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Univerza v Mariboru Filozofska fakulteta Oddelek za germanistiko

Phraseologie Kompendium für germanistische Studien

Vida Jesenšek

Maribor, 2013

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Inhalt

Inhalt........................................................................................................................................... 1 Vorwort ...................................................................................................................................... 4 1 Theoretische Grundlagen der Phraseologie ............................................................................ 9 1.1 Begriff und Hauptmerkmale ............................................................................................. 9 1.1.1 Polylexikalität .......................................................................................................... 10 1.1.2 Stabilität .................................................................................................................. 11 1.1.3 Idiomatizität ............................................................................................................ 15 1.1.4 Lexikalisiertheit und Reproduzierbarkeit ................................................................ 19 1.2 Phrasem und Phraseologie ............................................................................................. 20 2 Strukturen, Typen, Klassen .................................................................................................... 24 2.1 Basisklassifikation nach Burger (2010) ........................................................................... 25 2.2

Nominative Phraseme: morphologisch-syntaktische Klassifikation ......................... 26

2.2.1 Substantivische Phraseme ...................................................................................... 27 2.2.2 Verbale Phraseme ................................................................................................... 29 2.2.3 Adjektivische Phraseme .......................................................................................... 30 2.2.4 Adverbiale Phraseme .............................................................................................. 31 2.3 Besondere Strukturtypen nominativer Phraseme ......................................................... 31 2.3.1 Paarformeln ............................................................................................................. 32 2.3.2 Komparative Phraseme ........................................................................................... 35 2.3.3 Phraseologische Teilsätze ....................................................................................... 38 3 Sprichwörter .......................................................................................................................... 40 3.1 Begriff und Hauptmerkmale ........................................................................................... 40

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

3.2 Hauptmerkmale.............................................................................................................. 41 3.2.1 Polylexikalität und Satzwertigkeit ........................................................................... 42 3.2.2 Stabilität .................................................................................................................. 43 3.2.3 Idiomatizität ............................................................................................................ 43 3.3 Formen ........................................................................................................................... 44 3.4 Funktionen...................................................................................................................... 49 3.5 Inhalt und Herkunft ........................................................................................................ 51 3.6 Sprichwortsammlungen ................................................................................................. 54 3.7 Sondergruppen ............................................................................................................... 57 3.7.1 Bauernregeln und Wettersprichwörter .................................................................. 57 3.7.2 Rechtssprichwörter ................................................................................................. 60 3.7.3 Medizinische Sprichwörter...................................................................................... 60 3.7.4 Wellerismen ............................................................................................................ 63 3.8 Sprichwortähnliche feste Strukturen ............................................................................. 64 3.8.1 Sentenz .................................................................................................................... 64 3.8.2 Geflügeltes Wort ..................................................................................................... 64 3.8.3 Aphorismus.............................................................................................................. 65 3.8.4 Maxime .................................................................................................................... 66 3.8.5 Epigramm ................................................................................................................ 66 4 Phraseologie im Sprachenlernen .......................................................................................... 68 4.1 Phraseologie als Lern- und Lehrgegenstand .................................................................. 68 4.2 Argumente für die Integration der Phraseologie in das Fremdsprachenlernen ............ 71 4.3 Konsequenzen für das Fremdsprachenlernen ............................................................... 79 4.3.1 Methodisch-didaktische Konsequenzen ................................................................. 80 4.3.2 Praktische Konsequenzen ....................................................................................... 82 2

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Teil A: Glossar ....................................................................................................................... 85 Teil B: Wörterbuchverzeichnis ............................................................................................. 92 Teil C: Literaturverzeichnis ................................................................................................... 95

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Jede Sprache ist Bildersprache (Wilhelm Busch)

Vorwort Das vorliegende Kompendium stellt eine Einführung in grundlegende theoretische und ausgewählte praktische Aspekte der Phraseologie dar. Phraseologie als eigenständige sprachwissenschaftliche Forschungsdisziplin ist die Lehre (griech. phrasis 'Rede', logos 'Lehre') von Phrasemen, also von festen Wortverbindungen verschiedenster Art, die auf eine besondere, in der Regel sehr bildhafte Art und Weise Begriffe versprachlichen und als vorgefertigte Redeteile beim Sprechen oder Schreiben nicht immer aufs neue produziert sondern wiederholt, reproduziert werden, vgl. küss die Hand, Hand in Hand arbeiten, alle/beide Hände voll zu tun haben, von der Hand in den Mund leben, eine Hand wäscht die andere; Wasser auf jmds. Mühle sein, ein stilles Wasser, stille Wasser sind tief usw.

Dass man die alltägliche Rede nicht nur und nicht immer aus einzelnen Wörtern frei gestaltet, ist weit bekannt. Gerade komplexe und vorgefertigte lexikalische Bestandteile der Rede – in vielen Fällen sind es Phraseme – helfen dem Menschen seit eher, sich bei der Ausformung der sprachlichen Kommunikation der »Fertigbauweise« zu bedienen und somit seinen kommunikativen Aufwand zu verringern. Die phraseologische Redeweise ist allen bekannten natürlichen Sprachen eigen; die alte Tradition entwickelt sich ständig weiter und lässt neue Phraseme entstehen. Laut der letzten Ausgabe des repräsentativen deutschen phraseologischen Wörterbuchs aus der Duden-Reihe mit dem Titel Duden Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik (2013) sind etwa folgende Phraseme in der deutschen Sprache neu: in trockenen Tüchern sein 'gesichert, erfolgreich abgeschlossen, erreicht sein'; die Kuh vom Eis bringen/kriegen 'ein schwieriges Problem lösen'; (die) unterste Schublade 'niedrigstes Niveau, billig, gemein'; den Ball flach halten 'sich zurückhalten; unnötiges Risiko, unnötige Aufregung 4

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

o.Ä. vermeiden'; lass/lasst Ablehnung/Zurückweisung'.

stecken!

'Ausdruck

des

Widerspruchs,

der

Man sieht, dass es sich um ein recht interessantes, besonderes und vielfältiges sprachliches Phänomen handelt. Das Wesen eines „echten“ Phrasems macht seine charakteristische semantische Natur aus, denn es gilt, dass „Wortverbindungen, deren Bedeutung nicht dem entspricht, was den allgemeinen Regeln der Sprache gemäß erwartet würde, /…/ im engen Sinne phraseologisch /sind/“ (vgl. Palm 1997, 106). Der phraseologische Bestand einer natürlichen Sprache ist jedoch immer sehr verschiedenartig, sodass man auch von der Phraseologie im weiteren Sinne sprechen muss, um ihn in seiner Ganzheitlichkeit erfassen zu können. Dieser evidente und unverkennbare phraseologische Reichtum weckt in den letzten Jahrzehnten auch das Interesse der sprachwissenschaftlichen Forschung. Zunächst als Teildisziplin der Lexikologie (Lehre von Wörtern und Wortschatz) entwickelte sich die Phraseologie gegenwärtig zu einer eigenständigen linguistischen Disziplin mit gründlich ausgearbeiteter theoretischer Basis, mit vielfältigen Forschungsmethoden und mit einer enormen und ständig anwachsenden Zahl von Fachpublikationen. Die Anfänge der germanistischen Phraseologieforschung gehen auf die 70er Jahre des 20. Jh. zurück und gründen hauptsächlich auf den früheren russischen phraseologischen Arbeiten (eine kurze historische Übersicht über die Entwicklung der deutschen Phraseologieforschung gibt Donalies 2009). Gegenwärtig wird der phraseologische Bestand der deutschen Sprache aus mehreren verschiedenen linguistischen Perspektiven betrachtet: -

aus der Sicht der Systemlinguistik werden der Gegenstand der phraseologischen Forschung definiert

und die phraseologische von anderen Betrachtungsebenen

abgegrenzt; es werden formale Strukturen analysiert und klassifiziert; es wird untersucht, wie diese die weitgehend ganzheitliche und in der Regel sehr komplexe phraseologische Bedeutung konstituieren; bei der Erforschung der phraseologischen Bedeutung wird in letzter Zeit großer Wert auf kulturell-historische und symbolischsemantische Aspekte gelegt; 5

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

-

aus der funktionalen Perspektive wird dargelegt, wie Phraseme in Texten vorkommen und welche Funktionen sich am konkreten Phrasemgebrauch interpretieren lassen;

-

aus der kommunikativ-pragmatischen Sicht sucht man nach Antworten auf die grundlegende pragmatische Fragestellung (Was tue ich, wenn ich ein Phrasem gebrauche) und man bemüht sich, das reiche pragmatische Potenzial der Phraseme zu erläutern und zu systematisieren;

-

unter der lexikographischen Perspektive setzt man sich damit auseinander, wie Phraseme in verschiedenartigen Wörterbüchern sowie in neuartigen elektronischen Sprachressourcen fachgerecht und benutzerfreundlich erfasst sind bzw. erfasst werden sollten;

-

die kontrastive Untersuchungsperspektive ist mit der Suche nach Ähnlichkeiten und Unterschieden in der Phraseologie mehrerer Sprachen beschäftigt; vor allem Fragestellungen zu zwischensprachlichen Äquivalenzbeziehungen stoßen auf reges Forschungsinteresse, zumal die Äquivalenz in mehreren praktischen Bereichen eine entscheidende Rolle spielt: in der Übersetzung, in der Erarbeitung zweisprachiger Wörterbücher und im Sprachenlernen;

-

unter der sprachdidaktischen Perspektive wird die Phraseologie vor dem Hintergrund des mutter- und fremdsprachlichen Spracherwerbs bzw. des Sprachenlernens diskutiert; es interessieren psycholinguistische Aspekte des Phrasem-Erwerbs und praktische

sprachdidaktische

Fragen

zur

Vermittlung der

Phraseologie

in

Sprachlernprozessen. Der Inhalt des vorliegenden Kompendiums berücksichtigt einige ausgewählte Perspektiven der aktuellen germanistischen Phraseologieforschung. Bei der Konzipierung und Erarbeitung 6

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

wurde von der grundlegenden germanistischen Referenz- und Forschungsliteratur ausgegangen, die im Literaturverzeichnis angegeben und für das weiterführende Studium der deutschen Phraseologie empfohlen wird. Stellenweise (vor allem im kontrastiven und sprachdidaktischen Bereich) wurde die allgemeine Diskussion durch Ergebnisse eigener Forschung ergänzt. Hierbei nehmen die zentrale Position drei Forschungsprojekte ein, die ich in letzter Zeit geleitet habe: das internationale EU-geförderte Projekt EPHRAS, im dessen Rahmen

eine

mehrsprachige

phraseologische

Datenbank

und

umfangreiche

phraseodidaktische Materialien entstanden sind, das weiterführende parömiologische Projekt SprichWort, dessen Hauptziel die linguistische Erforschung und sprachdidaktische Aufbereitung der Sprichwörter mehrerer Sprachen (darunter Deutsch und Slowenisch) auf korpusempirischer Basis gewesen ist und nicht zuletzt das kontrastive Projekt zur Phraseologie des Deutschen und Slowenischen, welches durch die Slowenische Forschungsagentur (ARRS) mitfinanziert wird und bisher bedeutende Kenntnisse zur deutsch-slowenischen kontrastiven Phraseologie hervorbringen konnte. Mit diesem Nachschlagewerk zur deutschen Phraseologie werden mehrere Ziele verfolgt: 1. eine Basisübersicht über das Wesen der deutschen Phraseologie und den aktuellen Stand der germanistischen Phraseologieforschung zu geben; 2. durch eine typologische Darstellung des äußerst heterogenen phraseologischen Bestands des Deutschen eine systematische Einprägung bei fremdsprachigen Sprechern zu ermöglichen und somit die Erkennbarkeit bisher womöglich unbekannter Phraseme zu erhöhen; 3. darzulegen, wie die Phraseologie in textuellen Zusammenhängen üblicherweise funktioniert

und

folgerichtig

auf

typische

und

somit

vorhersehbare

Verwendungsweisen aufmerksam zu machen; 4. aus der kontrastiven (deutsch-slowenischen) Perspektive auf zwischensprachliche Äquivalenzbeziehungen hinzuweisen und gleichzeitig einige Übersetzungsfragen anzusprechen;

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

5. die Wichtigkeit der Einbeziehung der Phraseologie in das Sprachenlernen darzulegen und aktuelle Leistungen der phraseodidaktischen Forschung zu unterbreiten. Das Kompendium umfasst vier in sich gegliederte Kapitel, in denen einzelne Themenbereiche theoretisch erläutert und praktisch illustriert werden. Im Anhang findet sich ein kurzes Glossar mit den wichtigsten Fachtermini, die im Kompendium vorkommen; mit dem Zeichen  wird im laufenden Text auf die Aufnahme des jeweiligen Fachausdrucks in das Glossar verwiesen. Im Anhang befinden sich schließlich ein Wörterbuchverzeichnis mit den Angaben zu

den

Wörterbüchern,

die

im

Kompendium

besprochen

werden

und

ein

Literaturverzeichnis, in dem die grundlegende und aktuelle Fachliteratur zur deutschen Phraseologie und Parömiologie verzeichnet ist. Das Kompendium ist durch seine inhaltliche Struktur und vielfältige und umfangreiche Veranschaulichung der theoretischen Überlegungen mit konkreten Beispielen aus der Phraseologie des Deutschen in erster Linie für Studierende verschiedener germanistischer Studiengänge gedacht. Gut geeignet ist er aber auch für angehende und praktizierende DaFLehrer und -lehrerinnen, insbesondere für jene, die im Rahmen des absolvierten Germanistik-Studiums wenig oder gar nichts von der Phraseologie gehört haben. Schließlich sollte er für alle, die die phraseologische Redeweise interessant finden und sich mit dem Reichtum der deutschen Phraseologie näher auseinandersetzen wollen, von Interesse sein.

Maribor und Mannheim, im Januar 2013

Vida Jesenšek

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

1 Theoretische Grundlagen der Phraseologie

INHALT UND ZIELE In diesem Kapitel wird eine erste Einsicht in theoretische Grundlagen der Phraseologie gegeben. Es wird dargelegt, was phraseologische Einheiten einer Sprache sind und welche typischen Eigenschaften sie haben. Dieser Teil ist nicht gänzlich einzelsprachspezifisch orientiert, obgleich mit zahlreichen Beispielen aus der deutschen Sprache belegt; manche Erläuterungen gelten z.B. auch für die Phraseologie der slowenischen Sprache. Nach einer aufmerksamen Lektüre dieses Kapitels werden sie wissen, was Phraseme sind, welche typischen Eigenschaften sie haben, wie sie sich von andersartigen aber ähnlichen sprachlichen Phänomenen unterscheiden, wie vielfältig sie sein können und wie sie sie fachgerecht benennen sollen.

1.1 Begriff und Hauptmerkmale

Im Allgemeinen verstehen wir unter phraseologischen Einheiten einer Sprache, die wir Phraseme nennen (Phrasem), mehrteilige und feste Wortverbindungen, deren jeweilige Wort-Kombination den Sprechenden einer Sprache genau in dieser oder eventuell noch in einer varianten Form bekannt ist. Dazu kommt, dass die Gesamtbedeutung solcher Wortverbindungen mit der Summe von Bedeutungen einzelner Bestandteile in der Regel nicht gleichgesetzt werden kann. Vergleichen wir folgende zwei Aussagen: (1) Kalter Kaffee gefällt mir nicht. (2) Was er über Japan erzählt, ist doch alles kalter Kaffee. Erstens kann man das in jedem Fremdenführer nachlesen und zweitens interessiert das gar nicht, denn auf das Wesentliche kommt er gar nicht zu sprechen.

Während in der Aussage (1) ein Getränk beurteilt wird, können wir die Aussage (2) keinesfalls mit dem beliebten Getränk in Verbindung setzen. Was in (2) mit kaltem Kaffee benannt wird, lässt sich an dem zugehörigen Text gut nachvollziehen, nämlich 'etw. ist altbekannt, abgestanden, sogar dumm und deshalb völlig uninteressant'. Man sieht, dass 9

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Phraseme in ihrer Bedeutungsdimension ganzheitlich funktionieren und Begriffliches benennen – in dieser Hinsicht kann man sie mit einzelnen Wörtern vergleichen und als Bestandteile des Wortschatzes auffassen. Phraseme sind somit ganzheitliche Einheiten des Wortschatzes, des Lexikons; sie sind Lexeme (Lexem). Da Phraseme keinesfalls einfache sondern komplexe und manchmal komplizierte Konstruktionen sind, ist es auch nicht einfach, sie zu definieren und somit klar und deutlich von andersartigen und/oder ähnlichen mehrteiligen sprachlichen Phänomenen auf der Wortschatzebene abzugrenzen. In der umfangreichen Fachliteratur zur Phraseologie (Phraseologie) findet man zahlreiche Definitionen, in denen bei der Begriffsbestimmung mit je unterschiedlichem Gewicht morphologische, syntaktische und semantische PhrasemEigenschaften eine Rolle spielen. Man ist sich jedoch einig, dass die Mehrheit der sonst sehr heterogenen Phraseme einige gemeinsame Merkmale aufweisen. Im Folgenden werden diese in ihren Wesenszügen dargelegt und anhand konkreter deutscher Phraseme illustriert.

1.1.1 Polylexikalität Das Merkmal der Polylexikalität, auch Mehrgliedrigkeit (Polylexikalität) meint die Tatsache, dass Phraseme aus mehreren (poly, griech. polus 'viele, viel') Wörtern (griech. lexis 'Wort') bestehen; sie sind somit polylexikal (mehrgliedrig). Wie viele Wörter eine phraseologische Struktur ausmachen – gerade dazu gibt es aber verschiedene Meinungen. Schwierigkeiten bereiten vor allem uneinheitliche Bestimmungen dessen, was ein Wort überhaupt ist; in der Linguistik wird der Begriff des Wortes nämlich sehr unterschiedlich aufgefasst und interpretiert. Wir vereinfachen hierbei die Diskussion und übernehmen die gegenwärtig übliche und verbreitete Auffassung der phraseologischen Polylexikalität. Danach setzt man Grenzen einer phraseologischen Einheit des Wortschatzes durch eine minimale und eine maximale Phrasem-Struktur ab: -

Phraseme mit Minimalstruktur sind Verbindungen von zwei Wörtern, von denen mindestens ein Wort autosemantisch sein muss, vgl.

-

blinder Passagier; frei Haus; auf Anhieb, im Nu 10

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

-

Phraseme mit Maximalstruktur sind Verbindungen von Wörtern, die eine Satzstruktur darstellen; man nennt sie auch satzwertige Phraseme bzw. Satzphraseme, vgl. Übung macht den Meister; Wer rastet, der rostet; Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen; Ohne Fleiß kein Preis; Verflixt und zugenäht!.

Die meisten deutschen Phraseme befinden sich auf einer Skala zwischen der Minimal- und Maximalstruktur; man nennt sie auch satzgliedwertige Phraseme, da sie im Satz die Satzglied-Funktion übernehmen (sie treten als Subjekt, Objekt, Prädikat, Attribut, adverbiale Bestimmung auf), vgl. Mutter Grün; Nummer Eins; das Auge des Gesetzes; das älteste Gewerbe der Welt; Liebe auf den ersten Blick sich auf die Beine machen; die Flinte ins Korn werfen; nicht von der Luft leben können; sich benehmen wie ein Elephant im Porzellanladen fix und fertig; klipp und klar.

Einzelne Elemente (Wörter) eines Phrasems nennt man Komponenten (Komponente).

1.1.2 Stabilität Eine weitere begriffsbestimmende Phrasem-Eigenschaft ist das Merkmal der Stabilität, auch Festigkeit (Stabilität). Damit wird gesagt, dass Phraseme in ihrer formalen Struktur und folgerichtig in ihrer Bedeutung fest, stabil sind. Laut Burger (2010, 16ff.) sollte man die phraseologische Stabilität auf drei Ebenen betrachten; auf der psycholinguistischen, strukturellen und pragmatischen Ebene.

Die psycholinguistische Stabilität meint, dass Phraseme im mentalen Lexikon ganzheitlich gespeichert sind und als solche nach Bedarf abgerufen und beim Sprechen oder Schreiben reproduziert werden können. Ihr kognitiver Status wird vor allem innerhalb der Sprachdidaktik besprochen, um damit die 11

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Integration der Phraseologie in das Sprachenlernen zu begründen. (Näheres zum kognitiven Status der Phraseologie finden sie in Kap. 4).

Die strukturelle Stabilität betrifft die phraseologische Form bzw. die Phrasem-Struktur. Es wird dadurch gesagt, dass die jeweilige Kombination von Wörtern genau in dieser (und möglicherweise noch in einer varianten) Form bei den Sprechern einer Sprache bekannt ist. Das Merkmal der strukturellen Stabilität ist aber nicht absolut zu verstehen. Man kann nämlich relativ wenige Phraseme finden, deren Struktur völlig unveränderbar wäre; vielmehr sind sie bis zu einem gewissen Grad variabel. Eine absolute Festigkeit beobachtet man bei Phrasemen mit unikalen Komponenten, also bei Phrasemen mit veralteten bzw. seltenen Lexemen, die phrasemextern als freie Wörter in der Regel nicht vorkommen, vgl. gang, gäbe, klipp, Nu, rümpfen, Laufpass, Schnippchen in folgenden Beispielen: gang und gäbe, klipp und klar, im Nu, die Nase rümpfen, jm. den Laufpass geben, jm. ein Schnippchen schlagen.

Einen hohen Festigkeitsgrad beobachtet man ebenso bei Phrasemen, deren Formen morphologische und/oder syntaktische Irregularitäten nachweisen; sie weichen also von der üblichen grammatischen Regelung aus, was ihre Festigkeit verstärkt. Das gilt für erstarrte bzw. archaische grammatische Konstruktionen wie z.B. Gebrauch des unflektierten attributiven Adjektivs, des Genitivobjekts, des adverbialen und vorangestellten Genitivs, der anomale Gebrauch des Artikels, vgl. etw. frei Haus liefern, sich bei jm. liebkind machen, Gut Ding will Weile haben (unflektiertes Adjektiv) guter Hoffnung sein, schweren Herzens, letzten Endes, jn. eines Besseren belehren, in (des) Teufels Küche kommen (vorangestellter Genitiv) vor Ort, auf Draht sein (anomaler Artikel). 12

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

In vielen Fällen sind bestimmte morphologische und syntaktische Umgestaltungen (Transformationen) der Phrasem-Strukturen beschränkt. So kann z.B. die Pluralbildung, Relativsatzbildung,

Passivierung,

Konversion

oder

Pronominalisierung

einzelner

Komponenten nicht möglich sein, vgl. *kalte Kaffees (Plural zu kalter Kaffee) *der Korb, den er mir gegeben hat (Relativsatz zu jm. den Korb geben) *Die Flinte wurde ins Korn geworfen; *der Wurf der Flinte ins Korn; *Sie wurde ins Korn geworfen (Passiv, Konversion und Pronominalisierung einer Phrasem-Komponente zu die Flinte ins Korn werfen) (zit. nach Donalies 2009).

