiben, lag im Clinch mit dem Mann, der als Ghostwriter seine Brötchen verdienen musste. Auch privat hatte er erneut schwere Schläge einzustecken: 1932 starb seine Tante Mrs. Clark und vier Jahre später beging einer seiner engsten Brieffreunde, der Schriftsteller Robert E. Howard (Schöpfer von Conan der Barbar) Selbstmord. Howard Phillips Lovecraft starb am 15. März im Jane-Brown-Memorial-Hospital an Magenkrebs –

nachdem er lange Zeit seine Bauchschmerzen als Bagatelle abgetan hatte. Er wurde, weitgehend unbemerkt von der Welt, am Familiengrab der Phillips´ am Swan-Point-Friedhof begraben. Die Grabinschrift lautete: »I am Providence«. Heute gilt Lovecraft zusammen mit Edgar Allan Poe zu den Gründern der klassischen, amerikanischen Horror-Literatur – es hätte ihm gefallen. Das ist nicht tot, was ewig liegt... Zahlreiche Geschichtenerzähler haben sich im Laufe der Jahrzehnte des Mythos angenommen: Schriftsteller wie Ray Bradbury, Brian Lumley, Ramsey Campbell, Stephen King, Wolfgang Hohlbein und viele andere, aber auch ComicAutoren wie Neil Gaiman und Alan Moore zählen sich zu Lovecrafts Fans. Die traurige Ironie dabei ist, dass sie alle einen Bekanntheitsgrad erreicht haben, der Lovecraft zu Lebzeiten verwehrt blieb. Es gibt Rollenspiel-Versionen (Call of Cthulhu, auf deutsch bei Pegasus Press), sowie zahlreiche Hörspiel- und Hörbuchumsetzungen seiner Geschichten (von LPL Records) – sogar in Science-Fiction-Serien wie J. Michael Straczinskys Babylon 5 lassen sich Lovecrafts Spuren finden. Und natürlich in Filmen: von hirntumorerzeugendem Schund wie Unknown Beyond (Italien, 2000) und B-Movies wie The Unnamable I & II (USA, 1988) bis hin zu der brillanten Horror/Film Noir-Parodie Cast a Deadly Spell (USA, 1991) findet man Lovecrafts Einflüsse – und leider oft genug Filmemacher, die mit seinem Namen ein paar schnelle Dollar machen wollen. Das vorliegende Hörspiel ist eine augenzwinkernde Hommage an Lovecraft – und

regt vielleicht den einen oder anderen Hörer an, sich selbst mit dem Mythos zu befassen. Es lohnt sich. Dane Rahlmeyer, Juni 2004

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