Wetteborn: Inszenierungsstrategien In Kriegsfilmen

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Institut für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften

Inszenierungsstrategien in Kriegsfilmen Destrukturierung in Vietnamkriegsfilmen

Bachelorarbeit im Studiengang „Medienbildung: Visuelle Kultur und Kommunikation“

Stefanie Wetteborn Matrikelnummer: 173270

Magdeburg, August 2008

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Inhalt 1. Einleitung ........................................................................................................ 4 2. Genre Kriegsfilm ............................................................................................. 6 2.1 Definition des Genres................................................................................................ 6 2.2 Funktionsweisen von Kriegsfilmen......................................................................... 13

3. Interpretationshypothese .................................................................................17 4. Vorstellung der Untersuchungsmethode..........................................................18 4.1 Vorgehensweise bei der Filmanalyse ...................................................................... 18 4.2 Vorgehensweise bei der Filmauswahl ..................................................................... 19 4.2.1 Vietnamkrieg und seine Besonderheit ............................................................. 19 4.2.2 Begründung der Wahl von Vietnamkriegsfilmen............................................ 21 4.3 Begründung der Filmauswahl ................................................................................. 23 4.4 Begriffsklärung „Destrukturierung“........................................................................ 24

5. Filmanalysen ..................................................................................................25 5.1 Platoon .................................................................................................................... 25 5.1.1 Entstehungsgeschichte des Films .................................................................... 25 5.1.3 Historischer Hintergrund ................................................................................. 26 5.1.4 Narrationsstruktur ............................................................................................ 27 5.1.5 Stilistische Gestaltungsmittel .......................................................................... 31 5.1.6 Auswertung ..................................................................................................... 36 5.2 Full Metal Jacket .................................................................................................... 44 5.2.1 Entstehungsgeschichte des Films .................................................................... 44 5.2.2 Historischer Hintergrund ................................................................................. 45 5.2.3 Narrationsstruktur ............................................................................................ 46 5.2.4 Stilistische Gestaltungsmittel .......................................................................... 50 5.2.5 Auswertung ..................................................................................................... 55

6. Vergleich Platoon und Full Metal Jacket ........................................................63 7. Fazit ...............................................................................................................69 8. Quellen ...........................................................................................................78 8.1 Literaturquellen ....................................................................................................... 78 8.2 Internetquellen ........................................................................................................ 80

9. Anlage ............................................................................................................82 9.1 Filmdaten ................................................................................................................ 82

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9.1.1 Platoon ............................................................................................................ 82 9.1.2 Full Metal Jacket ............................................................................................. 83 9.2 Sequenzprotokoll .................................................................................................... 83 9.2.1 Platoon ............................................................................................................ 83

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1. Einleitung Kriege sind schon immer Gegenstand von Erzählungen gewesen. Fast jeder historisch bedeutsame Krieg oder folgenschwere militärische Konflikt hat seine direkte oder indirekte Darstellung im Medium Film gefunden. Auch wenn die Darstellbarkeit oder Nichtdarstellbarkeit stets diskutiert werden, haben Regisseure allezeit versucht, Kriege filmisch aufzuarbeiten. Auf Grund der im Krieg immanenten physischen und psychischen Bedrohungen, bot sich dieser schon immer an, um eine dramatische Erzählstruktur entstehen zu lassen. Der Krieg schafft eigene Gesetze und Regeln und bricht mit den moralischen Konventionen

des

Alltagslebens.

Dabei

stellt

er

absolute

moralische

Vorstellungen in Frage, die Grenzen zwischen Richtig und Falsch, Gut und Böse verschwimmen (vgl. Mikos, 2004, S.132). So verändert er die Weltanschauung und spielt auf besondere Weise mit den Gefühlen jedes Einzelnen. Das alltägliche Verständnis der Welt setzt aus und routinierte Handlungsweisen können in einer Kriegssituation möglicherweise zum Tode führen (vgl. Mikos, 2004, S.132). Krieg macht die Befriedigung normaler menschlicher Bedürfnisse nach Nahrung, Sicherheit und Liebe schwer, bis unmöglich. Emotionale und kognitive Unsicherheit stellt sich ein, das alltägliche Funktionieren der Welt ist nicht mehr sichergestellt (vgl. Mikos, 2004, S.132). Dies ist erschreckend und faszinierend zugleich. Das Chaos des Krieges, seine Zerstörungskraft, Gesetzlosigkeit und seine Orientierungslosigkeit finden in den Gewaltdarstellungen in Kriegsfilmen ihre Abbildung. Diese Darstellungen erschrecken einerseits, auf Grund ihres Gewaltpotentials und der visualisierten Konsequenzen auf den menschliche Körper, andererseits faszinieren sie aber auch, weil sie tragische menschliche Schicksale, aber auch Gefühle wie Liebe, Hass und Angst aufgreifen und um ein Vielfaches verstärken. Die Emotionalisierung des Zuschauers erfolgt über die direkte physische und psychische Gewalt an den Menschen. Um dem Anspruch auf möglichst realistische Darstellung im Kriegsfilm gerecht zu werden, setzen die Filmemacher verschiedene

Visualisierungstechniken

ein.

Die

Authentizität

in

der

Kriegsdarstellung kann sowohl durch Kameraästhetik (Kameraperspektive, 4

einstellung, -position und -fahrt) als auch durch die Montage, Sprache, Musik, Ton, die narrative Struktur und den Einsatz von realen Schauplätzen erzeugt werden. Mein Ziel ist es, mich mit formatspezifischen Strategien der Inszenierung von Kriegsgeschehen auseinanderzusetzen.

Zuerst definiere ich den Begriff Kriegsfilm und erläutere die Merkmale des Genres in Abgrenzung zu ähnlichen Filmgenres und gehe auf unterschiedliche Wirkungsweisen von Kriegsfilmen ein. Als nächstes gehe ich auf mein Forschungsthema ein und formuliere meine Interpretationshypothese. Im Anschluss daran stelle ich meine Untersuchungsmethode vor, erläutere meine Vorgehensweise

bei

der

Filmanalyse,

meine

Vorgehensweise

bei

der

Filmauswahl, die ich auch begründe und kläre dann den Begriff der „Destrukturierung“. An die Vorstellung meiner Untersuchungsmethode schließen sich die Analysen der Filme Platoon und Full Metal Jacket an, um sie im nächsten Schritt hinsichtlich meiner Interpretationshypothese miteinander zu vergleichen und den Vergleich auszuwerten.

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2. Genre Kriegsfilm 2.1 Definition des Genres Schlachtenszenarien und Kriegsgeschehen sind seit der Entstehung des Mediums Film fundamentale und genreübergreifende Bestandteile der Erzählungen (vgl. Klein, 2006, S.9). Dabei sind Kriegsfilme als mediale Reflexionen moderner Kriege zu verstehen. Ich beziehe mich in meiner Definition von Kriegsfilm auf diejenigen fiktionalen, nicht dokumentarischen Spielfilme, die kriegerische Auseinandersetzungen seit dem Ersten Weltkrieg zum Thema haben. Ich gehe also von den modernen und technisierten Kriegen aus, deren filmische Reproduktion zum Zeitpunkt ihres Stattfindens schon möglich war und genutzt wurde (vgl. Mikos, 2004, S.130). Die Unterscheidung zu anderen Filmen, die eine Darstellung von Kriegen inne haben, die länger zurückliegen, ist die, dass Filme, wie Der Patriot (USA 2000), der den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg aufgreift, zwar die Ikonografie eines Kriegsfilms zitieren, allerdings eher ein Ereignis der amerikanischen Geschichte mit den Mitteln des Genres Kriegsfilm darstellen. Hier ergibt sich eine Mischung der Genres Historienfilm und Kriegsfilm, die auch auf andere Filme, wie Alexander (USA 2004) von Oliver Stone, zutrifft. Es gibt zahlreiche Hybridformen von Filmen, die einen Krieg zum Hintergrund ihrer Narration haben und typische Handlungsmuster von Kriegsfilmen aufgreifen,

wie

Kriegskomödien,

Kriegsdramen,

Lagerfilme,

Widerstandsgeschichten, Flüchtlingsschicksale oder Spionagefilme (vgl. Klein, 2006, S.11). Deshalb ist es von Bedeutung, für den Kriegsfilm eigene genrespezifische Merkmale zu finden, die ihn von den Filmen trennt, deren erzählerische Standards auch Kriege und Schlachten sind.

Ich erläutere im Folgenden verschiedenen genrespezifischen Gestaltungselemente, die im Kriegsfilm eine wesentliche Rolle spielen.

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Gewaltszenen Ein essentielles Merkmal von Kriegsfilmen ist die explizite Darstellung von Gewalt und Kämpfen zwischen Soldaten. Für Filme, die sich auf die Darstellung von Kampf- und Gefechtsszenen beschränken, kann als genauere Bezeichnung der im Englischen verwendete Begriff Combat Film (englisch für „Kampffilm“) genannt werden (vgl. Klein, 2006, S.11). Für die Gewaltdarstellung sind Kampfund Schlachtszenen zentral. Dabei nehmen Schlachten dramaturgisch eine herausragende Funktion ein, denn sie können beispielsweise der Wendepunkt der Geschichte sein, an dem sich das weitere Schicksal des Helden entscheidet (vgl. Mikos, 2004, S.132). Kampfszenen bergen einerseits höchste brutale und kaltblütige Emotionslosigkeit und andererseits sind sie durch Themen wie Hass, Tod und Gewalt stark emotional besetzt (vgl. Mikos, 2004, S.132). Gerade durch die Darstellung psychischer und physischer Gewalt am Menschen erfolgt eine Emotionalisierung des Zuschauers. So gelingt es dem Regisseur und Autor Michael Cimino in Die durch die Hölle gehen eine Folterszene im Gefangenenlager, in welchem die Gefangenen zum russischen Roulette gezwungen werden durch die realistische Darstellung eines Kopfschusses und der Todesangst der Delinquenten so stark emotional aufzuladen, dass sich der Zuschauer der Bedrohungssituation kaum entziehen kann (vgl. Kladzinski, 2005, S.41). Gewalt kann im Kriegsfilm auch implizit dargestellt werden, denn selbst in der Darstellung der Leiden und Schmerzen der Opfer, die ein Krieg hervorbringt, ist eine Gewaltdarstellung enthalten. Gewalt wird hierbei nicht direkt visualisiert, sondern dem Zuschauer als Ursache der Leiden präsentiert, ist also mittelbar wahrzunehmen (vgl. Mikos, 2004, S.138). Es ist wichtig für die Bewertung von Kriegsfilmen, die Gewaltszenen im Kontext der Handlung und Erzählung des Films zu sehen, denn dieser Kontext strukturiert die Rezeption des Zuschauers. Die Narration des Films wird zu einem großen Teil durch

die

Darstellung

des

Protagonisten,

der

Heldenfigur,

bestimmt.

Gewaltszenen haben innerhalb dieser Narration eine wichtige Funktion, allerdings ist die Funktion je nach Heldentypus unterschiedlich (vgl. Mikos, 2004, S.132).

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Inszenierung des Helden Die soeben erläuterte Gewaltdarstellung im Kriegsfilm geht also einher mit der narrativen Einbindung des Helden in die Geschichte des Films. Verschiedene Inszenierungsweisen sind mit der unterschiedlichen Darstellung von Helden gekoppelt (vgl. Mikos, 2004, S.134). Wie die Helden (ob als Individuum oder in der Gruppe) mit den Erfordernissen des Krieges umgehen, bestimmt deren Entwicklung. In Schlachtszenen ist der Typus des Helden allerdings hintergründig, da hier die immer wiederkehrenden Muster des Actionkinos aufgegriffen werden (vgl. Mikos, 2004, S.134). Der Fernsehwissenschaftler Prof. Dr. Lothar Mikos1 unterscheidet in dem Buch „Krieg in Medien“ drei unterschiedliche Heldentypen, deren Inszenierung die Erzählstruktur der Geschichte mitbestimmen:

I. Der patriotische Held folgt der Logik des Krieges überzeugt und unhinterfragt. Die Geschichte wird meist aus der Perspektive dieses Helden erzählt. Rambo kann als Prototyp für diesen Typus gelten, der ähnliche Eigenschaften hat, wie ein Westerner: Er ist eigenbrötlerisch, schweigsam und vollkommen seiner Mission verschrieben. Der Feind und die Opfer bleiben anonym und werden entindividualisiert (vgl. Mikos, 2004, S.138). Die Narration folgt somit einem eindeutigen Freund-FeindSchema. Ein Beispiel für diese Darstellung des Helden ist auch der Film Die grünen Teufel (USA 1968) mit John Wayne. Hier zeigt sich auch, dass in Zusammenhang mit diesem zum Actiongenre tendierenden Filmen klar die Inszenierung von Männlichkeit steht. Die angewandte Gewalt kann als Mittel zur Darstellung dieser Männlichkeit verstanden werden (vgl. Mikos, 2004, S.135). II. Der durch die Umstände des Krieges moralisch desorientierte Held versucht der Kriegslogik so gut es geht zu folgen, um zu überleben. Seine 1

Lothar Mikos ist Autor, Journalist und Redakteur mit Arbeitsschwerunkten, wie Fernsehtheorie,

Film- und Fernsehanalyse, Gewaltdarstellungen in den Medien oder Rezeptionstheorie und – forschung. Seit 1999 ist er Professor für Fernsehwissenschaft an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg (vgl. Mikos, 2008).

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patriotischen Absichten bleiben eher im Hintergrund. Die Anwendung von Gewalt passiert hier von Seiten des Helden nur dann, wenn es einen Befehl dazu gibt oder wenn das Leben des Helden davon abhängt. Dieser Einsatz wird so gut wie immer mit der persönlichen Konfrontation des Helden begründet und dadurch rationalisiert (vgl. Mikos, 2004, S.136). III. Der zu Desillusionierung und Fatalismus neigende Held versucht trotz der Grausamkeiten des Krieges, Individuum zu bleiben und wendet sich im Erkennen der Kriegslogik von ihr ab. Durch diese Bewusstwerdung findet er zu sich selbst zurück.

Der Logik des Kriegsfilms folgend sind positive Helden solche, die körperlich unversehrt sind und gestärkten aus dem Kampf hervorgehen. Negative Helden hingegen sind die körperlich und moralisch geschwächten Protagonisten (vgl. Mikos, 2004, S.133). Im Gegensatz zu dem unter I. vorgestellten Heldentypus haben die Opfer bei den anderen beiden Heldeninszenierungen ein Gesicht. Ihr Tod ist nicht durch die allgemeinen Umstände der Kriegsführung begründet hinzunehmen, sondern narrativ in den Kontext des Film eingebunden und aus diesem heraus begründet (vgl. Mikos, 2004, S.137).

Identifikationsangebote Bei der Visualisierung von Kriegshandlungen und Gewaltakten geht, liegt der Fokus von Kriegsfilmen klar auf der Darstellung von Männern. Als Protagonisten, die als Einzelkämpfer oder in einer Gruppe auftreten, die sich aus Persönlichkeiten unterschiedlicher sozialer Herkunft und gesellschaftlicher Schichten zusammensetzt, bestimmen sie die Narration (vgl. Kladzinski, 2005, S.42). Die Einstellungen der Gruppenmitglieder zum Krieg, ihre persönlichen Ansichten und Standpunkte werden dann meist in ihrem Verhalten in verschiedenen Situationen sichtbar. Die gefährliche Lage, in der sich die Gruppe befindet, zwingt diese zu Zusammenhalt, der sich in Krisensituationen als überlebenswichtig erweist. Durch die Darstellung so unterschiedlicher Charaktere kann der Kriegsfilm eine hohe Zahl an Identifikationsfiguren bereitstellen. Diese Identifikationen offerieren dem Zuschauer einen gefahrenfreien Raum, in dem

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Problembehandlungen durchgespielt werden können (vgl. Kladzinski, 2005, S.43). Frauen bergen in Kriegsfilmen selten Identifikationspotential, da sie als Identifikationsfiguren kaum angeboten werden. Sie treten als Mütter, Ehefrauen, Krankenschwestern, Opfer oder Prostituierte auf und wenn sie nicht als sexuelle Objekte angesehen werden, stehen sie für Heimat, Geborgenheit und Frieden (vgl. Klein, 2006, S.14).

Gut-Böse-Schema Um dem Zuschauer diese Identifikation zu erleichtern, arbeitet der Kriegsfilm in vielen Fällen mit dem polaren Grundmuster des Freund-Feind- oder Gut-BöseSchemas. Mit Hilfe von festgelegten Merkmalen, wie Mimik, Gestik, einer unsympathischen Physiognomie, dunkler Kleidung und unangemessenem Verhalten, werden dem Gegner negative Eigenschaften zugeschrieben (vgl. Kladzinski, 2005, S.43). Daneben erfolgt eine Entindividualisierung des Feindes in Vietnamkriegsfilmen. Der Feind ist oft anonymisiert und kaum sichtbar. Dies verhindert die Solidarisierung des Zuschauers mit dem Gegner und erleichtert die Solidarisierung mit dem Helden. Eine moralische Rechtfertigung der Gewalttaten, die von dem ersten Heldentypus verübt werden, wird in solcher Art von Kriegsfilmen wenig oder gar nicht differenziert erörtert (vgl. Gottberg, 2004, S.93). Vielmehr kann der Held seine überlegene Kraft und Strategie beweisen, tritt furchtlos auf und hält größte Anstrengungen und Verletzungen aus (vgl. Gottberg, 2004, S.93).

Bilder vom Tod Die Darstellung von Tod auf der Leinwand hat im Laufe der Entwicklung des Mediums Film einen Wandel vollzogen. Der Tod oder tote Soldatenkörper wurde so gut wie nie visualisiert. Dies ist vor allem für Filme signifikant, die während eines Krieges produziert wurden und Propagandazwecken dienten. Eine kriegführende Partei musste die direkte Darstellung der negativen Seiten des Krieges, des Leidens und der Schmerzen vermeiden, um die Kriegsmoral und damit den Rückhalt der Bevölkerung nicht zu gefährden. Nach dem Zweiten

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Weltkrieg nahmen dann Darstellungen des Todes zu (vgl. Kladzinski, 2005, S. 44). Bei der Visualisierung des Todes, ist es wichtig, zwischen dem Tod des Helden und dem des Feindes zu unterscheiden. Der Filmtod es Helden ist oft persönlicher und emotionaler dargestellt als der des Gegners. Das Sterben des Feindes ist eher nüchtern und unspektakulär inszeniert, was wieder verhindert, dass sich der Zuschauer emotional mit dem Bösen verbunden fühlt (vgl. Kladzinski, 2005, S.44). Ein Gestaltungsmittel zur Verdeutlichung der Auffassung, dass im Krieg auf beiden Seiten nur Opfer agieren und das Kriegsgeschehen einen komplexeren Blickwinkel als das Gut-Böse-Schema erfordere, ist die zumeist unspektakuläre und nüchterne Darstellung des Todes einer Identifikationsfigur, des Protagonisten beispielsweise oder aber die hoch emotionale Darstellung des Todes eines Feindes.