Wie bereits angedeutet, soll man die strukturelle Festigkeit bei der Mehrzahl der Phraseme nicht absolut verstehen. Beobachtet man nämlich ihr textuelles Vorkommen, so sieht man, dass relativ wenige völlig stabil sind (so vor allem solche mit unikalen Komponenten bzw. erstarrt-archaischen grammatischen Strukturen, wie wir oben gesehen haben). Vielmehr gilt, dass die Mehrheit der Phraseme zu einem bestimmten Grad veränderlich ist. So muss man die Stabilität als eine graduell ausgeprägte Eigenschaft betrachten und für die meisten Phraseme Folgendes feststellen: -

sie sind erweiterungsfähig, vgl. einen großen Bock schießen (zu einen Bock schießen), den roten Faden verlieren (zu den Faden verlieren), klar auf der Hand liegen (zu auf der Hand liegen)

-

Phrasem-Komponenten sind gegebenenfalls grammatisch variabel (Numerus, bestimmter/unbestimmter Artikel, variable Negation), vgl. etw. in jmds. Hand/Hände legen, das/sein Herz auf der Zunge tragen, jm. keinen/nicht den Bissen Brot gönnen

-

Phrasem-Komponenten sind (semantisch zwar eingeschränkt) austauschbar, vgl. die Ruhe/Stille vor dem Sturm, jm. eine/ein paar herunterhauen; ein Gesicht wie drei/sieben/zehn/vierzehn Tage Regenwetter machen

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

-

Phrasem-Strukturen sind weitgehend syntaktisch abwandelbar; das gilt verstärkt für satzwertige Phraseme wie etwa Sprichwörter, die sich der jeweiligen textuellen Umgebung leicht anpassen, vgl. Nach 22 Jahren Vorstandsarbeit, davon 16 Jahre im Amt des Vorsitzenden, hat Wolfgang Müller nicht mehr für den Posten des Vorsitzenden der Bibliser Feuerwehr kandidiert. "Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass man nicht gleichzeitig auf zwei Hochzeiten tanzen kann" (SprichWort, 2010).

Die Phraseologieforschung spricht hierbei von Varianten (Variante) und Modifikationen (Modifikation) (Burger 2010, 24ff.). Varianten sind usuelle, d.h. wiederholte, häufig vorkommende Phrasem-Abwandlungen, vgl. klar auf der Hand liegen vs. auf der Hand liegen die Maske fallen lassen vs. die Maske von sich werfen.

Modifikationen sind dagegen gelegentliche, einmalige, nur auf einen konkreten Text gebundene Umgestaltungen der phraseologischen Ausgangsformen, vgl. WC-Ente verdient Ihr Vertrauen. Ente gut, alles gut (Werbungsslogan; zum Sprichwort Ende gut, alles gut).

Varianten und Modifikationen sind insbesondere als gezielt gesetzte stilistische Mittel in meinungsbeeinflussenden Textsorten wie Werbung, journalistischer Kommentar, Glosse, Schlagzeile gut geeignet; sie werden als Ausdruck des kreativ-spielerischen Umgangs mit der Sprache interpretiert.

Die pragmatische Stabilität bezieht sich auf typische kommunikative Situationen, in denen Phraseme verwendet werden und zugleich auf typische pragmatische Funktionen, die dadurch realisiert werden. Laut Burger (2010, 28ff.) unterscheiden wir hierbei zwei Phrasem-Klassen:

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Phraseme, die in ganz bestimmten Situationstypen auftreten: dazu zählen vor allem kommunikative/pragmatische

Phraseme

(Routineformeln)

wie

Grußformeln,

Abschiedsformeln, Glüchwunschformeln, Beileidsformeln u.Ä., vgl. Guten Tag, Auf Wiedersehen, Herzlichen Glückwunsch.

Die pragmatische Stabilität ist somit vor allem situations- und funktionsbezogene Eigenschaft bestimmter Phraseme; so kann man voraussehen, dass Guten Tag und Auf Wiedersehen immer dann verwendet werden, wenn ein Beginn bzw. ein Abschluss der Kommunikation mit anderen markiert werden soll. Zur zweiten Klasse werden Phraseme gezählt, deren Funktion darin besteht, dass sie die Kommunikation steuern; vorrangig verwendet man sie in gesprochener Sprache, vgl. Nicht wahr?, ich meine/denke…, siehst/verstehst du?; nach meiner Meinung, ich meine.

Man spricht hierbei generell darüber, dass bestimmte Typen von Phrasemen gesprächssteuernde Funktionen haben.

1.1.3 Idiomatizität Das Merkmal der Idiomatizität (Idiomatizität) gilt traditionell als Hauptkriterium zur Unterscheidung zwischen phraseologischen und freien Wortverbindungen. Während sich die Ersteren durch eine phraseologische, idiomatische (auch figurative, metaphorische, übertragene) Bedeutung ausweisen würden, hätten die Letzteren eine wörtliche (auch literale, direkte, konkrete, freie) Bedeutung, vgl. ein schiefes Gesicht machen 'missvergnügt schauen' (phraseologische Wortverbindung) ein schönes Gesicht haben (freie Wortverbindung).

Die Eigenschaft der Idiomatizität (griech. idioma ‚Eigentümlichkeit, Irregularität‘) meint also die Tatsache, dass bei der Mehrzahl der Phraseme ihre phraseologische Bedeutung aus der Summe der Bedeutungen einzelner Bestandteile (Komponenten) nicht erschließbar ist. Es 15

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

handelt sich also um die Umdeutung, semantische Transformation aller oder einzelner Komponenten der jeweiligen Phrasem-Struktur, vgl. nur Bahnhof verstehen 'nicht richtig, überhaupt nichts verstehen' (eine umgedeutete Komponente) keine Rose ohne Dornen 'auch bei der schönsten Sache gibt es Nachteile' (alle Komponenten sind umgedeutet).

Erst die feste Verbindung der Komponenten ergibt eine neue, ganzheitliche phraseologische Bedeutung. Man sieht, dass ein irreguläres Verhältnis zwischen der Bedeutung einzelner Komponenten und der ganzheitlichen Phrasem-Bedeutung besteht. Die reguläre, phrasemexterne Bedeutung des Wortes Bahnhof und die ganzheitliche Bedeutung des Phrasems nur Bahnhof verstehen stehen in einer unvereinbaren Beziehung zueinander. Bei vielen Phrasemen ist jedoch die semantische Verknüpfung einzelner Komponenten sowohl regulär als auch irregulär; vgl. folgende Beispiele, bei denen sowohl eine wörtliche als auch eine phraseologische Lesart möglich ist: jm. den Zahn ziehen: 'durch Ziehen entfernen' vs. 'jdn. eine Illusion nehmen, jn. ernüchtern' goldener Käfig: 'Käfig aus Gold' vs. 'Unfreiheit, Gebundenheit trotz großen Wohlstands, Komforts' auf dem Sand sitzen: 'auf der feinkörnigen, lockeren Substanz sitzen' weiterkönnen'

vs. 'nicht mehr

etw. an die Wand malen: 'etw. (Bild, Skizze) an die Wand malen' vs. 'etw. als Bedrohung voraussagen od. behaupten'.

Die Phraseologie- und Semantikforschung sprechen hierbei über die semantische Ambiguität (Ambiguität). Sehr oft wird diese Eigenschaft bei gelegentlichen (okkasionellen) kreativspielerischen textuellen Gebrauchsweisen der Phraseologie ausgenutzt, vgl. Beim Zahnarzt: Nun mach’ den Mund schön weit auf und beiße die Zähne zusammen! Der Ober zum Bier trinkenden Gast: Warum schließen Sie denn beim Trinken immer die Augen? Der Arzt hat gesagt, ich soll nicht zu tief ins Glas gucken. 16

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Betrachtet man den phraseologischen Bestand einer Sprache vor dem Hintergrund der semantischen Umdeutung, so stellt man fest, dass diese entweder alle oder nur einige bzw. keine Phrasem-Komponenten betrifft. So wird zwischen vollidiomatischen, teilidiomatischen und nichtidiomatischen Phrasemen unterschieden.

Vollidiomatische Phraseme sind Phraseme, bei denen alle Komponenten umgedeutet sind und die keine wörtliche Lesart zulassen. Die phraseologische Bedeutung lässt keinen direkten Zugang zu den phrasemexternen Bedeutungen einzelner Komponenten und eine eventuelle wörtliche Interpretation führt zu absurden Bedeutungsinterpretationen, vgl. mit allen Wassern gewaschen sein 'sehr gerissen sein, alle Tricks kennen' jm. zu Kopf steigen 1. 'benommen, leicht betrunken sein', 2. 'jn. eingebildet, überheblich machen' aus der Haut fahren 'wütend, werden'.

Derartige Phraseme werden als unmotiviert, intrasparent, opak bezeichnet; die wörtliche Bedeutung einzelner Komponenten erlaubt keinerlei Rückschlüsse auf die jeweilige phraseologische Bedeutung.

Teilidiomatische Phraseme sind Phraseme, bei denen einige Komponenten umgedeutet sind und andere noch wörtliche Lesart zulassen, vgl. eine Fahrt ins Blaue 'Ausflugsfahrt ohne ein festgelegtes Ziel' faul wie die Sünde 'sehr faul' etw. auf die lange Bank schieben 'etw. aufschieben, hinauszögern'.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Derartige Phraseme werden als teilmotiviert bezeichnet; die behaltene wörtliche Bedeutung einzelner Komponenten erlaubt Rückschlüsse auf die jeweilige phraseologische Bedeutung. Nichtidiomatische Phraseme sind Phraseme, bei denen wir keine Umdeutung einzelner Komponenten feststellen können, vgl. gesammelte Werke 'Gesamtheit dessen, was jemand in schöpferischer Arbeit hervorgebracht hat' öffentliche Meinung 'im Bewusstsein der Allgemeinheit vorherrschende Auffassungen hinsichtlich bestimmter (politischer) Sachverhalte' gesunder Menschenverstand 'der normale, klare Verstand eines Menschen'.

Solche feste und mehrgliedrige Wortverbindungen, die wohl auch mit fehlender Idiomatizität als Wortschatzeinheiten aufgefasst werden können, werden erst in der neueren Forschung zur Phraseologie im weiteren Sinn gezählt und oft unter der Bezeichnung Kollokation behandelt (Kollokation). Dadurch wird zugleich klar, dass das Merkmal der Idiomatizität nicht mehr als unentbehrliches Merkmal der Phraseologie verstanden wird. So legen wir mit Donalies (2009, 22) fest, dass Phraseme idiomatisch sein können, jedoch nicht unbedingt idiomatisch sein müssen. Die Annahme von Idiomatizität als grundlegender Eigenschaft der Phraseologie ist in mehrerer Hinsicht fraglich. Nennen wir nur die wichtigsten Problemstellungen: -

durch die Linguistik (und Philosophie) werden recht verschiedene Auffassungen vertreten, was eine wörtliche bzw. nichtwörtliche (idiomatische, übertragene, metaphorische) Bedeutung sei

-

die Idiomatizität ist nicht nur auf die phraseologische Redeweise beschränkt, denn vielmehr gelten Metaphern als allgemeinsprachliche Phänomene (Donalies 2009, 22ff.)

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

-

man

kennt

bisher

keine

zuverlässigen

Methoden

zur

Bestimmung

der

Unmotiviertheit bzw. Undurchsichtigkeit. Auch wenn wir bei der traditionellen Idiomatizitätsvorstellung bleiben, müssen wir festhalten, dass das Merkmal der Idiomatizität eine graduell ausgeprägte Eigenschaft der Phraseme darstellt. Der jeweilige Idiomatizitätsgrad hängt damit zusammen, inwiefern einzelne Phrasem-Komponenten noch eine wörtliche Lesart zulassen bzw. inwieweit einzelne Phrasem-Komponenten umgedeutet sind.

1.1.4 Lexikalisiertheit und Reproduzierbarkeit Werden Phraseme als ganzheitliche Lexikon-Einheiten aufgefasst, so gilt es, dass sie statusmäßig mit Einwortlexemen vergleichbar sind, sie sind also Lexeme. Das bedeutet weiterhin, dass man sie im Sprachgebrauch nicht immer wieder neu produziert, sondern dass man sie als vorher bestimmte feste Wortverbindungen reproduziert, wiederholt. Das Merkmal der Lexikalisiertheit (Lekalisiertheit) meint also die Tatsache, dass Phraseme als relativ feste syntaktisch-semantische Einheiten im Lexikon einer Sprache ganzheitlich gespeichert sind und dass die Mehrheit der Sprecher dieser Sprache sie als solche erkennt (Palm 1994, 36). Das Merkmal der Reproduzierbarkeit (Reproduzierbarkeit) ergibt sich folgerichtig aus mehreren bisher besprochenen Phrasem-Eigenschaften: reproduziert werden feste Wortverbindungen mit Lexem-Status. Das bedeutet weiterhin, dass Phraseme in vergleichbarer Weise wie Einzellexeme in frühen Spracherwerbsphasen erworben und im Sprachgebrauch verwendet werden. (Zum Phrasem-Erwerb lesen sie ausführlicher in Kap. 4). Die hier besprochene Eigenschaft der Lexikalisiertheit soll allerdings nicht mit der lexikographischen Kodifiziertheit eines Phrasems gleichgesetzt werden. Die lexikographische Kodifiziertheit meint nämlich die Erfassung in einem lexikographischen Nachschlagewerk, etwa in einem Wörterbuch. Es stimmt zwar, dass Phraseme in den allgemeinen und speziellen Wörterbüchern vielfach dokumentiert, d.h. lexikographisch kodifiziert sind, allerdings besagt die Lexikalisiertheit eine gesellschaftlich akzeptierte Festigung im 19

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Wortschatz einer Sprache, die nicht automatisch auch die Erfassung im Wörterbuch mit einbezieht.

1.2 Phrasem und Phraseologie

Nachdem wir die wichtigsten phraseologischen Eigenschaften (Polylexikalität, Stabilität, Idiomatizität, Lexikalisiertheit und Reproduzierbarkeit) kurz erläutert und illustriert haben, können wir Phraseme wie folgt definieren: Phraseme sind relativ stabile (feste) Wortverbindungen. Ihr Umfang bewegt sich zwischen der phraseologischen Minimalstruktur (Verbindung von zwei Wörtern) und einer phraseologischen

Maximalstruktur

(satzwertige

Wortverbindungen).

Sie

sind

vorgegebene, vorgeprägte Wortschatzeinheiten mit Lexemstatus und konventionalisierter ganzheitlicher Bedeutung. Diese kann in der Regel nicht mit der Summe von Bedeutungen einzelner Bestandteile gleichgesetzt werden. In textueller Umgebung treten sie als syntaktisch-semantische Einheiten auf. Somit zählen folgende Beispiele zum phraseologischen Bestand der deutschen Sprache: Hand in Hand arbeiten, alle/beide Hände voll zu tun haben, von der Hand in den Mund leben, Wasser auf jmds. Mühle sein ein stilles Wasser, blinder Passagier, kalte Dusche, Liebe auf den ersten Blick gang und gäbe, fix und fertig, hie und da, Tag und Nacht eine Hand wäscht die andere, stille Wasser sind tief Reden ist Silber, Schweigen ist Gold Guten Tag, küss die Hand, da haben wir den Salat.

Man sieht, dass sie sich sowohl formal-strukturell als auch semantisch-pragmatisch voneinander unterscheiden. In der Tat fasst man unter Phraseologie recht verschiedene Phänomene zusammen. Gegenwärtig beobachtet man sogar eine weitere Ausbreitung des 20

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

phraseologischen Gegenstandsbereichs, da aus der Sicht des konstruktivistischen Sprachverständnisses die Formelhaftigkeit in der Rede eine immer größere Rolle spielt. Um die stark heterogenen phraseologischen Bestände einzelner Sprachen systematisch und realitätsgerecht zu erfassen, wird in der Forschung zwischen einer engen und einer weiten Auffassung von Phraseologie unterschieden (u.a. Burger 2010, 14f.).

Phraseologie im engeren Sinn umfasst satzgliedwerige Phraseme, die die Eigenschaft der Polylexikalität, Stabilität und Idiomatizität aufweisen; mitunter werden sie mit dem Fachausdruck Idiom benannt. Von den oben aufgezählten Beispielen gehören zu dieser Gruppe folgende: Hand in Hand arbeiten, alle/beide Hände voll zu tun haben, von der Hand in den Mund leben, Wasser auf jmds. Mühle sein; ein stilles Wasser, blinder Passagier, kalte Dusche, Liebe auf den ersten Blick; gang und gäbe, fix und fertig, hie und da, Tag und Nacht.

Phraseologie im weiteren Sinn umfasst darüber hinaus auch pragmatische Phraseme (Routineformeln), Kollokationen, satzwertige vorgeprägte Konstruktionen (Sprichwörter, Antisprichwörter, geflügelte Worte, Slogans, sog. Mikrotexte u.ä.), vgl. pass mal auf, wie schon gesagt wurde; guten Tag, küss die Hand; da haben wir den Salat, verflixt noch mal!; eine Hand wäscht die andere, stille Wasser sind tief, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold; zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Artzt oder Apotheker u.a.

Die formale und somit auch semantisch-pragmatische Vielfältigkeit führt zur Unterscheidung von nicht wenigen phraseologischen Teilklassen. Auf diese wird in Kap. 2 und 3 eingegangen. 1.3

Terminologie

Im vorherigen Kap. wurde festgestellt, dass die Phraseologie einen äußerst heterogenen lexikalischen Bereich darstellt. Dementsprechend heterogen ist auch die Terminologie, die 21

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

auf verschiedenartige Forschungsansätze und Betrachtungsperspektiven zurückgeht. Die meisten

Termini,

die

in

der

germanistischen

phraseologischen

Forschung

mit

unterschiedlicher Gewichtung in Gebrauch sind, haben einen griechisch-lateinischen Ursprung: -

-

griech.-lat. phrasis 'rednerischer Ausdruck': Phrasem, Phraseologismus, Phraseolexem, Phrase, Phraseotextem, phraseologische Einheit griech. idioma 'Eigentümlichkeit, eigentümlicher Ausdruck': Idiom, idiomatische Wendung/Redewendung, idiomatische Phrase, idiomatische Lexemkette u.a.

Darüber hinaus sind in der deutssprachigen phraseologietheoretischen Literatur noch viele weitere Ausdrücke zu finden, mit denen man versucht, charakteristische phraseologische Eigenschaften hervorzuheben: -

Polylexikalität: Phrasem, Phraseologismus, Satzlexem

-

Stabilität: feste Wortgruppe/Verbindung, festes Syntagma, fixiertes Wortgefüge, festgeprägter Satz

-

Idiomatizität: Idiom, idiomatische Wendung/Redewendung, idiomatische Phrase, idiomatische Lexemkette

-

ganzheitliche Semantik: Phraseolexem, Wortgruppenlexem, phraseologische Einheit.

Inzwischen hat sich in der germanistischen Forschung der Terminus Phrasem durchgesetzt (analog zu Phonem, Morphem, Lexem), der als generischer Oberbegriff für den stark heterogenen Bestand phraseologischer Einheiten steht, die zum Forschungsgegenstand Phraseologie

angehören.

Der

Ausdruck

Phraseologie

(Phraseologie)

hat

zwei

Bedeutungen: er bezeichnet die Forschungsdisziplin (in Übereinstimmung mit Morphologie, Lexikologie u.a.) und benennt zugleich den Gegenstand dieser Disziplin.

22

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Aus der frühen phraseologischen und volkskundlichen Forschung sind die Termini Redewendung, Redensart, sprichwörtliche Redensart bekannt. Obgleich sie nach wie vor in Gebrauch sind (Duden 2013), werden sie hier nicht verwendet. In Konkurrenz zu Phrasem bzw. Phraseologie stehen die Ausdrücke Idiom und Idiomatik. Das Wort Idiom (Idiom) ist zwar mehrdeutig; ursprünglich wurde es im Sinne von 'Dialekt, Mundart, Idiolekt' verwendet. Neuerdings kommt es auch in der Phraseologieforschung vor, jedoch ist er in der germanistischen deutschsprachigen Forschung viel seltener zu finden als im angelsächsischen Raum, wo er überwiegt (idiom). Nicht zuletzt ist im Rahmen der Terminologiedarlegung zu betonen, dass die vielen terminologischen Ausdrücke mit phras- nicht mit der pejorativen Bedeutung des Lexems Phrase als 'nichtssagende, inhaltsleere Redensart' zu vergleichen oder sogar gleichzusetzen sind.

Weiterführende Literatur Zu den hier besprochenen Grundfragen der phraseologischen Sprach- und Forschungsbereichs können sie in mehreren grundlegenden Referenzwerken nachlesen, vgl. u.a. Burger/Buhofer/Sialm (1982), Palm (1997), Fleischer (1997), Donalies (2009) Burger (2010). – Eine ausführliche und vertiefte Übersicht über das gesamte phraseologische Forschungsfeld ist Burger et al. (2007).

23

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

2 Strukturen, Typen, Klassen

INHALT UND ZIELE Dieser Kapitel setzt sich mit Prinzipien und Kriterien der Phrasem-Klassifikation auseinander. Dargelegt und mit zahlreichen Beispielen illustriert werden die wichtigsten Klassen und Sonderstrukturen, die man am Bestand der deutschen Phraseme beobachten kann. Wenn sie das Kapitel gründlich durcharbeiten, so werden sie die wichtigsten Klassen der deutschen Phraseme kennen. Dadurch werden sie auch bisher unbekannte Phraseme in den deutschsprachigen Texten besser identifizieren und interpretieren können.

In Kap. 1 wurde betont, dass Phraseme ein sehr vielfältiges, heterogenes Bild zeigen und so ist es auch nicht einfach, sie systematisch zu erfassen. Mehrere verschiedene Kriterien und Prinzipien sind aus der bisherigen Phraseologieforschung bekannt, auf deren Basis phraseologische Klassen und Teilklassen festgelegt worden sind. Für die Zwecke dieses Kompendiums wird nachfolgend der Klassifikationsvorschlag von Burger (2010, 33ff.) in seinen

wesentlichen

Zügen

übernommen

und

durch

morphologisch-syntaktische

Klassifikationskriterien ergänzt. Die Letzteren werden in Burger (2010) lediglich am Rande angesprochen und mit Recht auch problematisiert. Es zeigt sich nämlich, dass der vielfältige Bestand der deutschen Phraseologie sich nur mit der Festlegung ihrer morphologisch bedingten syntaktischen Eigenschaften nicht befriedigend erschließen lässt. Für das hier verfolgte Ziel, eine Basisübersicht über die formale Strukturiertheit der deutschen Phraseologie zu geben, werden sie jedoch als brauchbar angesehen. Bei den bisherigen Klassifikationsversuchen werden syntaktische, semantische und pragmatische

Klassifikationskriterien

miteinander

kombiniert,

allerdings

mit

unterschiedlicher Gewichtung, sodass dementsprechend auch einzelne Klassen und Subklassen sich voneinander zum Teil unterscheiden. Man sieht, dass die phraseologische Ebene der Sprache im Vergleich mit der Wortbildung und Morphologie ein weniger ausgeprägtes System von Strukturtypen und Bildungselementen aufweist. Das führt 24

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

stellenweise

zu

mehrfachen

bzw.

unterschiedlichen

Klassen-Zuordnungen

und

Übergangsbereichen, da eine klare Abgrenzung einzelner Phrasemtypen zum Teil nicht möglich ist.

