«WARTET NUR, ICH ZEIGS EUCH ALLEN!» Rolf Fringer war einst ein Wundertrainer, der Superstar des Schweizer Fussballs. Doch private Probleme warfen ihn auch im Job um Jahre zurück. Jetzt ist der 49-Jährige beim FC St. Gallen wieder auf gutem Weg und sagt: «Ich stehe vor einer erfolgreichen Zukunft.» Interview: Patrick Mäder Fotos: Phil Müller Herr Fringer, ist das Leben gerecht?
Rolf Fringer: Ich glaube ans Schicksal im Leben. Jeder bekommt irgendwann das, was er verdient. Das heisst konsequenterweise auch, dass die negativen Dinge zu einem bestimmten Zeitpunkt bestraft werden. Für welche negativen Dinge sind Sie bestraft worden in Ihrem Leben?
Diese Frage habe ich mir auch schon oft gestellt. Eine Antwort darauf habe ich nicht. Auffallend ist, dass ich in meinem Leben immer alle Facetten durchmachen musste. Schon als Kind war das so. Ich hatte eine gute Kindheit, aber wir hatten nicht viel. Als Spieler war ich in der dritten Liga, dann irgendwann im Cupfinal. Als Trainer begann ich in der ersten Liga und war irgendwann Coach der Nationalmannschaft und später arbeitslos. Offenbar gehören die Hochs und Tiefs einfach zu mir. Inzwischen habe ich das so absolut akzeptiert. Wer steuert das Schicksal?
Für religiöse Menschen mag das Gott sein. Für mich nicht. Ich bin nicht religiös, dafür ist die Welt für mich zu ungerecht. Ich kann diese Frage nicht
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beantworten. Klar ist, man muss selber etwas für die positive Entwicklung tun. Man kann nicht den ganzen Tag im Bett liegen und auf den Moment hoffen, in dem sich alles wieder zum Guten wendet.
die WM 1998 qualifiziert. Verständlich, dass ich danach kritisiert wurde.
Als Trainer des FC St. Gallen sind Sie wieder auf gutem Weg. Ihre These vorn Schicksal hat sich bestätigt.
Wer weiss? Aber ich hatte schon eine schwierige Position. Ich war sehr jung und habe mich mit Spielern angelegt, die nicht für das Team spielten, sondern nur für sich selber und am Ende vor allem gegen mich. Und das mit der Unterstützung des damaligen Präsidenten (Marcel Mathier, Anm. der Redaktion). Das hat mir nicht geholfen.
Ich habe immer gewusst, dass es so kommen wird. Während all den schwierigen Jahren habe ich nie an meinen Fähigkeiten als Trainer gezweifelt. Die Erfüllung der These war für mich immer eine Frage der Zeit.
Sie wurden nicht nur kritisiert, sie wurden von der Kritik weggefegt. Wäre das auch bei einem anderen Trainer so passiert?
Mit GC wurden Sie danach zwar Schweizer Meister mit Rekordvorsprung. Ein halbes Jahr später, auf Rang zwei liegend, wurden Sie trotzdem unehrenhaft entlassen. Wessen Schuld war das? Wer innerhalb von zwei Jahren zwei negative Medienkampagnen gegen sich hat, der bringt den negativen Knackpunkt war wohl das Engage- Rucksack fast nicht mehr los. In diese ment bei der Schweizer Nationalmann- Zeit fielen auch gewisse private Probschaft. Es war ein undankbarer Zeit- leme, die schliesslich in der Scheidung punkt, was die Situation in der Mann- von meiner Frau gipfelten. Ich konnte schaft betraf. Wir haben uns nicht für mich damals und in den folgenden >
Als Sie 1993 mit dem FC Aarau aus dem Nichts Schweizer Meister wurden, stand für Sie die Trainerwelt offen. Sie haben das geschafft, was Ottmar Hitzfeld vor Ihnen nicht geschafft hatte mit dem FC Aarau. Sie waren damals der Superstar des Schweizer Fussballs. Was lief danach schief?
