Mathilde Und Ihre Rolle

  • November 2019
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  • Words: 3,650
  • Pages: 9
Gabriela Rutecka, Przemysław Dorszewski

Mathilde und ihre Rolle bei der Wiederentdeckung des römischen Rechts – Initialzündung oder Legende?

1. Einleitung Der Investiturstreit änderte die Verhältnisse in Europa. Die bisherige Ordnung erfühlte ihre Aufgaben nicht mehr. Das bewegte die Zeitgenossen zur Besinnung. „[...]die Zeit war reif, nach einer neuen Rechtsordnung zu suchen.“1 Im 11. Jahrhundert entwickelten sich auf dem italienischen Boden die Rechtswissenschaften. Manche nennen diese Zeit die „Renaissance des Römischen Rechts“2 Der Begriff ist fest mit der Neuentdeckung des römischen Rechts verbunden. Unter dem Begriff verstand man vor allem das Gesetzbuch Corpus iuris civilis. Anhand des geltenden Gewohnheitsrechts (consuetudo) ließen sich nicht alle Streitfragen behandeln. In den Gerichten empfand man die Notwendigkeit, sich eines wissenschaftlich bearbeiteten Gesetzbuches zu bedienen. Als Vorläufer auf diesem Gebiet erwiesen sich die Richter in Italien, vor allem aus Romagna, Toscana und der Lombardei. Causidici waren es diejenigen, die „frische Luft in die alten Rechtsverhältnisse“ mitbrachten. Sie widmeten sich dem Studium des römischen Rechts schon am Anfang des 11. Jahrhunderts. Ihre Kenntnisse erlangten sie und nutzten nur in der Praxis des Alltags. In unserer Arbeit beschäftigten wir uns mit dem Thema des wissenschaftlichen Anfangs des Rechtsstudiums im Mittelalter. Mit Hilfe der Quellen und der sekundären Literatur versuchen wir, die Frage nach der Rolle der Markgräfin Mathilde von Canossa in der Wiederentdeckung des römischen Rechts zu beantworten. Den Stoß zur Erörterung dieses 1

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Fried, J., Die Entsehung des Juristenstandes im 12. Jahrhundert., Zur sozialen Stellung und politischen Bedeutung gelehrter Juristen in Bologna und Modena, Köln 1974, S. 1. Schramm, P.,E., Kaiser, Rom und Renovatio, Studien zur Geschichte des Römischen Erneuerungsgedankens vom Ende des karolingischen Reiches bis zum Investiturstreit, Darmstadt - Leipzig 1929, S. 275; Lange, H., Die Anfänge der modernen Rechtswissenschaft. Bologna und das frühe Mittelalter, Stuttgart 1993, S. 12.

Themas gab die Stelle aus der Chronik Burchards von Ursber. Als andere Quellen dienen auch die Werke Odofreds „Mater studiorum“ und Rudolphus Niger. Vom großen Nutzten erwiesen sich auch die Arbeiten von Johannes Fried über Juristen im Mittelalter; wie auch Werke, die den Anfang des Rechtsstudiums behandeln.

2. Mathildes Rolle bei der Wiederentdeckung des römischen Rechts Die mittelalterlichen Juristen begeisterten sich für das vom Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert zusammengestellte Gesetzbuch. Der Kaiser hatte alle von seinen Vorgängern verfasste Gesetze zusammenstellen lassen. Auf dieser Weise entstand der berühmte Codex Iustinianus, der später ein Teil vom Corpus iuris civilis wurde. Neben dem Codex zählen zu dem noch die Digesten, Institutionen und Novellen3. Die Digesten waren eine Zusammenstellung von Auszügen aus Juristenschriften aus dem 1. und 2. Jahrhundert.4 Der Codex Iustinianus war eine Sammlung kaiserlicher Konstitutionen aus der Zeit vom Kaiser Hadrian (117-138) bis zum Jahr 534. Die Institutionen (Unterweisungen) waren ein Lehrbuch des Rechts für Anfänger. Novellen waren die Einzelgesetze, die Kaiser Iustinian schon nach der Kodifikation erlassen hatte. In Rom befand sich auch eine der ersten Rechtsschulen. Seit dem 7. Jahrhundert lässt sich ein Verfall des römischen Rechts feststellen. Nachdem die Byzantiner die Herrschaft in Italien verloren hatten, kam eine Zeit sinkender Rechtskultur. Es wurde wenig Verständnis für das römische Recht gezeigt. Man vermied fast ganz die Verwendung dessen. Die Digesten gerieten völlig in Vergessenheit. Nirgendwo finden sich Zeugnisse für den Untergang der Rechtsschule in Rom, daraus kann man schließen, dass sie weiter bestand. Die große Wende in dem Gebrauch des römischen Rechts kam mit dem 11. Jahrhundert. Sie stand im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen dem Kaiserund Papsttum. Die Juristen verwendeten Codex Iustinianus als Quelle, um Argumente zur Begründung der beiderseitigen Standpunkte zu gewinnen.5 Um sich mit dem Studium des alten Rechts zu beschäftigen, entstanden Rechtsschulen, die an die alte Schule in Rom verknüpften. Die Bedeutung der Schule in Rom für dei Rechtswissenschaften am Anfang des 11. Jahrhunderts blieb unbestritten. Erst mit der Amtszeit des Papstes Gregor VII. wurden die gesellschaftlichen Verhältnisse in Rom sehr angespannt. Diese Situation half der 3 4 5