2.1 Basisklassifikation nach Burger (2010)

Betrachtet man Phraseme als sprachliche Zeichen, d.h. als formale, inhaltliche und funktionale Wortschatzeinheiten (Zeichen-Kriterium), so ergibt sich daraus eine erste klassifikatorische Unterscheidung:

Referentielle Phraseme beziehen sich auf Objekte, Vorgänge, Sachverhalte, Begriffe der wirklichen und/oder der fiktiven Welt, vgl. grüne Minna, mit offenen Karten spielen, Mogenstund(e) hat Gold im Mund(e).

Strukturelle Phraseme stellen grammatische Relationen her, vgl. in Bezug auf, sowohl als auch, entweder oder.

Kommunikative Phraseme (pragmatische Phraseme, Routineformeln) helfen bei der Herstellung, dem Vollzug, der Beendigung kommunikativer Handlungen. Ihre Funktion ist zugleich ihre Bedeutung, sie gliedern den Text, steuern die Kommunikation u.Ä., vgl. guten Morgen, ich denke, meiner Meinung nach, nicht wahr? hör mal, ich würde sagen, verflixt und zugenäht. 25

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Referentielle Phraseme unterscheiden sich weiterhin in der allgemeinen Semantik (semantisches Kriterium). Sie sind entweder nominative Phraseme und bezeichnen Objekte bzw. Vorgänge (grüne Minna, mit offenen Karten spielen) oder propositionale Phraseme, die als satzwertige Aussagen über Objekte bzw. Vorgänge vorkommen (Mogenstund(e) hat Gold im Mund(e)). Beobachtet man die Klasse der nominativen Phraseme zusätzlich unter den syntaktischen Kriterien, so werden sie weiterhin zweigeteilt: sie sind entweder satzgliedwertig oder satzwertig/textwertig. Die Ersteren übernehmen im Satz die Funktion eines Satzgliedes oder Teilsatzgliedes, die Letzteren sind Sätze bzw. Texte. Unter Einbeziehung der semantischen Kriterien, die auf das Merkmal der Idiomatizität ausgerichtet sind, unterscheidet man zwischen voll-, teil- und nichtidiomatischen nominativen und propositionalen Phrasemen (vgl. hierzu Erläuterungen zum Merkmal der Idiomatizität in Kap. 1). Bei den nicht- bzw. schwachidiomatischen satzgliedwertigen Phrasemen handelt es sich in vielen Fällen um Kollokationen, phraseologische Fachtermini und onymische Wortverbindungen.

2.2

Nominative Phraseme: morphologisch-syntaktische Klassifikation

Die morphologisch-syntaktische Klassifikation ist eine weit verbreitete (obgleich auch kritisierte, vgl. Burger 2010) Art der Klassifikation, wonach Phraseme in Bezug auf ihre potentiellen syntaktischen Funktionen unterschieden und gruppiert werden. Entscheidend für die Gruppenzuordnung sind die jeweilige Kern-Komponente des Phrasems und entsprechende syntaktische Funktionen sowie morphologische Paradigmen (Deklination, Konjugation).

26

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

In Bezug auf die Wortart der Komponenten, potentielle syntaktische Funktionen und morphologisches Paradigma unterscheidet man zwischen substantivischen, verbalen, adjektivischen und adverbialen Phrasemen. Nachfolgend werden einzelne Klassen kurz dargelegt und mit Beispielen veranschaulicht.

2.2.1 Substantivische Phraseme Die substantivischen Phraseme kommen im Satz als Subjekt, Objekt oder substantivisches Attribut vor; man nennt sie auch Nominal- bzw. Substantivphraseme. Der semantischsyntaktische Kern ist immer ein Substantiv, welches mit verschiedenen Attributen die phraseologische Wortverbindung bildet. Folgende syntaktische Strukturen deutscher substantivischer Phraseme kann man beobachten: -

vorangestelltes adjektivisches Attribut + Substantiv (ein sehr produktives Modell), vgl. grüne Minna 'Transportwagen der Polizei'; blauer Brief 1. 'Kündigungsschreiben', 2. 'Mahnbrief'; verbotene Früchte 'verlockende, aber verbotene Genüsse'; ein frommer Wunsch 'eine ehrenwerte, aber falsche Vorstellung, eine Illusion'; ein offenes Geheimnis 'etw., was zwar allgemein bekannt ist, offiziell aber noch geheim gehalten wird'; die letzte Stunde 'Todesstunde'; der kleine Mann 1. 'Durchschnittsmensch', 2. 'Penis'; der große/dicke Onkel 'der große Zeh'; eine Frucht der Liebe 'ein uneheliches Kind'

-

Substantiv + nachgestelltes adjektivisches Attribut (im heutigen Deutsch sehr selten, dazu grammatisch irregulär (unflektiertes Adjektiv), zum Teil veraltet), vgl. Forelle blau, Kaffee verkehrt, Röslein rot

-

Substantiv + Genitivattribut (nachgestellt), vgl. das Auge des Gesetzes 'die Polizei'; das Ei des Kolumbus 'eine überraschend einfache Lösung'; der Stein des Anstoßes 'die Ursache eines Ärgernisses'; die Spitze des Eisberges 'der offen liegende, kleinere Teil einer misslichen, üblen Sache, die in Wirklichkeit weit größere Ausmaße hat'; der Duft der großen, weiten Welt 'das Flair der Weltoffenheit, Freiheit, Unabhängigkeit'

-

Substantiv + Genitivattribut (vorangestellt, sehr selten), vgl. 27

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

des Pudels Kern 'die eigentliche verborgene Ursache'

-

Substantiv + präpositionales Attribut, vgl. Hans in Glück 'ein Glückspilz'; Halbgötter in Weiß 'Ärzte'; ein Fels in der Brandung 'jm., der unerschütterlich, unbeirrt ist'; eine Fahrt ins Blaue 'Ausflugsfahrt, bei der das Ziel nicht vorher festgelegt wurde'; das Tüpfelchen auf dem i 'die letzte, alles abrundende Kleinigkeit'

-

Substantiv + Substantiv, vgl. ein Häufchen Elend/Unglück 'ein sehr unglückliches, in trostlosem Zustand befindliches Wesen'; ein Funken Hoffnung 'ein/sehr wenig Hoffnung'.

Einige substantivische Phraseme kennen alternative gleichbedeutende substantivische Komposita; so existieren parallele Benennungen mit der Struktur einer Wortgruppe bzw. eines komplexen Wortes, vgl. schwache Stelle / Schwachstelle; schwarzer Markt / Schwarzmarkt; frisches Gemüse / Frischgemüse; frische Luft / Frischluft,

jedoch ist das eher selten der Fall. So kann man eine derartige durch die Wortbildung gegebene Möglichkeit bei folgenden Beispielen nicht beobachten, vgl. Sozialversicherung ≠ soziale Versicherung; Leichtathletik ≠ leichte Athletik; Blindpassagier ≠ blinder Passagier.

Substantivische Phraseme zeichnen sich durch unterschiedliche Grade der Idiomatizität aus: sie sind vollidiomatisch (der Stein des Anstoßes, das Auge des Gesetzes), teilidiomatisch (eine Fahrt ins Blaue) oder nichtidiomatisch. Unter den nicht- bzw. schwachidiomatischen substantivischen Phrasemen finden sich viele Fachtermini, vgl. spitzer Winkel, arithmetisches Mittel, semiotisches Dreieck, kritischer Rationalismus; helles/dunkles Bier, grüne Bohnen, rote Rübe etc.

und ebenso onymische Phraseme, also Phraseme, die als Eigennamen fungieren, vgl. Schwarzes Meer, Bayrischer Wald, Pannonisches Becken. 28

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Dazu kommen noch Kollokationen (belegtes Brötchen, gesammelte Werke, blaues Meer).

2.2.2 Verbale Phraseme Die verbalen Phraseme kommen im Satz als Prädikat vor. Sie sind zahlenmäßig stark vertreten und in ihrer formalen Struktur vielfältig. Sie stellen den Kern des phraseologischen Bestandes aus; nach einigen Zählungen sollten etwa 75 % aller satzgliedwertiger deutscher Phraseme verbale Phraseme sein (Földes/Kühnert 1990, 16). Der syntaktische Kern ist immer ein Verb, welches durch Substantiv-/Adjektiv-/Adverbial-/Verbalgruppe erweitert werden kann. Folgende Strukturmodelle verbaler deutscher Phraseme sind bekannt: -

Substantiv/Substantivgruppe + Verb die/seine Karten aufdecken 'seine wahren Absichten, Pläne erkennen lassen'; sein blaues Wunder erleben 'eine große, unangenehme Überraschung erleben'; reinen Tisch machen 'eine Angelegenheit bereinigen, in Ordnung bringen'; tauben Ohren predigen 'mit seinen Ermahnungen nichts erreichen'; eine lange Leitung haben 'schwer begreifen'; den Boden unter den Füßen verlieren 'die Existenzgrundlage, den Halt verlieren'; die Katze im Sack kaufen ‘etw. ungeprüft übernehmen, kaufen'; den Nagel auf den Kopf treffen ‘den Kernpunkt einer Sache in einer Äußerung treffend erfassen'; ein Haar in der Suppe/in etw. finden 'an einer sonst guten Sache etwas entdecken, was einem nicht passt, was zu kritisieren ist'; jm. die Leviten lesen 'jn. wegen eines tadelnswerten Verhaltens gehörig zurechtweisen'; jmdm. einen Bären aufbinden 'jm. etwas Unwahres so erzählen, dass er es glaubt'; jn. unter die Arme greifen 'jn. in einer Notlage helfen'; etw. aus dem Ärmel schütteln 'etw. mit Leichtigkeit schaffen, besorgen'; auf seine Kosten kommen ' in seinen Erwartungen zufriedengestellt werden'; von Pontius zu Pilatus gehen/laufen ‘in einer Angelegenheit viele Wege machen, von einer Stelle zur anderen gehen'; vom Regen in die Traufe kommen 'aus einer unangenehmen Lage in eine noch unangenehmere geraten'

-

Adjektiv/Adjektiv-/Adverbialgruppe + Verb langsam schalten ‘schwer begreifen’; zu kurz kommen 'zu wenig berücksichtigt werden, benachteiligt werden'; fest im Sattel sitzen 'eine sichere, ungefährdete Position inne haben'

-

Verb/Verbalgruppe + Verb 29

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

baden gehen 'keinen Erfolg mit etw. haben, mit etw. scheitern'; kein Wässerchen trüben können 'harmlos sein'; die Engel im Himmel singen hören 'von Schmerzen fast umkommen, starke Schmerzen empfinden'; etw. nicht wahrhaben wollen 'etw. nicht zugestehen, bemerken wollen'

2.2.3 Adjektivische Phraseme Die adjektivischen Phraseme sind Phraseme, deren syntaktischer Kern immer ein Adjektiv ist. Im Deutschen sind sie relativ schwach vertreten; es überwiegen Strukturen mit dem Part. II bzw. komparative Phraseme und Paarformeln (die Letzteren werden unter Phraseologischen Sonderstrukturen (Abschnitt 2.3) gesondert besprochen), vgl. frisch/neu gebacken 'in einer Situation neu'; kurz angebunden 'unfreundlich und abweisend'; schwer/langsam von Begriff 'schwer/langsam auffassen'; dünn/dick gesät 'selten/häufig vorkommend'; gut/schlecht/knapp bei Kasse 'reichlich/wenig Geld haben'; hungrig wie ein Wolf 'sehr großen Hunger haben'; klar wie Kloßbrühe/dicke Tinte/dicke Suppe 'sich von selbst verstehen, völlig klar sein'; schlicht und einfach 'ganz einfach, ohne Umstände (gesagt)'; ganz und gar 'völlig'.

Beobachtet man ihr Satzvorkommen, so stellt man schnell fest, dass sie in der Verwendung eingeschränkt sind. Sehr selten kommen sie in der syntaktischen Funktion eines Attributes vor, vgl. gut gepolstert 'wohlbeleibt, mit viel Geld': ich kenne eine gut gepolsterte Dame; viel öfter werden sie nämlich nur prädikativ bzw. adverbial verwendet, vgl. diese Dame ist gut gepolstert.

Diese syntaktische Gebrauchsrestriktion erschwert die klassifikatorische Unterscheidung zwischen adjektivischen und adverbialen Phrasemen (was aber auch aus der Morphologie des Adjektivs bzw. Adverbs bekannt ist).

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

2.2.4 Adverbiale Phraseme Die adverbialen Phraseme sind Phraseme mit der syntaktischen Funktion eines Adverbs; im Satz treten sie somit als adverbiale Bestimmungen auf. Ihre formalen Strukturen sind vielfältig, es überwiegen präpositionale Konstruktionen, vgl. -

Präposition + Substantiv auf Anhieb 'sofort, gleich zu Beginn'; auf Zeit 'befristet'; ohne/von Belang 'von großer/kleiner Bedeutung; zu Hause 'daheim'; im Handumdrehen 'überraschend schnell, schon im nächsten Augenblick'; in der Tat 'tatsächlich'; um ein Haar 'fast, beinahe';

-

Präposition + attributiv erweitertes Substantiv mit der linken Hand 'ohne Anstrengung, völlig mühelos'; unter freiem Himmel 'im Freien’; auf jeden Fall 'unbedingt, ob so oder so'; unter vier Augen '(in Bezug auf ein Gespräch) zu zweit, im Vertrauen, ohne Zeugen';

-

Präposition + Substantiv + Präposition von Hause aus 1. 'von der Familie her', 2. 'von Natur aus'; von klein auf 'von Kindheit an'; von Kopf bis Fuß 1. von oben bis unten', 2. 'völlig'

-

Präposition + Adverb/Adjektiv für gewöhnlich 'üblicherweise'; in bar 'in Form von Geldscheinen oder Münzen' ; im Voraus 'schon vorher'.

2.3 Besondere Strukturtypen nominativer Phraseme

Im Folgen werden zwei Strukturtypen nominativer Phraseme dargelegt, die sich durch syntaktisch-strukturelle und semantisch-pragmatische Besonderheiten auszeichnen; es sind phraseologische Paarformeln, komparative Phraseme und phraseologische Teilsätze.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

2.3.1 Paarformeln

Syntaktisch-strukturelle Eigenschaften Paarformeln

(auch

Zwillingsformeln,

phraseologische

Wortpaare)

haben

eine

charakteristische, leicht erkennbare musterhafte formale Struktur. Sie bestehen aus zwei (seltener aus drei oder vier) Komponenten, die entweder identische Lexeme oder Lexeme der gleichen Wortart sind. Miteinander verbunden werden diese in der Regel durch Konjunktionen (und, aber, oder) bzw. Präpositionen (weder – noch, von – zu, von – auf) oder durch deren Kombination (in der geschriebenen Sprache vereinzelt auch durch die orthographischen Zeichen – Kommata bzw. Bindestrich), vgl. frank und frei 'geradeheraus, offen'; Lug und Trug 'Betrug, Täuschung'; klein, aber fein 'klein, aber sehr gut'; früher oder später 'zwangsläufig irgendwann einmal'; weder Fisch noch Fleisch 'nicht zu bestimmen, nicht einzuordnen sein; nichts Eindeutiges sein'; von Zeit zu Zeit 'manchmal'; von heute auf morgen 'sehr schnell, innerhalb kurzer Zeit', 2. 'ganz überraschend, ohne dass man darauf vorbereitet ist'; auf Schritt und Tritt 1. 'überall', 2. 'ständig'; wennschon, dennschon/wennschon – dennschon 'wenn etwas schon getan wird, dann soll es auch richtig, gründlich getan werden'.

Darüber hinaus kennt das Deutsche auch einige Drillingsformeln bzw. Vierlingsformeln, d.h. phraseologische Strukturen mit drei bzw. vier wortartidentischen Komponenten, vgl. heimlich, still und leise 'völlig unbemerkt'; frisch, fromm, fröhlich, frei 'sorglos, unbekümmert'.

Phraseologische Wortpaare, die im Deutschen vielfach belegt sind, findet man im substantivischen, verbalen, adjektivischen und adverbialen Bereich, vgl. -

substantivische Wortpaare das Hab und Gut 'alles, was man besitzt'; js. Tun und Lassen/Treiben/Trachten 'alles, was jmd. tut'; das Für und Wider 'das, was dafür und das, was dagegen spricht'; Groß und Klein 'jedermann, alle'

-

verbale Wortpaare

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

hegen und pflegen 1. 'mit liebevoller Fürsorge umgeben', 2. 'sich in besonderer Weise bemühen, etw. aufrechtzuerhalten'; es/etw. drehen und wenden 'etw. von jedem nur denkbaren Blickpunkt aus betrachten'; bitten und betteln 'inständig bitten' -

adjektivische bzw. adverbiale Wortpaare null und nichtig '(rechtlich) ungültig'; kurz und bündig 'ohne Umschweife, mit wenigen treffenden Worten'; weit und breit 'in der ganzen Umgebung'; hin und wieder 'manchmal'; schwarz auf weiß 'gedruckt, schriftlich'; mit Ach und Krach 'mit Mühe und Not, gerade noch, unter großen Schwierigkeiten'; mit Sack und Pack 'mit allem, was man besitzt'; bei Nacht und Nebel 'heimlich (bei Nacht)'; seit eh und je 'solange man denken kann, sich erinnern kann'; weder Fisch noch Fleisch 'nicht zu bestimmen, nicht einzuordnen sein; nichts Eindeutiges sein'; von Zeit zu Zeit 'manchmal'; früher oder später 'zwangsläufig irgendwann einmal'; mehr oder minder/weniger 'fast ohne Ausnahme'; von heute auf morgen 1. 'sehr schnell, innerhalb kurzer Zeit', 2. ganz überraschend, ohne dass man darauf vorbereitet ist'.

Ebenso möglich ist, dass Wortpaare als Bestandteile anderer, etwa verbaler Phraseme vorkommen. In solchen Fällen ist eine klare morphologisch-syntaktische Festlegung wegen der nur fakultativen verbalen Komponente erschwert, weswegen mit zweifachen Zuordnungen zu rechnen ist, vgl. von Mund zu Mund gehen 'durch Weitererzählen verbreitet werden'; jm. etw. hoch und heilig versprechen/beteuern (o. Ä.) 'jm. etw. mit allem Nachdruck versprechen/beteuern (o. Ä.)'; etw. unter Dach und Fach bringen 'etw. glücklich zum Abschluss bringen'; in Saus und Braus leben 'ein üppiges, verschwenderisches Leben führen'.

Der Gebrauch von adjektivischen Wortpaaren ist syntaktisch beschränkt; sie werden meist nur adverbial bzw. prädikativ verwendet, vgl. Er ist fix und fertig vs. *Ich kenne diesen fix und fertigen Studenten nicht.

Die Einschränkung gilt noch insbesondere für substantivische Wortpaare, die in der Regel nur als Präpositionalgruppen attributiv zum Verb verwendet werden, vgl. Er hat auf Leben und Tod gekämpft 'bis zum Äußersten, bis zur Vernichtung';

so auch zwischen Tür und Angel 'eilig, nur flüchtig zusammentreffend'; mit Ach und Krach 'mit Mühe, gerade noch'; mit Haut und Haar(en) 'gänzlich, völlig' (ist/geschieht etw.); in Hülle und Fülle 33

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

'sehr viel, im Überfluss' (ist etw. vorhanden); unter Dach und Fach 'glücklich, erfolgreich abgeschlossen' (ist etw.).

Semantisch-pragmatische Eigenschaften Die Paarformeln weisen einige typische semantisch-pragmatische Eigenschaften auf: -

zwei (oder mehrere) Komponenten der gleichen Wortart sind zueinander oft (quasi) synonym oder semantisch eng verwandt; meist werden sie mit der gleichordnenden Konjunktion und verbunden, vgl. Lug und Trug, null und nichtig, mit Ach und Krach, seit eh und je

-

die Paar-Komponenten stehen gegebenenfalls aber auch in einem antonymen Verhältnis zueinander, vgl. Freund und Feind 'jedermann'; das Wohl und Wehe 'das Wohlergehen, Schicksal'

-

schließlich nimmt Donalies (2009, 70f.) Verbindungen von assoziativ ähnlichen Begriffen an, vgl. Tod und Teufel 'Fluch'; Land und Leute 'das Land, die Region und ihre Bewohner, ihre Sitten und Gebräuche'.

Eine weitere Eigenschaft vieler Wortpaare sind rhythmische Reimstrukturen. Hierbei werden im Wesentlichen folgende unterschieden: -

Wortpaare mit Stabreim (Gleichheit der Anfangslaute), vgl. mit Mann und Maus 1. 'ohne dass jemand gerettet wird', 2. 'mit allen verfügbaren Kräften'; Geld und Gut 'alles, was man besitzt'; in Samt und Seide 'in auffallend kostbarer Kleidung'

-

Wortpaare mit Endreim (Gleichklang am Wortende), vgl. Lug und Trug ' Betrug, Täuschung'; außer Rand und Band 1. 'übermütig, ausgelassen', 2. 'außer Kontrolle'

-

Wortpaare mit Stab- und Endreim zugleich, vgl. 34

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Freund und Feind 'jedermann'

-

Wortpaare mit Assonanz (vokalischer Halbreim), vgl. kurz und gut 'zusammenfassend gesagt'.

Auffällige Kombinationen von oft gereimten Komponenten der phraseologischen Wortpaare und Drillings- bzw. Vierlingsformeln lassen die Annahme der Expressivität und verstärkten Bildhaftigkeit zu, aufgrund deren wir solche Phraseme als stilistisch markiert empfinden. Vor allem eine intensivierende Funktion ist in vielen Fällen nachvollziehbar.

2.3.2 Komparative Phraseme  Komparative Phraseme (auch phraseologische Vergleiche) sind Phraseme, die, wie der Name sagt, einen Vergleich versprachlichen, vgl. lügen wie gedruckt 'hemmungslos lügen'; zittern wie Espenlaub '(vor Kälte, Angst) sehr zittern'; sich (wohl)fühlen wie ein Fisch im Wasser/wie die Made im Speck 'sich sehr wohlfühlen'; laufen wie geschmiert 'reibungslos funktionieren, sehr gut verlaufen'; es ist, um auf die Bäume zu klettern 'es ist nicht mehr auszuhalten, es ist zu verzweifeln'.

