Hna-spezial: Die Innerdeutsche Grenze Und Das Leben Im Geteilten Deutschland

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Wochenend−Ausgabe 1.Aug./2.Aug. 2009

Das Symbol der deutschen Teilung ist gefallen: Jubelnde Berliner aus Ost und West am 9. November 1989 auf der Mauer.

Foto: dpa

Am Ende fiel die Mauer ganz schnell

HNA-Spezial über die innerdeutsche Grenze und das Leben im geteilten Deutschland vor 20 Jahren VON WOLFGANG BLIEFFERT

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s begann mit einer Lüge: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer u errichten“, beteuerte der DDRStaatsrats orsit ende Parteichef Walter Ulbricht noch im Juni 1961 angesichts des ansch ellenden Flüchtlingsstroms gegen Westen – doch schon enige Wochen später, am Sonntag, dem 13. August, rollten Bautrupps an und riegelten – be acht on Volkspoli ei und Volksarmee Ostdeutschland om freien Teil der Welt ab. 28 Jahre trennte die Mauer die Deutschen. Und auf beiden Seiten schien man sich damit abgefunden u haben – trot ahlreicher Toten an der innerdeutschen Gren e. Die Mauer müsse durchlässiger gemacht erden, das ar die offi ielle Politik der Regierenden in Bonn. An den Fall der Mauer oder gar die Wieder ereinigung glaubte kaum jemand.

Noch 5 oder 1

len, die deutsche Einheit stand be or. An diesem Wochenende sind es noch 1 Tage bis um 9. No ember, jenem Tag, an dessen Abend sich öllig überraschend die Mauer öffnen sollte. Im Sommer or 2 Jahren rumorte es ar in der DDR, or allem angesichts des on Bürgerrechtlern aufgedeckten Betrugs bei den Kommunal ahlen im Mai. Doch dass diese Unruhe enige Wochen später in einer friedlichen Re olution enden sollte, ahnte niemand. Zu uneinsichtig eigten sich die Spit en

on Staat und Partei, als dass Ent icklungen ie in Polen möglich schienen, o erstmals ein halb egs freies Parlament ge ählt orden ar. Oder ie in Ungarn, o man sich daran machte, die Grenen u Österreich u öffnen. Oder ie der So jetunion, o Staats- und Parteichef Michael Gorbatscho eine Politik on Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) eingeleitet hatte. So nimmt in Deutschland kaum jemand Noti da on, dass sich DDR-Bürger ieder einmal in estliche Botschaf-

ten geflüchtet haben, um ihre Ausreise aus der DDR u eringen. Doch es erden immer mehr. Am 5. August sieht sich die DDR-Führung geungen, erstmals im Fernsehen u den Botschaftsflüchtlingen Stellung u nehmen und Probleme ein uräumen. Drei Tage später muss die Ständige Vertretung in OstBerlin egen Überfüllung den Besucher erkehr einstellen. Vertreter on Kan leramt und DDR-Außenministerium nehmen Verhandlungen über die Situation der Ausreise illigen auf. Dann muss auch Bonns

Jahre

In Ost-Berlin schon gar nicht. Immer ieder betonten die SED-Machthaber die Not endigkeit des so genannten antifaschistischen Schut alls. Und noch im Juni 1989 ersicherte Ulbricht-Nachfolger Erich Honecker, bei Fortbestehen der Gründe für ihren Bau erde die Mauer „noch 5 oder 1 Jahre bestehen“. Er sollte sich ge altig irren, nur ein halbes Jahr später ar das monströse Bau erk gefal-

Berlin, 13. August 1961: Ein Soldat der Nationalen Volksarmee (NVA) beaufsichtigt einen Maurer beim Bau der Berliner Mauer. Foto: dpa

Botschaft in Budapest geschlossen erden. Honecker bleibt uneinsichtig: „Den Soialismus in seinem Lauf hält eder Ochs noch Esel auf.“

„Wer u spät kommt, den bestraft das Leben.“ MICHAEL GORBATSCHOW IM OKTOBER 1989 AN SEINE DDR-GENOSSEN

Ende August beginnen sich die Ereignisse u überschlagen: In Sopron (Ungarn) kommt es ur größten Massenflucht on DDR-Bürgern seit dem Mauerbau. In der DDR gründen sich neue Oppositionsgruppen ie das Neue Forum und Demokratie Jet t. In Leip ig erden die Montagsdemonstrationen immer macht oller. „Wir sind das Volk“, tönt es ernehmlich. Anfang Oktober feiert die SED mit großem Pomp den 4 . Jahrestag der Gründung der DDR. Dabei mahnt ihr Gast Michael Gorbatscho die Parteiführung: „Wer u spät kommt, den bestraft das Leben.“ Aber es ist schon u spät. Auch der Stur Erich Honeckers kann das Ende nicht mehr aufhalten. Seine Nachfolger suchen er eifelt nach einem Ventil für den nun um Ausbruch drängenden Unmut im Land. Und finden es in einem neuen Reisegeset . Als Politbüromitglied Günter Schabo ski es am 9. Noember gegen 19 Uhr or der Presse erläutert, ist die Mauer

praktisch gefallen. Abends strömen die Menschen u Zehntausenden in die Freiheit. Und nur enig später beginnt auch schon das Ende der DDR. Auf den Straßen heißt es jet t: „Wir sind ein Volk“.

Aus dem Inhalt Auf den nächsten sechs Seiten beschäftigen wir uns mit dem Leben diesseits und jenseits der Mauer. Aus dem Inhalt: • Süßes kam aus Hessen - die ehemalige DDR-Bürgerin Claudia Götze über Schlangestehen und Intershop. • Besuch am Ende der Welt – unser Redakteur Werner Keller über das Leben im Zonenrandgebiet. • Mauer, Stacheldraht, Selbstschussanlagen - wie die bestgesicherte Grenzanlage Europas funktionierte. • Gedemütigt und gequält – ein DDR-Häftling berichtet über Schikanen bei Verhören und in den Haftanstalten. • „Ein Unrechtsstaat“ – der ehemalige DDR-Anwalt Dieter Gräf über den Rechtsalltag in Ostdeutschland. • Nackt vor ostdeutschen Zollbeamten - Berichte unserer Leser von Transitstrecken und Grenzübergängen. • „Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt“ – wie Günter Schabowski am 9. November 89 die Grenzöffnung mitteilte. • Die Seiten dieser Beilage können ab Sonntag in unserem Internet-Angebot heruntergeladen werden unter: www.hna.de/politik

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Vor 20 Jahren: Leben mit der Mauer Geschichte der DDR • Bereits vor Ende des Zweiten Weltkrieges landet die Gruppe Ulbricht in Ost-Berlin. Sie bestand aus Walter Ulbricht und anderen in die Sowjetunion emigrierten und dort geschulten Mitgliedern der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Sie sollen der Roten Armee beim Neuaufbau der Verwaltung helfen. Die sowjetischen Kommandanten übergeben zahlreiche Schlüsselpositionen innerhalb der Kommunalverwaltungen an deutsche Kommunisten. Ulbrichts Devise: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ • 21. April 1946: KPD und SPD auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone vereinigen sich zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Die Vereinigung findet unter politischem Druck und gegen den Willen der großen Mehrheit der SPD-Mitglieder statt. Die stalinistisch geschulten Politfunktionäre der KPD lassen Meinungsvielfalt nicht lange zu. In den Jahren 1948 bis 1951 kommt es zu regelrechten Säuberungen. Die SED wird zur diktatorischen Kaderpartei.

Das Thema

Leben in der DDR: „In einem Stillen Land“ hat Roger Melis seinen melancholischen Bildband genannt, in dem er Aufnahmen aus den Jahren 1965 bis 1989 zusammengestellt hat. Foto: Lehmstedt-Verlag, Leipzig

Süßes kam aus Hessen

Leben in der DDR-Provinz: Sechs Schultage, fünf Noten und Urlaub nur im Osten VON CLAUDIA GÖTZE

Zwangsvereinigung zur SED: Wilhelm Pieck (links, KPD) und Otto Grotewohl (SPD) im April 1946 in Berlin. • 7. Oktober 1949: Der 2. Deutsche Volksrat erklärt sich zur Provisorischen Volkskammer und setzt die Verfassung der DDR in Kraft. Damit ist die Deutsche Demokratische Republik gegründet. Der Ost-Berliner Magistrat erklärt Berlin zur Hauptstadt der DDR. • 11. Oktober: Wilhelm Pieck wird Präsident der DDR, Otto Grotewohl Ministerpräsident. • 17. Juni 1953: In der gesamten DDR brechen Demonstration aus, die später als Aufstand des 17. Juni in die Geschichte eingehen. Die SED strebt eine Stärkung der Staatsmacht nach sowjetischen Vorbild an. Bauern und Betriebe sollen durch erhöhte Abgaben zur Aufgabe ihrer Selbstständigkeit genötigt werden. Die Belegschaften treten in Streik und formieren sich zu Demonstrationszügen. • 18. Januar 1956: Die Volkskammer gründet die Nationale Volksarmee. Bis zum 1. März 1956 sollen die Stäbe und Verwaltungen einsatzfähig sein. Die Gründung ist das Ergebnis einer Entwicklung, die am 10. Juli 1952 mit der Proklamation der „Nationalen Streitkräfte“ begonnen hat. • 31. Mai 1960: Die Kollektivierung in der Landwirtschaft gilt als vollendet. 19 345 Genossenschaften sind bis zu diesem Tag gegründet worden, die auf gut 84 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen produzieren.

