Kunstgewerbe Im Kaiserreich

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MA Modul 3/2 Strategisches Kulturmanagement. Strategische Kulturfinanzierung / Peter Vermeulen im Wintersemester 2008/2009 an der Hochschule Merseburg (FH) im Studiengang Angewandte Medien- und Kulturwissenschaften

Yvonne Chaddé Leipzig, 25. Februar 2009

KUNSTGEWERBE IN DER KAISERZEIT

EINLEITEND Im Folgenden werden die historischen Voraussetzungen für die Kunstgewerbebewegung erklärt. Das Kunstgewerbe wird somit als historischer Begriff konzipiert und ist mit seinen Ausläufern der Gründung von Schulen und Museen in der Kaiserzeit zu verorten. Es zeichnet sich durch die Gleichzeitigkeit von wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen im so genannten Kunstgewerbe aus und hatte eine Neubelebung des Handwerks in seiner Versöhnung mit dem technischen Fortschritt nicht nur im Sinn, auch zur Folge. Es handelte sich um eine Vereinbarung von Industrie und Kunst. Kunst war durch Technik begrenzt und „beide, Kunst und Technik, finden ihre Grenze in den Gesetzen der Marktwirtschaft.“ (Kallen 1987: 15). Im Anschluss wird die Rolle Krefelds in der Kunstgewerbebewegung vorgestellt mit einer abschließenden Bemerkung zur Bedeutung von Kunstgewerbemuseen heute. STAATLICHE VORAUSSETZUNGEN IM DEUTSCHEN KAISERREICH Mit der Errichtung des Deutschen Reiches 1971 verbanden sich strukturelle Veränderungen, die unter anderem die Vereinheitlichung der Verwaltung zum Ziel hatten (Zölle, Währung, Kommunikation) und versprachen durch die immense Erweiterung der Infrastruktur einen wirtschaftlichen Aufwind (und einen „Platz an der Sonne“1, wie das deutsche Streben nach Kolonialherrschaft umschrieben wurde). Maßgebliche Neuerungen waren das Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzes und des Handelsgesetzes im Jahr 1900.

1 http://de.wikisource.org/wiki/Deutschlands_Platz_an_der_Sonne (Stand: Februar 2009)

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1897 wurde die Reichsgewerbeordnung2 geändert und ebnete den Weg für die Selbstverwaltung des Handwerks in Form von freien Innungen und Zwangsinnungen (Handwerkskammern). Die Handwerksordnung regelte in der Folgezeit vor allem das Lehrlingswesen und gestattete die Ausübung des Handwerks nur in Abhängigkeit einer bestandenen Meisterprüfung. In einer Übergangszeit von 1908 bis 1913 wurde die Bedingung der Meisterprüfung als Ausbildungsvoraussetzung festgeschrieben und die Gewerbefreiheit im Handwerk quasi außer Kraft gesetzt. Die Ausbildung der Lehrlinge durch Meister sollte die Qualität des Handwerks, das 1900 etwa 1,3 Millionen Betriebe umfasste, einheitlich heben. Steuerrechtlich wurde 1912 das Handwerk von der Fabrik abgegrenzt. Gewerbefreiheit war 1810 mit den Reformen in Preußen eingeführt und löste das Gewerbe aus dem Zunftwesen. Die Gewerbefreiheit wurde 1869 auf den Norddeutschen Bund ausgeweitet und in die Gesetzgebung des Deutschen Reiches übernommen. Der Einfluss des Staates auf die Wirtschaft war gering. Die Arbeit der Kammern (Innungen), die sich nach Einführung der Gewerbefreiheit für die verschiedenen Gewerbezweige gründeten, reglementierte die Gewerbefreiheit. „Sie wirken mit bei der Gestaltung von Berufsbildern, formulieren Grundlagen, Standards und Gebühren und überwachen Ausbildung und Prüfungen.“3 1881 wurde der Begriff der Innung im Innungsgesetz des Deutschen Reiches neu und vor allem lokal als Interessensgemeinschaft neben anderen Vereinen, bestimmt (Mayers Lexikon 1888).4 Alle Maßnahmen waren Ergebnisse nicht nur der politischen Konsolidierung des Preußischen Staates, auch der umfassenden Industrialisierung.