Gebildet werden sie nach einem sehr produktiven Muster, denn nicht nur in deutscher Sprache sind solche Phraseme zahlreich. Zugrunde liegt ein leicht nachvollziehbares logischsemantisches Konzept: es sind Ausdrücke, »bei /denen/ etwas mit etwas aus einem anderen (gegenständlichen) Bereich im Hinblick auf ein beiden Gemeinsames in Beziehung gesetzt und dadurch eindringlich veranschaulicht wird« (Földes 2007, 426). Komparative Phraseme gehören meist zur Klasse der teilidiomatischen verbalen Phraseme, man findet sie aber auch im adjektivischen, adverbialen und substantivischen Bereich.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Syntaktisch-strukturelle Eigenschaften Die typische syntaktische Struktur komparativer Phraseme besteht in der Regel aus drei Elementen: aus Vergleichsobjekt (das, was verglichen wird; comparandum), aus tertium comparationis (gemeinsames Merkmal des comparandum und comparatum) und aus Vergleichsmaß (comparatum). Als Verbindugselement kommt eine Vergleichspartikel vor (im Deutschen überwiegend wie, jedoch auch als, als ob). Die wichtigsten Strukturmodelle der deutschen komparativen Phraseme sind: -

Verb/Adjektiv/Adverb + wie + (erweitertes) Substantiv (aussehen) wie eine gebadete Maus 'völlig durchnässt'; (dastehen) wie ein begossener Pudel 'nach einer Zurechtweisung o. Ä. nichts mehr zu sagen wissen'; frech/stolz wie Oskar 'sehr frech und unbekümmert, sehr stolz'; alt wie Methusalem 'sehr alt'; dumm wie Bohnenstroh/wie die Nacht 'sehr dumm'; gesund wie ein Fisch im Wasser 'völlig gesund'

-

Verb + wie + (erweitertes) Partizip lügen wie gedruckt 'hemmungslos lügen'; aussehen wie geleckt 1. 'sehr sauber aussehen' , 2. 'sehr sorgfältig gekleidet sein'; antworten wie aus der Pistole geschossen 'prompt, ohne Zögern antworten'; aufspringen wie von der Tarantel gestochen 'plötzlich und überaus heftig aufspringen'

-

Verb/Adjektiv/Adverb + wie + Satz reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist 'freiheraus, ungeniert reden'

-

Substantiv + wie + Vergleich ein Mensch wie du und ich 'ein ganz normaler, durchschnittlicher Mensch'; Zustände wie im alten Rom 'unmögliche, unhaltbare Zustände'

-

Verb/Adjektiv/Adverb + verschiedene Strukturen dümmer (sein), als die Polizei erlaubt 'sehr dumm (sein)'; so still (sein), dass man eine Stecknadel (zu Boden/zu Erde) fallen hören kann/könnte 'absolut still (sein)'; es ist, um auf die Bäume zu klettern 'es ist nicht mehr auszuhalten, es ist zu verzweifeln'. 36

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Im verbalen Bereich ist im Deutschen eine variable Reihenfolge im Prinzip möglich, vgl. dastehen wie ein begossener Pudel bzw. wie ein begossener Pudel dastehen,

im Sprachgebrauch überwiegt jedoch die Nachstellung des Vergleichsobjektes, also dastehen wie ein begossener Pudel.

Die meist gebrauchten Verben bei deutschen komparativen Phrasemen sind (aus)sehen, (da)sitzen, (da)stehen, schlafen, gehen, reden – man sieht, dass sie alle sich auf grundlegende menschliche Aktivitäten beziehen; samt dem kognitiv immanenten Bedürfnis des Menschen, die Welt um sich herum durch Vergleich zu ordnen und systematisieren mag das ein wesentlicher Grund für die Vielzahl und Vielfältigkeit solcher Phraseme in vielen Sprachen sein (vgl. Földes 2007, 426f.).

Semantisch-pragmatische Eigenschaften Die wichtigste semantisch-pragmatische Eigenschaft und somit Funktion komparativer Phraseme besteht darin, etwas (eine Handlung, einen Zustand, körperliche und psychische Eigenschaften u. Ä.) mit Hilfe eines Vergleichsmaßstabes darzustellen, vgl. singen wie eine Nachtigall 'sehr schön, meisterhaft singen' (Handlung) frieren wie ein junger Hund 'sehr frieren' (Zustand) aussehen wie aus dem Ei gepellt 'sehr sorgfältig gekleidet sein' (körperliche Eigenschaft) sich wie neugeboren fühlen 'sich prächtig erholt fühlen' (psychische Eigenschaft).

Der Vergleich erfolgt in der Regel anhand konventionaler Vorstellungen über die typischen Eigenschaften von Tieren, Pflanzen, Gegenständen, Umständen u. Ä. Die vergleichende Darstellung kann intensivierende, expressive, spezifizierende, differenzierende Züge tragen, vgl. (stark u.Ä.) wie ein Bär 'in auffallend hohem Maß, sehr' (intensivierend) 37

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

dümmer als die Polizei erlaubt 'sehr dumm' (intensivierend-expressiv) antworten wie aus der Pistole geschossen 'prompt, ohne Zögern' (spezifizierenddifferenzierend);

sie kann aber auch kulturspezifisch markiert sein. So kommt es vor, dass zwischen einem Vergleichsobjekt und einem Vergleichsmaß unterschiedliche Gemeinsamkeiten (tertia comparationis) festgelegt werden, vgl. Phraseme mit der Vergleichsgröße Fisch (zit. nach Burger 2010, 47): stumm wie ein Fisch, kalt wie ein Fisch, sich wohlfühlen wie ein Fisch im Wasser.

Bei komparativen Phrasemen beobachten wir oft eine starke Variabilität der Vergleichsgrößen, was kulturell bedingt sein kann, vgl. von etw. so viel verstehen wie der Hahn vom Eierlegen/wie die Kuh vom Radfahren/wie die Kuh vom Sonntag/wie die Kuh vom Schachspielen 'gar nichts von etw. verstehen'.

Vereinzelt sind komparative Phraseme auch polysem, meist in einer antonymen Hinsicht, vgl. passen wie die Faust aufs Auge 1. 'überhaupt nicht passen', 2. 'sehr gut, ganz genau passen'.

Die gegensätzlichen Bedeutungen können zweierlei interpretiert werden: entweder hat man es »mit der ambivalenten Natur der menschlichen Psyche und der Denkweise zu tun, /…/ ein und dasselbe Verhalten /.../ sowohl positiv als auch negativ zu deuten« oder es geht um sprachgeschichtliche Gründe, wonach Folgendes gilt: »wenn eine der Bedeutungen später hinzugekommen ist, kann sich durch häufigen ironischen Gebrauch der ersten, ursprünglichen Bedeutung, die neue, gegenteilige herausbilden«(Földes 2007, 428).

2.3.3 Phraseologische Teilsätze Phraseologische

Teilsätze

(phraseologischer

Teilsatz)

sind

Phraseme

mit

Nebensatzstruktur, die durch ein bestimmtes Verb (welches die obligatorische Phrasemkomponente ist) in komplexere Satzstrukturen eingeordnet werden, vgl. 38

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

wissen, wo Barthel den Most holt 'alle Kniffe kennen' wissen/sagen (o.Ä.), wo jm./jn. der Schuh drückt 'js. Sorgen, Nöte kennen' nicht (mehr) wissen, wo einem der Kopf steht 'durch Arbeit, Sorgen o.Ä. überlastet sein' wissen/sehen/fragen/jm. zeigen (o.Ä.), wie der Hase läuft 'wissen, jm. zeigen, wie etw. gemacht wird, damit es die gewünschte Wirkung, den gewünschten Erfolg erzielt'.

Diese relativ kleine Gruppe der phraseologischen Sonderstrukturen weist einen hohen Grad der grammatischen Variabilität auf; der Nebensatz wechselt leicht seinen grammatischen Status, vgl. die Aussage So also läuft der Hase!,

die durchaus denkbar ist.

Weiterführende Literatur Zu den hier besprochenen Fragen zur Klassifikation der vielfältigen phraseologischen Konstruktionen finden sie weitere Informationen in den grundlegenden Referenzwerken zur Phraseologie, u.a. Palm (1997), Földes (2007), Donalies (2009) und Burger (2010).

39

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

3 Sprichwörter

INHALT UND ZIELE Das Thema dieses Kapitels sind Sprichwörter. Es wird dargelegt, was Sprichwörter sind und welche typischen Eigenschaften sie haben. Dieser Teil des Kompendiums ist nicht gänzlich auf einzelne Sprachen, hier auf die deutsche Sprache, ausgerichtet, obgleich mit zahlreichen deutschsprachigen Beispielen belegt; manche Erläuterungen gelten nämlich für Sprichwörter allgemein und so z.B. auch für slowenische Sprichwörter. Nach einer aufmerksamen Lektüre dieses Kapitels werden sie wissen, was Sprichwörter sind, welche typischen Eigenschaften sie haben, wie sie sich von andersartigen aber ähnlichen satzwertigen Phrasemen unterscheiden und wie sie typischerweise im gegenwärtigen Sprachgebrauch vorkommen.

3.1 Begriff und Hauptmerkmale

In Abschnitt 2.1 haben wir gesehen, dass Sprichwörter zur Klasse der propositionalen nominativen Phraseme gezählt werden; sie sind satzwertige Aussagen über Objekte, Vorgänge, Begriffe u. Ä. Aus kulturhistorischer Sicht werden sie folgendermaßen definiert: »Sprichwörter sind allgemein bekannte, festgeprägte Sätze, die eine Lebensregel oder Weisheit in prägnanter, kurzer Form ausdrücken« (Röhrich/Mieder 1977). Sprichwörter vermitteln also historisch- und erfahrungsbedingte »Weisheiten«; sie sind im Allgemeinen

lehrhafte

bzw.

generalisierende

Aussagen

über

traditionelle

und

gesellschaftlich anerkannte Ansichten, Meinungen, Urteile, Vorurteile, Regeln, Warnungen, Ratschläge, Verbote u. Ä. Der Name Sprichwort (Sprichwort) ist im deutschsprachigen Raum in der Bedeutung 'vielgesprochenes Wort' seit dem 13. Jh. geläufig. Vor allem in der Volkskunde (Ethnologie) 40

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

sind Sprichwörter seit langem ein beliebtes Forschungsthema; in der letzten Zeit werden sie aber auch aus der sprachwissenschaftlichen Perspektive intensiv untersucht Die Sprachwissenschaft zählt Sprichwörter zum phraseologischen Bestand einer Sprache und somit zur Phraseologie im weiteren Sinn (vgl. hierzu den Abschnitt 1.1). Die Sprachwissenschaft

untersucht

formalstrukturelle,

semantische

und

pragmatische

Eigenschaften von Sprichwörtern, geklärt werden Fragen zu ihrer lexikographischen Erfassung (Phraseographie) und ebenso Fragen zu ihrer Vermittlung in Prozessen des Sprachenlernens und -lehrens (Phraseodidaktik). So soll die Feststellung nicht überrraschen, dass eine einheitliche Definition dessen, was Sprichwörter sind, nicht vorliegt (und auch nicht vorliegen kann). Die jeweilige Definition ist nämlich immer von Forschungsansätzen abhängig; diese gehen von verschiedenartigen (und nicht immer gleichen) Sprichwortmerkmalen aus und je nach der Forschungsperspektive variiert auch die jeweilige Definition. Das obige Zitat von Röhrich/Mieder stellt somit eine kulturhistorische Sprichwortdefinition dar, während die Sprachwissenschft Sprichwörter als satzwertige, idiomatische und sprechaktunspezifische Mehrworteinheiten versteht (Ďurčo 2005, 32). Donalies (2009) benennt sie mit dem Ausdruck Satzphrasem, Burger (2010) dagegen auch mit dem Ausdruck propositionale Mehrworteinheit. Im Folgenden werden die Hauptmerkmale der Sprichwörter in ihren Wesenszügen erläutert.

3.2 Hauptmerkmale

Im allgemeinen Verständnis weist ein Sprichwort folgende linguistischen Hauptmerkmale auf: -

Polylexikalität und Satzwertigkeit

-

Stabilität

-

Idiomatizität.

41

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Dazu kommen die Unbekanntheit der Quelle und die allgemeine Bekanntheit innnerhalb einer Sprachgemeinschaft. So kann man für das Sprichwort Die Zeit heilt alle Wunden ('irgendwann vergeht jeder Schmerz, ist jede Enttäuschung überwunden') sagen, dass es sich um einen festgeprägten, kurzen und prägnanten Satz unbekannter Herkunft handelt, der auf eine bildhaft-metaphorische Art eine verallgemeinerte »Weisheit« vermittelt und unter den muttersprachlichen Sprechern des Deutschen als allgemein bekannt gehalten werden kann. Wir kennen jedoch auch andersartige festgeprägte Satzkonstruktionen, die dem Sprichwort zwar ähnlich, mit ihm aber nicht einfach gleichzusetzen sind, weil sie teilweise verschiedene Charakteristika aufweisen. Diese sprichwortähnlichen Konstruktionen sind unter Anderem Sentenzen, geflügelte Worte, Aphorismen, Maximen und Epigramme. Von den Sprichwörtern unterscheiden sie sich hauptsächlich durch die Bekanntheit der Quelle. Wenn diese aber durch die Häufigkeit des Vorkommens verblasst und bei den Sprechern sogar nicht mehr bekannt ist, so treten sie leicht zu den Sprichwörtern über. Die wesentlichen Eigenschaften von Sentenzen, geflügelten Worten, Aphorismen, Maximen und Epigrammen werden in Abschnitt 3.8 kurz skizziert. Legen wir nun die Hauptmerkmale eines Sprichwortes unter Perspektive der linguistischen Phraseologieforschung fest.

3.2.1 Polylexikalität und Satzwertigkeit Das Merkmal der Polylexikalität und Satzwertigkeit meint, dass Sprichwörter aus mehreren Wörtern (Lexemen) bestehende satzwertige Konstruktionen sind. Sie sind satzwertige Mehrworteinheiten des Lexikons einer Sprache, sie gelten als in sich geschlossene Sätze, die »durch kein lexikalisches Element an den Kontext angeschlossen werden müssen« (Burger 2010, 106). Man meint dazu auch, dass sie als selbständige Mikrotexte aufgefasst werden können. Das heißt, dass sie im Gedächtnis als syntaktische und semantische Einheiten gespeichert werden, bei Bedarf (beim Sprechen und/oder Schreiben) ganzheitlich abgerufen werden und dazu auch außerhalb eines konkreten Textes/Kontextes verstanden werden können. (Näheres zur Form der deutschen Sprichwörter finden sie in Abschnitt 1.1.3). 42

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

3.2.2 Stabilität Das Merkmal der Stabilität (Festigkeit) bezieht sich grundsätzlich auf die angenommen feste, unveränderbare Form und Bedeutung eines Sprichworts. Mit dieser Eigenschaft eng verbunden ist die sprichworteigene Modellhaftigkeit. Die linguistisch ausgerichtete (germanistische) Parömiologie konnte nämlich feststellen, dass Sprichwörter weitgehend nach syntaktischen Mustern und inhaltlichen Benennungsmodellen gebildet werden, was die Stabilität entschärft und zu Varianten und Modifikationen führt. (Näheres zur Modellhaftigkeit und Variabilität der deutschen Sprichwörter finden sie in Abschnitt 3.3).

3.2.3 Idiomatizität Sprichwörter sind idiomatische satzwertige Mehrworteinheiten. Das Merkmal der Idiomatizität betrifft »den Grad der (Nicht-)-Ableitbarkeit der idiomatischen Bedeutung aus der Bedeutung einzelner Bestandteile« (Ďurčo 2005, 17). (Näheres zur Idiomatizität als Grundmerkmal der Phraseologie finden sie in Abschnitt 1.1.3). Die Bedeutung des Sprichworts lässt sich also nicht von der Bedeutung einzelner Bestandteile ableiten bzw. einzelne oder sogar alle Sprichwort-Komponenten verletzen die übliche und erwartbare Wortkombinatorik. Die Idiomatizität ist eine graduell ausgeprägte Eigenschaft, aufgrund deren wir über voll- bzw. teilidiomatische Sprichwörter reden können, vgl. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm (vollidiomatisch) Ende gut, alles gut (teilidiomatisch).

Sprichwörter werden somit als generalisierende Satzmetaphern verstanden. Wendet man sie auf konkrete Situationen, so dienen sie dazu, diese zu erleuchten, zu erklären, zu illustrieren, zu argumentieren, zu rechtfertigen u. Ä. Man spricht hierbei über folgende Sprichwort-Charakteristika:

43

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

-

Polysituativität (ein und dasselbe Sprichwort ist in Bezug auf verschiedene Situationen anwendbar)

-

Polyfunktionalität (ein und dasselbe Sprichwort kann mehrere verschiedene Funktionen ausüben)

-

Polysemantizität (ein und dasselbe Sprichwort weist eine Art semantische Unbestimmtheit auf)

-

Polythematizität (ein und dasselbe Sprichwort kann auf sehr verschiedene Umstände bezogen werden).

3.3 Formen

Wie oben gesagt, gehören Sprichwörter zur Gruppe der satzwertigen Phraseme. Der syntaktischen Form nach sind (deutsche) Sprichwörter: -

syntaktisch vollständige Sätze, Satzreihen bzw. Satzgefüge; sie enhalten ein finites Verb und valenzbedingte Ergänzungen, sie sind einfache Sätze bzw. koordinative/ subordinative Satzverbindungen, vgl. Aller Anfang ist schwer (einfacher Satz) Reden ist Silber, Schweigen ist Gold (Satzreihe) Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte (Satzgefüge)

-

syntaktisch unvollständige Sätze (elliptische Sätze bzw. Satzverbindungen); sie enthalten kein finites Verb, vgl. Aus dem Augen, aus dem Sinn Wie du mir, so ich dir Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. 44

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Den überwiegenden Teil des deutschen Sprichwortbestandes machen Sprichwörter mit der einfachen Aussagesatzstruktur aus. Sprichwörter in Form von Fragesätzen bzw. Ausrufesätzen mit imperativischer Verform sind eher selten, vgl. Eile mit Weile Lege nicht alle Eier in einen Korb Woher nehmen und nicht stehlen?

Häufig sind Satzstrukturen mit Modalverben (sollen, dürfen, müssen), diese kommen oft in Kombination mit dem Indefinitpronomen man vor, vgl. Man lernt nie aus Man soll den Tag nicht vor dem Tag loben Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist.

Sprichwörter sind hinsichtlich ihrer idiomatischen Inhalte generalisierende, eine Art generische Sätze. Diese semantische Eigenschaft ist auch grammatisch erkennbar, unter Anderem an dem so genannten gnomischen Präsens (Lüger 1999), welches zum Ausdruck des Allgemeingültigen und des Stereotypen verwendet wird. So ist das Sprichwort Hunde, die bellen, beißen nicht interpretierbar als 'alle Hunde, die bellen, beißen nicht'. In den Texten werden Sprichwörter nicht selten durch deutlich erkennbare Stilfiguren markiert. So kennen wir -

Sprichwörter mit Binnenreim, vgl. Eile mit Weile; Borgen macht Sorgen

-

Sprichwörter mit Endreim, vgl. Ohne Fleiß kein Preis; Mit Geduld und Spucke fängt man jede Mucke

-

Sprichwörter mit Stabreim (Alliteration), vgl. 45

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Gleich und gleich gesellt sich gern

-

Parallelismus, vgl. Kommt Zeit, kommt Rat; Aussen hui, innen pfui.

Eine weitere bedeutende Eigenschaft der Sprichwötrer ist ihre Modellhaftigkeit. Sie folgen nämlich weitgehend syntaktischen Modellstrukturen und inhaltlichen Benennungsmodellen. So konnten für das Deutsche mehrere strukturelle und inhaltliche Modelle ermittelt werden (Röhrich/Mieder 1977, 61f.). Sie reichen von den einfachen bis zu den komplexen Satzkonstruktionen, auf deren Grundlage Reihen von formal vergleichbaren sprichwörtlichen Strukturen gebildet werden, vgl. -

A ist A Geschäft ist Geschäft; Sicher ist sicher

-

A ist B Zeit ist Geld; Träume sind Schäume

-

ohne A kein B Ohne Fleiß kein Preis; Kein Haus ohne Maus

-

lieber/besser A als B Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach; Besser spät als nie

-

wie A so B Wie der Vater, so der Sohn

-

wie man A, so man B Wie man sich bettet, so liegt man; Wie man plant, so fährt man) usw.

46

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Auch inhaltlich ist bei vielen Sprichwörtern Modell- bzw. Musterhaftigkeit erkennbar. Es geht um abstrakte Benennungsmodelle, um die so genannten All-Sätze, auf denen konkrete Sprichwörter basieren, vgl. -

man soll eine Sache tun, solange es nicht zu spät dazu ist Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist; Forme aus dem Lehm, solange es feucht ist

-

wie die Aktion, so die Reaktion Wie man sich bettet, so liegt man

-

wie der Erzeuger, so das Erzeugte Wie der Vater, so der Sohn usw.

Das Merkmal der musterhaften Modellhaftigkeit drängt nahezu zur Bildung von Varianten und Modifikationen. Die Variabilität (Variabilität) ist somit eine weitere bedeutende Eigenschaft von Sprichwörtern; variable Sprichwortformen sind Sprichwortvarianten (Variante). Man unterschidet dabei zwischen quantitativer und quantitativer Variabilität. Quantitative Varianten sind etwa gekürzte bzw. erweiterte Sprichwortstrukturen; die Variabilität besteht also im Umfang der Sprichwortkomponenten, vgl. Alles hat ein Ende/Alles hat einmal ein Ende vs. Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.

Qualitative Varianten sind dagegen grammatisch bzw. lexikalisch bedingte Änderungen der sprichwörtlichen Ausgangsform. So sind einzelne Sprichwortkomponenten austauschbar, vgl. Stille Wasser sind tief/ Stille Wasser gründen tief

oder einzelne Sprichwortkomponenten variieren in morphologischer Hinsicht, vgl. Ausnahmen bestätigen die Regel/Die Ausnahme bestätigt die Regel.

47

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Bei manchen Sprichwörtern beobachtet man zum Teil offene Modellstrukturen, die als Muster gelten und dem Kontext entsprechend gefüllt werden können. So lässt die usuelle, „kanonische“ Sprichwortform Das Geld regiert die Welt zwei zum Teil offene Modellstrukturen zu: X regiert die Welt und Das Geld regiert X. Vgl. die Verwendung im Text: König Fußball regiert die Welt, und Deutschland erlebt wieder ein Sommermärchen. Die Euphorie, die die Nation vor allem nach dem Einzug der deutschen Nationalmannschaft ins Halbfinale ergriffen hat, ist bis in den Deutschen Bundestag spürbar. (SprichWort 2010) Das Setting selbst ist natürlich nicht partikular deutsch, sondern universal. Das Geld regiert die Politik - das gab und gibt es überall und immer. (SprichWort 2010)

Gelegentliche bzw. einmalige Sprichwortvarianten werden Sprichwortmodifikationen genannt (Modifikation). Es handelt sich um gelegentliche, einmalige, innovative Abwandlungen bestehender Sprichwörter, die in einem konkreten Text besondere stilistische Wirkungen haben und in den meisten Fällen einem spielerisch-kreativen Umgang mit der Sprache dienen, vgl. Stetter Tropfen höhlt die Leber; Reden ist Schweigen, Silber ist Gold; Viele Köche verderben die Köchin; Erst die Freizeit, dann das Vergnügen.

