Forschungsseminar: Zur Theorie des modernen Staates Prof. Dr. Johann Dvorák und Dr. Tamara Ehs Universität Wien Institut für Politikwissenschaft SoSe 2006
Thema:
Der Staatsbegriff in Albanien gegen Ende des XIX ten Jahrhunderts mit besonderer Berücksichtigung des Staatsdenkers Sami Frashëri.
Mag. Bekim Baliqi
Matr.Nr. 9904119 A092/300
[email protected]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
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2. Geschichtliche Hintergründe
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3. Die Entstehung der albanischen Nationalbewußtsein
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4. Der Kampf um Staatlichkeit Albaniens
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5. Das Leben und Werke Sami Frashëris
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6. Der Frashëris Staatsbegriff
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7. Zusammenfassung
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8. Literaturverzeichnis
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1. Einleitung
Es gibt unzählige staatstheoretische Ansätze, die die Entstehung und Entwicklung des Staates aus unterschiedlichen historischen, sozialwissenschaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Betrachtungsweisen diskutieren sowie diverse Gründe und Kriterien für die Herausbildung des modernen Staates eingeben. Im Prinzip, der Begriff Staat ist Zeit, Raum, und Kontextabhängig und in seiner gängigen Form wird grundsätzlich als ein Produkt der Moderne verstanden. Historisch betrachtet, die philosophische Debatte über dem Staat gab es seit Antike und war oftmals mit der Suche nach einer passenden Herrschaftsform und/oder Gesellschaftsordnung verbunden. Erst mit der Aufklärung beginnen die Elemente wie Freiheit, soziale Gleichheit und politische Rechte im Zusammenhang mit dem Staatbegriff auseinandergesetzt zu werden. Der moderne Staat war aber vielmehr an gewisser Grad der Loyalität und Legitimität des Bevölkerung bzw. seiner Bürger angewiesen. Das Aufkommen des Nationalismus hat diesen Aspekt der Staatsbildung in vielerlei Hinsicht ermöglicht oder war Antrieb für seine Entstehung. Das zentrale Element des Nationalismus, daß jede Nation seinen eigenen unabhängigen Staat haben soll, führte in einigen Fällen dazu, daß der Staat als Ergebnis umfassenden Nationalbestrebungen und der Produkt externen Einflüsse bezeichnet werden können. 3
In diese Hinsicht Albanien ist ein interessantes Beispiel, wobei der Staatsbegriff erst im Zuge des sogennanten nationalen Erwachens begann thematisiert zu werden. Und es war vorwiegend eine Forderung der nationalistischen Elite. Dazu trugen einige Gründe und Einfußfaktoren bei, die später in diese Arbeit etwas näher eingegangen wird. Nach einer geschichtlichen Überblick, die wichtige Erkenntnisse des Diskurses über dem Staat und des Staatsbegriffes in Albanien Ende des XIX ten und Anfang des XX ten Jahrhunderts bieten soll, wird die albanische Nationalbewegung kurz dargestellt und analysiert. Im nächsten
Schritt werden die Sezessionistischen
und
Unabhängigkeitsbestrebungen dieser Nationalbewegung erläutert, besonderes die Konzeptionen und Vorstellungen von einem albanischen Staat, werden berücksichtigt. Einer der wohl bedeutendsten Vertreter der albanischen Elite, der sich mit dem Staatsbegriff auseinandersetze ist der Intellektuelle, Schriftsteller und Staatsdenker Sami Frashëri. Sein Leben und seine Werke, vor allem seine Gedanken über dem Staat werden in diesem Kapitel herausgearbeitet. Und im Fazit werden die wichtigsten Schlüsse und die gewonnen Erkenntnisse zusammengefaßt. Die Zitate aus dem Albanischen ins Deutsche werden von mir selber übersetzt.