Mit Pflastersteinen gegen Sowjetpanzer: Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953

MÜHLHAUSEN. Die DDR in den 8 er-Jahren: Man hatte sich eingerichtet in einem Alltag aus Schichtarbeit, Plattenohnung und eit eisem Mangel an Waschpul er, Reis oder Ketchup. Die Mieten aren niedrig, Brötchen, Milch und Kindersachen stark subentioniert. Gurken gab es nur in der Saison. Weiß- und Rotkraut, Erbsen und Möhren kamen häufiger auf den Tisch. Beide Elternteile fuhren mit dem Bus ur Arbeit – fast alle Kinder besuchten den Kindergarten oder die Schule, o übrigens auch samstags unterrichtet urde und es nur fünf Noten gab. Ihre durchaus orhandene Reiselust befriedigten die DDR-Bürger mit einem Ferienplat an der Ostsee oder im Gebirge, mit Zelt und Campinganhänger. Firmeneigene Bungalo s aren sehr beliebt – und der Schrebergarten am

Stadtrand. Sommerferien aren immer gleich lang: om 1.Juli bis 31. August. Reise-Alternati en aren Ungarn, die Tschecheslo akei oder Bulgarien, manchmal auch Russland. Über Jugendtourist, eine staatsnahe Gesellschaft, aren für ausge ählte Personen auch Reisen nach Kuba möglich. Der scheinbar dauerhafte Ver icht auf Reisen in ferne Länder urde uns or allem beim heimlichen Sehen des Westfernsehens deutlich. In Nord- und Westthüringen konnte man – enn auch mit teil eise schlechter Bildqualität – „Dallas“, „Hitparade“ oder „Der große Preis“ gut sehen. Jeder hatte Arbeit – ein Arbeitsamt gab es nicht. Die meisten Menschen arbeiteten in großen Betrieben ie „Mülana“, „Röhren erk“ oder „Cottana“. Beim Fleischer, Bäcker oder in die Kaufhalle um die Ecke

ar das Sortiment sehr übersichtlich. Von bestimmten Lebensmitteln gab es nur ein ein iges Produkt – die Preise aren überall gleich, Vergleiche daher überflüssig. Spe ielle preisgünstige Angebote und die da u gehörende Werbung gab es nicht. Wörter ie Rabatt oder Sonderpreis aren für uns bedeutungslos. Dafür aber gab es Schlangen or den Geschäften – eindeutig das Signal für ein außerge öhnliches Angebot. Beim Anstellen usste man oftmals nicht, as es überhaupt gibt.

Suchen im Intershop Da ir fast keine Ver andten im Westen hatten, bestand auch das Problem der nicht immer einfachen Kontaktpflege nicht. Über den so genannten Kleinen Gren erkehr besuchte uns bis u seinem Tod Onkel Willi aus Esch ege regelmäßig in Mühlhausen. Eine Tafel „Sa-

rotti“ und eine Büchse „Kaba“ (Bananengeschmack) im Gepäck. Die ein bis ei West-Mark, die er mir regelmäßig um Abschied in die Hand drückte, set te ich dann im „Intershop“ um. Drei bis ier Mal ging ich dorthin, um erst einmal u schauen und dann u entscheiden. Später konnte ich bestimmte West-Produkte u überteuerten Preisen im so genannten „Delikat-Laden“ kaufen. Dass Esch ege nicht mal eine Autostunde on Mühlhausen entfernt ist, erfuhr ich erst nach Gren öffnung. Die Gren e und das da u gehörige Gren gebiet aren ein Tabu-Thema. Wollte man einen Schulfreund et a in Lengenfeld unterm Stein besuchen, musste man sich eine Sondererlaubnis für den betreffenden Tag bei der Poli ei holen. Be ohner der Gren gemeinden hatten einen dau-

28 Jahre lang – von 1961 bis 1989 – mussten die Deutschen mit der Mauer leben, die das Land teilte und Familien trennte. Auf diesen beiden Seiten schildern zwei Kollegen, wie es sich diesseits und jenseits der Grenze lebte. Claudia Götze berichtet aus dem Osten, Werner Keller aus dem Westen. Außerdem schauen wir auf diesen Seiten auf die Geschichte der DDR, die im Herbst vor 20 Jahren unterging.

Unsere Autorin Claudia Götze, 1965 in Mühlhausen geboren, hat nach dem Abitur Journalistik in Leipzig studiert, 1991 folgte ein Volontariat bei der HNA, bis 1997 war sie Redakteurin der HNATochter Mitteldeutsche Allgemeine. Seit 1999 ist Claudia Götze selbstständig. Sie hat einen sechsjährigen Sohn.

erhaft gültigen Stempel im Aus eis. Das Wendejahr 1989 habe ich in Leip ig und teil eise in Mühlhausen erlebt. Eine spannende, un ergessliche Zeit. Nach Mühlhausen sprang der Funke der Re olution erst spät über, nämlich erst Anfang Noember 1989. Da gab es Diskussions eranstaltungen in und um die Marienkirche. Es kam alles auf den Tisch – on der Reisefreiheit bis u den Wünschen nach Städtepartnerschaften mit Münster und Mühlhausen.

Wer war wer in der DDR? Von Ulbricht bis Krenz – die wichtigsten Politiker der SED

Walter Ulbricht • 1893 in Leip ig geboren. Er ar maßgeblich an der Gründung der SED beteiligt (1946) und urde ier Jahre später SED-Generalsekretär. 1953 urde er Erster Sekretär des Zentralkomitees der SED, as er bis 1971 blieb. 196 ählte man ihn um Vorsit enden des neugebildeten Staatsrats der DDR – dem Nachfolgeorgan des Präsidentenamtes, mit dem der Staatsaufbau dem so jetischen Vorbild eiter angeglichen urde. Am 1. August 1973 erlag er in Berlin seinem chronischen Her - und Blutdruckleiden.

Erich Honecker • 1912 in Neunkirchen im Saarland geboren. Honecker urde am 3. Mai 1971 Nachfolger Ulbrichts als Generalsekretär des Zentralkomitees (ZK) der SED. Nachdem er 1971 auch im Nationalen Verteidigungsrat Ulbrichts Nachfolge als Vorsit ender angetreten hatte, ählte ihn die Volkskammer am 29. Oktober 1976 schließlich auch um Vorsit enden des Staatsrats. Honecker starb am 29. Mai 1994 in Santiago de Chile an Leberkrebs.

Margot Honecker • 1927 in Halle an der Saale geboren. Mit 22 Jahren schaffte sie den Sprung in die Volkskammer. 195 urde Margot Honecker Kandidatin des ZK. Ein Jahr u or lernte sie Erich Honecker kennen, bekam mit ihm 1952 Tochter Sonja und heiratete ihn 1955. Margot Honecker urde oft „Miss Bildung“ genannt, eil sie on 1963 bis 1989 Volksbildungsministerin ar. Heute lebt sie in Santiago de Chile und beacht Gerüchten ufolge noch immer die Urne ihres Mannes.

Erich Mielke •19 7 in Berlin geboren. Als nach der DDR-Gründung Mitte Februar 195 das Ministerium für Staatssicherheit geschaffen urde, urde Mielke dessen Staatssekretär und Mitglied des Zentralkomitees der SED. Bis um Ende der DDR stand Mielke an der Spit e der Stasi. Mit dem Rücktritt des alten Politbüros der SED 1989, einen Tag or der Gren öffnung, kam für ihn das politische Aus. Mielke starb am 21. Mai 2 im Pflegeheim „Haus K rit “ in Berlin.

Egon Krenz • 1937 Kolberg/Pommern geboren. In der SED stieg Kren 1973 um ZentralkomiteeMitglied auf. Ein Jahr später übernahm er das Amt des Ersten Sekretärs des Zentralrates der Nach uchsorganisation „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ). 1983 rückte Kren in die Position eines ZK-Sekretärs und um Vollmitglied des SED-Politbüros auf. Im Oktober 1989 löste er Staatschef Erich Honecker ab. Heute lebt der mittler eile 72Jährige mit seiner Frau Erika im Ostseebad Dierhagen. (mac)

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Vor 20 Jahren: Leben mit der Mauer Geschichte der DDR

Pioniereinsatz bei Asbach in den 80er-Jahren: Angehörige der Grenztruppe setzten mit großem Aufwand an Maschinen und Material einen neuen Zaun. Foto: Keller

Hilfe für die Randregion Millionen für Verkehr und Gewerbe

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ei Jahre or der Wende, 1989, machte sich der damalige Bundeskan ler Helmut Kohl (CDU) für die Beibehaltung der Zonenrandförderung stark: Solange die deutsche Frage offen sei und die innerdeutsche Gren e ihren jet igen Charakter behalte, müsse die Förderung des Zonenrandgebietes fortgeset t erden, heißt es in einer Regierungserklärung om 18. Mär 1987. Die ersten bescheidenen Förderprogramme gingen bereits auf die 5 er-Jahre urück. Später erhielt die Gren region im Bundesraumordnungsgeset eine besondere Stellung. Geset esauftrag urde die Zonenrandförderung aber erst 1971. Paragraph 1 bestimmte: „Zum Ausgleich der Aus irkungen der Teilung Deutschlands ist die Leistungskraft des Zonenrandgebietes besonders u stärken.“ An erster Stelle stand die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Mit Steuererleichterungen, In estitions uschüssen und Zulagen so ie insgünstigen Krediten aus dem Europäischen Wiederaufbauprogramm (ERP) urden ukunftssichere und standortgerechte In estitionen gefördert.

Bescheidene Summen Prominente Kinder der Zonenrandförderung aren in unserer Region in Esch ege der Landmaschinenhersteller Masse Ferguson, in Wit enhausen die Papier erke im Gelstertal. In der Reihenfolge rangierte die Zonenrandförderung allerdings hinter der Hilfe für Berlin. Gefördert urden aber auch der Bau on Verkehrs egen im Gren gebiet und kulturelle Veranstaltungen: Die Hersfelder Festspiele ie auch die Europa-Woche auf Burg Lud igstein urden eit eise aus Bonner Töpfen unterstüt t. Allein im Jahr 1986 erbrachten Förderprogramme Steuerersparnisse on einer Milliarde Mark. Eine Summe, die sich im Vergleich u heutigen Konjunkturprogrammen eher bescheiden ausnimmt. ( ke) • Quelle: Die innerdeutsche Gren e, Bundesministerium für innerdeutsche Be iehungen, 1987.