^ Jahren nicht hundertprozentig auf meine Aufgabe als Trainer konzentrieren. Glauben Sie mir, die Entlassung bei GC hatte mich kaum berührt. Ich musste um meine Familie kämpfen, das war viel wichtiger. Welches Verhältnis haben Sie heute zu Ihrer Ex-Frau? Wir haben heute ein gutes Verhältnis. Als ich als Trainer in Zypern, Griechenland und in den Emiraten war, ist sie mit den Kindern jeweils zu mir in die Ferien gekommen.
trauen kann und die realistisch und vernünftig denken und handeln. Wir haben die Voraussetzungen geschaffen, um mittelfristig erfolgreich zu sein. Welchen Rang am Ende der Saison würden Sie als Erfolg werten? Die Rangierung ist nicht so wichtig. Es geht um den fussballerischen Fortschritt und die Anzahl Punkte. Wenn
Spiel gewinnen können. Egal, wie der Gegner heisst. Das sind wichtige Voraussetzungen, um erfolgreich zu sein. Sprechen Sie mit 49 Jahren noch die Sprache der Spieler? Sie verstehen mich und ich verstehe sie, das ist das Wichtigste. Dafür muss ich nicht ihre Sprache sprechen oder ihre mega-coolen Grusszeremonien mitmachen. Wie haben sich die Spielertypen im Vergleich zu früher verändert? Es gibt auch heute noch Typen mit Ecken und Kanten, aber sie sind rarer geworden. Tendenziell hatten die Typen früher mehr Verantwortungsgefühl. Die wollten Profi werden und mussten dafür die eigenen Ellbogen ausfahren. Heute haben die 15-Jährigen bereits zwei, drei Manager. Der Papi fährt sie ins Training, die Grossmutter zurück nach Hause und die Tante bringt noch einen Kuchen mit. Wenn ein Spieler mal unten durch muss, legen ihm die Berater drei Alternativen auf den Tisch und dem Vater noch eine Prämie. Er wechselt schnell den Klub und alle klopfen dem Spieler auf die Schulter: Du bist eben doch der Beste. Das ist jetzt plakativ ausgedrückt, kommt der Wirklichkeit in vielen Fällen aber ziemlich nah. Wie sollen die Spieler so lernen, sich aus schwierigen Situationen herauszukämpfen?
"Der Preis der gescheiterten Ehe war zu hoch. Wüsste ich, dass ich das alles noch einmal durchleben musste, würde ich mir wohl einen anderen Job suchen."
Haben Sie in der Zwischenzeit eine neue Liebe gefunden? Noch nicht. Doch das ist der nächste Schritt in meinem Leben. Ich konzentriere mich hundertprozentig auf meine Arbeit beim FC St. Gallen. Das andere ergibt sich von allein.
Was ist übrig geblieben vom einstigen Wundertrainer Fringer? Damals kam ich von Schaffhausen zu Aarau und sagte: Wartet nur, ich zeigs euch allen. Ich war jung, bereit zum Risiko, unbekümmert, lebensfroh. Heute hab ich dieselben Eigenschaften wieder gefunden. Ich bin motiviert, enthusiastisch, habe zu meinem Stolz und jugendlichen Trotz zurückgefunden und sage auch heute wieder: Wartet nur, ich zeigs euch allen. Wen meinen Sie mit «euch»? Die Öffentlichkeit. Ich will beweisen, dass ich als Trainer nicht schlechter geworden bin, sondern dass mich einzig die privaten Umstände ein paar Jahre daran gehindert hatten, ein erfolgreicher Trainer zu sein. Was ist sportlich möglich mit dem FC St. Gallen? Dieser Klub ist gut geführt. Ich habe Leute um mich herum, denen ich ver-
wir am Ende der Saison fünfzehn bis zwanzig Punkte mehr haben als letzte Saison und die Zuschauer Freude haben am FC St. Gallen, dann wäre das ein schöner Erfolg. Diese Aussage passt nicht zu Ihnen. Ein Trainer, der zweimal Schweizer Meister wurde, kann doch nur höchste Ziele verfolgen. Was ich sage und was ich denke, das sind zwei verschiedene Sachen. Ich weiss aus Erfahrung, dass ein Glückstreffer immer möglich ist. Aber wir dürfen jetzt nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen. Wir müssen mittel- und langfristig denken. Unser Ziel ist die Stabilisierung und die Etablierung in der vorderen Tabellenhälfte. Wie machten Sie den FC St. Gallen in so kurzer Zeit zu einem Klub, der vorne mitspielen kann? Ich bin nur Teil des Ganzen. Die Vereinsführung und die Spieler haben einen wesentlichen Beitrag geleistet. Ich habe die Unbekümmertheit und das Selbstbewusstsein mitgebracht, die Bereitschaft zum Risiko. Wir gehen heute auf den Platz, machen Pressing und glauben daran, dass wir jedes
Dürfen zu Ihnen die Spieler Du sagen? Ich sage zu ihnen «Du» und den Vornamen. Sie sagen «Sie Trainer», obwohl ich das gar nie thematisiert habe. Das ergab sich einfach so. Früher waren Sie der Kumpeltyp. Sind Sie heute die Autoritätsperson? Ich bin eine Mischung von beidem. Der wichtigste Faktor in meiner Bezie- K
> hung zu den Spielern und zu der Klubführung ist der gegenseitige Respekt. Zucken Sie zusammen, wenn Ihnen heute einer auf die Schultern klopft und im Erfolg auffallend Ihre Nähe sucht? Nein, das ist so und ich akzeptiere das. Wenn es gut läuft, hast du Freunde. Wenn nicht, werden die Freunde weniger. Das tut mir nicht weh.