2. Geschichtliche Hintergründe In der politischen Geschichte Südosteuropas spielte Albanien eine wichtige Rolle, erstens weil die Albaner im unterschied zu anderen Balkanvölker kein südslawischer Abstammung sind, zweitens weil Albanien in seiner Vergangenheit oft Hegemonieellen Bestrebungen der Großenmächte und/oder der Nachbarländern 4
ausgestezt war und drittens weil mit moslemischen Bevölkerungsmehrheit ambivalente Verhältnisse mit dem osmanischen Herrschaft hatten. In der Antike war der westliche Balkan und damit auch das Territorium des heutigen Albanien von illyrischen Stämmen besiedelt. Die Albaner führen somit ihre Ursprünge auf die Illyrier zurück. Zentren des illyrischen Staates waren Durres (Durazzo) und Skutari (Shkodra). Der letzte König der Illyren, Gentius, wurde von den Römern besiegt, die damaligen “albanischen” Gebiete wurden 167/165 v. Chr. Bestandteil des römischen Reichs, bekannt auch als Illyricum. Bei der römischen Reichsteilung kam Illyricum zum Byzantinischen Reich.1 Der Norden des heutigen Landes ging dabei an das Weströmische Reich, der Süden fiel an das Oströmische Reich. Die Folgen sind noch heute sichtbar: Im Norden dominieren bei den Christen die Katholiken, im Süden die Orthodoxen.2 Die albanische Sprache soll zwischen dem VI. und dem IV. Jahrhundert v. Chr. sich aus dem Illyrischen entwickelt haben. Der Begriff "Albaner" wurde erstmals im XI. Jh.von der zeitgenösischen Geschichtsschreibern erwähnt.3 In der Zeit vom X. bis zum XV. Jahrhundert war das Gebiet Streitobjekt zwischen dem ersten Bulgarischen Reich, dem Serbenreich, dem Depotastat von Epirius und dem Königreich Neapel. Die im XV. Jahrhundert rasch fortschreitende Eroberung des Balkanraumes durch die Osmanische Reich, brachte auch für die Albaner eine fast fünf Jahrhunderte währende Periode der
Fremdherrschaft.
Dem heutigen Nationalhelden Albaniens, Fürst Gjergj Kastrioti (140568), bekannt als Skenderbeg, gelang es 1444, die Albaner erstmals zu vereinen und die eindringenden Osmanen abzuwehren. Der Heldenkult von Skenderbeg (Skënderbeu) wurde ein Leitmotiv der albanischen Nationalbewegung für zahlreiche literarische, 1 vgl. Arben Puto/Stefanaq Pollo: The History of Albania. From ist Origins to the present Day. London, 1981 2 vgl. Muzafer Korkuti et al.: Archäologische Albanien ( im orig. Shqipëria Arkeologjikë ). Tirana 1971 s. 4ff. 3 vgl. Claus Haebler: Der Weg des albanischen zur Nationalsprache. in: Christian Hannick (Hrsg.) Sprachenund Nationen im Balkanraum. Böhlau, Wien 1987 S.77-101
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historische und politische Schriften. Außerdem seine Legende ist stark mit dem nationalen Identität und Nationalenstolz der Albaner verbunden. Nach dem Tod Skenderbegs 1468 fiel das gesamte Land an das Osmanische Reich. Viele Albaner flüchteten nach Italien, wo auch heutzutage einige sogenannte Arbëresh Dörfer existieren. Die grossteil der verbleiebenen Albaner konvertierten sich mit der Zeit zum Islam, und spätestens im 17. Jahrhundert waren die Muslime in der Mehrheit. Das führte dazu, dass nicht wenige Albaner Karriere in der osmanischen Verwaltung und im Heer machten.4 An der Wende zum 19. Jahrhundert versuchte der albanische Grossgrundbesitzer Ali Pascha von Tepelena eine vom Sultan unabhängige Herrschaft zu begründen. Auch die mächtige Familie Bushati schuf sich in der Region um Shkodra Anfang des 19. Jahrhunderts ein halbautonomes Gebiet, das die Osmanische Reich erst im Zuge der TanzimatReformen wieder unter ihre Kontrolle brachte. Im Jahre 1865 teilte die osmanische Regierung das albanische Siedlungsgebiet auf vier Vilayets auf: Shkodra, Ioannina, Monastir und Kosova. Diese administrative Neuordnung verärgerte die nordalbanischen Stämme, die befürchteten, ihre Selbstverwaltung und Steuerfreiheit zu verlieren, es kam zu mehreren gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die schlechte Sicherheits und Wirtschaftslage trieb viele Albaner in die Emigration.5 Erst in dieser Zeit begann bei den Albanern, beeinflußt von der verschlecherten politischen und sozialen Verhältnisse und als Reaktion auf die anderen südosteuropäischen Nationalismen, sich ein albanisches Nationalbewusstsein zu entwickeln. Vorwiegend die Intellektuellen in Diaspora und die Geistliche der
4 vgl. Peter Bartl : Albanien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 1995 5 ebd. 6
unterschiedlichen Bekenntnisse spielten eine wichtige Rolle bei der albanischen Nationsbildung. Mit der zunehmenden Einflußnahme der Großmächte Österreich und Rußland auf dem Balkan und dem Schwächung des Osmanischen Reich in Südosteuropa, sahen die Balkanvölker die Chance zur politischen Unabhängigkeit von den Osmanen gekommen zu sein. Anfang des 19. Jahrhunderts kam es zu heftigen Volksaufständen im ganzen Balkan, die aber von den Osmanen bald niedergeschlagen wurden.