2 §103 "Gesetzes, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung" (Blume 2000: 7) 3 http://de.wikipedia.org/wiki/Gewerbefreiheit (Stand: Februar 2009) 4 „Es versteht unter I. freie lokale Korporationen von selbständigen Gewerbtreibenden (nicht bloß gleicher oder verwandter Gewerbe), gestattet die Mitgliedschaft aber auch Personen, welche in einem dem Gewerbe, für welches die Innung errichtet ist, angehörenden Großbetrieb als Werkmeister oder in ähnlicher Stellung beschäftigt sind, außerdem die Ehrenmitgliedschaft andrer Personen. I. sind in der modernen Volkswirtschaft bei Gewerbefreiheit und freier Konkurrenz neben andern gewerblichen Korporationen (Gewerbevereinen, Gewerk- und andern Arbeitervereinen, Handwerkerbildungsvereinen, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, gewerblichen Versicherungsgenossenschaften etc.) ein notwendiges Glied einer gesunden organischen Gestaltung des Gewerbewesens, ihre Bedeutung liegt namentlich in der Förderung der Interessen des Klein- und Mittelbetriebs, des eigentlichen Handwerks.“ http://www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=108510 (Stand: Februar 2009)

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DIE INDUSTRIALISIERUNG Deutschland galt als dritterfolgreichste Industrienation (Produktion und Export) mit einem Ruf als Billigwarenland, da den in Deutschland gefertigten Produkten der Ruf der schlechten Qualität anlastete. Meyers Konversationslexikon von 1888 teilte diesen Kanon: „Das Bestreben der Veredelung, auch der gewöhnlichen Dinge, durch die Kunst ging erst verloren, seitdem die Großindustrie mit ihren Maschinen den Handwerkern den größten Teil der Arbeit abnahm. Auf allen Gebieten strebte man fortan nur nach Billigkeit ohne Rücksicht auf den Geschmack, und infolgedessen verloren alle Fabrikate das künstlerische Gepräge. Solches war besonders in Deutschland der Fall, während man in England die Solidität und in Frankreich die Eleganz der Form nie ganz aus dem Auge verlor.“5 Die serielle Massenproduktion übte einen Konkurrenzdruck auf bestehende Gewerke aus, die langsamer und teurer Waren anfertigten. Die Produktion orientierte sich an der Marktfähigkeit ihrer Erzeugnisse. Der Strukturwandel verlief von den Verfahren der Produktion als auch personell vom Handwerk zur Industrie. Das industrielle Bewusstsein setzte sich durch (Kallen 1987). Mit der Dominanz der industriellen Produktion veränderte sich auch die Beschäftigungsstruktur. Jeder Zweite arbeitete in der Industrie, so auch ehemalige Handwerker. Der Unternehmerbegriff selbst wurde aus tradierten Bindungen gelöst. Erzeugnisse, die industriell gefertigt waren, aber in ihrer Beschaffenheit an handgefertigte Objekte erinnerten, fanden unter den Konsumenten Zuspruch, was einerseits am hohen Anteil der handwerklich ausgebildeten Arbeiter in den Betrieben lag und zum anderen an der Gewohnheit der Käufer. Die Formensprache des Handwerks wirkte die industriell gefertigten Produkte vermittelnd (Kallen 1987). Die große Fülle der zum selben Zweck erschaffenen Waren im weltweiten Konkurrenzkampf bedurfte Merkmale der Unterscheidbarkeit. Bis zur Bewegung der Neuen Sachlichkeit, maßgeblich durch den Deutschen Werkbund angeregt, in der die Schönheit eines Produktes nicht nur ornamental, sondern wesentlich durch seine Funktion begründet werden sollte, differenzierten Reminiszenzen an den guten Geschmack der vergangenen Zeit die Waren. Der Historismus als die freie Verwendung von Zitaten hinterließ den Eindruck einer Stillosigkeit und ebnete den Weg zur Kunstgewerbebewegung (Wilhelm 1989). Sollte auch der Eindruck der beliebigen Stile erscheinen, so befanden sich die Nationen (vornehmlich in ihren Bezügen 5 https://peter-hug.ch/lexikon/kunstgewerbe?q=Kunstgewerbeschulen (Stand: Februar 2009)

