I liebe Duich - von Joannes Richter Als Dreizehnjähriger lernte ich in vielen Fremdsprachen "Ich liebe Dich" auswendig. So konnte ich bald alle süßen Schwedinnen mit "jag älskar dig" ansprechen. Das wäre mir wichtig, damit ich meine Urlaubsbegegnungen mit meinen Sprachkenntnissen beeindrucken konnte. Diese und andere Lebensweisheiten galten vor fünfzig Jahren -als ich 13 war- noch als Geheimtipp unter Freunden. Nun aber, nach der Aufklärung des Fernsehers gilt das alles nicht mehr und die Jugend sammelt jetzt anderes Wissen. Ich aber lernte dazu und wurde mir der Inflation unserer Sprache bewusst. In Filmen sagten die Schauspieler sich oft laut oder leise, aber immer überzeugend "Ich liebe dich". Die Offenbarung dieser intimen Liebeserklärung war wohl der erste Schritt zur Entwertung aller Worte. Und auch die Musik, die wir hörten, überhäufte die unsichere Nachkriegsgeneration mit Liebesformeln in allen Tonarten. Das Verb "lieben" litt und zeigte nun Abriebspuren. Man liebte nun auch schon Pizzas, Hühnerbein
und flottes Autofahren oder Eis. "Ich liebe Dich" wurde weiter herunter gesungen bis auch die Knirpse im Kindergarten sich damit begrüßten. Als ich erwachsen wurde bedeutete "Ich liebe Dich" nur noch soviel wie "Ich kann dich einigermaßen gut leiden" oder soviel wie "Guten Morgen" und "Auf Wiedersehen". Zu meinem ersten Tanzkurs war die Liebe bereits zum Klischee verkommen, das man für tief gehende Emotionen nun überhaupt nicht mehr nehmen konnte. "Ich liebe Dich" hatte seinen Inhalt endgültig verloren. Wie nun sollte man seine tiefsten Gefühle in Worten fassen, wenn der Wortschatz in Bedeutungslosigkeit versinkt? "Ich liebe Dich" stand auf den Schokolade-Herzen, die man in der Schießbude auf dem Cannstatter Volksfest gewinnt. Es war das erste Mal, dass mir der Wertverlust im Bereich des Wortschatzes bewusst wurde. Mein Vertrauen in festen Werten wurde erschüttert. Wenn Worte ihren Wert verlieren reagiert das Gehirn gereizt und wechselt alsbald übermüdet in Desinteresse. Aber wer soll nun eigentlich den Werterhalt des Wortschatzes absichern? Den Geldwert beschützen wir bekanntlich mit teuer bezahlten Notenbankchefs, die sich rührend um ihre Aufgaben kümmern. Einen vergleichbaren Schutz für den ungleich wertvolleren Wortschatz haben wir aber nicht. Wer führt jetzt den Bundeswortschatzbrief ein? Wir selbst sind schuldig und beteiligen uns an dieser Inflation der Wortbedeutung. Wir alle, die wir die Schallplatten "Ich liebe Dich" in Massen kaufen und hören haben gleichzeitig den Abrieb und Verschleiß auf dem Gewissen. Es war ein großer Entschluss zum ersten Mal "Ich liebe Dich" zu sagen. Und als es dann soweit war hörte ich von einigen Jungs dass sie ihre Mädchen liebten. Es war seltsam so starken Gefühlen zu empfinden und diese mit dem einen Wort "Liebe" zu beschreiben. Aber diejenigen die sich liebten durchlebten so manche Phasen, die wir aus der Nähe beobachten konnten und die Liebe, sie flatterte wie ein Schmetterling... Eines war mir nun klar: die Liebe kennt keine Steigerung mehr. Wer das Wort einmal benutzt muss es in allen Lebenslagen immer wieder wiederholen - in Höhen und Tiefen - bis zur Unglaubwürdigkeit. Ich stellte mir vor wie man sich im Tiefpunkt einer Beziehung noch gegenseitig versichert dass man sich liebt. Dabei zerbricht aber das Wort. Und von den vielen Kommilitonen, die bereits einem Mädchen ihre Liebe erklärt hatten, trennten sich alle nach einiger Zeit von ihren Liebsten. Von allen lernte ich als letzter ein Mädchen -dich- lernen. Du warst wunderbar, mit langen, schwarzen Haaren, wölbend über deiner Brust. Und Du hattest tiefblaue Augen, die beim Lachen aufblitzten. Das habe ich nie vergessen... Ich wollte unsere Beziehung nicht zerstören durch Verwendung des abgegriffenen Wortes "Liebe" und suchte nach einem Ersatzwort. Dieses Wort, das ich suchte, sollte nichts mit Eis oder Hühnerschenkel zu tun haben und auch nicht in der Werbung für schnelle Automarken brauchbar sein. Es sollte aber tiefblaue Augen und langes schwarzes Haar enthalten. Das wäre mir wichtig. Zu dieser Zeit hörten wir oft und gerne Balladen von Bob Dylan. Diese gemeinsam gehörte Musik musste ebenfalls in dem neuen Wort Platz finden, denn die Beziehung basiert auf gemeinsam Erlebtem.