Schauplätze Die Schauplätze, an denen ein Film spielt, bestimmen maßgeblich die Dramaturgie und sind wie die Inszenierung des Helden und die Darstellung des Feindes ein ikonographisches Merkmal von Kriegsfilmen. Typische Settings im Kriegsfilm sind beispielsweise Schützengräben mit Maschinengewehrstellungen und Unterständen oder von Leichen und Stacheldraht übersäte und von Bombenkratern zerfurchte Schlachtfeld zwischen feindlichen Stellungen. Genretypische Inszenierungsräume, die die Destruktionskraft der Waffengewalt am eindrucksvollsten darstellen, sind Landschaften und die Natur. Die Zerstörung und Ausrottung als die Bestimmung von Kriegstechnologie wird durch die Darstellung im starken Kontrast zu einer prosperierenden Naturumgebung besonders bekräftigt, wie beispielsweise in den Bildern des brennenden Palmenwalds in Francis Ford Coppolas Apocalypse Now (USA 1979) (vgl. Kladzinski, 2005, S.41). Sonderformen des Kriegsfilms und Phänomene des Krieges sind dabei an die Schauplätze gebunden und wirken sich auf die Gestaltung der Filme aus (vgl. Klein, 2006, S.13).

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Für den Vietnamkrieg ist das Setting des Dschungels charakteristisch. Er steht für die Unübersichtlichkeit des Geländes, die Orientierungslosigkeit durch fehlende Anhaltspunkte, die Fremdheit der landschaftlichen Gegebenheiten und die Gefahr, die vom fast unsichtbaren Gegner ausgeht (vgl. Klein, 2006, S.14). Für Kriegsfilme, die sich auf den Kampf in der Wüste beispielsweise konzentrieren,

sind

Aspekte

wie

weite

Distanzen,

Hitze,

Durst,

Orientierungslosigkeit und Sonne maßgeblich an der Formung der Geschichte beteiligt (vgl. Klein, 2006, S.14).

Motive Kriegsfilme arbeiten mit einer Vielzahl von Motiven, die als wiederkehrende Muster herauszulesen sind. Kameradschaft, Männlichkeit und Zusammenhalt nehmen dabei eine spezifische Rolle ein. Dabei ist ein Motiv beispielsweise der innere Konflikt der Gruppe, die sich

aus

unterschiedlichen

und

auch

gegensätzlichen

Persönlichkeiten

zusammensetzt. Diese zum Beispiel hierarchischen Konflikte können den Kampf gegen den Feind erschweren und die Gruppenmitglieder psychisch belasten (vgl. Klein, 2006, S.15). Ein Motiv kann auch die Eingliederung eines neuen unerfahrenen Soldaten in die Gruppe sein, der sich und seinen Mut den anderen und selbst gegenüber zunächst beweisen muss. Der meist adoleszente Protagonist wird sich durch die Teilnahme an

dem,

ihn

auf

jeder

Ebene

fordernden

Krieg

ohne

heimatliche

Rückzugsmöglichkeit zum ersten Mal seiner Verantwortung bewusst und darüber zum Mann (vgl. Büttner, 2004, S.80). Hier wird der Krieg als Initiation dargestellt, als Plattform für Entwicklungs-, Lern- oder Erziehungsprozesse. Die im Kampf enthaltene Aggressivität kann wie in Pearl Harbour (USA 2001) als Reifeprozess kanalisiert werden (vgl. Büttner, 2004, S.80). Die Situation des Wartens auf Feindkontakt kann durch die Darstellung des Verhältnisses von Zeit und Raum visualisiert werden, wie in Das Boot (D 1981) von Wolfgang Petersen. Die Belastungssituation der Protagonisten entsteht dort paradoxerweise durch das Fehlen einer Kampfsituation. Durch Untätigkeit ist der Soldat mit seinen Gedanken allein und wird sich seiner Angst vor dem Tod und der

Unausweichlichkeit

schmerzlich

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bewusst.

Die

Freude

über

einen

Kampfeinsatz, ist mehr die Freude darüber, sich aktiv am Verlauf des eigenen Schicksals beteiligen zu können und dem Feind nicht passiv ausgeliefert zu sein (vgl. Klein, 2006, S.12 f.). Genretypische Stationen auf dem Weg in den Kriegsalltag als Standards der Erzählung sind die Heimat, der Erhalt des Einberufungsbescheids oder die freiwillige Meldung zum Kriegsdienst und die damit verbundene Euphorie und die Situation des Abschieds. Im Feindgebiet oder auf dem Schlachtfeld angekommen erfährt der Held dann die ganze harte Brutalität des Krieges, macht die ersten Begegnungen mit dem Tod. Auch die Heimkehr wird in manchen Kriegsfilmen, auch „Coming Home“-Filme genannt, inszeniert und ist ein gängiges Motiv des Kriegsfilms.

2.2 Funktionsweisen von Kriegsfilmen Fiktion und Realität Kriegsfilme dienen oft als Informationsquelle für historisches Wissen, da sie einen vermeintlich dokumentarischen Charakter haben. Auf der einen Seite ist der Kriegsfilm nicht mit der Realität des Krieges vergleichbar. Zum Beispiel unterscheidet sich die zivilisierte Logik der Zuschauer, die einen Film vor dem Hintergrund zivilisierter Werte betrachten, von der unzivilisierten Logik des Kriegs, in dem es um Überleben und Töten geht (vgl. Mikos, 2004, S.133). Und auf der anderen Seite besitz er eine gewisse Ähnlichkeit zur Realität (vgl. Büttner, 2004, S.81). Der Kriegsfilm folgt einem bestimmten Drehbuch und den Anweisungen eines Regisseurs, während der reale Krieg mehren Regisseuren folgt und dessen Verlauf nicht einem festgeschriebenen Drehbuch folgt, sondern unvorhersehbar ist (vgl. Büttner, 2004, S.81). Kriegsfilme verweben Realität und Fiktion wie kein anderes Genre (vgl. Mikos, 2004, S.129). Sie erzählen meist eine erfundene Geschichte mit erfundenen Charakteren, doch spielen in Kriegen, die tatsächlich stattgefunden haben. Solche Kriegsfilme haben daher einen gewissen Mindestgrad von Authentizität, weil der Zuschauer häufig mit dem Krieg, dessen Verlauf und Ausgang vertraut ist, zumindest aber weiß, dass der dargestellte Krieg nicht fiktional ist.

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Kriegsfilm und Politik Die in Kriegsfilmen dargestellte Komplexität politisch militärischer Prozesse wird höchst unvollkommen erzählt (vgl. Büttner, 2004, S.82), da die künstlerische Freiheit mit Umgestaltungen arbeiten muss, will sie künstlerisch überzeugen und gleichzeitig publikumswirksam sein. Vor diesem Hintergrund wird die Story meist auf einen Zweikampf reduziert, der die komplexen gesellschaftlichen und historischen Verhältnisse für den Zuschauer vereinfacht. Der Kriegsfilm bedient sich für diese Vereinfachung häufig eines familiären Rahmens, in dem die Protagonisten präsentiert werden (vgl. Büttner, 2004, S.82). Die Reduzierung der Fakten und Zusammenhänge ist ein gebräuchliches Vorgehen Kriege auch in dem Fall zu legitimieren, in denen sie als unmenschlich und ungerecht gelten (vgl. Büttner, 2004, S.82). Die meisten Menschen lehnen Krieg als Alternative ab und Medien als Schauplatz des Rechtfertigungsdiskurses sind das effektivste Mittel, militärisches Eingreifen zu legitimieren und so politische Steuerungsprozesse voranzutreiben (vgl. Müller, 2004, S.15). Dass

der

Kriegsfilm

auch

als

Entwurf

politisch-militärischer

Realität

funktionieren kann, ist an der Zusammenarbeit zwischen US-Militär und Produktionsfirmen wie während der Planung und des Drehs von Black Hawk Down (USA 2001) zu erkennen. Das Pentagon der Vereinigten Staaten stellte den Filmemachern ca. 100 Elitesoldaten und 8 Helikopter für die Dreharbeiten bereit, da der Film seiner Ansicht nach geeignet war, die öffentliche Meinung über das Engagement der US-Truppen in Somalia 1993 zu begünstigen (vgl. Büttner, 2004, S.80). Seit dem Beginn der Kooperation mit Hollywood hat das amerikanische Militär mehr als 150 Filmproduktionen mit Beistellungen unterstützt (vgl. Büttner, 2004, S.80).

Kriegsfilm und Jugendschutz Gesellschaftliche Tabus und die zivile Ordnung sind im Krieg außer Kraft gesetzt. Verwundungen, Sterben und der Tod sind allgegenwärtig. Kriegsfilme stellen dies auf sehr unterschiedliche Art dar. Auf der bildlichen Ebene kann Gewalt direkt oder implizit dargestellt werden. Schon auf Grund dieser Gewaltthematik sind Kriegsfilme jugendschutzrelevant.

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Nach dem Jugendschutzgesetz dürfen Filme nicht freigegeben werden, wenn der Krieg verherrlicht oder verharmlost wird, oder Krieg als Plattform männlichen Abenteuer- und Heldentums dient. Es droht die Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, wenn die Entwicklung von Kindern

und

Jugendlichen

zu

einer

eigenverantwortlichen

und

gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefährdet wird (vgl. Gottberg, 2004, S.92). Künstlerische Produkte mit Kriegsthematiken sind dann verboten, wenn sie Strafbestände

wie

„Verherrlichung

von

Gewalt“,

„Aufstachelung

zum

Rassenhass“, „Volksverhetzung“, „Belohnung und Billigung von Straftaten“ oder „Vorbereitung eines Angriffskriegs“ erfüllen (vgl. Büttner, 2004, S.75). Kriegsszenarien können als Projektionsfläche für unmoralische Gefühle herhalten. Denn wenn der Krieg beispielsweise als Folie für männliche Abenteuerlust benutzt wird und das Töten anderer zur Tugend wird, besteht besonders für junge Zuschauer die Gefahr, Krieg als etwas Positives wahrzunehmen (vgl. Gottberg, 2004, S.94). Solche eine Identifikation wird dann durch eindringliche Bilder und eine eindringliche Dramaturgie erleichtert: der Zuschauer leidet mit den Figuren mit und die Gefühle des Zuschauers werden positiv bestätigt, wenn der Held am Ende gewinnt. Wirkungspsychologisch verfolgt der Kriegsfilm ähnliche Dramaturgie wie der Actionfilm: Der Held gerät in eine Situation, in der ihm nichts anderes übrig bleibt, als der Bedrohung mit Gewalt zu begegnen (vgl. Gottberg, 2004, S.94). Der Feind ist meist selber gewaltorientiert und skrupellos und seine Bedrohung ist die moralische Rechtfertigung und Legitimation für das Handeln des Helden (vgl. Gottberg, 2004, S.94). Der Kriegsfilm kommt also nicht ohne moralische Kategorie aus. Der Zuschauer will die Gewaltrezeption genießen, braucht also eine Legitimation, diese Gewalt ohne Mitleid dem Feind gegenüber konsumieren zu können. Gleichzeitig muss er eine gewisse Akzeptanz für das Handeln des Helden aufbringen. Je brutaler der Feind dargestellt wird, desto größer ist das Rachebedürfnis des Zuschauers und desto größer ist auch die Akzeptanz von Gewaltanwendung (vgl. Gottberg, 2004, S.101).

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Antikriegsfilm Filme mit der Intention beim Zuschauer eine Ablehnung des Kriegs zu erzeugen, die sogenannten Antikriegsfilme, versuchen, beim Zuschauer zu beiden Seiten Empathie aufzubauen und das Gut-Böse-Schema aufzuheben (vgl. Gottberg, 2004, S.102). Sie verzichten dabei auf den Aufbau von Rachegedanken, der beim Zuschauer Gewalt legitimieren würde. Allerdings arbeitet auch der Antikriegsfilm mit Identifizierungsangeboten, denn nur wenn der Zuschauer die Gewalt aus der Perspektive einer ihm nahe stehenden Person miterleben kann, kann er die menschenverachtende Brutalität, die dem Krieg innewohnt, mitfühlen und ablehnen (vgl. Gottberg, 2004, S.102). Die Kriegsseite, aus derer Perspektive der Zuschauer den Film verfolgt, ist nicht heldenhaft oder moralisch einwandfrei inszeniert, sondern geht auch brutal und menschenverachtend vor. Manchmal bedient sich der Antikriegsfilm der Gegenüberstellung von Privatsphäre und Kriegsszenario, um zu zeigen, wie sich freundliche junge Männer durch die Kriegssituation verändern. Ein weiteres formales Mittel des Antikriegsfilms ist die Verwendung extrem abstoßender brutaler Bilder, um beim Zuschauer eine ablehnende Haltung gegenüber Gewalt an Menschen zu erreichen. Der Antikriegsfilm und der Krieg teilen eine Gemeinsamkeit: Sie handeln beide in dem Glauben, die moralisch richtige Auffassung zu vertreten und die „Ungläubigen“ zu belehren (vgl. Schmitt, 2004, S.122). Jeder Film verfolgt ein bestimmtes Unterhaltungsziel. Emotionen wie Trauer, Freude und Angst sollen hervorgerufen werden. Da menschliche Emotionen aber individueller Natur sind, können bestimmte Darstellungen unterschiedliche Empfindungen beim Zuschauer hervorrufen. Dies wirkt sich auf die Bewertung des Gesehenen aus. Die Szenen eines Antikriegsfilms müssen daher nicht bei allen Zuschauern eine abschreckende Wirkung erzeugen. Auch bei der intensivsten antimilitärischen Absicht kann der Zuschauer auch positiv angesprochen werden (vgl. Mikos, 2004, S.133). Die Wahrnehmung ob ein Kriegsfilm nun auch als Antikriegsfilm wahrgenommen wird, ist demnach hoch subjektiv. Hier wird deutlich, dass sich Filme in den Köpfen der Zuschauer ganz unterschiedlich zusammensetzen und biographische Voraussetzungen und Voreinstellungen für die Interpretation verantwortlich sind.

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3. Interpretationshypothese Kriege stehen für Chaos, Gesetzlosigkeit und Orientierungslosigkeit. Ein wesentliches Merkmal von Kriegsfilmen ist die zerstörerische Gewalt, die dem Zuschauer in Form von Bildern der Destruktion nahe gebracht wird. Doch diese Destruktion findet in verschiedenen Kontexten statt und kann daher nicht immer als Destruktion in Sinne von reiner Zerstörung bezeichnet werden. Hier tritt der Begriff der Destrukturierung in den Vordergrund. Diese meint den Prozess der Abtragung und Zerstörung von Strukturen, um diese Strukturen durch ihre Reduzierung umzuformen und möglicherweise andere Sachverhalte sichtbar zu machen. Meine Interpretationshypothese lautet infolgedessen:

In

Kriegsfilmen

finden

auf

verschiedenen

Ebenen

Destrukturierungen statt, die je nach Art und Beschaffenheit der Ebene durch unterschiedliche Inszenierungsstrategien filmisch umgesetzt werden.

Gemeint ist hiermit, dass die Strukturen der Gegenstände auf der materiellen Ebene andere sind als die der Gegenstände, die auf der narrativen Ebene behandelt werden. Diesem Unterschied ist dann die differenzierte Inszenierung geschuldet. Es gibt verschiedene Arten von Destrukturierung im Film und verschiedene Ebenen auf denen Destrukturierung funktioniert, wie zum Beispiel der Bildebene und der Erzählebene. Auf der Bildebene wird eine Destrukturierung von Körpergefügen oder Städten beispielsweise inszeniert. Auf der narrativen Ebene erfolgen Sinndestrukturierungen.

In den folgenden Filmanalysen gehe ich drauf ein, auf welche Ebenen der Begriff der

Destrukturierung

angewendet

werden

kann

und

welche

Inszenierungsstrategien genutzt werden, um dem Zuschauer diese Zerstörung von Strukturen deutlich zu machen.

17

4. Vorstellung der Untersuchungsmethode 4.1 Vorgehensweise bei der Filmanalyse Die Filmwissenschaft ist als eine ganzheitliche Disziplin zu sehen und darf sich nicht auf die literaturwissenschaftlich orientierte Filmwissenschaft reduzieren lassen. Es wäre fatal, sich hermeneutisch auf eine Teildisziplin der Filmwissenschaft zu beschränken, da ihr Gegenstand der Film selbst mit einer Gleichbehandlung von unterschiedlichen Zeichensystemen wie Bild, Ton und Sprache arbeitet. Dabei ist die wichtigste Eigenschaft des Films, erzählerische Bedeutungszusammenhänge zu schaffen, indem er mehrere Zeichen- und Handlungssysteme miteinander verbindet. Deshalb ist für die besondere Wirkung des Films die Synchronisierung des Zusammenspiels der Zeichensysteme entscheidend,

die

bedeutungstragende,

bedeutungsändernde

und

bedeutungsbildende Elemente, wie Dramaturgie, Fotografie, Sprache und Musik organisieren. Dabei muss eine Gleichbehandlung von Sprache, Ton und Bild erfolgen, um eine ganzheitliche Analyse vornehmen zu können. Der Ansatz des Neoformalismus, wie ihn David Bordwell und Kristin Thompson in ihrem Buch „Film Art. An Introduction“ beschreiben, ist ein geeigneter Ansatz, um dieser Ganzheitlichkeit entgegenzukommen und in der Filmanalyse Ausdruck zu verleihen. Auch ich bediene mich in dieser Arbeit des neoformalistischen Analysemodells.