Lange, H., Die Anfänge der modernen Rechtswissenschaft...., S. 16. Lexikon des Mittelalters, Bd. III, S. 272 Ebenda, S. 273. 2

Niederlassung der Rechtslehrer in der Stadt nicht bei. Mit der Zerstörung Roms durch die Normanen wechselten die Rechtsgelehrten nach Ravenna. 6 Ravenna war in dieser Zeit für einen Kreis von Rechtsgelehrten bekannt. Sie beschäftigten sich nicht nur mit der Rechtspflege, sondern unterrichteten auch Elemente des römischen Rechts. „Die Unterweisung im Recht erfolgte durch die Praxis oder im allgemeinem Schulunterricht im Zusammenhang mit den Fächern des Triviums“7. Zugleich waren die Rechtskundigen als Richter und Sachwalter praktisch tätig. Mit dem Jahr 1080 fing die Entwicklung der königstreuen Publizistik an. Die Wahl Erzbischofs Wibert von Ravenna zum Gegenpapst verschob den Schwerpunkt im Kampf zwischen Papst und Kaiser nach Ravenna. Unter den Ravennanten Juristen finden sich auch Personen, die die Legitimation Kaisers Herrschaft mit dem Belegen aus dem Codex Iustiniani begründeten ( zum Beispiel Petrus Crassus Defensio Heinrici IV. regis8) Für die Wiederbelegung des römischen Rechts ist die Unterscheidung zwischen causidici und iudices bedeutend. Im 11. Jahrhundert waren iudices diejenigen, die für bestimmte Gerichtsfälle als Richter ernannt wurden oder den Titel lebenslang innehatten aber nur von Fall zu Fall praktizierten. „Auf dem Feld der Gerichtsbarkeit standen sich iudices verschiedener Art gegenüber. Eigene iudices wirkten in der Autonomie beanspruchenden Kommunen, iudices umgaben aber auch die Vertreter kaiserlicher Gerichtsbarkeit in Italien, die Grafen, Markgrafen und Bischöfe. In deren Namen saßen sie als Schöffen, Urteiler und Beisitzer zu Gericht. Solche iudices gehörten zu den vertrauten Ratgebern dieser adligen Herren, waren selbst adliger Herkunft und besaßen zusätzlich Rechtskenntnisse.9 Seit Mitte des 11. Jahrhunderts erschien neben der Gruppe der iudices die causidici. „[...]cauisidici waren ursprünglich die Advokaten der rechtssuchenden Parteien, die vor dem erkennenden Gericht als Gesetzeskenner auftraten und auch bei der Urteilsfindung beteiligt waren.“10 „Dankt ihrer Bildung im römischen Recht drängten die causidici in Stellungen, die bislang nur von dem am Gewohnheitsrecht geschulten, aber ungelehrten iudices eingenommen werden.“11 Wahrscheinlich waren die causidici, die das römische Recht immer stärker in die Gerichtspraxis einführten.

