Bundestagswahl 2009: „Aufbruch oder ‚Weiter so?‘“
Info – aktuell Nr. 17/09
„Piraten“ über Datenschutz, Strafverfolgung und den Zoll Nach dem Achtungserfolg bei der Europawahl im Juni und dem wachsenden Medieninteresse setzt sich unter den sogenannten „sonstigen Parteien“ die Piratenpartei Deutschlands ab. Neben dem auf dem ersten Blick ungewöhnlichen Namen fallen Arbeitsweise und Grundsatzprogramm aus dem etablierten Rahmen. Die Grundthemen Datenschutz, Urheberrecht und Bildung bewegen, glaubt man der Berichterstattung über die Piratenpartei, weltweit immer mehr Menschen. Grund genug, auch diese aussichtsreiche neue Partei zu Themen des Zolls zu befragen und so den Vergleich zu den im Bundestag vertretenen Fraktionen zu ermöglichen. Frage: Ist es nach Ihrer Auffassung erforderlich, zukünftig die Zusammenarbeit der bestehenden Kontroll, Fahndungs- und Ermittlungseinheiten des Zolls mit anderen polizeilichen Behörden der inneren Sicherheit durch engere Vernetzung zu verbessern? DIE PIRATEN: Eine stärkere Vernetzung auf organisatorischer Ebene stärkt zweifellos die Effektivität der eingesetzten Kräfte des Zollvollzuges und der Polizeien. Dies ist unbestreitbar und muss daher auch befürwortet werden, zumal sich so erhebliche Synergieeffekte ergeben. Die Piratenpartei ist jedoch strikt dagegen, dass dabei bestehende Datensysteme und Datenbanken vernetzt werden. Frage: Sollte nach ihrer Auffassung der Zoll in Zukunft strategisch so ausgerichtet und personell und sächlich entsprechend ausgestattet werden, um international operierenden Schmuggelorganisationen, Geldwäschern, Steuer-, Betrugs- und Wirtschaftskriminellen mit modernen polizeilichen Mitteln wirksam entgegen zu treten? DIE PIRATEN: Die Piratenpartei befürwortet den anlassbezogenen und verhältnismäßigen Einsatz gesetzlich vorgesehener Einsatzmittel und -taktiken zur Bekämpfung der genannten Deliktsformen. Nach unserer Kenntnis könnte man allein durch die konsequente Bekämpfung des organisierten Zigarettenschmuggels die Steuereinnahmen generieren, die beispielsweise nötig sind, um die aus unserer Sicht die Bildungsgerechtigkeit verhindernden Studiengebühren wieder abzuschaffen. Dies kann nach Auffassung der Piratenpartei nur erreicht werden, wenn die Einsatzkräfte des Zolls zeitgemäß auf Formen der Organisierten Kriminalität reagieren können. Dies scheint nach unserer Kenntnis derzeit nicht gegeben zu sein, weil im dafür zuständigen Bundesfinanzministerium den Realitäten nicht ausreichend Tribut gezollt wird. Die wissenschaftlich belastbaren Zahlen der Tabakindustrie zum Zigarettenschmuggel in Deutschland sprechen eine glasklare Sprache und stellen die mittlerweile entstandene Situation als tatsächlich bedrohlich dar, während das Bundesfinanzministerium nach unserem Eindruck diese skandalösen Zahlen fortwährend verniedlicht. Die Piratenpartei befürwortet für den privaten Gebrauch die straffreie Privatkopie, unterstützt aber keineswegs Produktfälschungen oder das verbrauchertäuschende Verwenden fremder Markenbezeichnungen, insbesondere wenn die die Sicherheit und Gesundheit von Menschen gefährden. Dies betrifft natürlich auch die besonders gesundheitsgefährdenden Plagiate von Zigaretten, die den deutschen Markt zunehmend überschwemmen. Die notwendige Entschlossenheit, sich diesen Kriminalitätsformen zeitgemäß zu stellen, können wir im Bundesfinanzministerium nicht erkennen. Die in der Frage genannten “modernen polizeilichen Mittel” sind unseren Informationen zufolge eingeschränkt bereits vorhanden, werden jedoch nicht in vollem Umfang polizeilich modern eingesetzt, weil dem unzeitgemäße Vorstellungen im Bundesfinanzministerium entgegen stehen. Frage: Würden Sie die Schaffung von flachen Hierarchien mit kurzen Kommunikationswegen und schnellen, handlungsfähigen sowie aufgabenorientierten Weisungsstrukturen, die die Schlagkraft in der Kriminalitätsbekämpfung sowie die Effizienz in der Sicherung der Einnahmen des Bundes und der EU verbessern, begrüßen? DIE PIRATEN: Wäre die Piratenpartei hierarchisch so antiquiert organisiert wie viele Bundesbehörden und allen voran das Bundesfinanzministerium mit dem Zoll, wäre sie gewiss nicht in der Lage gewesen, sich innerhalb so kurzer Zeit in der deutschen Parteienlandschaft als Newcomer zu etablieren. Kurze Leitungswege und möglichst direkte Kommunikation bei gleichzeitig größtmöglicher Eigenverantwortung sind heutzutage das Kennzeichen und die Parameter für erfolgreiches Handeln. Der Zoll wurde und wird im Zuge einer so genannten Strukturreform vermeintlich neu organisiert. Tatsächlich jedoch werden dabei jedoch „Wasserkopfstrukturen“ unter dem verbalen GdP – BZG Zoll (Bundesfinanzpolizei), Forststraße 3a, 40721 Hilden Internet: www.gdp-bundesfinanzpolizei.de