Bei meiner Arbeit am Film werde ich zuerst Platoon auf seine Narrationsstruktur und seine stilistischen Gestaltungsmittel hin untersuchen und meine Erkenntnisse abschließend zusammenfassen. Daran schließt sich die Filmanalyse von Full Metal Jacket an. Im nächsten Schritt vergleiche ich die beiden Filme in Bezug auf ihre gestalterischen Unterschiede und ziehe dann im Fazit meine Schlüsse hinsichtlich der Interpretationshypothese.

18

4.2 Vorgehensweise bei der Filmauswahl 4.2.1 Vietnamkrieg und seine Besonderheit Die USA begannen im Februar 1965 mit systematischen Bombenangriffen auf strategisch wichtige, wirtschaftliche und militärische Ziele in Nord-Vietnam. Auch der so genannte Ho-Chi-Minh-Pfad in Laos und Kambodscha, über den der Vietcong seinen Nachschub aus dem Norden Vietnams erhielt, wurde angegriffen. Die USA versuchten das Vordringen des Kommunismus von Nordvietnam nach Südvietnam zu verhindern. Dabei stellte Vietnam einen Vorposten der freien Welt in Südostasien dar, den es zu verteidigen galt (vgl. Greiner, 2007, S.11). Der Vietnam-Krieg war ein asymmetrischer Krieg, was bedeutet, dass die Kriegsparteien mit einer qualitativ unterschiedlichen Ausrüstung kämpften, die Kämpfer unterschiedlich ausgebildet waren und auch das grundsätzliche Verständnis eines Krieges differierte (vgl.

Greiner,

2007, S.44).

Die

Überlegenheit in der Bewaffnung der Vereinigten Staaten war nicht unbedingt von Vorteil. Solange der Vietcong als der schwächere Gegner nicht verloren hatte, war er der Sieger und je länger sich dieser Zustand hinzog, desto schwerer wurde es für die USA den Sieg davon zu tragen (vgl. Greiner, 2007, S.44). Der Feind war in Vietnam war für die US-Army weder wirklich greif- noch sichtbar und so dominierte der Vietcong das Kampfgeschehen, indem er bestimmte, wann und wo die Angriffe passierten (vgl. Greiner, 2007, S.35). Die technische Überlegenheit der Amerikaner nutzte ihnen wenig, da sie den Nordvietnamesen und dem Vietcong keine sichtbaren Schäden zufügen konnten, aber umso mehr an Verlusten in den eigenen Reihen litten (vgl. Greiner, 2007, S.35). Die Kampftruppen, die die größte Last des Krieges trugen, stellten nicht etwa einen repräsentativen Querschnitt der amerikanischen Bevölkerung, sondern bestanden überwiegend aus den jungen und sozial schlechter gestellten Menschen der Gesellschaft (vgl. Greiner, 2007, S.33). Durch die fehlenden sichtbaren Erfolge sanken die Motivation und die Bereitschaft der Soldaten, eigene Verluste in Kauf zu nehmen. Die Bereitschaft zu exzessiver Gewalt jedoch nahm in diesem Kriegsmilieu allerdings drastisch zu (vgl. Greiner, 2007, S.44).

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Den Beginn des Jahres 1968 feierten die Vietnamesen mit den traditionellen TetFeierlichkeiten, während die nordvietnamesischen Truppen die sogenannte TetOffensive einleiteten (vgl. Klein, 2006, S.301). Mit der Tet-Offensive stieg die Zahl der Gewaltakte amerikanischer Soldaten gegen vietnamesische Zivilisten sprunghaft an und die Zahl der blutigen Auseinandersetzungen erreichte ihren Höhepunkt. Presse und Berichterstattung nahmen sich dem Thema nur eher beiläufig an und im Fernsehen wurde kaum darüber berichtet. Die öffentliche Berichterstattung hielt an der Meinung fest, man müsse in Vietnam weiter die Demokratie verteidigen. Zwar wurde in der Öffentlichkeit gerade nach der TetOffensive die Kritik immer lauter, diese galt allerdings eher der amerikanischen Vorgehensweise und nicht der Kriegsziele im Allgemeinen (vgl. Greiner, 2007, S.11). Erst als das “Massaker von My Lai“, bei welchem US-Soldaten am 16. März 1968 ca. 500 Menschen, darunter überwiegend Frauen, Kinder und Greise getötet hatten, mehr als ein Jahr später bekannt wurde, gab es einen Umschwung der öffentlichen Meinung in den USA.

Die Bilanz des Krieges war erschütternd. In Vietnam wurden soviele Vernichtungsmittel eingesetzt, wie nirgends sonst in einem Krieg (vgl. Greiner, 2007, S.41). „In den Jahren 1966 bis 1968 klinkten Kampfflugzeuge der USA und ihrer Verbündeten 2.865.808 Tonnen Bomben über Vietnam, Laos und Kambodscha aus- das waren gut 80.000 Tonnen mehr als auf allen Schauplätzen des gesamten Zweiten Weltkrieges zusammen“ (vgl. Greiner, 2007, S.41). Der Status als Vietnamveteranen galt in der Heimat nicht als etwas, auf das ein zurückkehrender Soldat stolz sein konnte. Da die amerikanische Gesellschaft in Folge der Enthüllungen über die Realität des Krieges desillusioniert war und weite Teile der Bevölkerung die aufkommende Friedensbewegung unterstützten, wurden die Heimkehrer aus Vietnam im Gegensatz zu den Veteranen des Zweiten Weltkriegs nicht mit Paraden, Reden oder Feierlichkeiten geehrt. Trotz eines massiven Aufgebots an Berichterstattern, Journalisten, Kamerateams und investigativen Reportern ist der Vietnam-Krieg der am wenigsten verstandene Krieg der amerikanischen Geschichte (vgl. Greiner, 2007, S.12 f.). Die Journalisten vor Ort lieferten lediglich News im Sinne von Neuigkeiten ohne wirklichen informativen Gehalt. Dieses ambivalente Verhältnis zwischen

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investigativer Berichterstattung auf der einen und einem Informationsdefizit auf der anderen Seite ist der Grund, warum die nachträgliche Beschäftigung der USFilmindustrie mit dem Thema so interessant ist. Erst in der filmischen Auseinandersetzung wurden der Vietnam-Krieg und seine Facetten eingehend erörtert und verarbeitet.

4.2.2 Begründung der Wahl von Vietnamkriegsfilmen Der Vietnamkrieg war der erste Krieg ohne offizielle Zensur. Das bedeutet, dass sich Journalisten und Kameramänner im Kampfgebiet relativ frei bewegen konnten. Durch die konstante journalistische Begleitung wurde der Vietnamkrieg zu einem spektakulären Medienereignis hochstilisiert. Der Südostasienkonflikt wurde zur allabendlichen Unterhaltung und gehörte für Amerikaner zum Fernsehalltag.

Die

großen

US-Fernsehstationen

räumten

der

Vietnam-

Berichterstattung zwischen 1968 bis 1973 einen Anteil von 20-25% ein (vgl. Wende, 1999, S.1075). Da das Gelände im Kriegsgebiet meist unübersichtlich war und für Fernsehteams mit sperrigen Ausrüstungen schwer zugänglich, zeigt das Filmmaterial nur wenige Kampfaufnahmen. Teilweise wurden Kampfszenen für das US-Fernsehen inszeniert. Hieran zeigt sich, dass schon die Berichterstattung aus Vietnam fast cineastische Züge hatte: durch die Gewöhnung der GIs an die Präsenz der Kamerateams fühlten diese sich schon wie Helden aus Hollywood und begannen, vor der Kamera zu posieren (vgl. Wende, 1999, S.1076). Die Berichterstattung aus Vietnam war zu Beginn des Krieges patriotisch und euphorisch, was zum Teil durch eine wenig informative, mehr actionreiche und auf Einschaltquoten konzentrierte Berichterstattung hervorgerufen wurde. Dabei wurden die Darstellung konkreter Kriegsziele und Hintergrundinformationen zu Vietnam, seinem Volk, dessen Geschichte und Kultur ausgespart (vgl. Wende, 2006, S. 1076). Mit zunehmender Dauer des Krieges wurde Kritik am Vorgehen der Amerikaner laut und Skepsis trat an die Stelle unhinterfragten Opportunismus. Dieser Wandel der Einstellung zum Krieg wurde durch die Tet-Offensive der nordvietnamesischen Truppen eingeleitet. In der Kriegsberichterstattung kamen immer häufiger Kriegsgegner zu Wort, die zu Beginn des Konflikts in der öffentlichen Berichterstattung kein Gehör gefunden hatten. Als das Massaker von

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My Lai im November 1969 an die Öffentlichkeit gelangte, „suchten ehemalige Angehörige der dort eingesetzten Einheit sowie dutzende andere GIs die Öffentlichkeit und legten Zeugnis von den Verbrechen ab, die sie nicht als Ausnahme, sondern als Alltag in Vietnam verstanden wissen wollten“ (Greiner, 2007, S. 18). Es reichten bereits wenige kritische Berichte, um eine Wende in der öffentlichen Meinung herbeizuführen (vgl. Wende, 1999, S. 1077).

Einem oft zitierten Sprichwort nach verloren die USA den Krieg weniger auf den Schlachtfeldern Vietnams als viel mehr auf den Bildschirmen der Fernsehgeräte in der Heimat. Der damalige Meinungswandel der amerikanischen Öffentlichkeit, ausgelöst durch die sich ändernde Berichterstattung ist ein einzigartiges Beispiel für die polarisierende Rolle, die Medien in einer modernen Gesellschaft spielen können. So erfolgreich die zunächst positive Medienberichterstattung einen großen Teil der amerikanischen Bevölkerung für den Krieg gewann, so einflussreich waren auch die Medien, als sie im Verlauf des Krieges die Trendwende der öffentlichen Meinung einleiteten (vgl. Wende, 1999, S.1078). Mit der Niederlage in Vietnam war das starke amerikanische Selbstbewusstsein erschüttert. In Frage gestellt wurde der Glaube an die moralische, soziale und militärische Überlegenheit der Amerikaner. Das Vietnam-Trauma war schließlich ein Thema, dessen sich die amerikanische Filmindustrie nach und nach annahm und es zu verarbeiten begann (vgl. Wende, 1999, S.1078). Vietnam bot den Filmemachern individuelle Schicksale von Helden, Geschichten von Trauer, Tod, Hölle und Gewalt. Der Vietnamkrieg gab der US-Filmbranche ganz neue Impulse und brachte eine neue Kriegsfilmästhetik hervor (vgl. Kladzinski, 2005, S.39). Nach

dem

Ende

des

Krieges

beschäftigten

sich

ca.

400

fiktionale

Filmproduktionen mit der Verarbeitung des Vietnamkriegs (vgl. Reinecke, 1993 zitiert nach Kladzinsik, 2005, S.39). Mit kritischen und persönlichen Filmen wie Die durch die Hölle gehen (USA 1978), über fast poetische Filme wie Apocalypse Now (USA 1979) bis hin zu actiongeladenen Spektakeln wie Rambo II – Der Auftrag (USA 1982) arbeitete die amerikanische Gesellschaft ihr Vietnamtrauma auf. Auch die Alltagsperspektiven im Krieg, die in Filmen wie Good Morning Vietnam (USA 1987) aufgegriffen wurden, waren in der Berichterstattung über

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Vietnam kaum präsent,

sondern erst Jahre später in der filmischen

Auseinandersetzung.

Interessant ist aus medienwissenschaftlicher Sicht das gegensätzliche Verhältnis zwischen

der

Abendunterhaltung

Vietnamkrieg

und

dem

wahren

Kriegsgeschehen. Der Zwiespalt zwischen der eigentlich positiven Mission und der negativen Außenwirkung ist faszinierend, denn beide Ansichtsweisen wurden, wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten, von den amerikanischen Medien initiiert und mitgetragen.

Ich habe deshalb den Vietnamkrieg und seine filmische Darstellung als Thema gewählt und beschränke mich auch auf diesen, um innerhalb meiner Filmanalysen einen einheitlichen Bezugsrahmen zu gewährleisten. Bei der Interpretation vonder Filmen, die vor dem Hintergrund verschiedener Kriege spielen, sind die Unterschiede zwischen diesen Kriegen, die Schauplätze, die historischen Rahmenbedingungen und damit auch die Art und Weise der filmischen Aufarbeitung so groß, dass sich diese Filme schwer anhand gleicher Maßstäbe vergleichen lassen.

4.3 Begründung der Filmauswahl Für die Untersuchung meiner Interpretationshypothese habe ich mich für die beiden Filme Platoon von Oliver Stone aus dem Jahr 1986 und Full Metal Jacket von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1987 entschieden. Platoon und Full Metal Jacket beinhalten auf besondere Art und Weise Destrukturierungen und setzen diese unterschiedlich und interessant in Szene. Beide Filme erfüllen die Genremerkmale eines Kriegsfilms.

Neben dem Lob der Kritik erkannten auch viele Vietnam-Veteranen in Platoon eine wirklichkeitsnahe Darstellung des Vietnamkrieges und eine adäquate Wiedergabe der Kriegsgeschehnisse (vgl. Klein, 2006, S.297). Oliver Stones Film stellt eine starke Visualisierung der sich zum Ende der sechziger Jahre drastisch verschlechternden Situation im manchen Einheiten der US-Army dar.

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In Stanley Kubricks Werk beginnt der Krieg nicht erst auf dem Schlachtfeld, sondern früher, bei der militärischen Erziehung, beim unmenschlichen Drill und der Erniedrigung, bei denen die Zerstörungskraft des Krieges im Sinne einer alltäglichen Demütigung bereits die Psyche angreift (vgl. Descourvières, 2002). Full Metal Jacket ist einer der konsequentesten Kriegsfilme, weil er keine Widersprüchlichkeiten duldet. Der FSF2- Ausschuss von 1997, der Full Metal Jacket unter Richtlinien des Jugendschutzes betrachtete, würdigte ihn als pädagogisch wertvollen Film über die menschenverachtende Brutalität des Krieges (vgl. Mikat, 2005, S.94).

Da die beiden Filme sowohl unter Kritikern als auch unter Filminteressierten als Klassiker gelten, spreche ich ihnen eine zeitlose und daher auch aktuelle Relevanz zu.

4.4 Begriffsklärung „Destrukturierung“ Mit dem Begriff Destrukturierung beschreibe ich einen Prozess, in dem bestehende Gefüge und Strukturen zerstört werden, um sie zu deformieren und ihre bisherige Gestalt oder ihr bisheriges Vorkommen zu verändern. Solche Gefüge können beispielsweise Körpergefüge, Ideologien, Werte oder auch Landschaften und Städte sein. Die Destrukturierung im Kontext von Destruktion meint hier auch die die Abtragung oder den schrittweisen Abbau von Schichten, aus denen sich eine Struktur zusammensetzt. In diesem Sinne kann die Destrukturierung auch ein Prozess sein, in dessen Verlauf neue Dinge aus der abgetragenen

Struktur

entstehen.

Destrukturierung

ist

also

auch

im

Zusammenhang mit Neugliederung und Neuordnung zu sehen.

2

Die 1993 gegründete Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. ist seit 2003 eine anerkannt

Selbstkontrolleinrichtung mit Sitz in Berlin. Die FSF ist für die Programmprüfung der bundesweit ausstrahlenden Sender des Privatfernsehens zuständig.

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5. Filmanalysen Während des Krieges und auch in den späten siebziger Jahren vermied die USFilmindustrie eine direkte Konfrontation mit dem Krieg in Vietnam und widmete sich dem Thema nur zögerlich. Filme wie Taxi Driver (USA 1976) oder Die durch die Hölle gehen (USA 1978) griffen das Thema zwar auf, taten dies allerdings mit wenig Zuversicht in Bezug auf Institutionen wie die Familie, die Liebe zum Vaterland oder zur Gemeinschaft. Filme wie Coming Home - Sie kehren Heim (USA 1978) entlarvten vielmehr die rassistischen und ökonomischen Aspekte des Krieges, den sie als ungerecht identifizierten. Mitte der achtziger Jahre, in der Amtszeit Ronald Reagans, warben die Filme dann für eine neue Interpretation des Vietnamkriegs, die durch Charaktere wie Sylvester Stallones John James Rambo oder Chuck Norris´ Colonel James Braddock getragen wurde. Filme wie Platoon aus dem Jahr 1986 und Full Metal Jacket aus dem Jahr 1987 stehen für eine differenzierte und kritische Sicht auf das Kapitel der amerikanischen Geschichte und setzen sich ernsthaft mit dem Krieg und seinem Erscheinungsbild auseinander. Ich werden beide Filme im Folgenden analysieren, wobei ich mich an dem Filminterpretationsmodell von David Bordwell und Kristin Thompson orientiere.

5.1 Platoon 5.1.1 Entstehungsgeschichte des Films Platoon ist vor Geboren am 4.Juli (USA 1989) und Zwischen Himmel und Hölle (USA 1993) der erste Film in Oliver Stones Vietnam-Trilogie. Oliver Stone diente von Herbst 1967 bis zum Ende des Jahres 1968 in Vietnam. Als Achtzehnjähriger war er jedoch schon 1965 in einem Vorort von Saigon als Lehrer in einer katholischen Schule tätig (vgl. Hillstrom, 1998, S.231). Seine im Krieg gewonnenen Eindrücke spiegeln sich in der Darstellung der Figur Chris Taylor, Stones Alterego im Film, wider. Drogenkonsum, das angespannte Verhältnis zwischen weißen und schwarzen Soldaten, das sogenannte Fragging, Konflikte

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zwischen den karriereorientierten Soldaten und Wehrpflichtigen und Brutalität sind Probleme, die er hautnah miterlebt hat und diese später filmisch zu verarbeiten versuchte (vgl. Hillstrom, 1998, S.227). Die Gegenüberstellung der weißen Karrieristen, die sich dem Alkoholkonsum hingaben und der Marihuana rauchenden, schwarzen und urbanen weißen Hippies, zu denen sich Stone selbst zählte, basiert ebenfalls auf seinen persönlichen Erfahrungen in Vietnam (vgl. Hillstrom, 1998, S.231). Stones Intention war es, ein Dokument des Krieges zu schaffen und dadurch zu erinnern (vgl. Hillstrom, 1998, S.232). Der Film wurde auf den Philippinen gedreht. Vor den Dreharbeiten mussten alle Schauspieler ein zweiwöchiges Training, das von dem dekorierten VietnamVeteranen Dale Dye3 geführt wurde, durchlaufen. Die 20 Männer, die zur Hauptbesetzung zählten, mussten die gesamte militärische Ausrüstung tragen und Schützenlöcher ausheben (vgl. Beaver, 1994, S.93). Die Darsteller sollten so mit den Umständen in der freien Natur vertraut gemacht werden das Gefühl von Angst, von Verunsicherung, von Müdigkeit und in einer Weise auch Brutalität und Härte erleben (vgl. Hillstrom, 1998, S.232).