Die stilistisch-pragmatische Wirkung kommt jedoch nur dann zum Tragen, wenn das grundlegende Sprichwort vom Leser bzw. Hörer erkannt wird, also Stetter Tropfen höhlt den Stein; Reden ist Silber, Schweigen ist Gold; Viele Köche verderben den Brei; Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Die sprichworteigene Variabilität wird darüber hinaus durch ihr grammatisch bedingtes syntaktisches Umwandlungspotential beeinflusst. Das bedeutet, dass Sprichwörter noch längst nicht nur als völlig feste, unveränderbare satzwertige Zitate in den Texten vorkommen; sie verfügen nämlich über die Fähigkeit, sich syntaktisch-syntagmatisch an die jeweilige texutuelle Umgebung anzupassen und kommen somit grammatisch entsprechend eingebettet vor.

48

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Die syntaktische Umwandlungsfähigkeit (Transformation) ist vielfältig; verstärkt zeigt sie sich als Konversionsfähigkeit (Übergänge zu nichtsatzwertigen Phrasemen und umgekehrt), vgl. Die Niederlage in Salzburg? Abgehakt! Aber nicht vergessen. Das Hagebau Team Tirol träumte vor dem heutigen dritten Kampf gegen Salzburg von süßer Rache. (SprichWort 2010)

oder

als

syntaktisch-syntagmatische

Transformation,

etwa

als

Passiv-

od.

Imperativumwandlung bzw. häufige Verwendung mit Modalverb oder als Relativsatz, vgl. Nach 22 Jahren Vorstandsarbeit, davon 16 Jahre im Amt des Vorsitzenden, hat Wolfgang Müller nicht mehr für den Posten des Vorsitzenden der Bibliser Feuerwehr kandidiert. "Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass man nicht gleichzeitig auf zwei Hochzeiten tanzen kann", [...] Die Belastung seines Amtes als Kreisbrandinspektor stelle erhöhte Anforderungen an ihn, sodass er sich außerstande sehe, so für den Verein zu arbeiten, "wie ich es eigentlich möchte." (SprichWort 2010)

Die Möglichkeit des variablen Umgangs mit den Sprichwortformen wird bei den Sprechern oft wahrgenommen; insbesondere gilt das für textuelle Kontexte bzw. Textsorten, in denen das

Variabilitätspotential

zu

den

jeweils

aktuellen

textuellen

Funktionen

und

Sprecherintentionen gewinnbringend beiträgt, unter Anderem in Werbungstexten, Schlagzeilen und Titeln. Dies mag daran liegen, dass Sprichwörter zu indirekten, verhüllten Aussagen tendieren (Röhrich/Mieder, 1977), was den Spielraum für einen kreativspielerischen Umgang öffnet, vgl. »Ein Zwilling kommt selten allein«. Die romantische Familienkomödie mit Witz und Tempo! Eine Neuverfilmung von Erich Kästners Kinderbuchklassiker »Das doppelte Lottchen«. (SprichWort 2010)

3.4 Funktionen

Wie wir oben gesehen haben, besteht eine wesentliche Funktion von Sprichwörtern darin, dass sie verschiedene Inhalte generalisierend darstellen können. An ihrem textuellen Gebrauch kann man jedoch auch weitere Funktionen beobachten. Sie haben eine soziale Funktion (Benennung nach Grzybek) indem sie »als Formulierungen von Überzeugungen, Werten und Normen gelten, die in einer bestimmten Kultur und Zeit soziale Geltung 49

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

beanspruchen« (Burger 2010, 107). Zugleich werden sie in konkreten kommunikativen Situationen als Ausdruck von Sprachhandlungen wie Warnung, Überredung, Argument, Bestätigung, Trost, Mahnung, Rechtfertigung, Beruhigung, Zusammenfassung verwendet (Röhrich/Mieder 1977). In solchen Fällen sprechen wir über kontextuelle (pragmatische) Funktionen von Sprichwörtern. Beide Funktionsarten sollen wir in einem wechselseiten Verhältnis verstehen, denn »dass ein Sprichwort z.B. als Stütze in einer Argumentation verwendet werden kann (= kontextuelle Funktion), ist nur möglich, wenn es vom Sprecher und vom Hörer als Formulierung einer generellen Regel (= soziale Funktion) aufgefasst wird« (Burger 2010, 108). Nachfolgende Beispiele sollen die pragmatischen Sprichwort-Funktionen im Text illustrieren.

Sprichwort als Ausdruck von sozialen Werten und Normen, vgl. Ich bin schon lange alleinerziehend und frage mich, ob ich vielleicht in manchen Dingen zu streng war. Erst die Arbeit und dann das Vergnügen, so bin ich erzogen worden. (SprichWort 2010) Lügen haben kurze Beine... so haben es die meisten schon in der Kindheit gelernt. Es lohnt sich nicht zu lügen, mit Lügen schadet man sich und andern. (SprichWort 2010)

Sprichwort als Ausdruck von Sprachhandlungen, vgl. Warnung, Rat "Sie sollten nicht mit zu viel Ehrgeiz an die Sache herangehen", riet Jung den etwa 100 Zuhörern zu Beginn. Eile mit Weile sei vielmehr das Motto. Bevor der Anfänger oder Wiedereinsteiger überhaupt mit dem Sport beginne, sei erst einmal ein Gesundheitscheck fällig. (SprichWort 2010)

Argument

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Grundsätzlich gilt das Rauchverbot in allen Gastronomiebetrieben und öffentlichen Räumen, aber Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel: In niedersächsischen Spielhallen zum Beispiel darf geraucht werden. (SprichWort 2010)

Beruhigung Gestern, zurück in Berlin, schwieg Stoiber dann lieber zum Richtlinien-Thema. Was Merkels Helfer in ihrer Theorie bestätigt, mit der sie sich beruhigen: Hunde, die bellen, beißen nicht. Die Angriffe aus München werden in Berlin mit einem „psychologischen Problem” erklärt. (SprichWort 2010)

Sprichwort als Mittel zur Textorganisation, vgl. durch

die

Sprichwortposition

gegebene

themeneinleitende

Funktion

(oft

auch

orthographisch markiert durch den Doppelpunkt) Erst die Arbeit, dann das Vergnügen: So hielten es jüngst die Mitglieder des [...] Ortsvereins Remagen. Sie schlossen an ihre Jahreshauptversammlung [...] einen gemütlichen Nachmittag mit musikalischer Begleitung an. (SprichWort 2010)

durch die Sprichwortposition gegebene themenabschließende bzw. –zusammenfasende Funktion (oft auch orthographisch markiert durch den Doppelpunkt) [...] dem Klub droht der Zerfall. Die Spieler haben sich aufgegeben, obwohl noch neun Spiele zu absolvieren sind. Bonhof will sich damit nicht abfinden und forderte sie auf, Zeichen zu setzen. [...] Goalie Robert Enke und Stürmer Markus Feldhoff haben schon ihren Abschied verkündet, die Fans dankten es ihnen mit dem Spruchband: "Die Ratten verlassen das sinkende Schiff "(SprichWort 2010)

3.5 Inhalt und Herkunft

Man kann aus guten Gründen annehmen, dass Sprichwörter aufgrund der menschlichen Bedürfnisse, das Leben im Einklang mit der Natur und in Kooperation mit den Mitmenschen zu gestalten, entstanden sind. Die praktischen Lebenserfahrungen und allgemeine Erkenntnisse wurden in Form von kurzen und prägnanten Äußerungen, als so genannte

51

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Lebensweisheiten und Lebensregeln zunächst mündlich, danach auch schriftlich verbreitet und überliefert. Man ist sich einig, dass die Herkunft von Sprichwörtern sehr oft nicht exakt zu ermitteln ist. Betrachtet man sie jedoch entweder einzelsprachlich oder sprachenübergreifend, so können drei Herkunftsquellen angenommen werden: Sprichwörter

sind

als

so

genannte

Volksweisheiten

interpretierbar.

Jemand

(möglicherweise eine bekannte und angesehene Persönlichkeit) müsste zunächst eine Aussage machen, die von den anderen akzeptiert, übernommen und weiter verwendet wurde; dadurch wurden derartige Aussagen mit der Zeit zu den allgemein verbreiteten »sprichwörtlichen Weisheiten«, vgl. Übung macht den Meister

Sprichwörter entstammen den schriftlichen Werken. Viele gehen auf die Antike, die Bibel oder auf das mittelalterliche Schrifttum zurück. Ursprünglich sind sie also Zitate aus nachweisbaren literarischen, weltlichen und/oder religiösen Texten, also aus der Bibel, aus Fabeln, Märchen, Sagen und dergleichen, die durch die häufige Wiederholung ebenso zu allgemein verbreiteten Aussagen wurden, vgl. Die Axt im Haus erspart den Zimmermann (F. Schiller) Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein (Bibel)

Sprichwörter sind Entlehnungen aus anderen Sprachen. Durch die (mitunter wortwörtliche) Übersetzung setzten sie sich in den vielen Zielsprachen durch, vgl. Die Hunde bellen, und die Karawane zieht weiter (Entlehnung aus dem Türkischen).

Aus volkskundlicher Sicht werden Sprichwörter sehr oft als Besonderheit und Eigentümlichkeit einzelner Sprachen interpretiert (sie seien somit idiosynkratisch). Das mag aber eher für eine kleinere Anzahl der Sprichwörter zustimmen. Vielmehr gilt, dass etliche Sprichwörter zwischensprachlich übereinstimmen, dass also ein Sprichwort nicht nur auf 52

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

eine Sprache bzw. eine Sprachgemeinschaft beschränkt, sondern in mehreren Sprachen vorhanden ist. So stimmen recht viele Sprichwörter formal und inhaltlich zwischensprachlich überein; in der sprachvergleichenden (kontrastiven) Phraseologieforschung spricht man hierbei vom Begriff der Konvergenz bzw. Äquivalenz. Die Konvergenz (Konvergenz) meint die Identität oder Ähnlichkeit der formalen Sprichwortstruktur, die in Kombination mit der inhaltlichen Übereinstimmung eine vollständige Äquvalenz (Volläquivalenz) oder eine teilweise bzw. partielle Äquivalenz (Teiläquivalenz) ausmacht (Äquivalenz). So sind zwei Sprichwörter in zwei miteinander verglichenen Sprachen dann volläquivalent, wenn eine gemeinsame denotative Bedeutung und eine vollständige formal-strukturelle und inhaltlichmetaphorische Entsprechung vorliegen. Solche Sprichwörter entstammen meist den gemeinsamen nachweisbaren Quellen (Literatur, Bibiel u.ä.) und werden als sprichwörtliche Internationalismen bezeichnet, vgl. Aller Anfang ist schwer (slow. Vsak začetek je težak) Ende gut, alles gut (slow. Konec dober, vse dobro) Alle Wege führen nach Rom (slow. Vse poti vodijo v Rim) Besser spät als nie (slow. Bolje pozno kot nikoli)

Allerdings verfügen Sprichwörter meist um eine derartig komplexe Bedeutung, dass zwischensprachliche

Volläquivalenz

selten

vorliegt.

Viel

häufiger

kann

man

im

zwischensprachlichen Vergleich eine Teiläquivalenz beobachten. Diese ist dann vorhanden, wenn zwischen Sprachen Unterschiede in der Struktur, im Komponentenbestand oder in der bildhaft-metaphorischen Grundlage der Sprichwörter vorliegen, während die denotative Sprichwortbedeutung identisch ist, vgl. Nachts

sind

alle

Katzen

grau

(slow.

Ponoči

so

vse

krave

črne)

(Unterschiede im

Komponentenbestand und in der bildhaft-metaphischen Grundlage) Ohne Fleiß kein Preis (slow. Brez dela ni jela) (Unterschiede im Komponentenbestand, in der

syntaktischen Struktur und in der bildhaft-metaphischen Grundlage) Man lernt nie aus (slow. Človek se uči, dokler živi) (Unterschiede im Komponentenbestand, in der

syntaktischen Struktur und in der bildhaft-metaphischen Grundlage) 53

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Die zwischensprachlichen Äquivalenzbeziehungen sind besonders anhand der mehrsprachig angelegten

Sprichwortsammlungen

und

parömiologischen

Wörterbücher

gut

nachvollziehbar. Schließlich konnte sie auch in der neuesten umfangreichen Studie zur globalen Verbreitung vieler Idiome (und darunter auch Sprichwörter) in Piirainen (2012) bestätigt werden. Die zwischensprachliche Konvergenz basiert zunächst auf gemeinsamen Quellen, denn gerade Sprichwörter, die in der antiken oder klassischen Literatur, in der Mythologie und in der Bibel ihren Ursprung haben, sind zwischensprachlich hochgradig konvergent. Positive Auswirkungen auf die Übereinstimmung haben hierbei rege Sprachkontakte und/oder die Übersetzung, was zu Entlehnungsprozessen führt. So kennt z.B. das Sprichwort Die Würfel sind gefallen konvergente Sprichwortformen in zahlreichen europäischen und anderen Sprachen (Piirainen 2012, 132ff.). Es gibt jedoch auch hochkonvergente Sprichwörter, deren Metaphorik biologisch und/oder erfahrungsbedingt ist, vgl. etwa die deutschen Sprichwörter Hunde, die bellen, beißen nicht und Wer sucht, der findet mit konvergenten slowenischen, slowakischen, tschechischen und ungarischen Äquivalenten (SprichWort, 2010).

3.6 Sprichwortsammlungen

Beobachtet man die fachliche Auseinandersetzung mit den Sprichwörtern aus historischer Perspektive, so kann man auf zahlreiche Sprichwortsammlungen hinweisen, die in volkskundlicher

Tradition

entstanden

sind

und

die

gegenwärtig

in

vielfältiger

methodologischer Ausprägung und recht unterschiedlichem Umfang für viele Sprachen vorliegen.

Das

Sprichwortsammeln

Sprichwortsammlungen

sollte

man

hat

Jahrtausende

als

tradierte

lange

Quellen

Tradition, für

die

und

die

(diachrone)

Sprichworterforschung betrachten. Ob bzw. inwiefern sie auch bei der Erarbeitung moderner synchroner Wörterbücher anwendbar sind, ist allerdings fraglich, zumal sie 54

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

prinzipiell historisches Sprichwortgut und historische Sprachzustände vermitteln. (Eine knappe Übersicht über die bedeutendsten slowenischen Sprichwortsammlungen findet sich in Jesenšek 2007). Die bedeutendsten Sammlungen der deutschen Sprichwörter werden nachfolgend kurz besprochen. Viele davon sind teilweise oder vollständig digitalisiert und im Internet frei zugänglich. Die jeweiligen Adressen sind im Literaturverzeichnis angegeben. Seit der angenommen ersten europäischen Sprichwortsammlung aus dem Jahr 1023 von Egbert von Lüttich (Fecunda ratis (Das vollbeladene Schiff)), die lateinische und biblische Sprichwörter enthält, verzeichnet man in Europa eine intensive Beschäftigung mit der lexikographieähnlichen Dokumentierung der Sprichwörter. Die ältesten dokumentierten sprichwortähnlichen Texte seien die auf sumerischen Tafeln in Keilschrift verfasste Texte aus dem 2. Jahrtausend v. u. Z. Historisch sehr bedeutend für die Sprichworterforschung vieler Sprachen sind allerdings Sprichwortsammlungen aus antiker Zeit, zumal zahlreiche allgemeineuropäische Sprichwörter auf diese kulturell bahnbrechende Epoche zurück gehen. Im Mittelalter dienten Sprichwortsammlungen vor allem dem Lateinunterricht und der moralischen Erziehung. Besonders beliebt waren sie auch im 16. und 17. Jahrhundert in der damals vorherrschenden lehrhaften Literatur. Während dieser Epoche mehrmals erschienen ist die vielgelesene Sammlung der antiken Sprichwörter, zusammengestellt von Erasmus von Rotterdam (Adagia, 1500, 1508, 1533). Er hat einzelne Sprichwörter mit didaktischmoralischen Kommentaren und Erläuterungen versehen, was dazu beigetragen hat, dass die Erasmus-Werke als eine der wichtigsten kulturgeschichtlichen Quellen jener Zeit angesehen werden. Ebenso im 16. Jahrhundert erschien die Sprichwortsammlung von Johann Agricola (1543); sie ist die erste deutsche Sprichwortsammlung. Im darauffolgenden 17. Jahrhundert erreichte die Erarbeitung von Sprichwortsamlungen einen (auch für die heutige Zeit) beträchtlichen Umfang: Die Teutschen Weissheit von Friedrich Petri (1605) umfasste sogar mehr als 20.000 deutsche Sprichwörter.

55

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Die Aufklärungsepoche des 18. Jahrhunderts war den Sprichwörtern weniger zugeneigt; Originalität und Individualität als Schreibstil wurden nämlich viel höher geschätzt als etwa Wiederholung tradierter Sprüche. In den Texten der deutschen Klassiker (Goethe, Schiller, Lessing u.a.) fanden Sprichwörter aber trotzdem eine hohe Beachtung, dies vorrangig als bewährte und wirksame Stilmittel. Für Sprichwortsammlungen dieser Epoche sind Kommentare und Bedeutungserläuterungen typisch, so z.B. Deutsches Sprichwörterbuch von Joachim Christian Blum (1780–1782). Im 19. Jahrhundert beobachtet man erneut ein stärkeres Interesse an den Sprichwörtern. Es seien hier einige Werke erwähnt, die als Meilensteine für die weitere (volkskundliche und lexikographische) Beschäftigung mit den Sprichwörtern verstanden werden können: Johann Michael Sailer's Die Weisheit auf der Gasse, oder Sinn und Geist deutscher Sprichwörter (1810) – eine Sammlung ausführlich analysierter und semantisch kommentierter Sprichwörter; die Literatur der Sprichwörter von Christian Conrad Nopitsch (1822) – ein Verzeichnis der bis zu jener Zeit veröffentlichten Arbeiten zum Phänomen Sprichwort; das monumentale Werk von Karl Friedrich Wilhelm Wander – das fünfbändige Deutsche Sprichwörterlexikon (1867–1880) umfasst mehr als 250.000 Sprichwörter, die stellenweise mit

Kommentaren,

Anmerkungen

sowie

Angaben

von

Varianten,

Quellen

und

anderssprachigen Äquivalenten versehen sind; und schließlich die populärste deutsche Sprichwortsammlung von Karl Simrock mit dem Titel Die deutschen Sprichwörter (1846). Im 20. Jahrhundert erschienen mehrere sprach- und kulturgeschichtlich erklärende Sammlungen des deutschen Sprichwortsgutes, darunter die Deutsche Sprichwörterkunde von Friedrich Seiler (1922). Zu den bekanntesten vergleichbaren volkskundlich orientierten Sammlungen des 20. Jahrhunderts zählt jedoch das illustrierte und mehrmals neu aufgelegte Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten von Lutz Röhrich (2000; erste Ausgabe 1973). Einhergehend

mit

dem

wachsenden

sprachwissenschaftlichen

Interesse

an

den

Sprichwörtern ist die umfangreiche Dokumentation der modifizierten Sprichwörter zu nennen,

der

von

Wolfgang

Mieder,

einem

unermüdlichen

Sprichwortforscher

herausgegeben wurde: das zweibändige Wörterbuch dem Titel Antisprichwörter (1982– 56

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

1985) verzeichnet die im gegenwärtigen Sprachgebrauch vorzufindenden Modifikationen traditioneller

deutscher

Sprichwörter.

Neben

den

genannten

allgemeinen

Sprischwortsammlungen erreichten große Beliebtheit schließlich auch besondere Typen von Sprichwörterbüchern:

Spezialsammlungen

zu

Wetterregeln,

Rechtssprichwörtern,

medizinischen Sprichwörtern, Wellerismen u.a.m. Es ist somit in der Geschichte der volkstümlich

und

historisch

konzipierter

Erarbeitung

und

Herausgabe

von

Sprichwortsammlungen eine kontinuierliche Tradition zu beobachten. Traditionell werden Sprichwörter aber auch in allgemeinen Sprachwörterbüchern und speziellen phraseologischen Lexika verzeichnet. Duden – Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik (letzte Ausg. 2013) ist das für das Deutsche repräsentative phraseologische Wörterbuch, das auch eine Auswahl an Sprichwörtern enthält, sonst werden Sprichwörter aber in recht verschiedener quantitativ-qualitativer Ausprägung in alle größeren allgemeinen ein- und mehrsprachigen Wörtern mit Deutsch integriert (und dasselbe gilt auch für das Slowenische).

3.7 Sondergruppen

Wegen ihrer inhaltlichen und formalstrukturellen Besonderheiten kann man von einigen Sondergruppen der Sprichwörter sprechen: Bauernregeln bzw. Wettersprichwörter, Rechtssprichwörter, medizinische Sprichwörter und Wellerismen. Im Folgenden werden sie in Kürze dargelegt.

3.7.1 Bauernregeln und Wettersprichwörter Bauernregeln und Wettersprichwörter haben die reichen landwirtschaftlichen Erfahrungen und Praktiken, die Zucht der Tiere sowie die klimatischen Beobachtungen der Menschen zum Inhalt, vgl. Wenn die Schwalben nieder fliegen und die Tauben baden, so bedeutet's Regen. 57

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Beide Sprichwort-Sondergruppen sind in inhaltlichen Zusammenhängen zu betrachten, zumal das Wetter die landschaftliche Tätigkeit ja maßgebend beeinflusst. In den alten Zeiten waren sie für das ländliche Leben unentbehrliche Richtlinien für das alltägliche Leben und Handeln, während heute sie oft als archaisch empfunden werden. Im deutschsprachigen Raum haben sie eine sehr lange Tradition. Der erste Hinweis findet sich bei A. Magnus (13. Jh.), die älteste gedruckte Sammlung von Bauernregeln in deutscher Sprache stammt aus dem Jahr 1505 (Wetterbüchlein); seither ist auch der Begriff Bauernregel im Umgang. Es werden mehrere Typen von Bauernregeln und Wettersprichwörtern unterschieden (Malberg 1999):

Kalendergebundene Klimaregeln gründen auf der regionalen Wetterbeobachtung und Interpretation monatlicher Mittelwerte, vgl. Werden die Tage länger, wird der Winter strenger; Der Februar hat seine Mücken, baut von Eis oft ¸feste Brücken; Der Mai in der Mitte, hat für den Winter stets noch eine Hütte; Im Juni, Bauer, bete, dass der Hagel nicht alles zetrtrete.