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aufeinander England, Frankreich und Deutschland, so Meyers Lexikon) im Wettlauf um die nationale Identitätskonstruktion(Kallen 1987). Nicht nur die hohe Kunst an den staatlichen Akademien, die zweckfrei erschaffen werden sollte, um den gehobenen Wert des Staates durch die Kunst zu repräsentieren, wirkte identitätsbildend, auch die im Handel zugänglichen Waren kommunizierten ein bestimmtes nationales Selbstbild nach innen und nach außen (Kallen 1987). DIE KUNSTGEWERBEBEWEGUNG Die gemeinsamen Produkt- und Technikschauen der Weltausstellungen (allgemeine Industrieausstellung ab 1851) offenbarten die Krise des Kunstgewerbes, die die Verbindung von Materialarmut und Ornamentik mit technisch veränderten Produktionsbedingungen hervorbrachte (Denhardt 1993) oder wie Ralf Rummel es ausdrückt: „Während zu dieser Zeit Bedarfswirtschaft erkennbar von den anonymen Angebots- und Nachfrage-Mechanismen des Marktes abgelöst wird, weisen dessen Produkte ästhetisch zurück auf die Repräsentationsbedürfnisse des Bürgertums in der abgelaufenen Epoche seiner ökonomischen und kulturellen Hegemonie.“ (Rummel 2000: 17) Neben dieser Krise der Repräsentation führte die Ausstellung zum Konkurrenzstreben Englands gegenüber Frankreichs, welches so Meyers Lexikon, gefälligere Produkte herzustellen wusste. Gottfried Semper, ein deutscher Emigrant in England, hatte bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung des Kunstgewerbes mit seiner 1851 verfassten Schrift „Wissenschaft, Industrie und Kunst, Vorschläge zur Anregung eines nationalen Kunstgefühls“ (in Denhardt 1993: 13), aus dem ein Programm zur Verbindung von Kunst und Industrie abgeleitet wurde, das in der Neugründung von Kunstgewerbeschulen und Kunstgewerbemuseen floss. Semper forderte den progressiven Umgang mit den Mitteln der Technik, um zu einer neuen „Massenästhetik“ (Rummel 2000: 17) zu finden, die sich auf den Zweck und Stoff des Produktes bezöge und konzipierte Mustersammlungen zur „Schulung des allgemeinen Geschmacks“ (ebd: 18). 1852 wurden das department of science and arts und 1857 das South Kensington Museums in London als Kunstgewerbemuseum eröffnet6. Das Museum stellte sich zur Aufgabe, Angewandte Kunst und Handwerk im kulturellen Kontext mit Vorbildfunktion und Lehrfunktion für die Gewerbetreibenden und Industriellen auszustellen, um den Absatz einheimischer Produkte anzuregen. Der erzieherische Aspekt schloss aber auch die ästhetische Bildung der potentiellen Konsumenten mit ein (der Eintritt ins South Kensington, heute Victoria and Albert Museum London ist auch heute noch entgeltfrei).

6 https://peter-hug.ch/lexikon/kunstgewerbe?q=Kunstgewerbeschulen (Stand: Februar 2009)