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Fitting, H., Die Anfänge der Rechtschule in Bologna, Berlin - Leipzig 1888 (ND 1978), S. 36-38. Jordan K., Der Kaisergedanke in Ravenna zur Zeit Heinrichs IV., Deutsches Archiv, 2 (1938), S.92. 8 Schmale-Otto I.(Hrsg.), Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters; 12b, Darmstadt 1984, S. 174-239. 9 Walther, H.G., Die Anfänge des Rechtsstudiums und die kommunale Welt Italiens im Hochmittelalter, in: Schulen und Studium im sozialen Wandel des Hohen und Späten Mittelalters, Hrsg. Fried, J., S.134. 10 Ebenda., S.135. 11 Ebenda., S.135. 7

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„[...] schon frühzeitig im 11. Jahrhundert begegnet man der auffallenden Erscheinung, dass Juristen aus der Romagna in tuszischen Gerichten zugezogen werden. Das ist gewiss aus ihrer genauerem Kenntnis des römischen Rechtes zu erklären.“12 Schon bei Markgrafen Thebald, dem Großvater der Mathilde gab es causidici, die ständig am Hofe beschäftigt waren, aber auch solche, die er aus verschiedenen Städten für gemeinsames Gericht holte. Auch „ Beatrix von Tuszien, die Mutter der Mathilde, sammelte bereits gelehrte Rechtskenner um sich, die vereinzelt sich der Argumente des römischen Rechts zu bedienen wussten. Ihre Tochter Mathilde tat es ihr nach.“13 Gerade die causidici brachten römische Rechtsquellen und ihre Anwendungstechnik in die tägliche Gerichtspraxis ein. Sie wurden die Träger der neuen Richtung in den Gerichten. So zeigte sich in dieser Zeit, dass das römische Recht immer größere Geltung gewann. „Entsprechend der immer weiter scheitenden Verschmelzung der Bevölkerung vollzog sich eine allmähliche Verschmelzung der in Italien geltenden Rechte.“14 Neben dem bis dahin geltenden langobardischen Recht gewann auch das römische größere Bedeutung. Deswegen kann man annehmen, dass die tuszischen Hofrichter sich genau so mit dem langobardischen, als auch mit dem römischen Recht auskannten. Als Beispiel dient diese Gerichtsverhandlung: „1098 entschied Markgräfin Mathilde, dass beim Placitum von Grafagnolo der Streit des Klosters S. Prospero von Reggio nach traditionellem langobardischen Brauch die Richter dem Zweikampf anordnen sollten, obwohl doch die causidici des Abtes noch einmal eine Beweisführung nach der lex serenissimi imperatoris Iustiniani aus Codex und Institutionen versuchten. [...] Mit ihrer Entscheidung für einen Zweikampf als Urteilsgrundlage entsprach Mathilde aber nun durchaus den Überzeugungen und den Lehren der lombardischen Juristen, auch wenn diese selbst Hilfsweise das römische Recht zur Auslegung heranzogen.“ 15 Die causidici waren geeignet, Einfluss auf das Rechtsleben durch wissenschaftliche Bestrebung auszuüben. Sie bemühten sich in Interesse ihrer Partei nach neuen Gesichtspunkten

anhand

der

Rechtsquellen

zu

suchen.

Dabei

betonten

sie

die

Allgemeingültigkeit des römischen Rechts. Die causidici aus Ravenna fanden am Hofgericht in Tuszien wegen ihrer Rechtskenntnisse und Gewandheit in der Behandlung von Rechtsfragen Beschäftigung. Später traten die Gelehrten aus Bologna in den Vordergrund. 12 13

14 15

Fitting, H., Die Anfänge der Rechtschule..., S. 98. Fried, J., ...„auf Bitte der Gräfin Mathilde“. Werner von Bologna und Irnerius, in: Europa an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert. Beiträge zu Ehren von Werner Goez, Hrsg. v. Klaus Herbers, Stuttgart 2001, S. 199; Vgl. Goez, E., Goez, W. (Hrsg.), Die Urkunden und Briefe der Markgräfin Mathilde von Tuszien, MGH Laienfürsten – und Dynastenurkunden der Kaiserzeit 2, Hannover 1998, S. 448; Goez, E., Beatrix von Canossa und Tuszien. Eine Untersuchung zur Geschichte des 11. Jahrhunderts, Sigmaringen 1995, S. 96-99. Fitting, H., Die Anfänge der Rechtschule..., S. 116. Ebenda, S. 134. 4