Asbach im Sommer 2009: ein Vorzeigeort mit 120 Einwohnern. Die Randlage ist geblieben. Eine Auskreisung nach Bad Sooden-Allendorf wurde abgelehnt. Foto: Forbert

Besuch am Ende der Welt

• 13. August 1961: Wegen des zunehmenden Flüchtlingsstroms besetzen DDR-Truppen den Sowjetsektor Berlins und riegeln die Grenzen ab. An der Berliner Mauer wird der Schießbefehl ausgesprochen. • 26. Juni 1963: US-Präsident John F. Kennedy besucht WestBerlin und ruft vor dem Schöneberger Rathaus aus: „Ich bin ein Berliner“. • Februar 1968: Bei den Olympischen Winterspielen in Grenoble (Frankreich) erkämpft sich die erste eigenständige OlympiaDDR-Mannschaft fünf Medaillen. Nur noch eine gemeinsame Flagge und die Hymne verbindet die Ost- mit den Westsportlern. • 19. März 1970: Das erste deutsch-deutsche-Gipfeltreffen zwischen Bundeskanzler Willy Brandt und dem Vorsitzenden des Ministerrates Willi Stoph findet in Erfurt statt. Am 21. Mai reist Stoph zum Gegenbesuch nach Kassel. • 9. April 1970: Nach einem Volksentscheid tritt die neue Verfassung in Kraft: Die DDR definiert sich als „sozialistischer Staat deutscher Nation“ .

Leben im Zonenrandgebiet: Damals Armenhaus, heute wieder Problemregion VON WERNER KELLER WITZENHAUSEN. „Drüben steht kein Feind“. Der Te t auf den Info-Tafeln des Bundesgren schut es ist mir noch heute gegen ärtig. Weiß-rote Pfähle markierten in kur en Abständen den Gren erlauf: Z ischen ihnen und dem Metallgitter aun lag das Niemandsland. Wer sich hier aufhielt, befand sich in Lebensgefahr und konnte on Gren aufklärern der DDR festgenommen erden. Bis um Fall der Zäune 1989/9 aren die Gren sperranlagen in ge isser Weise Touristenattraktion: gruselig und an iehend ugleich. Die

Unser Autor Werner Keller (58); in Eschwege geboren, seit 1970 bei der HNA, seit 1977 Leiter der HNARedaktion Witzenhausen. Von 1990 bis 1996 war er Ressortleiter in Thüringen.

nengren kreis on den meisten nicht als Schicksal oder Belastung empfunden: Die Randlage nahm man nicht ahr, das hässliche Attribut om Armenhaus mochte man sich nicht anheften. Den meisten Menschen ging es ja nicht irklich schlecht.

„Die Vopos kamen auch mal ins Dorf“. LIESELOTTE ISECKE (87)

Mit dem Begriff Zonenrandgebiet kam man schon in der Schule in Berührung: Hier muss der Staat Geld rein pumpen, damit Betriebe bleiben oder neue kommen. Ansiedlungen sorgten dafür, dass Menschen aus anderen Regionen her ogen. NordrheinWestfalen aren stark ertreten. Nicht nur auf DDR-Seite, auch auf hessischer Seite aren entlegene Orte - um Beispiel auf dem Ringgau - on der Verödung bedroht. Andere ie Altenburschla (schönstes Dorf der Bundesrepublik 1959) urden mit Bürgerfleiß und öffentlicher Hilfe heraus-

geput t und suchten ihr Heil im Fremden erkehr. Rückblende: In den ersten Jahren nach dem Krieg ar die grüne Gren e, on Russen beacht, noch einigermaßen durchlässig. Viele glaubten, die Aufteilung Deutschlands in Zonen sei nur eine orübergehende Erscheinung. Die Zeit eugin Lieselotte Isecke (heute 87) aus Neuseesen: „Die Vopos kamen auch mal u uns ins Dorf.“ Das änderte sich 1952 schlagartig: Erste Abriegelungsmaßnahmen liefen an. Im Gefolge des Mauerbaus 1961 urde die Teilung ementiert: Ein Über inden der Sperren ar nur noch unter Lebensgefahr möglich. Z ischenfälle an der Grene gab es ab und an: Mal gingen Minen hoch, mal urden die Sperranlagen om Frühjahrshoch asser übersch emmt. Mit Reporterglück konnte man sch ar ge andete Pioniereinheiten fotografieren, die bei Bauarbeiten eingeset t aren. Folgensch er ar ein Ereignis am 3 . Mär 1982: Der DDR-Bürger Hein -Josef-Große starb im Kugelhagel on

Dörfer und Städte jenseits aren so nah, aber nicht erreichbar. Die Menschen, die hier lebten, kannten sich aus: Ihr Sonntagsspa iergang führte sie in die Nähe der EichsfeldGemeinde Linde erra: Über die Werra drangen Stimmen aus den Gärten nach Hessen.

Liedgut als Propaganda Von einem Beobachtungsturm aus konnten die DDRGren soldaten die Lautsprecher einschalten - und so ialistisches Liedgut als Propaganda in den Westen schicken. Noch martialischer irkten die Sperranlagen unter der malerischen Burgruine Hanstein: An Laufanlagen urden Hunde gehalten, die die Gren e be achen sollten. Mittags fuhr ein Gelände agen über den Kolonnen eg. Fleisch urde als Futter abgeorfen. Einblicke in einen DDR-Ort gab es bei Asbach un eit on Bad Sooden-Allendorf: Ein Dorf, das on ei Seiten om Zaun umgeben ar. Hier schien die Welt u Ende. Doch entgegen allen Unkenrufen urde das Leben in einem Zo-

Schönstes Dorf der Bundesrepublik: Alt-Bürgermeister Karl Montag in Altenburschla mit der Plakette aus dem Jahr 1959. Foto: sff

Gren posten, kur be or er hessischen Boden erreichte. Er dürfte der let te Gren tote im thüringisch-hessischen Gebiet ge esen sein. Die Gren e ar für die Beohner ständiger Begleiter: Wer die B 27 ischen Witenhausen und Bad SoodenAllendorf mit dem Auto befuhr, sah jenseits auf den Feldern die Traktoren der LPG Wilhelm Pieck Wahlhausen. Streifen on BGS und Zoll patrouillieren ständig und gaben ein Gefühl on Sicherheit. 1972 ar für die Menschen in den Gren kreisen ein besonderes Jahr. Der Grundlagen ertrag bescherte den kleinen Reise erkehr und usät liche Übergänge, so bei Duderstadt. Mit einem Mehrfach-Visum konnte man Ziele in den thüringischen Nachbarkreisen erreichen. Vereine und Bürger nut ten die Möglichkeit, um das Eichsfeld, Mühlhausen oder Eisenach mit der Wartburg u besuchen. Eine einseitige Erleichterung, on der die Menschen in der DDR nicht profitierten.

Bewohner bodenständig Die Gren landbe ohner sind bodenständig. Trot dem gingen iele aus dem WerraMeißner-Kreis eg, aber nicht aus Angst or der Gren e, sondern eil es u enig Arbeitsplät e gab. Die große Politik schaffte es kaum, die Gren e durchlässiger u machen. Im Kleinen ersuchte Neu-Eibenberg in den 8 er-Jahren, einen usät lichen Übergang auf der Schiene u erreichen. Man ollte an die Glan eit als Ost-WestDrehscheibe anknüpfen. Die nördlichste Gemeinde des Werra-Meißner-Kreises musste sich noch gedulden: Die Lücke auf der Strecke Kassel-Halle urde erst am 26. Mai 199 geschlossen. Doch eine Blüte für den Bahnhof brachte das nicht. Das gilt insgesamt für die Ent icklung seit 199 : Von der iederge onnenen Lage in der Mitte Deutschlands konnte der Werra-MeißnerKreis nicht irklich profitieren. Er kämpft mit den gleichen Problemen ie or 1989: Job erluste und Ab anderung. Verstärkt hat sich nur der Ost-West-Verkehr, der sich täglich über die Bundesstraßen 7 und 27 äl t.

Tod eines Flüchtlings: DDRGrenzer bergen den 17-jährigen Peter Fechter. Berlin, 17. August 1962. Fotos: dpa • 3. Mai 1971: Nachdem Erich Honecker in einem Brief an die sowjetische Führung die Ablösung des Generalsekretärs des Zentralkomitees fordert, muss Walter Ulbricht sein Amt an Honecker abgeben. • 7. Oktober 1974: Verfassungsänderung, die DDR definiert sich als „sozialistischer Start der Arbeiter und Bauern. Der Zusatz „deutscher Nation“ entfällt. • Liedermacher und Regimekritiker Wolf Biermann erhält eine Genehmigung für eine Konzertreise in der Bundesrepublik. Das erste Konzert findet am 13. November 1976 statt. Es dient der SED als Vorwand für seine Ausbürgerung. • 26. August 1978: Sigmund Jähn fliegt in der sowjetischen Sojus 31 zur Raumstation Saljut 6. Er ist der erste Deutsche im Weltall.

Innerdeutscher Gipfel: DDR-Ministerpräsident Willi Stoph (links) und Bundeskanzler Willy Brandt am 21. Mai 1970 in Kassel. • Mai 1989: Bürgerrechtler decken Fälschungen bei den Kommunalwahlen auf. • Juni 1989: Nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung in China lobt Politbüromitglied Egon Krenz das militärische Vorgehen Pekings. • 4. September 1989: In Leipzig findet die erste Montagsdemonstration statt. Fortan wird in vielen weiteren Städten demonstriert. Die neu gegründete SDP und das Bündnis 90 sind maßgebend beteiligt. • 9. November 1989: Maueröffnung. • 3. Oktober 1990: Wiedervereinigung.