3. Die Entstehung der albanischen Nationalbewusstsein Wie schon oben erwähnt, seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts begann bei den Albanern der Prozeß einer nationalen Renaissance, bekannt auch als „Rilindja“ (Wiedergeburt). Die großenteils von den anderen nationalen Bewegungen in Europa beeinflußt wurde. Aber auch die Entwicklungen in der osmanischen Reich, vor allem aber die sogennanten Tanzimat Reformen, hatten die soziale und politische Verhältnisse in der albanischen Gebiete (Vilayet´s und Paschallaks) deutlich verschlechtert und die unzählige Aufstände verursacht. Die Ideale der Rilindja wurden hauptsächlich durch die im Ausland lebenden Albaner oder albanischstämmige einflußreiche Intellektuelle und Politiker, verkörpert.6 Für weitere Kreise der albanischen Elite wurde die nationale Frage zum ersten Mal im Zusammenhang mit der sogennanten Balkankrise und dem Vertrag von San Stefano von 1878 evident, wobei diese Friedensdiktat hätte Teile des albanischen Siedlungsgebietes unter die Herrschaft Bulgariens und Montenegros gestellt. Im Frühjahr 1878 bildeten einflussreiche Albaner in Istanbul ein geheimes Komitee um 6 Johannes Faensen: Die albanische Nationalbewegung. Wiesbaden 1980 s.3f. 7
den Widerstand ihrer Landsleute zu organisieren. Auf Initiative dieses Komitees kamen am 10. Juni 1878 über 80 Delegierte aus den vier Vilayets mit albanischer Bevölkerung in Prizren zusammen. Sie bildeten als ständige Organisation die von einem Zentralkomitee geleitete >Liga von Prizren<, deren Ziel war es, Truppenverbände zu bilden, die das albanische Siedlungsgebiet gegen die Ansprüche fremder Mächte verteidigen sollten. Dafür zog sie auch die Steuererhebung an sich. Des weiteren erstrebte die Liga, die Bildung eines autonomen albanischen Verwaltungsbezirks innerhalb des Osmanischen Reiches.7 Diese Organisation war die erste politische Bewegung der Albaner die nicht nur eine nationale Programm besass, sondern erstmals auch die Idee der Gründung eines albanischen Staates in Betracht gezogen hat, wenn auch urspünglich in Form eines Autonomesgebiet innerhalb der Ottomanischen Reiches. “Die Liga verlieh ihren Forderungen auf zweierlei Weise Ausdruck: einerseits mit der Waffengewalt ihrere eigenen Streitkräfte, anderseits durch Appelle an die in Berlin versammelten Vertreter der Grossmächte.”8 Die konzeptuelle Unterschiede und diverse Forderungen von Mitglieder der Liga, sowie die konfessionellen Gegensätze und patriarchalischen Sozialstrukturen der einzelnen regionalen Fürstentümer schwächten massgeblich die Aufständischen. Nach einer diplomatischen und politischen Druck seitens der Grossmächte auf die Osmanen, die letzteren unternahmen eine militärische Offensive gegen der albanischen Widerstand und besiegten sie schliesslich. Obwohl der Liga nach 1881 Aufgelöst wurde, die albanische Bestrebungen und die Ereichung dieser Ziele waren nicht ganz verschwunden.9 So schreibt Kohl und Libal: 7 Zuzana Finger: Die albanische Nationsbildung. in; Österreichische Osthefte. Jg.45, Wien 2003 s.136f. 8 ebd. S.137 9 so etwa in Stadt Peja (im Kosovo) im Jahre 1899 wurde die albanische Liga als >Liga von Peja< wieder zum Leben erweckt, mit dem Ziel die albanische Siedlungsgebiet in Mazedonien zu verteidigen. Siehe: Schmidt
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„Die Liga von Prizren war zwar geschlagen, aber in die von Albanern Gebiete des Osmanischen Reiches kehrte keine Ruhe mehr ein.“ 10 Es ist wichtig hier zu erwähnen, daß eines der Ligaführer war Abdyl Frashëri, der älteste Bruder von Sami und daß, das politische Programm der Liga von Sami Frashëri stammte. Nach der militärischen Niederlage und der Auflösung der Liga, die albanischen Zielsetzungen auf dem Wege einer Bildungs und kulturellen Emanzipation erreicht werden sollten.