Nach dem Verfall der Schule von Ravenna kam Bologna zur Blühte16. Dort befanden sich Angewandte sowohl im römischen, als auch im langobardischen Recht. „Die hohe Bedeutung bologneser Rechtslehrer leuchtete erstmals außerhalb der Stadt auf. Die „großen Mächte“ des 11. Jahrhunderts, die Markgrafen von Tuszien, die Kaiser und Päpste, wussten die Erneuerung der Rechtswissenschaft zu schätzen“17 Am Hofgericht der tuszischen Markgräfin Mathilde waren bereits Richter gewesen, die in dem Umkreis der in Bologna entstehenden Schule des römischen Rechts gehörten ( die Diskussion um das römische Recht hatte unter den iudices des markgräflichen Gerichtes bereits im 11. Jahrhundert begonnen; 1076 wurde hier erstmals auf Grund eines Digestenzitates ein Prozess entschieden18). Zu den Richtern gehörten Pepo und Ubaldus de Carpineta, Irnerius und Lambertus. Pepo war Rechtslehrer in Bologna und im Gericht der Mathilde tätig. Ubaldus de Carpineta gehörte zu den ständigen Beratern der Mathilde. Sie erwiesen sich als erste Interpreten des neuen Rechtssystems. Sie unterhielten lebhafte Beziehungen zum markgräflichen Gericht. „Mathilde war es gelungen, mit ihrem Juristengremium ein geistiges Zentrum der Rechtserneuerung zu schaffen, das sich von Anfang an sowohl der Lehre wie der Praxis zuwandte“19 Wenn 1068 noch überwiegend Jursiten aus Ravenna im Gericht beteiligt sind, dann treten seit 1113 häufiger die Juristen aus Bologna auf (Gerichtsverhandlung zu Garfagnolo vom 5. Juli 1098 – Zwei Richter aus Bologna, zwei Gerichtssitzungen der Markgräfin vom 11. November 1103 und vom 28. Dezember 1104 – 2 Bologneser causidici, Gerichtssitzung der Markgräfin im Mai 1113 – Irnerius zum ersten Mal genant – mit ihm 4 Bologneser causidici). „ Das auffallende Verschwinden der Ravennaten aus den tuszischen Gerichten seit 1076 und ihr Ersatz durch Bologneser wird sich kaum anders erklären lassen als aus dem im Jahr 1075 erfolgten Regierungsantritt der Mathilde. Sie war begeisterte Anhängerin Gregors VII. und wollte mit den Juristen der Stadt, welche der Sitz und Mittelpunkt der diesem Papste feindlichen Bestrebungen war, keine Verbindung mehr haben. Indessen aus sachlichen Rücksichten auf die Heranziehung von Juristen aus der Romagna angewiesen, wandte sie sich jetzt den Juristen aus Bologna zu, wo Pepo ebenfalls ein gründlicherer Betrieb des römischen Rechtes begonnen hatte. Es musste ihr sonach alles daran liegen, dass dieses Studium und die eingehende Lehre des römischen Rechts in Bologna fortdauerte, damit dort immer die erforderliche Zahl Juristen gibt und damit ihre Untertanen nicht genötigt sind, sich zur Erlernung dieses Rechts nach dem „ketzerischen“ Ravenna zu begeben. Ihre Abneigung 16 17 18

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Wieacker, F., Vom römischen Recht, 2. Auflage , Stuttgart 1961, S.292-296. Fried, J., Die Entsehung des Juristenstandes..., S. 46. Vgl. Ficker, J., Forschungen zur Reichs – und Rechtsgeschichte Italiens, Bd. III, S.294; Fried, J., Die Entsehung des Juristenstandes..., S.46. Fried, J., Die Entsehung des Juristenstandes..., S. 73. 5

