Wir Leben Im Qualm

  • May 2020
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  • Pages: 4
Interview

«Wir leben im Qualm» Walter De Gregorio

Bud Spencer machte Karriere als Schwimmstar, flüchtete in den Kommunismus und in den Urwald, bevor er sich erfolgreich durch Italowestern prügelte. Jetzt spricht er über das italienische Chaos, sein Wahlverhalten und seine erste grosse Rolle in einem seriösen Film. Herr Spencer, versprechen Sie, dass Sie mich nicht schlagen, wenn ich dumm frage? Versprochen. Wie soll ich Sie ansprechen, mit Bud Spencer oder mit Carlo Pedersoli? Wenn wir über Filme reden, sagen Sie einfach Bud. Sonst nennen Sie mich Carlo. Beginnen wir mit Bud: Fast vierzig Jahre lang haben Sie mit Fäusten argumentiert. In Ihrem neusten Film rezitieren Sie Friedensgedichte. Sinnkrise? Alle bisherigen Filme waren kommerzielle Produktionen. Der Film «Cantando dietro i paraventi» von Regisseur Ermanno Olmi ist ein Autorenfilm, der kein Geld einspielen muss. Dafür hat man als Schauspieler mehr Freiheiten. Man kann neue Rollen ausprobieren. Warum haben Sie sich diese Freiheit erst jetzt genommen, mit 74 Jahren. Ich habe früher immer darauf verzichtet, in Autorenfilmen mitzumachen, weil mich solche Rollen von der Kunstfigur Bud Spencer entfernt hätten. Eine Figur, die das Publikum liebte. Als Bud genügten mir vierzig, fünfzig Wörter, um einen ganzen Film zu bestreiten. Wenn die Wörter einmal ausgingen, und das war sehr schnell der Fall, dann langte Bud zu. Das Publikum hatte seinen Spass. Wie haben Sie Ihr Image als dumpfer Schläger verkraftet? Ich wusste, was ich machte, darum war es für mich nie ein Problem, diese Rolle zu spielen. Ein einziges Mal habe ich einen Part übernommen mit etwas Tiefgang, in «Charleston». Es ging um Finanzdelikte. Das Publikum hat das nicht goutiert, es war irritiert, einen intelligenten Bud Spencer zu sehen. Hat Sie der Erfolg unfreier gemacht? Das habe ich nie so empfunden. Ich hätte einmal König Heinrich VIII. spielen sollen. Stellen Sie sich vor, Bud Spencer, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, in einem Œuvre von Shakespeare. Ich habe auf das Angebot verzichtet, wie auf viele andere Angebote auch. Es war ein freiwilliger Entscheid. Sie sollen selbst Federico Fellini, den Sie persönlich kannten, eine Absage erteilt haben. Das stimmt. Er wollte mich für eine Rolle in «Satyricon». Da habe ich aber aus einem anderen Grund verzichtet. Fellini wollte, dass ich meinen nackten Hintern vor die Kamera halte, während Hühner an meinem Hintern picken. Hätten Sie das gern sehen wollen? Na ja. Eben. Ich habe mich damals entschieden, Bud Spencer zu bleiben. Wieso haben Sie bei Ermanno Olmi eine

