Nordische Zeitung 4 2008

  • December 2019
  • PDF

This document was uploaded by user and they confirmed that they have the permission to share it. If you are author or own the copyright of this book, please report to us by using this DMCA report form. Report DMCA


Overview

Download & View Nordische Zeitung 4 2008 as PDF for free.

More details

  • Words: 20,712
  • Pages: 26
umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:41 Uhr

Seite 72

Impressum

Die Stimme des Artglaubens Im Einsatz für 䢇 Lebensschutz, insbesondere Überleben unserer Art 䢇 Erhaltung des nordischen Kulturerbes und Förderung einer wesensgemäßen Kultur 䢇 Verwirklichung einer sinnerfüllten Lebensgestaltung

Inhaltsverzeichnis Versuch über Snorri Sturluson Prof. Dr. Hans Naumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

Die germanischen Waffen Harry Radegeis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

Nordische Weihnacht Alwin Bauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

Weihnacht einer Mutter Thor Goote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

Lebendige Wandlungen deutscher Kunst Dr. Werner Freytag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

Unseren jungen Gefährten – Aus Deutschlands Vor- und Frühzeit: Volk ohne Raum – Teil 5 . . . .

89

Unseren jüngsten Gefährten – Es geht eine Zipfelmütz – Die Dorfkinder fragen . . . . . . . . . . . .

94

Heidenspaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

Neues vom alten Feind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

Buchbesprechungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

Die NORDISCHE ZEITUNG ist die Stimme des Artglaubens. Sie wird von der Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V., Postfach 55709, 22567 Hamburg, herausgegeben und verlegt und erscheint vierteljährlich. Menschen unserer Art, die Beiträge zur Entwicklung nordischer Anschauungen auf religiösem, weltanschaulichem, kulturellem, erzieherischem, gemeinschaftsbildendem, künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiet geben wollen, steht sie zur Verfügung. Dabei müssen namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht in jedem Falle mit der Auffassung der Schriftleitung oder der Leitung der Artgemeinschaft übereinstimmen. Schriftleiter und verantwortlich für den Inhalt, soweit Beiträge namentlich nicht gekennzeichnet sind: Jürgen Rieger, Auguste-Baur-Str. 22, 22587 Hamburg. Namentlich gekennzeichnete Artikel verantworten die Verfasser. Zahlungen auf das Konto: Die Artgemeinschaft, Postbankkonto 5 28 51104 Berlin (BLZ 100 100 10). Aus dem postalischen Ausland: unter Angabe des €-Betrages mit Auslandspostüberweisung DE59 1001 0010 0052 8511 04, BIC PBNKDEFF oder Scheck, spesenfrei für den Empfänger. Die von der Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. verwendete Form der Irminsul ist registerrechtlich geschützt und darf nur von Mitgliedern der Artgemeinschaft verwendet werden. Wir setzen an den Beginn unserer Jahreszählung nicht die Geburt eines Christus, von dem niemand weiß, ob und ggf. wann er geboren wurde, sondern die Hochblüte des Gestirnheiligtums Stonehenge. Bezugsgebühr 18,– € jährlich, für Mitglieder und Förderer im Jahresbeitrag enthalten. Bestellungen für nur ein Jahr gelten als automatisch um ein weiteres Jahr verlängert, wenn nicht bis zum 31. 12. gekündigt wird. Wenn innerhalb eines Jahres bestellt wird, werden die bereits erschienenen Hefte nachgeliefert; die Bestellungen gelten immer für ein Kalenderjahr.

Beilagenhinweis: Einer Teilauflage liegen Mitteilungen der Leitung und die Einladung zum Gemeinschaftstag bei. Umschlagbild: Die Rhumequelle – ein altes germanisches Heiligtum – ist eine der größten Quellen Europas bei Rhumspringe am Südwestrand des Harzes.

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:41 Uhr

as Jahr 1720 war ein Schicksalsjahr der Germanistik und jenes Segelboot war weißgott ein glückhaft Schiff, das damals 50 Kisten vieler tausender isländischer Handschriften aus der Arnemagnäanischen Sammlung nach Kopenhagen brachte, nachdem schon andere Segelschiffe mit anderen Handschriften früher eingetroffen waren. Eine Welt, die schon fast ausgerottet schien, konnte wieder erwachen. Ach, der Latinität in allen Couleurs wäre wohler gewesen, der deutsche Geist wäre billiger einzuordnen für sie, der Puls nordischen Bluts in Europa schlüge zaghafter, hätte jenes Boot Schiffbruch erlitten. Wenn die Antike den einen Teil des abendländischen Geistes darstellt, nun so kehrte der geschwisterlich andere, schier schon verlorene jetzt wieder zurück. Jenes Segelboot landete glücklich und die alten Götter kehrten heim aus dem Exil. Auch Feuersbrünste der nordischen Bibliotheken haben sie nicht mehr vernichten können; aus dem scheinbar kryptogamen Zustand war Germanien mit einemmal glücklich erlöst.

D

Seite 73

Versuc über Snorri Sturluson

Denn es handelt sich um nichts Geringeres als um das geistige Gut einer Germanenkolonie ohne Urbevölkerung, daher ohne Substratmöglichkeit; damit um jenen Beweis eigenständiger Höhe, der sonst immer verhindert wurde durch den Verdacht von Substratmöglichkeit oder durch den allzu frühen Einbruch der Fremde. Aber so wie Griechenland zu früh erblühte für diesen Einbruch, so lag ihm Island zu fern. Und wie daher das griechische Schrifttum den Stolz des klassischen Philologen begründet, so das isländische die abgründige Sicherheit des Germanisten; wir bemerken mit Genugtuung, daß man in beiden Fällen sogar von Hochmut sprach. –

erfüllter Aufgabe – die Kolonie ihrer inzwischen schon vielfach latinisierten Heimat wieder zuzuführen bemüht war, war doch zugleich der Hauptvertreter jenes alten Schrifttums: Snorri Sturluson. Zu diesem Widerspruch müssen wir Stellung nehmen. Gerade solche Polarität ist ja oft das Geheimnis des Schöpferischen im Leben; auch des Geistes.

Eine staatliche Gemeinschaft unter der Tonangabe einiger großer Sippenherrn, einiger principes, wie Tacitus sagen würde, war den neuen duces oder Großreges der norwegischen Heimat entwichen, um auf Island in geradezu altgermanischer Weise den stadtlosen, unbekehrten und noch ein Jahrhundert ungetauften, südlich kaum behauchten Zustand in Glaube, Sitte, Dichtung, Lebensführung fortzusetzen, ja zu retten, indem sie ihn schließlich der einzigen und dankenswertesten südlichen Gabe überlieferte, die sie sich gleichwohl reichen ließ, der Schrift. Es war damals etwas so geographisch wie geistig gradezu Außereuropäisches, weil nicht der alleinherrschenden Latinität Unterworfenes, was dennoch aufgeschrieben werden konnte, gleichsam in einem fremden Mittel damit eingefangen und bewahrt wie die Fliege im Bernstein. Und gerade der Mann, der später – wie nach

Snorri war ein gelehrter Laie jener abendländischen Art, die wir aus der ungetauften Antike kennen und die ebenso ungetauft in den germanischen frödimenn, den Überlieferungs- und Rechtskundigen, weiter geblüht hatte. Zu karolingischer Zeit war diese Art im Taufkleide wieder erwacht in Laien wie Einhard, Angilbert, Nithard, zu staufischer dann in Hartmann, Walther, Wolfram, aber selbst wenn diese Leute den Priestertitel getragen hätten (wie Saemund etwa und Ari auf Island, wie beinahe Hartmann), so hätte das bei ihrer unklösterlichen, unklüniazensischen Art an ihrer ganzen Haltung wenig geändert. Geistliche und weltliche Oberschicht waren ja sowieso bei uns eins; der Priestertitel hätte nicht anders als einst der Godentitel nur angezeigt, daß ein Dualismus zunächst auf gar keinem Gebiete hier herrschte, so vor wie nach der Bekehrung.

Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

Snorri Sturluson. Illustration des norwegischem Malers Christian Krohg für die HeimskringlaAusgabe von 1899.

Snorri war ein großer Grundherr im Besitz von zeitweilig 16 Gütern, war Staatsmann, Krieger, Dichter, Dichtlehrer, Gelehrter, der uns verdeutlichen kann, über welche zukunftverheißenden hochkultivierten Kräfte Germanien ganz aus sich selber verfügte wie nur einst die Antike; er war ein Freund von Königen und von schönen Frauen, norwegischer Hofskalde und dennoch Freund alles Isländisch-Eddischen, er war ein Mann, der fast allsommerlich seine Thinghändel und bewaffneten Fehden führte von 800 Gefolgsleuten begleitet, ein Mann, der uns zeigen kann, wie wenig dazu gehört, um, wie einst in der Antike auch, aus diesem Becken von Macht und Geist sowohl die große geschichtliche Tat wie die große Geschichtsschreibung fließen zu lassen, die verschiedensten Wissenschaften, die große Hofdichtung, ja womöglich die Liebeslyrik. Sippen- und Königsüberlieferung, d. h. Geschichtswissenschaft, ferner Rechtskunde, Geographie, in all dem war Snorri Meister auf seit Urzeit gepflegtem Boden, und nun wurde er es auch in Mythologie, skaldischer Metrik, Stilistik und Stoffkunde, wir können gradezu sagen: in Philologie. Erwachte nicht auch bei den Griechen diese Wissenschaft erst sehr spät, gleichfalls am äußersten Rande ihrer Welt und aus der Beschäftigung mit der eigenen großen Dichtung, nämlich unter den Alexandrinern aus dem Studium des Homer? Snorri stammte aus der reichen westisländischen Adelsfamilie der Sturlunge, über deren Geschichte jüngere Sippenangehörige selbst eine Saga verfaßten, aus der wir auch Snorris Leben sehr genau kennen. Es spielte sich auf alten, überlieferungsreichen Gehöften ab, Herren- und Godensitzen, die, wie oft in Germanien, zugleich Sitze der Bildung, der Gelehrsamkeit und des Geistes waren. Auf Hvamm 1179 n. übl. Ztr. geboren, ward der Knabe auf Oddi erzogen, dem Sitze einst Saemunds, dem man in alten Zeiten die Liederedda zuschrieb, und vermutlich stammt ja der Name Edda etymologisch vom Namen dieses Gehöftes Oddi. Jetzt lebte da als Hofherr und war sein Erzieher Jon Loptssohn, Saemunds Enkel, der mächtigste und gebildetste Isländer seiner Zeit. Hier war der Knabe tatsächlich an der Quelle der besten alten Überlieferungen in Geschichte, Glauben und Recht. Nach Jons Tod, 18jährig, verließ er Oddi 1197 n. übl. Ztr. und lebte eine

73

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:41 Uhr

Snorri ließ in Reykjaholt ein Bad bauen, das von einer heißen Quelle gespeist wurde. Das kreisrunde Becken gehört zu den wenigen noch erhaltenen Bauwerken aus der Sagazeit.

Zeitlang jungverheiratet auf dem Gehöfte Borg, wo 300 Jahre zuvor der große Skalde Egil das Licht der Welt erblickt hatte, mit dessen Sippe Snorri von Mutters Seite verwandt war. Dann aber wurde Reykjaholt am Borgfjord sein Sitz, ein befestigtes, mit Bädern ausgestattetes Herrengehöft. Damals lagen die Sippen der principes auf Island in heftigsten Fehden miteinander, jetzt hätte die Gemeinschaft, die fast keine mehr war, eines dux oder rex bedurft, von innen oder von außen. Gab es irgendwo eine solche Figur, die dafür in Betracht kam? Vielleicht doch! 1218 bis 1220 n. übl. Ztr. erfolgte Snorris erste Norwegenfahrt, da war er schon drei Jahre Gesetzessprecher in der Heimat gewesen, also ein Mann von politischer Bedeutung und ein bekannter Skalde. König Hakon von Norwegen und sein allmächtiger Jarl Skuli – aus Ibens ,Kronprätendenten‘ kennt man diese Figuren – überhäuften ihn mit Ehren, mit Geschenken und Freundschaft, nachdem er sie in einer Preisliedgruppe aus 100 Strophen immer wechselnden Metrums gefeiert hatte. Es wird die schönste Zeit seines Lebens gewesen sein, auch die verheißungsvollste. Je zersplitterter die Kolonie damals war, desto gespannter die Aufmerksamkeit des königlichen Mutterlandes, endlich hier eingreifen und auf der Insel Fuß fassen zu können. Snorri schaltete sich ein, bog eine gewaltsame Unterwerfung ab und versprach eine friedliche Überführung ins norwegische Reich. Aber die Heimat empfing 1220 n. übl. Ztr. den königlichen Lehnsmann, Kämmerer, Gefolgsmann und wohl präsumtiven Königsjarl bei seiner Heimkehr mit Mißtrauen und Hohnversen als Verräter. Dennoch gelang es ihm, die Gemüter umzustimmen, ja auf zehn Jahre wieder Gesetzessprecher zu werden. Empfanden seine Landsleute vielleicht unbewußt mit Aristoteles, daß für den geschichtsbildenden Genius das Gesetz nicht eigentlich gelte, sondern daß er selbst das Gesetz sei? Es liegt nahe genug, so zu deuten. Jedenfalls, diese Zeit des wiedergewonnenen Vertrauens war wohl die friedlichste seines Lebens, die

74

Seite 74

Zeit auch seiner beiden großen Meisterwerke. Dann aber spitzten sich die Verhältnisse wieder zu, die Spaltungen griffen nun tief in die Sturlungensippe selbst, Snorri mußte vor den eigenen Gesippen aus Reykjaholt weichen. Das Verhältnis zu König Hakon, durch die lange Pause unsicher geworden, wurde durch eine zweite Norwegenreise 1237 n. übl. Ztr. nicht besser. Jedenfalls führte sie unseren Mann nur zum Jarl Skuli, der seinerseits längst in gespanntem Verhältnis zum König lebte. Hakon hielt daraufhin den Wiederabgereisten für staatsgefährlich. Die Wogen der Macht waren nun stärker geworden als Snorris scheinbar zweideutige Staatskunst; sie verschlangen ihn! Des Königs Günstlinge überfielen ihn nach des Jarls Tode in seinem Gehöft und erschlugen ihn in der Nacht zum 28. September 1241 n. übl. Ztr.. Island stand, wie schon angedeutet, zu dieser Zeit vor der nicht ungewöhnlichen Schicksalsfrage: Fortführung des engen eigenen Partikularismus oder Teilnahme an der größeren Bedeutung des wiedergefundenen heimatlichen Reichs. Wo dann in solcher Lage immer die schöpferischen Geister Germaniens stehen, ersehn wir aus den großen Dichtern und Gelehrten der Schweiz oder Flanderns, auch des neuem Nordens selbst. Die isländischen Skalden fühlten sich schon längst hingezogen zum norwegischen König. Wir brauchen an Snorris ehrlicher Überzeugung, ohne Verrat und Gewalt den Anschluß bewerkstelligen zu sollen, nicht zu zweifeln; aber offenbar zögerte er zu lange und griff nicht zu, oder – da doch nun erst die zehn Jahre seines großen Schriftstellertumes begannen – er vergriff sich im Mittel und glaubte irrtümlich, mit Büchern statt mit Taten den Schritt vollziehen zu können. Island hatte ja nun, wie sich einem pragmatischen Verstande leicht ergibt, seine erste geschichtliche Aufgabe erfüllt, nämlich sozusagen ein Germanien soweit fortzuleben, bis es in Buch und Schrift unverlierbar festgehalten werden konnte. Islands zweite geschichtliche Aufgabe mußte nun darin bestehen, durch den Anschluß ans Mutterreich sich selbst und seiner einzigartigen Bedeutung so etwas wie Nachruhm und Geltung und ewige Dauer im Geiste zu sichern fürs ganze Abendland. Es ist, als ob Snorri diese beiden Aufgaben Islands mit wunderbarster Klarheit begriffen hätte und ihnen Ausdruck hätte geben wollen in seinen beiden Prosawerken: in seiner Prosaedda der einen, der Bewahrung des germanischen Geistes, in seinem Buch der norwegischen Könige, Heimskringla oder Konungsbok genannt, der andern, der Einmündung ins norwegische Reich. Und als hätte er eben darüber die geschichtliche

Tat versäumt. So ists, als umhauche auch ihn etwas von der Tragik Wallensteins, der sich zuviel und zulange mit seinen Sternen befaßte und darüber ebenfalls statt der geschichtlichen Krönung den Mord einernten mußte. So kommt es, daß wir nun auch bei Snorri nichts von seiner Würde als eines ersten königlichen Jarls auf Island berichten können, sondern nur von seinen beiden Werken, denen er diente und denen allerdings nur die Resonanz eines ganz großen Reiches fehlte, wie es doch z. B. den Griechen mit der Resonanz des Römischen Reiches vergönnt war, um als Sterne erster Ordnung am Himmel des menschlichen Geistes zu stehen. Über dem Schriftsteller war in Snorri der Staatsmann gradezu eingeschlummert und so ward es zu spät für ihn, nun nicht wie Archimedes gleichsam über seinen Zirkeln erschlagen zu werden. Uns hat er freilich damit den weitaus größeren Dienst geleistet. Zwar war Snorri keinen Augenblick weltfremd; trotzdem nahm er fast die typische Haltung der Gelehrten unsers Geblüts vorweg mit seinem Verhalten. Snorris Prosaedda gilt mit Recht als eines der merkwürdigsten Bücher der Weltliteratur. Als „Buch von Oddi“ ist es also das Denkmal für die dort verbrachte Jugend, Dank für die dort gesammelte Belehrung. Sein nächster Zweck ist, ein Lehrbuch der Goldschmiedekunst des Skaldenstils zu sein, ein Stück eigenständigster germanischer Philologie eines allerersten Germanisten, ein Handbuch der Mythologie, der Poetik und Metrik, kurz all dessen, was der germanische Dichter braucht. Demnach gliedert sich das Werk in drei Teile: 1. die Gylfaginning, einen Abriß germanischer Mythologie, der, aus den alten Eddaliedern schöpfend, deren Kenntnis nicht im geringsten verheimlicht; 2. die Bragaroedur oder Skaldskaparmal, ein Lehrbuch der Kenninge, jener berühmten oder berüchtigten poetischen Umschreibungen, die das eigenartigste Schmuckmittel des Skaldenstils bilden; mit diesem Teil ist die Prosaedda der unmittelbare Vorläufer von Rudolf Meissners Kenningabok; 3. das Hattatal, Verslehre und Kommentar zu seiner vorhin erwähnten Preisliedgruppe auf Hakon und Skuli, die ja aus 100 verschiedenen Strophen bestand, eine Musterstrophensammlung also mit metrischer Interpretation, einheimischen Fachausdrücken und allem, was zu feinster Philologie gehört. Das ganze eine ,germanische Poeterey‘ also, ungleich reicher als Opitzens ,deutsche‘, aber einflußloser, weil keine politische Macht ersten Ranges jemals den dazu nötigen Resonanzboden bildete. Einige Parerga, ein grammatischer Traktat über Ton und Laut, ein Skaldenverzeichnis, ein isländisches GesetzNordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:41 Uhr

sprecherverzeichnis, ein Stammbaum der Sturlunge scheinen Zutaten von Snorris Neffen zu sein. Teil 1 und 2 sind in mythologische Rahmen gekleidet. Der mythische Schwedenkönig Gylfi – so beginnt Teil 1 – bricht auf, das Volk der Asen kennen zu lernen; in Asgard trifft der Wanderer eine asische Dreifaltigkeit an, die ihm in Frage und Antwort alles Wissen aus der mythischen Welt vermittelt, der Welt also, aus der die poetischen Umschreibungen zum größten Teil stammen und die auch dem längst getauften Skalden geläufig bleiben muß. „Jungen Skalden“, sagt Snorri, „die es verlangt, die Dichtersprache zu verwenden oder dunkle Dichterwerke zu verstehen, denen ist zu raten, dies Buch zu studieren. Die hier erzählten Mythen dürfen nicht vergessen oder verleugnet werden, indem man aus der Dichtkunst die alten Kenninge verbannt, an denen unsre alten Hauptskalden Gefallen fanden.“ Das Motiv, daß ein König oder sonst ein Mensch sich Kunde bei den Göttern holt, begegnet auch sonst im Germanischen. Verschwindet zuletzt die Götterburg mit der heidnischen Trinität überraschend vor Gylfi, der allein auf weitem Felde zurückbleibt, so erinnert dies an das Erlebnis und die Rolle Thors beim Riesenkönig Utgardaloki, also an eine der Mythen, die Snorri hier selber erzählt. Aus den alten eddischen Liedern wird reichlich geschöpft, der heidnischen Trinität selbst werden nur Eddastrophen in den Mund gelegt, keine Skaldenlieder bemerkenswerterweise; auch der Dialog aus Frage und Antwort als Form der Wissensvermittlung ist schon eddisch. Es handelt sich um die altererbte Form der Hergabe aller Weltgeheimnisse durch seherhaftgöttliche Wissende. Ein formal ähnlicher Strom fließt freilich auch aus der Antike ins Mittelalter; es mag sich damit im tiefsten Grunde um gemeinsames nordisches Stammgut handeln. Auch Heinrich der Löwe, annähernd Snorris Zeitgenosse, ließ daher für seinen deutschen Lucidarius, ein Volksbuch alles Glaubens und Wissens, die Gesprächsform wählen, zwischen Meister und Jünger. So wird denn die Summe alles Wissens, hier des getauften, dort des ungetauften, hier dem Schüler, dort dem König wie einem Schüler dargereicht. Natürlich lauten manche Fragen fast gleich: Wovon kommen die Winde (G. L.)? Wie stand es, ehe diese Welt wurde (L.)? Was trieb der Gott da, ehe Himmel und Erde gemacht wurden (G.)? Was war der Anfang, wie fing es an und was gab es vorher (G.)? Was schuf Gott zu allererst (L.)? Und ungemein ähnlich klingt die bange Bewegtheit aus den Fragen: Was geschieht danach, wenn diese ganze Welt verbrannt Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

