„Die Moral bringt nichts ins Lot“ Krise. Das bisherige Finanzregelwerk hat das Ausleben der Gier geradezu herausgefordert. Jetzt muss man das System ändern. karin zauner Die Ökonomin und Sonderberaterin in der Nationalbank, Helene Schuberth, hat Verständnis für die Wut der Menschen, die von den Auswirkungen der Finanzkrise betroffen sind und sagt, das Empfinden der Menschen stimme immer. Im SN-Interview über eine neue Weltfinanzarchitektur schickte die international vernetzte Wirtschaftswissenschafterin voraus, dass sie persönlich spreche und nicht notwendigerweise in jedem Punkt die Meinung der Nationalbank wiedergebe. Heute treffen einander die G-20, die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, um eine neue globale Finanzarchitektur zu entwickeln. Einerseits ist es bemerkenswert, dass die Welt in der Krise zusammenrückt, andererseits gibt es Kritik, dass die G-20 ein elitärer Zirkel seien und viele Kritiker ausgeschlossen würden. Wie sehen Sie das? Schuberth: Die Reform der Weltfinanzarchitektur ist nicht nur eine finanzmarkttechnische Angelegenheit. Es geht um viel mehr als um die Sicherung der Finanzmarktstabilität, es geht auch um die Frage, wie weit Aktionärsinteressen in die Lebensbedingungen jedes einzelnen eingreifen können, um Vermögens- und Einkommensverteilung und darum, ob soziale Risiken, von denen Frauen besonders betroffen sind, von Finanzmärkten oder vom Staat gemanagt werden sollen. Soll es in Zukunft möglich sein, dass Finanzmärkte eine bestimmte wirtschaftspolitische Ausrichtung eines Landes durch Kapitalflucht sanktionieren können? Es ist bedauerlich, dass die G-20 nicht den Mut haben, sich zu öffnen. Kritische Personen der Zivilgesellschaft sowie die restlichen 172 Länder können nicht mitreden. Auch sehe ich in den Gremien, die den Gipfel vorbereiten, kaum Frauen, ein demokratiepolitisch nicht haltbarer Zustand. Eine offensichtliche Erkenntnis dieser Krise müsste doch sein, dass man andere Meinungen nicht von vornherein ausschließt. Wem schadet dies? Schuberth: Das schadet denjenigen, die von der Krise stark betroffen sind. Und besonders jenen, die in prekären Lebenszusammenhängen stecken, die sozial ausgegrenzt sind. Denn dieses stark aktionärsgetriebene Wirtschaftsgeschehen, das sich auch in Europa in den letzten zehn bis 20 Jahren manifestiert hat, hat schon vor der Krise dazu geführt, dass einem Teil der Bevölkerung der Boden unter den Füßen weggezogen worden ist. Es hat auch dazu geführt, dass die Verteilung in den Ländern ungleicher geworden ist. Was müssten aus Ihrer Sicht die Eckpunkte einer neuen Finanzarchitektur sein? Schuberth: Das Wichtigste ist, dass staatliche Institutionen in der Regulierung die tragende Rolle spielen müssen. Die Selbstregulierung war in vielen Fällen gar keine Regulierung. Ein Punkt, der bisher nicht diskutiert wurde, ist die Kapitalmobilität. Die globale Integration der Finanzmärkte ist zu weit gegangen. Wie problematisch das ist, zeigt sich am Umstand, dass der Zusammenbruch des Subprime-Markts in den USA Monate später das gesamte Weltfinanzsystem in den Abgrund zu stürzen drohte. Eine Steuer auf Finanztransaktionen muss in diesem Zusammenhang eine zentrale Forderung sein. Auch die sogenannte Regulierungsarbitrage (das Erzielen von Gewinnen durch die Ausnutzung von Kursunterschieden, Anm.) muss beseitigt werden. Sie führt zu einem Deregulierungswettlauf nach unten, in dem Länder sich sukzessive gezwungen sehen, Regulierungen aufzuheben, um Kapitalabflüsse zu verhindern.
Es braucht daher weltweit einheitliche Regulierungsstandards für alle Finanzinstitutionen, Regionen und Instrumente. Auch die Schließung von Steueroasen ist entscheidend. Wie optimistisch sind Sie, dass die Steueroasen tatsächlich trockengelegt werden? Schuberth: Das ist eine jahrelange Forderung, und erfreulicherweise hat sich nun etwas bewegt. Ich kann mir aber schwer vorstellen, dass es jetzt schon eine Einigung geben wird. Was muss mit den Ratingagenturen geschehen, was mit Hedgefonds? Schuberth: Der monopolistische Einfluss der Ratingagenturen ist zurückzudrängen. Diese haben die riskanten Wertpapiere mit besten Bonitätsnoten ausgezeichnet. Die Aufsicht war zu wenig auf das systemische Risiko vorbereitet und hat sich zu stark auf die einzelne Bank oder auf Finanzprodukte konzentriert, deren Wirkungsweise isoliert betrachtet und somit oft falsch eingeschätzt wurde. Man hat die systemischen Abhängigkeiten zwischen den Akteuren zu wenig beachtet. Man muss künftig auch alle Bereiche außerhalb des Bankensystems, etwa Hedgefonds, ordentlich regulieren. Transparenzappelle bringen hier nichts. Mittel- bis langfristig brauchen wir eine Weltfinanzorganisation, die demokratisch legitimiert ist und nicht dem Einfluss weniger Staaten und der Finanzindustrie unterliegt. Hier müssten alle Staaten vertreten sein. Eine vernünftige neue Finanzarchitektur braucht auch eine stabile internationale Währungsordnung. Die Kritik am unregulierten