Oft sind sie an die christlichen Namensfeiertage gebunden, vgl. Christnacht hell und klar, deutet auf ein gutes Jahr; Am Tage von St. Valentin (14. Februar) gehen Eis und Schnee dahin; Der Matthias (24. Februar) bricht's Eis, findet er keins, dann macht er eins.

Wetterregeln betreffen Aussagen zum weiteren Wetterablauf, die auf der Beobachtung des momentanen Wetterzustandes beruhen, vgl. Ziehen die Wolken dem Wind entgegen, gibt's am anderen Tage Regen; Steigt Nebel empor, steht Regen bevor; Dunkle Wolken verkünden Regen; Geht die Sonne feurig auf, folgen Wind und Regen drauf.

58

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Witterungsregeln gehen von einem Wetterzustand aus und versuchen, das Wetter der bevorstehenden Wochen oder längerer Perioden vorherzusagen. In der Regel gelten kirchliche Feiertage als Orientierung: Ist der Januar hell und weiß, wird der Sommer sicher heiß; Nasser April – trockener Juni; Regnet's an St. Peters-Tag (29. Juni), drohen 30 Regentag'; Geht Barbara (4. Dezember) im Grünen, kommt's Christkind im Schnee.

Tier- und Pflanzenregeln versuchen die weitere Wetterentwicklung aus dem Verhalten von Tieren und Pflanzen zu schließen, vgl. Ziehen die wilden Gäns' und Enten fort, ist der Winter bald am Ort; Späte Rosen im Garten, der Winter läßt warten; Fällt das Laub sehr bald, wird der Herbst nicht alt.

Ernteregeln beschreiben die Auswirkung der Wetterbedingungen auf die Ernte und sind oft jahreszeitbezogen, vgl. Im Märzen kalt und Sonnenschein, wird's eine gute Ernte sein; Juli schön und klar, gibt ein gutes Bauernjahr; Regen Ende Oktober verkündet ein gutes Jahr; Dezember mild mit viel Regen, ist für die Saat kein großer Segen.

Mondregeln sind Aussagen vom Einfluß der Mondphasen auf das Wetter, auf Pflanzen und Tiere, auf das Verhalten von Menschen, auf die Gestaltung des Alltags, vgl. Bei Mondwechsel ändert sich auch das Wetter; Im wachsenden Mond sind Rosmarin und Majoran zu säen; Alles was wachsen soll, ist im zunehmenden Mond zu beschneiden, was nicht wachsen soll, im abnehmenden Mond; Die Schafe soll man im Vollmond scheren.

In der modernen Zeit haben die Wettersprichwörter an der Bedeutung stark verloren und werden mitunter sogar mit humorvoll-ironischer Wirkung modifiziert, vgl. Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist.

59

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

3.7.2 Rechtssprichwörter Es geht um eine Sondergruppe von Sprichwörtern, deren Inhalt die Rechtsregelung oder soziale Ordnung thematisiert. Somit sind sie notwendigerweise historisch-kulturell bedingt, vgl. Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul; Gleich gefangen, gleich gehangen.

Wenn man die historischen Hintergründe nicht mehr kennt, kann das für das gegenwärtige Verständnis störend sein. Sie haben eine lange Tradition; im europäischen Mittelalter stellten sie Autorität gegenüber der Richter dar, zumal diese oft rechtliche Laien gewesen sind und ihre Urteile folgerichtig auf solchen Sprichwörtern gründeten.

3.7.3 Medizinische Sprichwörter Medizinische

Sprichwörter

(auch

Heilsprichwörter,

Gesundheitssprichwörter,

sprichwörtliche/populäre/volkstümliche Gesundheitsregeln, volksmedizinische Ratschläge) sind kurz gefasste Ratschläge zum Erhalten oder Erlangen der Gesundheit. Es handelt sich also um eine inhaltlich auf die Gesundheitsfragen beschränkte Sondergruppe von Sprichwörtern, von denen sehr viele auf die hipokratische und verschiedene mittelalterliche medizinische Lehren zurückgehen. Die bisher umfangreichste Sammlung der deutschen medizinischen Sprichwörter ist Seidl's enzyklopädisches Werk Medizinische Sprichwörter (Seidl 2010). In den fast 5000 »volkstümlichen Gesundheitsregeln« sind jeweils eine Vorschrift, ein Verbot, ein Rat, eine Empfehlung zu Fragen der Ernährung, der Psychologie und Physiologie, der Prävention und Hygiene, der Medizin und Mediziner enthalten. Ihre tradierte Überlieferung kann man als eine logische Folgerung der hohen Wertschätzung der Gesundheit verstehen, die nach den Meinungsumfragen bei den meisten Menschen noch immer an erster Stelle steht. Manche medizinische Sprichwörter sind heute fachlich überholt, mache gründen sogar auf falschen physiologischen Vorstellungen. Man kann aber allein daher nicht behaupten, dass 60

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

sie generell überholt wären. Sehr viele sind nämlich noch immer gültig, wie etwa das folgende Sprichwort: Vor dem Schlafen, nach dem Essen Zähneputzen nicht vergessen.

Bei einem kleineren Anteil kann man allerdings auch von Irtümlichkeit oder einer extrem irrationalen Haltung sprechen, vgl. Wer viel schimmlig Brot isst, der wird alt; Wenn's Kind zahnt, soll die Mutter den Unterrock verkaufen, um ihm Wein zu geben; Kinder soll man nicht Engel nennen, sonst sterben sie.

Betrachtet man diese Sprichwort-Gruppe genauer, so kann man auch hier einige typische Struktur-Merkmale beobachten, u.a. gibt es Reihen von Realisierungen typischer syntaktischer Muster (dazu auch in Abschnitt 3.3): wer x, (der) y Wer alt werden will, muss früh damit anfangen; Wer zeitig alt wird, der lebt lange

x ist y Joghurt ist gesund; Geklagtes Leid ist halbes Leid

x macht/machen y Kartoffeln machen dick; Brot macht die Wangen rot

x heilt /vertreibt y Die Zeit heilt alle Wunden; Liebe vertreibt Leid

x ist gut für/gegen/wider y Alkohol ist gut fürs Herz; Eberwurzel ist für alles gut

x hilft gegen/vor/für y Buttermilch hilft gegen Sonnenbrand. 61

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

An manchen Beispielen ist gut sichtbar, dass auch medizinische Sprichwörter sehr variant sein können. So sind (ohne wesentliche Inhaltsfolgen) einzelne Komponenten austauschbar (lexikalische Variabilität) oder sie unterscheiden sich in der syntaktischen Satzstruktur (syntaktisch-syntagmatische Variabilität). Sehr oft hat eine derartige Varianz pragmatische Folgen: so interpretiert man eine Variante als Ratschlag und Empehlung (Ein Apfel am Tag, und du brauchst keinen Arzt), eine andere eher als Vorschrift bzw. Aufforderung (Iss täglich einen Apfel und du bleibst gesund). Das bekannte Sprichwort zur Nützlichkeit und Heilsamkeit des Apfels soll die Neigung zur Sprichwortvariabilität veranschaulichen; Seidl (2010) verzeichnet hierzu sogar 16 variante Formen, einige davon sind Der Apfel macht den Doktor und Apotheker arbeitslos; Ein Apfel kurz vor der Nacht, hat manchen Arzt zum Bettler gemacht; Ein Apfel am Tag, und du brauchst keinen Arzt; Ein Apfel jeden Tag, spart den Gang zum Arzt; Ein Apfel pro Tag hält den Arzt fern; Ein Apfel pro Tag, mit dem Doktor keine Plag; Ein Apfel pro Tag hält gesund und munter; Einen Apfel täglich und keine Krankheit quält dich; Einen Apfel täglich essen und du kannst den Arzt vergessen; Iss täglich einen Apfel und du bleibst gesund; Wer viele Äpfel isst, braucht keinen Arzt.

Neben den Gruppen von synonymen Sprichwörtern wie die aufgezählten Apfel-Sprichwörter findet man auch semantisch widersprüchliche, also antonyme Sprichwort-Paare, vgl. Sport ist Mord, ein wahres Wort!; Treib Sport und du bleibst gesund.

Wie der Sprichwortbestand einer Sprache an sich dynamisch ist, so trifft das auch für medizinische Sprichwörter zu: einige veralten und kommen außer Gebrauch, andere kommen wiederum neu in den Umlauf. Die Letzteren gründen einerseits auf bewährten Struktur-Modellen und andererseits auf immer wieder neuen medizinischen Ansichten, vgl. Salz erhöht den Blutdruck; Sex ist gesund; Fünf am Tag.

Das letzgenannte Beispiel (Fünf am Tag) illustriert eine typische Enstehungsgeschichte von Sprichwörtern. War Fünf am Tag bzw. 5 am Tag zunächst die Empfehlung der Gesundheitsorganisationen (fünf Portionen Obst und Gemüße sollte man pro Tag einnehmen), so wird sie heute als sprichwortähnliche »Wahrheit« in mehreren Sprachen 62

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

akzeptiert und meist als Werbeslogan verwendet (vgl. engl. 5 A Day - For a better Health; slow. Pet na dan).

3.7.4 Wellerismen Der Name Wellersimus entstammt dem Charles Dickens' Roman Pickwick Papers (1837) und bezieht sich auf den Protagonisten Samuel Weller, der sie oft verwendet. Gemeint sind modellhafte Erweiterterungen von Sprichwörtern, wodurch eine in der Regel dreiteilige Struktur entsteht (auch Sagwörter, apologische Sprichwörter, erweiterte Sprichwörter). Den Anfangsteil stellen bekannte Sprichworter, Zitate oder Sprüche dar, darauf folgt die Angabe des Sprechers (oft eine bekannte Figur aus Märchen, Fabeln, Sagen oder stereotype menschlich schwache Person wie der dumme Bauer, die schlampige Frau, der betrügerische Müller u. ä.) und im Schlussteil wird die Situation genannt, in der der Wellerismus geüßert wird;

häufig

geht

es

um

eine

ironisch-groteske

wörtliche

Interpretation

des

Ausgangssprichworts, vgl. Aller Anfang ist schwer, sagte der Dieb und stahl einen Amboß; Alter schützt vor Torheit nicht, sagte die Greisin und lies sich liften; Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, sagte der Ochs, als er gebraten wurde.

Wellerismen haben einen mit den Sprichwörtern nicht völlig vergleichbaren stilistischen Wert. Dadurch, dass die Ausgangssprichwörter ironisiert und relativiert werden, geht ihre Lehrhaftigkeit in der Regel verloren. Sie fungieren nur als Grundlage für humorvolle, ironische, satirische, parodistische oder auch sarkastisch-kritische Bewertung der menschlichen Psychologie und zwischenmenschlicher Beziehungen und ebenso der jeweils aktuellen sozialpolitischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten. Die nachfolgenden Wellerismen stammen vom slowenischen Autor Žarko Petan, der u.a. gerade durch Antisprichwörter bekannt wurde: Blut ist kein Wasser, hat der Fleischhauer gesagt und den Preis für Blutwürste erhöht; Alles fließt, sagte der moderne Heraklit, und ein Installateur ist nicht aufzutreuben.

63

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

3.8 Sprichwortähnliche feste Strukturen

Wie in Abschnitt 3.2 angedeutet, kennen wir einige sprichwortähnlichen Strukturen, die bei der hohen Verwendungshäufigkeit leicht zu den Sprichwörtern übergehen. Das sind Sentenzen, geflügelte Worte, Aphorismen, Maximen und Epigramme. Sehen wir uns ihre wesentlichen Eigenschaften an.

3.8.1 Sentenz Sentenzen (aus lat. sententia 'Meinung, Sinn, Ausspruch') sind kurze, prägnant formulierte Sätze mit philosophisch-literarischem Hintergrund (Sentenz). Der Author und die Quelle sind bekannt. Von den Sprichwörtern unterscheiden sie sich auch inhaltlich: während Sprichwörter sich auf tradierte menschliche Erfahrungen stützen, bringen Sentenzen eine philosophische Betrachtung der Welt hervor. Eine konkrete Situation oder Erkentnis wird in einem kurzen Satz zusammengefasst und zur allgemeinen Bedeutung erhoben. So ist der Satz Axt im Haus erspart den Zimmermann ein Zitat aus Schiller's Werk Wilhelm Tell, aufgrund der häufigen Verwendung, die eine allgemeine Bekanntheit mit sich bringt, kann er jedoch auch als Sprichwort aufgefasst werden.

3.8.2 Geflügeltes Wort Geflügelte Worte (aus gr. epea pteroenta, Buchtitel der Zitatensammlung von Georg Büchmann 1864) sind literarische Zitate, die allgemein verwendet werden und folglich auch als allgemein bekannt einszuschätzen sind. Ihre Quelle (oft klassische Literatur und Bibel) ist nachweisbar, sie wird aber nicht mehr mitgedacht, vgl. Nutze den Tag! (Horaz); Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral (Brecht); Im Westen nichts Neues (Remarque); Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben (Gorbatschow).

Somit nähern sie sich stark den Sprichwörtern. Die meist bekannte und vielfach nachgedruckte und erweiterte Sammlung geflügelter Worte ist das Werk Georg Büchmanns Geflügelte Worte (Erstausgabe 1864, seither immer wieder aufgelegt). 64

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Es ist äußerst schwierig, zwischen Sprichwort, geflügeltem Wort und Sentenz klar zu unterscheiden. Der Satz Wissen ist Macht wird häufig verwendet, was eine allgemeine Bekanntheit mit sich bringt. So könnte man ihn bereits als Sprichwort auffassen, obgleich es sich in der Tat um ein Zitat des englischen Philosophen Francis Bacon (17./18. Jh.) handelt (en. Knowledge itself is power).

3.8.3 Aphorismus Aphorismen (aus. gr. aphorismós 'Abgrenzung, Definition, Lehrsatz') sind kurze, unabhängige, originelle, als eigenständige Texte konzipierte Gedanken. Von einem Sprichwort unterscheidet sich ein Aphorismus dadurch, dass er nicht allgemein bekannte Weisheiten ausdrückt, sondern originelle, autorbezogene, oft subjektive und kritische Urteile, Erkentnise hervorbringt. Aphorismen bestehen aus einem Satz oder, was seltener vorkommt, auch aus mehreren Sätzen. In der Literaturwissenschaft werden sie als eigenständige Gattung mit satirischen, (selbst)ironischen Zügen und typischen Stilmitteln angesehen (Paradoxie, Ironie, Doppeldeutigkeit, Manipulation der phrasologischen und sprichwörtlichen Aussagen). Oft thematisieren sie gesellschaftliche und/oder individuelle Moral und Ethik in politischen, wirtschaftlichen und psychologischen Zusammenhängen. Der erste bekannte Aphoristiker war Hippokrates, bekannt durch seine medizinischen Lehrsätze. Im deutschen Sprachraum sind u.a. folgende Autoren als Aphoristiker bekannt geworden: Georg Christoph Lichtenberg, Marie von Ebner-Eschenbach, Arthur Schnitzler, Johann Wolfgang von Goethe, Theodor W. Adorno, Elias Canetti, Karl Kraus, Franz Kafka, Friedrich Nietzsche, Robert Musil. Ein bekannter slowenischer Aphoristiker ist Žarko Petan, dessen ausgewählte Aphorismen auch in deutscher Fassung vorliegen. Ein Paar seine sollen das Wesen dieser Gattung illustrieren: Wissen ist Macht, Nichtwissen Übermacht; Reden ist Silber, Schweigen ist Karriere; Das Schiff sinkt, die Ratten übernehmen das Kommando.

65

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

3.8.4 Maxime Maximen (lat. maxima 'höchste Regel, oberster Grundsatz, oberste Aussage') werden als Lebensregeln verstanden, die von subjektiven, individuellen Grundsätzen moralischen Handelns ausgehen. Der Unterschied zum Sprichwort besteht hauptsächlich in ihrer fehlenden Geläufigkeit. Besonders stark entwickelt war die Maxime im französischen Sprachraum zur Zeit der Moralistik als philosophische Gattung (La Rochefoucauld, 17. Jh.) und im deutschsprachigen Raum beim Philosophen Immanuel Kant (kategorischer Imperativ als grundlegendes Prinzip der Ethik, 18. Jh.). Zu den bekanntesten deutschen Maximensammlungen zählt das Werk Goethes Maximen und Reflektionen (1833), dem folgende Beispiele entstammen: Wer streiten will, muss sich hüten, bei dieser Gelegenheit Sachen zu sagen, die ihm niemand streitig macht; Gar selten tun wir uns selbst genug, desto tröstender ist es, andern genug getan zu haben; Zuerst belehre man sich selbst, dann wird man Belehrung von andern empfangen.

3.8.5 Epigramm Epigramme (gr. epigramma 'Inschrift, Aufschrift') gehören primär zu den literarischen Gattungen. Sie haben eine typische formale Struktur (meist Distichon, ein Verspaar, bestehend aus einem Heksameter und einem Pentameter) und sind betitelt. Wesentliche inhaltliche Teile des Epigramms sind Erwartung und Aufschluss, wobei die Erwartung durch einen scheinbaren und rätselhaften Widerspruch genannt wird und der Aufschluss durch eine überraschende Deutung des Sinnes zum Ausdruck kommt. Inhaltlich sind sie mit Aphorismen vergleichbar, nur haben sie eine Gedichtform. Epigramme entahlten oft modifizierte Sprichwörter, sie erreichen aber meist keine hohe Gebrauchshäufigkeit, sodass der Übergang zum Sprichwort eher selten vorkommt. Im deutschsprachigen Raum sind sie u.a. bei Heinrich von Kleist, Johann Wolfgang von Goethe, Friederich Schiller, Franz Grillparzer, Erich Kästner zu verfolgen. Das nachfolgende Epigramm von Erich Kästner soll das Gesagte illustrieren: 66

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Auch eine Auskunft Ein Mann, von dem ich wissen wollte warum die Menschen einander betrügen, sprach: "Wenn ich die Wahrheit sagen sollte, müßt ich lügen." (E. Kästner)

Weiterführende Literatur (Auswahl) Eine bibliographische Übersicht über die Forschung im Bereich der Parömiologie (und Phraseologie) gibt Mieder (2009); die Literaturliste enthält mehr als 10 000 Einträge mit erklärenden Stichwort-Annotationen. Verzeichnet werden Forschungspublikationen, erschienen bis 2007. – In Röhrich/Mieder (1977) werden die wichtigsten SprichwortAspekte angesprochen (Definition, Herkunft, Form, Funktionen) und grundlegende Sprichwortsammlungen dargestellt. – Mieder (1995) ergibt einen Einblick in die traditionelle und innovativ-kreative Verwendung von Sprichwörtern und Zitaten, wie diese sich in den Medien, in der schönen Literatur und in der Werbung zeigt. Für slowenische Leser ist die Studie zu den sprichwörtlichen Aphorismen von Žarko Petan von besoderem Interesse. – Anhand der deutschen und slowakischen Sprichwörter bespricht Durčo (2005) die gängigen Methoden der Sprichwortanalysen sowie einige Aspekte der kontrastiven Sprichwortforschung. – Lee (2005) ist eine vergleichende Studie zu deutschen und chinesischen Sprichwörtern; interessant wegen dem Vergleich zweier sprachtypologisch und kulturell extrem unterschiedlicher Sprachen und Kulturen. – Umurova (2005) gibt einen Einblick in den gegenwärtigen Sprichwortgebrauch in modernen Medien.

67

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

4 Phraseologie im Sprachenlernen

INHALT UND ZIELE Das Thema dieses Kapitels sind Fragestellungen, bezogen auf die Stellung der Phraseologie im (fremd)sprachlichen Sprachenlernen und Sprachenunterricht. Verschiedene linguistische, kognitive und sprachdidaktische Stellungen dazu werden dargelegt und Argumente für die Einbeziehung der phraseologischen Inhalte in Sprachlernprozesse erläutert. Anschließend werden Vorschläge zur künftigen Planung und Durchführung des fremdsprachlichen Unterrichts mit Blick auf die Phraseologie unterbreitet Wenn sie das Kapitel gründlich durcharbeiten, so werden sie die Phraseologie als sprachdidaktisches Thema kennen lernen, die wichtigsten Argumente für ihren Einsatz als Lehr- und Lerngegenstand und notwendige sprachdidaktische Folgen interpretieren können. Im folgenden Kapitel werden Fragen zur Einbeziehung der phraseologischen Inhalte in das Sprachenlernen, in erster Linie in das Lernen und Lehren von Fremdsprachen, besprochen. Im Vordergrund stehen prinzipielle allgemeine Überlegungen zu methodisch-didaktischen Fragestellungen zum Thema Phraseologie im Sprachenlernen.

4.1 Phraseologie als Lern- und Lehrgegenstand

Fakt ist, dass Phraseme zum lexikalischen Inventar einer jeden natürlichen Sprache gehören, dass sie etablierte Elemente des Sprachsystems (Langue) sind und dass sie folglich den Sprachgebrauch (Parole) ausschlaggebend mit konstituieren. Das gilt sowohl für die Phraseologie im engeren Verständnis (satzgliedwertige idiomatische Wortverbildungen) als auch für die Phraseologie im weiteren Sinn (satzwertige Phraseme wir z.B. Sprichwörter, Zitate u.dgl.). Das gesamte Spektrum der Phraseologie ist in der gegenwärtigen Kommunikation aktuell, lebendig und produktiv. Umfangreiche Textkorpora, die uns für eine analytische

Beobachtung

des

schriftlichen

(und

neuerdings

auch

mündlichen)

Sprachgebrauchs in vielen Sprachen zur Verfügung stehen, zeugen deutlich davon, wie lebendig Phraseme sind und wie vielfältig sie in verschiedenen Bereichen der 68

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Kommunikation vorkommen können. Ihr gegenwärtiger Gebrauch ist keineswegs nur auf die schöngeistige Literatur und gehobene kommunikative Situationen beschränkt, was hie und da noch immer zu hören ist; als durchaus aktuelle, potente und flexible Sprachmittel bestätigen sie

sich gleicherweise

in Textsorten und Domänen der

modernen

massenmedialen und digitalisierten Kommunikation. Sie bleiben somit feste Bestandteile des aktuellen Sprachgebrauchs, was die Annahme erlaubt, dass Sprecher sie als wirksame Sprachmittel empfinden und mehr oder weniger gezielt und absichtlich verwenden. Es wäre somit zu erwarten, dass der phraseologischen Redeweise eine besondere didaktische Aufmerksamkeit geschenkt wird, dies sowohl beim muttersprachlichen als auch beim fremdsprachlichen Sprachenunterricht bzw. Sprachenlernen. Dem ist allerdings meist nicht so (Jesenšek 2008, Hallsteinsdóttir 2011, Kacjan 2012, Kacjan/Kralj 2011, Jazbec/Enčeva 2012). Bereits ein paar kleinere Analysen geläufiger Lehrwerke zum Deutsch als Fremdsprache zeigen nämlich, dass die Phraseologie in quantitativer Hinsicht gering und in qualitativer Hinsicht weniger systematisch behandelt wird (Jesenšek 2000, Jazbec/Enčeva 2012). Zudem vertritt die fremdsprachliche Didaktik zur Ermittlung von Phraseologie nach wie vor verschiedene, mitunter sogar konträre und extrem polarisierte Meinungen (Hallsteinsdóttir

2001

und

2011).