5.1.3 Historischer Hintergrund Als sich in den späten sechziger Jahren die amerikanischen Bemühungen in Vietnam mehr und mehr in die Länge zogen, sank die Moral in vielen Einheiten der US-Army und die Motivation wandte sich zur Frustration. Faktoren wie das Image des Krieges als „working class war“, militärische Korruption und Profitorientierung begünstigten diese Frustration (vgl. Hillstrom, 1998, S.227). Ein anderer Grund für den Zusammenbruch der Disziplin war, dass die Situation in Vietnam eine Reflexion der Realität in den Vereinigten Staaten darstellte: Drogenmissbrauch, rassistische Spannungen und die Konflikte mit Autoritäten. Die Army füllte ihre Reihen mit Männern aus genau diesem Umfeld und machte 3

Der Amerikaner Dye ist ein ehemalige Captain der U.S. Marines und ein hochdekorierter

Vietnam-Veteran. Seit über 20 Jahren ist er als Berater für Filmproduktionen tätig und hat fortwährend mit Oliver Stone, aber auch mit Regisseuren wie Steven Spielberg für „Der Soldat James Ryan“ (USA 1998), zusammengearbeitet (vgl. Bayer, o.J.).

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es unausweichlich, dass sich Tatsachen den Erfolg der US-Army beeinflussten (vgl. Hillstrom, 1998, S.228). Die fehlende Disziplin und Leistung in einigen Einheiten der Armee machten es den Soldaten schwer, ihre ethische und moralische Orientierung zu bewahren. Vielen gelang dies es trotz der zerfallenden Umgebung und Andere streiften ihre Ideale auf den Touren durch das kriegszerfurchte Vietnam ab, wurden zynisch, verzweifelt. Der Krieg machte sie emotionslos und manchen gab nur das brutale Töten ein Gefühl von Lebendigkeit (vgl. Hillstrom, 1998, S.229). Die Praktik des Fragging, des Tötens von Offizieren oder Unteroffizieren durch die

eigenen

Truppenmitglieder,

war

die

bitterste

Manifestation

der

Demoralisierung in den US-Truppen. In anwachsender Frequenz stiegen die Berichte über Übergriffe auf US-Offiziere in den Jahren 1967 und 1968 vor allem in der Region des Mekong Delta. Im Jahr 1969 hatte die amerikanische Militärführung Kenntnis von über 200 Fällen, in denen Angriffe vornehmlich auf Unteroffiziere verübt wurden (vgl. Hillstrom, 1998, S.229). Ein Grund für diese Kriegsführung innerhalb der eigenen Armee war die Tatsache, dass sich junge Offiziere durch fehlende Erfahrung und Kompetenz oft nicht im Klaren über die Tragweite ihre Befehle waren und die ohnehin schon demotivierten Soldaten nicht ihr Leben nicht die Ausführung eines solch unbedachten Befehls aufs Spiel setzen wollten (vgl. Hillstrom, 1998, S.230). Der Selbsterhaltungstrieb kombiniert mit der fehlenden Disziplin und dem Versagen des Autoritätsbewusstseins sorgte in einigen Einheiten dazu, dass Soldaten bereit waren, eine Gefahr für ihr Leben unter allen Umständen aus der Welt zu schaffen.

5.1.4 Narrationsstruktur Plot Der Film beginnt im September 1967, als College-Student Chris Taylor als Soldat in Vietnam ankommt. Er dient in einer Infanterieeinheit, die sich schon bald durch den vietnamesischen Dschungel kämpfen muss. Dabei lernt er die beiden Sergeants Elias Grodin und Bob Barnes kennen. Taylor beobachtet während seines Dienstes die tiefe Kluft zwischen Elias und Barnes. Nachdem Taylor sich nach einer Verletzung wieder dem Platoon angeschlossen hat, führt sie der Tod

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von zwei Soldaten der Einheit in ein vietnamesisches Dorf, in dem ein blutiger Angriff auf die Bewohner stattfindet. Taylor verliert sich kurzzeitig in dem Chaos des Übergriffes, fängt sich zwar schnell wieder, kann dann aber nur mit ansehen, wie einige seiner Kameraden, ihnen voran Seargent Barnes das Dorf zerstören und wehrlose Zivilisten hinrichten. Sergeant Elias ist erschüttert von Barnes menschenverachtender Brutalität und macht deutlich, dass er rechtliche Schritte gegen diesen einleiten wird. Kurze Zeit später gerät die Einheit in einen Hinterhalt, in dessen Kampfverlauf Elias einige angreifende Vietcong-Soldaten tötet, sich allerdings durch die Verfolgung der Gegner sehr weit von dem Rest der Einheit entfernt. Barnes besteht darauf sich allein auf die Suche nach Elias zu begeben, spürt ihn auf und erschießt ihn mit drei gezielten Schüssen. Zurück bei seiner Einheit gibt er an, Elias’ toten Körper gesehen zu haben. Das Platoon wird nun durch Helikopter evakuiert und beim Abheben, sieht Taylor Elias aus dem Dschungel fliehen, verfolgt von Vietcong-Soldaten. Elias wird mehrere Male in den Rücken geschossen. Er stirbt, seine Arme zum Himmel gestreckt. Als sich Taylor kurze Zeit später an andere Mitglieder seiner Einheit wendet, um sie davon zu überzeugen, dass Barnes Sergeant Elias auf dem Gewissen hat, geraten er und Barnes aneinander. Als dann die Stellung des Platoons vom Vietcong überrannt wird und der Captain einen Luftschlag gegen seine eigene Position anfordert, versucht Barnes das Chaos der Situation zu nutzen, um Taylor umzubringen. Doch Barnes wird verwundet kurz bevor er Taylor töten kann. Als Taylor am Morgen nach dem Angriff aufwacht, verletzt aber am Leben, findet er den schwer verwundeten Barnes und erschießt ihn.

Story Platoon ist die Geschichte des jungen College-Studenten Chris Taylor, der sich freiwillig für den Kriegsdienst in Vietnam gemeldet hat. In Briefen an seine Großmutter, die in Off-Kommentaren wiedergegeben werden, erzählt Taylor von seinen Erfahrungen im Krieg. Taylor bemerkt schnell, dass ein Neuankömmling in der Truppe nichts zählt. Seine Wertigkeit wird nach den ihm verbleibenden Tagen in Vietnam berechnet.

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Früh bemerkt er, dass die Einheit, die offiziell von Lieutenant Wolfe geführt wird, tatsächlich von zwei Sergeants dominiert wird. Er sieht sich mit zwei konträren Vaterfiguren konfrontiert. Eigentlich möchte er anonym bleiben und eine Positionierung vermeiden, gerät aber in einen Konflikt zwischen den beiden Sergeants, die ihn beide auf unterschiedliche Arten faszinieren. Als das Platoon sich mehr und mehr spaltet und sich die Soldaten entweder zu Elias oder zu Barnes bekennen, bleibt Taylor unentschlossen. Nach dem Überfall auf ein vietnamesisches Dorf, bei dem Barnes ein Kriegsverbrechen begeht, will Elias dafür sorgen, dass sich Barnes dafür verantworten muss und den Vorfall vor das Kriegsgericht bringen. Als das Platoon in einen Hinterhalt der Vietcong gerät, verfolgt Elias einige Gegner durch den Dschungel. Barnes gibt derweil die Befehle so, dass Elias von dem Rest der Einheit abgeschnitten ist. Der Kampf der beiden Sergeants gipfelt in der Szene, in der Barnes Elias kaltblütig erschießt. Im Glauben, Elias sei von VietcongSoldaten erschossen wurden, wird das Platoon mit Hilfe von Helikoptern evakuiert. Die Männer können nur zusehen, als der schwer verwundete Elias versucht, vor dem Vietcong zu fliehen und erschossen wird. Barnes Verantwortlichkeit für den Tod Elias´, ist nun offensichtlich. Auch Chris, der um die Schuld Barnes weiß, ist diesem nun im Weg und entgeht kurze Zeit später nur knapp einem Mordversuch. Als Taylor dann an dem Morgen nach einem schweren Angriff den stark verwundeten Barnes findet, trifft er eine Entscheidung -letztendlich für Elias- und tötet Barnes. Der Film endet dann mit der Heimkehr Taylors. Von einem Helikopter aus betrachtet er unter Tränen das Schlachtfeld unter ihm. Aus dem Off ertönt der Kommentar, dass die beiden Sergeants eigentlich um seine Seele gekämpft haben.

Charaktere

Private Chris Taylor Der 19-jährige Chris Taylor, der das College abgebrochen hat, um sich zum Kriegsdienst zu melden, ist der Typ von Held, der Gewalt nur in Situationen der Bedrohung anwendet, wenn sein Leben in Gefahr ist oder er den Befehl dazu bekommt. Der Zuschauer erfährt über die Briefe an seine Großmutter, dass

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Taylors bürgerliche Eltern nicht wollten, dass ihr Sohn in den Krieg zieht, doch dass er selbst den Wunsch hatte, etwas für sein Land zu tun, wie es sein Großvater im Ersten Weltkrieg und sein Vater im Zweiten Weltkrieg taten. Chris ist in der Auseinandersetzung zwischen Barnes und Elias hin und her gerissen und der Konflikt der beiden Sergeants prägt seine Erfahrungen beim Militär.

Sergeant Elias Grodin Sergeant Elias Grodin wird als kameradschaftlicher, verständnisvoller und hilfsbereiter Mensch mit humanistischer Orientierung vorgestellt. Er ist schon seit mehreren Jahren in Vietnam und durch seine Erfahrungen in Krieg ein guter Soldat. Trotz der Schrecken des Krieges hat er seine moralische Überzeugung nicht verloren und seine Ideale nicht aufgegeben, wofür er von Chris bewundert wird. Als sich Elias dann Barnes zum Feind macht, stirbt er einen doppelten Tod: den durch seinen Kameraden Bob Barnes und den durch die Soldaten des Vietcong.

Sergeant Bob Barnes Im Gegensatz zu Sergeant Elias ist Sergeant Bob Barnes ein unbarmherziger, abgebrühter und kompromissloser Kämpfer, der zu Grausamkeit neigt. Auch sein Ton ist rauer und der Zuschauer erlebt ihn als rüde und emotionslos. Barnes, der ein vernarbtes Gesicht hat, das auf viele Verletzungen in kämpferischen Auseinandersetzungen deutet, umgibt eine unverwundbare und unzerstörbare Aura. Seine Gefolgsleute werden von ihm eher geschont und die anderen Soldaten höheren Risiken ausgesetzt.

Erzählmuster Der Film Platoon folgt in seinem formalen Aufbau einer für den Kriegsfilm typischen Dramaturgie und nutzt dafür das Strukturmuster. Es gibt den Helden Chris Taylor aus dessen Perspektive das Geschehen erzählt wird. Seine Entwicklung ist Thema des Films. Der Held muss sich im Krieg beweisen und sieht sich dabei mit zwei konträren Vaterfiguren konfrontiert. Verkörpert werden diese von zwei Sergeants, die mit ihren Rollen das Gut-Böse-Schema aufgreifen.

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Der junge Held muss im Laufe der Geschichte Entscheidungen treffen, die Einfluss auf seine persönliche Entwicklung haben und diese vorantreiben. Der Handlungsverlauf in Platoon ist linear angelegt und folgt einem chronologischen Aufbau. Der Film ist dicht und geschlossen, dass heißt, dass die formale Beziehung der Elemente des Films keine Lücken aufweist.

5.1.5 Stilistischen Gestaltungsmittel Bildkomposition Immer wieder werden Soldaten in Einstellungen gezeigt, in denen sie vor dem Hintergrund der vietnamesischen Natur und Landschaft zu sehen sind. Meist sind dies weite Einstellungen und Totalen, die die Einbettung der GIs in die Kulisse Vietnams visualisieren. Dabei nutzt Oliver Stone verschiedene landschaftliche Umgebungen,

wie

Berge

und

Hügel,

dichte

Palmenwälder,

weite

Graslandschaften oder Flussläufe, und gibt dem Zuschauer so einen Überblick über die geographischen Besonderheiten Vietnams. Der Aufenthalt der amerikanischen Soldaten in Vietnam wird also immer wieder zur Geographie und zu den landschaftlichen Begebenheiten des Landes in Beziehung gesetzt. Die landschaftlichen Gegebenheiten werden dann noch durch originale Geräusche der Umgebung, wie Vogelgezwitscher oder das Rascheln der Blätter beispielsweise, hervorgehoben.

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Einen Bezug zu zeithistorischen Anhaltspunkten dagegen findet der Zuschauer in Platoon fast gar nicht. Nur die Musik im Film kann als Hilfe für die zeitliche Einordnung des Konflikts dienen.

Einstellungsgröße Um das erschreckende Chaos des Krieges zu verstärken, werden visuelle Gestaltungsmittel, wie schnelle Kamerafahrten, Überkopf-Aufnahmen aus der Luft und schnelle Schnitte verwendet. Durch häufig verwendete Aufnahmen einer mobilen Kamera kann das Publikum näher an das Geschehen und die Atmosphäre im dichten Dschungel herangebracht werden. Lange Einstellungen und lange Schwenks nehmen dem Film sein Tempo. Meist sind dies auch solche Aufnahmen, in denen ein Off-Kommentar Chris’ zu hören ist. Diese ruhigen Abschnitte des Films bilden einen starken Kontrast zu den plötzlich aufkommenden, hektischen und schnell geschnittenen Kampfszenen. Ein wesentliches Mittel, das zur Authentizität des Films beiträgt, sind die Detailaufnahmen von Moskitos auf Chris’ Nacken, festgesaugten Blutegeln, Feuerameisen, Eidechsen auf buddhistischen Statuen oder giftigen Schlangen. Diese Aufnahmen unterstreichen die Fremdartigkeit des Landes und schaffen eine atmosphärische Dichte.

Kameraperspektive In weiten Einstellungen und Totalen, oft aus einem fliegenden Helikopter gefilmt, visualisiert Oliver Stone die Landschaft Vietnams. Sie zeigen eine intakte Natur. Doch die Idylle wird immer wieder aufgebrochen und das Ausmaß der Zerstörung der Landschaft durch den Krieg wird dem Zuschauer mit Hilfe von Aufnahmen aus der Vogelperspektive vor Augen geführt.

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Kamerabewegung Langsame Kameraschwenks von Gesicht zu Gesicht oder die Montage der Gesichter der einzelnen Soldaten, wie bei dem Fund von Mannys Leiche oder nach der Exekution der vietnamesischen Frau durch Barnes, sind ein häufig genutztes Mittel, um die Reaktion der Beteiligten auf den Tod zu zeigen. Die Soldaten werden in einer Nah- oder Großaufnahme gezeigt. Für den Zuschauer sind also die sich in der Mimik darstellenden Emotionen, wie Trauer, Erschütterung, Fassungslosigkeit und Wut, gut abzulesen.

Montage Als sich eines Nachts der Vietcong der Stellung des Platoons nähert und Chris ihr leises Vordringen beobachtet, wird die Dramatik der Situation durch die hohe Schnittfrequenz potenziert. Detailaufnahmen seiner wachsamen und weit aufgerissenen Augen, die nervös die nächtliche Umgebung abtasten, der Blick zu seiner Waffe, der Blick zu den anderen schlafenden Soldaten und zurück zu den Vietcong-Kämpfern werden in einer schnellen Abfolge aneinandergereiht. Der Zuschauer wird hierbei stark physisch und psychisch beansprucht und kann sich dem Druck der Situation nur schwer entziehen. Als Chris in dem vietnamesischen Dorf seine Beherrschung verliert und einem ganz offensichtlich behinderten jungen Mann vor die Füße schießt, wird die Situation von seinen lauten Schreien dominiert. Die hohe Frequenz der Schnitte unterstreicht die Angespanntheit und Hektik der Situation. Nahe Einstellungen von Chris, Bunny, dem jungen Mann und seiner schreienden und flehenden Mutter wechseln sich in hohem Tempo ab. Die verkrampften Gesichtsausdrücke der Beteiligten sind gut zu erkennen. Das Chaos der Szene wird dadurch für den Zuschauer greifbar gemacht. Eindrucksvoll ist die Situation dargestellt, in der sich Sergeant Barnes auf die Suche nach Elias macht und beide im Dschungel aufeinandertreffen. Die rasche Montage spielt hier für die Dramatik und die Spannung der Szene eine zentrale Rolle. Als Elias in seinem Gegenüber Barnes erkennt, lächelt er und ist erleichtert, nicht auf einen Vietcong gestoßen zu sein. Zuerst sind beide jeweils in einer Halbtotalen zu sehen, in mitten von Bäumen, Sträuchern und Blättern. Dann werden halbnahe Aufnahmen ihrer Gesichter und ihrer Körperhaltung montiert, in

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den zu sehen ist, dass Barnes sein Gewehr nicht herunternimmt und Elias ohne Schutzweste vor ihm steht. Dann folgen Detailaufnahmen ihrer Augen. Barnes, dessen Blick Entschlossenheit demonstriert und Elias, dessen Lächeln in eine ernsten Blick übergeht. Das Publikum wird Zeuge des Mordes an Elias. Die Schüsse Barnes sind aus einer Überschulter-Einstellung zu sehen. Kurz bevor Elias in einer weiteren Halbnahen Einstellung zu Boden geht.

Ton In Off-Kommentaren hört man Chris Briefe an seine Großmutter schreiben, die die Handlung fragmentieren und den Zuschauer etwas über die Empfindungen des Helden erfahren lassen.

„Jemand hat mal geschrieben, die Hölle ist Abwesenheit von Vernunft. So kommt mir das hier vor, wie die Hölle. Ich hasse das Ganze schon jetzt und bin erst eine Woche hier […]“ (Chris).