Im Ausland entstanden albanische
Vereinigungen, Stiftungen, Brüderschaften und Zeitungen zur Findung und Stärkung einer nationalen Identität. In südalbanische Stadt Korça wurde 1887 die erste Schule mit albanischer Unterrichtssprache eröffnet, und in dieser Periode unzählige Bücher, Zeitungen und Flugblätter veröffentlicht.11 Der Kampf um nationale Befreiung also verlief auf eine kulturelle Ebene und setzte sich fort mit verschiedenen Mitteln. Das nationale „Erwachen“ der Albaner, das unter Bezeichnung Rilindja Kombëtare (Die Nationale Wiedergeburt12) bekannt ist, wie auch Haeberle feststellt „war nur Teil jenes geschichtlichen Prozesses, der zur Entstehung der balkanischen Nationalstaaten und damit zugleich zum Zerfall des Osmanischen Reiches auf dem Balkan führte.“13 Die Gründe für die Entstehung und die Entwicklung der albanische Nationalismus ist teilweise auch als Reaktion auf die Privilegienverluste die in dem osmanischen Reich besaßen, zurückzuführen.14
op.cit., S.88 10 Christine von Kohl / Wolfgang Libal: Kosovo - Gordischer Knoten des Balkan. Wien, Zürich, Europaverlag. 1992., S.31 11 ebd. S.139f. 12 Bartl op.cit.,: „Der Terminus, der auch von anderen Balkanvölkern verwandt wird [...], ist ein Produkt romantischer Geschichtsschreibung und zumindest bei den Albanern nicht ganz berechtigt. Wiedergeburt setzt nämlich Geburt voraus, also die Existenz eines albanischen Staates [...].“ S. 92 13 Haeberle op.cit., s.86 14 siehe dazu eine ausführliche Abhandlung über das albanischen Einfluß in die und die gegenseitige Beziehungen mit der osmanischen Staat in: Nuray Bozbora: Albanien und die albanische Nationalismus in der osmanischen Reich. (im orig. Shqiperia dhe nacionalizmi shqiptar ne Perandorine Osmane.) Tiranë, 2002
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4. Der Kampf um Staatlichkeit Albaniens
In dem XIX ten Jahrhundert befand sich das Osmanische Reich in einem Transformationsprozess, der mit der prekären politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Lage zusammenhing. Dabei wurde diese Transformation auch von der europäischen Modernisierung und Industrialisierung beeinflusst oder erzwungen. Auch das Verwaltungssystem von Millets15, das die Reichsangehörigen aufgrund der Religion geteilt hatte, begann sich nun in eine neue Realität umzuwandeln: es begannen sprachliche und kulturelle Kriterien für eine persönliche oder kollektive Identität zu gelten. Bis daher gehörten die albanischen Muslime dem gleichen Millet an wie die Türken, während etwa die albanischen Orthodoxen dem gleichen Millet angehörten wie die Griechen und Serben.16 Die Albaner, insbesondere ihre nicht allzu große Elite, fühlte sich in dieser politischen Situation und in der entstehenden neuen balkanischen Staatenwelt langfristig bedroht und sahen ihre nationale Existenz in eine Notlage hingestellt zu sein. Die albanische nationalistische Elite, die sich überwiegend aus patriotisch gesinnten Beamten, Kaufleuten und Gelehrten aus Ausland bestand, versuchte einerseits durch die literarische, historische, ethnographische usw. Werke bei den Albanern die Heimatgefühle so zu erwecken und anderseits durch Einflüsse in der osmanischen Politik eine Art Autonomie für die albanische Siedlungsgebiete zu erreichen. Die revolutionäre Bewegung der Jungtürken später, die sich den Idealen der Französischen Revolution verpflichtet fühlte, war „von Anfang an in vorderster Front
15 Millet- Konzept in das osmanische Verwaltungssystem definierte die Gemeinschaften auf religiöse und nicht auf sprachliche oder kulturelle Kriterien. Vgl. Bozbora op.cit., s.14f. 16. siehe mehr dazu. Edgar Hösch: Geschichte der Balkan-Länder: Von der Frühzeit bis zur Gegenwart. München 1999