Einige

meinen,

die

Phraseologie

sollte

im

fremdsprachlichen Unterricht nicht unbedingt ein Thema sein, da sie auch sonst etwas ist, ohne dessen man in der Alltagskommunikation auskommen kann. Sie sei demnach ein Ornament, ein Luxus, die Würze einer Sprache, aber verzichtbar. Darüber hinaus sei sie einzelsprachspezifisch, die Eigenart einer jeden einzelnen Sprache, und somit auch nur schwer oder sogar unübersetzbar und zwischensprachlich nicht vergleichbar. Wenn überhaupt, sollten sich Fremdsprachenlerner mit der Phraseologie erst in späteren Lernphasen befassen. Eine gegensätzliche Meinung dazu ist, dass das Erlernen von Phraseologie

»eine

grundlegende

Voraussetzung

der

Sprachbeherrschung

ist«

(Hallsteinsdóttir 2001, 3), und je mehr man von der fremdsprachlichen Phraseologie kennt, desto besser man ist in der Beherrschung der fremden Sprache (Hessky 1997).

69

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Es ist wahrscheinlich weniger angebracht, derartige Oppositionen in einer so extremen Weise zu vertreten, da sie einander ausschließen und keine weiteren Positionen erlauben. Ein mittlerer Weg wäre dabei vielleicht besser. Mittlerer Weg heißt allerdings nicht einfach, eine Zwischenposition zu vertreten, also weder hier noch dort zu sein. Auf die Phraseologie bezogen bedeutet ein mittlerer Weg vor allem Flexibilität und Dynamik. Das ist deshalb notwendig, weil sowohl der Status von Phraseologie im sprachlichen System als auch der Gebrauch von Phrasemen in der alltäglichen Kommunikation von mehreren und vielfältigen Faktoren abhängig sind. Einerseits spielen einzelsprachspezifische Faktoren eine wichtige Rolle; die gelten innerhalb einer Sprache und bestimmen die phraseologische Typologie mit. Andererseits sind Faktoren von Bedeutung, die außerhalb des Sprachsystems begründet sind; es sind das kontextuelle, soziale und pragmatische Umstände, die die Verwendung von Phraseologie in verschiedenartigen Sprech- und Schreibsituationen beeinflussen. Aus dieser Perspektive können allerdings keine generell und allgemein gültigen Rezepturen für die Behandlung der Phraseologie im Sprachenlernen festgelegt werden. Es lassen sich aber auch Positionen nicht vertreten, die sich nur auf eine einzelne Sprache isoliert beziehen würden – gerade in gegenwärtiger Zeit ist das nicht angebracht, wo Sprachen (und ihre Sprecher) ständig und massiv mit anderen Sprachen (und Sprechern) konfrontiert sind. Dementsprechend wird im Folgenden die Auffassung vertreten, dass der Phraseologie im gesamten Sprachenlernen von Anfang an einen festen Platz einzuräumen ist (vgl. ähnliche Positionen bei Kühn 1992, Hallsteinsdóttir 2001 und 2011, Jesenšek 2008 und 2013). Eine systematische Förderung der passiven und ebenso auch der aktiven phraseologischen Kompetenz beim Sprachenlernen ist notwendig, um einigen deklarierten Zielen des Fremdsprachenlernens gerecht zu werden. Dabei spielt der handlungsorientierte Ansatz im Fremdsprachenunterricht eine bedeutende Rolle, wonach das Ziel verfolgt wird, »mit Anderssprachigen verständlich und erfolgreich zu kommunizieren«. Nichtsdestoweniger sind aber auch kulturelle Ziele des Fremdsprachenlernens wichtig, wonach der Lernende dazu befähigt wird, »auch in der eigenen Kultur das Andere zu entdecken und mit Fremdem umzugehen« (Glaboniat et al., 2005). Klar ist, dass sich aus einer solchen Position zum Status 70

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

der Phraseologie im Sprachenlernen mehrere Schlussfolgerungen ableiten lassen. Sie betreffen die gesamte (synchronisierte) Planung des Sprachen-Unterrichts, ebenso Fremdsprachenlehrerausbildung und genauso Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien, was im weiteren Text noch angesprochen wird.

4.2 Argumente für die Integration der Phraseologie in das Fremdsprachenlernen

Argumente, die für eine intensive und systematische Einbeziehung der Phraseologie in das gesamte Sprachenlernen sprechen, sind mehrere. Die wichtigsten werden hier in ihren Wesenszügen dargelegt.

Argument 1: Phraseologische Redeweise ist Normalfall der geschriebenen und gesprochenen Sprache Phraseologische Redeweise ist ein Normalfall der geschriebenen und gesprochenen Sprache. Phraseme konstituieren den Sprachgebrauch in verschiedenen Kontexten wesentlich mit. Dies gilt sprachenübergreifend und ist primär darin begründet, dass die Phraseologie weitgehend auf Prozessen der Metaphorisierung beruht. Wie man weiß, waren Metaphern immer schon eine übliche Art der Versprachlichung umweltlicher Umstände, menschlicher Eigenschaften und Verhaltensweisen. Es ist deutlich, dass der Mensch die Welt auf der Basis seiner naiven nicht-wissenschaftlichen Vorstellungen und Erfahrungen wahrnimmt und sie dann nach Ähnlichkeitsprinzipien ordnet, systematisiert und zu verstehen versucht. Man nennt dies Konzeptualisierung. Wahrnehmungskonzepte werden versprachlicht und man kann sie anhand der Bedeutung sprachlicher Einheiten interpretieren. Illustrieren wird diese Feststellung mit einem einfachen Beispiel: Der Wal wird von den meisten Menschen bzw. überwiegend als Fisch wahrgenommen, obgleich die Zoologie nicht derselben Meinung ist – Wale sind nämlich Säugetiere. Die naive, 71

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

nichtwissenschaftliche Fisch-Vorstellung ist jedoch so verbreitet, dass sie bis in die Bedeutungserläuterungen

eines

Wörterbuchs

greifen:

laut

Duden

online

(allgemeinsprachliches einsprachiges deutsches Wörterbuch) ist der Wal »ein größerer, plump aussehender Mittelmeerfisch«. Im Hintergrund einer derartigen Semantisierung steht das Konzept WAL IST FISCH. Und von solchen Aussagen ist nicht weit zu der Schlussfolgerung, dass etwa das Lexem Hand, slow. roka, welches als Komponente zahlreicher Phraseme in vielen Sprachen vorkommt, mehrere Konzepte versprachlicht, vgl. Hand ist Arbeit, Hand ist Werkzeug, Hand ist Macht, Hand ist Einfluss u.a. (Jesenšek 2008).

Psychologisch-kognitiv ausgerichtete Linguistik liefert wichtige Erkenntnisse über Prinzipien der Semantisierung und Mechanismen der sprachlichen Benennungsprozesse. Man kam zur Feststellung, dass diese hochgradig universell und sonach übereinzelsprachlich erklärbar sind. So ist zum Beispiel bekannt, dass in den meisten modernen Sprachen bestimmte Lexeme phraseologisch aktiver sind als andere. Zu den aktiveren gehören unter anderem Benennungen der Körperteile wie dt. Hand und slow. roka. Es handelt sich um eine primär biologisch-anthropologisch begründe Tatsache, denn die Hand ist eine Besonderheit des Menschen per excellence. Davon abhängig sind mehrere phraseologisch-metaphorische Bedeutungen des Lexems Hand. Es handelt sich folglich über quasi sprachlich universelle und nicht einzelsprachspezifische Bedeutungskomponente des Lexems Hand. Die Hand funktioniert als Werkzeug, Instrument, Waffe, das Lexem Hand symbolisiert Arbeit, Tätigkeit, Hilfe, aber auch Macht, Einfluss, Autorität, Leitung, Überlegenheit, wie zahlreiche Verwendungsbeispiele der Phraseme mit der Komponente Hand zeigen. Die zugrunde liegende Metaphorik ist zunächst biologisch und kognitiv begründet, folglich sozial verbreitet und somit in der Kultur des Sprechers geankert. Derartige Metaphern sind primär auf einen Kulturraum und nicht auf eine einzelne Sprache gebunden. Diese sprachenübergreifende bzw. außersprachliche Eigenschaft kann zwischensprachliche Beziehungen

intensivieren

und

dadurch

phraseologischen Konvergenz zur Folge haben.

72

Förderung

der

zwischensprachlichen

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Psychologisch-kognitive Phraseologieforschung geht von zwei grundlegenden Prämissen aus: -

der Mensch nimmt die Welt auf der Basis seiner naiven nicht-wissenschaftlichen Erfahrungen

wahr

und

ordnet,

kategorisiert,

konzeptualisiert

sie

nach

Ähnlichkeitsprinzipien und -

die Sprache spiegelt im Prinzip die Wahrnehmungskonzepte wider, zugleich trägt sie aber zu ihrer Gestaltung bei.

Wahrnehmungskonzepte werden versprachlicht und sind somit an der Bedeutung sprachlicher Einheiten interpretierbar. In phraseologischen Strukturen scheinen semantisch dominante

Phrasemkomponenten die Verbindung zwischen

Konzept und

seiner

Versprachlichung herzustellen. Analysiert man lexikographische Bedeutungsbeschreibungen einiger Phraseme mit Hand bzw. roka in ausgewählten Wörterbüchern, so kann man daraus Folgendes herleiten: -

Arbeit als Lebensunterhalt von der Hand in den Mund leben, slow. živeti iz rok v usta von seiner Hände Arbeit leben, slow. živeti od dela svojih rok

-

Bezug auf die Arbeit, Tätigkeit im weiteren Sinne alle/beide Hände voll zu tun haben, slow. imeti polne roke dela in die Hände spucken, slow. pljuniti v roke freie Hand haben/freie Hand jmdm. lassen, slow. imetiproste roke/pustiti komu proste roke jmdm. sind die Hände und Füße gebunden, slow. imeti zvezane roke (in noge) gebundene Hände haben, slow. imeti zvezane roke

-

Instrument, Werkzeug, Verhältnis zur Arbeit mit beiden Händen zugreifen, slow. zgrabiti z obema rokama eine glückliche Hand haben, slow. imeti srečno roko 73

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

eine unglückliche Hand haben, slow. imeti nesrečno roko jmdm. geht etw. (leicht/gut) von der Hand, slow. kaj gre komu (dobro) od/izpod rok mit der linken Hand, slow. z levo roko zwei linke Hände haben, slow. imeti dve levi roki

-

Kampf, Gewalt Hand an jmdn. legen, slow. položiti roko na koga Hand an sich legen, slow. položiti roko nase

-

Hilfe, Zusammenarbeit Hand in Hand arbeiten, slow. delati z roko v roki Hand in Hand gehen, slow. iti z roko v roki jmdm. zur Hand/an die Hand gehen, slow. iti komu na roko/na roke (jmds.) rechte Hand (sein), slow. (biti) desna roka (koga/čigava) Eine Hand wäscht die andere, slow. Roka roko umije seine/die Hand von jmdm. abziehen, slow. odtegniti roko komu

-

Sicheinsetzen, Schutz, Haftung für jmdn./etw. die/seine Hand ins Feuer legen, slow. dati roko v ogenj za koga/kaj sich für jmdn./etw. die Hand abhacken/abschlagen lassen, slow. dati/pustiti si roko odrezati za koga/kaj seine/die Hand über jmdn. halten, slow. držati roko nad kom/čim

-

Macht, Einfluss, Leitung, Autorität jmdn./etw./sich in der Hand haben, slow. imeti v rokah koga/kaj/se die/seine Hand auf jmdn./etw. haben/halten, slow. imeti/držati roko nad kom/čim in jmds. Hand/Händen sein, slow. biti v rokah (čigavih/koga) 74

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

in sicheren/guten/schlechten Händen sein, slow. biti v varnih/dobrih/slabih rokah die/alle Fäden in der/seiner Hand haben/halten, slow. imeti/držati vse niti v (svojih) rokah die Zügel in der Hand haben/halten, slow. imeti vajeti v rokah jmdn./etw. in die Hand/in die/seine Hände bekommen/nehmen, slow. dobiti/vzeti v (svoje)roke koga/kaj jmdm. in die Hände fallen/kommen, slow. priti/pasti v roke (čigave/kakšne/komu) jmdm. jmdn./sich/etw. in die Hand geben, slow. dati v roke (komu koga/sebe/se/kaj) in jmds. Hand/Hände übergehen, slow. preiti v roke (čigave/koga) die Hand/Hände nach jmdm./etw. ausstrecken, slow. stegniti/stegovati roke po kom/čem etw. aus der Hand geben, slow. dati iz rok kaj jmdm. etw. aus der Hand nehmen, slow. vzeti iz rok komu kaj von Hand zu Hand gehen, slow. iti/prehajati iz rok v roke durch jmds. Hand/Hände gehen, slow. iti skozi roke (čigave/koga)

-

Entfernung zur Hand sein, slow. biti pri roki etw./jmdn. bei der Hand/zur Hand haben, slow. imeti pri roki kaj/koga.

Es tritt deutlich hervor, dass die gemeinsame semantisch dominante Phrasemkomponente Hand bzw. roka der Versprachlichung folgender Konzepte dient: Hand ist Arbeit, Hand ist Werkzeug, Hand ist Macht, Hand ist Einfluss, Hand ist Hilfe.

Laut der Theorie der kognitiven Metapher (Lakoff) sind das konzeptuelle Metaphern. Die Metaphorisierung

basiert

offensichtlich

auf

funktionalen

und

topographischen

Bedeutungsdimensionen der Lexeme Hand und roka. Dabei überwiegen funktional75

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

motorische im Sinne 'halten' bzw. 'Halten' und 'arbeiten'/'tätig sein' bzw. 'Arbeit'/'Tätigkeit'. Wenn die Hand das primäre und elementare Arbeitsgerät sowie die elementare Waffe ist, dann ist die Annahme plausibel, dass 'Arbeit', 'Tätigkeit', 'Verhältnis zur Arbeit', auch 'Kampf' als idiomatische Bedeutungsdimensionen des Lexems Hand auf der konzeptuellen Metaphern HAND IST ARBEIT, HAND IST WERKZEUG, HAND IST MACHT basieren. Die Phraseologische Redeweise ist also begründet in der Art, wie der Mensch seine Umwelt und sich selbst wahrnimmt, wie er diese Wahrnehmungen zu verstehen versucht und wie es sie versprachlicht. Damit wird die Phraseologie zu einem nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil der alltäglichen sprachlichen Kommunikation und somit zu einem unabdingbaren Element des Sprachenlernens.

Argument 2: Phraseologische Redeweise ist seit frühen Erwerbsphasen Bestandteil des individuellen Lexikons eines jeden Sprechers Phraseme sind im individuellen Gedächtnis eines Menschen verankert und zwar schon seit sehr frühen Phasen des muttersprachlichen Spracherwerbs. Nach Ergebnissen der Spracherwerbsforschung folgt die Entwicklung der muttersprachlichen phraseologischen Kompetenz der allgemeinen kognitiven Entwicklung, sodass Kinder schon sehr früh, etwa im Kindergartenalter, Phraseologie verstehen und gebrauchen können (Häcki Buhofer 1997). Phraseme werden somit nicht erst in einer relativ späten Entwicklungsstufe des Spracherwerbs verstanden und gelernt, was die so genannte Entwicklungsstufen-These behauptet und auch in der Fremdsprachendidaktik nicht selten vertreten wird. Es konnte nämlich nachgewiesen werden, dass man sie in der Muttersprache in jeder Entwicklungsstufe erwirbt. Plausibel ist dementsprechend die Lexikon-These zum Phraseologie-Erwerb (laut Häcki Buhofer 1997), die besagt, dass Phraseme einzeln und genauso wie Wörter erworben/gelernt werden, nur müssen sie in genügend großen Kontexten eingebettet vorkommen – was aber sowieso eine natürliche Sprechsituation ist. Das heißt weiterhin, dass die Kinder sich dabei in der Regel keine expliziten Gedanken machen über spezielle phraseologische Strukturen und Bedeutungen. Phraseme werden 76

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

weitgehend sofort in ihrem phraseologischen/idiomatischen Sinn verstanden/erworben. Doppeldeutige Phraseme, das sind solche, die eine wörtliche und eine idiomatische Lesart zulassen, werden in ihrer phraseologischen Lesart sogar schneller als in ihrer wörtlichen Bedeutung verstanden. Die Aneignung von muttersprachlicher Phraseologie verläuft parallel mit der Aneignung von Einzelwörtern und ist nicht an ein bestimmtes Alter bzw. an eine höhere kognitive Entwicklungsstufe gebunden. Auch aus psychologisch-kognitiven Gründen wäre also angemessen,

die

Phraseologie

didaktisch

entsprechend

aufzufassen

und

als

Unterrichtsgegenstand zu etablieren (Hessky 1997; Jesenšek 2008, 2011, 2013). Aus kognitiver Sicht ist es also nicht gerechtfertigt, Phraseme als Extreme und/oder exotische Besonderheiten im Wortschatz zu behandeln, aber auch nicht als etwas, was an sich eine sprachliche Besonderheit und Eigenartigkeit einer jeden einzelnen Sprache wäre, weswegen man sie beim fremdsprachlichen Unterricht entweder vernachlässigen oder auf spätere Phasen des Lernens verschieben oder sogar von den Lerninhalten ausklammern könnte oder sollte.

Argument 3: Phraseologische Redeweise ist eine der universellen Charakteristika natürlicher Sprachen Die phraseologische Ausdrucksweise gehört zu den universellen Eigenschaften natürlicher Sprachen. Phraseologisierungsprozesse gehören weitgehend zu sprachlichen Universalien, was u.a. zur Folge hat, dass zwischen Sprachen relativ viele Phraseme hochgradig übereinstimmen. Die formale (und weitgehend auch semantische) zwischensprachliche Konvergenz gilt oft für Phraseme, die als Komponente eine Körperteilbenennung haben, wo die Metaphorisierung auf biologischen Gegebenheiten und menschlich universellen Welterfahrungen basiert und somit nicht als einzelsprachspezifisch gedeutet werden kann. Ebenso beobachtet man sie bei den Phrasemen, die in einer gemeinsamen (europäischen) Kultur wurzeln, von der klassischen Literatur ausgehen oder durch Massenmedien verbreitet werden. Solche Phraseme überschreiten die Grenzen einzelner Sprachen leicht. Somit ist 77

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

nicht generell die Meinung zu teilen, dass die Phraseologie zur Eigentümlichkeit und Spezialität einer jeden einzelnen Sprache gezählt wird.

Argument 4: Phraseologie in zwischensprachlichen Beziehungen Es ist längst anerkannt, dass die Muttersprache im Prinzip immer ein wichtiger Faktor beim Fremdsprachenlernen ist, auf den man als Lerner greift, bewusst oder unbewusst und auch nicht nur in den Anfangsphasen des Fremdsprachenlernens. So kam auch Hallsteinsdóttir (2001) zum Schluss, dass der bekannten muttersprachlichen Phraseologie eine entscheidende Rolle beim Verstehen fremdsprachlicher Phraseme zukommt. Ihre Untersuchung zum Deutsch als Fremdsprache bestätigt deutlich, dass die phraseologischen Kenntnisse in der Muttersprache auf fremdsprachliche Phraseologie übertragen werden und dadurch die Grundlage für das Verstehen fremdsprachlicher Phraseme bilden. In fremdsprachlichen Lernprozessen entsteht somit im Sprachbewusstsein der Lerner ein System von lexikalischen Korrelationen zwischen Sprachen, die parallel als zwei lexikalische Systeme nebeneinander vorhanden sind (Ďurčo 2005). Man kann folglich annehmen, dass im individuellen Wortschatz der Fremdsprachenlerner zunächst Beziehungen im Bereich der zwischensprachlichen phraseologischen Übereinstimmungen (Konvergenzen) hergestellt werden,

sodass

die

fremdsprachliche

Phraseologie

von

der

äquivalenten

und

möglicherweise konvergenten muttersprachlichen Phraseologie gestützt wird. In den Anfangsphasen des Fremdsprachenlernens sind derartige zwischensprachliche Bezüge noch besonders wichtig und ausgeprägt. Der Lerner identifiziert und entschlüsselt das fremdsprachige Phrasem, indem er Analogien zieht und Hilfe sucht beim schon Bekannten, und das ist in erster Linie seine Muttersprache, möglicherweise aber auch entsprechende Kenntnisse anderer Fremdsprachen. Vgl. Hallsteinsdóttir (2001, 300): »Die Übertragung der muttersprachlichen phraseologischen Kompetenz auf Fremdsprachen bedeutet, dass Fremdsprachler über Strategien verfügen, die ihnen die Konstruktion einer phraseologischen Bedeutung bei nichtlexikalisierten muttersprachlichen und demzufolge auch bei unbekannten fremdsprachlichen Phraseologismen ermöglichen.« 78

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Gewinnbringend in Richtung des positiven Transfers (positive Auswirkung auf Lernerfolg) können hierbei die so genannten absoluten/totalen Äquivalente (Äquivalenz) fungieren. Dass derartige Übereinstimmungen nicht auszuschließen ist, zeigen Ergebnisse mancher kontrastiver Arbeiten zur Phraseologie europäischer Sprachen (Hessky 1997, Jesenšek 2008, Piirainen 2012). Natürlich können zwischensprachliche phraseologische Beziehungen auch negativen Transfer auslösen, also Interferenzstörungen verursachen, jedoch eher bei solchen Phrasemen, die zwischensprachlich mehrere formale und/oder semantisch-pragmatische Unterschiede aufweisen, also bei partiellen Äquivalenten. Schließlich ist festzustellen, dass nur diejenigen Phraseme, die zwischensprachlich gar keine phraseologischen Äquivalente nachweisen können (die so genannte Null-Äquivalenz), als einzelsprachliche Besonderheit interpretiert werden können. Die phraseologische Transfer-Geschichte möge in das Fremdsprachenlernen mehr Gewinn einbringen, als dies in der Didaktik üblicherweise behauptet wird. Die muttersprachlichen phraseologischen Kenntnisse sollten deshalb intensiver ausgenutzt werden. Dafür sprechen zunächst phraseologisch-theoretische Gründe, da Phraseologien verschiedener Sprachen viel mehr Gemeinsames aufweisen als traditionell behauptet worden ist; ebenso von Bedeutung sind psychologisch-kognitive Gründe, wonach Phraseme seit sehr frühen Phasen des muttersprachlichen Spracherwerbs ein regelrechter Bestandteil des Wortschatzes sind, weswegen sie als Normalfall der Rede gelten müssen. Nicht zuletzt hat die Kontrastierung der Fremdsprache mit der jeweiligen Muttersprache eine intensivere Beschäftigung mit der letzteren zur Folge, was an sich als positiv einzuschätzen ist.

