Paxton

  • November 2019
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REALISTISCHE INGENIEURKONSTRUKTION KONSTRUKTIONEN AUS STAHL UND GLAS

Pritchard / Darby, Brücke bei Coalbrookdale, 1777 – 1779, erste eiserne Brücke, Gewicht: 378 Tonnen,

Die Anfänge des Bauens mit Eisen und Glas stehen in engem Zusammenhang mit den typischen Bauaufgaben des 19. Jahrhunderts: Brücken, Bahnhöfe und Ausstellungsgebäude, Passagen, Pflanzenhäuser und Markthallen. An ihnen treten die neuen Materialien klar und unverhüllt in Erscheinung. Die Architekten führten das Eisen zunächst allerdings nur zögernd, aber doch als willkommenes Hilfsmittel in die Baukunst ein. Sie überließen es jedoch den von traditionellen Über­lieferungen weniger vorbelasteten Ingenieuren, in Verbindung mit den Eisenkonstruktionen neue Bauformen und Raumvorstellungen zu entwickeln. Eine Pionierleistung für die Konstruktionen mit Gusseisen ist die 1777­ 1779 errichtete Bogen­brücke über den Severn bei Coalbrookdale (England). Ihre Konstruktion besteht aus fünf halb­kreisförmigen gusseisernen Bogen, die Reifen in den Zwickeln versteifen das Gerüst. Die Brücke mit einer Spannweite von 100 Fuß (30,6 m) wurde 1775 von T. F. Pritchard entworfen und von dem Eisenhüttenbesitzer Abraham Darby ausgeführt. Voraussetzung für eine umfangreiche Verwendung von Eisen für Bauzwecke waren verbesserte Herstellungsmethoden. Schon durch das 1784 patentierte Puddelverfahren gelang es, Eisen in größeren Mengen herzustellen, aber erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich neben der Stilarchitektur der reine Ingenieurbau aus Eisen und Glas. „Man wird im gleichen Augenblick eine eigene Architektur schaffen, in dem man sich der neuen Mittel bedient, die die neue Industrie liefert. Die Anwendung des Gusseisens gestattet und erzwingt viele Neuformen, wie man sie an Bahnhöfen, Hängebrücken und in den Gewölben der Wintergärten beobachten kann." (Theophile Gautier, 1850). In diese Zeit fällt auch eine wichtige technische Erfindung für die Stahlerzeugung: das Bessemer-Verfahren von 1855. Es bildete die Grundlage für die billige Herstellung von hochwerti­gem Stahl in großen Mengen

Die Weltausstellungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in London (1851,1862), Paris (1855,1867,1878,1889,1900), Wien (1873), Philadelphia (1876) und Chicago (1893), „geplant aus wirtschaftlichem Interesse und nationalem Geltungsbedürfnis, waren Selbstdarstellungen im großen Format des viel umstrittenen 19. Jahrhunderts, dessen Erbe wir angetreten haben. Für die Epoche bedeuteten sie ein Novum: eine Bilanz des Bestehenden und Vorhandenen, des Gewollten und Erwünschten in einem den engen Rahmen des einzelnen Landes und der einzelnen Nation sprengenden Ausmaß." (C. Beutler: Weltausstellungen im 19. Jahrhundert, Ausstellungskatalog, München 1973, S. IV).