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von albanischen Intellektuellen – zumeist hohe türkische Verwaltungsbeamte – mitgetragen worden.“17 Die politischen Ziele gingen in Richtung Autonomieforderung, wobei es hier Meinungsunterschiede und Spaltungen zwischen dem Vertreter von Norden und Süden, radikale und moderate Geistliche, Auslands und Inlandsalbanern gab. An diese Uneinigkeit ist 1889 auch die Liga von Pejë gescheitert, die ein neuer Versuch war die nationale und politische Führung zu organisieren um für nationale Sache zu engagieren.18 Die damalige albanische intellektuellen Elitenschicht, die als Vertreter von Nationalbewegung zählen, entwickelten anfangs einen romantischen und Sprachnationalismus, und erst in spätere Phase auch einen Staatsnationalismus, der sich jedoch stets in Kombination mit der sprachlichen und kulturellen Kriterien hervortrat. Eine besonders wichtige Rolle und Funktion unter ihnen nahm der Intellektuelle und politischer Aktivist Sami Frashëri, türkisch auch als Semseddin Sami bekannt, ein. Er zählte zu den herausragenden Ideologen der Rilindja und wurde zu den wichtigsten und einflussreichsten Befürwortern der Idee eines unabhängigen albanischen Staates. 5. Das Leben und Werke Sami Frashëris
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Sami Frashëri wurde im Jahre 1850 geboren und war jüngster der drei bedeutenden Brüder (Naim und Abdyl) Frashëri aus einer wohlhabenden Feudalfamilie in Janina/Ioannina (Nordgriechenland), wo er auch das griechische Gymnasium 17 Bernhard Tönnes, Sonderfall Albanien, S.249 18 vgl. Finger op.cit., S.141 19 Über seine Biographie beziehe mich hauptsächlich auf die Werke von; Ismajli (1995), Elsie (2001) und aus dem Vorwort von seiner Hauptwerk Albanien- was war, was ist es, was wird es werden? (alb. Shqipëria - ç’ka qëne, ç’është e çdo te bëhetë) (1. Aufl. 1899, Bukarest), Libri shkollor, Prishtinë, 2003
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Zosimea besuchte. Im Jahre 1871 wurde er Beamter in der Vilayet Kanzlei von Ioannina, bevor er 1872 weiterhin im osmanischen Staatsdienst nach Istanbul zog, um eine Stelle bei der Pressedirektion anzunehmen. Im Juni 1874 reiste Sami Frashëri für neun Monate nach Tripolis, wo er die arabisch und türkischsprachige Vilayet Zeitung „Tarabulus“ leitete. 1876 kehrte er zurück in Istanbul wo er die Zeitschrift „Der Morgen“ (türk. Sabah) leitete, sowie später war er Redakteur mehrere türkischen Zeitungen und Zeitschriften. Sami Frashëri als Publizist und Schriftsteller war Verfasser von ca. 50 Veröffentlichungen und von zahlreichen Zeitungsartikeln. Im Jahre 1877 wurde Sami Frashëri fünf Monate lang Sekretär der Militärkommission von Janina unter Abedin Pascha. Im Herbst 1877 war er Herausgeber der türkischsprachigen Tageszeitung ‘Dolmetscher des Ostens’ wurde, in der seine Kommentare zu den Ereignissen der Tages und Weltpolitik zunehmende Beachtung fanden. Hier nutzte er die Gelegenheit, die Wünsche und Forderungen der albanischen Minderheit im Reich publizistisch bekannt zu machen. Zwischen den Jahren 1882 und 1902 veröffentlichte er sechs Lehrbücher in türkischer und arabischer Sprache. Im Jahre 1872 veröffentlichte Sami Frashëri einer der ersten Roman der modernen türkischen Literaturgeschichte „Die Liebe von Tal’at und Fitnat“ sowie ein Theaterstück „Besa oder die Erfüllung des gegebenen Wortes“, das im Jahr 1874 im osmanischen Theater in Istanbul aufgeführt wurde. Er war auch bedeutender Lexikograph, unter anderem Verfasste er das „FranzösischTürkische Wörterbuch“ und ein „TürkischFranzösische Wörterbuch“ in Istanbul 1882 bzw. 1883. Sowie sein in zwei Bänden erschienenes und heute noch geschätztes „Türkisches Wörterbuch,“ in den Jahren 19001901. Diese wurde 1932 von der Türkischen Philologischen Gesellschaft als Grundlage für die zeitgenössische türkische Schriftsprache herangezogen.