Ausnahme gemacht? Wie fast alles in meinem beruflichen wie privaten Leben ist auch die Zusammenarbeit mit Olmi zufällig entstanden. Eine meiner Nichten ist Assistentin bei Ermanno Olmi. Als er per Zufall erfuhr, dass ich ihr Onkel bin, hat er darum gebeten, mich kennen zu lernen. Wir sind in Rom essen gegangen und haben einen herrlichen Abend verbracht. Im Film von Olmi geht es um chinesische Piraten, die den Kaiser herausfordern. Die Schlacht kann in letzter Sekunde verhindert werden. Statt Kanonenkugeln werden bunte Papierdrachen zwischen den verfeindeten Parteien ausgetauscht. Ein wunderbares Ende, nicht? Kann man Kriege mit bunten Papierdrachen verhindern? Natürlich nicht, soll man deshalb darauf verzichten, es wenigstens zu versuchen? Der Humanist Thomas Morus hat im 16. Jahrhundert nach dem Vorbild Platons den Versuch unternommen, einen idealen Staat zu entwerfen, Utopia. Wir sind weit entfernt von einem solchen Idealstaat. Und doch war seine Gesellschaftskritik wichtig. Ohne Utopien bewegt sich nichts. Leben wir heute in einer besseren Welt? Nehmen Sie Italien. Ich weiss nicht, ob wir heute, mit Silvio Berlusconi an der Regierung, besser oder schlechter fahren als vor drei Jahren, als die Linke an der Macht war. Ich denke nicht in solchen Kategorien. Ich bin ein Demokrat der Mitte. Ich passe mich an. Sie passen sich an? Die demokratischen Spielregeln gebieten es mir. Ich warte, bis die nächsten Wahlen anstehen, dann ziehe ich Bilanz. Haben die Leute an der Regierung gut gearbeitet, gebe ich ihnen mein Vertrauen, haben sie schlecht gearbeitet, wähle ich andere. Ich entscheide aufgrund von Resultaten, nicht aufgrund von Parteiprogrammen. Sie sind promovierter Jurist. Wie beurteilen Sie die Amtshandlungen Berlusconis? Ich habe mit Berlusconi zwischen 25 und 30 Filme produziert. Ich kenne ihn und schätze ihn als Menschen. Der grosse Fehler von Berlusconi war, dass er in die Politik ging. Er hat Geld, Erfolg, eine wunderschöne Frau, Feriendomizile in der Karibik. Ich verstehe nicht, weshalb er sich das angetan hat. Er hätte für den Rest seines Lebens auf den Bermudas herumhängen können, ohne Stress, ohne Druck. Haben Sie Berlusconi gewählt? Ich habe mich erst vor einem Jahr in Italien niedergelassen. Zuvor lebte ich in den USA und in Venezuela. Ich habe nicht gewählt. Ich werde es in Zukunft tun, aber aufgrund von Kriterien, die mir wichtig erscheinen. Franz

Josef Strauss sagte mir beim Münchner Oktoberfest einmal: Wenn Deutsche in Italien leben würden, würde das zum Kollaps des Landes führen. Seiner Meinung nach könnten sich nur Italiener im italienischen Chaos zurechtfinden. Der Philosoph Benedetto Croce schrieb: «Italien eine Nation? Erst wenn die Italiener aufhören, auf Treppenabsatzniveau zu streiten.» Wenn Sie verstehen wollen, wieso die Italiener diesen oder jenen Politiker wählen, müssen Sie zuerst verstehen, dass Italien auch nach 150 Jahren keine geeinte Nation ist. Jeder denkt zuerst an sich, dann ans Allgemeinwohl, wenn überhaupt. Das gilt nicht nur für Italien. Aber bezüglich Italien weiss ich es mit Bestimmtheit. Die einen wollen ein autonomes Sizilien, die anderen ein freies Südtirol, andere wiederum sprechen von Padanien, als wäre es ein Staatsgebilde. Was wollen die Separatisten um Umberto Bossi eigentlich, eine padanische Lira? Können sie haben, wenn sie mir nur den Parmesankäse lassen. Auch Sie denken zuerst an sich? Wer nicht? Zuerst meine Familie, meine Sippe, dann alle anderen. Zurzeit wird in Italien über die Abschaffung des Arbeiterstatuts diskutiert, des so genannten Artikels 18. Wer eine Staatsstelle hat, wer Angestellter ist, wird sich mit Händen und Füssen gegen die Abschaffung dieses Artikels wehren, der de facto eine Entlassung verunmöglicht. Im Zusammenhang mit diesem Artikel werden auch Faschisten für die Kommunisten stimmen, verstehen Sie? Am Schluss entscheidet nicht die Parteidoktrin, wem man die Stimme geben will, sondern der Magen. Sie sprachen vorhin von wichtigen Kriterien, die Ihr Wahlverhalten bestimmen. Welche Kriterien sind das? Die Natur. Es scheint, als hätte die Linke das Monopol auf den Umweltschutz. Das ist falsch. Ich bin kein Linker, ich bin auch kein Rechter, ich bin einer, der saubere Luft atmen will. Muss ich mich deshalb in ein Rechtslinks-Schema pressen lassen? «Vier Fäuste für ein Halleluja» lautet ein Filmtitel aus Ihrer Zeit mit Partner Terence Hill. Inzwischen predigen Sie im Film von Olmi Vergebung, Toleranz. Ist der harte Bursche aufs Alter mild geworden? Ich habe mich nicht von heute auf morgen radikal verändert, wenn Sie das meinen. Die Filmfigur Bud Spencer hat nichts mit dem Menschen Carlo Pedersoli zu tun. Privat habe ich mich nie geprügelt, höchstens zweimal. («Einmal ganz sicher, Dottore.» Aus dem Nebenzimmer schaltet sich Nelly ins Gespräch ein, die 72-jährige Sekretärin Bud Spencers.) Wen meinen Sie, Nelly? Den Metzger in der Via Nazionale? (Nelly: «Den Textilverkäufer.»)