Joseph Paxton Kristallpalast, 1851 London, Hyde Park

DER KRISTALLPALAST (1851) Am 1. Mai 1851 eröffneten die englische Königin Viktoria und der Erzbischof von Canterbury im Crystal Palace in London mit einer Staatszeremonie und einem Gottesdienst die erste große Weltausstellung, deren Zweck es war, die Werke von Industrie und Technik aus allen Ländern der Erde zu zeigen. Sir Joseph Paxton (1801 ­1865), Sohn eines Bauern, war Landschaftsgärtner und als solcher mit dem Bau großer Gewächshäuser vertraut. Er hatte ein besonderes Interesse an Eisenbahnangelegenheiten, war auf diesem Gebiet ein erfolgreicher Spekulant, brachte es bis 1845 zu einem Kapital von 35000 Rund Sterling und hatte ein Jahr später ein Vermögen von über 100000 Pfund. 1850 beteiligte er sich außer Konkurrenz mit einem Vorschlag an dem bereits abge­schlossenen Wettbewerb für eine Ausstellungshalle, die auf dem Hyde­Park entstehen sollte. Paxtons Entwurf war konsequent auf genormten Standardteilen aufgebaut, deren Modul von 1,22 m sich am Maß der größten Glasscheiben orientierte, die damals erhältlich waren. Der Entwurf umfasste außerdem eine genaue Beschreibung der Produktionsmethoden und einen genauen Zeitplan; er war damit allen anderen eingereichten Entwürfen in jeder Hinsicht überlegen und gewann den Wettbewerb. Den Auftrag zur Ausführung übernahm das Bauunternehmen Fox, Henderson & Co., eine Firma, die heute noch besteht.

Längsschnitt

Querschnitt

Die Errichtung der riesigen Halle mit einer Länge von 564,18 m (= 1851 Fuß; vgl. dazu das Jahr der Weltausstellung!) und einer Breite von 137,16 m (450 Fuß) war ein reiner Montagevorgang fertiger, standardisierter, vorfabrizierter Bauteile aus Eisen, Glas und Holz: 3300 gusseiserne Säulen, 2224 Träger, 1128 Konsolen für die Seitengalerien, 24000 Rohre für 34 Meilen Abflussleitung, 900000 Quadratfuß (= nahezu 84 000 m2) Glas (mit einem Gewicht von 400 Tonnen) in einzelnen Scheiben (etwa 270000 an der Zahl), 205000 Rahmenhölzer. „In jahrelanger Vorarbeit, durch dauernde Ver­ suche und Verbesserungen der Methoden und Details, die schon bei den Glashäusern zehn Jahre vorher angewendet worden waren, wurde schließlich ein Zustand der Perfektion erreicht, der erlaubte, das Gebäude in weniger als 4 Monaten zu errichten." (Wachsmann, K.: Wendepunkt im Bauen, Hamburg 1962). Ein zeitgenössischer Kritiker schrieb 1851 in einer Architekturzeitschrift über den Crystal Palace, den „Kristallpalast": „Die Forderungen, die an das Bauwerk gestellt wurden, konnten zweifellos in keiner anderen Weise so gut erfüllt werden als in der, welche Paxton in seinem bewunderungswürdigen Entwurf anwandte. Und wir gestehen gern, dass die beispiellosen inneren Wirkungen einer derartigen Struktur uns zu Bewunderung hinreißen: eine Wirkung des Raumes, wie sie bisher noch nicht erreicht worden ist... und darüber hinaus ­ nach unserer Meinung eine der befriedigendsten Eigenschaften ­ eine offene Wahrhaftigkeit der Konstruktion, die über alles Lob erhaben ist... es ist Ingenieurswerk ­ von höchstem Wert und Rang ­ aber nicht Architektur [= Kunst]. Dem Werk fehlt völlig die Form, und es fehlt ihm die Idee der Stabili­tät und Solidität."

Länge: 564 m (entspricht 1851 Fuß) , Breite: 137 m, Höhe: 33 m, 73 000 qm, vorfabrizierte gusseiserne, gläserne und hölzerne Elemente

