Tirol Gegen Faschismus Und Nazismus

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Grundsatzerklärung ehemaliger Südtiroler Freiheitskämpfer:

Tirol: Gegen Faschismus und Nazismus Auch heute noch wird gelegentlich die Meinung vertreten, der Nationalsozialismus habe letztlich Südtirol nicht verraten wollen. Sein Verhalten gegenüber Italien sei durch die weltpolitische Lage erzwungen und rein taktischer Natur gewesen. Bei erstbester Gelegenheit wäre Südtirol doch an Deutschland angeschlossen worden. Dies stimmt nachweislich nicht. Es ging Hitler bereits um imperiale Zielsetzungen, die vielfach in Gegensatz zu Volks- und Volksgruppenrechten des eigenen Volkes wie auch anderer Völker stehen mußten.

und um die Achtung der Rechte anderer Völker. Es ging um die Vergötzung des imperialistischen Staates, der für sich das „Recht des Stärkeren“ auf die Unterdrückung anderer Völker und Menschen in Anspruch nahm. Auf diesem Weg waren abgetrennte Volksgruppen wie die Südtiroler nur lästige Stolpersteine, die notfalls durch Umsiedlung aus dem Weg geräumt werden konnten.

Hitler gegen Südtirol – Mussolini ein „überragendes Genie“

Der Nationalsozialismus war keine geschlossene Ideologie, bereits die 25 Punkte seines Parteiprogramms waren willkürlich aus verschiedenen geistigen Richtungen zusammengewürfelte Thesen. Wenn man „den Nationalsozialismus“ beurteilen will, muß man daher vor allem Adolf Hitler und sein Handeln beurteilen. Er gab in allen Dingen die Richtung vor, auch bei allen ideologischen Schwenks seiner Partei.

Jede Kritik an Hitlers geliebtem Vorbild stieß von Anfang an auf dessen Ablehnung. Bereits am 16. Oktober 1923 brachte die römische Tageszeitung „Corriere Italiano“ ein Interview mit Adolf Hitler unter dem Titel „Hitler über seine politischen Ziele“. Darin wurde der damals noch wenig bekannte Politiker zitiert: „Ich kämpfe hier einen verzweifelten Kampf, um den Leuten klarzumachen, daß Südtirol zwischen Italien und Deutschland keineswegs ein Zankapfel sein dürfe ... Als Nationalist vermag ich mich durchaus in die italienischen Gedankengänge zu versetzen und verstehe sogar den italienischen Anspruch auf eine gesicherte Grenze.“

Der Weg in den Imperialismus

(Über Hitlers Buhlen um Mussolinis Gunst siehe auch: Paul Herre: „Die Südtiroler Frage“, München 1927, S. 300 f)

Hitler war die Schlüsselfigur

Hitlers überraschende politischen Erfolge waren darauf zurück zu führen, daß er seine Bewegung als Befreiungsbewegung in außen- und innenpolitischer Hinsicht darstellte. Außenpolitisch forderte er die Befreiung des deutschen Volkes von den auch materiell drückenden Ketten der Friedensverträge von Versailles und St. Germain. Innenpolitisch vertrat er einen „nationalen Sozialismus“. Damals werden wohl zahlreiche seiner Wähler und Anhänger noch nicht geahnt haben, daß Hitler keineswegs nur die Befreiung des eigenen Volkes anstrebte, sondern, seinem bewunderten Vorbild Mussolinis folgend, den Weg in die Diktatur und in den Imperialismus zu Lasten anderer Völker wählte. Diese Zielrichtung wurde vielen erst klar, als Widerspruch im totalitären Staat nicht mehr möglich war und während des Krieges auch als Hochverrat verfolgt wurde.

Mussolini war der große und bewunderte Lehrmeister Hitlers Eine weitgehend unterlassene Vergangenheitsbewältigung in Italien läßt heute Mussolini vielfach als „halb-so-schlimmen“ Diktator und den faschistischen Terror als vergleichsweise harmlos erscheinen. So war es aber nicht! Der große Lehrmeister seines Zauberlehrlings Hitler war jedoch Mussolini gewesen. Bereits Anfang der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts begeisterte sich Hitler an Mussolinis Konzept der Staatsallmacht, an dessen Ablehnung der Demokratie und an dem Ausschließlichkeitsanspruch der Faschistischen Partei. Hitlers Verehrung für den „Duce“ kam auch in der Übernahme des „römischen Grußes“ und in der Errichtung öffentlicher Bauten im Stile faschistischer Pseudo-Römertempel zum Ausdruck. Hitler übernahm von seinem bewunderten Vorbild Mussolini das Führerprinzip mit streng hierarchischer Durchorganisation und Gleichsetzung von Partei und Staat. Er richtete nach Mussolinis Vorbild eine terroristische Geheimpolizei und Konzentrationslager ein – in den italienischen KZs in Lybien und Äthiopien sollten immerhin Hunderttausende Menschen umkommen. Hitler schätzte an Mussolini auch dessen Rassenwahn der angeblichen Überlegenheit der „italischen Rasse“ über die anderen Mittelmeervölker und dessen Idee der Errichtung eines Mittelmeerimperiums nach altrömischem Vorbild. Ähnlich gedachte Hitler, seine Herrschaft nach Osten auszuweiten. Er übernahm von dem „Duce“ auch die Idee der Zwangsassimilierung sowie der Umsiedlung und Vertreibung ganzer Völkerschaften. Es ging nicht mehr um die natürlichen Rechte des eigenen Volkes

Tiroler – Dokumentation 54/2008

Hitler und sein großes Vorbild Mussolini.

Hitlers Südtirolschrift aus dem Jahre 1926.