«Privat habe ich mich nie geprügelt, höchstens zweimal»: Dr. Carlo Pedersoli alias Bud Spencer, 74.

Welchen Textilverkäufer? Das ist lange her. Ich hatte damals, vor über zwanzig Jahren, ein Geschäft für Kinderkleider. Dieser Typ, ein Römer, hat mich zu betrügen versucht. Während einer längeren Drehpause bin ich von Spanien nach Italien zurückgeflogen. Ich habe ihm als Erstes gleich eine geknallt. (Sekretärin Nelly: «Der arme Kerl ist rücklings über den ganzen Flurboden gerutscht.») Sie sagten, dass fast alles in Ihrem Leben zufällig entstanden ist. Auch Ihre sportliche Karriere? Sie waren mehrfacher

italienischer Schwimmmeister, nahmen 1952 und 1956 an den Olympischen Spielen teil und gewannen mit der italienischen WasserballNationalmannschaft die Europameisterschaft. Ich war 13, als ich im Brustschwimmen italienischer Meister wurde, und zwar nicht in der Juniorenklasse, sondern bei den Erwachsenen. Es gab keinen, der mich schlagen konnte. Es ist keine Koketterie, aber ich habe vergleichsweise wenig trainiert. Ich war, was man ein Naturtalent nennt. Zwischen 17 und 20 lebte ich in Brasilien, wo mein

Vater eine Stelle angenommen hatte. Drei Jahre lang habe ich keinen Fuss in ein Schwimmbecken getaucht. Und als Sie nach Italien zurückkamen? Da habe ich in Rom einen Boxklub besucht. Ich war bereits mit 16 ein Schwergewicht, wog über neunzig Kilo. Nach den Boxtrainings erholte ich mich im Schwimmbecken des Trainingsgeländes, einfach so (zündet sich eine Zigarette an). Wollen Sie auch eine? (Nimmt einen kräftigen Zug und liest dann die Warnung, die nach EU-Norm neuerdings in grossen schwarzen Lettern auf den