Etwa lOO Jahre später schreibt Konrad Wachsmann: „Der .Kristallpalast' kann in der Tat als der nun sichtbar gewordene Wendepunkt angesehen werden, durch den die Entwicklung der Baugeschichte in eine andere Richtung gelenkt wurde. Faszinierend dabei ist, dass das Ganze nur aus einfachen, kleinen Teilen be­steht; es gibt keine gewaltigen, kolossalen Baukörper. Nichts ist da, was nicht bis in das kleinste Detail sofort verstanden werden kann ... Aus Vernunft und Logik, den Gedanken des neuen technischen Zeitalters intuitiv erfassend, entstand eine neue Schönheit, wie sie nie vorher erkannt, gewertet und empfunden wurde. ­ Der Kristallpalast war ein Kunstwerk." Nach der Weltausstellung wurde das Gebäude demontiert und zwischen 1852 und 1854 in Sydenham, einem Vorort Londons, in etwas veränderter Form wieder aufgebaut und zu einem luxuriösen Vergnügungszentrum, einem „Volkspalast", umfunktioniert. Wichtige Veränderungen waren: Durch neue, größere Dimensionen ergaben sich 50% mehr Rauminhalt; das Längsschiff, ursprünglich flach gedeckt, wurde jetzt eingewölbt (Scheitelpunkt 36,5 m); das mittlere Querschiff erreichte eine Höhe von 51 m; das Gebäude erhielt eine Heizung; statt ursprünglich 900000 Quadratfuß Glasfläche waren es jetzt 1650000 Quadratfuß (= 153285 m2). „Das eigentliche Gebäude lie­ferte die großzügige Raumhülle (490m lang), den Bewegungsraum ... Das mittlere Querschiff beherberg­te eine riesige Orgel und Raum für Orchester und 4000 Zuhörer, außerdem ein Opern­ und Variete­Theater für 2 000 Besucher und eine Konzerthalle für weitere 4 000 Gäste. Ausstellungs­ und Erfrischungs­räume schlössen sich an, Statuen (vorwiegend als Gipsabgüsse), Pflanzengruppen und Springbrunnen belebten das Hauptschiff... Ein ganzes Spektrum von Möglichkeiten und Attraktionen, von jedem etwas, aus aller Herren Länder etwas ­ eine Welt im Kleinen war nach bildungsbürgerlichen Gesichtspunkten zu­sammengestellt und verfügbar gemacht." (Henning­ Schefold/Schmidt­Thomsen). Bereits 1866 brannte das nördliche Querschiff ab und 1936 wurde der gesamte Bau durch einen Groß­brand zerstört. Viele andere Städte, wie Dublin, New York, Kopenhagen, Amsterdam, Breslau erhielten ähnliche Anlagen. Der Münchener Glaspalast im Alten Botanischen Garten, 1853­1854 von August von Voit (1801­ 1870) errichtet, fiel 1931 den Flammen zum Opfer.

Die »Maßlosigkeit« des Raumeindrucks. Erst allmählich wurde die Ästhetik der neuen Raumhülle ihr aus wenigen Elementen zusammengesetzt Grundmuster, ihre radikale Abkehr von bekannt« Stiltraditionen erkannt und bewundert. Überwältigend allerdings empfand man von Anfang an die Lichtfülle, die scheinbare Schwerelosigkeit der Kon­struktion, die »Unendlichkeit« des räumlichen Ein­drucks. »Wir sehen ein feines Netzwerk symme­trischer Linien, aber ohne irgendeinen Anhalt, um ein Urteil über die Entfernung desselben von dem Auge und über die wirkliche Größe seiner Maschen zu gewinnen. Die Seitenwände stehen zu weit ab, um sie mit demselben Blick erfassen zu können, und , anstatt über eine gegenüberstehende Wand streift das Auge an einer unendlichen Perspektive hinauf, deren Ende in einem blauen Duft verschwindet. Wir wissen nicht, ob das Gewebe hundert oder tausend Fuß über uns schwebt, ob die Decke flach oder durch eine Menge kleiner paralleler Dächer gebildet ist; denn es fehlt ganz an dem Schattenwurf, der sonst die Seele den Eindruck des Sehnervs verstehen hilft. Lassen wir den Blick langsam wieder herabgleiten, so begegnet er den durchbrochenen blaugemalten Trägern, anfangs in weiten Zwischenräu­men, dann immer näherrückend, dann sich deckend, dann unterbrochen durch einen glänzen­den Lichtstreif, endlich in einem fernen Hinter­grund verfließend, in dem alles Körperhafte, selbst die Linie verschwindet und nur noch die Farbe übrig bleibt ... Es ist nüchterne Ökonomie der Sprache, wenn ich den Anblick des gewölbten Querschiffes unvergleichlich, märchenhaft nenne. Es ist ein Stück Sommernachtstraum in heller Mittagssonne. Gleich­zeitig aber erfassten die Beschauer, die zum ersten Mal einen Bau von solcher Größe sahen, der nicht aus Masse, aus massivem Mauerwerk bestand, dass hier Begriffe, mit denen Architektur bis dahin beurteilt wurde, plötzlich zu versagen begannen« (L. Bucher, S. 174).