Seite 75

ist (G.)? Was geschieht dann aus der Welt, zergeht sie ganz (L.)? Leben dann noch irgendwelche Götter und gibt es noch etwas von Himmel und Erde (G.)? Wie kommt es um des Menschen Ende; wie steht es um das Gottesreich nach dem jüngsten Tag (L.)? Ähnlicher Bewegung voll sind bei der gleichen Frage auch die Jünger des altsächsischen Heliand. Nur an den Namen und an Fragen wie diesen: „Gab es für diese Niederlage keine Rache? Hat denn der Gott sich dafür nicht gerächt?“ äußert sich in manchen Partien der Unterschied zwischen dem getauften und dem ungetauften Wissens-Traktat. Die wahrhafte Bildung Snorris bewährt sich darin, daß die Volkssprache nicht zu gering vor ihm ist, – wie übrigens auch vor Heinrich dem Löwen nicht, aber daß selbst die einfachste eddische Mythe ihm nicht zu belanglos erscheint, daß der Götterkundige, der godmalugr, Mythen weiß, die wir ohne ihn nicht besäßen, und daß er sie mit tiefstem Behagen und reifster Kunst erzählt. So wurde der weitere Sinn des Buches erfüllt, Urväterhort zu bewahren, etwas das älter und also adliger in Nordeuropa ist als alles, was nachher noch kam. So erfährt denn Gylfi (und wir mit ihm) durch Allvater, den ältesten aller Götter, von den neun Weltheimen, vom Urriesen und der Erschaffung Midgards aus ihm, vom ersten Menschenpaar Ask und Embla, vom Bau der Götterburg, wie Sonne und Mond ihre Aufgabe zugemessen erhielten, von der Regenbogenbrücke zwischen Himmel und Erde, von der Weltesche und dem Nornenbrunnen, von den Göttern allen und ihren Gehöften, von Loki und seiner dämonischen Brut, vom Verhängnis über der Welt und wie es die vertrauensseligen, allzu leichtsinnigen Götter selbst herbeiführen helfen, von der Götterdämmerung, ihren Vorzeichen und ihrem Verlauf, aber auch vom Evangelium einer neuen Welt: „Die Sonne hat eine Tochter geboren, schöner als sie selbst, und diese wird die Straße ihrer Mutter wandeln.“ Wir erfahren inmitten der Weltallbeschreibung und der göttlichen Charakterbilder den ganzen Baldermythos mit der vorläufigen Rache an Loki, sowie eine Reihe der schönsten Thorsmythen, darunter die verspeisten Böcke und die verfrühte Begegnung mit der Midgardschlange, dazu den nur hier überlieferten tiefsinnigen Bericht von Thors Besuch bei Utgardaloki, eine Gylfaginning im Kleinen, wie die Perle in der Muschel, ihr gleichgeformt, ihr die Form vielmehr schenkend. Der gewaltige Mythos von der Lospflügung der Insel Seeland aus der uppländischen Ebene am Maelarsee eröffnet vorhallenartig das Ganze und zog den mythischen Schwedenkönig herbei.

Auch der zweite Teil, kurz die Skalda genannt, spielt unter Göttern. Kam doch der Dichtermet (und auch der Met der Dichterlinge) von den Göttern zu den Menschen tiefsinnigerweise. Der Mythos seiner Gewinnung wird nun hier erzählt. Dieser Dichtermet hat alle Welten durchlaufen: Er war vorher von den Zwergen zu den Riesen gelangt; Odin selbst gewann ihn dann von der Riesentochter. Bragi, der vergöttlichte Skalde, führt hier das Wort und belehrt seinen Bankgenossen in der Götterhalle, den Gott Aegir, der die Fragen stellt. Hier ist es, wo das Ganze in unmittelbare Dichterbelehrung übergeht. Zwei Dinge müsse der junge Skalde auseinander halten, den Stil und das Metrum. Solche Unterweisung vom Dichter an den Dichter, denn durch Bragi spricht hier Snorri ja selbst, hatte es vorher natürlich mündlich gegeben seit je. Wir erinnern uns aus dem literarhistorisch so besonders wichtigen Kapitel 78 der Egilssaga, wie mitten auf dem sommerlichen Allthing der junge Skalde Einar bei dem großen Egil selber Dichtunterricht nimmt; madr er mans gaman, heißt es in diesem Sinn in der Edda, „der Mann ist des Mannes Freude“. Und nun werden die Kenninge alle gesichtet, die die großen Skalden verwendet haben, ihre Gedichte liefern jetzt reichlich die philologischen Belege für den Traktat, Eddaverse begegnen hier kaum, – die Kenninge also für das Gold, für die Dichtkunst, für Odin, für alle andern Götter, für die Urdinge Himmel, Erde, Meer, Sonne, Wind, Feuer, Winter, Sommer, Mann, Frau, Schlacht, Waffen, Schiff usw. werden behandelt, eine Synonymen-, eine Homonymenlehre und ähnliches folgt. Die Tore dieser Skaldik sind stofflich weit geöffnet in abendländischer Toleranz. Plötzlich heißt es: Wie umschreibt man Christ? Und die Antwort bringt Kenninge wie König der Himmel, der Engel, Jerusalems, Griechenlands, Fürst der Apostel und der Heiligen, aber sie rügt auch zugleich, diese Kenninge seien nicht immer eindeutig, und nur durch den Zusammenhang zu erkennen; richtiger würde man ja den Kaiser von Byzanz Griechenkönig nennen usw. Auch die Kenning König der Menschen gälte ja für jeden König, nicht nur für Christ. Mitten darin erzählt Snorri auch hier einige Göttermythen, nun aber auch Heldensage, aus dein Nibelungenkreis, den Hildemythos, die Wundermühle König Frodis usw., alles in Prosa klar, knapp, gepflegt und genau, fesselnd, übrigens ganz um ihrer selbst willen zum Glück, weit über die philologischen Belegzwecke hinaus, voller Stolz über die deutlich gefühlte Besonderheit in der Welt, gleichsam für Größeres sein Erzählertalent beweisend.

75

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:41 Uhr

Es ist sehr möglich, daß diese wahrhafte Acerra philologica, diese Mythen- und Sagensammlung in Prosa, – in einem Dichterlehrbuch enthalten –, Anlaß wurde, jene Götter- und Heldenlieder, die hier so vielfach benötigt wurden, nunmehr gleichfalls in einem Buche zu sammeln, eben in jenem, das wir die ältere oder Liederedda nennen; viele ihrer Lieder sind ja nachweislich Snorris Quelle gewesen. Alles in Allem. so hat dies Buch wirklich kaum seinesgleichen in der weiten Weltliteratur; es steht in keiner literarhistorischen Kette, die sichtbar aus der Antike kommt. Indem Snorri so besonders mächtig mit dem einen Werk zur Erfüllung der ersten geschichtlichen Aufgabe Islands beitrug, der Sicherstellung des Alten wie in einem Museum, und die Latinität zwang, ihr wichtigstes Mittel – die Schrift – selber in diesen Dienst zu stellen, konnte er sich mit dem zweiten zum Träger des anderen großen Anliegens machen, gleichsam ein Laboratorium aufzubauen für die Wiederzusammenfügung der Kolonie mit dem Mutterland, – Ältestes mit Treue bewahrend im Kult der Vergangenheit, freundlich das Neue auffassend im Dienste der Zukunft. Nur daß solch Goethesche Harmonie des eigenen Wesens sehr oft von den Zeitgenossen beider Richtungen verkannt wird und man dann leicht, wie er, zwischen 2 Stühlen sitzt. Hatte er in seiner Edda dem Geiste des Skaldentums gedient, so folgen nunmehr in der Heimskringla die Taten der Könige. Mit diesen Worten Skalde und König ist ein tiefer Urgrund seines Wesens berührt. In Königen und Dichtern, diesen seit Urzeit verbundenen adligsten Ämtern der abendländischen Menschheit, erfüllte sich ja dieser Menschheit Dasein, in den Tätern der Taten und in ihren Sängern, gleich nahe den Göttern sie alle beide. „Im Arme der Götter ruhen sie gern.“ Der isländische Freistaat hatte die Könige niemals aus seinem Geist und Geblüte verloren, die Skalden wußten davon. Snorri selbst stand wieder so in der norwegischen Königsgefolgschaft wie die früheren isländischen Skalden 200 Jahre zuvor. Wie König und Jarl im Guten und Bösen zusammengehören, so König und Königsskalde. Die Skalden als solche wuchsen schon früher gelegentlich in politische Rollen, Sighvat zum Beispiel, so ja auch Snorri jetzt selbst. Auf jeden Fall hielten sie die Ereignisse und Taten im Liede fest. Snorri läßt es den König Olaf Helgi selber, vor der Schlacht bei Stiklastad, zu seinen Dichtern sagen: „Kämpft hier mit in meiner Schildburg, denn ihr werdet ja die Künder dieser Vorgänge sein und später darüber berichten“. Das Heil und die Geschichte der Könige, der Geist und die Macht des

76

Seite 76

Skaldentums bilden den Inhalt seines zweiten Lebenswerkes, er selbst trägt den Geist von beidem in sich, er will damit der verworrenen Heimat den Weg bereiten zum Zusammenschluß mit dem Reich. Um rund 300 Jahre pragmatisch gesehener Geschichte, um die Reihe der norwegischen Großkönige von 860 bis 1177 n. übl. Ztr., handelt es sich. Das ist ein Geschenk für die norwegischen Könige und für die isländischen Skalden zugleich, deren sozusagen letztes Paar Snorri selbst und König Hakon bilden. Diese gewiß vorhandene innerliche Voraussetzung fällt natürlich längst nicht mehr unter die Darstellung selbst. Der erste Teil steigt aus der rein mythischen Reihe der götterentstammten schwedischen Ynglinge unter Harald dem Schwarzen ins dämmernde Morgenrot der Geschichte, unter dessen Sohn Harald Schönhaar dann ins volle geschichtliche Licht und reicht alsdann bis zum Tode Olaf Tryggvasons in der Seeschlacht bei Svold im Jahre 1000 n. übl. Ztr. Der zweite Teil gilt der Hauptgestalt des ganzen Werks, König Olaf Helgi. Und von Magnus dem Guten bis zum Sieg des letzten Haraldsprößlings Magnus Erlingsohn in der Schlacht bei Re 1177 n. übl. Ztr. handelt dann der dritte Teil. Schon taucht am Schluß mit seinen Birkebeinern König Sverrir auf, der die neue Dynastie und Epoche einleiten wird; sein Enkel wird dann König Hakon sein, der Herr und Freund unseres Snorri. Also auch diesmal hebt sich der Eingang aus dem Raum des schwedischen Königsmythos empor, aus dem Bereich der norwegisch-ynglischen Königsahnen zu Upsala, die von den Göttern stammen. Snorris kritische Haltung verträgt doch diesen mythischen Eingang, denn er trifft Weltanschauliches, weil die edlen, besonders die königlichen Sippen nun einmal von den Göttern stammen, diese Götter hier aber auch zu christlicher Zeit keine leeren Schemen oder gar Teufel sind, sondern wie historische Personen durch den Eingang wandeln. Selbst der Heilige Olaf verträgt dann einen Gott in seinem Stammbaum. Solcher Urzeit zeitgenössische Quellen lagen unserm Autor natürlich nicht vor, so stützt er sich hier im wesentlichen auf das Ynglingatal des Skalden Thjodolf von Hvin, mit einem gewissen Vorbehalt allerdings. In einer Vorrede nämlich legt Snorri selbst die Grundsätze seiner Quellenbenutzung dar und nennt seine Quellen. Es sind die mündliche Überlieferung der frödimenn, ferner die jeweils den Ereignissen zeitgenössischen Skaldenverse sowie drittens sein Vorgänger in der isländischen Geschichtsschreibung, Ari (1067-1148 n. übl. Ztr.), der aber sei-

nerseits auf lebendiger Tradition der frödimenn beruht. „Seinen Bericht“, sagt Snorri, „halte ich alles in allem für zuverlässig, weil Ari klug war, stark von Gedächtnis und seinerseits sehr zuverlässige Gewährsmänner besaß“, – über die sich dann Snorri verbreitet. Er begründet sodann ausführlich den historischen Wert von solchen Skaldenversen, deren Dichter wohlgemerkt Zeitgenossen der Handlungsträger und Teilnehmer der Geschehnisse waren. Er spricht aus eigener Praxis, wenn er sagt: „Ich halte alles für wahr, was diese Verse über Kriegszüge und Schlachten berichten. Preisen sie auch die Männer, vor denen die Dichter standen, wenn sie ihre Gedichte vortrugen, so hätten sie doch nicht wagen können, Dinge zu erzählen, die alle Zuhörer und die Gefeierten selbst als unwahr erkennen mußten. Das wäre ja dann kein Preis, sondern leerer Hohn gewesen“. Die Kenner dieser Verhältnisse werden ihm beipflichten. So sagt er später einmal vom Skalden Hallfred: „Aus seinen Gedichten können wir die wahrsten und zuverlässigsten Berichte entnehmen, die über Olaf Tryggvason auf uns gekommen sind.“ Solch hohe geschichtliche Bewertung der Dichter durch einen Historiker ist sehr einzigartig, nicht nur in diesem Fall sehr berechtigt, sondern wäre auch sonst manchmal am Platze, z. B. bei Walthers Spruchdichtung, und der seiner Schüler. Staat und Kirche, – das macht Norwegen aus und würde vielleicht Diplomata und Urkunden liefern; aber Skaldenverse und Frödimennberichte, das ist isländisches Erbe! In der Interpretation der Skaldenverse, auf die also seine Darstellung in weitem Umfang hinausläuft, legt Snorri eine Meisterschaft an den Tag, die er so genial nur leisten konnte, weil er selber die Skaldenkunst vollständig beherrschte. Fielen etwa die grade bei einem großen historischen Ereignis anwesenden Skalden sämtlich, wie dies bei Stiklastad der Fall war, so mußte unser Mann sich nach andern Berichten umtun, in diesem Fall nach dem Nachrufslied des Skalden Sighvat, um die Vorgänge zu rekonstruieren; Sighvat war in der Tat zufällig nicht dabeigewesen, aber als genauer Kenner der Persönlichkeiten doch so gut wie Augenzeuge. Norwegen entwickelt sich zum Einheitsstaat seit Harald Schönhaar. Alte und neue Kräfte ringen miteinander bis in die einzelne Person hinein. Das mußte also in Snorris Darstellung sichtbar werden! Eben wegen dieses ersten Großkönigtums hatte sich ja Island einst abgezweigt, Widerstand und Auswanderung „vieler vornehmer Männer“ hatten ja die Kolonie gegründet. Die Zeitlage wird also zur Vorbedingung für die Entfaltung des Königscharakters und aus der Entfaltung der PersönlichNordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:41 Uhr

keit erklärt sich die Entwicklung ihres Staats. Auf Zeitlagen- und Charakterbilder kommt also für Snorri alles an. Aus seinem Charakter schafft Harald den festgefügten Lehnsstaat, und da sich seine Leidenschaft – ähnlich wie bei Karl – auch auf Frauen je aus allen Gauen seines Reichs erstreckt, so zerstören die Folgen seiner Leidenschaft den Einheitsstaat wieder mit der ganz archaischen Teilung unter die zahlreichen Söhne aus allen Gauen. Schon unter den nächsten Nachfolgern, Hakon dem Guten und Harald Grafeld, droht dem glücklich wiederhergestellten Staat der zweite neue Schritt, die Kirche. Die zwanzigjährige Zwischenherrschaft des zielbewußten Hakon Jarl, eines germanischen Julian Apostata, sammelt noch einmal alle Energien der alten Kräfte, – vergebens schließlich, es erscheint der erste Bekehrerkönig, Olaf Tryggvason. Bauern und Dichter leisten den Widerstand im Glauben. Aber mit einer ganz unköniglichen, ja ungermanischen Grausamkeit, so zelotisch wie brutal, erreicht der Bekehrerkönig sein Ziel; doch auch ihm wird grade diese Unbeherrschtheit zur Ursache von Sturz und Untergang. Dies kurz der Gang des ersten Teils. Norwegische Königsdramen in Prosa? Eines norwegischen Shakespeare? Aber dazu ist Snorri viel zu unparteiisch, ganz ohne Schwarzweißmalerei, um hierin ein Dramatiker zu sein. Vielmehr handelt es sich gattungsmäßig um eine Familiensaga im Großen, eines hohen Geschlechts, seiner Gaben, Ziele, Geschicke. Das Mutterland stellte die Könige, das Tochterland deren Skalden, und nun hatte es auch ihren Sagamann großen Stiles gestellt, der jetzt schrieb oder diktierte, und der so die Krone der isländischen Geschichtschreibung schuf. Germanien, sich selbst überlassen, war ganz allein zu den Wissenschaften gelangt, in seiner Weise, besonders zur Geschichtswissenschaft. Es besaß dazu seine frödimenn, sein historisches Bewußtsein in Merkversgruppen von Namen und in Sippenberichten. Wir dürfen zwischen Sippensaga und Königssaga keinen grundsätzichen Unterschied machen, er liegt nur im geschichtlichen Ausmaß. König Rothari bezeugt langobardische frödimenn, wenn er die Namen seiner Vorgänger verzeichnet, „soweit wir sie von alten Männern erfahren haben“. Eben das war auch Aris Prinzip gewesen. Diese frödimenn bildeten natürlich keine zünftige Druidenschaft, aber ihr Gedächtnis sammelte, sichtete kritisch und fügte zusammen. Die alsdann im Römischen Reich lateinischer oder deutscher Nation rasch aufgeblühte eigengermanische GeNordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