gegen diese Stadt und ihre Juristen musste sich natürlich noch beträchtlich steigern, seit aus der dortigen Rechtsschule eine überaus heftige Streitschrift gegen Gregor VII. hervorgegangen [Petrus Crassus Defensio Heinrici IV. regis] und überdies der Erzbischof von Ravenna zum Gegenpapst gewählt worden war. [...] Als vollends zufolge dieses Krieges die Rechtsschule zu Rom gänzlich eingegangen war, mussten sich die Begünstigung und Förderung einer Rechtsschule zu Bologna geltend machen.“20 Deswegen kann man gut verstehen, warum die Markgräfin nach einer Person gesucht hatte, die sich mit dem Studium des römischen Rechts beschäftigen könnte. Die entscheidende Rolle spielte hier die Person des causidicus Irnerius. Die meisten Forscher stützten sich auf die Historia Mediolanensis von Ludulfus, die als Geburtsort Irnerius Bologna angibt, wahrscheinlich wurde er 1055/60 geboren.21 Anders bei J. Fried „Das Leben dieses vielgerühmten Mannes bleibt ganz im Ungewissen: wann er geboren wurde, welcher Familie er entstammte, ob er Bolognese war oder aus der Fremde kommend dort Bürgerrecht erwarb, das alles bleibt dunkel.“ 22 Zum ersten Mal erschien sein Name in der Urkunde 1112.23 Sein richtiger Name läst sich schwer erforschen, weil er von seinen Zeitgenossen unterschiedlich benannt wurde. In den Urkunden wird er als Wernerius, Warenerius, nur einmal italienisiert als Gernerius bezeichnet. Im 12. Jahrhundert kommen dazu die Formen Guarnerius, Garnerius und später noch Irnerius, Yrnerius.24

Als causidicus hatte er eine Gelegenheit seine Rechtskenntnisse im Gericht zur

Geltung bringen. Dort tauschten die Rechtskundigen die Argumente aus, wodurch sie ihr Verständnis des Rechts entwickelten. Erst der Praxis folgte die Lehre. Die Behauptung in der Forschung, dass „zwischen der Markgräfin und der Wiedergeburt des römischen Rechts und damit der Entstehung der Universität Bologna explizit einen Zusammenhang“25 gab, stürzt sich auf einzige Quellenstelle in der Ursberger Chronik des Propstes Burchard. Dort forderte Mathilde Irnerius auf, sich eingehender mit den Quellen des römischen Rechts zu beschäftigen. Auf Bitten der Mathilde stellte Irnerius den authentischen Text der römischen Rechtsquellen her.

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Fitting, H., Die Anfänge der Rechtschule..., S.100-101. Grundmann, H., Vom Ursprung der Universität im Mittelalter, Berichte über die Verhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologische - historische Klasse, Bd. 103, H. 2, S. 40; Juristen. Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, Hrsg. v. Michael Stolleis, München 1995, S. 315-316; Fitting, H., Die Anfänge der Rechtschule..., S. 89. Fried, J., ...„auf Bitte der Gräfin Mathilde“..., S. 186. Grebner, G., Exkurs: Die urkundlichen Erwähnungen des Wernerius, in: Europa an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert. Beiträge zu Ehren von Werner Goez, Hrsg. v. Klaus Herbers, Stuttgart 2001, S. 202. Grebner, G., Exkurs..., S. 204; Fitting, H., Die Anfänge der Rechtschule..., S. 89; Fried, J., ...„auf Bitte der Gräfin Mathilde“..., S.173. Fried, J., ...„auf Bitte der Gräfin Mathilde“..., S. 172. 6

„[Zur Zeit Kaisers Lothar III.]...hat Herr Wernerius die Bücher der Leges, die lange Zeit unbeachtet waren und in denen niemand studierte, auf Bitten der Gräfin Mathilde erneuert und sie, wie sie einst von Kaiser Justinian göttlichen Andenkens kompiliert worden waren, mit nur wenigen Interlinearglossen ausgelegt. Diese Bücher enthielten die Iustitia

des

genannten Kaisers, gleichsam den Anfang und die Einführung des Zivilrechts. Die Edicta der Prätoren und kurulischen Ädlien, die dem Zivilrecht Vernünftigkeit und Festigkeit verliehen, nämlich die Diegesten. Hinzu kommt der Codex, der die Statuta der Kaiser verzeichnet. Das vierte Buch, das der genannte Justinian zur Vervollständigung und zur Korrektur der kaiserlichen Gesetzte hinzufügte, sind die Authentiken."26 In dem Text wird nur darüber gesprochen, dass Irnerius sich dem Rechtsstudium zuwenden sollte und nicht als Rechtslehrer angestellt wurde. Dazu hatte die Markgräfin kein Recht, da Bologna nicht zu ihrem Gebiet gehörte. Zu dieser Veranlassung bewegten sie eher ihre hohe Bildung und Sinn für die Wissenschaft, wie auch Gründe praktischer Art. Mathilde war eine bekannte Mäzenatin. Die Stelle bei Burchard kann auf Finanzierungszusage der Markgräfin für das Unternehmen Irnerius hinweisen.