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Er gilt als Begründer das albanische Alphabet und war auch Vorsitzender der Gesellschaft für den Druck albanischen Schrifttums. Nach dem Verbot ihrer Tätigkeit verlegte die Gesellschaft ihren Sitz nach Bukarest. Hier erschienen auf albanisch Schulbücher von Sami Frashëri wie „Fibel der albanischen Sprache“ (alb. Abetare e gjuhësë shqip), 1886, und „Geographie“ (alb. Dheshkronjë), 1888. Bei seiner „Grammatik der albanischen Sprache“ (alb. Shkronjëtore e gjuhësë shqip), 1886, handelte es sich um die erste albanische Schulgrammatik. Sami Frashëris Hauptwerk und für die albanische Nationalbewegung von größter Bedeutung war sein politisches Manifest „Albanien was war, was ist es, was wird es werden?“ (alb. Shqipëria ç’ka qëne, ç’është e çdo te bëhetë), mit dem wir in den nächsten Kapitel etwas näher auseinandersetzt werden. Nach langjährigem politischem und intellektuellem Engagement für die albanische Frage, starb er im Alter von 54 in osmanischer Hauptstadt, wo er mit seine Frau und fünf Kinder letzte Tage seines Lebens verbrachte. Mit ihm und seine Werke wuchs zum ersten Mal eine Generation albanischer Intellektueller heran die, ihr Tätigkeit und ihre Energie gänzlich der albanischen Heimat widmeten. Es ist bemerkenswert, dass sowohl Sami Frashëri und seine Brüder als auch die meisten Vertreter der Nationalbewegung lebten zwar in den osmanischen und europäischen Zentren und hatten eine kosmopolitische Weltanschauung, verstanden sich aber als Angehörige der albanischen Gemeinschaft primär wegen ihrer Herkunft. Für sie waren gemeinsame Sprache, Abstammung und Erinnerungen zentrale Elemente und Voraussetzungen für nationale Identität.
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6. Der Frashëris Staatsbegriff Obwohl Sami Frasheri seine politische Vorstellungen mehrmals in unterschiedlichen Zeitungsartikeln und Bücher geäußert hat, sein Konzept vom einen künftigen Staat, hat er in obenerwähnten und seinen berühmtesten Werk am besten formuliert. „Albanien was war es, was ist es, und was wird es werden“ mit den Untertitel „Gedanken zur Rettung des Mutterlandes von den Gefahren, die es umgeben“ wurde erstmals mit dem Anonymen Autor im Bukarest im Jahre 1899 publiziert und einige Jahre später auch in türkischer, griechischer, französischer, italienischer sowie in deutscher Übersetzung veröffentlicht wurde. Diese Schrift wurde auf eine Art und Weise Manifest der albanischen Nationalbewegung, und seine Botschaft stellte die Ideale der Rilindja Vertreter dar. Das Werk zählt zu den wichtigsten und am besten formulierten Veröffentlichungen der Rilindja, und ist wohl über den albanischen Bereich hinaus eine der herausragenden politischen südosteuropäischen Schriften dieser Periode. In diesen politischen Manifest wurde erstmals die Forderung erhoben, einen albanischen Nationalstaat zu errichten Im ersten Teil gibt Frashëri eine Geschichtsdarstellung Albaniens, begonnen von der Antike bis zu das Mittelalter bzw. bis zu den Zeit Skanderbegs, dem er hier als ein
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beispielhaften Held und Patriot darstellt. Die Vergangenheit der Albaner hat, nach ihm, eine lange und sehr reiche Kultur und Tradition. die beinahe werden, wodurch ihr Nationalstolz erweckt werden soll. Er hat die Geschichte der Albanern hochstilisiert, indem er schreibt, daß sie als Nachfahrer der Pelasgen und Illyrer seien das älteste Volk in Europa, hätten als erste Häuser gebaut und Äcker bestellt und den gesamten Südosteuropa bewohnt. In diesem Kapitel Frashëri skizziert auch die wichtigsten Eigenschaften der albanischen Nation: historisches Territorium, gemeinsame Abstammung, Erinnerungen, Sprache, Kultur, öffentliche Kultur, Wirtschaft, Rechte und Aufgaben für die jeweiligen Angehörigen.20 Er mythisiert teilweise die Vergangenheit, die ihm dazu diente um den Nationalstolz und Nationalbewußtsein der Albaner zu erwecken. Ganz in der Tradition der Deutschen Romantiker, die er durch ihre Werke sehr gut kannte, nütz er die besagten Eigenschaften als Anstöße um die Eigenständigkeit Albaniens zu begründen. Im zweiten Teil schildert er die gegenwärtige Situation der Albaner, die unter ungerechter Besteuerung, Anarchie und Korruption mehr als die anderen Völker des Osmanischen Reiches zu leiden hätten.