Seite 77

schichtswissenschaft der Jordanes, Paulus Diaconus, Widukind, Beda, ist nicht vom Himmel gefallen. Auch in der lateinischen Umhüllung erweist sich das meiste auf den ersten Blick als heimisches, nicht antikes Quellgut: Herkunft und Wanderung der Stämme, Königskataloge, das ist allemal Weisheit germanischer frödimenn, die oft die Könige selber sind wie eben z. B. Rothari. Adam von Bremen beruft sich auf den dänischen König Svend Eskidsohn alsQuelle, – ,,der alle Taten der Barbaren im Gedächtnis habe, als ob sie geschrieben wären“. Besonders die großen Sippen haben ihre Sagas; Egilssaga und Vatnsdoela sind richtige Sippenchroniken; Snorris eigenes Geschlecht verfügt über die Sturlungensaga. Eben aus der Familiengeschichte entspringt die klassisch-isländische Saga, mögen auch einzelne Sagas diesen Gesichtspunkt verleugnen. Gewiß nicht selten fanden sich in der Sippe selbst solche frödimenn oder unter ihren familiares, die sich die Saga einprägten und erzählten, sie formten. Wie unter der Hand können sich dann große Einzelporträts ergeben, so bei Grettir, bei Gisli; Stammbäume stellen sie dennoch heraus, das Gerippe könnte jederzeit aufgefüllt werden. Nirgendhin ist es dann weit, weder zurück zur Merkversgruppe noch vorwärts zum Einzelporträt nach der Art von Einhards Karl oder der Sverrissaga oder von Snorris Olaf Helgi als zweitem Teil seines Königsbuchs, zu dem wir uns sogleich wenden. Möglicherweise rührt ja das Einzelporträt der Eigla von Snorri selber her, es war Felix Niedners Lieblingsidee, die freilich nicht unwidersprochen blieb. Geriet die Saga in die Schrift, so war die Geschichtsschreibung fertig. Im Römischen Reich geschah es auf lateinisch; auf Island, das nicht dazugehörte, in der Volkssprache. Dort nahm sie literarischen Stil dabei an, hier behielt sie den klassisch-mündlichen Stil, in dem sie bisher gelebt hatte. Nichts berechtigt uns, etwa anzunehmen, nur die isländischen principes hätten Sippensagas besessen, nicht auch die principes der übrigen germanischen Welt. Sippensaga gehört zu Adel, Herrschaft, Burg und Königtum wie Reichtum, Vornehmheit oder Stolz. Aber auf dem bewegteren Festland locken ganz andere musische Erscheinungen viel eher die Aufzeichnung an als auf der abgelegenen Insel. Nur Spuren könnten bei uns vorhanden sein. Sind wir nicht längst bereit, den Armen Heinrich als ein Stück Sippensaga der Freiherrn von Aue zu betrachten? An den Königen war das lateinisch schreibende Reich interessiert, so kommt es, daß die Königsgeschichten des Paulus Diaconus und des Widukind existieren, aber unschwer mit Snorris Königsbuch auf einen Nenner zu brin-

gen sind. Königssagas sind sie alle drei, langobardische, sächsische, norwegische; typische Einzelmotive und Personen sind ihnen in Menge gemeinsam. Den Lebensbildern Plutarchs oder den Kaiserbiographien Suetons sind alle drei nicht verpflichtet, noch weniger der alten Annalistik oder den Weltchroniken der Kirchenväter. In den Ruodliebroman haben anscheinend Sippensaga wie Königssaga germanischer Art grade noch hineinmünden können und erklären einen Teil seiner Einzigartigkeit. Zuerst Seekönig ohne Land, zuletzt christlicher Heiliger, so erscheint die Hauptfigur des ganzen Werks, Olaf Helgi, im 2. Teil, der ihm allein gilt. Wiederherstellung der staatlichen Einheit und Vollendung der Bekehrung sind seine Ziele. Die Bekehrung, zunächst für ihn nur ein Faktor politischer Macht: – aber zuletzt ist sie ihm tiefinnerlichste Angelegenheit; Drontheim, Nidaros, zunächst der Mittelpunkt des Widerstands gegen ihn: – aber zuletzt ist es die Hauptstadt seines Reichs und die Kultstadt seiner Heiligkeit. Weltlicher und kirchlicher Olaf gleichen sich aus, erst mit der Verinnerlichung erblühen die heiligen Zeichen, Wunder, Weissagungen, Träume; aber lediglich die durch die Skalden Sighvat und Einar beglaubigten dienen dem Snorri als Quelle. Olafs unbestechliche Gerechtigkeit wird die Ursache seines Sturzes und Untergangs. Mag der versonnene Heilige zuletzt schon wirken wie aus der anderen Welt: der Krieger- und Skaldenkönig in der von Kriegern und Skalden um ihn gebildeten Schildburg bei Stiklastad (1030 n. übl. Ztr.) überdauert bildmäßig den Untergang in der Schlacht und es wird der heilige Gottesstreiter begreiflich, der himmlische König in Verschmelzung von Petrus und Thor, als der er in seinem Volke bis heute weiterlebt, der Thor christianissimus, um im Stile von Leibniz zu sprechen. Des dritten Teils Hauptfigur unter den Königen ist Harald Hardradi. Einheitsstaat und Kirche bilden nun keine grundsätzliche Frage mehr. Neue Ziele tauchen auf, neue Aufgaben. Aber die Könige dieses Geschlechts werden in tragischer Weise schwächer und müder, besitzen nicht mehr so ganz den starken Persönlichkeitswert. Wikingfahrt wird Kreuzzug; Mittelmeer, Byzanz und Morgenland tun sich auf für Harald Hardradi und Sigurd Jerusalemfahrer. Der eine organisiert die berühmte Warägergarde von Byzanz, der andre hilft auf dem ersten Kreuzzug Sidon erobern. Zu erobern vor allen Dingen wäre doch der abendländische Nordwesten gewesen: aber Harald Hardradi fällt 1066 n. übl. Ztr. in England auf der Stamfordbridge, und kurz danach wird

77

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:41 Uhr

Seite 78

England von den Vettern aus der Normandie erobert; auf Irland fällt König Magnus Barfuß, doch hinterließ er das schöne Königswort: „Einen König hält man sich um des Ruhmes willen, nicht dazu, daß er lang lebe“. Unausgesprochen erhebt sich hier also die dringliche Frage, ob nicht vielleicht das neue Königsgeschlecht wenigstens an den äußersten Nordwesten, an Island denkt. – Snorris Frage, die Frage von Snorris Zeit. Da neben den Königen immer die Skalden einhergehen, wird das Königsbuch zugleich zum Skaldenbuch. Wie gesagt sind ihre Verse kein bloßer Schmuck, sondern Belege, Urkunden von Quellenwert. Höhere Gesichtspunkte werden oft grade aus der Interpretation ihrer Verse gewonnen. Ganze Dichterkreise umgeben die Könige, die oft genug selber dichten; man bezeichnet Harald Hardradi gern als Skalden auf dem Thron. Mehrfach spielen die Dichter Erzieherrollen beim Thronfolger, ja beim Herrscher selbst, den Vogelweider gradezu vorwegnehmend um 200 Jahre; so Sighvat bei Magnus dem Guten, dessen Versöhnung mit den freien Bauern er durch seine hochpolitischen Freimutsstrophen bewirkt und dessen Sinnesänderung er herbeiführt, die dem König den Beinamen „der Gute“ verschafft. Hatte dieser Skalde doch einst dem Kinde in einer Nottaufe den Namen Magnus gegeben, ausdrücklich nach Carolus Magnus, ohne Vorwissen des zunächst darüber betroffenen königlichen Vaters, Olaf Helgi. Das Heidentum ihrer Dichter mußten die Olafe erst streng unterbinden, mit der Wahl des Namens Magnus war der Dichter dem König um eine Nasenlänge in der Gesamtintention voraus. Die Verklammerung des Ganzen wird nicht nur durch Stoff und Königsstammbaum gewährleistet. Immer in der Geschichte des einen Herrschers wird schon die Persönlichkeit des nächsten vorbereitet, in verschiedenartigster Weise, sodaß das Ganze einem lebendigen Organismus gleicht. Auf Harald Schönhaar wies schon der Traum seiner Mutter Ragnhild voraus, auf Olaf Helgi bereits der Traum ihres Gatten Halfdan, Olaf Helgi wird in zwei Träumen von Olaf Tryggvason berufen, Sigurd Jerusalemfahrers Traum wird am Ende noch auf die neue Königssippe hinweisen. Olaf Helgis Tod und seine Wundertaten wirken aus dem zweiten in den dritten Teil fort. Der zehnjährige Harald Schönhaar erweist sich bereits bei Halfdan als der, der er sein wird; Harald Hardradi wird schon unter Olaf Helgi durch eine reizende Kinderszene und durch seine Teilnahme bei Stiklastad vorbereitet.

78

Statue von Snorri Sturluson in Reykjaholt – heute Reykholt/Island.

Solches Verfahren mit solchen Mitteln möchte uns als herodoteisch erscheinen, und doch wurde unser Snorri weit öfter mit Thukydides verglichen. Die dazu nötige große pragmatische Perspektive wird nirgends ausdrücklich verkündet, aber sie ergibt sich ungesucht, weil Snorri den geschichtlichen Ablauf klar begriff: unter dem Widerstand des breiten Volkes, abgelehnt von Adel, Dichtern und Bauern, aber geführt von den Königen erfolgt der Übergang vom Altertum in die Daseinsformen des Mittelalters mit Staat und Kirche, geregelter Thronfolge, neuem Hofzeremoniell, Städtegründung, Bürgertum, Dombauten und Gildehäusern. Solch Gesichtspunkt an sich mag thukydideisch sein, Kausalkette des Zusammenhangs mit geordneter Zeitrechnung, genauer Genealogie, wissenschaftlichem Sammeln und Sichten, kritisch nüchterner Enthüllung der Bestrebungen, unbildlich und unsymbolisch. Snorri hat das nicht von Thukydides, den er auch mittelbar nicht kannte; es ist vielmehr der gleiche echt geschichtliche Sinn eigentümlich nordischen Geistes bei beiden am Werke. Daß Thukydides einerseits aus attischem Adel, anderseits aus viel nördlicherem barbarischen Blute stammte, ist ja bekannt. Mit Herodot teilt Snorri die merkwürdige Stellung zwischen zwei Welten: so stand Herodot im Übergang der geistigen Vorherrschaft von Jonien ans Mutterland Athen, wie unser Snorri zwischen der isländischen Kolonie, deren Glanz mit ihm selber erlosch, und dem norwegischen Mutterland stand. Mit Thukydides teilt unser Mann die äußere Diesseitigkeit des Erzählstils, so fromm vom sichtbarlichen Walten der Götter

durchzogen wie die „Neun Bücher Geschichte“ des Halikarnassers ist die Heimskringla nicht. Snorri ist nicht der nordische Herodot, auch nicht der nordische Thukydides. Viel eher vereinigt er beide in sich zugleich. So ist er erzählerisch, kindlich-mythisch, vorwissenschaftlich wie der eine, pragmatisch, wissenschaftlich, gedanklich wie der andere. Bekanntlich ist sich Thukydides sehr bewußt seines Mangels an erzählerischem Gut und also des geringeren Reizes im Vergleich mit Herodot, das Verständnis der genauen Verlaufsart schien ihm wichtiger. Die genaueVerlaufsart gestaltet Snorri auch, aber jenes Mangels an erzählerischen Reizen brauchte er sich nicht anzuklagen. Er verknüpft das Ahnungsvolle mit dem Objektiven, das Innerliche mit dem Wirklichen ruhig, kühl und abgeklärt. Den bunten Reichtum zahlloser, aber völlig beherrschter Gestalten, bezeichnender Begebenheiten, Episoden und Erscheinungen, vieler Träume, Zeichen, Warnungen, Gespräche und Gebärden, kurz einer ganzen Welt, die räumlich und zeitlich unendlich weit über das eigene Land und Leben hinausreicht, die wahrhafte Fülle des Lebens, den kulturgeschichtlichen Wert: das teilt er mit Herodot. Aber die dennoch erreichte künstlerische Durchkomponiertheit, die Nichtschwarzweißmalerei in recht eigentlich heidnischer Gerechtigkeit, die Einheitlichkeit, Übersichtlichkeit, psychologische Begründung auch in den Reden der Personen, die gut überliefert, nicht immer fingiert zu sein brauchen: das sind Dinge, die Snorri mit Thukydides teilt. Über die eigne Darstellungskraft hatte Snorri in jenem Vorwort zurückhaltend geschwiegen, aber wir erkennen leicht den Glanz einer bedeutenden, fesselnden, geistvollen, wissens- und ideenreichen Persönlichkeit über seinem Werk. Die aufgeschlossene vorkirchlich-antike Weite des Blicks und das Verständnis eines nicht nur geographisch Weitgereisten begleiten es treu. Dieser Mann verstand das Königtum in all seinen Formen, Heer-, See-, Volks- und Staatskönigtum, verstand das Skaldentum auch, wo es getauft war, das Bauerntum wie das Kriegertum, verstand so Heroismus wie List, Ehrgeiz wie Seelengröße, weil er all dies in sich selber trug. Er kannte ja genau so Königshof wie Bauernhof, das häusliche Leben in beiden, das alte Heidentum, die skaldische Freiheitsliebe, die kulturellen und politischen Verhältnisse. Das kam seinem Werk zugute. Sein christallklarer, knapp zugespitzter, schmucklos keuscher klassischer Sagastil ist Erbe der mündlichen schriftlosen Zeit. Eben mit diesem Formgefühl der Saga hat er das strenge geschichtliche Urteil verbunden. Er hat den geschichtlichen Sinn der Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:41 Uhr

großen Geschlechter ins Große gesteigert und in die naturgemäße ererbte Form gegossen. Bodenständiger kann niemand sein. Stellen wir rasch noch die Gretchenfrage nach Snorris persönlicher Religion; beantworten läßt sie sich gut. Auch hier ergibt sich eine Parallele zu den großen Denkern der heidnischen Antike, obwohl Snorri doch schon getauft war. Auch seine innerste Überzeugung wird jener höchste Eingottglaube gewesen sein, der die großen antiken Denker im Stillen kennzeichnet und den für Germanien so Tacitus wie die Völuspa bezeugen. Dieser Gott, den Snorri Allvater nennt und der weder der christliche Gottvater noch unmittelbar der alte Odin selbst ist, ist gewiß der unter den frödimenn fortgeerbte regnator omnium deus des Semnonenhains und „der Starke von oben“ aus der Hauksbokfassung der Völuspa, sa er öllo raedr, der über alles regiert, der allmächtige Ase oder der, der die Sonne geschaffen hat, nach andren Quellen. Allvater nennt Snorri ihn, der über alle Zeitalter hinlebt, alle seine Reiche lenkt und über alles waltet, Großes und Kleines, der Himmel und Erde zimmerte und die Luft und all ihr Zubehör, dessen größtes Werk die Schaffung des Menschen ist und der vor der Erschaffung von Himmel und Erde bei den Reifriesen war, womit er sich als nichtchristlich erweist. Es gibt manche Stelle in der Antike, die auch Zeus in diese große Eingottrolle rückt. Aber es ist ebenso bester abendländischer, germanischer, isländischer Geist in Snorri, wenn er die alten Götter insgemein nicht etwa mit der Kirche, mit der er doch den Glauben an ihre Existenz, wie alle Welt, teilt, als Unholde und dämonische Teufel betrachtet, sondern wenn er sie aus innerster Seele verehrt und liebt, sie freundlich behandelt, man lese nur das reizvolle Stück über den Besuch Odins bei Olaf Tryggvason, wo das Wort Teufel geflissentlich unterblieb. Mag auch er stellenweise – wiederum in Übereinstimmung, wurzelhaft und parallel mit der Antike, mit dem Euhemerismus – diese Götter für frühere Menschen halten, sie sind ihm dennoch weit mehr als nur dichterisches Requisit, mehr als für Schiller und Hölderlin die antiken, für Klopstock die germanischen Götter waren, sie sind ihm die geheim fortlebenden tiefsten Brunnquellmächte seines Volkstums, denn auch sein Sturlungenstammbaum führt bis zu Odin hinauf nach der ältesten Handschrift der Snorraedda (Dipl. Isl. I, 501). Ja Snorri ist sogar bereit, jener höchsten Gottheit trotz allem den geliebten Namen Odins beizulegen, wenn er in seiner Prosaedda gleichsam glaubensbekenntnishaft sagt (GylfaginNordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

Seite 79

ning c. 6): „Und darauf vertrau ich, daß dieser Odin und seine Brüder die Lenker von Himmel und Erde sein werden. So, denken wir, daß er heißen wird. Denn so heißt ja der Mann, den wir als Größten und Herrlichsten kennen, und wohl mögt auch ihr ihn so heißen lassen.“ Schillers Gedicht. „Die Götter Griechenlands“ war vielleicht nur

ästhetisch begründet; Snorris Odin jedenfalls tiefer. Gibt aber Schillers Gedicht doch vielleicht das Bekenntnis jedes guten Graecisten wieder, dann dürfen wir mindestens sagen, Snorri prägte mit seinen Worten so etwas wie die gute Germanistenreligion. Prof. Dr. Hans Naumann

Die germaniscen Waffen

acitus und Caesar weisen auf die Seltenheit und schlechte Qualität germanischer und gallischer Schwerter hin. Das Eisen sei weich und habe sich bei jedem Hieb so verbogen, daß der Krieger die Waffe in den Boden stecken mußte, um sie gerade zu biegen (und das mitten in der Schlacht!) Diese Angabe ist schon daher unrichtig, da die gallische Verhüttungstechnik das Vorbild für die römische lieferte. Auch die Funde sprechen eine andere Sprache: Kossinna beschreibt die Entdeckung einer germanischen Eisenhütte aus dem ersten Jahrhundert bei Potsdam. Hier waren Schmelzherd und Feuerung voneinander getrennt. Von der Feuerkammer führte ein Kanal in die Schmelzkammer, der mit einem Gebläse versehen war, welches die Heizgase in den eigentlichen Schmelzofen leitete. Derartige „Flammöfen“ kamen erst wieder im 18. Jh. n. übl. Ztr. auf.

T

Die germanischen Schwertfunde sind reichlich, hinzu kommt, daß nicht alle Stämme ihre Toten mit allen Waffen bestatteten. Insbesondere die Ostgermanen taten dies nur selten. Im ersten Jahrhundert n. übl. Ztr. findet man bereits reichlich damaszenierte Schwerter. Der Stahl war besser als der keltische und auch als der römische.