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Vor 20 Jahren: Leben mit der Mauer Die Mauer in Zahlen Anzahl der Toten bleibt unklar

Betonmauern, Bunker und Hunde

Das Bauwerk bestand aus: • 156,4 km Grenzbefestigung um West-Berlin zwischen 3,40 und 4,20 m Höhe • 111,9 km Beton- und Steinmauern und 44,5 km Metallgitterzaun • 112,7 km Grenzbefestigung im Bezirk Potsdam • 43,7 km Grenzbefestigung innerhalb von Ost- und West-Berlin (Sektorengrenze) • 58,95 km Grenzmauer in Plattenbauweise mit einer Höhe von 3,40 m

Patrouille an der Grenze • 68,42 km Streckmetallzaun mit einer Höhe von 2,90 m als „vorderem Sperrelement“ • 161 km Lichttrasse • 113,85 km Grenzsignal- und Sperrzaun • 127,5 km Kontakt- und Signalzaun • 124,3 km Kolonnenweg • 186 Beobachtungstürmen (302 rund um West-Berlin) • 259 Hundelaufanlagen • 20 Bunkern

Mit der Berliner Mauer wurde das letzte Schlupfloch der DDR-Bürger in den Westen geschlossen VON SYLVIA GRIFFIN

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as erste Maueropfer heißt Ida Siekmann. Sie stirbt beim Sprung aus ihrer Wohnung im dritten Stock der Bernauer Straße an der Sektorengren e ischen Berlin-Mitte und Berlin-Wedding. Es ist der 22. August 1961. Am nächsten Tag äre Ida Siekmann 59 Jahre alt georden. Die Mauer ischen dem Osten und dem Westen Berlins gibt es da bereits seit ehn Tagen. Allerdings nicht in der perfiden, perfektionierten Form, ie sie in späteren Jahren um S mbol der Unfreiheit urde. Gegen ein Uhr früh am 13. August riegeln Volkspoli isten die Gren en om so jetischen Sektor um Westen ab. Das Straßenpflaster ird aufgerissen, Presslufthämmer rattern. Asphaltstücke und Pflastersteine erden u Barrikaden aufgeschichtet, Betonpfähle eingerammt und Draht erhaue ge ogen. Ein Rias-Reporter, der das Geschehen an der Bernauer Straße erfolgt, spricht on „ errostetem Stacheldraht“.

Lange geplant Der Staatsrats orsit ende der DDR, Walter Ulbricht, hat schon am 1. August dem so jetischen Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtscho berichtet: „Der Stacheldraht ist bereits angeliefert. Das kann alles sehr schnell geschehen.“ Z ischen 1945 bis um Bau der Mauer sind et a 3,5 Millionen Deutsche aus so jetischer Beset ungs one und DDR geflohen. Die DDR-Führung ist erleichtert, dass die So jets einer Abriegelung Berlins jet t ustimmen. Seit neun Jahren

DIE BERLINER MAUER Kontrollstelle Heiligensee/ Stolpe Dorf Berlin-West

Grenzmauer Plattenbau (Mitte 60-er Jahre)

Berlin-Ost

Kontrollstelle Bornholmer Str. Heerstr./ Chausseestr. Staaken Invalidenstr. Prinzenstr. Friedrichstr. Checkpoint Charlie (Grenzübergang für Ausländer, Alliierte, Diplomaten)

Kontrollstelle Dreilinden/Drewitz

Laufanlage für Kettenhunde

Oberbaumbrücke Sonnenallee

Kontrollstelle Waltersdorfer Chaussee

Mauerbau-Beginn: 13. 8. 1961 Öffnung: 9. 11. 1989 Gesamtlänge: 155 km davon 43 km im Stadtgebiet Beobachtungstürme: 186 Führungsstellen: 31 Wachhunde: 484 Gelungene Fluchten über Mauer 5 075 davon 574 und Todesstreifen(1961 - 1989): Fahnenfluchten

Mauer aus industriell gefertigten Betonsegmenten, 3 - 4 m hoch, 10 cm dick mit Rohranlage (Mitte 70-er Jahre) Kfz-Sperrgraben teilweise mit Betonplatten verstärkt

Lichttrasse am „Todesstreifen“ garantiert gute Sicht für Bewacher

Hinterlandsperrzaun 2 - 3 m hoch Kolonnenweg für motorisierte Streifendienste

Qelle:DPA

ill die DDR-Führung auf diese Weise das let te Schlupfloch in den Westen schließen. Jet t hat sie die Erlaubnis. Die Pläne sind schon durchgesickert. Auch die Alliierten in den Westsektoren sind on „drastischen Maßnahmen“ age in Kenntnis geset t orden. Auf einer Pressekonferen errät Ulbricht in einem Dementi ersehentlich, elche Form sie annehmen sollen: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer u errichten.“ Was unächst impro isierte Sperren sind, ird nach und nach auch um den gesamten Westen Berlins ur bestgesi-

cherten Gren e Europas ausgebaut, mit Schießbefehl, Selbstschussanlagen und Minen. Der Regierende Bürgermeister Will Brandt hat sogleich heftig protestiert. Drei Tage nach Beginn der Abriegelung demonstrieren 3 Westberliner usammen mit Brandt gegen die Teilung. Bundeskan ler Adenauer kommt erst ei Wochen später in die Stadt. Das haben ihm die Berliner nie er iehen. Ihr Durchhalte illen ird gestärkt durch den amerikanischen Präsidenten John F. Kenned , der ihnen im Juni 1963

Mut uspricht und sich u einem der Ihren erklärt: „Ich bin ein Berliner.“ Im gleichen Jahr ird auch erstmals die Mauer et as durchlässiger. Ein Passierscheinabkommen ermöglicht Ver andtenbesuche on Westberlinern im Osten. In den Sieb igerjahren, im Zuge der Ostpolitik on Kan ler Brandt, gibt es auch Reiseerleichterungen für Ostdeutsche, or allem für Rentner. Und es gibt einen „kleinen Gren erkehr“ überall entlang der Zonengren e - In Richtung Osten. Die halb ersehentliche Öff-

nung der Mauer am 9. No ember 1989 ist der Schlussakt eines bröckelnden Regimes, das sich nicht mehr halten kann. Ausreise ellen über Ungarn, die Tschechoslo akei und Polen haben die Grundlagen der „so ialistischen Republik“ erschüttert. Täglich ansch ellende Massenproteste auf den Straßen machen die Macht erhältnisse klar: Der Staat ist u sch ach ge orden, um sich u behaupten. Es ist ieder ein 13., diesmal der 13. Juni, als 199 an der Bernauer Straße der offiielle Abbau der Mauer beginnt.

Die Reste der Mauer Nur drei Teilstücke der Grenzmauer sind am Originalstandort erhalten geblieben. Alle finden sich im Berliner Ortsteil Mitte: • Der längste erhaltene Abschnitt der Grenzmauer steht an der Bernauer Straße, ist aber durch größere Lücken unterbrochen. Der östliche Teil dieses Mauerabschnitts wurde in die dort errichtete Gedenkstätte integriert und dafür ins ursprüngliche Erscheinungsbild versetzt. Graffiti und Spuren von Mauerspechten wurden beseitigt. • Ein fast ebenso langer, nur von einer kleinen Lücke unterbrochener Restabschnitt der Grenzmauer steht an der Niederkirchner Straße am Ausstellungsgelände der Topographie des Terrors, gegenüber dem Bundesfinanzministerium. Er wurde 1990 unter Denkmalschutz gestellt. • Der dritte erhaltene, ebenfalls denkmalgeschützte Abschnitt der Grenzmauer ist nur ca. 15 Meter lang und findet sich an der Liesenstraße.

Sieben Regimenter an der Grenze

Für den Schutz der Grenze zu West-Berlin war in der DDR das Grenzkommando Mitte der Grenztruppen der DDR zuständig, dem im Frühjahr 1989 11 500 Soldaten und 500 Zivilbeschäftigte angehörten. Es bestand aus sieben Grenzregimentern, von denen jedes fünf direkt geführte Grenzkompanien besaß, außerdem je eine Pionier-, Nachrichten- und Transportkompanie, Granatwerfer- und Artilleriebatterie, einen Aufklärungs- und einen Flammenwerferzug sowie eine Diensthundestaffel und unter Umständen eine Bootskompanie und Sicherungszüge oder kompanien für die Grenzübergangsstellen. Das Grenzkommando Mitte verfügte über 567 Schützenpanzerwagen, 48 Granatwerfer, 48 Panzerabwehrkanonen und 114 Flammenwerfer sowie 156 gepanzerte Fahrzeuge und schwere Pioniertechnik, und 2295 Kraftfahrzeuge. Zum Bestand gehörten außerdem 992 Hunde. An einem normalen Tag waren etwa 2300 Soldaten direkt an der Grenze und im grenznahen Raum eingesetzt. Bei sogenannter „verstärkter Grenzsicherung“waren es etwa 200 mehr.

KontaktSignalzaun mehrere Drahtreihen unter elektrischer Spannung (optische/akustische Signale bei Berührung)

Beobachtungsturm

f au erl zv en Gr

Auch in nüchternen Zahlen ist die Mauer ein monströses Bauwerk. Die schrecklichste Bilanz ist die Zahl der Toten, die jedoch nicht genau feststeht, weil die Todesfälle an der Grenze von den Verantwortlichen der DDRStaatsführung systematisch verschleiert wurden. Die Berliner Staatsanwaltschaft gab im Jahre 2000 die Zahl der nachweislich durch einen Gewaltakt an der Berliner Mauer umgekommenen Opfer mit 86 an. Wie schwierig genaue Aussagen auf diesem Gebiet sind, wird auch dadurch deutlich, dass die „Arbeitsgemeinschaft 13. August“ ihre Zahl der Mauertoten von 2000 bis 2004 von 238 auf 190 korrigiert hat.