Im Jahre 1926 veröffentlichte Hitler in dem Münchner Parteiverlag Eher einen Auszug aus seinem Buch „Mein Kampf“ unter dem Titel „Die Südtiroler Frage und das Deutsche Bündnisproblem“. Die Sicherung Deutschlands, sagte Hitler, könne nur durch ein Bündnis mit dem starken und vorbildlichen faschistischen Italien herbeigeführt werden, dessen „Duce“ Mussolini „als überragendes Genie das nationale Gewissen Italiens verkörpert.“ (Seite 6)

Hitler: Südtirol – ein jüdisches Steckenpferd Dieses Bündnis (welches in Wahrheit der größte Sargnagel des Deutschen Reiches werden sollte) werde von dem „internationalen Börsenjudentum“ wütend bekämpft, welches die „Versklavung“ Deutschlands wünsche. Dazu reite „der Jude“ ein „besonderes Steckenpferd“, nämlich „Südtirol“! (Seite 30) In seiner Schrift beschimpfte Hitler die Freunde Südtirols wütend als „Spießbürger“ und erklärte, „eine Abrechnung zu halten mit diesem allerverlogensten Pack“, welches hier „nationale Empörung“ mime, „die besonders diesen parlamentarischen Betrügern ferner liegt als einer Elster redliche Eigentumsbegriffe.“ (S. 30 f) „Gerade wir Nationalsozialisten aber haben uns zu hüten, in das 1

Hitler trifft Tolomei: „Jene vier Älpler“ dürfen Deutsch-land nicht behindern

konsulat in München vermittelten Geheimtreffen des faschistischen Senators Ettore Tolomei mit dem emporstrebenden NSDAPParteiführer Adolf Hitler. Tolomei, der fanatische Urheber der Entnationalisierungspläne gegen Südtirol, berichtete am 30. September 1928 in einem Schreiben an Mussolini: „Ich trug von der Person einen im wesentlich guten Eindruck davon. Hitler ist ein junger und von großer und reifer Energie beseelter Politiker, mit feuriger Redegewandtheit, einem unbegrenzten Vertrauen in sich selbst; bestimmt, über jedes Hindernis hinwegzugehen, mit der Sicherheit, das Ziel zu erreichen. Er will sich eines Tages an der Spitze Deutschlands sehen, ihm sein Programm auferlegen ... Hinsichtlich der Assimilierung konnte Hitler nicht ausdrücklicher sein, als er es war. Er sprach sich sehr rüde in Worten, die ich geradezu als grob bezeichnen könnte, aus (‚ganz wurst‘, ‚ich pfeif darauf‘); jene vier Älpler von Bozen und von Meran dürfen Deutschland nicht hindern, das im Spiel seiner außenpolitischen Beziehungen frei sein will ..., wobei man sich von der Behinderung durch kleine gefühlvolle Rückstände befreien muß, wie es gerade die irritierende Frage des Alto Adige ist ... Er legt sich Rechenschaft ab, daß in einem kurzen Zeitraum die größeren Zentren des Alto Adige soweit italianisiert sein werden, daß sogar die Pangermanisten den Eindruck einer verlorenen Partie erhalten werden und daß folglich die Assimilierung der Hochtäler und der abgelegenen Täler nur eine Frage der Zeit sein wird. Er möchte lediglich, daß die Aktion der italienischen Regierung gegen die deutschen Zeitungen und Zeitschriften lebhafter wäre, um auf diese Weise dem Überhandnehmen der wütenden antiitalienischen und antifaschistischen Anschuldigungen einen Damm entgegenzustellen ... Hitler findet persönlich ein Hindernis in seiner Kampagne für eine offene Übereinstimmung mit Italien und auch im allgemeinen für den Fortschritt seines politischen Einflusses nicht in den ‚Maßnahmen‘ für das Alto Adige selbst oder im realen Fortschritt in der Assimilierung, sondern in dem Lärm der böswilligen Pangermanisten, die seinen Einfluß auf die Massen bekämpfen, indem sie ihm die Zustimmung zu den behaupteten italienischen Greueln vorwerfen ... Hitler wünscht, einmal den Chef der italienischen Regierung kennenzulernen und mit ihm zu sprechen. Die Bewunderung für die historische italienische Persönlichkeit ist in ihm durch das leidenschaftliche Ideal eines gleich geführten Deutschland gewachsen, eines Deutschland, das stark und einig sein soll.“ Gegen Ende seines Schreibens empfahl Tolomei seinem „Duce“, jenen Teil „seiner politischen Konzeption in Betracht zu ziehen und aufmerksam zu fördern, der das absolute Desinteressement an der italienischen Assimilierung des Oberetsch enthält.“

Am 14. August 1928 kam es in einer versteckten Villa in Nymphenburg bei München zu einem durch das italienische General-

(Zitiert bei: Karl Heinz Ritschel: „Diplomatie um Südtirol“, Stuttgart 1966, S. 134 ff)

Schlepptau unserer von Juden geführten bürgerlichen Wortpatrioten zu kommen.“ (Seite 35) Die nationalsozialistische Bewegung müsse „unser Volk lehren, über Kleinigkeiten hinweg auf das Größte zu sehen, sich nicht in Nebensächlichkeiten zu zersplittern“. (Seite 41) Derzeit führe das „faszistische Italien“ den Kampf gegen das Judentum (Seite 43). Auch für Deutschland gelte es nun, „den bösen Feind der Menschheit ... dem allgemeinen Zorn zu weihen“. Dies müsse an die Stelle „des blöden Hasses gegen Arier“ treten, „mit denen uns jedoch gemeinsames Blut oder die große Linie einer gemeinsamen Kultur verbindet.“ (Seite 47) Am 28. September 1930 veröffentlichte die faschistische Zeitung „Gazzetta del Popolo“ in Rom aus einer Unterredung ihres Korrespondenten mit Adolf Hitler dessen Stellungnahme zu Südtirol: „Die Freundschaft einer großen Nation wie Italien kann nicht durch Südtirol getrübt werden.“

Sozialdemokratische Kritik an der NS-Haltung zu Südtirol: „So schmachtet deutsches Land!“ In einer im Verlag „Vorwärts“ in Wien erschienenen Broschüre mit dem Titel „Südtirol verrecke!!“ (angeblich hatten reichsdeutsche Nationalsozialisten am 1. Dezember 1931 bei der Sprengung einer christlichsozialen Versammlung im Innsbrucker Stadtsaal diesen Ruf ausgestoßen) beklagten die österreichischen Sozialdemokraten die Unterdrückung der Südtiroler durch den Faschismus: „So schmachtet deutsches Land in grausamer Unterjochung und Not und alle Kulturmenschen sind sich einig in der Verachtung für die Bedrücker Südtirols.“ Hitler hingegen übe offenen Verrat an den nationalen Grundsätzen. So habe es in einem Kommentar zu der ersten Auflage des NS-Parteiprogrammes noch geheißen, daß ein künftiger deutscher Nationalstaat auch die Deutschen „in Südtirol“ umfassen müsse. In der 5. Auflage des Jahres 1929 seien die Worte „in Südtirol“ gestrichen worden. Damit würde Hitler „die Deutschen in Südtirol einfach dem italienischen Faschismus preisgeben.“ Am 14. November 1922 habe Hitler auf einer Versammlung in München-Haidhaus erklärt: „Mit Italien, das seine nationale Wiedergeburt erlebt und eine große Zukunft hat, muß Deutschland zusammengehen. Dazu ist nötig ein klarer und bündiger Verzicht Deutschlands auf die Deutschen in Südtirol. Das Geschwätz über Südtirol, die leeren Proteste schaden uns nur, da sie uns Italien entfremden. In der Politik gibt es keine Sentiments, sondern nur Kaltschnäuzigkeit.“ (Anm.: Hier hatten die Sozialdemokraten wörtlich aus einem Bericht des „Bayerischen Kurier“ vom 15. Jänner 1932 zitiert.)