Die Konstruktion des Kristallpalastes Der ganze Bau war auf einem einheitlichen Raster von Achsenmaßen der Stützen geplant. Das Rahmenwerk bestand aus standardisierten, gusseisernen, hohlen Säulen von immer gleichem Außendurchmesser, die aber, entsprechend auftretenden Belastungsvariationen, mit verschiedenen innere Wandstärken ausgeführt wurden. Auf diese Weise war es möglich, die dazugehörigen Binder1 und Balken in einheitlichen Standardmaßen ebenso wie die Säulen in Massen­produktion herzustellen. Die Binder wurden in drei Ausführungen verwendet: in Gusseisen, genietetem Schmiedeeisen und Holz. Diese Binder hatten die ungewöhnliche Höhe von etwa einem Meter. Die Anschlüsse an die schlanken gusseisernen Säulen erfolgten in Form standardisierter Auflagepunkte, die immer die gleichen waren, und .. dem Zweck dienten, dem Gebäude, das keinerlei massive Wandflächen aufwies, die genügende Quersteifigkeit zu geben. Die Art der Entwicklung der Unterzüge2, ihre Quer­ schnitte, ihr Schlankerwerden an den Auflagepunkten, ihre geometrische Ordnung zeigten den Verlauf der Kräfte des Konstruktionssystems und bestimm­ten ausschließlich den ganzen Charakter des Baues. Die Dachdeckung beruhte auf einem Standardmaß von Glasplatten. Auch das gehörte zu den wesentli­chen Entscheidungen Paxtons. Diese Glasplatten wurden über die ganze Dachfläche in Form eines gefalteten Sägedaches verlegt. K. Wachsmann, 1959

Modul: 1,22 m

Ein abstraktes Bezugssystem anstelle des menschlichen Maßes. Ist der im traditionellen Sinn unverwechselbar gestaltete Baukörper nun abgelöst durch die Reihung vorfabrizierter Teile, so zerbricht auch der räumliche Bezug zum Menschen. Aufgrund des Fehlens eines proportionalen Bezugs kann de zerteilte Raum nur noch in Zahlen vorstellbar gemacht werden. Die Länge von 1851 Fuß, die der Jahreszahl der Entstehung entspricht, oder die Grundfläche von 73000 qm bleiben jedoch abstrakte Zahlen, deren Größe sich nicht mehr anschaulich auf das Raumerlebnis übertragen lässt. Die Zeitgenossen genossen haben sich damit beholfen, die Raun große durch den Vergleich mit einem bekannte Bauwerk zu charakterisieren; so hatte der Kristallpalast mehr als die vierfache Grundfläche von S Peter in Rom. Die Gestaltung des Raumes durch Rasterelemente ignorierte nicht nur den jeweils besonderen Verwendungszweck und die proportionale Ordnung traditioneller Räume, sondern auch die Ausrichtung auf Standpunkte. Im Kristallpalast ist das abstrakte Maßsystem vorfabrizierter Formen »maßgebend« nicht mehr der Mensch. Die Vorteile gegenüber herkömmlichen Bauten waren die kostengünstige Fertigung und Montage sowie die Schnelligkeit des Aufbaus und die Möglichkeit, das Gebäude abzutragen und an anderer Stelle wiederzuerrichten.

