Neulich auf Gleis 6 Gerade las ich in der Fachzeitschrift der Tourismus-Wirtschaft die Ueberschrift „Fruehlingsoffensive der Deutschen Bahn“, die mir auch jetzt noch (am sonntaeglichen Fruehstueckstisch) beim Gedanken an den letzten Donnerstag in Frankfurt, „Adrenalinschuebe“ der besonderen Art versetzt… Der 28 Grad heiße und mit vier positiven Terminen erfuellte Tag, sollte um 15:58 Uhr auf Gleis 6 in Richtung Hamburg eine unverhoffte Kroenung erhalten. Ich betrat die Wartehalle in froehlicher Erwartung den „frueheren Zug“ erreicht zu haben. Ein Blick auf den Wagenstandanzeiger signalisierte mir, dass mein Wagen 1 außerhalb der ueberdachten Halle parken wuerde. Heute ganz klar ein Vorteil, denn die Hitze staute sich merklich… Eine Durchsage machte darauf aufmerksam, dass der Zug aufgrund einer „Betriebsstoerung“ eine Verspaetung von 5 Minuten haben wuerde. Dem aufmerksamen Zuhoerer der anderen Gleisdurchsagen blieb uebrigens nicht verborgen, dass die Bahn an diesem Tag (wie wohl auch an vielen anderen) mit einer unglaublich hohen Anzahl an nicht selbstverschuldeten Problemen zu kaempfen hatte. Gleis 5 hatte bereits 15 Minuten Verspaetung (aufgrund von „Signalstoerungen“) und Gleis 8 bereits 20 Minuten (hier jedoch aufgrund von Gleisarbeiten im Großraum Frankfurt). Haetten meine Ohren bis Gleis 1 gereicht, waere ich wohl auch noch in den Genuss des obligatorischen „Personenschadens“ gekommen… Nun gut, es nahte die große Show! Durchsage: „Achtung an Gleis 6, es faehrt nun ein der ICE XY aus Stuttgart zur Weiterfahrt nach Hamburg Altona. Die Wagen der ersten Klasse befinden sich etc.etc…“ nach 2 Minuten – kein ICE XY weit und breit nach 3 Minuten – kein Zug nach Hamburg-Altona weit und breit nach 4 Minuten – keine erste (und auch keine zweite) Klasse weit und breit nach 6 Minuten – eine denkwuerdige Durchsage! Bevor ich diese nun widergebe, moechte ich darauf hinweisen, dass sich um 15:58 wochentags auf der „Rennstrecke“ nach Hamburg, geschaetzte 150 Menschen zum Einstieg tummeln… Also, parallel zu einem in der Ferne einfahrenden Zug an unserem Gleis nun die Durchsage: „Aeh, Oh, verehrte Fahrgaeste, Achtung, der einfahrende Zug an Gleis 6 ist der ICE YX nach Innsbruck, es erhaelt Einfahrt der ICE YX nach Innsbruck, der ICE XY nach Hamburg-Altona steht bereits auf Gleis 9 bereit zur Abfahrt. Eine wichtige Gleisaenderung, der ICE XY nach HamburgAltona faehrt jetzt auf Gleis 9!“ Ich brauche die sparsamen, erschrockenen, erbosten, belustigten und besorgten, sich suchenden Blicke der Reisenden wohl nicht naeher zu erlaeutern…Ein Festival der Emotionen, ausgeloest durch eine Ansage der Deutschen Bahn – fast schon ein Klassiker! Mein anfaenglicher Vorteil der „Außenplatzierung“ bei 28 Grad Celsius schlug augenblicklich in einen gravierenden Nachteil um. Wenn der Zug dort bereits zur Abfahrt stand, hatte ich nur eine geringe Chance ihn zu bekommen, sofern die Bahn meine groebste Befuerchtung wahr machen wuerde. Wer mich jedoch kennt weiß, dass ich es nicht nur aufgrund meiner Abstammung wie Fernando Alonso halte. Der sagte juengst in einem Interview: „Ich kann nicht einmal in der Stadt zu Fuß hinter jemandem herlaufen, ich muss ihn ueberholen!“ Gesagt, getan. Ein Zwischensprint auf der gefaehrlichen Seite zwischen einfahrenden ICE aus Innsbruck und aengstlichen „Sicherheitsabstand-Haltern“ zum Bahnsteig eroeffnete mir einen ungeahnten Wettbewerbsvorteil. Ich nutzte die Luecke. Das Ziel (der Fußgaengertunnel zu anderen Bahnsteigen auf mittlerer Distanz des Bahnsteiges) war jedoch schon durch diverse naeher platzierte Fahrgaeste zum Nadeloehr geworden – ueberholen unmoeglich. Ich gehoerte jedoch (dank meines Zwischenspurts) zum „ersten Schub“ und verhielt mich taktisch klug. Ich setzte den angehobenen Trolley zu leichten Druckattacken gegen meine vorderen Gaeste ein, wobei ich nach hinten vorwurfsvolle Blicke verteilte. Ich machte gluecklicherweise auch hier im Tunnel noch 8-9 Plaetze gut!
Der Tunnel spuckte uns vorm Restaurant-Wagen des richtigen ICE`s aus. Ich wollte den grausamen Hindernislauf durch ueberfuellte Wagons vermeiden und setzte zum Schlussspurt Richtung Wagen 1 an, als sich meine schlimmsten Befuerchtungen bewahrheiteten – ich vernahm das allseits bekannte Piepsen der sich schließenden ICE-Tueren!!! Ein Sprung – drin! Insgesamt drei weitere „Piepsen“ deuteten daraufhin, dass die ganze Masse nach mir nun natuerlich versuchte, in den Zug zu gelangen. Vergeblich... Ich musste in diesem Augenblick an ein aelteres Paerchen denken, dass nach Luft hechelnd mit mir losrannte, jedoch ob ihres Alters und ihrer koerperlichen Verfassung bereits beim Start keine Chance hatte, das Ziel zu erreichen. Mir taten diese beiden Leutchen sehr leid (und natuerlich auch die vielen anderen, die im guten Glauben, dass die Bahn warten wuerde, keinen „fliegenden Start“ bevorzugten). Innerlich fragte ich die Bahn auf der Fahrt mehrfach: „Geht`s noch Jungs?“ Ich hatte auch ueberlegt, dem Schaffner die aufgestaute Enttaeuschung entgegen zu schnauben, aber 1.) konnte der sicherlich nichts dafuer und 2.) haetten die anderen 5 Mitfahrer im Abteil ohne dazugehoerige Einweisung gedacht, dass ich gerade auf dem Weg zurueck ins Heim bin, weil ich meine Pillen vergessen habe… Also blieb mir einzig die Hoffnung, dass die angekuendigte Fruehlingsoffensive der Bahn auch den Bereich Dienstleistung einschließt, denn diese Kolumne haette man bei fairer Behandlung der Reisenden auf Gleis 6 nicht schreiben muessen. UEbrigens: Die Anschlusszuege wurden alle erreicht…