Die sozialdemokratische Broschüre, in welcher das Bündnis zwischen Nationalsozialismus und Faschismus und der Verrat an Südtirol scharf angegriffen wurden.

Die Sozialdemokraten wandten sich in diesem Flugblatt an die Nordtiroler Bevölkerung und forderten sie auf, die nationalsozialistischen und HeimwehrFührer an einem Verrat an Südtirol zu hindern und in dieser Frage zu einem Zusammengehen mit den Sozialdemokraten zu bewegen. 2

Tiroler – Dokumentation 54/2008

SA-, SS-Männer und italienische Faschisten 1932 vereint vor dem „Siegesdenkmal“: Der SS-Standartenführer Theodor Eicke darf dem Herzog Filiberto von Pistoia, einem engen Verwandten des italienischen Königs, die Hand schütteln.

Reichsdeutsche Nationalsozialisten vor dem faschistischen Siegesdenkmal Am 28. Oktober 1932 erschien eine etwa 30 Kopf starke uniformierte reichsdeutsche Abordnung von SA und SS in Bozen und nahm gemeinsam mit ebenfalls uniformierten Faschisten an dem Festakt zum zehnjährigen faschistischen Regierungsjubiläum vor dem faschistischen „Siegesdenkmal“ in Bozen teil. Das amtliche faschistische Organ von Bozen, „La Provincia di Bolzano“ berichtete darüber: „Wir wollen auch die sympathische Geste einer Hitlerischen Gruppe hervorheben, die an der Kundgebung teilgenommen hat ... Der gesunde Teil des deutschen Volkes empfindet für die Nation, welche heute die Fahne der Gerechtigkeit schwingt, nicht bloß Dankbarkeit, sondern will auch seine Bewunderung und Brüderlichkeit bezeugen. Die starke Abordnung der Hitler-Leute hatte sich auf der Freitreppe des Siegesdenkmales aufgestellt.“ Welchem Geist das faschistische „Siegesdenkmal“ Ausdruck verlieh, hatte der Minister für die öffentlichen Arbeiten, Giovanni Giurati, bereits bei der Denkmaleinweihung am 12. Juli 1928 verkündet gehabt, als er die angeblich „überlegenen Eigenschaften“ des italienischen Volkes in einer ebenso überheblichen wie dummen Rede gerühmt hatte: „Ohne diese klare Überlegenheit der Eigenschaften ließen sich weder das rasche Vorwärtsschreiten unseres Volkes, noch die Heldentaten erklären, wofür heute an den Grenzen des Vaterlandes das Monument eingeweiht wird, in dieser Stadt, die Drusus gegründet hat, die bis zum Morgengrauen des vorigen Jahrhunderts ihren echt italienischen Charakter behalten hat und die sich nun schnell von jeder ausländischen Schminke befreit ... Ein Volk, das durch den Sieg seine Einheit wiederentdeckte und das im Faschismus sein Gewissen wiedergefunden hat, ein großes Volk von bescheidenen und klugen Arbeitern, von tapferen Soldaten, kann nicht tolerieren, daß die von Gott errichteten Grenzen auch nur diskutiert werden. Es kann nicht zulassen, daß als Vorwand für die kühnen Ansprüche die unendlich kleinen Minderheiten dienen, die während der vergangenen Jahrhunderte in einige unserer Provinzen eingewandert sind.“ Nun, Ende Oktober 1932, drei Monate vor Hitlers Machtergreifung, feierte die nationalsozialistische Delegation zusammen mit den Faschisten vor dem „Siegesdenkmal“. Dabei durfte der SSStandartenführer Theodor Eicke sogar dem Herzog Filiberto von

Tiroler – Dokumentation 54/2008

Pistoia, einem engen Verwandten des italienischen Königs, die Hand schütteln. Fotos dieser Schande sind im Innsbrucker Stadtarchiv erhalten. Der Andreas-Hofer-Bund in Innsbruck gab dazu eine Erklärung an die Presse ab, in welcher er darauf hinwies, „daß das italienische Siegesdenkmal als Sinnbild der Unterdrückung des dortigen Deutschtums errichtet wurde und daß an seiner Stirn das Bild einer Kriegsgöttin angebracht ist, die ihren Pfeil nach Norden schießt. Der Andreas-Hofer-Bund stellt weiter fest, daß zum Bau des Siegesdenkmals gerade jener Platz gewählt wurde, wo sich bis zum Jahre 1926 das Ehrenmal für die gefallenen Tiroler Kaiserjäger befand, und daß dieses Ehrenmal zerstört wurde, um jenem für den angeblichen italienischen Sieg Platz zu machen. Der Andreas-Hofer-Bund stellt endlich fest, daß auf dem Gelände des Siegesdenkmals vor 120 Jahren eine der edelsten Gestalten des Tiroler Freiheitskampfes, Peter Mayr, der Wirt an der Mahr, am gleichen Tage erschossen wurde, an dem Andreas Hofer zu Mantua starb. Wenn heutzutage Mitglieder einer großen deutschen Partei auf der Treppe dieses Siegesdenkmals inmitten italienischer Frontkämpfer jeder Waffengattung sich huldigend aufstellen, so reihen sie sich damit von selber unter die Feinde tirolischen Lebens und Erlebens ein und haben das Recht verloren, sich fortan Sachwalter des deutschen Volkes zu nennen. Der Andreas-Hofer-Bund spricht seine tiefste Empörung über ein solches Verhalten aus, für das er keine geeignete deutsche Bezeichnung zu finden vermag.“ (Michael Gehler: „Eduard Reut-Nicolussi und die Südtirolfrage 1918 – 1958“, Teil 2, Schlern Schrift 333/2, Innsbruck 2007, Dokument 258, Anhang)