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Die Beschäftigung mit dem Kunstgewerbe weitete sich in England durch William Morris, der 1861 eine Firma für handgefertigte Möbel gründete, gleichzeitig zu einer Bewegung mit anachronistischen Tendenzen aus, das „menschliche“ Handwerk gegen die Unmenschlichkeit der Maschinen beziehungsweise die Entfremdung in der industriellen arbeitsteiligen Produktion zu verteidigen und suchte die Organisation des Handwerks nach dem Muster der Gilden des Mittelalters. Morris (sozialistischer) Auffassung nach, sollte Kunst direkt dem Volk zugute kommen, das sich im Produktionsprozess mit seinen Erzeugnissen identifizieren konnte. Das mündete später in seiner Akzeptanz maschineller Fertigungsmethoden aus Gründen der Wirtschaftlichkeit (Denhardt 1993). In seiner Folge gründeten sich zahlreiche Werkstätten in England (Näheres Denhardt 1993: 12), die das Prinzip der hohen Qualität als Konkurrenzprinzip einführten, das auch in Deutschland Erfolg haben sollte (Kallen 1987). Nebenströmungen, die verschiedene ästhetische, pädagogische oder soziale Ziele mit der Reformation des Kunsthandwerks verfolgten, ließen diese bald zu einer Bewegung anwachsen (vergleiche Denhardt 1993). Auch in Deutschland verhärten sich die Fronten zwischen jenen, die Kunst und Technik als unvereinbar und jene, die die Technik als Erweiterung der künstlerischen Möglichkeiten begriffen (Kallen 1987). Die Auswirkung der englischen Reformationsbestrebungen begründeten eine fortschrittliche Wahrnehmung des Kunstgewerbes auch in Österreich und Deutschland, allerdings erst allumfassend mit der Chicagoer Weltausstellung 1876, die die mangelnde Qualität deutscher Erzeugnisse, in denen sich „technische Rückständigkeit und ästhetische Minderwertigkeit“ (Denhardt 1993: 14) widerspiegelten, aufdeckte. DER BEGRIFF DES KUNSTGEWERBES Der Begriff Kunstgewerbe erhielt Einzug in den deutschen Sprachgebrauch mit der Londoner Weltausstellung 1851 und tauchte erstmals in der Übersetzung Voltaires „Tancret“ durch Goethe auf. Heute ist der Begriff eher historischer Natur und bezieht sich auf die Periode des Kaiserreichs (1871 – 1918). Nach Kallens Einschätzung ist er auf alle gewerblichen Bereiche anzuwenden, die Fertigwaren herstellen. Im Mittelpunkt steht der Zweck des Produktes, das jedoch in seiner Beschaffenheit eine künstlerische Wirkung erzielen soll. Semper nannte diese Anwendung von Kunst eine „überdurchschnittliche Applikation von historischen Stilformen und Ornamenten“ (Kallen nach Semper 1987: 13). Der Begriff der Angewandten Kunst weitete sich vom idealen Verständnis einer Kunstautonomie darauf, auch ästhetische Fähigkeiten außerhalb der Bildenden Kunst einzusetzen. Mehr noch, die so genannte Kunstgewerbebewegung forderte eine künstlerische Durchdringung aller Lebensbereiche. Der „neue Stil“ der Angewandten Kunst 5

schien ein Jungbrunnen der abgeschmackten Ästhetik des Historismus und versprach eine national einheitliche Kunstsprache. Die Kunst schien mit dem Zweckstreben versöhnbar (Wilhelm 1989). DER GESTALTER Neue Möglichkeiten der Materialbearbeitung traten in den Dialog mit den Künsten. Mit der Industrialisierung und einem Bedarf an neuen Mustern und Formen bildeten sich neue Berufszweige, jene der Gestalter. Durch die Arbeitsteilung war es nun nicht mehr erforderlich, Arbeiter/ Handwerker zu beschäftigen, die jeden Arbeitsschritt beherrschten, sondern Gestalter auszubilden, die gleichermaßen Einblick in die industriellen und maschinellen Verfahren wie eine künstlerische Ausbildung besaßen. Die Ausbildung an Kunstgewerbeschulen entsprach auch dem Ziel die „Qualitätsproduktion als Konkurrenzprinzip“ (Kallen 1987: 22) einzuführen. Die Ausbildung war bisher in Handwerksbetrieben vorgenommen worden und entsprach nicht den Ansprüchen der seriellen Produktion. Die Innungsverordnung von 1884 regelte, dass nur der Innung angeschlossene kunstgewerbliche Betriebe Lehrlinge ausbilden durften. Ein ergänzender Unterricht fand an staatlicher oder städtischer Gewerbeschule (Abendschule) statt.7 Im Ergebnis führte diese Regelung dazu, dass die Lehrlinge zu eng spezialisiert waren (und oft als billige Arbeitskräfte ausgebeutet wurden). Ein mangelndes Verständnis für die Produktionsabläufe und die geringe Praxiserfahrung taten ihr übriges. Die Konfrontation mit künstlerischen Themen war der technischen Ausbildung untergeordnet (Denhardt 1993: 168). In den Betrieben, staatlichen Schulen und Institutionen wurden vermehrt Entwicklungsabteilungen, die den Beruf des Gestalters und die Gestaltung von Produkten thematisieren, eingerichtet. Als Vorreiter galt die Textilindustrie, die schon länger arbeitsteilig organisiert war. Organisatorisch war die formschaffende Arbeit entweder als Entwicklungsabteilung an den Betrieb gebunden, oder wurde als Dienstleistung eingekauft. Das Geschmacksmustergesetz von 1876 und das Kunstschutzgesetz 1907 als Urheberschutz machten jene Berufszweige rentabel. Die Forderung nach zentralen Einrichtungen, die die praxisnahe künstlerische Ausbildung vornahmen, wurde laut (Kallen 1987). In den vierziger Jahren des 20. Jahrhundert konkretisiert sich der Beruf des Designers noch einmal (Kallen 1987).