Schon in seinem ersten Brief an die Großmutter vergleicht er seinen Aufenthalt in Vietnam mit dem in der Hölle. In ruhiger Tonlage und in langsamem Tempo beschreib Chris seine Situation. Er berichtet der Oma und dem Zuschauer von dem Chaos, seiner Müdigkeit, von den nächtlichen Angriffen des Vietcong und von seinem Status als Neuling. Darüber hinaus erfährt der Rezipient über die Briefe Taylors von seiner Persönlichkeit, seiner Herkunft und seiner Intention, in Vietnam zu dienen. Eindrücke der Natur sind in Platoon immer wieder präsent und werden in die Visualisierung des Krieges einbezogen. Dabei spielt die Geräuschkulisse des Dschungels eine wichtige Rolle. Vogellaute oder das Rascheln der Blätter lassen den Zuschauer die Umgebung und die Landschaft Vietnams als friedlich und idyllisch wahrnehmen. Als Chris am Morgen nach dem Napalm-Angriff im Bunkergebiet des Vietcong erwacht, ist das erste, was er in der zerstörten Landschaft sieht, ein Wildtier, was durch die Bomben und Flammen ein verbranntes Fell hat. Dominiert wird die Szene von Vogelgezwitscher und Geräuschen des Waldes, die im starken Kontrast

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zu den Bombendetonationen und dem Maschinengewehrdonner der vergangenen Nacht stehen. Musik funktioniert in Platoon als Unterscheidungsmittel. Als die beiden Lager des Platoons gegenübergestellt werden, dient die Musik der Zuordnung der verschiedenen Gruppen. Die Männer in der „Unterwelt“, zu denen King, Rhah, Elias oder Big Harold gehören, tanzen gemeinsam zu dem Lied „Tracks of my Tears“ von Smokey Robinson oder hören Jefferson´s Airplane und rauchen Marihuana. Die Stimmung ist ausgelassen und das Thema Krieg spielt hier keine Rolle. Die Gruppe der mehrheitlich weißen Soldaten um Sergeant Barnes und Sergeant O´Neill trinkt Alkohol und spielt Poker. Die Stimmung ist eher bedrückend und das Thema Krieg ist hier allgegenwärtig. Die Szene wird mit der Zeile „We don´t smoke marihuana…“ aus dem Country-Western-Lied „Okie from Muskogee“ von Merle Haggard eröffnet. Beide Songs lassen auf einen deutlich gegensätzlichen

Standpunkt

und

eine

unterschiedliche

Lebenseinstellung

schließen. Als Chris und ein paar andere Männer seiner Einheit in der Nacht Wache halten müssen, schreckt Chris ruckartig aus seinem Schlaf hoch. Sein wachsamer Blick tastet die Umgebung nach Bewegungen ab und plötzlich bemerkt er eine Gruppe von Vietcong-Kämpfern, die auf ihn zukommt. In dieser Sequenz ist Chris’ Herzschlag zu hören, der mit jedem Schritt, den sich der Vietcong seiner Stellung nährt, schneller und auch lauter wird. Die schnelle Montage steigert die Spannung der Szene. Die Einspielung Chris’ Herzschlags unterstreicht seine zentrale Position im Film. Immer wieder beziehen sich auch Einstellungen und Perspektiven auf Chris’ Figur. Seine subjektive Wahrnehmung von Vietnam ist das leitende Motiv des Films, der dadurch weniger einen Gesamtkontext darstellt, sondern eher die ganz persönliche Sicht eines jungen Mannes. In der Sequenz, in der die Einheit das vietnamesische Dorf erreicht, um dort nach Vietcong-Kämpfern zu suchen, dominieren die Schreie der Frauen und Kinder, aber auch die der GIs die Situation. Unter den lauten flehenden Schreinen der Bewohner wird das Dorf in Brand gesetzt, Bunker und Verstecke ausfindig gemacht und gesäubert. Auch die GIs brüllen und schreien, womit ihre Anspannung, Angst und Wut zum Ausdruck kommt. Die Sprache wirkt durch die

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Lautstärke und durch die Hektik der Situation sehr bedrohlich und furchteinflößend. Als die Soldaten dann den Befehl bekommen, das Dorf niederzubrennen, sieht das Publikum verschiedene Einstellungen seiner Zerstörung. Hütten werden in Brand gesetzt, Gefangene abgeführt, Verstecke gesprengt und das gefundene Waffenmaterial vernichtet. Untermalt wird die Szene mit dem melancholischen und bedrückenden Stück „Adagio for Strings“ von Samuel Barber, dem musikalischen Motiv des Films, dass die tragische Bedeutung der Situation hervorhebt.

Setting Oliver Stone präsentiert den dichten Regenwald in alternierenden Bildern, die die Landschaft einerseits ästhetisch darstellen und andererseits zeigen, wie bedrohlich und tödlich die Natur sein kann. Noch im Vorspann sieht der Zuschauer, Soldaten durch den idyllischen und friedlich erscheinenden Dschungel streifen. Kurz darauf entdeckt Chris dann eine giftige Kobra im Laub. Gleich zu Beginn des Films wird Vietnam als undurchsichtig vorgestellt. Schon beim Verlassen des Flugzeugs, das die neuen GIs, unter denen sich auch Chris befindet, nach Vietnam brachte, verhindert aufgewirbelter Staub einen ungehinderten Blick. Auch später im Dschungel bekommt der Zuschauer durch die Verwendung der mobilen Handkamera eine Ahnung davon, wie dicht und unübersichtlich der Wald ist. Nach dem ersten Angriff der amerikanischen Soldaten in dem Bunkergebiet des Vietcong nahe der kambodschanischen Grenze, folgt ein zweiter Einsatz. Der Kampf zwischen Gut und Böse kehrt also an den Ort des Verbrechens zurück. Den Ort, an dem Sergeant Elias durch Barnes in den Tod geschickt wurde. Hier soll sich der Kampf entscheiden.

5.1.6 Auswertung „Mit Platoon hatte Oliver Stone ein Deutungsschema für die amerikanische Geschichte gefunden, das im Folgenden weitgehend unverändert blieb“ (Klein, 2006, S.297).

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Platoon sei der Film, an dessen Bilder sich die Menschen in 30 Jahren erinnern, wenn sie an den Vietnamkrieg denken (vgl. Klein, 2006, S.297). Seine gesellschaftliche und politische Legitimation bekommt der Film dadurch verliehen, dass der Drehbuchautor und Regisseur des Films Oliver Stone selber in Vietnam gedient hat. Daher ist Platoon eher ein persönlicher, weniger ideologischer oder politischer Film, bei dem Oliver Stone auf eine metaphorische Darstellung des Kriegs, wie sie in anderen Filmen anzutreffen ist, verzichtete (vgl. Beaver, 1994, S.91). Bezeichnend für Platoon ist dagegen eher seine Realitätsnähe. Die Aufnahme der toten Soldaten, denen durch den Wind des Helikopters die Plane von ihren Körpern geweht wird und der Blick des Zuschauers auf ihre blutigen Körper frei wird, sind detailierte Beobachtungen, die dem Films seine Authentizität verleihen. Oliver Stone bedient sich in Platoon einer Reihe von Destrukturierungen, die verschiedene Arten von Gefügen betreffen. Im Folgenden erläutere ich, welche Gefüge und Strukturen dies sind und stelle heraus, welche Strategien der Inszenierungen von Destrukturierung hier vom Regisseur angewandt werden.

Destrukturierung des Gut-Böse-Schemas Oliver Stone destrukturiert in Platoon zunächst das Gut-Böse-Schema, indem er zwei US-Sergeants diese Pole verkörpern lässt. Nicht nur der Vietcong stellt eine Bedrohung dar, sondern auch die eigenen Kameraden. „Der Feind taucht also tatsächlich zweimal auf. Diesseits und jenseits des Frontverlaufs“ (Wenk, 2004). Selten sind die Gesichter von Vietcong-Kämpfern zu sehen und nie werden sie in einer Großaufnahme gezeigt. Die Mimik des Feindes, auf Grund dessen der Zuschauer Empfindungen und Gefühle ableiten könnte, ist selten wahrzunehmen. Schon in der ersten kämpferischen Auseinandersetzung, die im Film inszeniert ist, steigt der Vietcong aus dem Nebel auf und verschwindet auch wieder gesichtslos im Nebel des Waldes. Kurz bevor die Einheit das vietnamesische Dorf erreicht, in dem es die VietcongSoldaten vermutet, die Manny auf dem Gewissen haben, beschreibt Chris in einem Off-Kommentar den „Sog des Untergangs“, der sie alle langsam zu erfassen droht. Als das Zentrum dieses Untergangs nennt er Sergeant Barnes. Die

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negativen und destruktiven Kräfte der Einheit konzentrieren sich also in seiner Person. Doch Chris bewundert Barnes auch auf eine Art und Weise. Die eigentliche Gefahr besteht für Chris also eher darin, seine moralischen Grundsätze zu verraten und sich auf die Seite Barnes’ und somit in den Sog ziehen zu lassen. Als Barnes in einer Gefechtssituation in dem Bunkergebiet des Vietcong versucht, Chris zu erschlagen und eine Ausholbewegung macht, werden die beider Gesichter in einer Nahaufnahme gegenübergestellt. Barnes ist in Untersicht gefilmt und hat einen wahnsinnigen Gesichtsausdruck, der durch seine rotglühenden Augen noch unterstrichen wird. Er wird wie der Teufel dargestellt, der versucht, von Chris’ Seele Besitz zu ergreifen. Chris ist in Draufsicht gefilmt, in der unterlegenen Position. Sein Gesicht ist angstverzerrt und mit seinen Armen versucht er, den Angriff Barnes’ abzuwehren. Kurz bevor Barnes den Schlag ausführen kann, wird er durch die Wucht einer Detonation umgerissen. Im zweiten Schritt dann nimmt Oliver Stone die Struktur des üblichen Ausgangs dieses Konflikts auseinander, indem der Gute dem Bösen unterliegt. Der böse Vater, hier verkörpert von Sergeant Barnes, ist der Triumphierende in diesem Kampf. Zwar wird er von Chris getötet, womit Chris eine eindeutige Entscheidung gegen ihn trifft und sich so dem Sog entziehen kann, aber Menschen wie Barnes bestimmen weiterhin die Regeln, nach denen der Krieg geführt wird.4

Destrukturierung der Vorstellung von Truppenzusammenhalt Mit dem Konflikt zwischen Gut und Böse transportiert Platoon nicht die kameradschaftliche Einstellung einer Einheit, die noch den Filmen über den Zweiten Weltkrieg immanent war. Während sich der Zuschauer ein Platoon als funktionierende solidarische Gruppe von Männern vorstellt, die ein Schicksal teilen und durch dieses Schicksal miteinander verbunden sind, ist die Einheit in Platoon in zwei Lager gespalten. Es herrschen ein rauer Ton und derbe Umgangsformen, Schimpfwörter werden oft benutzt und die Soldaten stacheln sich gegenseitig zu Gewalt an. Chris beschreibt die Situation im Platoon in einem seiner Briefe als Bürgerkrieg. Soldaten, die eigentlich gemeinsam für eine Sache 4

Die Erzählung in Platoon weißt Parallelen zu Shakespeares Hamlet auf, mit Chris Taylor als

Hamlet, Sergeant Elias als ermordetem König und Sergeant Barnes als Claudius, dem Thronräuber (vgl. Klein, 2006, S.298).

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kämpfen sollten, bekriegen sich gegenseitig und machen den Kampf gegen den Vietcong dadurch umso schwerer. Visualisiert wird diese Teilung des Platoons durch die gegensätzliche Darstellung der beiden Lager. Die Männer um Sergeant Elias, Mexikaner, Schwarze und Weiße hören psychodelische Hippie-Musik und rauchen Marihuana. Die Szenerie in der „Unterwelt“ ist in rotes Licht getaucht, was dem Bunker eine anrüchige Atmosphäre verleiht. In der Unterkunft der Gruppe um Sergeant Barnes ist die Stimmung weniger ausgelassen und schon die Beleuchtung der Szene ist nüchterner. Hier spielen die vornehmlich weißen Soldaten vom Land, die sogenannten Rednecks, Poker und betrinken sich. Die Gegenüberstellung mit Hilfe der Montage macht die Unterschiede zwischen den beiden Lagern für den Zuschauer offensichtlich. Diese Spaltung der Einheit impliziert auch eine Destrukturierung des Status der militärischen Führung, die im Platoon eigentlich Lieutenant Wolfe inne hat. Doch Wolfe wird als unsicherer und unerfahrener Emporkömmling in Szene gesetzt, der vergeblich um die Anerkennung und Respekt in der Einheit kämpft.

Destrukturierung von Chris’ Psyche In Platoon erfolgt eine Inszenierung der Destrukturierung von Chris’ Psyche. Chris wird zu Beginn des Films als ein cleverer, aber unentschlossener junger Mann vorgestellt, der das College abgebrochen hat und nun hofft, in Vietnam neue wertvolle Lebenserfahrungen sammeln zu können. Über die Briefe an seine Großmutter erfährt der Zuschauer, dass die Heimat und das College Chris nichts mehr bieten konnten und sein bisheriges Leben unerfüllt war. Mit seinem Kriegsdienst wollte er der Kontrolle seiner Eltern entkommen, nach deren Vorbild er nicht leben wollte. Bereits bei seiner Ankunft in Vietnam wird Chris dann mit der Realität des Kriegs konfrontiert, als er sieht, wie Leichensäck in die Maschine transportiert werden, mit der er gerade erst angekommen ist. Schon nach der ersten Woche gesteht Chris sich und seiner Großmutter ein, einen schweren Fehler gemacht zu haben. Bei seinem ersten Einsatz im Dschungel ist Chris alleine vom Fußmarsch körperlich am Ende. Er schwitzt, hat fürchterlichen Durst, ist müde und wird zudem auch noch von seinen Kameraden als Hosenscheißer und Grünschnabel beschimpft.

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Im Laufe des Films verändert sich Chris dann zusehends. Glaubt er zu Beginn seines Einsatzes noch, in einem sinnvollen Krieg zu dienen und seine Pflicht für sein Vaterland zu erfüllen, fällt es ihm im Verlauf der Handlung immer schwerer, einen klaren Kopf zu bewahren und nicht durchzudrehen. Seine Psyche und seine Gedankenstrukturen werden durch seine Erlebnisse in Vietnam, durch die Angst und durch die Anspannung im Krieg destrukturiert. Durch Chris’ Kommentare wird dem Zuschauer nähergebracht, wie Chris Tag für Tag desillusionierter und emotionsloser wird.

„[…] Der Sog des Untergangs zog uns alle langsam in den Strudel […]“ (Chris).

Mit Untergang meint Chris hier, den schrittweisen Abbau der physischen und psychischen Kräfte, der moralischen Stabilität der Soldaten, der Motivation und der Bereitschaft zur Disziplin. Dieser Kommentar von Chris bildet den Auftakt zu der Ankunft in dem vietnamesischen Dorf in dem Barnes sich dann des Kriegsverbrechens schuldig macht. Auch Taylor verliert für einen Moment die Kontrolle und schießt wie von Sinnen vor die Füße eines offensichtlich behinderten jungen Mannes und zwingt ihn so dazu, zu tanzen. Chris, der in Form von Briefen an seine Großmutter Kontakt zu seiner Familie gehalten hat und ihnen so von seinen Erfahrung berichtete, hat bald kein Interesse mehr daran, sich jemandem aus der Heimat mitzuteilen. Zum Schreiben fehlt ihm die Energie. Er hat keine Kraft mehr, seine moralischen Vorstellungen aufrecht zu halten, noch zwischen Richtig und Falsch unterschieden zu können. Chris muss weniger gegen den Feind kämpfen, als vielmehr darum, in der Hölle von Vietnam nicht seinen Verstand zu verlieren. Auch Chris’ Rolle als Heldenfigur wird destrukturiert. Denn Chris ist nicht der selbstsichere und entschlossene Kämpfer, der immer die richtigen Entscheidungen trifft. Chris weiß lange Zeit nicht, wie er sich in dem Konflikt zwischen Elias und Barnes positionieren soll. Den Moment, in dem er Barnes erschießt, erfährt Chris als symbolischen Moment der Erkenntnis. Das Gute in ihm hat zwar über das Böse gesiegt, doch Taylor macht sich in diesem Moment des Mordes schuldig. Oliver Stone präsentiert hier also nicht den sauberen Helden, sondern einen, den

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der Krieg verdorben hat und der beschmutzt ist von seinen Erfahrungen und Taten (vgl. Beaver, 1994, S.95). Dennoch ist Chris’ letzter Kommentar positiv angelegt und gibt Hoffnung für die Zukunft5:

„Ich denke heute, wenn ich zurückblicke, wir haben nicht gegen den Feind gekämpft, wir haben gegen uns selbst gekämpft. Der Feind war in uns. Der Krieg ist jetzt für mich vorbei, aber er wird immer bestimmend sein, bis ans Ende meiner Tage. […] Diejenigen von uns, die davon gekommen sind, haben die Verpflichtung etwas Neues zu schaffen, Anderen das weiterzugeben, was wir wissen. Und mit all dem, was von unserem Leben übrig geblieben ist, zu versuchen, einen Wert und eine Bedeutung zu finden für dieses Leben“ (Chris).

Destrukturierung des historischen Kontexts des Vietnamkriegs Als Besonderheit von Platoon kann gelten, dass der Film ein Gefühl von geographischer Präsenz transportiert. Somit bricht der Film die bisher beim Zuschauer bestehende Vorstellung auf, dass Krieg eher in einem historischen Kontext zu sehen ist. Platoon destrukturiert also den bisherigen zeitlichen Zusammenhang in dem der Vietnamkrieg wahrgenommen wurde und bringt ihn in Verbindung mit der geographischen und sogar meteorologischen Lage Vietnams. Im Gegensatz zu anderen Vietnamkriegsfilmen, wie Die durch die Hölle gehen, definiert Platoon den Krieg über das Land Vietnam und seine landschaftlichen Begebenheiten und definiert ihn weniger als eine Zeit oder ein Ereignis in der amerikanischen Geschichte. Dies wird über die Bildkomposition erreicht, in der die amerikanischen Soldaten in der Landschaft untergehen.