Das Fundverhältnis ist örtlich stark schwankend und weist ein Verhältnis von Speerspitzen zu Schwertern zwischen 2:1 und 8:1 auf. Die statistische Mitte dieser Zufallsfunde liegt bei 3:1, ähnlich wie auch in einem Gefolgschaftsgrab in Nordthüringen aus dem 5. Jahrhundertn. übl. Ztr.. Die Qualität der Schwerter wird in einem Brief König Theoderichs aus Ravenna an den König der Wariner (Warnen) in Mecklenburg beschrieben: „…als auch die Spathen (zweischneidige Schwerter), die sogar Rüstungen durchhauen, übersandt. Schwerter die an Wert durch ihr Eisen reicher sind als das Gold. Ein heller Schliff erstrahlt daher aus ihnen, so daß er das Antlitz des darauf Schauenden treu wiederspiegelt. Ihre Schneiden gehen so gleichmäßig in die Spitze (das Ort) über, daß sie augenscheinlich nicht aus Streifen (Damaszener) zusammengeschweißt, sondern aus Feuerofen erflossen sein könnten. Ihre schöngebauschte mittlere Aushöhlung (Hohlkehle) kann mit einem Gekräusel von Würmlein verglichen werden, wobei ein so farbiges Schattenspiel entsteht, daß das ineinanderverwobene Metall noch in abgestuften Farben erscheint. Diese Reinheit schafft in Fleiß euer Schleifstein, das bringt euer Glanz-

79

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:41 Uhr

Schwert mit halbrunder Klinge aus dem 10. Jahrundert n. übl. Ztr. (auch im Querschnitt, vergrößert). Das stumpfe Ende zeigt, daß das Schwert eine Hiebwaffe war.

pulver in so fachmännischer Weise zum Ausdruck, daß es einen für Männer würdigen Spiegel aus Eisenglanz schafft; dieses Pulver ist in eurem Heimatlande von der freigiebigen Natur in solcher vortrefflichen Beschaffenheit geschenkt, daß ihr in dieser Hinsicht einen einzig dastehenden Ruf gewinnt: Schwerter, die ihrer Schönheit wegen für Erzeugnisse Vulkans (römischer Gott der Schmiedekunst) mögen gehalten werden, der ja wie man früher einmal sah, die Feinheit der Schmiedearbeit so hoch ausgebildet hatte, daß man des Glaubens war, das Gebilde seiner Hände nicht als der Sterblichen Werk, sondern als ein solches der Götter betrachten zu müssen. Und daher um seinetwillen und jenen uns so wohl anmutenden Eindruck pflichtschuldiger Begrüßung, deren eure Gesandten wir hiermit als erledigt erklären, bestätigen wir gerne die Empfehlung eurer Waffen, die den eifrigen Wunsch für einen guten Frieden übermittelt haben, da wir auch in Anbetracht eurer Auslagen euch ein Gegengeschenk übereignen, das an euch als ebenso willkommene Gabe gelangen möge, wie uns eure so überaus angenehm gewesen ist. Möge der Himmel Eintracht verleihen, damit wir dankbaren Sinnes unsere Völker verbünden und beiderseits Sorge tragen können, uns durch gegenseitigen Nutzen zu verpflichten.“ Hier wird neben der Würdigung der handwerklich-künstlerisch-ästhetischen Arbeit der hohe Repräsentationswert guter Schwerter bezeugt. Ein „wurmbuntes Schwert“ hatte damals den Preis und Schaueffekt eines heutigen Spitzensportwagens. In diesem Fall besiegelten sie das Bündnis zweier Stämme als Geschenk und Anerkennung des Hochschätzung für den Frieden, der über allem stand. Deutlich wird hier der hohe Stand des Damaszenierens bereits im 5. Jahrhundert, dessen Name aus Damaskus herrührt infolge des Mißverständnisses der Kreuzritter,

80

Seite 80

diese Kunst sei dort entstanden. Vielmehr wurde das Wissen zur Normannenzeit „exportiert“, da inzwischen verbesserte Schmelzverfahren höhere Erträge härtbaren Eisens lieferten und damit diese aufwendige Technik unrentabel machten. Hieraus wird ersichtlich, warum in früher Zeit Eisen hochgeschätzter war als Gold. Nebenher wird deutlich, daß solche Briefe kaum von „wilden, blutrünstigen Barbaren“ herrühren können. Zudem bekamen etliche Schwerter auch Namen und damit Persönlichkeit wie die Sagenschwerter Mimung oder Balmung oder Nothung. Die besten Krieger, Ausbilder und Veteranen fochten in der ersten Reihe, gedeckt von den Framenträgern und unterstützt von den hinteren Reihen der Gerschleuderer, die ihre mit doppeltem Widerhaken versehenen Gere sehr weit und zielsicher werfen konnten. Die Frame war die Hauptwaffe und war bedeutend gefährlicher als das Schwert. „Von seinen Waffen weiche niemand im Feld; Du weißt nicht, wann Du des Speeres im Felde bedarfst“ mahnt die Edda. (Havamal, Sittengedicht). Die einzige Schutzwaffe war der Schild. Einer der seltenen Grabfunde, ein Rundschild von einem Durchmesser von 56 cm und einer Stärke von 1,6 cm im Zentrum bis 0,4 cm an den Rändern, die mit Eisen, Bronze oder Silber oder auch gehärtetem Leder beschlagen waren, bezeugt dies. Der geschmiedete Schildbuckel war oft zu einer dolchartigen Spitze ausgeschmiedet. Das Holz war Verbrauchsgut, Beschläge und Schildfessel wurden wiederverwendet. Tacitus’ Ansicht ist also irrig, „die Speerspitzen hätten aus im Feuer gehärteten Holz und die Schilde lediglich aus Korbgeflecht oder leichten Planken bestanden“. Letztere mag es für Sonderzwecke gegeben haben, da sie Hiebe sehr gut abfederten, aber gegen Spitzen keinerlei Schutz boten. Wir kennen ganze Hortfunde von germanischen Speerspitzen, sehr sorgfältig flach oder

mit Mittelgrat ausgeführt, der oft zudem damaszeniert ist. Die gallischen Langschilde waren 120 cm hoch und etwa 60 cm breit, ähnlich dem zusätzlich gewölbten Scutum der römischen Triarier. Die leichten Schilde, das halbnackte Auftreten und die fehlende Panzerung waren nicht nur Zeichen eines weniger ausgeprägten Schutzbedürfnisses, sondern dienten vor allem der Schnelligkeit und der Beweglichkeit. Der Schildarm ermüdete nicht unter dem geringen Gewicht und so konnte man schnell reagieren, Hiebe mit dem Buckel abfangen und blitzschnell mit der Spitze zustoßen. Ergänzend trugen viele für den Nahkampf ein Dolchmesser, einem Vorläufer des Sax, der mitunter zwei Drittel einer Schwertlänge erreichte. Für spätere Epochen ist der Schwertsax bezeugt, ein zweihändiger Reitersax, der jede Rüstung spaltete. Ein Beispiel dafür findet man in der Majakowski-Bibel. Nach den Fundbereichten von Wegewitz waren einschneidige und zweischneidige Schwerter in den Grabfunden relativ gleichmäßig verteilt. In fränkischer Zeit – und es hatte sich an der Wirtschaft ja wenig geändert – kostete die Ausrüstung eines Kriegers zwei Solidi, entsprechend dem Wert von zwei Kühen. Ein Schwert hingegen kostete fünf Solidi, also fünf Kühe. Das konnte sich beileibe nicht jeder leisten. Heute kostet eine Milchkuh etwa 1.400 Euro, ein Schwert also etwa 7.000 Euro oder mehr. Nahm man fein gemahlene Holzkohle von Hartholz, so wurde für ein Schwert ein Baum gebraucht, bei Nadelhölzern deutlich mehr. Man muß allein für die Verhüttung und den Abbrand des Stahls einige Zentner Holzkohle für eine Klinge rechnen. Ein traditionell geschmiedetes Schwert ohne Hilfe moderner Werkzeuge kostet heute eher mehr. Dazu muß man wissen, daß bis ins Hochmittelalter in Mitteleuropa jährlich nur wenige Tonnen härtbaren Stahls hergestellt werden konnten. Und das ist der Grund für die feuerverschweißten Schneidleisten und die Damszenierungstechnik, die bereits im 2. Jahrhundert in Germanien eine hohe Blüte erreicht hatte. Legt man zwischen die gehärteten Lagen des Stahls ungehärtete Lagen, so spart man nicht nur wertvolles Material, sondern bekommt eine besonders zähe und schnitthaltige Qualität, die sich zudem noch besser nachschleifen lässt. Man vergleiche damit heutigen Dreilagenstahl. Da nach den ersten Kriegen genügend römische Waffen, Panzer, Helme, Schilde usw. zur Verfügung standen, sollte man meinen, daß eine allgemeine Umbewaffnung erfolgte. Dies ist jedoch nicht geschehnen, also hielt man die traNordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

dierte Bewaffnung offensichtlich für zweckmäßiger. Einzig die Einführung des Kurzschwertes als Massenwaffe ist durch Bodenfunde bezeugt, da nach dem Jahre 9 fast nur noch römische Waffen gefunden wurden. Bereits zur Zeit des Drusus wurden fast alle germanischen Langschwerter zu Kurzschwertern umgeschmiedet, selbst für Bornholm ist dies bezeugt, wohin nie ein Römer kam. (vergl. Pastanaci, Sprockhoff, Helbok). Dies brauchte kein Widerspruch zur bereits festgestellten Zweckmäßigkeit der germanischen Waffen sein; man kann den Gladius genau wie das einheimische Schwert zum Hieb und zum Stoß verwenden, die germanische Mentalität gab dem Hieb den Vorzug. Auch ein Speer ist eben ein Speer und wird gleich verwendet. Nur das gewiß praktische Pilum wurde von den Germanen wohl nicht verwendet. Wenn wir den Brief Theoderichs bezüglich der einheimischen Schwerter lesen, hat man den Eindruck, daß das römische Schwert als Massenbewaffnung geführt wurde und das individuellere germanische einen hohen Kunst- und Repräsentationswert besaß. Die es sich leisten konnten, trugen es sicher auch aus patriotischen Gründen und als Vorbildfunktion; auch heute geben Manager einheimischen Luxusautos unabhängig vom Gebrauchswert den Vorzug. Auch Mäzenatentum für die Schmiede und sonstigen Künstler dürfte dabei eine Rolle gespielt haben. Nach der Eroberung fester Orte wurden bis ins Spätmittelalter niemals die Schmiede und ihre Gesellen getötet, sondern entführt. In der Wielandsage nahm man gar zwei Schmiede als Geiseln für den rugischen Prinzen Friedrich. Außerdem war die Oberschicht beritten und benötigte wegen der Reichweite ein Langschwert. Die römische Reiterei kämpfte ebenso mit der langen Spatha. Hier muß auch nochmals darauf hingewiesen werden, daß der heldenhafte Zweikampf, wie ihn die Gallier und später die Wikinger liebten oder wie in der spätgotischen Schwertkunst, in einer antiken Massenschlacht nichts zu suEisenaxt mit Silberdrahtverzierung aus Mammen, Jütland. Das 16,5 cm lange, schmale Beil weist eine leicht verlängerte Klinge auf, was vermuten läßt, daß sie im Nahkampf gegen Kettenhemden eingesetzt wurde. Größere Äxte waren für den Nahkampf ungeeignet, da die Krieger viel Platz zum Schwingen der Axt benötigten. Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

Seite 81

chen hatte. Im Gedränge kann man keine Hiebe führen, weil man in zu naher Mensur steht. Dolch, Gladius und Sax und Knüffe mit dem Gehilz waren hier gefragt. Die Römer beherrschten hingegen die Kunst, notfalls alle paar Kampfminuten ihre vordere Linie gegen die zweite Reihe auszutauschen. Das ist allerdings nur in einer Kampfpause möglich, denn im Zusammenprall hat jeder genug mit sich selbst zu tun. Diese Taktik ist von den Germanen nicht bekannt. Das in der Bronzezeit sehr populäre Beil tauchte jetzt kaum noch auf. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt. Da in fränkischer und der Wikingerzeit Streit- und Wurfäxte sowie Langäxte sehr häufig waren, muß dies mit der inzwischen stärker gewordenen Körperpanzerung zusammenhängen. Zu der Zeit wurden die Heere wieder deutlich kleiner und daher trat der Einzelkämpfer stärker hervor. Die Franken entwickelten ab dem 5. Jahrhundert die Franziska, eine geschwungene Wurfaxt mit gekrümmtem Schaft. Die Kunst war, die richtige Wurfentfernung zu schätzen, da die Axt sich in der Luft überschlug und unbedingt mit der Schneide auftreffen mußte. Die Zweihand- oder Dänenaxt ist erst in spätsächsischer Zeit bezeugt. Sie war zum Sprengen des Schildwalls durch hünenhafte Krieger gedacht. Diese mußten dabei von anderen Waffenträgern gedeckt werden, da die Hiebfolge langsamer ausfiel als bei leichten Waffen. Eine verwandte Taktik wurde von den Landsknechten ausgeübt, wo der Rottenführer mit dem Bidenhänder (Zweihandschwert) von zwei Rottenknechten mit Katzbalgern (Kurzschwerter mit einer Scheide aus Katzenfell) gedeckt wurden. Für die Reiterei wurde aus der Frame der Ango geschaffen, ein Stoßspeer mit langem Schaft mit Gegenbeschlag und langer Spitze mit weit ausgezogener Tülle. Als Weiterentwicklung tauchte die Flügellanze ab dem 5. Jahrhundert n. übl. Ztr. auf, die zwischen Ort (Spitze) und Tülle einen mitunter geschärften Querriegel aufweist.

Schwedischer Wikingerspeer aus Bronze mit Silbergriff.

Dieser wird oft als Parierstange bezeichnet, konnte im schnellen Anritt aufgrund seiner Kürze und der ungünstigen Hebelwirkung diese Funktion nicht erfüllen. Er war als Sperre gegen ein zu tiefes Eindringen in den Körper des Gegners gedacht, damit man die Lanze schnell zurückziehen konnte, bevor sie unter dem Gewicht des Feindes abbrach oder einem entrissen wurde. Zur Sicherung diente eine Handschlaufe. Äußerst wichtig ist beim Einsatz jeder Schneidwaffe der Stich mit waagerecht gehaltenem Blatt. Ein senkrecht gehaltenes verklemmt sich zwischen den Rippen des Gegners und kann zum Verlust der Waffe führen. Und dann haben sie ein Problem. Ein prominentes Beispiel für eine Flügellanze ist die sogenannte Heilige Lanze des Deutschen Reiches, mit welcher der Legionär Longinus dem gekreuzigten Jesus die Seite aufgestochen haben soll. Sie stammt aus dem 5. Jahrhundert n. übl. Ztr. und ist vermutlich eine langobardische Arbeit. Der Spezialist für germanische Kultur, Otto Höfler, bezeichnete auf dem Historikertag 1937 n. übl. Ztr. in Erfurt die Lanze als „heiligen Speer Wotans“. Die Brünne, also der Kettenschutz am Helm oder als Haube für den Schutz des Halses kam erst im 3. – 4. Jahrhundert auf. Die Römer verwendeten zum Schutz gegen Halsstiche einen verknoteten Schal. In nur wenigen Gräbern wurden Pfeilspitzen aus einheimischer Herstellung gefunden. Man war also sehr wohl in der Lage, Bögen herzustellen, verzichtete aber bewußt darauf. Einerseits waren Gerwürfe weit wirksamer auf Einbruchsentfernung, zum anderen war die germanische Spezialität der schnelle Angriff. Wir haben Berichte, daß sie die römischen Pfeil- und Pilensalven regelrecht unterliefen. Zur langen Entwicklungszeit von Speeren soll hier nur auf die berühmten Jagdspeere von Helmstedt hingewiesen werden, die vor zehn Jahren dort im Tagebau geborgen wurden. Sie können selbst von heutigen olympischen Speeren nicht übertroffen werden und sind 400.000 (!) Jahre alt datiert.

81

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

Seite 82

Vier Schwerter aus der Wikingerzeit, die alle einen großen Knauf als Gegengewicht beim ermüdenden Hauen (statt stechen) haben.

Man denke hier auch an spätere Jahrhunderte, wenn die Artillerie Reiterattacken bekämpfte oder später die Flak Flugzeuge mit Sperrfeuer belegte. Daher auch der Durchbruch der germanischen Reiterei bei Idistaviso durch die römischen Bogner. Auf Einbruchsentfernung waren Bogner nahezu wehrlos. Interessanterweise erweist sich bei kritischer Quellenbetrachtung, daß die Römer Schlachten gegen die Germanen meistens nur gewannen, wenn sie zahlenmäßig deutlich überlegen waren. Infolge des Ausbildungssystems durch die Veteranen, der Gefolgschaftsoffiziere und der nachbarschaftlichen Aufsicht durch die Kameraden herrschte eine hohe Disziplin. Niemand wollte sich schließlich vor den Verwandten blamieren. Die Edelinge dürften die Funktion heutiger Stabsoffiziere gehabt haben. Hier herrschte anstelle von Drill die Ausbildung. Die römische Disziplin hingegen konnte nur durch Zwang aufrecht erhalten werden. Heerschauen sind zu Frühjahrsbeginn überliefert. Wir dürfen vermuten, daß

daher auch Manöver durchgeführt wurden. Jungmannschaften wurden oft bei längeren Kriegen für eine Saison zu befreundeten Stämmen zu Ausbildungszwecken geschickt. Damit dürfte es regelrechte „Schlachtenbummler“ gegeben haben. Dieses Prinzip wurde übrigens in ähnlicher Form im 100.000Mann-Heer der Reichswehr übernommen. Nach dem Beförderungsstau bei den „Zwölfendern“ stand bei Bedarf genügend Offiziersnachwuchs zur Verfügung. Für den Feldzug weniger Tage führte jeder Krieger in einem Beutel einen Vorrat an Leinölbrot mit sich, das mehrere Wochen frisch schmeckte, sowie Speck oder Pökelfleisch. Dazu kommen, wie durch Grabfunde bezeugt, mehrere Hörner für Getränke oder Fett, ein kleiner Kochkessel, Feuerzeug und später auch Spaten und Schanzzeug, welches wohl den Römern abgeguckt wurde und erstmals in den Chattenkriegen erwähnt wird. Harry Radegeis

Nordixe Weihnact eihnachten ist ein Fest der nordischen Völker. Weil nur sie in der Kälte und im Nebel ihrer Heimat ein Gefühl für die Abhängigkeit ihres Lebens vom Lichte der Sonne haben. Weil nur aus der Angst und dem Grausen heraus, mit dem unsere Vorfahren die Sonne schwinden sahen, sich die ursprüngliche Freude erklären läßt,

W 82

mit der sie den Wiederaufstieg am Firmament begrüßten. Den Völkern des Südens, denen schlugen wohl einmal Hagel und Schnee, Wind und Regen ins Gesicht, aber für sie stand die Sonne immer so hoch, daß die Angst, sie möchte versinken, nie den Menschen bedrängen konnte. Des Südländers Naturerlebnis ist der Pan, der im

Glast der Mittagssonne auf blumigem Hügel sitzt und im ruhevollen Frieden der Landschaft seine Flöte bläst. Unser Naturerlebnis ist Wodan, der in der Finsternis der Rauhnacht mit den wilden Reitern stampfend und lärmend über die erstarrte Erde braust. Sollen wir die anderen Völkern beneiden um den heiteren Frieden ihrer Landschaft? Gewiß: es lebt sich leichter in der Lust des Südens, und tief im Innern des nordischen Menschen wirkt eine Sehnsucht nach dieser südlichen Bläue, die auch dem unerbittlichsten Gesetze der Natur, dem Wechsel der Jahreszeiten, Schärfe und Härte nimmt. Und immer wieder hat der nordische Mensch versucht, aus dem Kreis dieses seines Gesetzes auszubrechen, um sich den Süden zu erobern. Aber so oft er es versucht hat, ist er daran gescheitert: nicht weil die Kräfte des Südens stärker gewesen wären als die seinen, sondern weil die Weichheit des Südens seine eigenen Kräfte zerstörte, weil er im Süden die Verbindung verlor mit den natürlichen Grundlagen seines Lebens und mit der natürlichen Bestimmung seines Wirkens, weil – mit anderen Worten – die Natur es niemand erlaubt, sich außerhalb des Kreises, in den sie selbst einen gesetzt hat, sein Leben und seine Zukunft zu suchen. Man feiert Weihnachten unter so vielen Zeichen: Es scheint uns gut, es auch einmal unter dieses Zeichen zu stellen. Der nordische Mensch braucht, wenn er sich behaupten und sein Leben mit natürlichem Sinn ausfüllen will, die Härte nicht nur der Landschaft, sondern des Schicksals, die Kälte nicht nur des Winters, sondern der Not, die Sehnsucht nicht nur nach dem Lichte der Sonne, sondern das ewige Bangen um den Sinn und Zweck seiner Bestimmung. Soll der nordische Mensch sich im Leben bewähren, so darf dieses Leben sich nicht leicht erschließen. Soll er nicht seine Kräfte verlieren, so muß er gezwungen sein, sie immer einzusetzen: gegen die Natur, gegen das Schicksal, gegen seine Umwelt. Der nordische Mensch ist der Mensch des Kampfes. Immer wach, immer bereit, sich zu wehren, darf er die lässige Weichheit des Südens nur in seinen Träumen kennen. Er muß in Wahrheit immer kämpfen um seine Sonne, sich ihrer freuen darf er sich nur in seiner Sehnsucht. Das ist der tiefe, tragische, aber zugleich belebende Zwiespalt im Wesen des nordischen Menschen, in den die Natur ihn selbst gestellt, damit er in seiner Lösung sich immer von neuem bewähre: zugleich dem Norden verhaftet sein zu müssen, wenn er leben bleiben will, und seine Sehnsucht nach dem Süden tragen zu müssen, wenn er will, daß dieser Norden hell und licht und wohnlich scheine. Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