7 In Preußen war bis 1850 die Verbreitung gewerblicher und technischer Kenntnisse staatlich organisiert. (Kallen 1987)

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DIE WISSENSCHAFTLICHE BEGLEITUNG Die Konkurrenz jagte nach neuen Formen und Mustern. Diese Jagd wurde staatlich durch die Organisation von Forschung und Wissenschaft in Form von Vorträgen, wissenschaftlichen Studien zur Verbesserung der Ausbildung und Publikationen zur Ideengenerierung und um die Berufe zu spezialisieren, unterstützt. Wettbewerbe, um neue Formen der Gestaltung zu finden (und zu verbreiten) wurden ausgeschrieben. (Kallen 1987, Denhardt 1993) „Die Ausbildung an der Kunstgewerbeschulen und die Konzepte der Museumssammlungen orientierten sich an historischen, handwerklich gefertigten Objekten aus Zeiten, in denen die gewerblichen Erzeugnisse noch durch die Einheit von Kunst und Handwerk geprägt waren.“ (Denhardt 1993: 168) In Berlin entstand 1821 das Gewerbe-Institut, das später zur technischen Hochschule Charlottenburg wurde. Dort wurde ein Lehrstuhl für moderne Kunstgewerbe eingerichtet, den Hermann Muthesius, späterer Leiter des Deutschen Werkbunds, innehatte. Am Beispiel des South Kensington Museums 1868, ein Jahr nach der Pariser Weltausstellung, wurde das Kunstgewerbemuseum in Berlin mit integrierter Kunstgewerbeschule als erste deutsche Einrichtung dieser Art eröffnet. „Die Gründer wollten mit Unterricht und einer Mustersammlung zur Geschmacksbildung von Kunsthandwerkern, Industriezeichnern und der gesamten Öffentlichkeit beitragen.“8 Mittels thematischer Sammlungen sollte ein geschichtlicher Überblick über die Formen der Einrichtungskunst ab 1881 im Walter-Gropius-Bau gegeben werden. DER DEUTSCHE WERKBUND (DWB) Auch in Deutschland führte die Kunstgewerbebewegung zu einer Werkstättenbewegung9, um Qualität, Ästhetik, Wirtschaftlichkeit und Sachlichkeit miteinander in wohlfälligen Einklang zu bringen und die gewerbliche Arbeit zu veredeln (Kallen 1987, Durth 2007). Sie sieht sich im Erbe Sempers, die Kunst funktional einzusetzen. Die siebte internationale Kunstausstellung 1897 in München enthielt eine Abteilung ‚moderne Kleinkunst’, die vom ‚Ausschuss für Kunst und Handwerk’ betreut wurde. Jene Mitglieder mit meist künstlerischem Hintergrund gründeten 1908 die ‚Vereinigte(n) Werkstätten für Kunst und Handwerk GmbH’ in München und stellten die künstlerische Avantgarde der Bewegung der Neuen Sachlichkeit. Ziel der Vereinigung war es, Kenntnisse über Techniken zu vermitteln und Ideen 8 http://www.smb.museum/smb/sammlungen/details.php?lang=de&objID=7&p=1 (Stand: Februar 2009) 9 Nur am Rande erwähnt seien die bedeutenden Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, 1908 begründet durch Karl SchmidtHellerau.