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Im Unterschied zu ersten Teil, die aus
heutiger Sicht nahezu pathetisch klingt, hier erstellte er eine realistische und interessante Analyse geopolitischer Umständen des Balkans damaliger Zeit. Er vertritt hier die These, daß die Albaner sollten Bewußt werden, daß die Nachbarnländer sobald sie die Chance ergreifen die albanische Gebiete zerstückelt werden, daher müßten sie rasch die nationale Einheit erreichen und einen Unabhängigen Staat gründen. Er illustriert seine Furcht mit dem Metapher der Raubfische wonach: „Die Nationen sind wie die Raubfische, die einander fressen. Arm sei derjenige der schwach ist!“22 20 S. Frasheri op.cit., s.13-38 21 ebd. S.39-68 22 ebd. S.53 15
Im dritten Teil, der den Schwerpunkt der Programmschrift bildet, wird die Zukunft der Albaner beschrieben: Albanien sei in Gefahr, aufgeteilt zu werden; ein Zusammenschluß der Albaner ohne Rücksicht auf Religion und ein Ende der Blutfehden seien notwendig, um Albanien vor dem Untergang zu bewahren.23 Er verglich den „kranken Mann am Bosporus mit einem Ertrinkenden, der den gesunden Schwimmer mit sich hinunterzieht“. Der Schwimmer „muß, um sein eigenes Leben zu retten, sich vom anderen, der ihn mit sich zugleich zu ertränken droht, zu befreien suchen, indem er ihn mit einem kräftigen Fußtritt in die Tiefe des Meeres hinabstößt“24. Frashëri beschreibt die Grenzen des zukünftigen Albaniens und macht sich Gedanken um den Aufbau des neuen Staats, des Bildungswesens, einer autokephalen Kirche, der Landwirtschaft und der Industrie. Es wird hier nicht einfach die Idee vertreten, daß eine Nation nur frei sein könne, wenn sie ihren eigenen Staat besitzt. Frashëri erarbeitet vielmehr ein ausführliches, westeuropäisch modernes Konzept für Albanien auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene: Er sah Senat, Parlament, Regierung, Militär, Bildungs, Wirtschafts, Landwirtschafts und Handelseinrichtungen sowie weitere öffentliche Institutionen vor. Als Grundkonzept für Albanien sah Sami Frashëri einen anti monarchistischen, demokratischen Staat nach westlichem (in die erste Linie französischen) Vorbild. Diese Forderung nach Unabhängigkeit war neu und für die damalige Zeit auch bei der vielen Albanern nicht gerade ein selbstverständliche Gedanke, denn die Angst vor den feindlichen und aggressiven Absichten ihrer griechischen, serbischen und montenegrinischen Nachbarn, denen sie im Kriegsfall unterlegen wären, war sehr groß. Viele historische Angaben sprechen dafür, dass Albanisches Nationalgefühl 23 ebd. S. 69-115 24 ebd. S. 71 16
sich eher im Sinne einer von außen bedrohten Schicksalsgemeinschaft entwickelte als im Verständnis eines aufgeklärten Bürgerbewußtseins. Im Wesentlichen Sami Frashëris Vermächtnis und Beitrag, daß die Idee der albanischen Unabhängigkeit durchaus denkbar war, konnten ihm charakterisieren als der wichtigsten albanischen Staatsdenker. Obwohl, er die Unabhängigkeit Albaniens nicht erlebt hatte, die acht Jahre nach seiner Tod proklamiert wurde.