Aber vor allen Dingen musstest auch Du einen Platz in diesem Wort haben. Jede einzelne Erinnerung und jedes unserer Wörter wollte ich darin einschließen. Es sollte jeden Kuss, jede Berührung aber auch die wachsenden Kinder in deinem Körper verwahren und mitwachsen. Das Wort wuchs und wuchs bis es unendlich schwer geworden war und selbst schwanger... Nun stand die Geburt des Wortes unmittelbar bevor. Noch immer hatte ich dir noch nicht "Ich liebe Dich" gesagt. Stattdessen bemühte ich mich dir dieses Gefühl auf anderer Weise zu vermitteln. So kaufte ich Dir einen großen Rosenstrauß als Du am darauf folgenden Tag mit deinen Eltern und Geschwistern in den Urlaub fuhrst. Ich verbrachte jede freie Minute in deiner Nähe. Auch bestand ich nicht darauf von dir "Ich liebe Dich" zu hören, denn es wäre uns inzwischen nach so vielen Jahren verdächtig eine solche Aussage erstmalig zu verwenden. So liebten wir uns eben ohne Liebeserklärung und unsere Liebe wuchs ohne theatralischen Auftritt, der uns irgendwann sogar als abstrus und lächerlich vorkam. Mehr als vierzig Jahre sind jetzt vergangen. Niemals haben wir "Ich liebe dich" benötigt. Ich aber lauschte noch immer nach dem Knirschen im gemeinsamen Herzen, das unseren Körper antreibt. Die Suche war noch immer nicht zu Ende. Ich suchte nach dem Wort, das die Welt umfasst. Es sollte ein Wort sein, welches das Menschengeschlecht verewigt... Ich sah ein, dass wir Menschen, das Du und ich uns nur in unseren Kindern verewigen durch Vereinigung in diesen süßen Verschmelzungen, die wir ebenfalls Liebe nennen. So muss das gesuchte Wort Du und Ich in der Verschmelzung "Duich" darstellen. Ansonsten brauchen wir nichts. Aus dem einen Wort kann man alle andere Wörter ableiten, einschließlich schwarzes Haar, Joghurt-Eis, Schokolade, schnelle Autos und vieles anderes mehr... Es ist mir klar, dass wir dieses Wort nicht neu erfunden haben. Das Wort war immer schon da. Es wurde nur vorübergehend einiger Zeit vergessen. Und da sich niemand dafür interessiert und es auch dem Warenumsatz nicht nutzt wird man es nach unserem Tod auch wieder vergessen. Die Menschen werden sich nach wie vor täglich "Ich liebe dich" zuflüstern. Sie werden irgendwann feststellen, dass diese Liebeserklärungen Heuchelei sind und sich trennen und eine neue Beziehung nach dem gleichen Muster aufbauen. Es wird ihnen aber nichts nutzen. Sie werden weiter suchen müssen bis sie unser Wort wieder gefunden haben. Dieses Wort ist so einfach und so schön, dass es mir scheint als sei es schon immer in unseren Herzen gewesen. Und ich spüre, dass ich das Wort jetzt jedem erklären muss. Ich muss es Euch sagen, sobald ich heimkomme... =================================================================== Diese Kurzgeschichte basiert im Wesentlichen auf: Schlaf, meine Liebe (Isländisch: "Sofdu ást mín") von Andri Snaer Magnason (geboren 1973) aus dem Isländischen nach einem unpublizierten Manuskript übersetzt von Viola Lensch, gefunden in "Flügelrauschen", Erzählungen zeitgenössischer isländischen Autoren, STEIDL - Taschenbuch 157, ISBN 3-88243-744-8 Andri Snaer Magnason beschreibt in seiner Geschichte jedoch nicht explizit das gefundene Wort! (niedergeschrieben um 22:00 Uhr am 23.6.2008 in Vellir, Petursey, Myrdalur, 871 Vik, Island)