5

Kritiker bemerkten bei der Darstellung Taylors eine Diskrepanz zwischen seinem Alter und

seinen Gedankenäußerungen. Dies sei möglicherweise darauf zurückzuführen, dass Oliver Stone seine Erlebnisse, die er mit 19 hatte, mit 30 Jahren in Form eines Drehbuches niederschreibt und im Alter von 40 Jahren verfilmte. Die Perspektive auf den Krieg ist also zum Zeitpunkt der Verfilmung schon lange nicht mehr die eines 19-Jährigen. So ist die Hauptfigur des Films zwar der junge Chris Taylor, doch seine Gedanken gehören einer älteren Person, die schon zurückgeblickt hat, die Guten von den Bösen unterscheiden kann und ihre Lektion gelernt hat (vgl. Beaver, 1994, S.96).

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Als Taylor seine Verletzungstage überstanden hat und ins Lager zurückkehrt, passiert er einen Wegweiser auf dem die Entfernungen zu Hongkong (685 km) und Hanoi (710 km) zu lesen sind. Zwischen beiden Städten gibt es auch ein Schild, dem die Entfernung zu Kansas entnommen werden kann: Es sind 9896 km. Hieran wird die geographische Lage Vietnams verdeutlicht. Auch die Fremdartigkeit der Landschaft und der Vegetation, die sich aus dieser Lage ergibt, wird immer wieder visualisiert.

Destrukturierung der Landschaft Auch die Landschaft Vietnams verändert im Lauf des Films ihre Struktur. Lange Einstellungen von der landschaftlichen Schönheit Vietnams, aus einer Vogelperspektive gefilmt, veranschaulichen die intakte Natur. Doch mit Hilfe von Schwenks und weiteren Aufnahmen werden die Bilder des grünenden dichten Regenwalds Bildern einer vom Napalm zerstörten, brennenden, kahlen Landschaft gegenübergestellt. Als Chris in einem Helikopter die Stellung seines Platoons Richtung Heimat verlässt, zeigt seine Perspektive eine Totale des Schlachtfelds. Bombenkrater, Leichen und die zerstörte Natur dominieren das Bild. Die Szenerie gleicht einem Massengrab.

Destrukturierung von Körpergefügen Mit Hilfe von visuellen und akustischen Gestaltungsmitteln zeigt Platoon auch die Destrukturierung von Körpergefügen. Dem Tod des ersten Soldaten, der im Film stirbt, geht ein schmerzerfülltes Geschrei und Gebrüll voraus. Barnes Worte, die er an die Überlebenden richtet, weisen darauf hin, welchen Wert ein toter Soldat in einem Krieg hat.

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„[…] Seht euch diesen blutigen Klumpen Fleisch genau an […]“ (Barnes)!

Der Tod von Soldaten wird leise und unspektakulär inszeniert. Die Soldaten nehmen das Ableben eines ihrer Kameraden wortlos und sichtlich betroffen auf, was mit Hilfe von langen ruhigen Schwenks über die Gesichter der Soldaten visualisiert wird.

Die meist blutüberströmten Körper der Toten sind je nach Art der Verletzung entstellt, die Augen meist weit aufgerissen. Detailierte oder schockierende Darstellungen von Leichen werden vermieden. Einen relativ brutalen Tod sterben die Soldaten Bunny und Junior. Beide werden brutal zuerst niedergeschossen und erstochen. Im Unterschied zu den Toden der anderen Kämpfer, sieht der Zuschauer hier die aggressiven Gesichter der Vietcong-Kämpfer und den Tötungsvorgang. Mit der eindringlichen Darstellung ihres Todes wird das Rachebedürfnis des Zuschauers bedient. Bunny und Junior werden

als

Charaktere

Unkameradschaftlichkeit

vorgestellt, und

die

Dummheit

sich

durch

ihre

Brutalität,

auszeichnen.

Ihre

negativen

Eigenschaften legitimieren einen so grausamen Tod, der vom Zuschauer nur durch ihre vorhergehende Unmenschlichkeit und Verständnislosigkeit angenommen wird. Der einzige, dessen Tod tragisch und heroisch visualisiert wird, ist der Sergeant Elias´. Unter den Klängen des „Adagio for Strings“ ist er in Halbtotalen, Halbnahen oder nahen Aufnahmen gezeigt, in denen er versucht, sich vor den Schüssen des Vietcong zu retten. Auch die Totale, die Chris’ Perspektive aus dem Helikopter darstellt, zeigt Elias´ Kampf ums Überleben. Trotzdem Elias unzählige Male in den Rücken geschossen wird, richtet er seinen blutüberströmten Körper immer wieder auf. Auch ihn umgibt in dieser Szene eine unzerstörbare Aura. Elias stirbt unter dem Kugelhagel, mit zum Himmel ausgestreckten Armen.

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5.2 Full Metal Jacket 5.2.1 Entstehungsgeschichte des Films Full Metal Jacket ist nach Fear and Desire (USA 1953), Wege zum Ruhm (USA 1957) und Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben (USA 1964) der vierte Film Kubricks, der sich mit dem Thema Krieg auseinandersetzt. Doch auch in Filmen wie 2001: Odyssee im Weltraum (USA 1968) oder Uhrwerk Orange (USA 1971) hatte sich Stanley Kubrick schon mit den dunkleren Seiten des menschlichen Seins beschäftigt. Full Metal Jacket untersucht zwei verschiedene Stationen des Lebens eines Infanterie-Soldaten: die Grundausbildung und den Kampf. Full Metal Jacket basiert auf dem 1979 erschienenen autobiographischen Roman „The Short Timers“ des Vietnam-Veteranen Gustav Hasford, der als Kriegskorrespondent bei der Marine gedient hatte (vgl. Wende, 1999, S.1078). Das Drehbuch stammt von Hasford, Kubrick und Michael Herr, der ebenfalls in Vietnam Korrespondent war. Stanley Kubrick, der zu der Zeit er Dreharbeiten schon seit ca. 20 Jahren in Großbritannien lebte, hat mehrere Jahre an dem Film gearbeitet (vgl. Wende, 1999, S.1078). Gedreht wurden die Szenen für Huế auf einem zum Abriss freigegebenen Gelände in der Nähe von London (vgl. Wende, 1999, S.1078). Die Rolle des Ausbilders Sergeant Hartman besetzte Stanley Kubrick mit Lee Ermey, der auch im wahren Leben Ausbilder auf Parris Island6 gewesen ist und die Filmproduktion eigentlich nur für Beratungstätigkeiten begleiten sollte. Doch sein Engagement und schauspielerisches Talent führten dazu, dass Kubrick ihm die Rolle anbot.

6

Das Marine Corps Recruit Depot Parris Island ist eine militärische Einrichtung, die der

Ausbildung von Marine-Soldaten dient. In Parris Island werden alle männlichen Rekruten östlich des Mississippis und alle weiblichen Rekruten des Landes trainiert. Pro Jahr absolvieren ca. 17.000 Rekruten die Grundausbildung auf Parris Island (vgl. o.N., 2008).

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5.2.2 Historischer Hintergrund Amerikaner, die zum Kriegsdienst einberufen wurden oder sich freiwillig meldeten, begannen ihren Dienst mit einer 8-wöchigen harten militärischen Ausbildung (vgl. Hillstrom, 1998, S.123). Schon die ersten Stationen dieser Ausbildung waren so angelegt, dass die Rekruten ihr bisher gelerntes Verhalten abstreiften und nur die elementaren Gewohnheiten, wie Essen, Hygiene oder Sprechen beherrschten. So konnten die Rekruten ganz im Sinne der Army neu erzogen werden (vgl. Hillstrom, 1998, S.124). Besonders in den Marine Corps waren die Ausbilder für ihren harschen Umgang mit den Rekruten bekannt (vgl. Hillstrom,

1998,

S.123).

Die

Marines

sahen

sich

demoralisierenden

Beschimpfungen gegenüber, die das Pendant zu den hohen körperlichen Ansprüchen war, die an die Männer gestellt wurden. Das Training funktionierte durch die enormen körperlichen Anstrengungen und durch den starken mentalen Druck, der auf die von ihrer zivilen Umgebung isolierten Männer ausgeübt wurde. Die Individualität war ein erstes Opfer dieses Trainings. Den Rekruten war es verboten, von sich in der ersten Person zu sprechen und Privatheit wurde durch die gemeinschaftliche Umgebung, in der die Rekruten gemeinsam aßen, schliefen und trainierten ausgelöscht. Innerhalb der Identität des Einzelnen wurde Platz geschafft für neue Gefühle der Loyalität gegenüber dem Corps und Liebe zu den Vereinigten Staaten (vgl. Hillstrom, 1998, S.124). Die Methoden der Grundausbildung waren hart, wurden allerdings aus der Auffassung heraus angewandt, den Rekruten so eine größtmögliche Überlebenschance im Kampf zu geben. Die Rekruten sollten für die Situation in Vietnam physisch und psychisch gestärkt sein. Nur mit einem Vollmantelgeschoss (deutsch für „Full Metal Jacket“) - einer besonders harten Ummantelung, die das weiche bleierne Innere einer Kugel umhüllt - würden es den Soldaten möglich sein, Vietnam und seine Herausforderungen zu überstehen (vgl. Hillstrom, 1998, S.125).

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5.2.3 Narrationsstruktur Plot Der Film beginnt in dem Ausbildungslager Parris Island in South Carolina. Zwei Soldaten stehen dabei im Mittelpunkt des Films, denen der Ausbilder Sergeant Hartman, wie den anderen Rekruten auch, Spitznamen gegeben hat. Joker ist ein scharfsinniger, zynischer Rekrut; Leonard ist ein übergewichtiger und unsicherer Rekrut, der schnell zur primären Zielscheibe Hartmans Beschimpfungen wird. Leonard fällt es schwer, die harte Grundausbildung durchzustehen und versagt immer wieder beim Training. Doch sein Werdegang erreicht einen Wendepunkt, als er eines Nachts von seinen Kameraden zusammengeschlagen wird. Dieser Überfall bringt Leonard völlig aus dem Gleichgewicht. Er besteht zwar die Grundausbildung, erschießt dann aber Sergeant Hartman und sich selbst in dem Toilettenraum der Baracke. Die ausgebildeten Soldaten gehen nach Vietnam. Joker ist nun als Reporter für die Zeitung „Stars and Stripes“7 tätig und soll den Einsatz der US-Army in der Stadt Huế auf die Titelseite bringen. Joker stößt zu einer Einheit, die systematisch die Ruinen der Stadt durchkämmt. Kurze Zeit später werden 3 der Soldaten der Gruppe von einem Scharfschützen getroffen. Letztendlich kann das Versteck des Scharfschützen ausfindig machen, der sich als junge vietnamesische Frau herausstellt. Schwer verletzt von den Schüssen der Soldaten, bittet sie Joker darum, sie zu erschießen. Nachdem er zögert, tötet der die Frau und kann somit seinen ersten offiziellen „Kill“ vorweisen.

Story Der erste Teil des Films zeigt die Ausbildung der amerikanischen Rekruten im Camp auf Parris Island in South Carolina. Zunächst werden den jungen Rekruten die Haare geschoren. Dies soll der erste Schritt sein, um sie zu uniformieren. 7

Die Zeitung „Stars and Stripes“ wird vom US-Verteidigungsministerium für Angehörige des

Militärs und deren Familien herausgegeben. Sie erscheint täglich in fünf verschiedenen Ausgaben für die Regionen Mittlerer Osten, Europa, Japan, Korea und Okinawa. Laut einer Erhebung aus dem Jahr 2002 erreicht sie täglich ca. 365.000 Leser (vgl. o.N., 2007).

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Durch die harte Ausbildung werden sie weiter entpersönlicht und gehen als Individuen mehr und mehr unter. Der Tagesablauf der Rekruten ist monoton, ein Privatleben auf Parris Island ist ausgelöscht. Es existieren noch nicht einmal Schamwände zwischen den Toiletten. Private Pyle, wie Leonard von Sergeant Hartman genannt wird, gilt die besondere Aufmerksamkeit des Ausbilders. Seine körperliche

Unförmigkeit,

fehlende

Kondition

und

seine

motorische

Unzulänglichkeit lassen ihn in der Gruppe ständig auffallen und gefährden den erzieherischen Erfolg der Ausbildung. Um ihn besser in die Gruppe zu integrieren, wird ihm Private Joker zur Seite gestellt. Als dann die gesamte Gruppe für Leonards Unzulänglichkeiten bestraft wird, rächen sich die Rekruten an ihm mit einer nächtlichen Prügelaktion. Zunächst zögert Private Joker, schlägt dann aber umso härter auf den am Bett gefesselten Pyle ein. Joker hat hiermit eindeutig eine Entscheidung getroffen. Er akzeptiert nun, dass Moral und Humanität in der militärischen Welt nicht existieren (vgl. Wende, 1999, S.1080). Leonard zieht sich immer mehr zurück, ist geistig verwirrt und entwickelt eine fast sexuelle Beziehung zu seinem Gewehr „Charline“. Am letzten Tag der Ausbildung zeigt sich

dann

gerade

in

Leonard

die

Wirkung

des

militärischen,

menschenverachtenden Drills. Die auf den Kampf ausgerichtete Erziehungspraxis für eine fragwürdige militärische Zielorientierung entpuppt sich in seinem Fall als selbstzerstörerisch. Er ist zu einer Kampfmaschine geworden, die in letzter Konsequenz den Ausbilder, seinen Erschaffer, tötet und im Anschluss sich selbst. Der zweite Teil zeigt den Einsatz der Soldaten in Vietnam. Der Szenenwechsel ist radikal. Die Soldaten werden nun mit einem fremden Land konfrontiert, das ihre Wahrnehmungsgewohnheiten auf den Kopf stellt. Joker, inzwischen als Reporter für „Stars and Stripes“ tätig, und sein Kollege Rafterman werden an die Front zu einem Platoon geschickt und sollen die Kämpfe in Huế auf die Titelseite bringen. Kurz nachdem sie die Einheit erreichen, nähren sie sich der Betonlandschaft der Stadt Huế. Als sich die Einheit in den Häusertrümmern verläuft, geraten sie in das Visier eines Heckenschützen, der drei Männer des Trupps ermordet. Nachdem sie den Scharfschützen aufgespürt haben, entpuppt dieser sich als junge Frau, was die amerikanischen Soldaten vollkommen verwirrt. Sie stehen dem zuvor immer als männlich vermuteten Feind zum ersten Mal gegenüber. Als Joker dann die um Erschießung bittende Frau tötet, zeigt sich darin die Zweideutigkeit Jokers

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Handeln: einerseits ist der Akt der Tötung seine „Geburt als Soldat“ (WeigelKlick, 1996, S.96) und andererseits auch ein „Akt der Humanität“ (Weigel-Klick, 1996, S.96). Die überlebenden Soldaten kehren nach der Sequenz in Huế zu dem Stützpunkt am nahe gelegenen Perfume River zurück und singen beim Abzug aus der brennenden Stadt das Mickey-Mouse-Lied.

Charaktere

Private Joker Schon zu Beginn des Films reizt Joker den Ausbilder Sergeant Hartman durch seine unorthodoxe Einstellung und durch renitente Bemerkungen. Doch er besitzt Willensstärkere und Schneid, was ihn vor den direkten Angriffen Sergeant Hartmans schützt. Jokers Person wird nicht gesondert vorgestellt, der Zuschauer erfährt über ihn recht wenig. In einem Interview mit einem Filmteam beschreibt er seine Intention, nach Vietnam zu kommen, mit den Worten:

„Ich wollte das exotische Vietnam sehen, das Kleinod von Südostasien. Ich hab mir gedacht, ich treff’ interessante, anregende Menschen aus einer alten Kultur - und kill sie. Ich wollte unbedingt der erste in meinem Block sein, der einen amtlichen Kill vorweisen kann“ (Joker).

Private Joker ist ein nüchterner, sarkastischer, ja zynischer Soldat, mit einem fatalistischen Blick auf das Kriegsgeschehen. Er hat in Full Metal Jacket die Rolle des kühlen, distanzierten und emotionslosen Beobachters, den die Absurditäten des Kriegs nicht wirklich überraschen.

Gunnery Sergeant Hartman Der Ausbilder der US-Marines wird mit seiner Liebe zum Corps und seinem schier unerschöpflichen Repertoire an Beschimpfungen als harter Drill Instructor von Parris Island vorgestellt. Mit biblischen Vergleichen und mit gebetsartigen Rezitieren von „My Rifle“, dem Glaubensbekenntnisses eines US-Marines, verfolgt Sergeant Hartman eine perfide Schein-Religiosität in der Parris Island

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eine Art militärischen Himmel darstellt (vgl. Klein, 2006, S.300). Mit aller Härte bestraft Hartman jeden, der Schwäche zeigt und den körperlichen und psychischen Ansprüchen der Ausbildung nicht gewachsen ist.

Leonard Lawrence/ Private Pyle Als übergewichtiger und unsportlicher junger Mann sticht Leonard Lawrence von Beginn der Ausbildung an aus der Gruppe heraus. Dieses Auffallen macht ihn zur Zielscheibe Sergeant Hartmans. Jedes Versagen Leonards wird von Hartman mit erniedrigenden Demütigungen bestraft. Ein erzieherischer Erfolg stellt sich bei Private Pyle erst dann ein, als er nach einer sogenannte „blanket party“ auch den Rückhalt in der Gruppe verliert. Während von da an Leonards psychische Labilität immer mehr zunimmt, entwickelt er sich zu einer Killermaschine und kann die Ausbildung erfolgreich durchlaufen. In der letzten Nacht im Camp erschießt er dann in letzter Konsequenz Sergeant Hartman und begeht anschließend Selbstmord.

Erzählmuster Der Film gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil ist ca. 44 Minuten lang. Er spielt in einem Ausbildungslager der Marines und zeigt die Soldaten beim militärischen Drill. Der zweite Teil des Films ist ca. 74 Minuten lang und zeigt die Soldaten, die in Vietnam mit der Realität des Krieges konfrontiert sind. Die Diskrepanz zwischen beiden Teilen des Films ist sehr radikal. Zwei unterschiedliche Zeichensysteme stehen sich hier kontrastierend gegenüber. Das Zeichensystem, das den Rekruten auf Parris Island indoktriniert wurde, verliert in Vietnam gänzlich seine Bedeutung und wird destrukturiert. Dieser Fakt stellt die eigentliche, eher kulturelle Hölle für die Soldaten dar. Die gewohnten Zeichen der Heimat verlieren ihre Gültigkeit, ein Stoffspielzeug wird zur Sprengfalle oder ein Teenager zur mörderischen Scharfschützin. Das zu Beginn des Films fast himmlisch dargestellte Parris Island kontrastiert stark zu dem am Ende des Films brennenden Huế. Doch der erste und zweite Teil bergen trotz ihrer Gegensätze ein gemeinsames Thema: der Erziehungsprozess der Rekruten. Während im erstem Teil die institutionalisierte

Ausbildung

inszeniert,

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setzt

im

zweiten

Teil

ein

Erziehungsprozess ein, der die Soldaten wieder zu eigenständigem Handeln und Denken in Kriegssituationen führt. Die Erzählung in Full Metal Jacket ist linear angelegt und zeigt eine chronologische Abfolge von Sequenzen. Diese Sequenzen sind allerdings eher freistehend, beziehen sich nur lose aufeinander und stellen keine typische Hollywood-Dramaturgie dar. Vielmehr wirken die einzelnen Stationen der Soldaten autonom und sind nicht Teil einer großen zusammenhängenden Erzählung.