Zigarettenschachteln steht.) Rauchen tötet. Es müsste heissen: Rauchen kann töten. Wissen Sie, was wirklich tötet? Was? Autoabgase. Der Miami Herald schrieb neulich: Jedes Mal, wenn wir beim Autofahren aufs Gaspedal drücken, qualmen 15000 Zigaretten aus dem Auspuffrohr. Soll mir mal jemand erklären, welchen Unterschied es macht, ob ich zusätzlich zwanzig Zigaretten rauche pro Tag oder nicht. Wir leben im Qualm, die Umweltverschmutzung ist beängstigend, jede Sekunde unseres Lebens sind wir Schadstoffen ausgesetzt. Haben Sie Kinder? Einen Buben, dreieinhalb. Wissen Sie, wie viele Zigaretten er schon geraucht hat? Wenn Sie in Rom oder irgendeiner Grossstadt leben, müssen Sie sich mit dem Kinderwagen durch stehende Autokolonnen schlängeln, wenn Sie die Strassenseite wechseln wollen – mit dem Kind immer auf Auspuffhöhe. Nicht Zigaretten verursachen Krebs, sondern Autoabgase. Es wäre längst möglich, das Erdöl durch alternative Energiequellen wie Solarenergie zu ersetzen. Doch die Automobil- und Erdöllobby ist zu stark. Darf ich Ihrer geschätzten Leserschaft eine Frage stellen, die mich seit langem beschäftigt? Bitte? In den vergangenen hundert Jahren haben wir Milliarden und Abermilliarden Tonnen Erdöl aus dem Boden gepumpt. Kann es sein, dass die Erde leichter geworden ist und sich dadurch schneller dreht und dass dies vielleicht der Grund ist für das Ozonloch und die Klimaveränderung? Kann mir irgendein Fachmann eine Antwort darauf geben? Wir waren bei Ihrer Schwimmkarriere stehen geblieben. Mit 21, ein Jahr nach meiner Rückkehr aus Südamerika, war ich italienischer Meister im Freistil. Ich hatte das Boxen aufgegeben und mich wieder voll auf das Schwimmen konzentriert. Sieben Jahre in Folge gewann ich die Meisterschaft. Dazwischen nahm ich an den Olympischen Spielen in Helsinki und in Melbourne teil. Auf dem Höhepunkt Ihrer sportlichen Karriere schmissen Sie alles hin und gingen als amtierender SchwimmChampion für eine Strassenbaufirma nach Südamerika. Was war passiert? Ich merkte, dass mir der Ruhm allmählich in den Kopf zu steigen begann. Sie sind zu jung, um das zu verstehen. Aber damals, in den Fünfzigern, haben die europäischen Wasserball-Nationalmannschaften die Amerikaner jeweils mit einer Zehnerpackung abgefertigt. Das war nicht immer nur eine sportliche Angelegenheit. Wir wurden als Helden gefeiert. Italien gehörte zu den besten Teams, auch Russland war stark, Jugoslawien, Ungarn, Holland. Und deshalb sind Sie nach Südamerika geflüchtet? Ich wollte wissen, wer ich bin. Es tönt kitschig: Aber ich wollte den Sinn des Lebens verstehen. In Brasilien hatte ich gesehen, was Ungerechtigkeit ist. Wenige Familien, die Dollarmilliarden auf ihren Bankkonten hatten, private Flugplätze, Paläste. Im Gegensatz

dazu hungerte das Volk. Man hätte mich damals als Ultralinken bezeichnen können, jedenfalls war ich überzeugt davon, das Gute vom Bösen unterscheiden zu können. Dann kam die Reise nach Moskau mit der italienischen Wasserball-Nationalmannschaft. Wie haben Sie den Ostblock erlebt? Es war die erste Reise einer westeuropäischen Mannschaft nach Moskau überhaupt. Das war 1951, Stalin lebte noch, ich reiste mit grossen Hoffnungen nach Russland. Ich dachte, wow, die haben das Leben entdeckt. Soziale Gerechtigkeit, keine Patrons, keine Ausbeutung. Was haben Sie gesehen? Nichts. Ich könnte nicht einmal sagen, ob wir damals tatsächlich in Moskau spielten. Die Maschine, die uns in Helsinki abholte, war ein Transportflugzeug ohne Fenster. Am Flughafen in Moskau angekommen, nahmen sie uns die Pässe ab und pferchten uns in Busse, deren Fenster verdunkelt waren. Das Hotel durften wir nicht verlassen, ausser für das Spiel – eskortiert von schwer bewaffneter Polizei. Vom Schwimmbecken ging es im verdunkelten Bus gleich zurück ins fensterlose Flugzeug. Wie gesagt, vielleicht haben wir gar nicht in Moskau gespielt. Eines war mir aber klar: Wo auch immer wir waren, so habe ich mir die Idealgesellschaft nicht vorgestellt. Haben Sie diese Gesellschaft in den USA entdeckt? Nein, auch dort nicht. Bevor ich für längere Zeit in die USA reiste, war ich ein paarmal in der Sowjetunion, in Minsk, Kiew, schliesslich auch in Moskau. Stalin war inzwischen tot, er war im Lenin-Mausoleum aufgebahrt, später haben sie ihn da wieder rausgeholt. Sie haben gemerkt, dass unter seiner Diktatur doch ein paar Sachen krumm gelaufen waren. Aber auch in den USA habe ich das Wunderland nie entdeckt. Auch nicht in Japan, Australien, Indien und in all den Ländern, die ich zuerst als Sportler, dann als Schauspieler bereist habe. Was haben Sie denn gesucht auf Ihren Reisen? Gerechtigkeit. Kann sein, dass ich aus diesem Grund mit 27 alles aufgab und in den Urwald des Amazonas ging, um beim Bau der Panamericana mitzuhelfen. Eigentlich wollte ich damit mir selber helfen. Ich wollte verhindern, dass ich den Boden unter den Füssen verliere. Meine Eltern hatten mir ein teures Auto gekauft, die Hemden waren immer frisch gebügelt, das Essen wurde mir gekocht, und die Frauen, glauben Sie mir, die Frauen standen Schlange. Ich sah damals so aus wie dieser Typ auf dem Foto (zeigt auf ein gerahmtes Bild, das hinter ihm an der Wand hängt und ihn als 23 Jahre alten Olympiaschwimmer zeigt). Es ging Ihnen zu gut? Vordergründig schon, im Innern fühlte ich eine Leere. Der Ruhm, die Anerkennung, die Frauen – das hatte nichts mit mir zu tun, sondern nur mit dem Champion. Ich ging nach Venezuela, einem der wenigen Plätze, wo ich noch nie war, um zu kapieren, was ich wirklich wert war. Ich wusste nur, dass ich stark war. Ich wusste nicht, ob ich dumm oder intelligent war, ob ich Mut hatte oder Angst, ob ich Ausdauer besass oder nicht. Wenn man ein