Galéries des Machines, 1889 Ferdinand Dutert / Contamin

DIE MASCHINENHALLE (1889) Als Höhepunkte der von Ingenieuren errichteten Stahlkonstruktionen des vorigen Jahrhunderts gelten die auf dem Marsfeld, dem Gelände der Pariser Weltausstellung von 1889 (Hundertjahrfeier des Sturmes auf die Bastille) entstandene Galerie des Machines, die 1910 abgebrochen wurde, und der Eiffelturm. Ch. L Ferdinand Dutert (1845­1906) war Architekt und hat in Zusam­ menarbeit mit mehreren Ingenieuren, insbesondere mit Contamin, den Plan für die Galerie des Machines entwickelt. Neu an der Halle waren die gewaltigen Dimensionen (Länge: 422,49 m; Höhe: 46,67 m; Spannweite: 117 m; Gesamtfläche: 48324,9 m2) und die Proportionen. Das Verhältnis von Spannweite zur Höhe betrug 10:4 (beim Kristallpalast 9:8). Vier Fünf­ tel der überspannten Fläche waren mit 2 m langen, etwa 50 mm dicken Glasplatten überdeckt, was einer Gesamtfläche von ca. 34700 m2 entspricht. Im Gegensatz zum Mauerwerkbau, zu dessen typischen Kennzeichen u. a. die Zunahme der Wandstärke nach unten gehört, ist es beim Stahl­bau möglich, daß sich die Tragwerkkonstruktion nach unten nicht ver­breitert, sondern verjüngt. Contamin verwandte bei der Maschinenhalle den Dreigelenkbogen, bei dem alle wirksam werdenden Kräfte am Scheitel und an den beiden Fußpunkten durch Gelenke übertragen werden. Die Konstruktion war damit auch unempfindlich gegen Verformungen infolge äußerer Einwirkungen, wie Sonnenwärme oder Frost. Eine Trennung in Stütze und Balken fiel weg, der Gitterträger führte in einem Bogen vom Fußpunkt zum Scheitel.

Die Bedeutung dieses Bauwerks beruht einmal in der konsequenten Durchbildung eines neuartigen konstruktiven Prinzips, zum ändern entfaltet es aber auch einen völlig neuen Sinn für die „formschöne" Gestalt. Der Journalist H. de Parville schrieb 1889: „Es ist gelungen, Metall allen künstlerischen Zwecken dienstbar zu machen. Bis jetzt hielt man es nicht für möglich, dem Eisen wirkliche künstlerische Effekte ab­zugewinnen. Das unscheinbare Aussehen dieses Metalls, die Schwierigkeit, seine Formen geschmeidig zu machen, hatten die meisten Architekten davor zurückschrecken lassen, es zu verwenden. Der Versuch war zufrieden stellend.. .Trotz der Gliederung durch die schönen Seitengalerien fällt es dem Blick schwer, sich an solche bisher unerhörte Dimensionen zu gewöhnen, und er weiß mit einer solchen Maßlosigkeit nichts anzufangen. Auch der gedrückte Spitzbogen der Arkaden täuscht das Auge und vermittelt nicht allen

Beschauern einen genauen Begriff von der Höhe des Gebäudes; nach und nach wird das Auge sich an diese riesigen Perspektiven gewöhnen; anfangs überrascht, wird es schließlich alles bewundern. Eine Vision der Größe." Fast 80 Jahre später äußert der Architekt Erich Schild, dass in der Pariser Maschinenhalle der Einraumbau seine konstruktiv und ästhetisch vollendete Form gefunden habe. Er meint: „Konstruktion und Form waren an diesem Bau vollständig eins. Der gewaltige Binder, der die Wirkung des Innenraums bestimmte, war auch das beherrschende Motiv der Fassade, die hier nicht mehr als dekorative Schaufront ausgebildet wurde, sondern nur durch ihr tragendes Gerüst zu wirken hatte. Aus den emaillierten Friesen, den Füllun­gen aus Glas und keramischen Platten und dem Netz der Binderverstrebungen ergab sich eine völlige Ein­heit. Ornamentik und Schmuck wiesen dabei kaum Anleihen an vergangene Stilepochen auf, so dass das Ganze dem heutigen Beschauer als eine glückliche Manifestierung neuer Ausdrucksmöglichkeiten erscheinen mag. In den Kritiken der Erbauungszeit wurden jedoch stets nur die Zweckmäßigkeit der Anlage, ihre Größe und die Kühnheit ihrer Konstruktion hervorgehoben. Einen ästhetischen Reiz schien man diesem Gebilde damals noch nicht abgewinnen zu können."