Diesem Zwiespalt kann der nordische Mensch, die eine Hälfte des Jahres unter die Kraft südlicher Sonne gestellt, die andere Hälfte der Unerbittlichkeit des Winters ausgeliefert, sich nicht entziehen. Er muß sich zu ihm bekennen. Zwischen Wirklichkeit und Sehnsucht wölbt sich so der Dom der Aufgabe für Volk und Mensch. Wirklichkeit: das heißt, das Leben nehmen, wie es ist, nicht weich werden, kämpferisch bleiben und in den Kampf gegen Schwierigkeiten und Schicksalsschläge nicht nur den Zwang, sondern auch die Lust des Kampfes tragen. Sehnsucht: das heißt, heiße Liebe zu den großen und schönen Dingen und Wahrheiten des Lebens sich bewahren, – den Blick sich rein erhalten für die Weite und Schönheit der Welt, – das Wollen nicht verlieren, hinauszudringen über die Ordnung der eigenen Gemeinschaft zur Harmonie des Universums … Alles das ist dem nordischen Menschen zu leisten bestimmt. Und in dem geheimnisvollen Wissen um diese Bestimmung trägt er in die dunkle Kälte des Winters den Wunderbaum des wärmenden Lichts, bricht in der Zeit, in der ihn die Wirklichkeit am stärksten zu sich zwingt, auch die Sehnsucht am großartigsten und wundervollsten in ihm auf, dringt in den Norden, wann er am

Seite 83

schwersten und düstersten lastet, die gläubige und sichere Fröhlichkeit des Südens. Wir neiden es dem Süden nicht, daß diese Heiterkeit ihn das ganze Jahr begleitet. Sie hat ihm damit eines verwehrt, was sie uns gegeben hat: die Sehnsucht. Der südliche Mensch kennt keine Sehnsucht. Er will nicht hinaus aus den Breiten und aus den Räumen seiner Landschaft. Wenn er sie verläßt, dann hat das mit dem nordischen Drang zur Weite nichts – aber mit dem Drang, sich in der Fremde die Mittel zu erwerben, um die ruhige Schönheit seines Landes in Sicherheit zu genießen, alles zu tun. Uns nordische Menschen hält das Leben immer ein Stück von der Erfüllung entfernt. Und das ist gut so. Denn diese Erfüllung würde den Sinn unseres Lebens und die Kraft unseres Wesens auslöschen. So aber stellen wir in unser Leben, das hart ist wie der Winter der Weihnachtszeit, die Sehnsucht nach Erfüllung als lichterschimmernden Baum. Und wärmen uns an ihm. Und träumen von ihm und werden vor ihm stark, das Leben, das uns gestellt ist, zu meistern, und gläubig, es zu lieben. Wissend, daß auf jedes Dunkel einmal das Licht der Sonne folgen wird. Alwin Bauer

Weihnact einer Mu†er ann wünsche ich auch eine recht gute Weihnacht, der Frau Professor!“ „Danke, Frau Gruber! Und ich Ihnen auch!“ Eine sehr schmale, welke Hand umschließt für Augenblicke die derbe, breite Arbeiterhand einer Putzfrau. Die beiden blicken sich für diese kurze Dauer in die Augen: Arbeiterfrau und Gelehrtenfrau. Ihr Leben läuft in verschiedenen Bahnen, und doch ist da etwas Gemeinsamens, Bindendes – ein Wissen des einen um das Schicksal des anderen. „Soll ich nicht doch noch hier bleiben?“ kommt es zögernd. „Sie sind doch …“ „Nein, nein, lassen Sie nur, Frau Gruber! Sie wissen ja, – ich werde es mir schon gemütlich machen. Kohlen sind ja heraufgebracht, und der Ofen brennt gut.“ „Na, denn auf Wiedersehen, Frau Professor! Morgen komm’ ich dann …“

„D

Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

„Ja, ja, – schon recht! Und feiern Sie recht froh …“, sie stockt einen Atemzug lang, „mit den Kindern!“ Dann klappt die Tür zu. – – Die alte Frau steht einen Augenblick lauschend. Die Schritte der anderen tappen auf der Treppe. Und jetzt ist sie allein. Nun will sie ihr Weihnachten feiern, so feiern, wie sie es alle, alle viele Jahre getan hat, – seit jenem Weihnachten, an dem ihr Junge zum letzten Mal hier gewesen. Sie dreht den Schlüssel im Schloß, und es ist, als ob sie mit dieser einen Bewegung die Außenwelt ganz ausgeschaltet hätte … Dann geht die alte Frau mit kurzen, etwas hastigen Schritten ins Wohnzimmer. Wie etwas altbekanntes Liebes umfängt sie die wohnliche Wärme des Raumes. Es ist, als ob die Zeit, die Lust und alles Leben – ja, ihr Leben in diesem Raume eingeschlossen wären.

Sie geht zum runden Tisch, bleibt unschlüssig stehen, und ihre Augen wandern prüfend im Zimmer umher. Ist alles auch, wie es sein soll, wie es damals war? Ihre Finger ziehen in Gedanken die gehäkelte Decke gerade, rücken an der alten Kristallschale, auf der Äpfel und Lebkuchen liegen. „So ist es recht!“ spricht sie vor sich hin. „So war es immer, – und jetzt will ich den Baum schmücken.“ Sie geht mit kleinen Schritten zum alten Mahagonisekretär. Das Schloß schnappt auf. Dann holt sie aus einem braunen Pappkasten den alten Weihnachtsflitter. Mit zitternden Händen, auf denen die Adern blau schimmern, hängt sie die bunten Glaskugeln an. Wieviel unausgesprochene Liebe und wieviel Seligkeit in den Augen gewesen ist, die einmal sich in diesem bunten Glas gespiegelt haben! Licht um Licht steckt sie in die verbogenen Kerzenhalter, bunte, kleine Lichter. „Bunt müssen Kerzen am Weihnachtsbaum sein, richtig bunt!“ hatte ihr Junge immer gesagt. „Bunt …“ Sie läßt die Hand sinken. „Bunt …“ Ihr Blick ruht auf einer blanken Kugel, und irgendwie sehen sie auf einmal aus der Kugel ein paar blaue Knabenaugen an. Ihre Hand zittert. Eine Kerze fällt zu Boden. Das Geräusch zerschlägt die lebendig-tote Stille. Die alte Frau zuckt leicht zusammen. Mühsam hebt sie die Kerze auf. Als sie den Baum dann fertig hat, steht sie noch kurze Zeit mit gefalteten Händen, aber ihre Gedanken laufen weiter zu den Dingen, die sie jetzt gleich holen will. Ein weißes, feines Leinentuch kommt auf den alten, geschnitzten Nußbaumtisch. Den Kasten mit der Kerbschnitzerei, den ihr Junge ihr einmal zu Weihnachten geschenkt hatte und in dem sie all’ die vielen, lieben Briefe von ihm und ihrem Mann aufgehoben hat, holt sie sich und stellt ihn vor sich hin. Und dann nimmt sie die Bilder – die beiden Bilder – aus dem Sekretär und stellt sie neben den Kasten. Draußen senkt sich der Tag, und die Nacht kommt geheimnisvoll und unfaßbar tief. Die alte Frau tritt an das Fenster und blickt hinaus in den dunkel werdenden Himmel. Kein Stern ist noch zu sehen. Keine Schneeflocke tanzt. Der Wind fegt kalt und böse durch kahle Äste. Es ist so still in dieser abgelegenen Straße. Ein Eisentor knarrt irgendwo. Fern ist ein Hupen … Im Zimmer tickt die alte Uhr, langsam und unaufhaltsam, als ticke die Ewigkeit. Das Feuer knistert im weißen Ka-

83

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

chelofen. Langsam wird das Dunkel schwerer, und langsam wird es Nacht. Leise ziehen die alten Hände die Gardinen zu. Und dann kommt Weihnacht auch zu dieser einsamen Frau … Zitternd flammt ein Streichholz auf, brennt Licht nach Licht an. Es duftet nach Äpfeln, Tannen und brennenden Kerzen. Im Ecksofa mit dem bunten Gobelinbezug sitzt die alte Frau im schwarzen Seidenkleid. In der Hand hält sie das Bild eines Mannes in altmodischer Kleidung, aber in ihrem Schoß liegt ein anderes Bild, das Bild eines jungen Soldaten. Den Pelzkragen aufgeschlagen, die weiche Mütze etwas schief gerückt. So sah er aus bei seinem letzten Urlaub. Es ist ein ganz gewöhnliches Bild. Aber ein paar große, klare Tropfen sind darauf gefallen und sind wie durchsichtige Sterne auf dem Glas zerspritzt. Wenn eine Hand unter den Papieren im braunen Kasten sucht, findet sie ganz obenauf einen Brief liegen, der ein kleines rotes Kreuz trägt und mit ungelenkten Buchstaben die Worte: „Zurück! Er starb den Heldentod am 12. 2. 18.“ – Kerzen spiegeln sich in bunten Glaskugeln. Zit-

Seite 84

ternd schaukelt Engelshaar* von Zweig zu Zweig. Erinnerung um Erinnerung wacht auf. Längst verklungene, vergessene Laute – Worte, Stimmen kommen wieder. Arme der Liebe umfassen eine schmale, alte Frau, heben sie … heben sie … Draußen läuten die Glocken, dröhnen und schwingen, rufen … rufen … Thor Goote

Nach der Bescherung

* Warnung vor Engelshaar (auch Feenhaar) Daß Engelshaar nicht um elektrische Kerzen oder in der Weihnachtsbeleuchtung verwendet werden soll, ist eigentlich bekannt. Das Engelshaar ist elektrisch leitend und könnte versehentlich in die Fassung der Glühlampe kommen. Neu ist allerdings, daß Engelshaar mittlerweile auch aus Glaswolle hergestellt wird. Dieses kann zu schweren Augenverletzungen führen. Kleinkinder sollten deshalb nicht mit Engelshaar spielen.

Lebendige Wandlungen deutxer Kuny er den Weg zur Kunst geht, fühlt sich feierlich gestimmt, denn er wandert zu Festen der Seele. Nirgends offenbart sich die Seele des einzelnen, ja, selbst ganzer Völker reiner und vollendeter als im Künstlerischen. Aus dem Lebensgefühl des einzelnen wie der Gemeinschaft erwächst das Kunstwerk zu seiner Zeit. Und je

W 84

größer, allgemeingültiger dieses Werk geworden, desto nachhaltiger wirkt es sich aus, erhaben über Raum und Zeit. Wir Deutschen haben allen Grund, uns der vielen Meisterwerke bildender, dichterischer und musikalischer Kunst immer wieder zu erinnern, mit denen wir die Welt im Laufe unserer verhältnismäßig noch jungen Geschichte be-

schenkten. Gerade wir, die wir gar zu leicht dem Andringen fremder Kräfte erlagen, nach langem Wachsen und mühevollem Aufstieg uns immer vor neue Hindernisse gestellt sahen. Wohl kaum ein anderes Kulturvolk hat im Laufe seiner Geschichte so viele Niedergänge erlebt, aber auch so viele wiederaufbauende Kräfte entfaltet wie das deutsche. Es liegt in den Gegebenheiten von Klima, Landschaft und Wesensart beschlossen, daß wir so wurden, wie wir in die abendländische Geschichte eingegangen sind – wir Volk ständigen Werdens und Ringens, faustischer Unrast und ewiger Jugend. Von Bergen eingeschlossen, urigen Wäldern umdunkelt, in Einzelsiedlungen hausend, war der Germane ganz auf sich allein gestellt. Nebelgraue, lichtarme Monde zwangen zur inneren Einkehr, begünstigten die Persönlichkeitsbildung, das Aufkommen von Mythen und zugleich die Klärung im Geistigen. Und ins Unendliche schweifte sein schaffender, schauender Geist. Sehnsucht nach Unendlichem ward ihm Religion, und mit der Gestaltung dieser Sehnsucht betrat er das Gefilde der reinen, erhabenen Kunst. Im Wesen deutscher Kunst lag es von jeher, sich mehr an Gemüt und Phantasie als an die Sinne zu wenden. Denn diese Kunst entsprang einer durchaus idealistischen Haltung ihrer Schöpfer. Ob es sich nun um altgermanische Bandornamente, um den kunstvollen Faltenwurf eines gotischen Frauengewandes, um das Linienspiel der Dürerschen Ritter, Tod und Teufel, um die Holzschnitte eines Tilmann Riemenschneider, um die künstlerische Wiedergabe von Mensch, Tier und Pflanze im frühen Mittelalter handelte, immer waren es in der Hauptsache seelische Werte, die aus der sinnlichen Wirklichkeit gewonnen und gestaltet wurden. Was immer auch an künstlerischen Taten von unseren Meistern vollbracht wurde, war unverfälschtes Zeugnis deutschen Volksgeistes, fand in ihm gesetzmäßige Bindung, wie denn überhaupt alle begnadeten Künstler bei aller Freiheit ihres Schaffens der Stimme ihres Blutes folgen und sich damit dem Gesetz ihres Gewissens, ihres Inneren unterwerfen. Schon Goethe bekannte in „Dichtung und Wahrheit“: „Denn der innere Gehalt des bearbeitenden Gegenstandes ist Anfang und Ende der Kunst. Man wird zwar nicht leugnen können, daß das Genie, das ausgebildete Kunsttalent durch Behandlung aus allem alles machen könne. Genau besehen, entsteht aber alsdann immer mehr ein Kunststück als ein Kunstwerk, welches auf einem würdigen Gegenstand beruhen soll, damit uns zuletzt die Behandlung durch Geschick, Mühe und Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

Seite 85

Fleiß die Würde des Stoffes nur desto glücklicher und herrlicher entgegenbringe.“ Gleich dem Forscher, der im Naturgeschehen die ewigen Gesetze des Weltalls zu erkennen sucht, spürt auch der wahre Künstler nach verborgenen, ewig-gültigen Richtformen. Zugegeben, daß mancher bedeutende Meister aus seiner persönlichen Einstellung zum Künstlerischen heraus sehr subjektiv über die Werke anderer urteilt. Wer aber vermöchte einen Goethe etwa deshalb zu tadeln, weil er einen Kleist ablehnte, einen Richard Wagner, weil er kein rechtes Verhältnis zu Meister Brahms gewann, einen Böcklin, der seine Zeitgenossen nicht selten durch äußerst abwegige Urteile befremdete? Es hat zu allen Zeiten auch unter den Künstlern große Grübler und Denker gegeben, die um die Seele ihrer und fremder Werke rangen, sie im Allgemeingültigen zu deuten versuchten. Wie sich Polyklet als Vertreter der Antike abmühte, einen festen Kanon für die plastische Darstellung des Menschen zu finden, so strebte der Deutsche Albrecht Dürer auf zeichnerisch-malerischem Gebiet ähnliche Erkenntnisse an, hinterließen die Italiener Leonardo da Vinci und Leon Battista Alberti umfassende Theorien über die Kunst ihrer Zeit. In seinem Streben nach Unendlichkeit wußte sich der deutsche Geist nicht nur im Reich der Töne und der Dichtkunst, sondern auch in dem der bildenden Künste beheimatet. Man vergleiche einen griechischen Tempel mit einem gotischen oder romanischen oder barocken Dom, um das Arteigene zweier Völker und Zeitalter zu erkennen! Die Sonne Homers, lachender Diesseitsglaube offenbart im griechischen Tempel die klare, plastische Form, die feste Umgrenzung, ein einheitliches Raumgebilde – im romanischen, gotischen oder barocken Dom aber erscheint alles in Bewegung, im dynamischen Verhältnis von Kraft und Stoff, sehen wir die Erdenschwere durch den Willen zur Unendlichkeit oder Weltentrücktheit aufgehoben. „Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen!“ Die Grenzen kühler Vernunft sind hier vom Jenseitsglauben eines sich stetig wandelnden Formwillens sichtbar durchbrochen! Der Gedanke des Werdens, der Entwicklung wird somit fast zwangsläufig bestimmt auf allen Gebieten der bildenden deutschen Kunst. Zusammen mit der Sehnsucht nach dem Unendlichen beherrscht er alles Denken und Fühlen, Trachten und Gestalten unserer großen Meister. Durch alles Wirkliche und Bedingte leuchtet immer wieder der göttliche Funke … Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

KAPITÄLE Links, romanisch, Mitte Gotisch, rechts Renaissance

Es ist verständlich, daß in Zeichen bedeutsamer Wandlungen immer wieder die Frage nach dem eigentliche Wesen, nach den Urgründen der deutschen Kunst erhoben wird. Schon die Besinnung auf unsere unvergänglichen Meisterwerke weckt in uns eine ungeahnte Fülle sittlich-nationaler und sozialer Kräfte, überliefert uns eins der festesten Bindemittel völkischer Einheit. „Zerging wie Dunst das heilige römische Reich, uns bliebe gleich die heilige deutsche Kunst.“ Dieses Schlußwort Richard Wagners aus den Meistersingern entspricht durchaus einer Anschauung, wie sie Jahrhunderte lang in deutschen Landen vorherrschend war. Zurück zu den Quellen. Diese natürliche Forderung, die den Menschen der Renaissance und des Humanismus bewog, vorurteilsfrei die Werke der Dichter und Gelehrten des klassischen Altertums im Urtext zu lesen, die überlieferten Kunstschöpfungen der Antike ohne Brille der Scholastik selbst mit freien Augen am Standort zu betrachten, gilt in besonderem Maße auch für das zu neuem kulturellen Eigenleben erwachte Deutschland. Wege der Selbstbestimmung sind für jedes Volk in einer unruhvollen Zeit vonnöten, da vieles Alte stürzt und neues Leben aus Ruinen blüht. In häufig gegensätzlichen Auffassungen einzelner Meister und ihrer zeitlich bedingten Stilarten liegen die Spannungen des Schöpferischen schlechthin, und die sich daraus ergebenden Vergleichsmöglichkeiten sind von erzieherischer Kraft und führen nicht selten zu neuen bedeutsamen Entdeckungen. Einen gangbaren Weg in dieser Richtung weist uns Wilhelm Müseler mit seinem verdienstvollen Werk „Deutsche Kunst im Wandel der Zeiten“ (auch heute noch aufgrund der sehr hohen Auflagen in großer Zahl antiquarisch erhältlich), herausgegeben vom Safari-

Verlag, Berlin. Es enthält außer einer lebendig und im besten Sinne volkstümlich gehaltenen Texteinführung insgesamt 321 Abbildungen von Meisterwerken frühmittelalterlicher bis barocker Kunst und bringt sie – darauf beruht die Eigenart dieses Buches – in vergleichenden Bilderreihen, deren geschickte Auswahl und Zusammenstellung es dem Leser ermöglicht, sich an Hand dieses ausgezeichneten Materials die großen Stilepochen der deutschen Kunst zu veranschaulichen. Der kunsterzieherische Wert des Werkes besteht nicht zuletzt darin, daß es den Leser zu freudigem Betrachten deutscher Kunstwerke anregt, ihn der Mühe enthebt, sich das erforderliche Kunstverständnis ausschließlich durch die Lektüre dickleibiger, meist streng sachlich gehaltener Gesamtdarstellungen anzueignen. „Durch Vergleichen, aber auch nur durch Vergleichen kann man Zusammenhänge und Unterschiede feststellen, die großen Epochen der Kunstgeschichte als solche erkennen“, meint der Verfasser in seiner Vorrede. Über die apodiktische Richtigkeit dieser Ansicht mag man geteilter Meinung sein. Über die grundsätzliche Bedeutung vergleichender kritischer Studien am „tauglichen Objekt“ besteht jedenfalls nicht der geringste Zweifel. Durch Sammeln, Ordnen, Beschreiben und Erklären einzelner Werke und ihrer Stilepochen entstand allmählich die Wissenschaft der Kunstgeschichte und der Kunstlehre. Aufgabe der Kunstgeschichte ist es, das Kunstwerk lediglich als äußeren Gegenstand wie alle Erscheinungen der Außenwelt zu betrachten, es in Gruppen zu sammeln, zu ordnen, es in seiner räumlich-zeitlichen Bedingtheit zu beschreiben – ohne Beachtung der besonderen Eigenart dieses oder jenes Kunstwerkes. Erst die Kunstlehre beschäftigt sich mit den besonderen Merkmalen und inneren „Gesichten“, durch die sich

85

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

Seite 86

und – vielleicht Jahrhunderte später – in der des nacherlebenden Beschauers erfährt, kommt es letzten Endes an. Dann erst sprechen die unsterblichen Werke der großen Meister noch zu spätesten Geschlechtern „herrlich wie am ersten Tag“. In diesem Nacherleben erkennen wir die geheimsten Schönheiten eines Werkes und spüren, weshalb es so und nicht anders der Welt aus dem Geist seiner Zeit heraus überliefert werden mußte. Es gibt ungeschriebene Gesetze der Kunst, die sich dem Auserwählten und Begnadeten in immer neuer Form offenbaren. Das Genie des Künstlers prägt ihren Ausdruck, seine Umwelt versucht ihn zu begreifen, seine Zeit ihn nachzuempfinden, wie es spätere Generationen unternehmen.