7. Zusammenfassung Im Osmanischen Reich kamen 1908 die “Jungtürken” an die Macht, die dann versuchten, dieses Reich mit einer nationalistischtürkischen Politik zu retten. Die letzten Jahre der osmanischen Herrschaft waren durch zahlreiche albanische und andere balkanische Aufstände gekennzeichnet. Diese Aufstände waren aber nicht 17
nur gegen Osmanen gerichtet sondern führten auch zu Konflikte zwischen Balkanvölkern. Der Prozeß der Eigenstaatlichkeit Albaniens wurde wegen mehrere Faktoren behindert, erstens durch die Hegemonieansprüche der damaligen Großmächte, insbesondere Italiens und ÖsterreichUngarns, und durch die Territoriale Ansprüche Griechenlands, Serbiens und Montenegros, zweitens aufgrund das Fehlen einer politikfähigen und aufgeklärten Elite die eine Ausprägung staatlicher Vorstellungen und Werte erschwerte. Es erscheint somit angebracht, den wechselseitigen Zusammenhang von äußeren und inneren Faktoren für dieses Ansinnen in Betracht zu ziehen. Die damalige winzige Elite befand sich gefangen in einem Spannungsverhältnis zwischen einer Stammestradition und der liberalen Tendenzen. Selbst Frashëri der als ganz wenige Republik als eine Staatsform befürwortete, hat eine Art von „Stammesdemokratie“ propagiert. Das Fehlen eines gemeinsamen Staatsbegriffs war aber nicht der alleinige Grund für den Mangel an Staatlichkeit, sondern geteilt in vier administrativen Einheiten (Vilayets), gab es auch kein politisches und nationales Zentrum, die als Hauptstadt in dem neuen Staat agieren könnte. Dennoch ist es bleibendes sein und der Rilindja Verdienst, dass die kulturell-geistige Formierung schließlich in die Ausprägung des albanischen Nationalgefühls hinüberwuchs, das die politisch-staatliche Emanzipation einschließt. In langwierigen Bemühungen und der ständigen Suche nach Verbündeten für dieses Ansinnen gelang es der nationalen Obrigkeit, die Staatlichkeit Albaniens zu erreichen. Am 28. November des Jahres 1912 in Stadt Valona (Vlora) trat eine albanische Nationalversammlung zusammen, der sich aus 37 Delegierten aus allen Landesteilen zusammensetzte. Die Erklärung der Unabhängigkeit und Bildung einer provisorischen Regierung bildeten den Auftakt zur angestrebten Souveränität. 18
Die 1912 ausgerufene Unabhängigkeit Albaniens blieb ein Teilstaat, weil die Hälfte der ethnischen Albaner sowie deren Siedlungsräume außerhalb der Grenzen dieses neuen Staates verblieb. Es fällt außerdem schwer, vom Albanien dieser Zeit als von einem wirklichen Staat zu sprechen. Das Land war von Armut und einer tiefen inneren Zerrissenheit geprägt, sowohl sozial als auch religiös, und wurde von wenigen Stammesführern und Großgrundbesitzern dominiert.
8. Literaturverzeichnis 19
Bartl, Peter: Albanien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg, Verlag Friedrich Pustet 1995
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Haebler, Claus: Der Weg des albanischen zur Nationalsprache. in: Christian Hannick (Hrsg.) Sprachen und Nationen im Balkanraum. Böhlau, Wien 1987
Hösch, Edgar: Geschichte der BalkanLänder: Von der Frühzeit bis zur Gegenwart. München 1999
Kohl, Christine von/ Libal, Wolfgang: Kosovo Gordischer Knoten des Balkan. Wien, Zürich, Europaverlag. 1992
Korkuti, Muzafer et al.: Archäologische Albanien (alb. Shqipëria Arkeologjikë). Tirana 1971
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Möller, Peter: Staat und Staatsphilosophie. in: http://www.philolex.de/philolex.htm
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Puto, Arben / Pollo, Stefanaq: The History of Albania. From ist Origins to the present Day. London 1981
Tönnes Bernhard: Sonderfall Albanien Ort. Enver Hoxhas „eigener Weg“ und die historischen Ursprünge seiner Ideologie. München 1980
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