4.3 Konsequenzen für das Fremdsprachenlernen

Konsequenzen, die sich aus dem Gesagten ziehen lassen, sind methodisch-didaktischer und praktischer Art und betreffen das Fremdsprachenlernen in mehrerer Hinsicht. Sie zielen sowohl auf das individuelle und/oder das institutionelle Fremdsprachenlernen als auch auf die gesamte Planung des Sprachen-Unterrichts. 79

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

4.3.1 Methodisch-didaktische Konsequenzen

Synchronisierte Planung des (fremdsprachlichen) Sprachenunterrichts im Bereich Phraseologie Es wurde darauf hingewiesen, dass in einigen kommunikativen Bereichen viele hochgradig konvergente Phraseme vorliegen. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen der Muttersprache des Lernenden und der jeweiligen Fremdsprache, mit der er sich auseinandersetzt. Im fremdsprachlichen Unterricht sollte dieser Tatsache stärker als bisher Rechnung

getragen

werden,

da

hochgradig

konvergente

Strukturen

im

Fremdsprachenlernen in der Regel positiven Transfer auslösen. In methodisch-didaktischer Hinsicht wäre deshalb eine generelle inhaltliche Synchronisierung des gesamten Sprachenunterrichts gewinnbringend. Bestehende

Kenntnisse

der

muttersprachlichen

Phraseologie

sollten

beim

fremdsprachlichen Unterricht sinnvoll und nutzbringend mit dem Phänomen der relativ hohen phraseologischen Konvergenz zwischen Sprachen verbunden werden. Dabei scheint in erster Linie die Auswahl der zu behandelnden Phraseme wichtig zu sein. Die Phraseme sollte man so auswählen, dass man dabei die phraseologische Situation in der jeweiligen Lerner-Muttersprache mit berücksichtigt. Mehr noch: Hauptsächlich sollte man von der Muttersprache ausgehen. Das bedeutet, dass diejenigen Phraseme in fremdsprachlichen Lernprozessen den Vorrang haben, für die es in der Muttersprache konvergente Strukturen gibt. Die Schwierigkeitsprogression entwickelt sich somit von den so genannten guten phraseologischen Freunden (Phraseme mit struktureller und inhaltlicher Übereinstimmung) über eventuelle falsche phraseologische Freunde (Phraseme mit struktureller Deckung, jedoch mit fehlender semantischer Äquivalenz oder umgekehrt) bis zu den fremdsprachigen Phrasemen, die in der Lerner-Muttersprache eine strukturell und bildlich völlig unterschiedliche oder sogar keine phraseologische Systemäquivalenz nachweisen können.

80

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Entwicklung phraseologischer Lehr- und Lernmaterialien Wird der Faktor Muttersprache als eine wesentliche Größe verstanden, die das Fremdsprachenlernen linguistisch und psychologisch in allen Lernstufen mitbestimmt, so ist dem auch didaktisch nachzugehen, und zwar so, dass ausführliche und didaktisch aufbereitete sprachvergleichende Beschreibungen von Phraseologie entwickelt und erarbeitet werden. Es sind dabei solche vom Nutzen, die ausgewählte Bereiche der jeweiligen muttersprachlichen Phraseologie den entsprechenden fremdsprachlichen gegenüberstellen und dadurch auf Übereinstimmungen und Unterschiede deutlich aufmerksam machen. So ist dem Fremdsprachenlernenden ständig die Möglichkeit gegeben, auf

die

muttersprachliche

Phraseologie

zuzugreifen.

Weiterhin

sollten

solche

Lernmaterialien didaktisch aufbereitet werden, denn pure Angaben von anderssprachigen (fremdsprachigen) Äquivalenten genügen im Fremdsprachenlernen weniger oder überhaupt nicht. Zur Entwicklung einer aktiven phraseologischen Kompetenz benötigt der Lernende ausführliche Informationen zur Semantik, Grammatik und Pragmatik der ausgewählten Phraseologie. Hinsichtlich der Kriterien, nach denen man didaktisch relevante Phraseologie auswählt, ist weiterhin sehr wichtig, dass die selektionierten Phraseme im täglichen muttersprachlichen Sprachgebrauch auch aktuell und geläufig sind. Es hat ja nur wenig Sinn, wenn veraltete und wenig geläufige Phraseme im Fremdsprachenlernen thematisiert werden. Ebenso beeinflusst die Geläufigkeit das Verstehen von fremdsprachlichen Phrasemen wesentlich, eben nach dem Motto: Je öfter man ein Phrasem zu hören oder zu lesen bekommt, desto leichter und schneller versteht und erlernt man ihn. Darüber hinaus können Phraseme nur dann als didaktisch relevant gelten, falls sie in didaktisch relevante thematische Felder eingebettet werden können, womit sie an kommunikativer Brauchbarkeit gewinnen. Für eine systematischere und effektive Entwicklung der phraseologischen Kompetenz ist weiterhin notwendig, dass die Phraseologie prinzipiell in genügend großen Kontexten, das heißt in textuellen und somit funktionalen Zusammenhängen behandelt wird. Dies deshalb, weil Phraseme in der Rede, im Sprachgebrauch ja prinzipiell im Text eingebettet und nicht 81

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

isoliert vorkommen und auch deshalb, weil der entsprechende Kontext beim Verstehen bzw. bei der Konstruktion der Bedeutung Hilfe leistet (Hallsteinsdóttir 2001). Eine textisolierte Behandlung von Phrasemen würde dagegen eine künstliche, unnatürliche Situation herbeiführen, ähnlich einer isolierten Nachschlagehandlung in einer Wörterbuch-Situation. Und nicht zuletzt kann man sich auf die Wörterbücher und ihre Behandlung der Phraseologie nicht immer vollständig verlassen.

4.3.2 Praktische Konsequenzen Praktische Konsequenzen einer derartigen theoretischen und methodisch-didaktischen Haltung sind wiederum mehrere und verschiedene:

Konsequenzen in der Fremdsprachenlehrerausbildung Phraseologie als selbständiges Studienfach sollte zum festen Bestandteil der universitären Ausbildung in Lehramt-Studienprogrammen und zum Inhalt der Fortbildungs- und Weiterbildungsprogramme für Sprachenlehrer werden. Das ist zurzeit im europäischen Germanistik-Studium nicht unbedingt und nicht immer der Fall. Dies wäre eine wichtige Aufgabe der gerade aktuellen universitären Bildungsreform in Europa.

Konsequenzen in der Lehr- und Lernmaterialentwicklung Entsprechende kontrastiv und didaktisch ausgerichtete Beschreibungen der Phraseologie, die eine Fremdsprache der jeweiligen Muttersprache des Fremdsprachenlerners gegenüberstellen, sind zu erarbeiten, da erst diese eine fachlich gesicherte Grundlage für eine optimale Festlegung der phraseologischen Inhalte im Fremdsprachenlernen darstellen. Darüber hinaus müssten diese eventuelle Besonderheiten in zwischensprachlichen phraseologischen Beziehungen berücksichtigen, was notwendigerweise zur Folge hat, dass die fremdsprachendidaktisch relevanten phraseologischen Inhalte nicht universell für alle Sprachen festgelegt werden können, sondern dass sie regionalisiert werden müssen. Dies ist 82

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

die Aufgabe der Phraseologen, die kontrastiv arbeiten und Lexikographen, die zwei- oder mehrsprachige Wörterbücher, Datenbanken und/oder andersartige Lernmaterialien entwickeln.

Konsequenzen in der FS-Planung und Festlegung von Curricula Eine integrative, fächerübergreifende Koordination der Lerninhalte ist notwendig, die jedoch nicht bei den Fremdsprachen stehen bleibt, sondern unbedingt auch die jeweilige Muttersprache

mit

einbezieht.

Dies

ist

die

Aufgabe

der

Sprachenlehrer

und

Sprachendidaktiker, da eigentlich nur diese für curriculare Entwicklung und Festlegung und somit für die Sprachenpolitik zuständig sein sollten.

Konsequenzen

in

der

täglichen

Praxis

des

Sprachenlernens

und

Sprachenunterrichts Intensive Bezüge zum muttersprachlichen Unterricht sowie zum Unterricht anderer Fremdsprachen sind herzustellen, da nur dies ist eine lebensnahe und natürliche Situation ist. In der Realität existieren die Sprachen ja in der Regel nicht voneinander isoliert und getrennt, dies schon gar nicht in einer globalisierten und internationalisierten Welt von heute. Nur eine solche Vorgehensweise kann der sprachlichen Pluralität, der angestrebten Mehrsprachigkeit und der hochgeschätzten Interkulturalität, die in der EU sowohl deklarativ gefordert als auch tatsächlich gefördert werden, Rechnung getragen werden.

Weiterführende Literatur Zu den hier besprochenen Fragen zur Phraseodidaktik finden sie weitere Informationen in Burger (2010), Hallsteinsdottir 2001 und 2011, Jesenšek 2006, 2008, 2011 und 2013, Kacjan/Kralj 2011, Kacjan 2012, Jazbec/Enčeva 2012.

83

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

84

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

ANHANG

Teil A: Glossar

Dieses Glossar umfasst die wichtigsten Fachtermini, die im vorliegenden Kompendium verwendet sind. Sie werden nur kurz definiert; nähere Erläuterungen zu den Begriffen, die sie benennen, findet man im Kompendium selbst. Sie sind strikt alphabetisch eingeordnet; Definitionen enthalten Verweise auf die weiteren im Glossar enthaltenen Fachtermini.

Ambiguität semantische Eigenschaft sprachlicher Zeichen (Wörter, Wortverbindungen, Sätze), wonach diese auf verschiedene Weise interpretiert werden können, auch Mehrdeutigkeit Aphorismus kurzer, unabhängiger, origineller, als eigenständiger Text konzipierter Gedanke; von einem  Sprichwort unterscheidet er sich dadurch, dass er nicht allgemein bekannte Weisheiten ausdrückt, sondern originelle, autorbezogene, oft subjektive und kritische Urteile, Erkenntnisse hervorbringt Äquivalenz die (zwischensprachliche) Identität oder Ähnlichkeit der phraseologischen Bedeutung Bauernregel  Sprichwort, dessen Inhalt die landwirtschaftlichen Erfahrungen und Praktiken der Menschen sowie die Zucht der Tiere thematisiert 85

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Epigramm literarische Gattung mit typischer formaler Struktur: meist Distichon, ein Verspaar, bestehend aus einem Heksameter und einem Pentameter und Titel Festigkeit  Stabilität Geflügeltes Wort literarisches Zitat, das allgemein verwendet wird und folglich als allgemein bekannt gilt; die Quelle (oft klassische Literatur und Bibel) wird beim Gebrauch nicht mehr mitgedacht Idiom satzgliedwertiges Phrasem mit ausgeprägter Eigenschaft der  Idiomatizität Idiomatik 1. Sprachwissenschaftliche Forschungsdisziplin zur Erforschung und Beschreibung der Idiome; 2. Gesamtbestand der Idiome einer Sprache Idiomatizität Eigenschaft der  Phraseme, wonach ihre phraseologische Gesamtbedeutung aus der Summe der Bedeutungen einzelner Bestandteile ( Komponenten) nicht erschließbar ist Kollokation typisches, häufiges, voraussagbares Auftreten von zwei Wörtern Konvergenz 86

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

die (zwischensprachliche) Identität oder Ähnlichkeit der formalen Phrasemstruktur Komparative Phraseme  Phraseme, die einen Vergleich versprachlichen und eine typische dreiteilige semantisch-syntaktische

Struktur

einnehmen

(Vergleichsobjekt,

tertium

comparationis, Vergleichsmaß); Vergleichsobjekt und Vergleichsmaß verbindet jeweils eine Partikel (wie, als, als ob) miteinander Komponente einzelnes Element, Bestandteil (Wort) eines  Phrasems Lexem Einheit des Wortschatzes, des Lexikons; Lexeme sind Einzelwörter und/oder feste Wortverbindungen Lexikalisiertheit Eigenschaft der  Phraseme, wonach diese als feste Wortverbindungen mit ganzheitlicher Bedeutung zum Bestandteil des Lexikons (Wortschatzes) einer Sprache werden Maxime Lebensregel, die subjektive, individuelle Grundsätze moralischen Handelns ausdrückt Medizinisches Sprichwort  Sprichwort, dessen Inhalt Ratschläge zum Erhalten oder Erlangen der Gesundheit thematisiert Mehrdeutigkeit 87

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

 Ambiguität Mehrgliedrigkeit  Polylexikalität Modifikation gelegentliche, einmalige, autorenspezifische Umgestaltung einer phraseologischen Ausgangsform Paarformeln  Phraseme, bestehend aus zwei Komponenten, die identische Lexeme sind oder der gleichen Wortart angehören; verbunden werden sie in der Regel durch Konjunktionen und Präpositionen; auch Zwillingsformeln Phrasem phraseologische Einheit einer Sprache; relativ feste Wortverbindung, deren Gesamtbedeutung mit der Summe von Bedeutungen einzelner Bestandteile in der Regel nicht gleichgesetzt werden kann Phraseologie 1. Sprachwissenschaftliche Forschungsdisziplin zur Erforschung und Beschreibung phraseologischer Bestände einzelner Sprachen; 2. der phraseologische Bestand einer Sprache, die Gesamtheit der Phraseme einer Sprache Phraseologischer Teilsatz Phrasem mit einleitendem Verb und Nebensatzstruktur Parömiologie 88

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

1.

Sprachwissenschaftliche

und/oder

volkskundliche

Forschungsdisziplin

zur

Erforschung und Beschreibung der Sprichwörter einzelner Sprachen; 2. der Sprichwort-Bestand einer Sprache, die Gesamtheit der Sprichwörter einer Sprache Polylexikalität Eigenschaft der  Phraseme, wonach diese immer aus mehreren Teilen (Wörtern;  Komponenten) bestehen; sie sind immer polylexikal (mehrgliedrig); auch Mehrgliedrigkeit Rechtssprichwort Sprichwort, dessen Inhalt historisch-kulturell bedingte Rechtsregelung oder soziale Ordnung thematisiert Reproduzierbarkeit Eigenschaft der  Phraseme, wonach diese als feste Wortverbindungen mit ganzheitlicher Bedeutung im Sprachgebrauch nicht jedes Mal neu gebildet werden, sondern als vorgefertigte Einheiten zur Verfügung stehen Sentenz kurzer, prägnant formulierter Satz mit philosophisch-literarischem Hintergrund; der Autor und die Quelle sind bekannt Sprichwort allgemein bekannter, festgeprägter Satz, der eine Lebensregel oder Weisheit in prägnanter, kurzer Form ausdrückt; gehört zur Klasse der propositionalen nominativen Phraseme Sprichwortmodifikation 89

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

einmalige bzw. gelegentliche Abwandlung eines usuellen  Sprichwortes mit besonderer stilistischer Wirkung Sprichwortvariante häufige Abwandlung eines allgemein bekannten  Sprichwortes, die als lexikalisiert anzusehen ist; vgl.  Variante Stabilität Eigenschaft der  Phraseme, wonach diese in Struktur und Bedeutung (relativ) fest sind; im mentalen Lexikon werden sie als feste Einheiten gespeichert und in der Rede als solche reproduziert; auch Festigkeit Variabilität Eigenschaft der  Phraseme, wonach diese in Struktur veränderlich sind Variante usuelle, wiederholte, häufig vorkommende Abwandlungen der phraseologischen Ausgangsform Wellerismus modellhaft erweitertes  Sprichwort mit dreiteiliger Struktur und humoristischironisch-satirischer Wirkung; die Struktur besteht aus dem Anfangsteil (bekanntes Sprichwort), dem Mittelteil (die Nennung dessen, der das Angangssprichwort äußert) und dem Schlussteil (die Beschreibung der Situation, in der die gesamte Struktur geäußert wird) Wettersprichwort

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

 Sprichwort, dessen Inhalt die klimatischen Beobachtungen der Menschen thematisiert Zwillingsformeln  Paarformeln

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Teil B: Wörterbuchverzeichnis

Das Wörterbuchverzeichnis umfasst Angaben zu den Wörterbüchern, die im Kompendium besprochen werden. Es handelt sich um eine Liste der ausgewählten lexikographischen Nachschlagewerke, anhand deren man weitere und ausführlichere Kenntnisse zur Phraseologie und Parömiologie des Deutschen erwerben kann. Das Verzeichnis ist alphabetisch nach dem Autor bzw. ersten Autor geordnet.

Beyer, Horst & Annelies (1985): Sprichwörterlexikon. Sprichwörter und sprichwörtliche Ausdrücke aus deutschen Sammlungen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. München. Blum, Joachim Christian (1780-1782): Deutsches Sprichwörterbuch. http://archive.org/details/deutschessprich00blumgoog Büchmann, Georg (1993): Geflügelte Worte. Der klassische Zitatenschatz. 39. Aufl. Frankfurt am Main, Berlin. (Erstausgabe 1864). Büchmann, Georg (2007): Der Neue Büchmann – Geflügelte Worte. Der klassische Zitatenschatz. Berlin. http://www.aronsson.se/buchmann/ DUDEN (2013). Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik. 4., neu bearbeitete und aktualisierte Aufl. Berlin, Mannheim, Zürich. von Lüttich, Ekbert: Fecunda ratis. http://archive.org/details/egbertsvonlttic00ltgoog Mieder, Wolfgang (1989): Antisprichwörter. 3 Bde. Wiesbaden. Nopitsch, Christian Conrad: Literatur der Sprichwörter. Ein Handbuch für Literarhistoriker, Bibliographen und Bibliothekare http://archive.org/details/literaturderspr00nopigoog (letzter Zugriff) 92

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Petri (Peters), Friedrich (1605; 1983): Der Teuschen Weißheit. Hamburg. Nachdruck hrsg. von W. Mieder. Bern. Röhrich, Lutz (1991, 1992): Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. 3 Bde. Freiburg. Schmidt, Walter (2012): Morgenstund ist ungesund. Unsere Sprichwörter auf dem Prüfstand. Reinbek bei Hamburg. Schulze, Carl (1860; 1987): Die biblischen Sprichwörter der deutschen Sprache. Göttingen. Nachdruck hrsg. von W. Mieder. Bern. Sailer, Johann Michael: Die Weisheit auf der Gasse, oder Sinn und Geist deutscher Sprichwörter. http://books.google.si/books/about/Die_weisheit_auf_der_gasse.html?id=7PtHAAAAMAAJ &redir_esc=y Seidl, Helmut A. (2010): Medizinische Sprichwörter. Das große Lexikon deutscher Gesundheitsregeln. Darmstadt. Seidl, Helmut A. (2012): Den Kopf halt kühl, die Füße warm! Sprichwörtliche Gesundheitstipps und was dahinter steckt. Darmstadt. Seiler,

Friedrich:

Deutsche

Sprichwörterkunde.

http://archive.org/details/deutschesprichw00seiluoft Simrock, Karl (1846; 1988): Die Deutschen Sprichwörter. Nachdruck von W. Mieder. Stuttgart. SprichWort (2010). SprichWort-Plattform. Eine Internetplattform für das Sprachenlernen. http://www.sprichwort-plattform.org/

93

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Wander, Karl Friedrich Wilhelm (1867-1880; 1987): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. 5 Bde. Augsburg. Nachdruck der Ausgabe 1867.http://www.zeno.org/Wander-1867

94

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Teil C: Literaturverzeichnis

Im Literaturverzeichnis ist die wichtigste Fachliteratur zur deutschen Phraseologie und Parömiologie angegeben. Es handelt sich um eine Liste der ausgewählten Publikationen, in denen man zu allen im Kompendium besprochenen Themen weiter lesen kann. Das Verzeichnis ist alphabetisch nach dem Autor bzw. ersten Autor geordnet.

Burger, Harald (2010): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. 4., neu bearbeitete Aufl. Berlin. Harald Burger et al. (Hrsg.) (2007): Phraseologie. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. Berlin; New York. Burger, Harald, Annelies Buhofer, Ambros Sialm (1982): Handbuch der Phraseologie. Berlin, New York. Coulmas, Florian (1981): Routine im Gespräch. Zur pragmatischen Fundierung der Idiomatik. Wiesbaden. Dobrovol’skij, Dimitrij (1988): Phraseologie als Objekt der Universalienlinguistik. Leipzig. Dobrovol’skij, Dimitrij, Elisabeth Piirainen (2005): Figurative Language. Cross-cultural and Cross-linguistic Perspectives. Amsterdam etc. Dobrovol’skij, Dimitrij, Elisabeth Piirainen (2009): Zur Theorie der Phraseologie: Kognitive und kulturelle Aspekte. Tübingen. Donalies, Elke (2009): Basiswissen. Deutsche Phraseologie. Tübingen, Basel. Donalies, Elke (2012): Phraseologie. Tübingen. Ďurčo, Peter (2005): Sprichwörter in der Gegenwartssprache. Trnava. 95

Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Fleischer, Wolfgang (1997): Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache. 2. Aufl. Tübingen. Földes, Csaba, Helmut Kühnert (1990): Hand- und Übungsbuch zur deutschen Phraseologie. Budapest. Földes, Csaba (1996): Deutsche Phraseologie kontrastiv: Intra- und interlinguale Zugänge. Heidelberg. Földes, Csaba (2007): Phraseme mit spezifischer Struktur. In: Burger, Harald et al. (Hrsg.): Phraseologie. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. 1. Halbband. Berlin, New York, 424-435. Glaboniat, Manuela (Hg.) (2004): Profile deutsch. Lernzielbestimmung, Kann-Beschreibungen und kommunikative Mittel für die Niveaustufen A1, A2, B1, B2, C1 und C2 des »Gemenisamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen«. Berlin. Hacki Buhofer, Annelies (1997): Phraseologismen im Spracherwerb. In: Wimmer, Rainer/Berens, Franz (Hgg.): Wortbildung und Phraseologie. Tübingen, S. 209-232. Hallsteinsdóttir, Erla (2001): Das Verstehen idiomatischer Phraseologismen in der Fremdsprache Deutsch. Hamburg. Hallsteinsdóttir,

Erla

(2011):

Aktuelle

Forschungsfragen

der

deutschsprachigen

Phraseodidaktik. In: Linguistik online 47, H. 3, S. 3-31. Hessky, Regina (1997): Feste Wendungen – ein heißes Eisen? Einige phraseodidaktische Überlegungen für den DaF. In: Deutsch als Fremdsprache 3, 139-143. Hyvärinen, Irma (2011): Zu deutschen Höflichkeitsformeln mit bitte und ihren finnischen Äquivalenten. In: Hyvärinen, Irma, Annikki Liimatainen (Hrsg.), 147-203.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

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