Abb. 1: Romanisch – um 1100 n. übl. Ztr. Burg Chillon am Genfer See

ein Kunstwerk art- und gattungsmäßig von anderen Erscheinungen der Außenwelt unterscheidet. Und natürlich gehört auch in Erweiterung dieser Aufgabe das Vergleichen von Kunstwerken und ganzer Stilepochen untereinander dazu. Man kann – und es ist fraglos ebenso belehrend wie unterhaltsam – die ChillonBurg am Genfer See mit der Burg Eltz an der Mosel, mit dem Schloß Aschaffenburg am Main und mit dem Schloß Werneck in Unterfranken vergleichen (siehe Abb. 1 bis 4), um charakteristische Stileigenheiten des Romanischen und Gotischen, der Renaissance und des Barock kennen zu lernen, oder etwa das nördliche Westportal des Straßburger Münsters mit der Nordseite des Fürstenportals vom Bamberger Dom, um das Unterschiedliche zweier Stile zu betonen (Abb. 5 und 6), daran anschließend das Portal des Staatsarchivs in Breslau und das des Augustinerklosters Johann Sebastian Pfaff zu Mainz betrachten (Abb. 7 und 8). Das Entscheidende aber, nämlich das persönliche Nacherleben eines großen Kunstwerkes, wird durch fleißiges Zusammentragen und Abwerten dieser und jener Stileigentümlichkeiten im Beschauer noch nicht herbeigeführt. Es liegt hinter der äußeren Form im geistigen Wesensgehalt einer Schöpfung verborgen. Denn jedes wahre Kunstwerk verdankt seine Entstehung seelischen Vorgängen, die seine Gestaltung bedingen, und zwar handelt es sich hierbei um gefühlsmäßige Abläufe in der Seele des schaffenden Künstlers. Ist also

86

jedes Kunstwerk die Gestaltung eines Gefühles, so kann es nicht nur von außen her – stilistisch – erfaßt werden, sondern muß von innen her – seelisch – erlebt werden. Gewiß ist Romanik ihrer äußeren Form nach Betonung des Rundbogens und Gotik die des Spitzbogens, ohne daß damit etwas über das eigentliche Wesen eines mittelalterlichen Kunstwerkes ausgesagt wäre. Auf die lebendige Wandlung, die das Werk erst in der Seele seines Schöpfers

Mit Recht tritt der Künstler hinter das Werk. Die Schöpfung muß für sich sprechen, um in ihrer Seele verstanden zu werden. Verstanden vom Beschauer, von der Nachwelt. Ohne liebevolle Einfühlung in die „Kunstseele“ erscheint keine wahre Erkenntnis des Wesentlichen möglich, kein Maßstab richtig und gerecht. Und wenn wir heute zurückblicken auf ein Jahrtausend deutscher Kunst, so wissen wir: alle unsere großen Meisterwerke sind wohl Gnade und Himmelsgabe für den einzelnen Schöpfer, aber darüber hinaus Ausdruck des Willens und der Selbstzucht unseres Volkes. In einem im Kern gesunden Volke ist nach Ansicht eines zeitgenössischen deutschen Künstlers volkstümliche Kunst nicht das Geringste, sondern das Höchste, was die Bildung vermag, wenn sie sich selber im höchsten Sinne – als Bildwerdung des Wesens – versteht.

Abb. 2: Gotisch – um 1350 n. übl. Ztr. Burg Eltz an der Mosel Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

Seite 87

Abb. 3: Renaissance – 1605-1614 n. übl. Ztr. Schloß Aschaffenburg am Main

Denn alles, was vor der Menschheit gilt, gilt kraft seines Volkes! Nach unserer landläufigen Stil-Einteilung, der teilweise etwas Schematisches anhaftet, spielt sich die Entwicklung der romanischen und gotischen Kunst etwa im Zeitraum von fünfhundert Jahren ab, von 1000 bis 1500 n. übl. Ztr., wobei das Jahr 1200 den ungefähren Wendepunkt von der Romanik zur Gotik bildet. Die italienische Renaissance verläuft von 1400 bis 1600 n. übl. Ztr., die an die Spätgotik angeschlossene nordische Renaissance von 1500 bis 1600 n. übl. Ztr. Ihr folgt das Barock von 1600 bis 1700 n. übl. Ztr., das Rokoko von 1700 bis 1775 n. übl. Ztr., der Klassizismus von 1775 bis 1825 n. übl. Ztr. In einem Turnus von je fünfundzwanzig Jahren beschließen den Reigen der Stile bis zum Beginn des 20. Jahrhundert n. übl. Ztr.: die Romantik (bis 1850 n. übl. Ztr.), der Naturalismus (bis 1875 n. übl. Ztr.) und der Impressionismus (bis 1900 n. übl. Ztr.). Aber welch eine Welt ge-

waltiger Geister Wandlungen liegt zwischen diesen hier nüchtern aufgezählten Stilepochen! „Innerhalb eines jeden Stils wird man Perioden unterscheiden“ – sagt Wilhelm Müseler in seinem hier erwähnten Werk –, „die verschiedene Strömungen spiegeln: Aufstieg und Abstieg, Blütezeit und Verfall. Der Stil eines Volkes und einer Epoche zeigt sich gleichmäßig auf allen Gebieten der Kunst: Literatur, Musik, Baukunst, Plastik und Malerei müssen naturgemäß immer im Einklang stehen. Dieser Einklang zwischen den Künsten kann aber auch durch Einflüsse und Strömungen von außen gestört werden. Einzelne Schulen und Sekten richten oft Verwirrung an. So hat unter dem Einfluß der byzantinischen Elfenbeinplastik die romanische Skulptur in Deutschland einen dem deutschen Wesen artfremden Charakter angenommen, der mit der Literatur, Musik und Baukunst der gleichen Zeit nicht zusammenklingen will (vergleiche

Abb. 4: Barock – 1733/1737 n. übl. Ztr. Schloß Werneck, Unterfranken Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

Abb. 5: Romanisch – um 1200 n. übl. Ztr. Bamberg, Dom, Fürstenportal

Abb. 9). Erst gegen Ende der Epoche überwand deutsches Formgefühl den fremden Einfluß. Es gibt Völker, die fremden Einflüssen leichter zugänglich sind, und solche, die bewußt und herrisch ihre Eigenart wah-

Abb. 6: Gotisch – 1276/1300 n. übl. Ztr. Straßburg, Münster, Westportal

87

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

Abb. 7: Renaissance – 1528 n. übl. Ztr. Breslau, Portal des Staatsarchivs

ren. Je enger die Verbindung von einem Volk zum anderen ist, desto eher ist fremde Beeinflussung möglich. Politische Verbindungen und wirtschaftliche Beziehungen können manchen Gegensatz überbrücken, aber auf die Dauer entwickelt jedes Volk, wenn es nicht untergeht und sich selbst aufgibt, seine eigene Kunst und seinen ihm eigentümlichen Stil. Aber nicht jedes Volk ist sich

Abb. 9: Romanisch – um 1250 n. übl. Ztr. Naumburg, Dom, Westchor (Eckehard)

88

Seite 88

immer gleich geblieben, weil durch Völkerwanderungen und Aufnahme fremder Völkerteile Rassenmischungen entstanden. So bildete das Reich Karls des ,Großen‘ dank der herrschenden Oberschicht trotz seiner verschiedenartigen Zusammensetzung noch einen einheitlichen Kulturkreis. Die Einheit ging aber bald nach der Spaltung des Reiches verloren, das westfränkische Reich entwickelte sich selbständig zum heutigen Frankreich, das ostfränkische Reich zum heutigen Deutschland. Der Unterschied in Rasse und Lebensart und damit auch in der Kunst ist von Jahrhundert zu Jahrhundert stärker geworden. Solche Gegensätze hindern naturgemäß nicht, daß Völker, deren Entwicklung oder Schicksal miteinander verbunden ist, unter der Wirkung der gleichen Ereignisse und gleichen Strömungen ihre Stile in gleicher Weise fortentwickeln. Je unterschiedlicher aber Rasse und Veranlagung der Völker sind, desto stärker treten die Unterschiede hervor. Die Gotik kam vom westfränkischen Reich – man sollte nicht sagen, von Frankreich –, nahm auf deutschem Boden und in England ein eigenes Gesicht an, drang auch nach Italien, ohne aber dort je recht heimisch zu werden. Die Renaissance und auch das Barock kamen aus Italien und entwickelten sich in Deutschland ähnlich, aber doch zu ausgesprochen deutschen Stilen, die von der italienischen Renaissance und dem

Abb. 10: Gotisch – um 1390 n. übl. Ztr. Berlin, Deutsches Museum (König Artus)

Abb. 8: Barock – 1770 n. übl. Ztr. Mainz, Augustinerkloster

italienischen Barock sehr verschieden sind. Umgekehrt ist es aber selbstverständlich, daß die gleichen Ereignisse

Abb. 11: Renaissance – 1513 n. übl. Ztr. Innsbruck, Hofkirche (König Artus)

Abb. 12: Barock – 1740 n. übl. Ztr. Rottenbuch in Bayern (Kaiser Heinrich) Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

auch fast entgegengesetzte Wirkung auf die Völker ausüben können.“ – Es wurde hier absichtlich den Ausführungen Müselers ein verhältnismäßig breiter Raum zugestanden, um die Tatsache zu unterstreichen, welche Wechselwirkungen jahrhundertelang zwischen dem Kunstschaffen der großen Kulturnationen bestanden. Mächtig strömte die Flut hinüber und herüber. Nicht nur Dürer weilte zweimal in Italien und hinterließ dort nachhaltige Eindrücke, wie er selbst neue schöpferische Anregungen und Gedan-

Seite 89

ken mit in seine deutsche Heimat nahm. Nicht nur Meister Erwin, der geniale Erbauer des Straßburger Münsters, sondern auch mancher andere Künstler, der am Naumburger und Bamberger Dom mitschuf, war früher nachweislich in Reims und Chartes. Sie alle beeinflußten mit den Erfahrungen und Beobachtungen, die sie in der Fremde gewonnen, das künstlerische Schaffen ihrer Epoche und wurden am sausenden Webstuhl der Zeit Anreger zu den lebendigen Wandlungen unserer Kunst. Dr. Werner Freytag

Unseren jungen Gefährten

Au+ Deutxland+ Vor- und Frühzeit: Volk ohne Raum Teil 5 Die Völkerwanderung (Fortsetzung) Man pflegt die Völkerwanderung auf die Zeit etwa vom 2. bis ins 6. Jahrhundert n. übl. Ztr. anzusetzen; wir haben gesehen, daß ihre Ursprünge viel weiter zurückliegen. Im 2. Jahrhundert n. übl. Ztr. aber entwickelt sich unter dem Druck der nördlichen Bewohner Europas, der unvermindert all die Jahrhunderte angehalten hat, und aus zurückge-

bliebenen Spannungen alter Landnot in zeitlich und räumlich ausgeprägterer Form und deshalb als „Völkerwanderung“ besonders auffallend eine Neuordnung Europas. Nachdem die Alemannen den Limes durchbrochen hatten, stießen sie bis nach Rätien, sogar bis nach Oberitalien vor, Ostgermanen erschienen auf dem Balkan, in Griechenland und Kleinasien, die Franken drängen am Niederrhein gegen Gallien vor. Die Kämpfe gehen mit wechselndem

Abb. 27: Kampf um die Porta Nigra. Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

Erfolg hin un her. Die Goten werden bei Nisch, die Alemannen am Metaurus und am Ticinus (271 n. übl. Ztr.) geschlagen und zurückgedrängt. Auch die Franken müssen wieder über den Rhein zurück. Noch gelingt es den Römern, die mit größerer Wucht geführten Stöße gegen das Römerreich abzuwehren. Das änderte sich nun bald. Unser Bild (Abb. 27) versetzt uns in das Jahr 340 n. übl. Ztr., in dem die Franken Trier besetzen. Eine Szene aus diesen Kämpfen, die Erstürmung der Porta Nigra (des Schwarzen Tors) hält das Bild fest. Der Name Franken besteht um jene Zeit seit rund 100 Jahren. Hier haben wir es mit der südliches Gruppe des fränkischen Volkes zu tun, den Oberfranken, die von den Tälern der Sieg, Lahn und Wied aus den Rhein überschritten hatten und sich in der Gegend von Koblenz bis Trier und Metz ausbreiteten, wobei sie gelegentlich sowohl gegen die Römer kämpften als auch, mit ihnen verbündet, gegen andere germanische Stämme. Wir sehen, daß nun auch die Rheinlinie ins Wanken geraten ist und wenden den Blick wieder nach Südosten, wo wir die Goten treffen. Damit kommen wir in den zweiten Teil der Völkerwanderung, in dem bereits germanische Reiche auf römischem Boden gegründet wurden. Der erste Anstoß dazu geschah in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Es waren die Hunnen, die, von Osten kommend, die Bewegung einleiteten. Das Ostgotenreich hatte um diese Zeit eine bedeutende Ausdehnung. Es erstreckte sich vom Schwarzen Meer bis zur Ostsee, nachdem es den Goten gelungen war, zahlreiche sarmatische Stämme, ferner die Heruler, die Wenden und andere in ihr Reich einzugliedern. Dieser große Machtbereich stand aber in einem schroffen Gegensatz zur Zahl der Ostgoten, die über dieses weite Gebiet verteilt waren. So kam es, daß das große Ostgotenreich dem Ansturm der Hunnen nicht standhalten konnte. Die Ostgoten wurden geschlagen, und auch die Westgoten vermochten ihnen nicht zu widerstehen, sie zogen sich nach Siebenbürgen hinter die Karpaten zurück. Ein Teil dieses Volkes, der inzwischen zum Christentum übergetreten war, überschritt bei Silistria die Donau. Da die von den Römern gemachten Zusagen nicht eingehalten wurden, mußten sie zu den Waffen greifen. Sie schlugen das oströmische Heer bei Adrianopel und beherrschten damit den größten Teil der Balkanhalbinsel. Inzwischen war der Rest der Westgoten unter Athanarich gefolgt. Sie traten, wieder vereinigt, 382 n. übl. Ztr. in der Form in oströmische Dienste, daß sie die Sicherung der Donaugrenze gegen entspechende Landabgabe übernahmen.

89

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

Seite 90

hörten die Eroberungszüge auf, es fand sich kein zweiter Führer von derselben Tatkraft und Begabung mehr. Und damit begann auch schon der Niedergang des Reiches. Bürgerkriege gegen die Ureinwohner des Landes schwächten die Kraft des Reiches nach außen, dazu kam mit der Zeit die Wirkung des afrikanischen Klimas auf die Germanen, die dadurch verweichlichten. Der letzte König der Wandalen, Gelimer, wurde von Belisar, dem Feldherrn des oströmischen Kaisers Justinian, als Gefangener nach Konstantinopel gebracht. Das war das Ende des Wandalenreiches.

Abb. 28: Alarich in Rom.

Etwa um 400 n. übl. Ztr. herum kam es römischer Bedrückung wegen wieder zum Streit. Unter Alarich stießen die Westgoten bis nach Griechenland vor und schlossen mit dem oströmischen Reich Frieden, weil sie von dem weströmischen Heermeister Stilicho, einem Wandalen, der zu der Zeit der eigentliche Herr des weströmischen Reiches war, bedroht wurden Sie erhielten von den Oströmern Illyrien. 408 n. übl. Ztr., nach dem Tode Stilichos, stieß Alarich gegen Westrom vor. Dreimal wurde Rom belagert, und nachdem es sich zweimal losgekauft hatte, beim dritten Male gestürmt. Alarichs Einzug in die „Ewige Stadt“ veranschaulicht Bild 28. Der Plan Alarichs, nach Afrika überzusetzen, scheiterte. Er starb 410 oder Anfang 411 n. übl. Ztr. Allgemein bekannt ist, daß Alarich bei Cosenza im Bett des Flusses Busento begraben worden ist (Abb. 29). Die Goten leiteten den Fluß um, begruben Alarich im Flußbett und ließen dann das Wasser wieder seinen alten Lauf nehmen. So schläft ein germanischer Held unter den Wassern des Busento seinen ewigen Schlaf!

Ztr.) bei Mainz den Rheinübergang, überschritten 409 n. übl. Ztr. die Pyrenäen und siedelten sich in Spanien an. 429 n. übl. Ztr. führte Geiserich sie nach Nordafrika (Abb. 30), wo sie auf dem Gebiet des unter römischer Herrschaft stehenden Karthago ein mächtiges Reich schufen. Die Flotte Geiserichs war der Schrecken Roms. Mit ihr beherrschte er das Mittelmeer. 455 n. übl. Ztr. eroberte er Rom und führte die Witwe des Kaisers und ihre Töchter gefangen nach Karthago. Das Mittelmeer war um jene Zeit sozusagen ein germanisches Meer, wie die Karte zeigt: im Süden die seebeherrschenden Wandalen, im Westen und Norden die West- und Ostgoten. Lediglich die griechischen Inseln und die kleinasiatische Küste waren in der Hand Ostroms (Abb. 31). Ein rundes Jahrhundert, von 429 bis 534 n. übl. Ztr., währte das Reich der Wandalen in Nordafrika. Als Geiserich im Jahre 477 n. übl. Ztr. gestorben war,

Diese Vergänglichkeit, die hier in einem besonders schlagenden Beispiel vor Augen tritt, ist aber, wie wir sahen, ein Merkmal der meisten Staatsgründungen in der Völkerwanderungszeit. Um sie zu verstehen, muß man bedenken, daß die wandernden Stämme, die da die Länder rund um das Mittelmeer eroberten, zunächst einmal keineswegs sehr zahlreich waren. Gegenüber der Urbevölkerung waren sie überall nur eine Minderheit, im günstigsten Fall – wie man, natürlich sehr ungefähr, geschätzt hat – bis zu 10 Prozent der Gesamtbevölkerung. So standen sie den früheren Bewohnern, die sie unterworfen hatten, als die zahlenmäßig bei weitem unterlegene Kriegerkaste gegenüber, die aber alle Macht in Händen hatte. Eine Verschmelzung mit der Urbevölkerung fand offenbar nirgends statt; dem widersprach der Stolz auf die eigene Art, das Rassebewußtsein, das gerade die Germanen kennzeichnete. Das Verfahren der Kolonisation war also das Gegenteil von dem, das die Römer bei der Ausbreitung ihrer Herrschaft anzuwenden pflegten, die überall die unterworfene Urbevölkerung in den Verband des Reiches einbezogen und ihm allmählich anglichen, was oft so weit ging, daß die Unterworfenen das eigene Volkstum

Unter Athaulf zogen die Westgoten im Jahre 412 n. übl. Ztr. nach Gallien, später nach Spanien, und erhielten von den Weströmern schließlich Aquitanien als Wohngebiet. Unter dem Druck der Goten und Hunnen kamen auch die wandalischen Hauptstämme der Hasingen und Silingen, die an der Theiß saßen, in Bewegung. Mit ihnen zog auch ein Großteil Alanen, ein nichtgermanischer Volksstamm, aber der indogermanischen Sprache angehörend, und Sweben. Ein Versuch, sich nach Süden zu wenden, wurde von Stilicho verhindert. Darauf zogen Wandalen und Alanen nach Westen zum Rhein, erzwangen gegen den Widerstand der Franken (406 n. übl.