Bestgesicherte Grenze Europas

Tod an der Mauer: Der 17-jährige Peter Fechter versuchte am 17. August 1962, über die Berliner Mauer zu klettern, wurde aber von DDR-Posten niedergeschossen. Mehr als 50 Minuten lag er blutend und schreiend am Grenzstreifen, bevor er geborgen wurde - zu spät. Foto: dpa

Sprung in die Freiheit: Der Berliner DDR-Volksarmist Conrad Schumann flüchtet Anfang der 60er-Jahre in den Westteil der Stadt dabei entstand das historische Foto. Schumann lebte später im oberbayerischen Kipfenberg, wo er sich im Sommer 1986 das Leben nahm. Foto: dpa

Deutlich mehr und häufig längere Teilstücke sind von der Hinterlandmauer erhalten geblieben, die den Grenzstreifen auf Ost-Berliner Seite abschloss. Sie liegen zumeist abseits von Straßen und Plätzen und standen daher Bauvorhaben der Nachwendezeit nicht im Wege. Diese Mauerreste sind nur zum Teil denkmalgeschützt. An vielen Stellen entlang der früheren Grenze deutet ein Pflasterstreifen auf dem Boden den früheren Mauerverlauf an.

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Vor 20 Jahren: Leben mit der Mauer

Mit Mördern in einer Zelle

Neue Bücher zu DDR und Mauer Die SED-Nachfolger

Harry Santos wurde zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er die DDR verlassen und sich der Kunst widmen wollte auf dem Weg zurück VON MARC RADKE

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erfallene, farblose Straßen, Tristesse und ein diktatorischer Unrechtsstaat. Das sind Harr Santos Erinnerungen an die DDR. Oft reichte ein kritisches Wort, ein erdächtiger Lebenslauf oder der Verrat eines Nachbarn, um festgenommen und inhaftiert u erden. Auch Santos urde Opfer des Stasi-Regimes. „Aber ich hatte noch Glück“, sagt er. Ein Sat , der noch häufiger u hören ist, ährend er über seine Vergangenheit er ählt. Doch Glück ist in seinem Fall relati : Der damals 28-Jährige urde 1982 u einer einjährigen Haftstrafe mit anschließender Poli eiaufsicht erurteilt. Man arf ihm eine „Vorbereitung und Planung um illegalen Gren übertritt im sch eren Falle“ or. Nach neun Monaten Haft urde Santos on der Bundesrepublik freigekauft – ie et a 34 andere inhaftierte DDR-Bürger. Was er jedoch bis dahin in der Stasi-Haft erlebt hatte, ar reinster „Ps choterror“, meint er. Santos ollte mit seiner damaligen Lebensgefährtin in den Westen, um sich seiner Leidenschaft, der abstrakten Kunst u idmen. Schon als Jugendlicher interessierte er sich dafür. „Diese Kunstform ar in der DDR jedoch erdächtig, urde bearg öhnt“, sagt er. Sein Vater - ein höherer SEDFunktionär - ollte nicht, dass

Harry Santos wurde zu einer einjährigen Haftstrafe mit anschließender Polizeiaufsicht verurteilt. Foto: Gedenkstätte Hohenschönhausen

er eine künstlerische Ausbildung beginnt. Santos ent ickelte sich om Vor eige-Bürger um unliebsamen Zeitgenosse. 1979 stellte er seinen ersten on drei Anträgen auf Ausreise in die Bundesrepublik – alle urden ohne Begründungen abgelehnt. „Dann machte ich den größten Fehler meines Lebens“, sagt er. Um eine Ausreisegenehmigung u bekommen, über eugte er seine damalige Freundin da on, eine Scheinehe mit einem Amerikaner ein ugehen, den er ufällig in einer Kneipe in Berlin-Panko kennenlernte. „Drei Monate später konnte Jutta tatsächlich ausreisen.“ Von Westberlin aus, ersuchte sie, Harr Santos u sich u holen. „Es ar ein nai er Plan“, meint der gebürtige Leip iger heute. Seine Ausreise urde nicht be illigt, nachdem bekannt ge orden ar, dass die Ehe fingiert ar. Santos: „Meine Gespräche mit Jutta on einer Telefon elle Menschenunwürdige Zustände: Eine Zelle im Zellentrakt „Das U-Boot“ im eheFoto: dpa aus, urden abge- maligen Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen. hört.“ Also schmiedete er FluchtIn Berlin urde Santos bei gen, sperrten sie mich in eine pläne – und machte einen Außentemperaturen on mi- kleine dunkle Zelle im Keller.“ eiten großen Fehler: Er er- nus 2 Grad die Nacht über in Von dort aus kam er in die so traute sich einer Bekannten einem unbehei ten Glaskäfig genannte grüne Hölle – eine an, die ihn an das Staatsminis- festgehalten. „Eine Decke be- Zelle, in der rund um die Uhr terium für Staatssicherheit er- kam ich nicht. Die Poli isten grelles Neonlicht brannte. riet. Wochenlang urde San- lachten nur“, erinnert sich der „Später brachte man mich tos on der Stasi bespit elt und 54-Jährige. Einen Tag später dann in eine überhit te, mit obser iert und Ende 1982 er- begannen die Verhöre. „Weil Häftlingen überfüllte Zelle. haftet. Der Terror begann. ich mich eigerte, aus usa- Man bekam dort kaum Luft.“

Während der Untersuchungshaft in Berlin-Rummelsburg sperrte man Santos usammen mit einem Mörder in eine Zelle und behandelte auch ihn ie einen solchen. Dann musste Santos seine eigentliche Haftstrafe antreten. Drei eitere Gefängnissumüge folgten. In der Haftanstalt in Neustrelit teilte er sich Zellen mit Kinderschändern und musste ie ein Sch er erbrecher ölf Stunden am Tag im Außeneinsat Akkordarbeit leisten. „Sie erpassten einem Handschellen, drückten sie so fest u, dass sich das Blut staute.“ Von Neustrelit aus ging es eiter: „Ohne Kommentar steckten sie mich in einen als Lieferfahr eug getarnten Gefangentransporter ohne Fenster. Ich usste nicht, o sie mich hinbringen“, sagt Santos. Es ar die berüchtigte Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen. „Aber ich hatte Glück. Ich urde dort in einer kleinen Ein el elle nur einige Tage ischengeparkt“, meint der mittler eile 54-Jährige. In einer eiteren Nacht-und-NebelAktion urde er dann in die Straf oll ugsanstalt nach KarlMar -Stadt, dem früheren und heutigen Chemnit , überführt. Von dort aus urden StasiHäftlinge on der Bundesregierung freigekauft. Am 4. August 1983 ar es auch für Santos so eit. Freiheit. „Bis ur Gren e, o die ier Stasi-Männer den Bus erließen, hatte ich Angst. Als ich dann die Gren e überquerte, ar das ein unbeschreibliches Gefühl, mein eiter Geburtstag“, erinnert er sich. Einsicht in seine Stasi-Akte hat Santos, der mittler eile in Westberlin lebt, nie beantragt. „Ich ill das nicht. Ich eiß, dass man in meinem Intimleben rum schnüffelte, das reicht mir“, sagt der heutige Künstler. Außerdem habe er ja noch Glück gehabt, andere hat es schließlich noch härter getroffen als ihn.

„Das war damals psychischer Terror“ Rechtsanwalt Dieter Gräf spricht über die Schwierigkeiten eines Strafverteidigers in der DDR VON WOLFGANG BLIEFFERT

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nter dem SED-Regime urde die Rechtssprechung als schlagkräftiges Instrument ur Sicherung des totalitären Machtapparats missbraucht. Darüber sprachen ie mit Dieter Gräf, der – ob ohl parteilos – in der DDR selbst jahrelang als Rechtsanalt tätig ar. Herr Gräf, Sie schildern in Ihrem Buch, wie die anwaltliche Tätigkeit durch die Staatsorgane massiv behindert wurde. War das der Normalfall? GRÄF: Wenn die Stasi ermittelte, ar das so. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte die Rechte eines Ermittlungsorgans, bereitete Verfahren or und beeinflusste das gerichtliche Haupt erfahren massi . Einem Verdächtigen urde es sch er gemacht, überhaupt mit einem An alt Kontakt auf unehmen. Und dem An alt urden Knüppel ischen die Beine ge orfen beim Versuch, überhaupt eine An alts ollmacht u bekommen.

Können Sie ein Beispiel nennen? GRÄF: Man durfte mit dem Verhafteten unächst nicht über die Vor ürfe, sondern nur über die Person sprechen. Ich hatte den Fall eines Mannes, der inhaftiert orden ar, der immer ieder ernommen urde und dem man dann die Empfehlung gab, er solle einen An alt kontaktieren, um orsorglich ein Testament aufset en u lassen. Das ist eine schlimme Situation, das nenne ich ps chischen Terror. Konnte Sie mit dem Mann ungestört sprechen? GRÄF: Nein. Es ar immer ein Vernehmer des MfS dabei. Und ie ir heute issen, sind ahlreiche Gespräche ischen An alt und Mandant auch abgehört und gefilmt orden. Waren die Angeklagten also rechtlos? GRÄF: Sie aren dem Ministerium für Staatssicherheit quasi schut los ausgeliefert. Von einem irkungs ollen Recht auf Verteidigung konnte keine Rede sein.