Star ist, heute mehr als zu meiner Zeit, wird man von allen Seiten gehätschelt, andere übernehmen das Denken, schliesslich bestimmen sie, wie man das eigene Leben zu führen hat. Bis der Tag kommt, an dem man als Champion ins Bett geht und als Herr Niemand aufsteht, weil ein anderer schneller und besser ist als du. Was bleibt einem? Was? Nichts. Man schaut in ein grosses, dunkles Loch. Genau das habe ich mit meinem abrupten Ausstieg zu verhindern versucht. Ich habe oft geweint in Venezuela, ich kannte niemanden, ich wusste nicht, ob es richtig war, dorthin zu gehen. Es war die wichtigste Phase meines Lebens, eineinhalb Jahre, um mich selber zu finden. Schiesslich ging ich wieder nach Rom. Um zu heiraten oder, wie die Italiener sagen: «Si è sistemato.» Sie haben sich im Leben mit Vernunft eingerichtet. Ich weiss nicht, ob es eine Vernunftentscheidung war, kurz nach meiner Rückkehr gleich zu heiraten. Ich kannte Maria von früher, bevor ich nach Südamerika ging, sie war noch ein Mädchen. Ich hatte sie damals nicht beachtet, was sollte ich auch, mit all den Frauen, die wir damals hatten. Auch die Beziehung zu Maria, die über zehn Jahre jünger ist als ich, war zuerst eine rein sexuelle Beziehung, vernünftig war nichts an dieser Geschichte. Leidenschaft kommt vor Vernunft? Seien wir ehrlich: Innere Werte machen nicht scharf, zuallererst kommt die physische Anziehung, der Sex. Die Liebe entsteht, wenn überhaupt, erst später, wenn es im Bett gut läuft und man darüber hinaus gemeinsame Werte entdeckt. Die sind am Anfang nicht wichtig, aber entscheidend, damit eine Beziehung über das erotische Strohfeuer hinaus standhält. Wie lange sind Sie verheiratet? Vier Jahre. Warten Sie nochmals vier, fünf Jahre, dann werden Sie sehen, ob ich Recht habe. Jetzt finden Sie Ihre Frau sicher noch attraktiv, begehren sie, haben keine Mühe, Ihre ehelichen Pflichten zu erfüllen. Plötzlich brauchen Sie einen Zabaione (Red.: Eiershake mit Zucker und Likör), um Ihren Mann zu stehen. Sie meinen: Erst wenn der sexuelle Elan abnimmt, entdeckt man die inneren Werte? Nicht als Ersatz für den Sex, sondern ergänzend dazu. Ich bin seit 43 Jahren verheiratet. Glauben Sie mir, wenn zwei Personen sich nicht wirklich lieben, dann hält das niemand so lange aus. Ihr Schwiegervater war ein grosser Filmproduzent. Doch erst nach dessen Tod haben Sie zum Film gefunden. Ist das nicht seltsam? Nein, die Schauspielerei hatte mich lange nicht interessiert. Auch dann nicht, als Peppino Amato, einer der grössten Filmproduzenten Italiens, mein Schwiegervater wurde. Er hat unter anderem die Filme Fellinis produziert wie «La dolce vita». Doch ich habe mit meinem Schwiegervater nie, kein einziges Mal, über die Möglichkeit gesprochen, eine Filmrolle zu übernehmen. Er starb 1964. Erst drei Jahre