90

Abb. 29: Alerichs Begräbnis. Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

Seite 91

Abb. 30: Wandalen in Nordafrika.

und die eigene Sprache gänzlich aufgaben. Die Germanen legten Wert darauf, für sich zu bleiben. Die Schlacht auf den katalaunischen Feldern, die unser Bild (Abb. 32) zeigt, spielte sich im Jahre 451 n. übl. Ztr. in der Gegend des heutigen Châlons-surMarne ab. Sie galt der Abwehr der Hunnen, deren Vordringen nach Westeuropa sie beendete. Das Hunnenreich war damals auf dem Höhepunkt seiner Macht; es nahm etwa das Gebiet des heutigen Ungarn ein. An seiner Spitze stand Attila, der in der Sage unter dem Namen Etzel bekannt ist. Er hatte die Alleinherrschaft über die Hunnenstämme an sich gerissen, hatte die benachbarten Germanen unterworfen und hatte es sogar fertiggebracht, dem oströmischen Kaiser Tribute aufzuerlegen. Nun richtete sich sein Blick nach Westen, wo er auch bald darauf mit Burgundern, Franken und Westgoten zusammenstieß. Die Kämpfe, zu denen es hier kam, sind dann später mit anderen Gegenstand der großen deutschen Heldendichtung geworden; das Nibelungenlied, die Sage von Dietrich von Bern, das Waltharilied berichten von ihnen. Die Burgunden, von denen im Nibelungenlied im besonderen die Rede ist, saßen seit dem 4. Jahrhundert n. übl. Ztr. am Main, seit dem Beginn des 5. Jahrhunderts n. übl. Ztr. am Mittelrhein, wo nun um Mainz und Worms ein burgundisches Reich erstand. Unser Bild (Abb. 34) zeigt sie vor Worms, dem nachherigen Wohnsitz ihres Königs Gunther. Von hier wanderten sie nun, dem Druck der Hunnen nachgebend, weiter an die Rhone, in das heutige Burgund in Frankreich, wo sie dann endgültig blieben. Und hier kam es auch zur Entscheidungsschlacht gegen die Hunnen. Unter der Führung des weströmischen Feldherrn Aëtius kämpften die Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

Burgunden zusammen mit Franken und Westgoten gegen die Hunnen, als deren Verbündete die Ostgoten mit in den Kampf gezogen waren. Auch hier, wie so oft in der Geschichte, kämpften Germanen gegen Germanen. Die Niederlage, die Attila erlitt, war der Wendepunkt im Andrang der Hunnen gegen Westeuropa. Attila zog sich mit seinem Heer zurück. Im nächsten Jahr fiel er in Italien ein; er kam aber zu keinem dauernden Erfolg mehr, zumal in seinem Heer die Pest ausbrach. So trat er den Rückmarsch in die Heimat an, wo er dann plötzlich und unerwartet starb. Mit seinem Tode zerfiel auch sein Reich ebenso schnell, wie es erstanden war. Damit war die Hunnengefahr gebannt. Nach dem Tode Attilas befreiten sich die Ostgoten von der hunnischen Herrschaft und eroberten bald Slawonien. Der oströmische Kaiser gebot ihrem weiteren Vordringen Einhalt durch Zahlung von jährlich 300 Pfund Gold.

Als Friedensbürge kam der achtjährige Sohn des Ostgotenfürsten Thiudimer, Theoderich, an den oströmischen Hof nach Byzanz, wo er zehn Jahre blieb. 469 n. übl. Ztr. kehrte er zurück. Trotz des langjährigen Aufenthaltes in Byzanz hatte er sich alle gotischen Tugenden bewahrt. Mit einer von ihm gesammelten Mannschaft junger, tatenfroher Goten schlug er die nichtgermanischen Sarmaten und bewies damit seine Führereigenschaften. Nach dem Tode seines Vaters ging die Führung der Ostgoten an ihn über. In Italien (Westrom) herrschte damals der germanische Heerkönig Odowakar aus dem Stamme der Skiren. Es würde zu weit führen und ein Buch für sich füllen, wollten wir den Wanderzug der Ostgoten genau verfolgen. Mit Kämpfen für und gegen Ostrom vergehen die Jahre und wir finden 489 n. übl. Ztr. die Ostgoten unter Theoderich auf dem Marsche nach Italien. Odowakar vermochte sie nicht aufzuhalten. Er wurde am Isonzo und an der Adda geschlagen, und nach dreijährigem Widerstand fiel auch seine Hauptstadt Ravenna. Theoderich ließ sich 493 n. übl. Ztr. zum König ausrufen und wurde vom oströmischen Kaiser als sein Stellvertreter in Italien anerkannt. Diese Unterstellung unter die Oströmer war ein Notbehelf. Zahlenmäßig waren die Goten die Schwächeren. Wenn auch als Angriffsheer von unwiderstehlicher Wucht, so waren sie als Besatzungsheer eines großen Gebietes zu stark auseinandergezogen, um dem oströmischen Kaiser das Gebiet auf die Dauer vorenthalten zu können, denn noch war Byzanz eine gewaltige Macht. Ravenna war die Hauptstadt des neuen Ostgotenreiches, in dem sie selbst nur eine verschwindende Minderheit bildeten. Daß eine solche Lage für die Goten

Abb. 31: Die germanischen Reiche am Mittelmeer um 500 n. übl. Ztr.

91

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

Seite 92

Abb. 32: Schlacht auf den katalaunischen Feldern.

ständige Kampfbereitschaft bedeutete, leuchtet ein. Straffste Manneszucht und Gerechtigkeit den Unterlegenen gegenüber werden von ihnen gerühmt. So war auch das Reich Theoderichs nicht von Bestand. Er starb im Jahre 526 n. übl. Ztr., ohne daß es ihm gelungen war, sein Ziel zu erreichen, nämlich das sinkende weströmische Reich und seine Kultur unter germanischer Herrschaft zu erhalten. Sein Plan, die verschiedenen germanischen Reiche der Westgoten, Wandalen, Burgunden und Franken unter seiner Führung zu vereinigen, scheiterte an der mangelnden staatsmännischen Einsicht der anderen Fürsten, die die vom oströmischen Reiche drohende Gefahr nicht sehen wollten oder konnten. So geschah es denn, daß das ostgotische Reich seinen Schöpfer nicht lange überlebte; im Jahre 555 n. übl. Ztr. wurden die letzten Gotenkönige Totila und Teja nach heldenmütigem Widerstand von dem oströmischen Feldherrn Narses geschlagen. Damit kam Italien wieder unter oströmische Herrschaft, die aber nicht mehr von Dauer war. Das Grabmal Theoderichs in Ravenna ist erhalten geblieben. Unser Bild (Abb. 37) zeigt es. Die Decke ist ein einziger Stein von 300 Tonnen Gewicht. Sie erinnert an die Decksteine der Riesensteingräber. Theoderich lebt in der Sage unter dem Namen Dietrich von Bern (= Verona, wo er sich öfter aufhielt) weiter. Um die Zeit, als Theoderich gegen Italien aufbrach, kamen auch die Langobarden, die zuletzt an der Elbe saßen, in Bewegung. Sie überrannten die Rugier (488 n. übl. Ztr.) in Mähren und Niederösterreich, eroberten das zwischen Donau und Theiß gelegene Herulergebiet (505 n. übl. Ztr.), besiegten 567 n. übl. Ztr. die Gepiden und stießen 568 nach Italien vor. Dort war wenige Jahre

92

vorher das Ostgotenreich nach heldenmütigem Kampfe zusammengebrochen. Sie fanden wenig Widerstand; lediglich Pavia mußte drei Jahre belagert werden. Es wurde dann die Hauptstadt des langobardischen Reiches in Italien. Bis 672 n. übl. Ztr. hielten sie das Land trotz mehrfacher Angriffe des oströmischen Reiches. Aber auch sie waren zahlenmäßig zu schwach, um den Kampf – der insbesondere auch mit den römischen Päpsten durchgeführt werden mußte – auf die Dauer zu bestehen. Von Papst Hadrian I. gerufen, unterwarf Karl „der Große“ (der Sachsenschlächter) 781 n. übl. Ztr. die Langobarden und gliederte sie in das Frankenreich ein. Am längsten von den aus der Völkerwanderung auf fremdem Boden gegründeten germanischen Reichen hielt sich das Reich der Westgoten in Spanien. Toledo war ihre Hauptstadt. In wechselvollem Schicksal, im Kampf mit Ostrom und den Päpsten in Rom, deren weltliche Macht sich damals zu entfalten begann, verläuft ihre Geschichte. Auch ihr Übertritt zum katholischen Glauben (vorher waren sie, wie alle Goten, Arianer) hält ihren Untergang nicht auf. Blutmäßig und auch sonst unterhöhlt, fallen sie den mohammedanischen Mauren 711 n. übl. Ztr. in der Schlacht von Xeres de la Frontera zum Opfer.

So endete das ostgermanische Reich nach einem heldenhaften Ringen um Lebensraum. Die westgermanischen Völker, mit Ausnahme der Langobarden, blieben in all der Zeit seßhafter. Sie vollführten mehr eine schiebende Bewegung nach Westen, indem sie weniger andere Völker überlagerten, als vielmehr vor sich herschoben. Auch hier zeigt sich unverkennbar der Druck aus dem Norden. Er wirkt sich aber mehr in südwestlicher als in südlicher Richtung aus, geht zum Teil sogar nordwestlich nach England, um erst später wieder unter den Franken auf die Südrichtung zu kommen. Die Sachsen, wohl weniger durch Krieg, als durch freiwillige Vereinigung mit den Chauken, Angrivariern und Cheruskern im 3. Jahrhundert n. übl. Ztr. als Stammbund auftretend, entwickelten im 5. Jahrhundert n. übl. Ztr. einen sehr starken Ausdehnungsdrang, weil offenbar ihr Lebensraum zu eng geworden war. Sie übten so einen Druck auf die salischen Franken aus, verdrängten sie vom Zuidersee, setzten sich an der Loiremündung fest, gingen von der holländischen Küste sowohl als auch zwischen Weser und Elbe mit Angeln und Jüten nach England und besetzten das Gebiet südlich und nördlich der Themse etwa um 450 n. übl. Ztr., nachdem die letzten römischen Legionen Britannien etwa 50 Jahre früher verlassen hatten. Davon, daß trotz dieser Abwanderung das Sachsenvolk noch oder bald wieder sehr stark war, zeugen die Kämpfe mit den Franken durch Jahrhunderte hindurch. Wenn sie auch später, 804 n. übl. Ztr., der Übermacht der Franken und der mit diesen gewissermaßen verbündeten Kirche erlagen, so endete damit keineswegs ihre Art und ihr Volkstum. Hundert Jahre später steht Deutschland unter der Führung ihres Herzogs Heinrich. Den Alemannen, die ebenfalls immer wieder versuchten, durch eine Ausbreitung ihren Lebensraum zu vergrößern, gelang es nach dem Tode des römischen Feldherrn Aëtius (454 n. übl. Ztr.) das Elsaß, die Rheinpfalz und das südliche Rheinhessen zu besetzen, ebenso sich über die Ostschweiz und über Bayrisch-Schwaben bis nach Regensburg auszudehnen. Abb. 33: Krone des westgotischen Königs Recceswinth. Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

Seite 93

Abb. 34: Burgunden vor Worms.

Durch die Erstarkung des fränkischen Reiches wurde die weitere Ausdehnung verhindert. Die nördlichen Gaue kamen unter fränkische Herrschaft, während über die südlichen Theoderich der Große, der Ostgotenkönig, eine Art Schutzherrschaft ausübte. Im 8. Jahrhundert n. übl. Ztr. werden sie dann aufgrund des Massenmordes an ihren Führern in Cannstadt ins Frankenreich eingegliedert. Von den übrigen germanischen Völkern jener Zeit im Bereich des deutschen Lebensraumes sind noch die Thüringer und die Bayern zu erwähnen. Von beiden Stämmen ist wenig bekannt. Die Thüringer, die sich aus Hermunduren, einem Teil der Angeln und der Warnen bildeten, gründeten etwa um 400 n. übl. Ztr. ein eigenes Reich. Sie leisteten Attila Waffenhilfe. Unter Hermanifried waren sie immerhin so bedeutend, daß Theoderich der Große mit ihnen ein Bündnis schloß. Sie konnten jedoch gemeinsamen Angriff von Franken und Sachsen nicht standhalten. Um die Mitte des 6. Jahrhunderts n. übl. Ztr. wurden sie dem Frankenreich einverleibt.

hin ausweichen. Im 6. Jahrhundert n. übl. Ztr. besiedelten sie die Alpentäler, Niederösterreich, Ober- und Niederbayern und Tirol. 788 n. übl. Ztr. kamen sie zum Frankenreich. Durch den Wegzug der Goten, Gepiden, Wandalen, Burgunden usw. aus dem Osten des heutigen deutschen Lebensraumes war das Land, wenn auch nicht menschenleer geworden, so doch nur dünn besiedelt, und man kann dem Bericht, daß die wieder in ihre alte Heimat wandernden Heruler ein weithin leeres Land fanden, schon Glauben schenken. Andererseits aber saßen doch noch Reste der verschiedener Stämme in diesen Gebieten, was schon dadurch bezeugt ist, daß die zurückgebliebenen Wandalen Geiserich, bevor er mit seinem Volk nach Afrika ging, darum baten, ihnen – den in der Heimat gebliebenen – das Land der Ausgezogenen als Eigentum zu geben. So waren Goten noch in der Krim, Wandalen in Schlesien und Ungarn, Gepiden an der Weichsel und burgundische Sippen an

Warthe, Netze und Oder. Ein Teil dieser Dagebliebenen bildete einen neuen Stamm, die Widiwasier. Nur zögernd rückten die Slawen in die gering bewohnten Gebiete ein, hauptsächlich im Zusammenhang mit den Einbrüchen der asiatischen Awaren. – Einen ersten bekannten Staat bildete ein Teil der Slawen, die heutigen Tschechen, in Böhmen und Mähren, wobei aber hervorgehoben werden muß, daß der Franke Samo der Schöpfer dieses Staates war. Weitere Einwanderungen fanden im 7. und 8. Jahrhundert n. übl. Ztr. statt. Im 8. Jahrhundert n. übl. Ztr. scheint ein stärkerer Zustrom gewesen zu sein, der zu einem unmittelbaren Druck auf die östlichen Germanenstämme, so insbesondere auf die Sachsen, führte und dem diese sowohl als auch Abb. 36: Schwert des später Karl „der fränkischen Große“ und Heinrich I. Königs entgegentraten. Die Childerich. Tatsache, daß viele Slawenfürsten germanische Namen trugen, läßt annehmen, daß die im Gebiet verbliebenen germanischen Sippen als Führergeschlechter anerkannt worden sind. So unterzeichnet der erste polnische Reichsgründer im Jahre 922 einen Vertrag mit dem Papst mit dem germanischen (wikingischen) Namen Dagon. (Fortsetzung im nächsten Heft)

Die Bayern, wahrscheinlich die Nachkommen der Markomannen, wohnten bis etwa 500 n. übl. Ztr. in Böhmen, sie mußten dann vor den mongolischen Awaren über den Böhmerwald Abb. 35: Langobardisches Schwert aus Italien. Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

Abb. 37: Theoderichs Grab.

93

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

Seite 94

Die Dorfkinder fragen:

Unseren jüngyen Gefährten

Mich mengt und knetet die Mama. Bei allen Festen bin ich da. Doch vorher steckt man mich ins Loch. Da werd’ ich heiß, als ob ich koch. Und bin ich kalt, dann bin ich schön, mit Zuckerguß fein anzusehn? Der Kuchen

Welche Leser können im Winter nicht lesen?

Die Ährenleser

Heidenspaß

New York vor dem Ersten Weltkrieg.

Finkelstein macht an der Lower East Side, dem Einfallstor für ostjüdische Immigranten, ein koscheres Restaurant auf, doch obgleich er sehr gut kocht und bescheidene Preise fordert, kommen wenig Gäste. Man macht ihn darauf aufmerksam, daß sich das kaum ändern wird, solange er keinen Maschgiach (Aufseher für Koscherfragen) anstellt. Also stellt Finkelstein einen Maschgiach an, und es hilft tatsächlich, das Restaurant läuft täglich besser, woraufhin der Maschgiach eine Lohnaufbesserung verlangt. Er bekommt sie, es kommen immer mehr Gäste, der Maschgiach fordert eine zweite Gehaltserhöhung. Als er aber zum dritten Mal mehr Geld haben will, sagt Finkelstein ärgerlich: „Ich bessere Ihr Gehalt jetzt zum allerletzten Mal noch weiter auf! Allmählich fängt es aber an, mir eher zu lohnen, koscheres Fleisch einzukaufen!“ * chääl geht in Köln an St. Severin vorüber und bleibt erstaunt stehen. Da hat doch sein Freund Tünnes eine Schaukel im Portal aufgehängt und schaukelt vergnügt zur Kirche hinein und wieder hinaus, immer hin und her. „Ja, wat es denn dat?“ ruft Schääl aus, und Tünnes ruft herunter: „Ich gewinn nur dä Toties-quoties-Ablaß.“ (Diesen Ablaß kann man nämlich gewinnen, sooft man eine Kirche an einem bestimmten Tage betritt.)

S

Gib Obacht! Spielanleitung: Die Kinder bilden einen Kreis, der nach links herumgeht. Ein Kind ist die „Zipfelmütz“ und geht in die Kreismitte, geht nach rechts herum. (Zipfelmütze wird durch Hände über dem Kopf halten angedeutet.) Bei * bleibt es vor einem Kind stehen und stützt die Hände in die Hüften. Dann macht es die gesagten Bewegungen „wirft die Beine hinter sich“ usw. Dann gibt es dem andern Kind die Hände und beide tanzen im Galopp am Platz herum. Beide gehen dann in den Kreis und singen: „Es gehen zwei Zipfelmütz“, usw.