War das nur in politischen Fällen so? GRÄF: In Straf erfahren ohne politischen Hintergrund konnte der Rechtsan alt den Beschuldigten oder Angeklagten in der Regel ohne Vernehmer sprechen und dessen Rechtsertretung übernehmen. Hatten Beschwerden - etwa gegen Behinderungen beim Mandantengespräch - überhaupt mal Erfolg? GRÄF: Kaum. Denn in der Strafpro essordung ar festge-

legt, dass die Staatsan altschaft Bedingungen für den Umgang ischen An alt und Mandant festlegen konnte. Wenn man dennoch ersuchte, dem Inhaftierten in erbrämter Weise et as mit uteilen, machte man sich schnell unbeliebt. In dem er ähnten Fall urde der Häftling schließlich gedrängt, einen anderen - dem S stem genehmen - Verteidiger u beauftragen. Was bedeutete das für den Angeklagten?

Zur Person Dieter Gräf (65), geboren in Ronneburg (Thüringen), studierte Rechtswissenschaften an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und war von 1970 bis 1982 als Rechtsanwalt in Weimar tätig. Anschließend arbeitete er als Verwaltungsjurist in einer kirchlichen Einrichtung in Magdeburg und siedelte 1984 auf eigenen Antrag in die Bundesrepublik über. Zunächst seit 1988 wieder als Anwalt tätig, war Gräf dann von 1991 bis 2009 in einer Bundesoberbehörde tätig, die Restitutionsverfahren in den neuen Ländern bearbeitete. Er verfasste zudem Expertisen für die Enquete-Kommission des Bundestages zur „Aufarbeitung der SED-Diktatur“. Gräf ist verheiratet und lebt heute in Lübeck und Oranienburg. • „Im Namen der Republik - Rechtsalltag in der DDR“ von Dieter Gräf, Herbig-Verlag, 256 Seiten, 19,95 Euro

GRÄF: Das angebliche Recht auf Verteidigung urde u einer Farce. Hatten Sie jemals das Gefühl, dass es bei Richtern, Staatsanwälten oder Vernehmern Bedenken gegen ihr Handeln vorhanden waren? GRÄF: Es gab erein elt solche Fälle. Ich kenne einen Richter, der in einer Verkehrsunfallsache nicht dem Staatsan alt folgte und eine Freispruch erkündete. Der Richter musste sich dann bei der SED-Kreisleitung dafür erantorten. Eine andere Richterin hat mal einen Haftbefehl abgelehnt - sie urde dann nicht mehr als Richterin eingeset t und urde umgeset t. Stimmen Sie nach Ihren Erfahrungen der Charakterisierung der DDR als Unrechtsstaat zu? GRÄF: Ja, das muss man so sagen. Die gegen ärtige Verklärung der DDR halte ich für sehr bedenklich. • Eine Lang ersion des Interie s finden Sie in unserem Internetangebot unter www.hna.de/politik

Als die SED-Diktatur im friedlichen Herbst 1989 in sich zusammenbrach, hätte wohl niemand gedacht, dass die Staatspartei der DDR zwanzig Jahre später die Geschicke der Bundesrepublik mitbestimmen könnte. Doch nach mehrfachen Metamorphosen, dubiosen Verschiebungen ihres Milliardenvermögens und dem Zusammenschluss mit westdeutschen Altlinken drängt die Partei zurück an die Macht. Hubertus Knabe, Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, lässt das nicht ruhen. In seinem Buch „Honeckers Erben“ zeigt er auf , in welch beunruhigendem Maße es eine personelle, programmatische, organisatorische und finanzielle Kontinuität von der SED zur Partei „Die Linke“ gibt. Knabe analysiert dabei in pointierter Weise die totalitäre Tradition der Partei und schaut zurück in die Gedankenwelt der alten SED. • Hubertus Knabe: „Honeckers Erben - Die Wahrheit über Die Linke“ Propyläen-Verlag, 448 Seiten, 22,90 Euro

Die Geschichte vergeht nicht

Dezember 1977: Alles sollte anders werden, als Susanne Schädlich die DDR verließ. Doch es war der Beginn einer dramatischen Zerreißprobe: Der Westen war fremder als gedacht, und der lange Arm der Stasi verfolgte die Familie auch hier. Erst Jahre später, im geeinten Deutschland, gelang es ihr, anzukommen. Aber Geschichte vergeht nicht, sie holt einen immer wieder ein. Susanne Schädlich legt ein schockierendes Dokument über Verrat und Feigheit, Niedertracht und Verdrängung vor. • Susanne Schädlich: „Immer wieder Dezember - Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich“, Droemer Sachbuch, 16,95 Euro

Der erste Riss in der Mauer

Im Sommer 1989 packten tausende DDR-Bürger die Koffer, um nach Ungarn zu reisen und von dort nie wieder in die DDR zurückzukehren. Man hatte gehört, dass der „Eiserne Vorhang“ zwischen Ungarn und Österreich durch den Abbruch der maroden Grenzbefestigungsanlagen gefallen war, und man hoffte, dem DDR-Regime auf diese Weise endlich entrinnen zu können. Indessen waren weder die DDR-Bürger noch die Ungarn darauf vorbereitet, was daraus werden würde. Andreas Oplatka rekonstruiert die politische und diplomatische Vorgeschichte der Entscheidung, dank der sich die ungarische Grenze zu Österreich schließlich für die fluchtwilligen Deutschen aus der DDR öffnete. • Andreas Oplatka: Der erste Riss im Eisernen Vorhang - September 1989: Ungarn öffnet die Grenze“, Zsolnay-Verlag, 304 Seiten, 21,50 Euro

Die dämonische Seite des Biedersinns

Die Drahtzieher leben bis heute oft unbehelligt unter uns – Jürgen Schreiber deckt persönliche Abgründe der Stasi-Agenten und ihrer Hintermänner, perfide Aktionen und geheime Operationen des Ministeriums für Staatssicherheit auf. Es sind spektakuläre Enthüllungen über die dämonische Seite des sozialistischen Biedersinns. • Jürgen Schreiber: „Die Stasi lebt“, Knaur Verlag, 224 Seiten, 8,95 Euro

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Vor 20 Jahren: Leben mit der Mauer Unsere Leser über die DDR Anfang Juli hatten wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, gebeten, uns von Ihren Erinnerungen an die DDR und Mauer zu berichten. Hier Auszüge aus dem zahlreichen Zuschriften, für die wir uns herzlichen bedanken.

Seltsame Schikanen beim Transit

„Als gebürtiger West-Berliner, Jahrgang 1950, habe ich viele Erinnerungen an die Zeit der Mauer. Nach Einführung der Verwandtenbesuche aus West-Berlin in die DDR habe ich natürlich auch die Grenzkontrollen erlebt. Ebenso die Transitfahrten in die BRD mit den damit verbundenen Kontrollen und teilweise doch recht seltsamen Schikanen. Da ich auch oft in der DDR zu Besuch war, bin ich heute froh dass ich die DDR erlebt habe wie sie wirklich war. Ich habe dadurch nicht die verklärte und seichte Ostalgiementalität.“ Gerhard Heintze, Witzenhausen

Die DDR war einfach Ausland

„Die damalige Ostzone war mir aus düsteren Schilderungen Dritter bekannt, da wir keinerlei verwandtschaftliche oder freundschaftlicheVerbindungen dorthin hatten. Es war von Bedrohungen, Bespitzelungen und äußerst knappem Warenangebot die Rede. Für mich war einfach Ausland, und zwar eines, in das ich nie reisen wollte. Bei Transitstrecken und Grenzkontrollen bot sich ein ähnlich finsterer Anblick: Verhangene Fenster, schroffe Behandlung durch Grenzer, keine Stopps, Grenzkontrollen bis auf die bloße Haut und Durchsuchen von PKW, die bis zu einer Demontage des Chassis führten“. Und zur Wiedervereinigung: „Wir konnten es lange nicht glauben, was da passierte ... Erst die kilometerlangen Autoschlangen, die sich aus Münden bis über Witzenhausen hinaus bildeten, zeigten uns, es ist wahr, die Entwicklung wird sich nicht aufhalten lassen.... So ist es auch gekommen, aber der Preis dafür ist hoch. Irene Wegmann, Hann.Münden

Jahreswechsel der Emotionen

Silvester 1989/90 hatte die DDR für kurze Zeit die Grenze bei Hohengandern geöffnet. Wildfremde Menschen aus beiden Teilen Deutschlands lagen sich in den Armen und begrüßten das Neue Jahr. Ein derartiges Silvester habe ich noch nie erlebt. Es war ein Jahreswechsel der Emotionen. Angst hatte ich nur, ob ich heil aus der DDR wieder rauskommen würde. Als Bundeswehrangehöriger war es mir strikt untersagt, den Boden der DDR zu betreten. Karl Wetzel, Calden

Zwei Deutschlands kommen zusammen

Mir fällt der Ausruf eines ägyptischen Arbeitskameraden ein : „Two Germanies come together!“ Ich musste damals nach erfolgter Übergabe einer Stuckgipsfabrik im Sinai ab Oktober 89 bis Weihnachten zur Einarbeitung der einheimischen Mannschaft an der Anlage bleiben. Radio und TV hatte ich nicht. Ich konnte dem jungen Mann aus einem kleinen Beduinendorf nicht glauben. Es war für mich unvorstellbar, das dieser Polizeistaat sang- und klanglos aufgeben sollte. Emil Bornemann, Bad Hersfeld

Der Blick nach drüben

Die Flucht aus der DDR als zentrale Erfahrung eines Lebens - eine persönliche Betrachtung VON SYLVIA GRIFFIN

Mein frühes Interesse für Politik ar Reaktion auf die Erfahrung erordneten Denkens. Welcher Lu us, Bundestagsdebatten u hören, in denen Konrad Adenauer, Frit Erler und Fran Josef Strauß tatsächlich um Inhalte stritten! Keine heruntergeleierten Parolen um Fortschritt der Braunkohle- und Stahlproduktion!