später habe ich mit dem Italo-Western «Gott vergibt – wir beide nie» zum Film gefunden. Ich wog damals etwa 130 Kilo, darum habe ich die Rolle bekommen. Wegen Ihres Gewichts? Sicher nicht wegen meiner schauspielerischen Fähigkeiten. Ich habe nie eine Filmschule besucht. Der Regisseur hatte meinen Schwiegervater gekannt, er rief meine Frau an und fragte, ob ich immer noch so aussähe wie damals, als ich SchwimmChampion war. Sie sagte, ich würde immer noch so viel essen, aber nicht mehr trainieren. Das hat ihn beeindruckt. Damals haben Sie sich den Künstlernamen Bud Spencer zugelegt, wieso? Als Carlo Pedersoli hatte ich mir im Sport einen Namen gemacht, eine ernste Sache. Ich wollte diesen Namen nicht ins Lächerliche ziehen mit einer einzigen Rolle in einem Ulkfilm. Sie träumten nicht von einer HollywoodKarriere? Überhaupt nicht. Ich brauchte das Geld, darum habe ich angenommen. Ich dachte nicht daran, weitere Filme zu drehen. Ich konnte nicht einmal Englisch. Darum habe ich mir keine grossen Gedanken darüber gemacht, welchen Künstlernamen ich annehmen sollte. Amerikanisch musste er tönen, so viel hatte man mir gesagt. Verkauft sich besser in den USA.

Wieso Bud Spencer? Weil ich zu jener Zeit den Schauspieler Spencer Tracy schätzte und literweise Budweiser-Bier trank. Bud Spencer – am Schluss habe ich 104 Filme mit diesem «provisorischen» Namen gedreht. Wie gesagt, vieles hängt vom Zufall ab. Nehmen Sie Nelly, wer hätte damals sagen können, dass wir so lange zusammenarbeiten werden, schon 35 Jahre (Sekretärin Nelly, aus dem Nebenzimmer: «Sechsunddreissig»). Haben Sie Ihr altes Leben, jenes des Modellathleten und Rekordhalters, nie vermisst? Ich vermisse die Unschuld im Sport, die Ethik. Es mag verklärt tönen: Aber zu meiner Zeit war der olympische Gedanke nicht bloss ein gut gemeinter Spruch, wir lebten nach diesem Motto. Mitmachen war entscheidend. Wir fuhren in der dritten Klasse mit dem Zug an die Wettkämpfe, die Kissen mieteten wir im Bahnhof. Wir hatten kein Geld für Hotelübernachtungen, also reisten wir nachts und schliefen im Zug. Nach meinem ersten Titel als Schwimmmeister wurde eine Kollekte organisiert, mit dem Geld wurde mir der Siegerpreis gekauft, ein Bademantel. Heute zählt nur noch der Sieg, wer Zweiter wird, ist ein Depp. Hätten Sie nein gesagt, wenn schon damals mehr herausgeschaut hätte als ein Bademantel?