94

Nach allen Ausgängen halt Ausschau, eh du eintrittst, sieh dich sorgsam um. Wer weiß, wo ein Feind auf der Lauer liegt. Havamal

Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

Seite 95

Neue+ vom alten Feind Meist lange Jahre unbemerkt – Sexueller Mißbrauch bringt Priester nicht selten vor Gericht Fälle sexuellen Mißbrauchs durch Priester der katholischen Kirche werden meistens erst dann bekannt, wenn sie bereits strafrechtliche Konsequenzen für den Täter haben. Die Deutsche Presse-Agentur hat an einige Mißbrauchsfälle aus den vergangenen Jahren in Deutschland erinnert. Sie haben allesamt überregional für erhebliches Aufsehen gesorgt. 1993: Ein 44 Jahre alter Pfarrer aus dem hessischen Kreis Bergstraße wird wegen sexueller Nötigung zweier Mädchen zu zwei Jahren Haft mit Bewährung verurteilt. Richter befinden ihn für schuldig, zwei damals 14 und 16 Jahre alte Schwestern in vier Fällen mißbraucht zu haben. Der Priester hatte die Taten vor Gericht gestanden. 1994: Ein katholischer Pfarrer aus der nordrhein-westfälischen Stadt Krefeld wird wegen sexuellen Mißbrauchs an einem neunjährigen Jungen zu vier Jahren Haft verurteilt. 1995: Gegen einen 44 Jahre alten Pfarrer aus Gilching in der Nähe von München wird wegen des Besitzes von Kinderpornos auf Videokassetten ermittelt. Der Pfarrer wird daraufhin von seiner Landeskirche vom Dienst suspendiert. 1995: Ein 67 Jahre alter Pfarrer aus dem niedersächsischen Hildesheim wird in den Ruhestand versetzt. Er hatte zuvor zugegeben, sich an mehreren minderjährigen Jungen vergangen zu haben. Es gab in diesem Fall allerdings kein kirchliches Gerichtsverfahren, da die Taten des Pfarrers bereits verjährt waren. 1996: Ein 47 Jahre alter Pfarrer in Wangen/Allgäu verzichtet nach Vorwürfen sexueller Verfehlungen auf sein Pfarramt. Das Ordinariat hatte ihn bereits beurlaubt. Ein Gerichtsverfahren wird schließlich eingestellt. 1996: Ein 65 Jahre alter katholischer Priester aus Haren im Emsland wird zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und darüber hinaus zu einer Geldstrafe verurteilt. Der inzwischen pensionierte und in einem Kloster lebende Pfarrer soll sich acht Jahre lang in insgesamt 225 Fällen an 14 Meßdienern und Erstkommunikanten vergangen haben. Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

1998: Ein 67 Jahre alter Pfarrer aus dem oberschwäbischen Bergatreute wird wegen sexuellen Mißbrauchs zu neun Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt und muß zudem eine Geldstrafe in Höhe von 5000 Mark zahlen. Er hatte im Religionsunterricht an einer Schule mehrfach zehn bis zwölf Jahre alte Mädchen belästigt. 1999: Ein 39 Jahre alter Pfarrer aus dem schwäbischen Ort Wald wird zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Ihm halten die Ermittler sexuellen Mißbrauch in 59 Fällen vor. Opfer waren zwei Jungen und ein Mädchen im Alter zwischen elf und 14 Jahren. 2000: Ein katholischer Pfarrer aus dem Landkreis Coburg in Bayern wird wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Der 60 Jahre alte Mann soll sich an drei Jungen im Alter von neun und elf Jahren vergangen haben. Ein Vater hatte ihn während des Weihnachtsgottesdienst in der Kirche des Mißbrauchs seines Sohnes bezichtigt. 2000: Ein 45 Jahre alter Priester aus Südbaden wird wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Der Pater, der einer konservativen Bruderschaft angehörte, hatte sich an zwei Jungen im Alter von sechs und acht Jahren sexuell vergangen und einen von ihnen zum Oralverkehr gezwungen. April 2002: Ein 40jähriger Pfarrer aus dem bayerischen Ort Sandberg erstattet bei der Polizei Selbstanzeige, daß er einen Jungen sexuell mißbraucht hat. Die Diözese Würzburg entbindet daraufhin den Mann mit sofortiger Wirkung von seinen priesterlichen Pflichten und informiert die römischen Behörden der katholischen Kirche – es ist das erste Mal, daß ein solcher Rapport an den Vatikan öffentlich bekannt wird ersichtlich deswegen, weil der Mann zur Polizei gegangen war. Sonst erfolgen bei solchen Selbstanzeigen nur Versetzungen. Juli 2002: Das Bistum Mainz beurlaubt einen Priester aus Rüsselsheim im südhessischen Kreis Groß-Gerau. Er steht im Verdacht des sexuellen Mißbrauchs eines Jugendlichen. Der Priester soll sein Unwesen über Jahre hinweg unbemerkt getrieben haben. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und Mainzer Bischof Kardinal Karl Lehmann kündigte in diesem Zusammenhang schließlich an, den Vorwürfen rasch und intensiv nachgehen zu wollen.

Polizei-Razzia im weltberühmten Kloster Eklat im deutschen Kloster Maria Laach. Ein deutscher Benediktiner-Pater aus dem Kloster Maria Laach wurde kurz vor Weihnachten beim Stehlen von Porno-DVDs in einem Würzburger Sex-Shop erwischt. Dies berichtet die „Abendzeitung“. Der Pater verübte den Diebstahl von Schwulen-Pornos in dezenter Straßenkleidung und wurde nach einer Verfolgungsjagd durch die Innenstadt von der Polizei festgenommen. Bei einer anschließenden Razzia im Kloster Maria Laach wurden 230 einschlägige Filme beschlagnahmt, darunter auch 40 DVDs, die dem Würzburger Sex-Shop-Besitzer schon vorher gestohlen worden waren. Eine Stellungnahme des Klosters gab es nicht.

Domküster dealt mit Heroin aus Kirchen-Safe Der Domküster von Halberstadt (Sachsen-Anhalt) ist wegen des Verdachts auf illegalen Drogenhandel festgenommen worden. Der 47jährige solle sich in großem Stil als Rauschgiftdealer betätigt und den „Stoff“ im Dom St. Stephanus zwischengelagert haben, teilte die Polizei mit. Bei einer Durchsuchung der Kirche seien in einem Wandsafe im Heizungsraum 27 Gramm Heroin sichergestellt worden. Bei der Festnahme des Mannes in Magdeburg wurden zudem drei Kilogramm Marihuana gefunden, die er zuvor einem niederländischen Lastwagenfahrer abgekauft haben soll. Gegen den Mitarbeiter des Evangelischen Kirchspiels wurde Haftbefehl wegen illegalen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen erlassen. Die Evangelische Kirche zeigte sich bestürzt und suspendierte den seit 18 Jahren beschäftigten Domküster mit sofortiger Wirkung vom Dienst.

Priester wollte 1/2 Mio € mit Kokaindeal verdienen Ein italienisches Gericht hat einen Priester wegen Kokainbesitzes zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Der 44jährige Stefano Ciacca habe die Drogen im Schätzwert von einer halben Million Euro verkaufen wollen, meldete die Nachrichtenagentur Ansa. Ein Spürhund habe in einem an den Decknamen „Don Ziliotti“ in Perugia adressierten Paket aus Südamerika die Droge erschnüffelt und die Ermittler so auf Ciaccas Spur gebracht. Der Geistliche wolle nichts vom Inhalt des Päckchens gewußt haben. Bei einer

95

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

Hausdurchsuchung entdeckte die Polizei Ansa zufolge aber eine kleine Waage, Substanzen zum Strecken des Kokains und Marihuana. Zusammen mit Ciacca wurde auch ein Komplize verurteilt. Ansa zufolge waren die beiden Männer im vergangenen Jahr nach Kolumbien gereist und hatten dort Ciaccas Ersparnisse in Kokain investiert, das sie dann per Post nach Italilen schickten.

Nonne stirbt qualvollen Tod am Kreuz Eine junge Nonne ist in Rumänien auf brutale Weise getötet worden, weil sie angeblich vom Teufel besessen war. Ein Priester und vier Mitschwestern hatten die 23jährige tagelang an ein Kreuz gefesselt. Der Abt des Klosters nannte die Kreuzigung „genau das Richtige“. Von Gläubigen gerufene Sanitäter fanden die junge Frau im Kloster zur heiligen Dreifaltigkeit in Tanacu tot an ein Kreuz gefesselt, teilte die Polizei in der Provinzstadt Vaslui mit. Die Schwester habe seit drei Tagen geknebelt am Kreuz gehangen. Zuvor sei das Opfer mehrere Tage an Händen und Füßen gefesselt ohne Wasser und Nahrung in einem Anbau des Klosters gefangen gehalten worden. Der Priester und die vier Nonnen erklärten nach Polizeiangaben, die junge Frau sei vom Teufel besessen gewesen. Nach Aussage der Polizei lebte die Nonne erst seit drei Monaten in dem Kloster im Nordosten Rumäniens. Nach einem Besuch bei einer Freundin habe der Priester, der sie jetzt exorzierte, ihr geraten zu bleiben. „Sie war krank und besessen. Wir haben mehrere Messen gelesen, um den Bann zu lösen. Deshalb haben wir vom religiösen Standpunkt her genau das Richtige getan“, sagte der Abt des Klosters von Tacanu, Bruder Daniel, der Nachrichtenagentur Mediafax. Der orthodoxe Patriarch in Bukarest, Bogdan Teleanu, sagte der Nachrichtenagentur AFP, er könne den Fall nicht beurteilen, weil er nicht wisse, „was die junge Frau getan“ habe.

Priester vergiftet 64 Gläubige In der Republik Kongo starben 64 Bewohner eines Urwalddorfes, nachdem sie einen „Zaubertrank“ eingenommen hatten, den der katholische Dorfpfarrer zusammengemischt hatte. Das Getränk war Teil einer „Reinigungszeremonie“, bei der die Gläubigen von ihren Plagen und Sünden „erlöst“ werden sollten. Der Priester ist auf

96

Seite 96

der Flucht. Insgesamt hatten 100 Personen an der Zeremonie teilgenommen und von dem Trank gekostet. Auch andere Priester aus der Gegend hatten in letzter Zeit derartige Zeremonien angeboten und durchgeführt – allerdings mit weniger dramatischem Ausgang.

Gegen das Vergessen:

Schlacht am Kahlenberg bei Wien Vor 325 Jahren, am 12. 9. 1683 n. übl. Ztr., wurde die türkisch-osmanische Belagerungsarmee unter Großwesir Kara Mustafa von einem Entsatzheer vernichtend geschlagen. Als höchstrangigem der am Feldzug teilnehmenden Fürsten lag der nominelle Oberbefehl beim polnischen König Johann Sobieski. Tatsächlich wurden die Operationen von einem Kriegsrat geleitet, dessen herausragender Kopf ein deutscher Reichsfürst, Herzog Karl von Lothringen, war. Dem Entsatzheer gehörten 11.000 Bayern, 10.000 Sachsen, 8000 Männer des schwäbischen und fränkischen Reichskreises, 21.000 Mann aus den verschiedenen Ländern des Kaisers und 20.000 Polen, insgesamt 70.000 Mann an. Zahlreiche Niederländer schlossen sich dem Ersatzheer als Freiwillige an. Die Türkengefahr war zumindest vorläufig vom Reich abgewendet. Dennoch blieb es bei zahllosen „Buß- und Bettagen“, mit denen überall in deutschen Landen dazu beigetragen werden sollte, die „Türkengefahr“ auch künftig abzuwenden.

Bucbesprecungen Buchbesprechungen Deutscher Jahrweiser – Geschichte. Heimat- und Volkstum 2009 Germanische Welt 2009 Anmut und Schönheit 2009 jeweils Kalender mit 12 meist farbigen Abbildungen. Orion-Heimreiter-Verlag, Kiel, je 11,20 € Für volks- und artbewußte Menschen sind die Kalender eine Freude. Der Kalender Germanische Welt zeigt Abbildungen von Gemälden mit Motiven aus der Vorzeit, Wikingerzeit, auch einige Fotografien. Darunter auch Motive, die ganz neu sind, beispielsweise ein Gemälde von Eberhart Reimann, der das Heiligtum in Goseck mit dem Sonnenaufgang zur Wintersonnenwende darstellt. Im deutschen Jahrweiser finden wir Gemälde aus Geschichte und Gegenwart, darunter ein eindrucksvolles Nibelungen-Aquarell von Prof. Petersen, aber auch beispielsweise eine Farbfotografie von Königsberg. In Anmut und Schönheit sind Bilder aus dem Anfang der Freikörperkultur, Naturaufnahmen, teils farbig. Sie gehören in die Reformbewegung, die mit dem Wandervogel vor über 100 Jahren begann und die den Menschen zurück zur Natur und zur eigenen Art, dem eigenen Volk und der eigenen Heimat führen sollte. Alle Kalender sind ein Schmuck für das deutsche Haus. J. R.

Nacricten Freiwillige Kreuzigungen In San Pedro Cutud (Philippinen) haben sich auch in diesem Jahr mehrere Männer zu Ostern ans Kreuz nageln lassen. Das blutige Schauspiel zieht jedes Jahr Tausende Touristen an. Wie der Dorfchef sagte, erwarte er auch künftig weitere Freiwillige, die sich mit zehn Zentimeter langen Nägeln kreuzigen lassen wollen.

Hakenkreuz-Ohrringe im Supermarkt Leser-Reporter Michael Schilling (21) entdeckte beim Einkauf in einer Filiale der Handelskette „Globus“ in St. Wendel (Saarland) Hakenkreuz-

Ohrringe. Und war erstaunt: „Ich hoffe, es handelt sich um einen blöden Zufall und die Hersteller-Firma hat das nicht beabsichtigt.“ Hannelore Ponterlitschek von der Import-Firma „Ponti“ war bestürzt. „Die Ohrringe haben wir in China eingekauft. Wir haben überhaupt nicht das Hakenkreuz dort hinein interpretiert. Wir sind von einem griechischen Mäandermuster ausgegangen. Und als diese Mäander entwickelt wurden, gab es noch keinen Nationalsozialismus.“ Die Handelskette Globus nahm diese Ohrringe für 5,95 Euro aus dem Sortiment. Nordische Zeitung 4, 76. Jg. / 3808 n. St.

umbruch_4_08:umbruch_4_08

13.11.2008

0:42 Uhr

Zentralrat der Juden erhält 5 Millionen

Seite 97

nuierliche und partnerschaftliche Zusammenarbeit der Vertragsparteien bewährt“, so die Bundesregierung. Vor dem Hintergrund wachsender Aufgaben und neuer Anforderungen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland hätten sich die Vertragsparteien auf eine Erhöhung der Staatsleistung verständigt.

Der Innenausschuß hat in seiner Sitzung am Mittwochvormittag der Erhöhung der Staatsleistung für den Zentralrat der Juden auf 5 Millionen Euro jährlich zugestimmt. Alle Fraktionen billigten den Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag vom 3. März 2008 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland (16/10296). Damit wird die bestehende Regelung vom 27. Januar 2003 geändert. Mit dieser Vereinbarung seien die Beziehungen zum Zentralrat der Juden in Deutschland auf eine vertragliche Grundlage gestellt worden, heißt es im Gesetzentwurf. „Der Vertrag hat sich seither als tragfähige Unfaßbar: Werbeanzeige der Polizei Niedersachsen in der Braunschweiger Zeitung vom 1.11.08 Grundlage für eine konti-

Die Sonne geht nict wirklic unter, e+ iy die Erde, die ihre Bahn fortsetzt. Wie die Sonne sceint die Seele de+ geliebten Menxen in einer anderen Welt weiter. Wir nehmen Abxied von unserer geliebten Gefährtin

Hildegard Scerer Å 1. Hornung 3722 n. St. ˇ 22. Gilbhart 3808 n. St.

H

andle so, daß Du überzeugt sein kanny, mit Deinem Handeln auc Dein Beye+ und Äußerye+ dazu getan zu haben, die Menxenart, au+ der Du hervorgegangen biy, beyand+- und entwiqlung+fähig zu halten. Erwin Guido Kolbenhe¥er

Gemeingermanischer ergänzter Futhark:

ABCDEFGH I JKLMNOPQRSTUVWXYZ

ÄÖÜ

A B C D E F G H I

Ä Ö Ü

J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z

Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. ist die größte heidnische Gemeinschaft Deutschlands (dazu noch Mitglieder in anderen germanischen Völkern) mit tiefreichenden Wurzeln. Sie wurde 1951 gegründet und vereinigte sich 1965 mit der Nordischen Glaubensgemeinschaft e.V., die 1928 gegründet worden war und sich 1954 in Nordisch-religiöse Gemeinschaft umbenannt hatte. Mit den bereits 1924 gegründeten Nordungen fand 1983 die Vereinigung statt. In der Artgemeinschaft wird ferner das Gedankengut der 1913 von Ludwig Fahrenkrog gegründeten Germanischen Glaubens-Gemeinschaft (GGG) fortgeführt und weiterentwickelt, nachdem diese 1957 ihre Tätigkeit eingestellt hatte, im Vereinsregister gelöscht wurde, und die Reste ihrer aktiven Mitglieder zur Artgemeinschaft bzw. Nordisch-religiösen Gemeinschaft gekommen waren. Wir können auf eine jahrzehntelange Erfahrung bei der Neugestaltung eines uns gemäßen Glaubens verweisen, da wir die älteste germanisch-heidnische Glaubensgemeinschaft mit durchgängigem Wirken sind. Bei uns finden Sie nicht nur ein reges Gemeinschaftsleben auf den regelmäßig wiederkehrenden Gemeinschaftstagen, sondern über die „Nordische Zeitung“, zwei Schriftenreihen, eine Buchreihe sowie Einzelschriften auch eine geistige Auseinandersetzung mit dem Christentum, Darstellung alter Bräuche und die Durchformung eines arteigenen Glaubens. Wegen der großen Nachfrage sind von zahlreichen Veröffentlichungen, die wir herausgebracht haben, viele bereits vergriffen. Nur wenn Sie laufend mit uns Verbindung pflegen, können Sie mithin sicher sein, auch alle neuen Veröffentlichungen von uns zu bekommen. Sie haben neben Abrufen unserer Darstellung aus dem Internet (www.asatru.de) drei Möglichkeiten, mit uns in Verbindung zu bleiben, wozu Sie bitte einen Vordruck von unserer Heimatseite abrufen oder bei unserer Postfachanschrift anfordern. 䡵 Die am wenigsten verpflichtende ist, daß Sie die NORDISCHE ZEITUNG für 18,– € einschließlich Versand jährlich bestellen. 䡵 Wenn Sie auch zu Tagungen eingeladen und über die gemeinschaftsinneren Angelegenheiten im Bild sein wollen, aber nicht aus einer Bekenntnis- oder anderen Religionsgemeinschaft austreten oder sich noch nicht neu binden möchten, können Sie

FÖRDERER werden. Als Förderer bezahlen Sie einen Beitrag nach Selbsteinschätzung, mindestens aber 55,– € im Jahr, worin der kostenlose Bezug der Nordischen Zeitung, unseres Gefährtschaftsbriefes und unserer Flugblätter, ferner der Neuerscheinungen der „Schriftenreihe der Artgemeinschaft“ enthalten ist. 䡵 Wenn Sie keiner Bekenntnis- oder Religionsgemeinschaft angehören und sich neu binden wollen, das „Artbekenntnis“ und das „Sittengesetz unserer Art“ voll bejahen sowie überwiegend nordisch-fälische Menschenart verkörpern, können Sie Antrag auf Aufnahme als MITGLIED in die Artgemeinschaft stellen. Sie zahlen einen Monatsbeitrag (nach Selbsteinschätzung) in Höhe von mindestens 1 % des Nettoeinkommens. Mindestbeitrag ist ein Betrag von 5,– € je Monat. Im Mitgliedsbeitrag eingeschlossen ist die kostenlose Lieferung der Nordischen Zeitung und des Gefährtschaftsbriefes, unserer Mitteilungen und Flugblätter, von Neuerscheinungen der „Schriftenreihe der Artgemeinschaft“ und der Reihe „Werden und Wesen der Artreligion“. Die Mitglieder der Artgemeinschaft sind gleichzeitig Mitglied im Familienwerk, das einen Familienlastenausgleich erstrebt, Beitrag: gestaffelt (von € 0,– bei drei Kindern bis € 95,– bei kinderlos jährlich, Ermäßigung möglich). Ferner haben Mitglieder einen Arbeitsdienst von 31/2 Tagen im Jahr in einem unserer Gemeinschaftsheime zu leisten, bei Nichterfüllung für jeden nicht geleisteten Tag 50 € zu zahlen. Mit Eingang Ihres Antrages auf Aufnahme werden Sie zunächst im Regelfall ein Jahr als Anwärter bis zur endgültigen Entscheidung über Ihre Mitgliedschaft geführt und haben in dieser Zeit bereits die Beiträge zu zahlen, erhalten andererseits die für Mitglieder bestimmten Leistungen mit Ausnahme der Mitteilungen. Die Entscheidung über Ihre Aufnahme fällt im Regelfall erst, nachdem Sie einen unserer Gemeinschaftstage besucht haben, und sowohl Sie als auch wir feststellen konnten, ob wir zueinander gehören. Wenn Sie aufgenommen wurden, haben Sie eine einmalige Aufnahmegebühr in Höhe von 30,– € zu zahlen, wofür Sie die Mitgliedsnadel, nach unserer Wahl einige noch lieferbare Schriften aus unseren Schriftenreihen und einen früheren Jahrgang der Nordischen Zeitung erhalten.

Nordische Zeitung im Internet: www.nordzeit.de · www.asatru.de · www.artgemeinschaft.org · E-Post: [email protected]

Related Documents