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ls meine Kindheit endete, ar ich neun Jahre alt. Der Einschnitt durch die Flucht aus der DDR ar so abrupt, dass damit ein öllig anderes Lebensstadium begann, das kein unbesch ertes Heran achsen mehr ar. Ich ar Flüchtling. Außenseiter. Anders als die anderen. Der Verlust on Freunden, om gesamten gesicherten Lebens usammenhang, on dem ein Kind unbe usst ausgeht, ar unumkehrbar. Nicht das Fortgehen ar dramatisch, sondern die Unmöglichkeit der Rückkehr. Mein Anderssein eigte sich nicht nur in dem leichten Thüringer Dialekt, den ich bald erlor, sondern im Kontrast u frühen Erfahrungen. Man musste in der Schule nicht mehr ersch eigen, elcher Radiosender u Hause lief. Man urde nicht ausgefragt, elche Haltung die Eltern u bestimmten Themen hatten. Man musste sich nicht rechtfertigen, eil man sonntags in die Kirche ging.

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ie frühe Berührung mit dem real e istierenden So ialismus entfremdete mich ein Stück on meiner eigenen Generation. Die 68er hatten in ielem recht - aber gegen ihre Helden Mao und Ho Tschi Minh ar ich immun. Mein Blick nach drüben ar nüchterner: Ein kleiner Gemüsehändler ie mein Vater konnte über Nacht als „Kapitalist“ enteignet erden. Die Sch ester durfte nicht studieren, eil sie kein „Arbeiter- und Bauernkind“ ar. Also ist Ideologie kein Ersat für Freiheit. Mit heißem Her en unterstüt te ich hingegen die Ostpolitik Will Brandts. Endlich eine schritt eise Annäherung on West und Ost. Endlich jemand, der nicht nur on den „Brüdern und Sch estern“ in der DDR sprach, sondern ihre Bedürfnisse im Auge hatte. Jemand, der für Be egung im erstarrten Nebeneinander der S steme sorgte. Die mutige Re olution der Ostdeutschen ist eine Sternstunde unserer Geschichte. Als kleinen Nebeneffekt hat sie mein Leben an manchen Bruchstellen ieder an achsen lassen, eil ich die ertrauten Wege der Kindheit, die erloren schienen, heute ieder gehen kann.

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s gab keine kollekti e Schulung im „richtigen“ Denken, mit blauem Pionierhalstuch und langen, unerständlichen Phrasen, die alle irgend ie mit So ialismus u tun hatten. Eine Demonstration ar et as, das auch gegen die Regierung gerichtet sein durfte. Ich kannte Demonstrationen nur als Antreten in geordneten Fünferreihen mit Transparenten, die den Aufbau des So ialismus und die Staatsführung unterstüt ten. Das Wirtschafts under ar nach dem Neuanfang mit dem bescheidenen Inhalt on ei Koffern für uns besonders fühlbar. Pflichtbe usst schickten ir Päckchen an Bekannte „nach drüben“, eil on dort eiter Berichte der Mangel ersorgung kamen. Weihnachten stellten ir Keren ins Fenster, um an die Deutschen hinter dem Stacheldraht u erinnern. Mit Tränen in den Augen hörten ir Rundfunkreportagen über den Mauerbau. „Diese Sch eine“ sagte mein ortkarger Vater ein ums andere Mal.

Unsere Autorin

Blick nach drüben: US-Präsident Kennedys Berlin-Berater Lucius D. Clay im November 1962 am Brandenburger Tor. Foto: dpa

Beispiellos in der Geschichte Der Mauerfall sorgte besonders bei Älteren für Gefühlsausbrüche

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n eine Jahr ehnte lange Trennung Deutschlands dachte nach Kriegsende niemand on uns. Das ar Utopie. Aber die Welt ar im Umbruch, da konnte man sich als Kriegs erlierer keinen Illusionen hingeben und Prognosen anstellen. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als uns die

Meldungen om Mauerbau an der DDR-Gren e erreichten. Wir aren da on emotional stark be egt, schockiert und maßlos empört über die Teilung des Landes... Für mich ar es ein historischer Widersinn, ein Volk illkürlich über lange Zeit u teilen. Als ich später die DDR besuchte, ar ich erschrocken

Unvergessen der 3. Oktober 1990: Mit Fanfaren und Feuerwerken feierten die Menschen die Wiedervereinigung. Foto: dpa

über den Zustand des Landes, über die ollkommen ungepflegten Städte und Dörfer. Aber ich ar immer on einer Wieder ereinigung über eugt – trot eisernen Vorhangs... Nachdem ich 1987 Michail Gorbatscho s Buch „Perestroika“ gelesen hatte, usste ich: das ist der Mann, der die Welt erändern ird... Auch die DDR ar reif für einen Wandel. Aber die erkrusteten SED-Gehirne klammerten sich an ihre Ideologie. Was dann jedoch geschah ist beispiellos in der Geschichte. Ge altlose Aufstände brachten ein diktatorisches Regime um Stur . Atemlos haben ir dies erfolgt, und als die Mauer brach, ar eine Gefühlsflut die Folge. Besonders ir Älteren aren beegt: Wir aren ieder ein einiges Deutschland, ie ir es als Kinder kannten. Horst Buchborn-Klos, Hatzfeld/Eder

Sylvia Griffin (61), in Weimar geboren, verließ die DDR mit ihrer Familie 1956. Das journalistische Handwerk in Studium und Praxis lernte sie in den Vereinigten Staaten. Seit 37 Jahren arbeitet sie für die HNA; seit 1991 als HauptstadtKorrespondentin.

Verspätet zum Fest Erfahrungen mit sowjetischen Soldaten

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enige Jahre nach Kriegsende ollten ir - meine Frau, unser kleiner Sohn und ich - die Weihnachtstage gemeinsam bei ihren Eltern in Halberstadt (so jetische Besat ungs one) erbringen. Frau und Sohn aren schon einige Tage or Weihnachten nach „drüben“ gefahren. Ich sollte am Heiligabend nachkommen. Mit gemischten Gefühlen machte ich mich in aller Frühe auf den Weg ur Gren übergangsstelle Niedergandern/Kirchgandern. Innerhalb kur er Zeit hatten sich eit mehr als 1 Personen am Schlagbaum eingefunden. Wir alle arteten auf die EinreiseKontrollabfertigung... Der Gren übergang irkte ie ausgestorben. Plöt lich ar es mit der Ruhe orbei, denn einige Kriegs ersehrte (Beinamputierte) hoben den Schlagbaum hoch und alle Wartenden set -

ten sich in Richtung Abfertigungsbaracke in Be egung... da stürmten mehrere Soldaten aus der Baracke und trieben uns mit orgehaltenen Maschinenpistolen ieder urück in die britische Besatungs one, erschlossen die Schranke und gingen ur Baracke urück. Ab sofort urden ir mit Lautsprecher mit Musik und politischen Parolen berieselt. Nach geraumer Zeit erschien ein so jetischer Soldat, Alter et a 18 bis 2 Jahre, und hielt uns einen Vortrag über die „Dis iplin des So jetmenschen und des Deutschen Menschen“... Später urde der Schlagbaum geöffnet und die Gren -Übertrittspro edur konnte beginnen. Der Zug ab Arenshausen ar natürlich abgefahren, so bin ich erst am 1. Weihnachtstag spätnachmittags in Halberstadt angekommen... Karl Ebel, Hann. Münden

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Vor 20 Jahren: Leben mit der Mauer Unsere Leser über die DDR Hier weitere Auszüge aus den Zuschriften unserer Leser:

Keine Reiseerlaubnis zu Omas Beisetzung

Die Mauer ist offen: Am Abend des 9. November strömen DDR-Bürger zu Fuß oder mit ihren Autos in den Westen.

Foto: dpa

Erste Schritte in die Freiheit

Als SED-Politbüromitglied Schabowski die neue Reiseregelung bekannt gab, war klar: Die Mauer ist offen VON FRANK THONICKE BERLIN. Es ist der 9. No ember 1989, 2 Uhr. Der Vol o on Günter Schabo ski passiert die Wache am Eingang ur Waldsiedlung Wandlit im Norden on Berlin. Hier ohnen die Mitglieder des SED-Politbüros in erschiedenen Villen - heute ist es eine Reha-Klinik, in der unter anderem Schlaganfall-Patienten behandelt erden. Günter Schabo ski bekommt uhause on seiner Frau einen Topf Kaffee. Er ill sich entspannen nach einem turbulenten Tag - es ist der 24. seit der Entmachtung on Erich Honecker.

Loses Mundwerk Schabo ski, als Parteichef der Hauptstadt ein hoher SEDFunktionär mit losem Berliner Mund erk, hat eine denk ürdige Pressekonferen hinter sich. Später, im Rückblick, ird er in der „Zeit“ schreiben: „Wer on den Illuminaten des Politbüros hat schon einen solchen un ensierten Auftritt or der Weltpresse absol iert?“ Die Ant ort ist einfach: Niemand. Denn nach der Pressekonferen ar die DDR endgültig am Ende. Die Mauer fiel, die Menschen erließen ihr Land. Den Anstoß u den legendären Folgen der Pressekonferen hatte der Korrespondent der italienischen Nachrichten-

agentur Ansa geliefert. Der ollte on Schabo ski issen, ob nicht das or einer Woche eröffentlichte Reisegeset ein Fehler der DDR-Führung ge esen sei.

„Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Vorausset ungen, Reiseanlässen und Verwandschaftsverhältnissen beantragt werden. Die Genehmigungen werden kur fristig erteilt“. GÜNTER SCHABOWSKI, POLITBÜROMITGLIED, AM 9. NOVEMBER 1989

Dieses Reisegeset ar ein Wortungetüm, das kaum jemand erstand und das auf den DDR- eiten Montagsdemos eine neue Protest elle ausgelöst hatte. Schabo ski ollte auf der Pressekonferen nun die Absichten des Politbüros darstellen und die Reiseregelung auf eine eindeutige, knappe Formel bringen. Er liest or: „Pri atreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen on Voraussetungen, Reiseanlässen und Ver andschafts erhältnissen beantragt erden. Die Genehmigungen erden kur fristig erteilt.“ Überset t bedeutet dies: Die Mauer ar gefallen. Die Menschen haben das erstanden. Sie strömen u

den Gren übergängen - und erden unächst abge iesen. Bei Schabo ski in Wandlit klingelt das Telefon. Ein SEDMann meldet sich om Übergang Bornholmer Straße in Berlin: „Hunderte haben sich hier ersammelt. Aber die Posten machen keine Anstalten, sie durch ulassen.“ Günter Schabo ski macht sich auf den Weg on der Waldsiedlung hinein nach Berlin. Überall sieht er Men-

schen, die in den Westen ollen. Alle sind in aufgekrat ter Stimmung, der Funktionär bleibt unbehelligt. Schließlich die Meldung on der Gren e: „Genosse Schabo ski, sie lassen sie jet t durch. Keine besonderen Vorkomnisse.“ Es bleibt alles friedlich, es gibt keinen ge alttätigen Ausbruch der aufgestauten Gefühle. Schabo ski fällt ein Stein om Her en. Die Gren öffnung geht reibungslos über

Zur Person Günter Schabowski (80) war von 1978 bis 1985 Chefredakteur des „Neuen Deutschland“. 1984 wurde er Mitglied im Politbüro des Zentralkomitees der SED. Ein Jahr später wurde er SED-Chef von Berlin. Eine zeitlang war er als Honecker-Nachfolger im Gespräch. Nach der Wende arbeitete Schabowski bei den „HeimatNachrichten“ in Rotenburg an der Fulda als Redakteur. Er sah dies nicht als Abstieg an, sondern als eine Arbeit, die „meine persönliche Situation berücksichtigt“, sagte er in einem Interview unserer Zeitung. 1997 wurde Schabowski zusammen mit Egon Krenz wegen Totschlags zu drei Jahren Gefängnis verurteilt - er sei für den Schießbefehl an der Mauer mitverantwortlich. Schabowski erkannte sein moralische Schuld an. Er akzeptierte - anders als Krenz - das Urteil sofort. Schabowski trat seine Haftstrafe an, und wurde im September 2000 vom Berliner Bürgermeister Diepgen (CDU) begnadigt. Schabowsi ist verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in Berlin. Dem Vernehmen nach ist er nach Herzattacken sehr krank. Er soll demnächst zu einer Reha nach Rotenburg kommen, heißt es. (tho)

die Bühne. Bei dem Funktionär keimt sogar ieder die Hoffnung auf: Ist die Friedfertigkeit nicht auch ein Ausdruck dafür, dass die Menschen die ruinierte DDR irgend ie doch respektieren? Die Reisefreiheit könnte dem Staat schließlich S mpathien einbringen.

Auf dem Holzweg Später erkennt Schabo ski, damit auf dem Hol eg ge esen u sein. „So bin ich in dieser Stunde ischen Bangen, Ängsten und Selbstbesch ichtigung onen eit entfernt on den Gefühlen der Menschen, die nur einige Meter on mir da on beseelt sind, endlich den Schritt in jene Freiheit u tun, die sie uns abgetrot t haben“, schreibt er in der „Zeit“ Und Schabo ski räumt später auch mit der Legende auf, der Mauerfall sei so usagen ein unge ollter Versprecher ge esen. Auf der ZK-Sit ung am 9. No ember habe Honecker-Nachfolger Egon Kren darauf gedrängt, die neue Reiseregelung bekannt u geben. Eine entsprechende Durchführungsbestimmung, die alles genau regelte, sollte am 1 . No ember um ier Uhr früh on einem Rundfunksprecher bekannt gegeben erden. Doch da u kam es nicht mehr. Am 1 . No ember urde schon längst in gan Deutschland gefeiert.

Mit den Eltern und Geschwistern wieder vereint

Westflüchtlinge mussten den Kontakt zur Familie aufrecht erhalten – 40 Jahre lang Kontrollschikanen an der Grenze

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er Mauerfall ar auch für unsere Familie ein Glücksfall. Nachdem ich 1948 mit 2 Jahren aus Thüringen flüchten musste (ich hatte in den Semesterferien eine Z angsein eisung um Uranbergbau nach Aue erhalten), ar unsere Familie getrennt. Meine Eltern und drei Gesch ister mussten in der DDR bleiben. Der Kontakt u ihnen ar immer sehr intensi . Im Osten durfte man nicht sagen, as man gern gesagt hätte; man durfte nicht lesen, as man ollte, und konnte nicht reisen, ohin man oll-

te. Dinge, die für einen i ilisierten Menschen auf Dauer unerträglich sind. Da u kam die Rechtsprechung, die on der SED gelenkt urde: Ein

Straftatbestand „Republikflucht“ so ie der Verkauf on unliebsamen Bürgern ar menschenun ürdig. Weil nach dem Mauerbau

Ungläubige Minen der DDR-Grenzer: Nach der Grenzöffnung wurden provisorische Übergangsstellen eingerichtet. Foto: dpa

die DDR-Bürger mit Stacheldraht, Minen und Selbstschussanlagen om Westen abgeschnitten aren, mussten ir Westbürger den Kontakt aufrecht erhalten. Das ar nicht immer einfach. Ein DDR-Besuch ar nicht günstig: Das Visum kostete 15 DM bis 25 DM pro Tag. Hin u kam - je nach Entfernung - eine Straßengebühr on bis u 3 DM. Auch beim Z angsumtausch legte man drauf. Und dann kamen noch die unendlichen Kontrollschikanen an der Gren e da u. Die DDR-Bürger bekamen ar eine Grund ersorgung, dennoch

ar der Arbeiter- und Bauernstaat nicht in der Lage, seine Bürger mit höher ertigen Gütern u ersorgen: Ein Pfund Kaffee kostete 4 Ostmark bei einem Monats erdienst on et a 5 Ostmark. Vor der Wende mussten ir, enn ir einen gemeinsamen Urlaub erbringen ollten, diesen im Ostblock erbringen. Jet t nut en meine Ver andten das freie Reisen aus... Wenn auch heute iele Dinge nicht in Ordnung sind, iegen sie doch enig gegen die Freiheit, die jeder Ein elne nun hat. Anton Dressler, Kassel

Kurz nach dem Mauerbau ist die Großmutter, die in Ost-Berlin lebte, verstorben. Zu dieser Zeit bestand keine Möglichkeit, als Westberliner eine Besuchserlaubnis zu erhalten. Die Oma wurde ohne uns beigesetzt. Das war unmenschlich. Regelmäßig bin ich in dieser Zeit von Kassel nach Berlin mit dem Auto gefahren. Bei einer dieser Fahrten wurde ich in Marienborn aus der auf die Abfertigung wartenden Autoschlange von Volkspolizisten heraus gewunken. Bei einer Halle mussten meine Frau und ich unser Auto einen VW-Käfer - völlig ausräumen und alles auf die Rampe stellen. Meine Frau musste sämtliche Gepäckstücke auspacken, ich musste nicht nur die hintere Sitzbank, sondern auch die beiden vorderen Sitze des Käfers ausbauen und ebenfalls auf die Rampe stellen. Eine Erklärung, warum wir kontrolliert wurden, ist uns nicht gegeben worden. Die einzige Erklärung, die wir uns überlegt haben, ist: Wir haben bei unseren häufigen Fahrten nach und von Berlin den am Rand der Autobahn stehenden Kindern immer kleine Geschenke, kleine Tüten mit Bonbon, Schokolade, im Vorbeifahren zugeworfen, denn anhalten durfte man nicht. Klaus-Jürgen Krasselt, Fuldabrück

Mit dem Gewissen nicht vereinbar

Von 1946 bis 1955 war ich im mecklenburgischen Schuldienst tätig, zuletzt als Leiter einer zweiklassigen Dorfschule im Landkreis Teterow. Anfang der 50iger Jahre waren die Anfeindungen des Staates gegen alles, was Kirche hieß, bis in das dörfliche Leben hinein zu spüren... Eines Tages fragte mich der Pastor, ob ich ihm für einen Diavortrag aus Schulbeständen eine Leinwand leihen könnte... ich konnte ihm eine alte Landkarte anbieten. Diese wurde - falsch herum am hölzernen Kartenständer aufgehängt. Nach der Veranstaltung, die in der kleinen Filialkirche stattfand, brachte er Ständer und Landkarte ordnungsgemäß zurück. Es war jedoch nicht in Ordnung. Irgendjemand hatte „nach oben“ berichtet, und ich wurde in die Kreisstadt, Schulabteilung, zitiert. Dort hieß es, wie ich es verantworten könne, Volkseigentum der Kirche zur Verfügung zu stellen. Es gab weitere bedrückende, mit dem Gewissen unvereinbare Vorfälle. Schweren Herzens habe ich damals mit meiner Familie Mecklenburg verlassen. Gerhard Möller, Hann. Münden

Der DDR-Beamte schaute gar nicht hin

Eine sehr negative Kontrolle habe ich bei einem neu errichteten Übergang in Norddeutschland erfahren. Dort mussten wir alle unsere Taschen auf einer Theke ausleeren, der DDR-Beamte aber sah gar nicht hin, was wir hatten, sondern sah aus dem Fenster. Auf seine Frage, ob wir fertig seien und wir dies bejahten, durften wir alles wieder einräumen... Mir wurden 15 Musikkassetten weggenommen, mit dem Hinweis, die dürften nicht mitgenommen werden. Als ich wieder zu Hause war habe, ich Honecker angeschrieben. Drei Wochen später hatte ich meine Kassetten wieder, ohne Kommentar und sehr unschön verpackt. Manfred Dehn, Bebra

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