Reut-Nicolussi im „Braunen Haus“ – Adolf Hitler im Gleichklang mit heutigen Politikern: Südtirol hat völkerverbindende Brückenfunktion Dr. Eduard Reut-Nicolussi, Kaiserjäger, Träger der Goldenen Tapferkeitsmedaille, nahm als Südtiroler Abgeordneter zum Österreichischen Nationalrat in einer ergreifenden Rede am 6. September 1919 Abschied vom Vaterland Österreich und kündigte an, daß nun ein erbitterter Kampf um die Selbstbehauptung Südtirols beginnen werde. Als Südtiroler Abgeordneter im römischen Parlament vertrat er 3

trotz Todesdrohungen der Faschisten unerschrocken Südtirols Rechte. Als am 24. April 1921 in Bozen der Marlinger Lehrer Franz Innerhofer von Faschisten meuchlings erschossen wurde, hielt Reut-Nicolussi am Grab des Blutzeugen die ergreifende und anklagende Gedenkrede. 1927 mußte Reut-Nicolussi bei Nacht und Nebel nach Österreich fliehen. Ein Jahr später erschien sein berühmtes Buch „Tirol unterm Beil“. Er wirkte an der Innsbrucker Landesuniversität als Professor für Völkerrecht, und als Obmann des Andreas-HoferBundes vertrat er unermüdlich die Anliegen Südtirols. Am 31. März 1932 kam es nach langem Drängen seitens der Südtiroler dazu, daß Adolf Hitler im Braunen Haus in München die Südtiroler Dr. Reut-Nicolussi, Graf Bossi Fedrigotti und den ehemaligen Bezirkshauptmann Mumelter empfing. Über diese Unterredung sind uns Aufzeichnungen von Reut-Nicolussi erhalten. Demnach brachten die Südtiroler die konkrete Bitte vor, die NSDAP möge ihnen gegenüber die Erklärung abgeben, daß sich die nationalen Ziele der Partei auch auf Südtirol bezögen. Des weiteren sollten Verbrüderungen von Nationalsozialisten mit Faschisten und der Gebrauch des faschistischen Grußes durch Nationalsozialisten abgestellt werden. Hitler antwortete laut der Niederschrift von Reut-Nicolussi: „Er wünsche eine Entgiftung der Südtirolerfrage, die heute parteipolitisch ausgenützt werde, und sprach von einer krankhaft übersteigerten Bedeutung der Südtirolerfrage ... Südtirol solle eine Brücke der Verständigung werden zwischen dem deutschen und dem italienischen Volke.“ (Bericht von Eduard Reut-Nicolussi, 31. 3. 1932 „Vertrauliche Aussprache im Braunen Haus, München, am 31. März 1932, 4-3/4 7 nachm.“ In: Michael Gehler a.a.O., Dokument 248)

Der Schwachsinn, wonach ausgerechnet eine aufgezwungene Landesteilung eine positive und völkerverbindende Brückenfunktion haben solle, wird übrigens auch heute noch von zahlreichen opportunistischen Politikern wiederholt, die sich damit ideellen Verpflichtungen gegenüber Südtirol entziehen wollen. Ob sie sich dessen bewußt sind, daß sie hier Hitler nachbeten? Am 17. Oktober 1932 nahm Reut-Nicolussi zu der NS-These der „Brückenfunktion“ Südtirols auf einer Veranstaltung des „Andreas-Hofer-Bundes“ in Innsbruck Stellung. Er sagte: „Vielleicht meinen die Wortführer den Begriff ‚Brücke‘ im geistigen Sinne ... Dann wolle man die Mahnung gefälligst an die Italiener richten, denn eine Berührung und Verständigung zwischen zwei Kulturen kann nur dort stattfinden, wo es zwei Kulturen gibt. Italien aber arbeitet seit zehn Jahren mit Keulenhieben nicht an der Pflege, sondern an der Vernichtung der deutschen Kultur in Südtirol.“ (Rede von Eduard Reut-Nicolussi „Die Lehre eines Jahrzehnts“ In: Michael Gehler: a. a. O., Dokument 258)

Reut-Nicolussi wurde aber auch in Österreich politisch schwer enttäuscht. Er mußte entdecken, daß die Heimwehr von den italienischen Faschisten finanziert wurde. Obwohl selbst dem katholischen Lager zugehörig, geriet der Vorkämpfer für die Rechte Südtirols wegen „fortwährender schwerer außenpolitischer Entgleisungen“ bald in Konflikt mit dem Ständestaatsregime. Aus

Der unermüdliche Vorkämpfer Südtirols, Univ. Prof. Dr. Eduard Reut-Nicolussi. Hier auf einer Südtirolkundgebung unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. 4

Liebedienerei gegenüber Mussolini ging man soweit, sogar kritische Zeitungsartikel von Reut-Nicolussi polizeilich zensieren und unterdrücken zu lassen. Veranstaltungen, auf welchen er sprechen wollte, wurden verboten und die Presse erhielt die Weisung, keine Aussendungen des Andreas-Hofer-Bundes mehr abzudrukken. (Michael Gehler: a. a. O., Dokument 448) Die Zeitschrift „Der Südtiroler“ wurde behördlich eingestellt.