Markt muss sich auch auf den Devisenmarkt beziehen, zumal von ihm enorme destabilisierende Einflüsse ausgehen können. Die Debatte über die Finanzkrise ist geprägt von Managern, ihrem Fehlverhalten, Moral, Boni und Gier. Das sind öffentliche Aufreger. Aber trifft man damit das Problem? Wird die Moraldebatte nicht sogar missbraucht, um von Systemfehlern abzulenken? Schuberth: Bis zur Lehman-Pleite (September 2008, Anm.) wurde als häufigste Krisenursache in Medien die fehlende Moral genannt. Die Moraldebatte suggeriert, dass eine Änderung des menschlichen Verhaltens alles ins Lot bringen würde und damit alles beim Alten bleiben kann. Das ist ein guter Weg, um von systemischen Ursachen abzulenken und nichts ändern zu müssen. Ich halte die Frage der Gier für relativ uninteressant. Wesentlich ist doch, dass das derzeitige Regelwerk das Ausleben exzessiver Gier nicht nur ermöglicht, sondern extrem herausgefordert hat. Allerdings interessiert mich dabei schon ein Punkt. In den vergangenen ein bis zwei Jahrzehnten wurde im Bereich Finanzmarktregulierung staatliches Recht ausgehöhlt und durch moralische Willkür ersetzt, durch das selbstverantwortliche Handeln der Individuen. Jetzt heißt es, dass die Gier der Manager gebändigt werden muss. Das fordern ausgerechnet jene, die immer meinten, dass gerade Eigennutz und Profitmaximierung wichtig sind, um effizient wirtschaften zu können. Dieselben Tugenden, die früher hochgehalten wurden, sind jetzt das Problem. Das zeigt die Willkür der Argumentation. Die USA kritisieren Europa sehr stark, dass es zu kleine Konjunkturpakete schnüre. Tut Europa tatsächlich zu wenig oder ist es klug, sich nicht derart zu verschulden, dass kein Weg mehr zurückführt? Schuberth: Europa kann für sich ins Treffen führen, dass es sozialstaatliche Einrichtungen hat, die stabilisierend wirken. Arbeitslosengelder helfen, den Einbruch zu dämpfen, ebenso staatliche Gesundheits- und Bildungssysteme.
Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman sagt, er würdige das, aber es sei kein Ersatz für starke aktive Maßnahmen. Die Konjunkturpakete in Europa seien zu klein. Ein Grund dafür ist ein verständlicher. Man fürchtet in Europa, dass die Staatsschulden stark steigen. Studien über vergangene Finanzkrisen zeigen, dass sich drei Jahre nach deren Beginn die Staatsschuld im Durchschnitt real beinahe verdoppelt hat. Einen wesentlichen Einfluss darauf hatten sinkende Steuereinnahmen im Zug der abnehmenden Wirtschaftsleistung. US-Ökonomen sagen, gerade die Maßnahmen zur Linderung des Einbruchs könnten den Anstieg der Staatsschulden dämpfen, doch dieses Argument wird in Europa kaum beachtet. Europa hat sehr schnell mit den Bankenrettungspaketen reagiert. Aber die EU hatte zu lang die Hoffnung, dass die Realwirtschaft von der Krise verschont bleibt. Das war ein Irrglaube. Viele haben den Eindruck, die Politik hilft den Banken und betroffenen Industrien, aber nicht Arbeitnehmern, die nun zum Teil die Zeche für das Versagen anderer zahlen müssen. Stimmt deren Empfinden? Schuberth: Das Empfinden stimmt immer. Aber ohne Bankenrettungspakete und Konjunkturpakete hätten wir eine dramatisch hohe Arbeitslosigkeit, Unruhen, die die Demokratien destabilisieren würden. Auf der anderen Seite ist es nachvollziehbar, dass eine Handelsangestellte, die um ihren Job zittert, nicht kreditwürdig ist und sich keine Ganztagsbetreuung für ihr Kind leisten kann, fassungslos ist, wie viel Geld hier mobilisiert wird. Weil es doch vor Kurzem noch geheißen hatte, für Ganztagsbetreuung gibt es kein Geld. Wichtig ist jetzt, dass man nicht nur um jeden Job kämpft, sondern auch die Systeme der sozialen Sicherheit stärkt. Sie sind auf diese Krise nicht ausreichend vorbereitet. Und man muss die Einkommen derjenigen stärken, die wenig verdienen. Das hat auch einen konjunkturstabilisierenden Effekt. Sind auch Österreichs Sozialsysteme reformbedürftig? Schuberth: Wenn die Arbeitslosigkeit länger dauert, ist fraglich, ob man mit 55 Prozent des früheren Gehalts das Auslangen finden kann. Was erwarten Sie sich als Ökonomin, die international vernetzt ist, vom Gipfel? Schuberth: Was die Finanzarchitektur betrifft, so rechne ich nicht mit weitreichenden Beschlüssen. Die Vorschläge haben ja ohnehin wenig mit einer richtigen Reform zu tun. Es sind Versuche, an einigen Regulierungsschrauben zu drehen. Selbst hier ist nicht klar, ob es eine Einigung geben wird. Wie schätzen Sie die Entwicklung der Finanzkrise ein. Wo stehen wir, und wie wird sie weitergehen? Schuberth: Die Rezession im Euroraum wird sich verschärfen. Die Abwärtsspirale kann man nur durch radikale wirtschaftspolitische Eingriffe stoppen. Die Vorsitzende des wirtschaftspolitischen Beraterstabs von Barack Obama, Christina Romer, hat gemeint, je stärker der globale fiskalische und geldpolitische Impuls ist, desto schneller kommen wir aus der Krise. Das sollte man auch in Europa beherzigen. Dreier / 02.04.2009 02.04.2009 / Print