ROLF FRINGER Geboren:
26. Januar 1957 in Adliswil ZH Familienstand: Geschieden, 2 Kinder (Michel,17, und Aline,13) Wohnort: Abtwil SG Karriere als Spieler: 1978-1981: CS Chenois 1981-1983: FC Luzern 1983-1985: SC Zug 1986-1987: FC Altdorf (Spielertrainer) 1987-1990: FC Schaff hausen (Spielertrainer) Karriere als Trainer: 1990-1992: FC Schaff hausen 1992-1995: FC Aarau (1993 Meister) 1995-1996: VfB Stuttgart 1996-1997: Schweizer Nationalmannschaft 1998-2000: Grasshoppers (1998 Meister) 2000-2002: FC Aarau 2003: Al-Wahda Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate) 2004: Apollon Limassol (Zypern) 2004-2005: PAOK Saloniki (Griechenland) Seit 15. April 2006: FC St. Gallen (Vertrag bis Juni 2007)
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ging als Trainer nach Zypern, Griechenland und in die Emirate. Diese Abstecher waren keine sportlichen Highlights, aber sie haben mich weitergebracht, meinen Horizont erweitert. Durch den Abstand konnte ich das alles verarbeiten und meine Batterien wieder aufladen. Inzwischen habe ich zwei neue Hüftgelenke. Der Service ist abgeschlossen. Auf was sind Sie besonders stolz? Stolz bin ich, dass ich gestärkt und unbeschadet aus der ganzen Sache rausgekommen bin. Ich habe die Lösung meiner Probleme nie dem Alkohol oder anderen Drogen überlassen. Ich kaue nicht mal Fingernägel. Ich konnte immer in den Spiegel schauen und habe den Glauben an mich nie verloren. Eine Genugtuung ist zudem, dass ich ein absolut ungestörtes Verhältnis zu meinen Kindern habe, trotz Scheidung und räumlicher Trennung. Sie freuen sich mit mir, dass es mir wieder gut geht.
"Ich konnte immer in den Spiegel schauen und habe den Glauben an mich nie verloren."
In Schaffhausen waren Sie Angestellter bei der Stadt, als das Profiangebot aus Aarau kam. Sie hatten damals kurz gezögert, bevor Sie zusagten. Würden Sie im Wissen, was alles auf Sie zukommt, noch einmal gleich entscheiden? Diese Frage kann ich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Ich bin wohl dazu geboren, im Fussball tätig zu sein. Und ich bin privilegiert, dass ich das immer noch kann. Aber der Preis der gescheiterten Ehe war zu hoch. Wüsste ich, dass ich das alles noch einmal durchleben müsste, würde ich mir wohl einen anderen Job suchen.
Leben Sie heute mit der ständigen Angst, dass es plötzlich wieder abwärts gehen könnte? Welches war Ihr absoluter Tief- Absolut nicht. So schnell haut mich punkt? nichts mehr um. Auch keine NiederlaAls ich ohne Familie und ohne Job da- gen. Was sind denn schon ein paar stand und aufs Arbeitsamt müsste. verlorene Fussballspiele? Wenn es bei Obwohl ich mit dem Stempeln keine St. Gallen nicht wie gewünscht klapProbleme hatte. Ich war mir dafür nicht pen sollte, was ich nicht glaube, dann zu schade. Damals wurden meine gehe ich halt zu einem anderen Klub. gesundheitlichen Probleme akuter - Ich habe gelernt, dass im Leben immer die Arthrose in beiden Hüftgelenken. eine Tür aufgeht, wenn man selber Das war eine zusätzliche Belastung zu etwas dafür tut. Ich könnte mir auch allem anderen. vorstellen, einen Job in der Privatwirtschaft gut zu machen. Momentan bin Wie sind Sie da herausgekommen? ich aber überzeugt, dass ich als Trainer Es war wichtig, dass ich dieses Umfeld wieder vor einer guten und erfolgreiin der Schweiz verlassen konnte. Ich chen Zukunft stehe. •