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auf ihre Wirtschaftlichkeit zu prüfen. Die „Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wertarbeit auf dem Weltmarkt“ (Durth 2007) sollte garantiert werden und das Kunstgewerbe endlich zu einem besseren Ruf gelangen. Die Institution verschaffte einen Austausch zwischen Ästhetik und Wirtschaft durch das gemeinsame Agieren von Kaufleuten, Politikern, Künstlern, Kunstgewerblern und Ingenieuren (Rummel 2000: 18) „Von Anfang an war die Aufklärung weiter Bevölkerungskreise durch Ausstellungen, Publikationen, Kongresse und Vorträge erklärtes und wichtigstes Ziel des Werkbunds. Daher gehörte die öffentliche Präsentation mustergültiger Produkte aus Industrie, Werbung und Design sowie wegweisender Projekte in Architektur und Städtebau zu den zentralen Aufgaben dieser Institution.“ (ebd.) Der Werkbund sah auch ein Erziehungsprogramm vor, dass die Ausbildung konsequent in die Hände der Gewerbetreibenden und ihrer Interessenverbände legte (Wolf Dorn 1908 in Kallen 1987). Die Gewerbeerziehung soll durch das Gewerbe erfolgen. Der Staat sollte nur Überwachungsrecht besitzen, um das Gewerbe gegen die niederen Interessen der Gewerbetreibenden oder bei drohendem Bankrott zu schützen. Die Schulen sollten eng mit dem Gewerbe verwoben werden, so dass ein naher Austausch zwischen Lehre und Praxis ermöglicht werden könne. Betriebe sollen Lehrwerkstätten einrichten und nur ersatzweise auf Staatsschulen zurückgreifen. Ein dezentrales Erziehungswesen, das an die Organisation der Kammern angeknüpft sei, war statt zentraler Kunstgewerbeschulen vorgesehen.10

KREFELD „An höhern Schul- und andern Bildungsanstalten befinden sich in Krefeld ein Gymnasium, ein Realgymnasium, eine Realschule, ein Museum, eine höhere Webe-, Färberei- und Appreturschule (1885: 255 Schüler). In der mit derselben verbundenen Gewebesammlung werden im Auftrag des Kultusministeriums von 1886 ab große Wandgemälde hergestellt, welche, gobelinartig von Prof. Baur in Düsseldorf ausgeführt, die Entwickelung der Seidenindustrie darstellen sollen.“ (Meyers Konversationslexikon 1888) Mit Unterstützung des deutschen Werkbunds erreichte Deutschland zwischen 1895 - 1914 eine Gründungswelle von Kunstgewerbeschulen. Der Leiter des 1897 eröffneten Krefelder Kaiser Wilhelm Museums Friedrich Denecken initiierte die Gründung einer Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Krefeld 1904 als städtische Einrichtung unter Aufsicht des Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe mit dem Ziel 10 Zur Bedeutung des Deutschen Werkbunds gerade auch für die kommunalen Programme des Neuen Gestaltens und Bauens in den zwanziger Jahren siehe Rummel 2000 und Kallen 1987.

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(im Kanon aller), die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten und mittels des technischen Fortschritts eine „qualifiziert gestaltete Alltagswelt“ (Schwanke 2004) anzusteuern. „Zur Förderung der Zweckdienlichkeit der Künste“ (ebd.) sollte die Technik mit dem Handwerk vernetzt werden. Im Fokus stand dabei insbesondere der Austausch mit der Krefelder Samt- und Seidenindustrie, der das Kaiser Wilhelm Museums als Gewerbemuseum durch vorbildliche Objekte Impulse zu geben versprach. „Tausende von Goldschmieden, Malern, Grafikern, Bildhauern, Webern, Keramikern, Kunstschmieden, Architekten, Innenarchitekten, Textilgestaltern, Kunsttischlern, Glasmalern, Bühnenbildnern erhielten bei bedeutenden Meistern ihres Fachs in Krefeld ihre Ausbildung. Einhergehend mit der Lehrtätigkeit an der Schule wurden Künstler von weit überregionaler Reputation vom Kaiser Wilhelm Museum mit Kataloggestaltungen oder Illustrationen zur besseren Geschmacksbildung beauftragt, darunter so bedeutende Leute wie Jan Thorn Prikker, Werkbund-Mitbegründer August Biebricher oder Peter Behrens.“ (ebd.)11 Im Fall Krefeld kam also der kunstgewerbliche Impuls eher durch die Synchronisation des Bedarfs an Gestaltern mit den technischen Voraussetzungen der Textilindustrie. Hierin weniger, um das einheimische Handwerk zu stärken, sondern die Verbindung von Kunst und Technik zu optimieren. Das Kaiser Wilhelm Museum widmete sich der Geschichte des Kunstgewerbes und des Designs mit zwei Ausstellungen in der letzten Zeit: "Staffellauf 1904 bis 2004 - Design von Krefeld aus" vom April bis Juli 2004 im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum über die Lehrerpersönlichkeiten der Krefelder Kunstgewerbeschule. Bilder, Schmuck, Skulpturen, Wandteppiche und Architekturfotografien umfassten die Exponate der Ausstellung.12 sowie „100 Jahre Deutscher Werkbund“ Januar bis Dezember 2007 im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum 11Im Nationalsozialismus werden die Handwerkerschulen degradiert. 1948 eröffnet die Krefelder Schule als Werkkunstschule und erhält durch den Architekten Fritz Gottlieb Winter und seinem gestalterischen Programm des Bauhaus neue Impulse. 1971 erfolgt die Umstrukturierung nach Selbstverwaltungsversuchen und die Integration in die Fachhochschule Niederrhein als Fachbereich Design sowie die Auslagerung von Architektur und Industrial Design ( die Trägerschaft wechselt von der Stadt zum Land). Die Geschichte der Krefelder Kunstgewerbeschule ist nachzulesen bei Schwanke unter http://www.kunstmarkt.com/pages/all/print.php3?id=65198&printstyle=0 12 http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/29495/ (Stand: Februar 2009)