Huldigung an den „Duce“ 1934 erschien in Deutschland ein Huldigungsbuch, welches den Deutschen die Freundschaft mit dem Faschismus schmackhaft machen sollte. Es hieß „Wir haben’s gewagt! Weg und Wollen der Führer in Deutschland und Italien“ In dem Buch wurden die Parteigrößen der NSDAP und des Faschismus in einer Sprache verherrlicht, die heute lächerlich anmutet. So heißt es in dem Beitrag über Mussolini: „Seit wenig mehr denn einem Jahrzehnt beneidet die Welt Italien um Mussolini ... Die Welt steht unter dem Eindruck einer ungewöhnlichen Größe, eines Zyklopen ... der Genialität im Tun und planvollen Denken des Duce ... Dazu kennt sie einigermaßen Mussolinis Menschlichkeit, eine Menschlichkeit, die jede seiner Handlungen bestimmt und lenkt.“ Er sei ein „vielfältiges Genie“, „auch der Welt den vernünftigsten Weg zu Das NS-Huldigungsbuch, in den ersehnten Zielen des Friedens welchem die faschistischen und des gedeihlichen Wohlstan- Führer verherrlicht wurden. des zu weisen.“ Und so fort und so weiter. (Dr. R. O. Stahn und Filippo Bojano (Hrsg.): „Wir haben’s gewagt! Weg und Wollen der Führer in Deutschland und Italien“, Stuttgart und Berlin 1934, S. 161 ff)

Vergebliche Hoffnungen Als im Jahre 1935 das Saarland durch Volksabstimmung wieder zurück zum Deutschen Reich kam, ging in Südtirol der optimistische Spruch um: „Die Saar ist frei, jetzt kommen wir an die Reih‘!“ Die Hoffnungen waren vergeblich. Ab 1936 bewirkte die gemeinsame italienisch-deutsche Unterstützung Francos im spanischen Bürgerkrieg eine weitere Annäherung zwischen Rom und Berlin. Am 22. Oktober 1936 schlossen Deutschland und Italien ein Abkommen, welches Mussolini als „Achse Rom-Berlin“ bezeichnete. Im September 1937 folgte Mussolini einer Einladung Hitlers zu einem mehrtägigen Staatsbesuch in Deutschland, wo begeisterte Massenempfänge für ihn organisiert wurden. Am 28. September 1937 sprachen beide Diktatoren auf dem Berliner Maifeld zu einer Million aufmarschierter Nationalsozialisten. In seiner Ansprache erwähnte Hitler natürlich mit keinem einzigen Wort das ungelöste Südtirolproblem, sondern betonte das politische Bündnis mit Rom: „...hinter uns liegt vor dem Machtantritt des Nationalsozialismus eine Periode von 15 Jahren, die eine einzige Folge von Unterdrückungen, Erpressungen, verweigertem gleichen Recht und damit von unsagbarer seelischer und materieller Not war ... In dieser Zeit bitterster Prüfungen, da hat sich ... Italien und besonders das faschistische Italien, an den Demütigungen unseres Volkes nicht beteiligt ... Aus der Gemeinsamkeit der faschistischen und der nationalsozialistischen Revolution ist heute eine Gemeinsamkeit nicht nur der Ansichten, sondern auch des Handelns gekommen“. Mussolini antwortete: „Faschismus und Nationalsozialismus sind beide Ausdrücke jener Gleichartigkeit des geschichtlichen Lebens unserer Nationen.“ Dann bedankte er sich dafür, daß sich Deutschland den Sanktionen des Völkerbundes gegen Italien (nach dem italienischen Überfall auf Äthiopien und den dort verübten Gräueln) nicht angeschlossen hatte. „Wir werden das niemals vergessen.“ Er fuhr fort: „Der Faschismus hat seine Ethik, der er treu zu bleiben beabsichtigt,

Tiroler – Dokumentation 54/2008

Mussolini bei Hitler in Deutschland – Verbrüderung zweier Diktatoren.

und diese Ethik deckt sich mit meiner persönlichen Moral: Klar und offen miteinander reden und, wenn man einen Freund hat, mit ihm zusammen bis ans Ende marschieren ... Wichtig ist, daß unsere beiden großen Völker zusammenstehen in einer einzigen unerschütterlichen Geschlossenheit.“ (Zitiert nach „8Uhr-Blatt“, Nürnberg 29. September 1937)

Hitler sichert Mussolini die Brennergrenze auf ewig zu Mit Hitler hatten die Austrofaschisten des österreichischen Ständestaates um die Gunst Mussolinis gewetteifert. In Österreich wehrten sich der sozialdemokratische „Südtiroler Freiheitsbund“ und Freundeskreise wie der Andreas-Hofer-Bund um den im Innsbrucker Exil tätigen ehemaligen Südtiroler Abgeordneten Dr. Reut-Nicolussi mit ihren Publikationen gegen die Preisgabe Südtirols. Mussolini gab letztlich dem mächtigeren Deutschen Reich den Vorzug und ließ die österreichische Schmalspurdiktatur fallen. Damit besiegelte er maßgebend das spätere Schicksal des Deutschen Reiches (Krieg auf dem Balkan, Krieg in Griechenland, Krieg in Afrika und im Mittelmeer). Um Mussolini angesichts des Einmarsches reichsdeutscher Truppen nach Österreich von einer Intervention abzuhalten, richtete der „Führer“ am 11. März 1938 einen im herzlichsten Ton der Freundschaft gehaltenen Brief an den „Duce“, in welchem es hieß: „Ich ziehe jetzt eine klare Grenze gegenüber Italien. Es ist der Brenner. Diese Entscheidung wird niemals in Zweifel gezogen, noch angetastet werden.“ (Zitiert nach Conrad F. Latour: „Südtirol und die Achse Berlin-Rom 1938 - 1945“, Stuttgart 1962, S. 21)

Am 11. März 1938, zwei Tage vor dem Einmarsch deutscher Truppen, hatte sich in Salzburg, Linz und Innsbruck das fantastische Gerücht verbreitet, Italien habe Südtirol bedingungslos an Deutschland abgetreten. In Tirol glaubte man begeistert daran. Als die Deutsche Wehrmacht in Innsbruck einmarschierte und im Triumphzug zum Brenner vorrückte, drängten sich die Menschen an den Straßenrändern und es erschollen die Rufe „Heil Hitler“, „Heil Mussolini“ und „Hoch Italien“. Zahlreiche Menschen machten sich in Autos mit Hakenkreuzfahnen zum Brenner auf, um Zeugen des Einmarsches der deutschen Truppen nach Südtirol zu sein. Ihre Hoffnungen wurden bitter enttäuscht. Das offizielle Dementi des Innsbrucker Gauleiters ließ die Stimmung rasch in Wut umschlagen, die sich in Demonstrationen und Drohungen gegen das italienische Konsulat entlud. Die aufgebrachte Volksmenge mußte durch die Polizei zerstreut werden. Am 28. März 1938 überreichte der italienische Botschafter in Berlin eine Denkschrift, in welcher Klage über „revisionistische“ und „antiitalienische“ Propaganda geführt wurde, als deren Urheber Teile der Innsbrucker NSDAP bezeichnet wurden. (Conrad F. Latour: „Südtirol und die Achse Berlin-Rom 1938 - 1945“, Stuttgart 1962, S. 22 f)

Falschen Hoffnungen hatten sich aber nicht nur die Nordtiroler hingegeben. In der Umgebung von Bozen und im Pustertal wurden auf den Bergen Freudenfeuer abgebrannt. Auf Häusern wurden Hakenkreuze und die Aufschrift „Bis Salurn“ angebracht. Nun überfielen Carabinieri und bewaffnete Faschistentrupps deutsche Dörfer und schossen auf die Südtiroler, es gab Schwerverletzte und einen Toten. Zahlreiche Südtiroler wurden verhaftet und in den Carabinierikasernen schwer mißhandelt. Eine regelrechte Terrorwelle ging über das Land.