Ich will nicht urteilen. Aber der Sportsgeist, glauben Sie mir, war ein anderer. Wenn wir mit der Wasserball-Nationalmannschaft gegen die Russen spielten, war das Wasser vom Blut rot gefärbt. Wir prügelten uns, aber hinterher umarmten wir uns und gingen gemeinsam essen. Sie haben Essen – vielleicht nicht gerade in Zusammenhang mit solchen Gelagen – einst mit Sex verglichen. Ein guter Teller könne sogar zum Orgasmus führen. In erster Linie führte es dazu, dass ich 160 Kilo schwer wurde. Heute wiege ich 122 Kilo. Ich habe heute ein weniger enges Verhältnis zum Essen. Das gilt auch für den Sex, ich bin nicht mehr zwanzig. Was mich zum Höhepunkt bringt oder eben brachte, kann andere völlig kalt lassen. Welche Menüs schlagen Sie in dieser Hinsicht heute vor? Zwiebelomelette, köstlich. Oder Pasta e fagioli, eine Pasta-und-Bohnen-Suppe, in der der Löffel aufrecht stehen bleibt, wenn Sie ihn in die Suppe tauchen, nichts Wässriges. Oder auch eine Parmigiana alle melanzane, eine Auberginen-Lasagne. (Sekretärin Nelly, inzwischen rübergekommen ins Büro von Bud Spencer: «Auch Spaghetti, wenn sie gut gemacht sind.») Ja, aber kein Fisch in der Sauce, der Fisch immer separat. Und statt Spaghetti lieber Linguine.

Interview

Multitalent Walter De Gregorio

Am Schluss des zweistündigen Interviews, das in einem Wohnblock im Römer Prati-Quartier stattfindet, spielt Bud Spencer eine CD ab und singt mit – ein Duett mit sich selbst. Denn Text, Musik und Stimme der CD gehören ihm. Vier Lieder im neapolitanischen Dialekt, eines auf Französisch. Voraussichtlich im Frühling kommt das Album, ergänzt mit italienischen und englischen Songs, auf den Markt. Titel: «Fottetenne». Im neapolitanischen Dialekt bedeutet das so viel wie «Kümmere dich nicht drum». Bereits zu Beginn der sechziger Jahre hatte Bud Spencer, damals noch Carlo Pedersoli, einen Plattenvertrag mit der Schallplattenfirma RCA und komponierte für populäre Schlagerstars wie Rita Pavone. Bud Spencer, am 31. Oktober 1929 in Napoli geboren, könnte auch auf Deutsch, Spanisch oder Portugiesisch singen – alles Sprachen, die er beherrscht und die Teil jener verborgenen Talente sind, die wenige dem Filmraufbold zutrauen würden. Mit 17 schrieb er sich in Rom fürs Chemiestudium ein, promovierte dann in Jurisprudenz. Dazwischen machte er als Sportler Karriere. Bud Spencer war der erste Italiener, der 100 Meter Freistil unter einer Minute schwamm. Siebenmal wurde er italienischer Schwimmmeister, er war Europameister im Wasserball und nahm an den Olympischen Spielen 1952 und 1956 teil. Zusammen mit Terence Hill prägte er ein neues Filmgenre, den Western-Ulk. «Vier Fäuste für ein Halleluja», 1970 gedreht, wurde ein Kassenrenner und machte beide zu einem der erfolgreichsten Komikerduos der Filmgeschichte. Heute geniesst Bud Spencer, dem die Anerkennung des grossen Feuilletons verwehrt blieb, in vielen Ländern Kultstatus. Er besitzt die Flugzeug- und Helikopterpilotenlizenz, zudem hat er zwölf Patente angemeldet für Erfindungen wie die Wegwerfzahnbürste mit integrierter Zahnpaste oder die elektrische Spielmaus. Spencer ist verheiratet, hat drei Kinder und fünf Enkel, seine drei Bediensteten heissen – kein Scherz – Benito, Adolf und Stalin. Wie so vieles, behauptet er, ein Zufall auch dies. Als Bud Spencer habe er sowohl von seiner Körpergrösse (1,90 Meter) als auch von seinem Gewicht (120 bis 160 Kilo) profitieren können, sagt er. Nur einmal habe er während einer Filmprügelei eine Schramme am Kopf davongetragen, die genäht werden musste. Nichts im Vergleich zu Terence Hill, der etwas zarter gebaut ist: «Einmal hat er einen Holztisch auf den Schädel bekommen und war gleich k.o. Ist mir nie passiert.»

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