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Ein anderes Problem bildet die zeitliche Angabe. Mathilde starb schon

1115, aber laut der Chronik forderte sie Irnerius in der Regierungszeit Lothars III., der erst 1125 zum König gewählt worden war. Wahrscheinlich wusste Burchard nicht, wann die Markgräfin genau gestorben ist. In seinem Werk befinden sich eigentlich keine Angaben zu der Markgräfin selbst, was die Behauptung begründen konnte, dass ihre Rolle bei der Wiederentdeckung des römischen Rechts sich nur auf die finanzielle Unterstützung begrenzt. Eine andere These ist, dass der Chronist Informationen hatte, die die Lehrtätigkeit Irnerius in Bologna in der Zeit Lothars III. bezeugten. Inerius brauchte auch Zeit, um sich in die iustinianische Gesetzgebung hinein zu arbeiten. Die Rechtskenntnisse gewann der Jurist durch Selbststudium. In der Zeit als Irnerius sich der Rechtslehre zuwand, war Pepo (der Rechtslehrer in Bologna) schon tot. Möglicherweise war das auch ein Grund, warum die Markgräfin Mathilde den Irnerius zum Rechtsstudium aufforderte. Der Beginn der Lehrtätigkeit könnte auch im Zusammenhang mit seiner Lösung vom Bann und Rückkehr aus dem Exil 1125 stehen (er war als Rechtsberater an der Erhebung des Gegenpapsts Gregor VIII. beteiligt, wofür er gebannt wurde28). Auch in anderen Quellen finden wir Irnerius als 26

27 28

Zitat nach Fried, J., ...„auf Bitte der Gräfin Mathilde“..., S. 171; „Eisdem quoque temporibus domnus Wernerius libros legum, qui dudum neglecti fuerant nec quisquam in eis studerat, ad petitionem Mathildae comitissae renovavit et secundum quod olim a divae recordationis imperatore Iustiniano compilati fuerant, paucis forte verbis alicubi interpostis, eos distinxit.“ MGH Scriptores Rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editii, Die Chronik des Propstes Burchard von Ursberg, Hrsg. v. Oswald Holder-Eger und Bernhard von Simson, S. 342. Fried, J., ...„auf Bitte der Gräfin Mathilde“..., S. 188-189. Grundmann, H., Vom Ursprung der Universität im Mittelalter..., S. 42. 7

Lehrer. Darauf wies z. B. Odofred – ein Legist in Bologna um der Mitte des 13. Jahrhundert. In seiner Geschichte der Bologneser Schule stellt er Irnerius als ersten Lehrer des römischen Rechts dar. „[...] der erste der in dieser Stadt zu lehren begann“, „der erste Illuminator unserer Wissenschaft“ lesen wir bei Odofred.29 Ein andere Jurist Radulphus Niger behauptete, dass der Irnerius nur für die Verbreitung der Rechtswissenschaft beigetragen hat und für die Erneuerung des römischen Rechts magister Peppo verantwortlich war. „Als man nun von dem Magister Peppo wie von der ersten Morgenröte die Frühe des Zivilrechts wiedergeboren wurde, und als dann die Rechtswissenschaft, die der Magister Warnerius verkündete, in religiösen Gewand an die römische Kurie gebracht wurde, da hat sie sich auch in anderen Regionen der Erde ausgebreitet...“30 Dagegen argumentierte der Odofred, indem er sagte, dass das der Peppo sich zwar früher als Irnerius mit den Rechtsbüchern beschäftigte, aber er tat das auctoritate sua also ohne autorisierte Lehrbefugnis. Irnerius dagegen „lehrte an dem ArtesStudium, was hieß: autorisiert.“31 Dem Odofred nach wurde Pepo in Bologna deswegen keine Leistung, keine Schrift, keine Glosse zugewiesen. Er bezeichnet ihn als den Mann „ohne Namen“. Er schreib dem Pepo keine Bedeutung zu und konzentrierte den ganzen Ruhm der Bologneser Schule auf die Person Irnerius. Der alteren Forschung des römischen Rechts nach nutzte der Rechtsgelehrte die Gunst der Zeit und sicherte sich den Platz in der Bologneser Rechtsschule. Das würde das rasche Aufblühen der Bologneser Schule32 und der Verfall der in Ravenna erklären und damit die Glaubhaftigkeit des Ursberger Berichts sichern. Aber wie Johannes Fried in seinem neuestem Aufsatz zu diesem Thema fortgeführt hatte, hatte „das Wunder „Bologna“ keinen alleinigen Heros. Es verdankte sich dem Wirken vieler, war eine Kollektivleistung, deren einzelne Urheber kaum mehr mit Namen zu nennen sind, und deren Wirkensort keineswegs bloß Bologna oder gar das „Studium“ hieß, vielmehr im Umfeld der zahlreichen Gerichte in der Lomabrdei, der Toscana und Romagna zu suchen ist. Die Tradition hob allein einen von ihnen heraus, Irnerius, den ersten, von dem sie namentlich gezeichnete Glossen in ihren Büchern zu finden meinte, versetzte ihn anachronistisch in ihr eigenes Milieu, die Universität, machte ihn zum Urvater von ihnen allen, zum Mythos und