5.2.4 Stilistischen Gestaltungsmittel Bildkomposition Die Einstellungen im Ausbildungslager auf Parris Island zeichnen sich durch ihre geometrische Bildkomposition aus. Soldaten, Betten, Gewehre und Säulen im Bild

sind

symmetrisch

Übersichtlichkeit.

Die

angeordnet

langen

und

vermitteln

Kamerafahrten

dem

unterstreichen

Zuschauer dann

die

Künstlichkeit der Szenerie, in der klare Linien und Formen dominieren. So wird die Entmenschlichung des militärischen Drills visualisiert. Die Stätte der Ausbildung, deren Ziel es ist, Synchronität zu erreichen, bekommt so einen überschaubaren und übersichtlichen Charakter.

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Dem gegenüber steht die Bildkomposition im zweiten Teil des Films. Die Bildinhalte sind nun chaotischer, unüberschaubar und bruchstückhafter. Nichts folgt mehr der kontrollierten und präzisen Ordnung des Ausbildungslagers (vgl. Wende, 1999, S.1081).

Einstellungsgröße Den Auftakt des Films bilden Nahaufnahmen, in denen den Neuankömmlingen im Ausbildungslager die Haare geschoren werden. Diese Einstellungsgröße lässt die Männer noch als Individuen erkennen. Dabei stellt die Uniformierung durch die Rasur nur den ersten Schritt zur Entindividualisierung dar. Dem Zuschauer werden hier schon die Gesichter der Figuren vorgestellt, die er im weiteren Verlauf des Films öfter sehen wird. Stanley Kubrick bedient sich häufiger Nahaufnahmen der Hauptcharaktere des Films, um immer wieder so etwas wie eine Bestandsaufnahme zu machen. Trotzdem das Publikum nicht direkt etwas über Joker erfährt, verrät sein Gesichtsausdruck in manchen Situationen etwas über seine Gefühle. Ob Joker vor einem Massengrab vietnamesischer Zivilisten steht oder auf die Scharfschützin niederschaut, die er erschossen hat - die meist in Nah- oder Großaufnahme gedrehten Einstellungen lassen Emotionen wie Trauer, Verwunderung oder Schmerz erkennen, durch die dem Zuschauer die Person Joker nähergebracht wird. Als sich der Zug um Private Cowboy in den Ruinen vor der Stadt Huế verläuft, geraten die Männer in das Visier eines Scharfschützen. Als sich zuerst Albino auf den Weg macht, um die Situation einzuschätzen, wird der dreimal von den Kugeln des Heckenschützen getroffen. So lockt der Scharfschütze Doc Jay, der Albino nicht kampflos aufgeben will, in seine Falle und schießt auch ihn nieder. Die Schüsse auf die Soldaten werden jeweils in Zeitlupeneinstellung gezeigt, in der

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sich auch die qualvollen Schreie in die Länge ziehen und die schmerzerfüllten Gesichtsausdrücke genauestens wahrzunehmen sind.

Kameraperspektive Während des ersten Teils des Films dominiert Sergeant Hartman visuell und akustisch den Raum. Oft ist er in Groß- und Nahaufnahmen zu sehen und dabei aus der Untersicht gefilmt. Diese Perspektivwahl bildet das visuelle Pendant zu seiner akustischen Präsenz, die in starkem Kontrast zu der der Rekruten steht. Seine Überlegenheit wird beispielsweise in der Szene offensichtlich, in der es sich Joker nicht nehmen lässt, auf die selbstherrlichen Ausführungen Hartman mit dem Spruch zu reagieren:

„Sind Sie vielleicht John Wayne? Oder bin ich das“ (Joker)?

Prompt wird er von Sergeant Hartman zu Boden gebracht, der ihm in einer Großaufnahme aus der Untersicht gefilmt beibringt:

„[…] Hier wird nicht gelacht. Hier wird nicht geheult. Garantiert“ (Sergeant Hartman).

Die Blickwinkel der amerikanischen Soldaten auf das Geschehen in Vietnam werden immer wieder von der Perspektive des Opfers beziehungsweise des Feindes aufgebrochen. Als die Soldaten um Joker in die Ruinen von Huế einziehen und sie von dem Heckenschützen in Schach gehalten werden, nimmt die Kamera die Perspektive des Schützen ein. Der Zuschauer beobachtet so die Orientierungslosigkeit der Soldaten, die aus dieser beobachtenden Perspektive noch offensichtlicher wird. Auch als die Soldaten einen Kreis um zwei der amerikanischen Opfer bilden, wird von der Kamera die Perspektive der Toten eingenommen. Die Männer schauen herunter auf die Leichname und die Kamera sieht praktisch mit den Augen des Opfers zu den GIs auf. Die anschließende Interviewsequenz, in der die Soldaten direkt in die Kamera des Fernsehteams schauen, hat einen fast dokumentarischen Charakter. Die

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üblicherweise klar gezogene Grenze zwischen authentischer Kriegsdarstellung und konstruierter Fiktion verschwimmt hierbei (vgl. Wende, 1999, S.1083).

Kamerabewegung In den Bildern Full Metal Jackets ist kontinuierlich Bewegung zu sehen, was den Rezipienten immer wieder in das Gesehene einbindet. Schon im ersten Teil des Films begleitet die Kamera Sergeant Hartman in langen Einstellungen durch die Reihen des Schlafsaals. Auch während der Marsch- und Gewehrübungen, während des Frühsports und der täglichen Drillsituationen ist die Kamera immer in Bewegung. Frontal blickt sie auf die meist in einer Halbtotale gefilmte Formation der Rekruten und bewegt sich rückwärts zu der Bewegung der Männer. Diese Art der Kamerabewegung wird vielfach genutzt und zieht sich durch den gesamten Film. Lange Schwenks werden in die Erzählung eingebunden, um dem Zuschauer einen Überblick über das Gelände zu geben und ihn gleichzeitig in die Situation einzuführen, wie es bei der Inszenierung des Einzugs in Huế genutzt wird. Hier dienen die Totale vom Schlachtfeld und der Schwenk über die Gesichter der Hauptfiguren, wie bereits in der Eröffnungsszene des Films, der Vorstellung der Szenerie. Dem Zuschauer wir hierbei ein weiter Blick über die zerbombte Stadt gewährt.

Ton Während des ersten Teils von Full Metal Jacket sind die jungen Rekruten dem hasserfüllten und gleichzeitig selbstherrlichen Gebrüll Sergeant Hartmans ausgesetzt. Die auditive Ebene ist bei der Inszenierung der Schikanen wichtig, denn der Zuschauer ist den Äußerungen des Sergeants genau wir Leonard und die anderen Rekruten wehrlos ausgesetzt. Dabei gehören Hartmans Beleidigungen zur Strategie des militärischen Drills, der aus den Männern emotionslose Kampfmaschinen formen soll. Die Demütigung und Verachtung zeigt den Männern ihre Minderwertigkeit und soll ihr Selbstwertgefühl destruieren (vgl. Wende, 1999, S.1079). Dem permanenten Schreien des Ausbilders steht dann das reglementierte Sprechverhalten der Rekruten gegenüber. Sie müssen ihre Sätze mit „Sir“ beginnen und mit „Sir“ beenden und dürfen von sich selbst nicht in der

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ersten Person reden. Sprache ist hier nichts anderes als ein Instrument der Macht (vgl. Wende, 1999, S.1079). Ein musikalisches Muster, welches der Regisseur an bedeutungstragenden Positionen im Film nutzt, ist das düstere und bedrückende Thema von Abigail Mead. Die für Full Metal Jacket komponierte Klangfolge, erinnert durch ihren dumpfen und düsteren Charakter an das Horror-Genre (vgl. Wende, 1999, S.1081). Es stellt die akustische Untermalung der Racheaktion an Leonard dar und ist ebenfalls während seines Selbstmordes zu hören. Auch die Dramatik der finale Szene, in der sich die GIs um die im Streben liegende und um ihren Tod bittende Scharfschützin gruppieren, wird durch die immer lauter werdende Klangfolge Meads potenziert. Die Handlung von Full Metal Jacket wird von den Kommentaren des „Stars and Stripes“-Reporters Joker aus dem Off begleitet. Diese haben meist einen zynischen

Unterton

und

verraten

seinen

fatalistischen

Blick

auf

das

Kriegsgeschehen (vgl. Wende, 1999, S.1082). Neben der begleitenden Funktion der Kommentare werden diese darüber hinaus dafür verwendet, dem Publikum eine Einführung in die Situation zu geben oder eine Sequenz zu resümieren. Dabei wird Jokers Erzählperspektive im Laufe des Films zunehmend distanziert und entwickelt sich zu der eines Medienmenschen, der zu Beginn den durchaus männlichen John Wayne zitiert und am Ende des Films das infantile MickeyMouse-Lied singt (vgl. Corrigan, 1991, S.43). Popmusik spielte in Vietnam als Bestandteil der Truppenbetreuung eine entscheidende Rolle (vgl. Wende, 1999, S.1082). In Filmen, wie Good Morning Vietnam (USA 1987) kommt diese Bedeutung zum Ausdruck. Popsongs sind in Full Metal Jacket ein bedeutungstragendes Gestaltungsmittel. Von Songs wie dem Country-Song “Good bye my darling, hello Vietnam“ von Johnny Wright über “These boots are made for walking“ von Nancy Sinatra bis hin zu “Paint it black“ von den Rolling Stones werden eine Reihe von Liedern aus der US-Hitparade Ende der sechziger Jahre eingespielt. Die leichte Musik und die gewaltvollen Bilder stehen sich dabei nicht unbedingt gegensätzlich gegenüber, sondern transportieren gemeinsam die Trivialität des Bösen: durch die harmlosen, seichten Hitparaden-Songs wird die Banalität der Brutalität und die Alltäglichkeit von

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Gewalt in Vietnam noch unterstrichen und manifestiert. Sie stellen das Schrecken hinter der arglosen Fassade noch signifikanter heraus (vgl. Wende, 1999, S.1079).

Setting Kubrick inszeniert den Vietnamkrieg in einer urbanen Umgebung und lässt ihn nicht, wie viele andere Filme, im dichten Blätterwald eines Dschungels spielen. Gleich zu Beginn des zweiten Teils wird die Handlung des Films in die städtische Kulisse ðà Nangs verlegt. Zu sehen ist eine Straßenszene, in der Autos durchs Bild fahren, bunte Reklametafeln den Blick auf sich lenken und eine geschäftige Atmosphäre herrscht. Als die Soldaten dann in Huế einrücken und den Häusertrümmern näher kommen, wird eine Handkamera benutzt, um dem Rezipienten die Perspektive eines GIs zu vermitteln. Aus dieser leicht gebückten Haltung sieht man dann ausgebrannte Autowracks, Reifenhaufen, verbrannte Palmen, ausgebrannte Häuser und Straßenzüge aus denen Qualm und Rauch emporsteigt. Visuell wird die Szenerie also von urbanen Symboliken dominiert.

5.2.5 Auswertung Full Metal Jacket gibt der Szenerie in Vietnam keine mythische Aura, sondern besticht durch seinen Realismus und durch seine distanzierte Beobachtung des Kriegsgeschehens. Full Metal Jacket unterscheidet sich von den für Hollywood üblichen Darstellungen des Vietnamkriegs dadurch, dass er dem Zuschauer kein individuelles Heldenschicksal präsentiert. Er zeigt die Unfähigkeit der amerikanischen Soldaten, sich ein Bild vom Krieg zu machen, zeigt den Kampf gegen einen unsichtbaren Feind, zeigt einen sinnlosen Krieg und stellt mit seiner Fragmentierung der Erzählung eher eine strukturelle Analyse des Phänomens „Krieg“ dar.

Auch in Full Metal Jacket bedient sich der Regisseur einer Reihe von Destrukturierungen. Diese betreffen verschiedene Arten von Gefügen, die ich im Folgenden näher erläutere und dabei detailiert herausstelle, welchen Strategien der Inszenierung von Destrukturierung sich Stanley Kubrick hier bedient.

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Destrukturierung ziviler Identität durch Ausbildung Die schrittweise Destrukturierung der zivilen Identität der jungen Rekruten wird mit Hilfe unterschiedlicher Gestaltungsmittel im ersten Teil des Films inszeniert. Zunächst bebildern die Nahaufnahmen der Neuankömmlinge bei ihrer Rasur den ersten Schritt der Destrukturierung ihrer Persönlichkeit. Als erstes erfolgt also die äußerliche Uniformierung, um sie dann auch mental gleichzuschalten (vgl. Wende, 1999, S.1079). Verlieren sie in dieser Szene nur ihre Haare und ihr gewohntes Aussehen, wird ihnen während der harten Ausbildung dann auch noch die Identität genommen. Als nächstes gibt ihnen Sergeant Hartman neue Namen, wie „Schneewittchen“, „Cowboy“, „ Joker“ oder „Pyle“, welche sie im Laufe des Films nicht mehr ablegen. In der einheitlichen und symmetrischen Bildkomposition werden Rekruten entpersönlicht und gehen als Individuen unter. Es gibt kein Privatleben auf Parris Island, Gespräche sind verboten und der streng monotone Tagesablauf unterbindet jede Form von Individualität. Der Zweck der militärischen Ausbildung ist die totale Homogenisierung (vgl. Wende, 1999, S.1079). Der Handlungsspielraum der Rekruten wird auf das Ausschalten des Gegners durch die Anwendung von Gewalt reduziert. Menschliche Triebe werden auf fast spirituelle und gebetsartige Weise auf kämpferische Energie umgelenkt und der Akt des Tötens als Lebenszweck des Soldaten kommuniziert. Aus den Rekruten wird so keine funktionierende Einheit geformt, sondern enthumanisierte Tötungsmaschinen. Die auditive Ebene spielt bei der Inszenierung der Demütigungen und Schikanen, mit Hilfe derer die Identitäten der jungen Männer deformiert werden, eine bedeutende Rolle. Wie die Rekruten auch, so empfindet der Zuschauer die unablässige akustische Präsenz Sergeant Hartmans als unerträglich und fühlt sich mit dessen Erschießung fast „befreit“. Auch die Werte der zivilen Welt werden durch die Kommentare Hartmans destrukturiert. Wenn Sergeant Hartman den Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald und

Massenmörder

Charles

Whitman

durch

ihre

außergewöhnlichen

Schießleistungen als vorbildliche Marines bezeichnet, bedeutet dies nicht anderes, als dass die Werte des bisherigen Lebens auf Parris Island und dann auch im Krieg ihre Bedeutung verloren haben (vgl. Wende, 1999, S.1079).

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Destrukturierung der genretypischen Ikonographie Full Metal Jacket geht über die genretypische Deutung von Bildinhalten und Mustern der Kriegsdarstellung hinaus und zeigt nicht einseitig Kampfszenen und Schlachtengemälde (vgl. Descourvières, 2002). Indem sich Kubrick im ersten Teil des Films der Ausbildung der Soldaten widmet, bricht er radikal mit der genretypischen Ikonographie und Erzählweise des Kriegsfilms. Er destrukturiert die Vorstellung des Publikums, dass der Krieg erst auf dem Schlachtfeld beginnt, denn in Full Metal Jacket beginnt er schon in der Ausbildung der Rekruten zu harten Marines. Für die destruktive und autodestruktive Energie wird der Grundstein bereits in der militärischen Umerziehung gelegt, womit der Film die narrativen Strukturen des Kriegsfilms aufbricht.

Im nächsten Schritt bricht der Film mit dem für den Vietnamkrieg üblichen Setting. Stanley Kubrick entschied sich in Full Metal Jacket für eine Verlagerung der Kulisse des Krieges in die urbane Szenerie der Hafenstadt Huế. In langen Schwenks über die Silhouette der Stadt nimmt er dem Krieg sein, auch durch das amerikanische Fernsehen etabliertes, exotisch-fremdländisches Gesicht (vgl. Wende,

1999,

S.1078).

Anstatt

eines

undurchsichtigen

und

schwer

überschaubaren Dschungels, ist das Setting des zweiten Teils des Films zu großen Teilen die Stadt Huế und ihre zerbombten Straßenzüge. Nur als Joker und Rafterman auf dem Weg nach Phú Bài sind, kann das Publikum die landschaftliche Schönheit Vietnams wahrnehmen. Aus einem Helikopter heraus aus der Vogelperspektive gefilmt, sieht es die Weite des Dschungels, Nebelfelder, die über den Wäldern liegen, die glühendrote aufgehende Sonne und den blassen Mond, der noch über der Szenerie wacht.

Die Abkehr von der genreüblichen Ikonographie des Kriegsfilms zeigt sich auch in der Destrukturierung des typischen Feindbildes. Der Vietcong hat in Full Metal Jacket nur das Gesicht der jungen Heckenschützin. Sie ist die einzige Kämpferin, die man in einer amerikanischen Einstellung sieht und nicht nur in einer anonymen Totalen.

