24. Mai 2009
NZZ am Sonntag
Hintergrund Meinungen
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Teure Senioren Ist die Solidarität unter den Generationen am Ende? Seite 22
Gletschersee Das Lütschinental ist in Alarmbereitschaft. Seite 24
Nachrichten vom Tod der Zeitungensindstarkübertrieben esen boomt. Die Mär von der jungen Generation, die sich ausschliesslich übers Internet informiere, hält der Alltagsbeobachtung jedes Nutzers öffentlicher Verkehrsmittel nicht stand. Es wurde wohl noch nie so viel Zeitung gelesen wie heute. Was nicht boomt, ist das Bezahlen für Information. Sowohl die Gratiszeitungen wie das Internet nähren fälschlicherweise den Eindruck, Nachrichten seien gratis zu haben. Gratis ist nur die Propaganda. An diesem Zustand sind die Verleger zu einem grossen Teil selber schuld. Sie haben für Millionen ihre Internetportale ausgebaut und deren Inhalt frei zugänglich gemacht – dies in der Annahme, dass die Werbung automatisch den Lesern folgen werde. Die Rechnung geht, wie man heute weiss, nicht auf. Nur wenigen Nachrichtenportalen weltweit gelingt es, sich überhaupt in den schwarzen Zahlen zu halten. Und die Gewinnmargen sind so klein, dass sich darauf langfristig kein Unternehmen abstützen lässt. Die Leser haben sich in der Zwischenzeit jedoch daran gewöhnt, dass sie auf dem Netz kostenlos finden, wofür sie als Abonnent zahlen sollten. Zudem ermöglicht ihnen das Internet, mehr Autonomie über die Informationsbeschaffung zu erhalten. Der smarte Nutzer im Alltagsstress kann heute weitgehend selbst bestimmen, was er wann und wo zu lesen wünscht. Also nimmt die Zahl derjenigen, die für Inhalte Geld ausgeben, ständig ab. Dieser Trend, gekoppelt mit der gegenwärtigen schweren Rezession, setzt den abonnierten Tageszeitungen stark zu. Über 500 Journalisten wurden in der Schweiz in den letzten Monaten entlassen; weitere werden
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folgen. Die abonnierte Tageszeitung steht vor der Herausforderung, sich an das geänderte Nutzungsverhalten der Leser anzupassen. Das Motto lautet: weniger, präziser, originaler. Niemand bezahlt ein Abonnement etwa der «Aargauer Zeitung», um dort Meldungen über Vanuatu zu lesen. Diese inhaltliche Neuorientierung der abonnierten Tageszeitung haben die Redaktionen zu leisten. Die Verleger ihrerseits stehen vor grösseren Aufgaben als derjenigen, Kosten zu senken. Für sie liegt die Herausforderung darin, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Gesucht wäre ein raffiniertes Zusammenspiel von Print, Gratis-Internet und Bezahl-Internet, um der gedruckten täglichen Informationsvermittlung eine Zukunft zu bieten, die über den Abdruck von Agenturmeldungen hinausreicht. Vor kurzem hat Rupert Murdoch, der globale Medienzar, gesagt: «Wir stecken mitten in einer epochalen Debatte über den Wert von Inhalten, und es ist vielen Zeitungen klar geworden, dass das bisherige Modell nicht funktioniert.» Deshalb beabsichtigt er – wie auch die «New York Times» –, künftig das Online-Portal von Blättern wie etwa der «Times» gebührenpflichtig zu machen. Mit Spannung verfolgt die Branche, ob der Versuch von Erfolg gekrönt sein wird. Wegen des Internets gleicht das Rauschen der News unter der Woche mittlerweile einem Sturzbach, der die meisten zu ertränken droht. Es gibt zu viele Nachrichten, es gibt vor allem auch zu viel Belangloses, weshalb es schwieriger geworden ist, sich in dieser Flut noch einen Überblick zu verschaffen. Dies ist die Chance der Wochenpresse, zu der primär die Sonntagstitel gehören. Sie sind die Anlegestellen in diesem reissenden Fluss. Hier gibt es die Möglichkeit der
Stachel im Fleisch der SRG
s ist, als ob ein Angestellter des Vatikans den Papst öffentlich kritisieren würde. Da hat es Generaldirektor Armin Walpen über die Jahre geschafft, die vier Regionalgesellschaften der SRG mit Personen zu bestücken, die ihm treu ergeben sind. Wer sich als Politiker nie kritisch über die SRG äusserte und auch sonst dem Hinterbänklertum zugeneigt war, konnte damit rechnen, von Walpen mit einem Posten in einem Gremium der Radio- und Fernsehgesellschaft belohnt zu werden. Plötzlich ist einer da, der nichts hält von der Tradition des Abnickens und Sätze sagt wie: «Walpen mit Berlusconi gleichzusetzen, wäre falsch. Aber Ähnlichkeiten gibt es durchaus.» Dieter Niedermann ist Präsident der SRG Ostschweiz. 20 Jahre lang war er Staatsschreiber des Kantons St. Gallen, er war das juristische Gewissen der Regierung, bereitete deren Sitzungen vor, er war loyal und verschwiegen. Niedermann sei zurückhaltend gewesen als Staatsschreiber, sagt der ehemalige St. Galler Bildungsdirektor Hans Ulrich Stöckling. Er habe andere nie scharf kritisiert, er habe sich Zeit gelassen mit seinen Urteilen. Wenn Niedermann die SRGFührung nun hart angehe, dann müsse er zutiefst empört sein. Warum ist der vormals brave Staatsdiener so aufmüpfig? «Anders als früher bin ich heute völlig unabhängig», sagt der 66-jährige Nieder-
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mann. Also könne er Mängel frei benennen. In der SRG entdeckt der SRG-Funktionär den Missstand, dass die Führung nach immer mehr Macht strebe und die «Leute über den Tisch» zu ziehen versuche. Für Nie-
SANDRA NIEMANN
Das Internet wird die gedruckte Presse nie völlig verdrängen, meint Felix E. Müller
Dieter Niedermann, der Präsident der SRG Ostschweiz, sieht Ähnlichkeiten zwischen SRG-Chef Walpen und Silvio Berlusconi. Von Francesco Benini
Schweizer Tamilen Der Krieg ist zu Ende, doch das Leiden geht weiter. Seite 25
Dies ist die Chance der Wochenpresse, zu der primär die Sonntagstitel gehören. Sie sind die Anlegestellen im reissenden News-Fluss. Hier gibt es die Möglichkeit der Besinnung, der Einordnung und des Überblicks.