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Zitat nach Fried, J., ...„auf Bitte der Gräfin Mathilde“..., S. 178. „Cum igitur a magistro Peppone velut aurora surgente iuris civilis renasceretur initium, et postmodum propagante magistro Warnerio iuris disciplinam religioso scemate traheretur ad curiam Romanam, et in aliquibus partibus terrarum expanderetur in multa veneratione et munditia, ceperunt leges esse in honore simul et desiderio...“, Zitat nach Fried, J., ...„auf Bitte der Gräfin Mathilde“..., S. 190. Fried, J., ...„auf Bitte der Gräfin Mathilde“..., S.192. Obwohl das genaue Datum der Entstehung der Universität Bologna nicht bekannt ist, wurde 1888 ihr 800. Geburtstag gefeiert, da sie keinen Stifter hatten, machten sie die Person Irnerius zum Urheber der Universität. In den Urkunden wird Irnerius als Berater, Ratgeber oder Zeuge angegeben, weder als Lehrer oder als Gelehrte. Heißt das, dass der Urheber der Bologneser Schule kein Professor war? 8

vergaß die Wirklichkeit der vielen anderen.“33

Da Irnerius` Name in den Quellen oft

vorkommt und er als einer der causidici bei Mathilde bekannt war, hat man sich seines Namen erinnert und mit der Erneuerung des römischen Rechts in Bologna verbunden.

3. Schlussfolgerung

Die Frage bleibt offen, ob petitio (Bitte, Aufforderung) der Mathilde nur die Wiederentdeckung des römischen Rechts verursacht hatte oder auch dem Ursprung der Bologneser Universität zu Grunde lag. Die Diskussion um die Frage, ob das Bologneser Studium durch markgräfliche Vermittlung entstand, hängt mit vielen Punkten zusammen. Laut Burchards Chronik forderte sie Irnerius zum Studium des römischen Rechts auf. Vielleicht hatte das nichts mit dem Anfang der Rechtswissenschaften zu tun, sondern sollte nur den Mezänaten nennen, der für die Finanzierung des Unternehmens zuständig war. Das ist eine Behauptung, welche Rolle die Markgräfin gespielt hatte. Wenn man das annimmt, dann bleibt die Teilnahme der Mathilde an der Entwicklung des Rechtsstudiums nur eine Legende. Andererseits könnte die Bitte an Irnerius die Initialzündung für die Entstehung der Rechtschule in Bologna bedeuten. Dann bleibt aber die Frage offen, in wieweit Irnerius‘ Wirken dazu beigetragen hat. Hat er nur den Auftrag der Markgräfin erfüllt und das römische Gesetzbuch zusammengestellt oder übte er noch in Bologna seine Lehrtätigkeit aus? In Burchards Chronik wird der causidicus nur als Auftragnehmer dargestellt, doch die zeitlichen Angaben stimmen nicht überein. In anderen Quellen wird er nur als erster autorisierter Lehrer in Bologna gezeigt. Hatte seine Lehrtätigkeit schon zu Lebzeit Mathilde angefangen oder erst nach 1125? Gewiss war Mathilde von Canossa an der Wiederbelebung des römischen Rechts beteiligt, aber wie ihre Rolle ausgesehen hat, lässt sich anhand heute zugänglicher Quellen schwer beantworten.

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Fried, J., ...„auf Bitte der Gräfin Mathilde“..., S. 198. 9

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