Die Getäuschten in Nord- und Südtirol Als deutsche Truppen im März 1938 am Brenner standen, jubelten viele illegale Nationalsozialisten in Nord- und Südtirol, welche Hitlers Stellungnahmen zu Südtirol nur für taktische Manöver gehalten hatten. Nun würde der Brenner überschritten und das Land von der Fremdherrschaft befreit werden. Diese Hoffnung war in den vergangenen Jahren durch NS-Kreise in Süddeutschland genährt worden, welche sogar in Zeitungen offen ihre Sympathie zu Südtirol bekundet hatten. Vor diesem Hintergrund ist es auch erklärlich, daß die meisten Nordtiroler Nationalsozialisten im Jahre 1932 den Aufmarsch ihrer reichsdeutschen Kameraden vor dem „Siegesdenkmal“ in Bozen lediglich für eine bedauerliche aber ansonsten bedeutungslose Fehlleistung norddeutscher Parteigenossen gehalten hatten. In Südtirol selbst war mit Unterstützung durch illegale Nordtiroler Nationalsozialisten eine nationalsozialistische Bewegung entstanden, welche auf den Anschluß Südtirols zusammen mit Österreich an das Deutsche Reich hinarbeitete.

Tiroler – Dokumentation 54/2008

Als die reichsdeutschen Truppen am Brenner standen, durften sie nicht weiter vorrücken. Stattdessen reichte man sich am Schlagbaum die Hand. 5

Wie wenig die Nordtiroler Nationalsozialisten an einen wirklichen Verzicht ihres „Führers“ auf Südtirol glaubten, geht aus diesem Flugblatt aus dem Jahre 1937 hervor. Hier wird die Heimwehr des Verrates an Südtirol bezichtigt, während die illegalen Nationalsozialisten für Südtirol einzutreten vermeinen.

Am 21. April 1938 berichtete der deutsche Konsul Bene kurz vor Hitlers Staatsbesuch in Rom nach Berlin, daß die Südtiroler immer noch auf die Vereinigung mit Deutschland hofften: „Weitverbreitet ist der kindliche Glaube, daß der Duce dem Führer in Rom Südtirol übergeben werde ... Der Duce habe von einem Geschenk an den Führer gesprochen, das die Welt in Erstaunen versetzen werde. Ein solches Geschenk kann nach Ansicht der Südtiroler eben nur Südtirol sein.“

„Ernst und nachdenklich blickten uns diese Südtiroler Deutschen nach“ Hitler zeigte jedoch, daß ihm mit dem Verzicht auf Südtirol ernst war. Mussolinis Freundschaft stand über allem, Südtirol war eine lästige Nebensache. Kritiker wurden auch in Nordtirol eingesperrt. Am 2. Mai 1938 begab sich Hitler auf einen Staatsbesuch zu Mussolini nach Rom. In seinem Waggon blieben die Vorhänge geschlossen. Der „Führer“ wünschte das deutsche Volk Südtirols keineswegs zu sehen.

Der damalige Konferenzdolmetscher Paul Schmidt aber sah die begeisterten Italiener und die enttäuschten Südtiroler. Er berichtet: „Blumen und Fahnen begrüßten uns auf dem Bahnsteig der Brennerstation; breite Teppiche zogen sich auf ihm hin, an deren Rand die Formationen des italienischen Heeres und der faschistischen Partei aufgestellt waren. Als wir in den Bahnhof einfuhren, ertönten die Nationalhymnen, und der Vertreter des italienischen Königs, der Herzog von Pistoia, kam mit einer großen Abordnung in herrlich bunten Uniformen zur Begrüßung an den Zug. Weiter ging die Fahrt durch Südtirol, wo die Menschen sich zwar auch an der Strecke entlang auf den Bahnhöfen drängten, aber beim Anblick unseres Zuges merkwürdig still blieben. Kein Hitler- oder Faschistengruß, kaum ein vereinzeltes Winken oder Tücherschwenken. Ernst und nachdenklich blickten uns diese Südtiroler Deutschen nach, die wohl mit zu den besten unter den deutschen Volksstämmen gehören. ‚Werdet ihr uns jetzt in Rom verraten?‘, so glaubte ich eine bange Frage auf ihren Gesichtern zu lesen.“ (Dr. Paul Schmidt: „Statist auf diplomatischer Bühne 1923 – 45“, Wien 1952, S. 385)

In Rom wurden sie dann tatsächlich wiederum durch Hitler verraten. In seinem Trinkspruch auf den „Duce“ auf dem Staatsbankett im römischen Palazzo Venezia sagte er: „Es ist mein unerschütterlicher Wille und mein Vermächtnis an das deutsche Volk, daß es die von Natur zwischen uns beiden aufgerichtete Alpengrenze für immer als eine unantastbare ansieht, die die Vorsehung und die Geschichte unseren beiden Völkern ersichtlich gezogen haben.“ Der Dolmetscher Schmidt vermerkt dazu: „Als ich Hitlers Worte an jenem Abend hörte, fielen mir sofort die stillen Gesichter wieder ein, die südlich des Brenners unserem Zug nachgeschaut hatten.“ (Dr. Paul Schmidt, a. a. O., S. 388)