Deckmantel „Strukturreform“ festgeschrieben, die im Ergebnis dazu führen, dass der Zoll seine Ressourcen mit Selbstverwaltung verschwendet. Ein wirklich modernes Management stellt sich die Piratenpartei ganz anders vor. Um in einem für die Piratenpartei passenden Bild zu bleiben, fragen wir: Wie schnell oder langsam kann ein Schiff seinen Kurs ändern, wenn der Kapitän es will und sein Kommando dazu erst durch vier Instanzen diskutiert, geprüft und befürwortet werden muss? Der Kreativität und dem Tempo der Organisierten Kriminalität muss der Staat aus der Verantwortung seinen Bürgern gegenüber dann die Zähne zeigen können, wenn es darauf ankommt und nicht erst, wenn es dazu zu spät ist. Der uns vorliegende Vorschlag der Gewerkschaft der Polizei für die Schaffung einer Bundesfinanzpolizei trägt diesem Ideal in erforderlicher Weise Rechnung und findet deshalb unsere Zustimmung. Den Vorschlag unterstützt die Piratenpartei auch deshalb, weil er einer ist, der eine verbesserte Kriminalitätsund Terrorismusbekämpfung nicht an die weitere Einschränkung von Grundrechten knüpft. Frage: Teilen Sie die Einschätzung, dass die hohen psychischen und physischen Belastungen der Beschäftigten in den Vollzugseinheiten des Zolls, die im Rahmen ihrer Kontroll-, Fahndungs- und Ermittlungstätigkeiten erheblichen Gefährdungen ausgesetzt sind und den Dienst überwiegend in Wechselschichten verrichten, bei der Gestaltung der Lebensarbeitszeit, der Zumessung des Urlaubs und der regelmäßigen Arbeitszeit mindestens im selben Umfang dienstrechtlich zu berücksichtigen sind, wie dies bereits heute in anderen polizeilichen Tätigkeitsbereichen des Bundes erfolgt? DIE PIRATEN: Diese Einschätzung teilt die Piratenpartei uneingeschränkt. Der Binsenweisheit, dass Schichtdienst die Lebenserwartung gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt verkürzt, ist in allen Bereichen ohnehin Rechnung zu tragen. Die in der Frage angeführten stresserhöhenden Momente für den Zollvollzug begründen natürlich andere Ansprüche der Beschäftigten. Mit anderen Worten: Wer eine geringere Lebenserwartung hat, muss das Leben wenigstens beizeiten lebenswerter gestalten können. Das versteht die Piratenpartei als eine Frage von Lebens- und Arbeitsgerechtigkeit. Und um einmal mehr in einem für Piratenpartei typischen Bild zu bleiben: Ein 62jähriger hat 20 Meter hoch in den Wanten eines Schiffs nichts mehr zu suchen. Wer so lange zur See gefahren ist, der hat es verdient, sein Seemannsgarn zu Hause spinnen zu dürfen! Frage: Verstehen Sie den Zoll mit seinen polizeitypischen Aufgaben im Bereich der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als integralen Bestandteil der deutschen Sicherheitsarchitektur? DIE PIRATEN: Die Fragestellung lässt erkennen, dass klare Antworten darauf an anderer Stelle fehlen bzw. die einzig sinnvolle Antwort bewusst nicht zur Kenntnis genommen wird. Alle Sicherheitsbehörden – und der Zoll gehört zweifelsohne dazu – sind Bestandteil dessen, was derzeit als "Sicherheitsarchitektur" bezeichnet wird. Unter der Voraussetzung, dass zu dieser "Sicherheitsarchitektur" auch Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung und der Bundestrojaner gehören, lehnt die Piratenpartei eine solche jedoch vollkommen ab. Deswegen begleitet die Piratenpartei das, was im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) geschieht, sehr kritisch, was sich aus dem Selbstverständnis einer Bürgerrechtspartei zwingend ergibt. Die Piratenpartei fragt daher auch ganz bewusst: Wie glaubwürdig ist ein Staat, der seine Bürger mit Videokameras großflächig überwacht und deren Kommunikationsdaten im Generalverdacht sechs Monate lang abspeichern lässt, wenn er an anderen Stellen seinen gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommt? Eine dieser gesetzlichen Verpflichtungen ist der Schutz seiner Bürger vor Terror und Kriminalität. Deshalb hat der Staat nach unserer Auffassung doch zu allererst seine Hausaufgaben zu machen, die an dieser Stelle darin bestehen, seine Polizeien, zu denen der Zollvollzug gehört, optimal zu organisieren. Das Bundesfinanzministerium mit seiner geradezu dogmatischen Ablehnung all dessen, was ansonsten als polizeiliche Selbstverständlichkeit betrachtet wird, ist in dieser Hinsicht ein gefährlicher Bremsklotz. Der Terror dieser Tage ist international organisert und funktioniert in seiner Logistik grenzüberschreitend. Wer sonst als der Zollvollzug und die Bundespolizei soll an unseren Grenzen diese wichtige Aufgabe wahrnehmen? Aus Sicht der Piratenpartei gibt es also ein erhebliches organisatorisches Optimierungspotenzial bei der Inneren Sicherheit, das auch eine deutlich bessere Einbindung des Zollvollzugs als Polizei beinhaltet. Als bürgerrechtliche Selbstverständlichkeit schließt Piratenpartei ein weiteres Aufweichen datenschutzrechtlicher Bestimmungen bei einer solchen Organisationsoptimierung aus.
GdP – BZG Zoll (Bundesfinanzpolizei), Forststraße 3a, 40721 Hilden Internet: www.gdp-bundesfinanzpolizei.de