Der Alte Mann

  • Uploaded by: S. Döpke
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  • April 2020
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  • Words: 748
  • Pages: 3
Der alte Mann Mit eisigem Blick schritt sie durch die Gassen Beachtete nicht die Menschen in Massen Kein Gefühl von außen sie jemals erreichte Für niemanden sich ihr Herz je erweichte Doch einmal erblickte sie etwas, wonach Ihr Panzer aus Eis ganz plötzlich zerbrach Doch war’s kein Jüngling, der von Schönheit so prahlte Die Aura des Mannes schon längst nicht mehr strahlte Sein alter Körper sich nur noch langsam bewegte Doch sah sie ihm an, dass er viel erlebte Denn zwischen den Falten, in all den Ritzen Da sah sie Eintausend Geschichten sitzen So stand lange sie da, wie hypnotisiert Merkte nicht, dass es längst passiert Der alte Mann, er war schon von dannen Er war mit seiner Erinnerung gegangen Da plötzlich, das Leben neu in ihr erwachte Mit eiliger Hast auf den Weg sie sich machte Sie wollte nichts anderes, als den Mann wiedersehen Warum, das konnte sie selbst kaum verstehen Sie rannte, als gälte ihr eigenes Leben Denn für ein Wiedersehen wollte sie alles geben Doch wie sie auch rannte, nach hier und nach dort Sie fand ihn nicht wieder, der Mann war fort Wieder zuhause in einer anderen Stadt Sie ihn noch immer in ihren Gedanken hat Und ziehen die Tage und Wochen dahin Er will ihr einfach nicht mehr aus dem Sinn So liegt sie in mancher Nacht lange wach Und denkt über ihn und sein Leben nach Doch die Unwissenheit ihre Gedanken trübt Weshalb sie bald in Phantasie sich sehr übt So erfindet sie ihre eigenen Geschichten Die vom Leben des alten Mannes berichten Sie sieht ihn vor sich in jungen Jahren Als die Mädchen ihn verfolgten in Scharen Bis er schließlich fand die große Liebe

Nur kurz vor dem Anfang vom schrecklichen Kriege Der Krieg, der nicht nur Europa zerstörte Sondern auch ihre Liebe störte Was hat er dann als Soldat gemacht? War er beteiligt an grausamer Schlacht? Oder hat man ihn niemals eingezogen? Weil er zuvor aus dem Land geflohen? Doch danach, das weiß sie ganz genau Fand bald schon er eine neue Frau Doch war ihre Ehe lustig und munter? Oder ging sie bald im Elende unter? Auch wusste sie nicht, ob sie ein einsames Paar Oder er Vater von vielen Kindern war Und womit hielt er die Familie am Leben? Brachte er es zu Reichtum durch sein Streben? Besaßen sie ihr eigenes Haus? Oder war er arm wie eine Kirchenmaus? Und wie hielt er es mit der Religion? War er ein Heide oder war er fromm? Doch egal, welche Version der Geschichte sie wählt Sie weiß, dass einzig die Wahrheit zählt Manchmal, da kratzt sie sich wild in den Haaren Denn sie fürchtet, sie wird sie niemals erfahren Der Mann, den sie niemals kennen tat Auf sie trotzdem guten Einfluss hat Denn je mehr Stunden sie an ihn denkt Er ihr Herz in eine andere Richtung lenkt Früher, da hat sie Menschen niemals genossen Doch nun hat sie einen ins Herz tief geschlossen Und die, die sie kennen, die wundern sich Entdecken sie ein Lächeln auf ihrem Gesicht Nach einem Jahr, da hat sie es satt Sie macht sich erneut auf in diese Stadt In der sie ihn zuerst hat getroffen Und kann nur auf ein Wiedersehen hoffen Sie fragt die Menschen, sie forscht umher Sie gibt sich Mühe, strengt sich an so sehr Doch leider muss bald frustriert sie erkennen Dass niemand ihr seinen Namen kann nennen Sie will schon verlassen diesen Ort Da erhält sie zuletzt doch noch die Antwort

Es ist sein alter Nachbar, der ihr berichtet Obwohl er den Mann selbst kaum gesichtet Denn im Leben war er niemals ein Held Hatte kaum Freunde und auch wenig Geld Sein Alltag war stets trostlos und leer Und eines Tages, da konnte er nicht mehr Er hat sich selber das Leben genommen Ist im eigenen Blut ins Jenseits geschwommen Und auf dem Friedhof, an seinem Grab Fast nie eine frische Blume lag Sie erschrickt, als sie hört diese Berichte Sie sind so anders als ihre erfundene Geschichte Doch auch, wenn er nicht war, was sie gedacht So hat er bei ihr doch noch eine Heldentat vollbracht Ach, wäre sie nur früher gekommen! Vielleicht hätte alles ein anderes Ende genommen Doch ist’s doch schön, dass sie noch an ihn denkt Dass ein einziger Mensch ihm noch Erinnerung schenkt Und zieht sie heut wieder durch die Gassen Und begegnen ihr die Menschen in Massen Dann lächelt sie ihnen froh ins Gesichte Denn jeder trägt in sich eine einzigartige Geschichte

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