NS-Drohung strafrechtlicher Verfolgung gegen Südtirolfreunde Im „Völkischen Kampfring Südtirol“ (VKS) und in der Nordtiroler NSDAP wollten es viele nicht glauben. Sie klammerten sich immer noch an die Hoffnung, daß Hitlers Äußerungen rein taktischer Natur seien und doch noch die Stunde der Freiheit schlagen werde. Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß sah sich daher im Juni und dann nochmals im November 1938 veranlaßt, eine strenge Anordnung an „alle Parteigenossen und SA-Kameraden“ zu richten, in welcher jegliche Tätigkeit und Propaganda für Südtirol untersagt wurde: „Rücksichtslose Entfernung aus der Partei und strafrechtliche Verfolgung werden den Beteiligten für die Zukunft jede Lust nehmen, sich über wohlbegründete Entscheidungen des Führers hinwegzusetzen.“ Ab nun wurde die Gestapo für allzu heftige Sympathiebezeugungen für Südtirol zuständig. Sie beschlagnahmte Bücher über Südtirol und entfernte in Innsbruck Kränze und Blumen, welche an der Gedenktafel für den von den Faschisten in Bozen ermordeten Südtiroler Lehrer Franz Innerhofer niedergelegt worden waren. (Steininger-Pitscheider: „Tirol und Vorarlberg in der NS-Zeit“, Innsbruck 2002, S. 195 f)

Die Fenster fest geschlossen

Der „Führer“ bei dem „Duce“ in Rom: Feierlicher Verzicht auf Südtirol. 6

Unter den nachgelassenen Papieren von Reut-Nicolussi befindet sich auch ein Bericht eines wohl aus Vorsicht namentlich nicht genannten Vertrauensmannes aus Südtirol vom 20. Juni 1938 über die „Stimmung in Südtirol nach Hitlers Reise nach Rom“. Der Gewährsmann berichtete, daß zunächst, als die Nachricht über Hitlers Tischrede in allen Zeitungen zu lesen war, Verzweiflung über den „Verrat Hitlers“ ausgebrochen sei. „Die Mehrzahl hatte

Tiroler – Dokumentation 54/2008

sich Hoffnungen hingegeben und ist zutiefst enttäuscht worden ... Diese gefahrvolle seelische Verfassung im Lande währte nicht allzu lange. Es ist wieder allgemeine Entschlossenheit eingetreten, vielleicht noch härter als zuvor. ‚Jetzt geht es überhaupt erst los. Es wird noch 10, 15, vielleicht noch 20 Jahre dauern, aber der Tag wird kommen.‘“ In ganz Südtirol wurden vervielfältigte Zettel von Hand zu Hand gereicht, auf denen die Strophen eines Liedes geschrieben standen, welches nach der Melodie des Horst-Wessel-Liedes zu singen war. In diesem Lied wurden der „Führer“ und seine Romreise angesprochen. Es handelte sich aber um keine Lobpreisung, ganz im Gegenteil: „Im tiefen Schlaf, die Fenster fest geschlossen, fuhrst Du durchs heilge deutsche Südtirol. Du letzte Hoffnung unsrer Volksgenossen, du letzter Traum der Rettung, fahre wohl! Es sank der Arm, der schon zum Gruß erhoben, doch nicht der Mut, der immer uns beseelt, obgleich wir hörten, daß am Brenner droben die Grenze bleibt, die zwar kein Gott gewählt. Noch war kein Rom, kein Römer war geboren, als unsre Alpen längst die Sonn beschien; wir haben nur den letzten Krieg verloren und Saint Germain war seine Rächerin. Wir fühlen uns auch jetzt noch nicht geschlagen und denken deutscher noch als je zuvor. Es kommt ein Tag nach diesen Festgelagen, da schwingt der rote Adler sich empor. Hebt Euren Blick, wenn unsre Firnen glänzen und haltet unsre Südmark stets in Treu, dann zieht uns die Natur die alten Grenzen, dann kommt der Südtiroler schönster Mai!“ (Bericht von Unbekannt vom 20. 6. 1938 an Eduard Reut-Nicolussi „Stimmung in Südtirol nach Hitlers Reise nach Rom“. In: Michael Gehler: a. a. O., Dokument 466)

Bereits im Jahre 1928 meldeten Zeitungen die Absicht Hitlers auf die Preisgabe Südtirols.

ten daher deutsche Soldaten in einer „Tornisterschrift des Oberkommandos der Deutschen Wehrmacht“, (1941 - Heft 38, „Nur für den Gebrauch innerhalb der Wehrmacht“) Ergüsse lesen, welche der „Duce“ bei verschiedenen Gelegenheiten von sich gegeben hatte.“ Diese Schrift trug den Titel „Der Geist des Faschismus“. Der Verfasser war Benito Mussolini, der Inhalt weitgehend von der Wirklichkeit abgehobenes pseudophilosophisches Geschwafel. Zum Beispiel auf Seite 3: „Der Faschismus ist eine religiöse Auffassung, in der der Mensch in seiner inneren Verbundenheit mit einem höheren Gesetz gesehen wird, einem objektiven Geist, der über das besondere Individuum hinausgeht und es zu einem mitwissenden Gliede einer geistigen Gemeinschaft macht.“ Hitler blieb während des ganzen Krieges seinem Idol Mussolini unerschütterlich treu. Auch der Bündnisabfall Italiens im Jahr 1943 erschütterte diese Freundschaft nicht. Selbst als Mussolini nur noch ein Miniherrscher von Hitlers Gnaden in der oberitalienischen faschistischen „Sozialrepublik“ von Salo war und längst deutsche Truppen die „Operationszone Alpenvorland“ kontrollierten, enttäuschte der „Führer“ alle – auch von dem Tiroler Gauleiter Hofer gehegten – Hoffnungen auf Revision der Brennergrenze.

NS-Berichtsverbot über Südtirol Am 22. Juni 1938 ergriff der Nordtiroler Gauleiter Hofer Maßnahmen, um ein Übergreifen der Südtiroler Stimmungslage auf den Tiroler Norden zu verhindern. Er erteilte den Vertretern der Presse den Auftrag, ab nun überhaupt nichts mehr über Südtirol zu berichten. Am Tag davor hatte er allen Parteiformationen die strikte Weisung einer vollständigen Enthaltung in allen Südtiroler Angelegenheiten erteilt. Er sagte, er habe von Hitler persönlich einen diesbezüglichen Befehl erhalten. (Aufzeichnung von Eduard Reut-Nicolussi, 22. 6. 1938 „Gauleiter Hofer und Südtirol“. In: Michael Gehler: a. a. O., Dokument 467)

Endgültiger Verrat an Südtirol: Die Option Am 22. Mai 1939 kam es zum Abschluß des deutsch-italienischen Bündnispaktes (von Mussolini „Stahlpakt“ genannt), welcher den Weg in den Zweiten Weltkrieg öffnen und Deutschland in den Abgrund führen sollte. Für die Südtiroler hatte dieses enge Bündnis verheerende Folgen. Mit der Option von 1939 planten und vereinbarten Hitler und Mussolini nämlich die „ethnische Säuberung“ des Tiroler Südens von seiner angestammten deutschen und ladinischen Bevölkerung. Diese „Säuberung“ des Landes von seinen eigenen Einwohnern sollte auf ewig den Zankapfel Südtirol beseitigen. Sie wäre auch geglückt, wenn nicht die Kriegsereignisse der weiteren Durchführung einen Riegel vorgeschoben hätten.