DER EIFFELTURM (1889) Die Hauptattraktion der Pariser Weltausstellung von 1889 war jedoch der 300 m hohe Eiffelturm, benannt nach seinem Erbauer Gustave Eiffel (1832­1923). Eiffel war Ingenieur und selbständiger Unternehmer, baute Brücken, betrieb Studien über den Luftwiderstand und den Flug und richtete sich zu diesem Zweck ein aerodynamisches Laboratorium ein. Als in New York die 46 m hohe Frei­heitsstatue errichtet wurde (1875­1886), war Eiffel für die stabile Innenkonstruktion verantwortlich. Gustave Eiffel, ein vielseitig beschäftigter Mann, übertrug 1884 zwei Ingenieuren seines Betriebes die Ausarbeitung der technischen Seite des Projektes „Eiffelturm", während der Architekt Sauvestre den architektonischen Teil bearbeitete. 1887 wurden die Fundamente für die vier Eckpfeiler gelegt. Darauf folgte die Montage der sämtlich in der Fabrik vorgefertigten Einzelteile: 15 000 Eisenelemente und 2500000 Niete mit einem Gesamtgewicht von rund 7000 Tonnen. Den statischen Berechnun­gen legte Eiffel den Winddruck eines Orkans von 400 kg/m2 zugrunde. Die Planungen und Berech­nungen (Zahl der technischen Zeichnungen: für das Turmskelett 1700, für die Ausführung 3629, für Einzelteile 18038) waren so genau, dass bis zu einer Niveauhöhe von 57,60 m kein einziges Nietloch geändert werden musste. Nach 21 1/2 Monaten war die Gesamtmontage abgeschlossen. Als der Turm am 31. März 1889 eingeweiht wurde, war der Aufzug noch nicht fertig, und Gustave Eiffel erstieg als erster die 1710 Stufen des Turmes.

Eiffel fand bei seinen Zeitgenossen für den Turm nicht ungeteilte Bewunderung. Zahlreiche namhafte Schriftsteller, unter ihnen auch Emile Zola, sparten nicht mit beißender Kritik; im „Journal" der Brüder Goncourt steht 1889 zu lesen: „Der Eiffelturm bringt mich auf den Gedanken, dass eiserne Bauten keine menschlichen Bauten sind, das heißt Bauten der alten Menschheit, die nur Holz und Stein kannte, um ihre Behausungen zu bauen. Außerdem sind die glatten Flächen der Eisenbauten schrecklich; man sehe sich nur die erste Plattform des Eiffelturmes mit ihrer Reihe von Doppelkäfigen an; gibt es etwas Hässlicheres für das Auge eines Menschen alter Kultur?" Heute urteilen wir anders. Le Corbusier äußerte zum Eiffelturm: „Es ist nicht zu leugnen, dass man, um vom „La tour Eiffel" zu sprechen, auf Vokabeln der Gefühlswelt zurückgreifen muss, auf Begriffe des Mutes und der Unerschrockenheit..." Und weiter von Eiffel, den er selber kannte: „... seine Äußerungen waren Inspirationen und geführt von einem bewundernswerten Gefühl für Proportionen." Das Profil des Eiffelturms ist so berechnet, dass es dem Winddruck standhält, gleich­zeitig jedoch sollten die aufgrund der Berechnungen festgelegten Formen den Rippen ein gefälliges Profil geben. „Der erste Grundsatz der Bauästhetik schreibt vor, dass die Hauptlinien eines Baus vollkommen des­sen Bestimmung entsprechen müssen. Und welche Gesetze hatte ich bei dem Turm zu berücksichtigen? Die Gesetze vom Wind­druck. Nun wohl, ich behaupte, dass die Krümmungen der vier Rippen, so wie die Be­rechnung sie vorsieht,... einen starken Eindruck von Kraft und Schönheit vermitteln werden, weil sie die Kühnheit der Gesamt­ konzeption sichtbar machen werden, auf die gleiche Weise wie die zahlreichen in die Bauteile eingefügten Leerräume energisch das ständige Bemühen, der Gewalt der Stürme keine die Stabilität des Baus gefähr­dende Oberflächen entgegenzusetzen, zum Ausdruck bringen sollen." (Gustave Eiffel).

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