dermann ist die regionale Trägerschaft des Vereins SRG ein Garant dafür, dass eine öffentliche, aber keine staatliche Kontrolle des öffentlichen Rundfunks stattfinde. Oberstes Ziel müsse es sein, die Unabhängigkeit des Programms zu gewährleisten. Der Trend in der SRG gehe aber in die umgekehrte Richtung: Die unlängst beschlossene Zentralisierung bringe eine Konzentrierung der Macht an der SRG-Spitze – und diese sei empfänglich für politische Einflussnahme. «Dem Herrn Generaldirektor ist die Trägerschaft der SRG völlig egal. Er hält sich verantwortlich für jede einzelne Sendung, die von Radio und Fernsehen ausgestrahlt wird. Das ist unschweizerisch, denn wir haben in diesem Land eine tiefe Abneigung gegen die Machtballung bei einer einzigen Person.» In Niedermanns Stimme ist keine Wut; er spricht vielmehr wie jemand, dem es Freude bereitet, an einem Monument zu kratzen.
Besinnung, der Einordnung und des Überblicks. In dieser Funktion ist die gedruckte, bezahlte Wochenpresse unersetzlich. Nur sie bietet eine Totalität der Leseerfahrung, die das Internet nie wird leisten können. Es handelt sich hier nicht um Phantasmen eines besorgten Chefredaktors, sondern um Überzeugungen, die etwa durch die steigenden Leserzahlen der «NZZ am Sonntag» bestätigt werden. Für uns ist die jetzige Krise nicht eine Krise des Leserinteresses, sondern eine des konjunkturellen Anzeigenschwunds. Dass sich die Hoffnung, mit dem Anziehen der Konjunktur würden die Inserate wieder zurückkehren, vielleicht nur zum Teil erfüllen wird, mag sein. Leserinnen und Leser müssen wohl bereit sein, in Zukunft für seriöse Information etwas mehr zu bezahlen als bis anhin. Denn Inhalte sind nie gratis, selbst wenn sie sich so präsentieren. Das Verschwinden der gedruckten und bezahlten Presse hätte gravierende Auswirkungen. Es wäre dies das Ende einer Zivilgesellschaft, die sich in ihrem politischen und intellektuellen Haushalt auf die Filterfunktion von Medien stützen kann, die einschätzbar sind. Diese stellen ein Einverständnis her über die Dinge, die wichtig sind, und sie bestimmen so den allgemeinen Diskurs. Vermögen sie diese Rolle nicht mehr zu spielen, droht etwa eine vom Internet gesteuerte Politik um sich zu greifen, die anfällig ist für Stimmungen, für populistische Aufwallungen und für versteckte Zugriffe auf die Macht. Die Kampagne um die Verjährungsinitiative ist ein Vorbote der Dinge, die da auf uns zukommen könnten. Und wann hätte man denn besser Zeit, über solche Entwicklungen zu lesen und nachzudenken als an einem ruhigen Sonntag? Eben. Warum ist im Tessin die SRG der grösste Arbeitgeber? Warum werden dort Sender am Leben erhalten, die kaum jemanden interessieren? Warum müssen die Deutschschweizer Gebührenzahler Geld für Luxus in den Südkanton überweisen? Warum werden SRG-Dienststellen nicht gestrichen, deren Tätigkeit keinen spürbaren Einfluss auf die Sendungen hat? Warum dürfen die Mitarbeiter der SRG jede Minute Überzeit kompensieren? Warum will die SRG Radio und Fernsehen unter eine gemeinsame Leitung stellen, wo doch die beiden Medien ganz unterschiedlich funktionieren? Solche Fragen wirft Niedermann auf. Er erzählt mit einem Anflug von Heiterkeit, es gebe jeweils «Tätsch» aus der SRG-Zentrale, Zurechtweisungen, aber die seien ihm egal. Solange er keine plausiblen Antworten erhalte, stelle er die Fragen weiter. Am Montag will der Verwaltungsrat der SRG Deutschschweiz einen neuen Radiodirektor einsetzen. Niedermann kämpft dagegen an, weil er das Vorgehen als «klar statutenwidrig» einstuft. Für die Wahl sei der Regionalrat zuständig, alles andere sei unzulässig. Wieder wollte die SRG ein wichtiges Geschäft heimlich abwickeln, wieder wurde der Plan durch Indiskretionen publik, wieder überzeugt die Kommunikation der SRG nicht, wieder wirkt ihre Führung kopflos. Niedermann lächelt. «Walpen probiert's mit allen Mitteln. Gut, dass der Machiavelli nicht vorrätig zu sein scheint in seiner Bibliothek.»