Freunde

  • December 2019
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  • Words: 891
  • Pages: 1
Freunde Er stand in der Warteschlange beim Pausenbäcker. Irgendwie fühlte er sich unwohl. Hinter und vor ihm hörte er aufgeregtes Getuschel. Reden die über mich, fragte er sich. Mit gesenktem Blick stand er da und merkte auch nicht, wie sich andere an ihm vorbei drängten. Er wagte einen Augenblick aufzuschauen. Schon sah er grinsende Gesichter um sich herum, die, als er sich umschaute, wieder zu flüstern begannen. Ich weiß gar nicht was die haben, dachte er. Er verstand die Welt nicht mehr. Sogar seine besten Freunde, oder die, die es einmal waren, mieden ihn seit Anfang der letzten Woche. Wenn er sie ansprach, taten sie, als wäre er gar nicht da. Es war ihnen unangenehm, wenn er mit ihnen reden wollte, das spürte er genau. Und so wollte er sie nicht in Verlegenheit bringen und ließ seine ehemals besten Freunde in Ruhe. Er schaute auf. Er stand alleine auf dem Pausenhof vor dem Bäckerstand. Alle anderen waren schon in das Schulgebäude gegangen. Erschrocken schaute er auf die Armbanduhr. Noch fünf Minuten bis zum Gong, dachte er. Sein Blick blieb an der Armbanduhr hängen. Es war ein Geschenk von seinen besten Freunden. Damals hatten sie alle Geld zusammengelegt um ihm zum Geburtstag diese Uhr, die er sich schon so lange gewünscht hatte, kaufen zu können. Er seufzte. „Na, Kleiner? Möchtest du Wurzeln schlagen, oder doch noch etwas kaufen?“ Erschrocken sah er nach oben. Er schaute in das Gesicht des freundlichen Bäckers. Erleichtert, dass es niemand anderes war, sagte er schüchtern: „Eine Butterbrezel, bitte.“ Er zahlte und bekam seine Butterbrezel. Einen Augenblick zögerte er. Sollte er vielleicht den Bäcker fragen, was hier los war? Er müsste es doch wissen, wenn die anderen vor dem Bäckerstand davon sprachen. „Na? Doch noch einen Wunsch?“ Er schüttelte den Kopf und entschied sich dem Bäcker nicht danach

zu fragen. Er wollte den freundlichen Mann nicht mit seinen Problemen belästigen. Als er den Schulgong hörte fuhr er zusammen, schnappte sich die Butterbrezel und rannte zum Schulgebäude. Er hörte auch nicht, als der Bäcker ihm hinterher rief: „Hee, Kleiner! Dein Wechselgeld!“ Der Bäcker schüttelte den Kopf. „Irgendetwas stimmt mit dem Kind nicht. Es kam mir früher viel fröhlicher vor. Aber das ist ja nicht meine Sache. Sollen doch die Lehrer mit ihren Rackern fertig werden.“, brummelte er in seinen Bart. Außer Atem kam er vor seinem Klassenzimmer an, hielt kurz inne und öffnete dann bedächtig die Klassenzimmertür. Die Klasse verstummte, als er in der Tür stand. Ohne dass er auf sah, spürte er die Blicke der anderen, als er durch die Tischreihen zu seinem Platz in der vorletzten Reihe ging. Er schob sich auf seinen Stuhl und blickte nach vorn. Die Lehrerin war noch nicht da. Eine Zeit lang schaute er sich ängstlich um. Die haben bestimmt über mich geredet, vorhin als ich zur Tür rein kam. Sonst wären sie nicht gleich still geworden, dachte er. Neben ihm stand ein leerer Stuhl. Er saß seit kurzem alleine am Tisch. Die anderen mieden ihn. Er seufzte leise, als er den leeren Stuhl sah, beugte sich dann zu seiner Tasche und legte die Schulhefte fein säuberlich auf den Tisch. Als die Stunde begann, versuchte er dem Unterrichtsverlauf zu folgen. Aber er konnte sich nicht recht konzentrieren, weil er ständig mit den Gedanken abschweifte. Er fragte sich andauernd, was er getan haben mochte, dass alle ihm auswichen. Mit seinen Eltern hatte er noch nicht geredet. Die würden sowieso nur sagen, dass es größere Probleme gäbe als seines. Er müsse damit selber fertig werden. Andere hätten das auch geschafft. Er solle nur immer gute Noten nach Hause bringen. Das hatte er bisher auch gemacht. Aber wie sollte man sich auf den Unterricht konzentrieren, wenn man sich plötzlich so alleine fühlt, als wäre kein anderer Mensch mehr auf der Welt, außer man selbst, fragte er sich in Gedanken. Er hing wieder seinen traurigen Gedanken nach. Er

dachte an seine alten Freunde. Waren das Freunde, wenn sie ihn so schnell verließen? Mit Freunden geht man durch Dick und Dünn, dachte er und versuchte die Tränen, die ihm kamen, zu unterdrücken. Er schluckte schwer. Ein Kloß saß in seinem Hals. Er verfolgte den Unterricht wie durch einen Schleier. Er hörte der Lehrerin zwar zu, konnte aber nicht registrieren was gesprochen wurde. Nach dem Unterricht stand er langsam auf. Ihm kam es so vor, als würde der Kloß im Hals immer dicker werden. Noch bevor er sich versah war er alleine im Klassenzimmer. Zögernd packte er seine Sachen zusammen und machte sich auf den Nachhauseweg. Tränen rollten ihm über die Wangen, als er sah, dass er alleine gehen musste. Wer wartet schon auf mich? Es mag mich keiner mehr, dachte er unglücklich und ging bedrückt den Weg entlang. Gequält von den Gedanken kam er schließlich an seiner Straße an. Plötzlich legte sich ein Schatten über sein Gesicht. Er schaute auf und erkannte einen seiner alten Freunde. „Mensch, du weinst ja!“, hörte er. „Wollen wir wieder Freunde sein? Dann kann ich dir auch erzählen, was man dir vorgeworfen hat. Aber es hat ja nicht gestimmt.“ Glücklich schaute er in das fröhliche Gesicht vor ihm und sagte dann: „Gerne!“ Doch bei sich dachte er: Freunde? Wegen einem Gerücht lässt man doch keine Freunde im Stich! Sind wir wirklich Freunde? Oder werden wir wirklich Freunde? Er zweifelte an der Bedeutung des Wortes ‚Freund’. Doch zum Hinterfragen war er zu erschöpft.

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