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1924 gelangte der größte Teil der Mustersammlung des Deutschen Werkbunds nach Krefeld. Die Ausstellung zeigte Plakate, Werbegrafiken, Objekte und Architekturfotografien.13

KUNSTGEWERBEMUSEEN HEUTE // Rekurs auf die Präsentation am 17. Februar und Abschluss Kunstgewerbe und die Einrichtung von Stätten der Veranschaulichung und Lehre sind in ihrer Funktion maßgeblich historische Phänomene. Die Museen begleiteten in der Zeit des deutschen Kaiserreichs den Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft wissenschaftlich und verbreiteten Informationen, die heute über andere Medien schneller und besser einzufordern sind. Die so genannte Gründerzeit mobilisierte umfassend Kräfte, den wirtschaftlichen Aufschwung mitzugestalten und zu unterstützen. Deutschland sah sich dem veränderten Markt an kunstgewerblichen Gütern ausgesetzt und reagierte darauf, indem es Maßnahmen und Strukturen kopierte, die England, als das am ehesten industrialisierte Land, einführte. Die erste eigenständige Entwicklung ist mit der Bewegung des Deutschen Werkbundes und der Institutionalisierung von Angewandter Kunst zu verzeichnen. Damit übernahm der Deutsche Werkbund maßgeblich die Funktion, die die Kunstgewerbemuseen bisher innehatten, so dass deren Sammlungen in der Folgezeit den Zweck verfolgten, in repräsentativen Gebäuden historisch die Geschichte der Gestaltung zu zeigen oder zukunftsgewandt den Designdiskurs mitzugestalten. Das heutige Kunstgewerbemuseum hat entweder historische Funktion, Artefakte oder Geschichte der Angewandten Kunst zu vermitteln oder zeitgenössisches Design im der herkömmlichen Zweck zu zeigen, dass heißt, weniger die Verfahren seiner Gestaltung, sondern als Muster und Modelle für industriell gefertigte Produkte. Ehemalige Gewerbemuseen sind heute Kunstmuseen in kommunaler bis staatlicher Trägerschaft mit Fokus auf Angewandte Kunst und Design und ziehen unter anderem durch ihre Unterbringung in einem repräsentativen Bau die Besucher an. Sie zeichnen sich durch ihre Größe, Vielfalt oder Eigenart der Sammlung aus. Privatmuseen, wie das Vitra Design Museum müssen daher eher an die Firmentradition, die es mittels der Objekte auszustellen gilt, geknüpft sein. Design generiert schlecht zahlendes Publikum, da das Zur-Schau-Stellen von Produkten oft schon vom Markt bedient und als Begleiteffekt beim Einkaufsbummel miterworben wird. 13 http://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen_Ausstellung_in_Krefeld_ueber_den_Werkbund_26240.html (Stand: Februar 2009)

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Museen, die vorindustrielles Gewerbe oder Handwerk ausstellen, sind oft lokal an Heimatkunde gebunden und stellen Handwerk am authentischen Ort (wie zum Beispiel im Freilichtmuseen) aus, oder versuchen alte Gewerke zu musealisieren. Deren Überlebensfähigkeit ist oftmals an das ehrenamtliche Bemühen der Mitglieder des tragenden Heimatvereins gebunden.