„Der Geist des Faschismus“ Trotz aller katastrophalen Fehlleistungen und Niederlagen Italiens in den mutwillig angezettelten Kriegen in Nordafrika, auf dem Balkan und in Griechenland hielt Adolf Hitler seinem bewunderten Freund Mussolini weiterhin die Stange. Im Jahr 1941 muß-

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Die „Dolomiten“ mußten am 24. Mai 1939 über ein großes Freundschaftstreffen zwischen Hitlerjugend und italienischen Jungfaschisten auf dem Brenner berichten. 7

Auf dem Finanzamt in Bozen – dem früheren Sitz der Faschistischen Partei – prangt heute noch das steinerne Bildnis des „Duce“. Die Inschrift „credere, obbedire, combattere“ fordert heute noch die Südtiroler auf, an den Faschismus zu glauben, ihm zu gehorchen und für ihn zu kämpfen.

Bozner „Siegesdenkmal“ auf einer Postkarte aus der Faschistenzeit.

Der Bozner Justizpalast trägt heute noch eine Inschrift, welche das faschistische Rechtsverständnis bezeichnet: „Für das italische Imperium mit Tapferkeit, der Justiz, der faschistischen Hierarchie und mit Zähnen und Klauen“.

Absage an die unselige Vergangenheit – Forderung nach Beseitigung heutiger Faschismen Den Kräften einer unseligen Vergangenheit muß von uns heute Lebenden eine deutliche Absage erteilt werden. Wer die Rechte des eigenen Volkes einfordert, muß die Rechte anderer Völker achten. Nur so kann eine gerechte Ordnung entstehen. Wir fordern auch, daß die immer noch bestehenden äußeren Zeichen des faschistischen Unrechts endlich beseitigt werden. Mitten in Bozen steht das vom Faschismus errichtete und mit faschistischen Emblemen geschmückte riesige „Siegesdenkmal“, auf welchem geschrieben steht, daß man von hier aus den Südtirolern die Sprache, die Kultur und die Gesetze gebracht hätte. Noch schlimmer kann man das deutsche und ladinische Kulturvolk Südtirols nicht verhöhnen. Vor diesem Denkmal finden alljährlich neofaschistische Kundgebungen statt, auf denen gegen die Südtirolautonomie demonstriert und die Rückkehr zu den alten Zeiten der Unterdrückung gefordert wird. Ebenfalls in Bozen befindet sich sogar ein richtiges MussoliniRelief, auf welchem der „Duce“ hoch zu Roß in den Abessinienfeldzug reitet. Damals haben italienische Kolonialtruppen einen grausamen Völkermord begangen und hunderttausende von Menschen nur aufgrund ihrer Rassenzugehörigkeit ermordet und in Konzentrationslagern verhungern lassen. Mitten in Bozen wird heute noch solchen Verbrechen gehuldigt. In Bruneck verherrlicht ein Denkmal jene Truppen, die in Äthiopien Völkermord begangen haben. Welche Auffassung man im Faschismus von Justiz und Gerechtigkeit hatte, verkündet heute noch eine riesige Inschrift an dem Bozner Justizpalast: Mit Zähnen und Klauen für das italische Imperium! In diesem Geist wurden in diesem Gebäude auch nach 1945 noch schandhafte Prozesse abgehalten.

mit dem „Führer“ hoch oben darauf in Siegerpose. Vor diesem Denkmal würden sich dann „Jungnazis“ mit Hakenkreuzfahnen versammeln und der staunenden Umgebung den Hitlergruß zeigen. Unvorstellbar! In Bozen und in einer Reihe weiterer Orte in Südtirol ist dies aber der Alltag. Wir alle haben uns schon viel zu sehr daran gewöhnt. Wir rütteln unsere und die Weltöffentlichkeit nicht auf. Die Südtiroler Landesregierung nimmt es widerspruchslos hin, wenn ein Landeskonservator öffentlich für das Weiterbestehen dieser politischen und kulturellen Ungeheuerlichkeiten eintritt. Kein Finanzbeamter und kein Steuerpflichtiger weigert sich, das Finanzgebäude in Bozen durch den Vordereingang zu betreten, über welchem Mussolini nach wie vor hoch zu Roß reitet. Diese Untertänigkeitsgesinnung ist nicht nur in Südtirol zur Normalität geworden, sondern auch in Nordtirol, wo es ebenfalls an öffentlichem Protest mangelt. So werden wir ein neues Europa der Gleichberechtigung und Freiheit der Völker und Volksgruppen nicht bauen können. Setzen wir jedoch einen neuen Anfang! Schweigen wir nicht länger und fordern wir bei jeder Gelegenheit die politischen Selbstverständlichkeiten auch für Südtirol ein!

Verlieren wir dabei auch nie das Ziel der Landeseinheit aus den Augen! Für die ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfer: Dr. Günther Andergassen Sepp Mitterhofer Dr. Erhard Hartung Impressum

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Die faschistischen Denkmäler verkünden unsere Versäumnisse

ISBN 3-921916-04 6 Arbeitsgemeinschaft zur Herausgabe des „Tiroler“ – Für den Inhalt verantwortlich: Peter Kienesberger Postanschrift: PF 8, A-6170 Zirl Tirol (Nord) [email protected] oder [email protected]

Man denke sich nur, in Innsbruck würde ein Denkmal des Sieges über die Feinde Hitlers stehen, mit Hakenkreuzen versehen und

Zustimmungserklärungen, die veröffentlicht werden dürfen, für eine Neuauflage erwünscht!

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