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LITERATUR Kaiser Wilhelm Museum. Online verfügbar unter http://www.krefeld.de/Kommunen/krefeld/41KWM.nsf/85e3f7ba8b89f33ec1256bd4003e666a /1cb54b406628b667c1256dba00512851, zuletzt geprüft am 19.02.2009. Blume, Herbert (2000): Ein Handwerk - eine Stimme. 100 Jahre Handwerkspolitik ; 100 Jahre Handwerkskammern, 100 Jahre Deutscher Handwerkskammertag, 100 Jahre Miteinander mit Innungen und Verbänden, 50 Jahre Zentralverband des Deutschen Handwerks ; eine historische Bilanz handwerklicher Selbstverwaltung. Berlin: Zentralverband des Deutschen Handwerks. Denhardt, Annette (1993): Das Metallwarendesign der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) zwischen 1900 und 1930. Historismus, Jugendstil, Art deco. Münster: Lit (Form & Interesse, 41). Durth, Werner (2007): Der Deutsche Werkbund. Hundert Jahre Arbeit an der Gestaltung der Industriellen Welt. Herausgegeben von Landschaft Sozial-Umwelt-und Technikgeschichte Industrie Kultur: Magazin für Denkmalpflege. Online verfügbar unter http://www.industriekultur.de/index.php?name=News&file=article&sid=78, zuletzt geprüft am 20.02.2009. Hochschule Niederrhein: Erforscht: Einhundert Jahre Design aus Krefeld. Der Kunsthistoriker Dr. Werner Schmidt recherchierte die Biographien aller Künstler-Lehrer seit Gründung der Krefelder Kunstgewerbeschule vor 100 Jahren/ Ausstellung "Staffellauf 1904 bis 2004 - Design von Krefeld aus" vom 25. April bis 4. Juli im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum. Online verfügbar unter http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/29495/, zuletzt geprüft am 19.02.2009. Kallen, Peter Wilhelm (1987): Unter dem Banner der Sachlichkeit. Studien zum Verhältnis von Kunst und Industrie am Beginn des 20. Jahrhunderts. Köln: dme-Verl. (Kölner Texte Wissenschaft, 4). Meyers Konversations-Lexikon (1888): Krefeld. Peter Hug, Breitmattweg 6, CH-3173 Oberwangen bei Bern. Online verfügbar unter https://peter-hug.ch/lexikon/krefeld, zuletzt aktualisiert am 21.02.2009, zuletzt geprüft am 22.02.2009. Meyers Konversations-Lexikon (1888): Kunstgewerbe. Peter Hug, Breitmattweg 6, CH-3173 Oberwangen bei Bern. Online verfügbar unter https://peterhug.ch/lexikon/kunstgewerbe?q=Kunstgewerbeschulen, zuletzt aktualisiert am 21.02.2009, zuletzt geprüft am 22.02.2009. Meyers Konversations-Lexikon (1888): Kunstgewerbeschulen. Peter Hug, Breitmattweg 6, CH3173 Oberwangen bei Bern. Online verfügbar unter https://peterhug.ch/lexikon/kunstgewerbeschulen, zuletzt aktualisiert am 21.02.2009, zuletzt geprüft am 22.02.2009. Rummel, Ralf (2000): Die Transformation sozial-reflexiver Momente in der modernen Gestaltung alltäglicher Dinge und Räume. Ein kritische Beitrag zur Diskursgeschichte des Design. Dissertation. Online verfügbar unter http://elib.suub.unibremen.de/publications/dissertations/E-Diss186_scriptpdf.pdf, zuletzt aktualisiert am 05.09.2001, zuletzt geprüft am 23.02.2009. Schwanke, Hans-Peter (2004): Staffellauf zum 100. Geburtstag zukunftsweisender Geschmacksveredler. Krefeld feiert das Jubiläum seiner bedeutenden Kunstschule. Herausgegeben von www.Kunstmarkt.com. Online verfügbar unter http://www.kunstmarkt.com/pages/all/print.php3?id=65198&printstyle=0, zuletzt geprüft am 19.02.2009.

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Staatliche Museen zu Berlin: Kunstgewerbemuseum. Staatliche Museen zu Berlin, Generaldirektion. Online verfügbar unter http://www.smb.museum/smb/sammlungen/details.php?lang=de&objID=7, zuletzt geprüft am 11.02.2009. Wikipedia (2009): Kunstgewerbeschule. Online verfügbar unter http://de.wikipedia.org/wiki/Kunstgewerbeschule, zuletzt aktualisiert am 12.02.2009, zuletzt geprüft am 20.02.2009.

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