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Als sich der Heckenschütze als junge Frau entpuppt, sind Joker und seine Gruppe völlig irritiert. Durch die dunkle musikalische Begleitung der Szene, die dazu noch in Zeitlupeneinstellung gezeigt wird, wird dieses Irritation auch für den Zuschauer nachvollziehbar. Die GIs stehen dem zuvor immer als männlich vermuteten

Feind

zum

ersten

Mal

direkt

gegenüber

und

ihre

Wahrnehmungserwartungen werden nicht bestätigt. Den „Feind“ gibt es nicht mehr. Das konstruierte Feindmodell kann nicht aufrecht erhalten werden. Durch die Konfrontation mit der Realität des Krieges, stellt sich dieser als viel komplexer heraus, als den Rekruten auf Parris Island indoktriniert wurde (vgl. Wende, 1999, S.1084). Es ist genau diese Andersartigkeit, die den eigentlichen Feind der amerikanischen Soldaten in Vietnam darstellt. Aus kultureller Sicht sind die Soldaten gar nicht auf die Situation vorbereitet gewesen, in der jeder Mann und jede Frau zum Vietcong gehören konnte. Das in der militärischen Ausbildung eliminierte Bewusstsein für die Andersartigkeit, wird in Vietnam letztendlich zu Blindheit gegenüber der Gefahr.

Auch die genretypische Heldenfigur wird durch die Rolle von Joker destrukturiert. Der Zuschauer erfährt nichts über Jokers Denken und Fühlen. Eine Emotionalisierung durch seine Person findet also nicht statt und er stellt so auch keine Identifikationsfigur dar. Dem Rezipienten wird es eher schwer gemacht, Jokers Handeln zu beurteilen. Schon sein Name lässt auf Zweideutigkeit schließen, denn ein „Joker“ ist einerseits eine Witzfigur und andererseits eine Spielkarte, die erst in entscheidenden Momenten zum Zug kommt. Äußerlich fällt Joker dann durch sein Peace-Button auf der Brust und seine Helm-Aufschrift „Born to Kill“ auf. Hierin zeigt sich erneut die Schwierigkeit, Jokers Handeln einzuschätzen. Denn was vom Betrachter als Bedeutungslosigkeit der Werte oder als nihilistische Einstellung Jokers gedeutet werden kann, wird von Joker selbst mit der Dualität des Menschen nach C. G. Jung8 begründet (vgl. Wende, 1999, S.1082). Joker funktioniert im Film gleichzeitig als agierender und beobachtender 8

Der Schweizer Psychologe und Mediziner Carl Guatv Jung ist einer der Begründer der modernen Tiefenpsychologie. Er entwickelte unter anderem das Behandlungsverfahren der Analytische Psychotherapie (vgl. Hollis, 2006).

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Kommentator. Er macht Bestandsaufnahmen der Widersprüchlichkeiten, die ihm begegnen, allerdings ohne sich von ihnen allzu gerührt zu zeigen (vgl. Wende, 1999, S.1082). In der Figur Jokers geht das Kalkül des Militärs auf. Körperlich in der Perfektionierung seines sogenannten „war face“ und psychisch in dem Angriff auf Leonard. Doch Joker richtet sein Handeln nicht an seinen in der Ausbildung und im Krieg gewonnenen Erkenntnissen aus und behält sich seinen kritischen Blick.

Destrukturierung der Perspektive der Soldaten Die Medien stellen in Full Metal Jacket das Verfehlen des Ziels der militärischen Ausbildung dar, dem Krieg in Vietnam seine Andersartigkeit nehmen zu wollen, ob in Form einer Redaktionskonferenz oder in Form der Interviewsequenz mit den Soldaten. Diese offiziellen Bilder, die die Wahrnehmung der Zuschauer lenken sollen, werden immer wieder von der Perspektive der Opfer oder auch der Gegner verdrängt und so die Perspektive der GIs destrukturiert. Dies geschieht beispielsweise in der Situation, in der die Soldaten einen Kreis um die Leichen zweier US-Soldaten bilden und nacheinander in Nahaufnahme gefilmt, die Situation kommentieren. Sie blicken dabei in die Kamera, die hier die Position des Opfers eingenommen hat und der Zuschauer sieht die Soldaten aus der Perspektive eben dieses Opfers. Auch der Blickwinkel der Heckenschützin wird in der Sequenz in Huế von der Kamera eingenommen und bebildert die Andersartigkeit, der sich die Soldaten entgegenstellen müssen. Durch die subjektive Kameraperspektive sieht man in einer Großaufnahme das Zielfernrohr des Gewehrs. So wird der Zuschauer in die Täterperspektive versetzt. Durch die Musik von Mead wirkt die Situation dann wie eine Horrorszenerie (vgl. Wende, 1999, S.1084).

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Destrukturierung der genretypischen Dramaturgie und Struktur des Films Full Metal Jacket dekonstruiert auch die typische Hollywood-Dramaturgie, denn der Film bildet eher die strukturale Analyse eines Kriegsgeschehens ab (vgl. Wende, 1999, S.1084). Im Gegensatz zu traditionellen Filmen, die auf die Entfaltung der Narration angelegt sind, dominiert hier die Struktur die Narration (vgl. Wende, 1999, S.1084). Der Film analysiert die Bedingungen und Konsequenzen eines Krieges und widmet sich so eher der Beschreibung eines individuellen Zustands, als der Beschreibung der individuellen Geschichte einer Person, ihrer subjektiven Motive oder Anschauungen (vgl. Wende, 1999, S.1084). Und obwohl der Film linear aufgebaut ist, zergliedert er sich in einzelne Teile und destrukturiert so den Gedanken vom Film als Gesamtwerk (vgl. Wende, 1999, S.1085). Eine Destrukturierung des Glaubens an die Überlegenheit der amerikanischen Kriegsführung, wird in den beiden kontrastierenden Teilen des Films übermittelt. Auf der einen Seite wird die ansehnliche US-Militär-Macht visualisiert und auf der anderen Seite die Unfähigkeit und Gelähmtheit der Soldaten beim Anblick der jungen vietnamesischen Heckenschützin. Durch die relativ autonome Gestaltung der einzelnen Sequenzen des Films, wird eine gewisse Künstlichkeit der Szenen transportiert, die mehrere Gestaltungsmittel verdeutlichen. Zunächst bedient sich der Film immer wieder langer Einstellungen und Kamerafahrten, die die einzelnen Sequenzen vorstellen. Der Einsatz der Handkamera, in die die Soldaten während der Interviewsequenz direkt sprechen, bricht die Grenze zwischen der fiktiven Inszenierung des Krieges und seiner dokumentarischen Abbildung auf (vgl. Wende, 1999, S.1085). Und letztlich heben auch die trivialen Popsongs aus der Zeit der Tet-Offensive die Künstlichkeit der Szenen hervor. Das Spannungsverhältnis zwischen Musik und dem dazu abgebildeten Kampfhandlungen entsteht dadurch, dass die triviale und harmlose Musik die Brutalität des Krieges grotesk erscheinen lässt (vgl. Wende, 1999, S.1082). Es erfolgt also auch eine Destrukturierung auf akustischer Ebene, bei der die Songs im Kontrast zum auf der Leinwand Sichtbaren stehen. Diese Gestaltungsmittel destrukturieren die Vorstellung von einem Kriegsfilm, der nur dann authentisch sein kann, wenn der Zuschauer sich möglichst nah am Geschehen empfindet und sich mit der Hauptfigur identifizieren kann.

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Destrukturierung der Fernsehnachricht als Informationsträger Eine gewisse Banalisierung des Bösen wird auch in den Szenen deutlich, in der die Soldaten für die Kamerateams posieren und die mediale Inszenierung von Kriegsgeschehen einen Unterhaltungswert bekommt, der die Bilder für jede abendliche Nachrichtensendung tauglich macht. Szenen wie diese destrukturieren die Idee von der Fernsehnachricht als Informationsträger. Bei dem Einsatz des Fernsehteams nimmt dieses beim Dreh des Filmmaterials eine ähnliche Haltung an, wie ein Soldat, der in Deckung geht. Sie bewegen sich etwas gebückt und ihre Kamera ist als andere Art von Waffe genauestens auf das Ziel gerichtet (vgl. Wende, 1999, S.1083). Der Auftritt des Fernsehteams verleiht dem Krieg das Gesicht eines Medienereignisses (vgl. Wende, 1999, S.1083). Das Medium Film thematisiert sich hier also selbst. In der sich anschließenden Interviewsequenz, hört das Publikum die zusammenhangslosen

und

nichtssagenden

Kommentare

der

GIs,

die

symptomatisch für den Sinngehalt der Berichterstattung aus Vietnam sind. Dabei stehen die sinnentleerten Statements auch für die Orientierungslosigkeit der Soldaten in Vietnam. An wirklichen Informationen ist den Reportern nicht gelegen (vgl. Wende, 1999, S.1083). Die Nachricht wird hier als anspruchslos dargestellt, sie gibt keine Informationen und dient nur der Verzerrung des tatsächlichen Kriegsgeschehens (vgl. Wende, 1999, S.1083). Dem Zuschauer wird durch die Verschiebung der Perspektive die Orientierung genommen und die Glaubwürdigkeit des vorher im Film Wahrgenommenen und dessen Echtheit werden zur Illusion (vgl. Wende, 1999, S.1083).

Auch die zwei Redaktionskonferenzen, denen Joker und Rafterman beiwohnen, verdeutlichen dem Zuschauer, wie die Kriegsberichterstattung zu funktionieren hat. Stories, die bei „Stars and Stripes“ erscheinen, haben entweder das Ziel, die

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amerikanischen GIs als human und freundlich zu präsentieren, oder militärische Siege zu zeigen.

Destrukturierung von Körpergefügen Stanley Kubrick verzichtet in Full Metal Jacket auf eine dramaturgische, bildsprachliche oder rhetorische Kritik an den Verhältnissen. Der Film versteht sich nicht als Anklage, was seine Radikalität ausmacht (vgl. Klein, 2006, S.304). Dies spiegelt sich auch in der nüchternen und unmissverständlichen Darstellung des Todes und der Opfer des Krieges wider. Beispielhaft hierfür ist die Darstellung zweier Leichen von US-Soldaten. Eingeführt wird die Szene durch eine aus der Draufsicht gefilmten Totale der blutüberströmten Leichname. Die Gruppe um Cowboy und Joker sieht auf die beiden Toten hinab. Diese direkte Darstellung destrukturierter Körper ist typisch für Full Metal Jacket. In der Situation, in der der Scharfschütze die Männer in Schach hält, wird eine Zeitlupeneinstellung benutzt, um die Schmerzen und Schreie der angeschossenen Soldaten deutlicher zu visualisieren. Durch die Verlangsamung der Bilder sieht der Zuschauer sehr deutlich, wie das Blut aus ihren Schussverletzungen herausspritzt und sich die Gesichtszüge der GI vor Schmerzen verziehen. Das gleiche stilistische Mittel wird verwendet, als Private Pyle den Ausbilder Sergeant Hartman erschießt. Dieser direkten Darstellung von Gewalt und Destrukturierung von Körpern steht dann die Szene gegenüber, in der Joker die vietnamesische Scharfschützin erschießt. Die Kamera bleibt bei dem tödlichen Schuss und noch lange danach auf Jokers Gesicht. Durch die Großaufnahme wird der Zuschauer Zeuge seines Zögerns und seiner Anspannung.

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6. Vergleich Platoon und Full Metal Jacket Nachdem ich die unterschiedlichen Formen von Destrukturierungen und ihre Kontexte nun für die beiden Filme analysiert habe, folgt nun eine Erörterung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Platoon und Full Metal Jacket hinsichtlich der in den Filmen zu findenden Destrukturierungen und deren Inszenierung. Bei dem Vergleich der Filme lege ich den Fokus auf die formalen, narrativen und inhaltlichen Gestaltungsmittel, auf denen die Destrukturierungen basieren.

Gemeinsamkeiten Gemeinsam ist beiden Filmen, dass sie die Destrukturierung von menschlichen Körpern thematisieren, die eine für Kriegsfilme essentielle Relevanz hat. Visualisiert werden hierbei der Akt der Tötung, der Prozess des Sterbens, Verwundete, aber auch die Zeugen der Tötungen. Während für Platoon die Darstellung der Destrukturierung von Körpergefügen eher über die Inszenierung der Zeugen funktioniert, erfolgt in Full Metal Jacket eine direkte visuelle und akustische Konfrontation mit dem Prozess des Strebens und dem Tod. Oliver Stone hält sich im Gegensatz zu Stanley Kubrick nicht lange an der Inszenierung des Sterbeprozesses oder des Todes auf. Weder der Tod der Frau in dem vietnamesischen Dorf, noch der Tod Elias’ oder Barnes’ wird gesondert in Szene gesetzt. Dagegen wird der Zuschauer bei dem Tod Albinos, Docs oder Cowboys beispielsweise durch die akustische Untermalung der Szene oder die Größe der Einstellung und deren Dauer in die Sterbeprozesse einbezogen.

Weiterhin destrukturieren beide Filme das beim Zuschauer vorherrschende Feindbild. Während Oliver Stone in Platoon mit Hilfe der Gestaltungsmittel Montage und der Narration das genretypische Gut-Böse-Schema ergänzt, indem er die Rolle des Gegners zusätzlich zum Vietcong noch einem US-Sergeant zuweist, bricht Stanley Kubrick das erwartete Bild des Feindes auf und lässt den Gegner von einer jungen vietnamesischen Frau mit Zöpfen darstellen. In Full Metal Jacket spielt unterdessen Ton und die Nutzung der Zeitlupe eine wichtige Rolle bei der Destrukturierung des Feindbildes. 63

Eine Übereinstimmung findet sich auch im Bezug auf die Darstellung der Destrukturierung von Persönlichkeiten. In Platoon wird die Destrukturierung der Psyche des Hauptdarstellers Chris Taylor visuell, vornehmlich durch Montage, und auditiv, vornehmlich durch seine Kommentare, in Szene gesetzt. Die Destrukturierung passiert hier auf einer subjektiven Ebene, die sich nur auf Chris’ Person beschränkt. In Full Metal Jacket dagegen wird die zivile Identität der Rekruten nicht erst im Krieg, sondern schon früher beim militärischen Drill destrukturiert. Diese gewählte Perspektive ist weniger subjektiv und bezieht sich auf eine Gruppe von jungen Männern. Für die Darstellung werden dann auch andere stilistische Mittel herangezogen, wie die geometrische Bildkomposition oder die akustische Dominanz Hartmans. In dem Zusammenhang mit der Destrukturierung der Persönlichkeiten in Full Metal Jacket stehen auch die Destrukturierung der Wertesysteme der jungen Männer und die Destrukturierung der Vorstellung des Zuschauers, die militärische Ausbildung diene alleine der Erlangung von militärischer Fertigkeiten, wie dem Schießen oder der sportlichen Fitness. Denn eine höhere Priorität als der physischen, gilt der psychologischen Umerziehung der Rekruten zu Killern.

Die

Soldaten

in

Full

Metal

Jacket

und

in

Platoon

stellen

keine

zusammenarbeitende Einheit dar. Eine gemeinschaftliche Bekämpfung des Feindes ist in beiden Filmen nicht als realistische Option dargestellt. Verdeutlicht wird dies dadurch, dass die Soldaten eher mit sich selbst zu kämpfen haben und dass es ihnen an einer klaren Vorstellung eines Kriegsziels mangelt (vgl. Dittmar, 1990, S.4). Während in Filmen über den Zweiten Weltkrieg die Gemeinschaft und Kameradschaftlichkeit

unter

den

Soldaten

eine

starke

Präsenz

hatte,

destrukturieren Platoon und Full Metal Jacket dieses beim Zuschauer vorherrschende Bild einer solidarischen und zusammenarbeitenden Truppe. Auch die Ausdehnung des Kontextes differiert in Platoon und Full Metal Jacket im Gegensatz zu Filmen über den Zweiten Weltkrieg. In Full Metal Jacket und Entscheidung vor Morgengrauen (USA 1950) beispielsweise stehen sich Visualisierungen gegenüber, die ihren Handlungsrahmen und ihren Kontext unterschiedlich weit definieren. Während in Filmen über den Zweiten Weltkrieg die Intention im Vordergrund steht, dem Zuschauer den gesamtpolitischen

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Kontext näher zu bringen und dem Publikum zu helfen, den Krieg, seine Ursachen und Ziele zu verstehen, wird in Vietnamkriegsfilmen eine eher subjektive und von Einzelpersonen bestimmte Sichtweite auf den Krieg, seine Ursachen und Konsequenzen praktiziert (vgl. Dittmar, 1990, S.171). Der bis zum Vietnamkrieg für das Kriegsfilmgenre übliche Versuch der Einbindung des Großen und Ganzen in den narrativen Zusammenhang, wurde in vielen Filmen über Vietnam, wie auch in Full Metal Jacket und Platoon gar nicht erst versucht und somit der bis dahin standardisierte Rahmen reduziert. Die Struktur, der die Filme nach 1945 auf dieser kontextuellen Ebene folgten, wurde mit Full Metal Jacket und Platoon also aufgebrochen und somit auch ihrer bestehenden Form beraubt- eben destrukturiert.

Eine weitere Gemeinsamkeit zeigen beide Filme in der Erzählung des Krieges aus der Perspektive eines Soldaten. Sowohl in Platoon, als auch in Full Metal Jacket nutzen

die

Regisseure

Voice-Over-Kommentare

der

Protagonisten.

Sie

unterscheiden sich letztlich nur durch ihren Grad an Subjektivität. Während Glaube und Vertrauen in Platoon essentielle Bestandteile in Chris’ Erzählung sind und der Mensch hier grundsätzlich gut ist, beherrscht Full Metal Jacket eine zynische Grundstimmung, die durch den nüchternen und fatalistischen Blick Jokers getragen wird (vgl. Corrigan, 1991, S.41). Dadurch, dass beide Filme so subjektiv sind, müssen sie nicht dem historischen Wahrheitsanspruch genügen. In Platoon beispielsweise ist die Geschichte so nah am individuellen Geschehen um den jungen Soldaten Chris Taylor gestrickt, dass sie für eine Totalaufnahme der politischen Realität keinen Platz bietet (vgl. Corrigan, 1991, S.42). Stattdessen stellt der Film Personen, moralische Zwiespälte, Emotionen und Ängste in den Vordergrund, die einer historischen Betrachtung nicht bedürfen (vgl. Corrigan, 1991, S.43).

Unterschiede In der Szene aus Full Metal Jacket, in der die Soldaten um die toten Körper der Gefallenen stehen, und in Großaufnahmen gezeigt werden, kommentieren die GIs die Situation mit redensartlichen Phrasen und Banalitäten. Die Soldaten, deren Köpfe das Bild füllen, werden durch die trivialen Äußerungen zu gesichtslosen

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Symbolen und gleichen so der Leere der toten Körper in ihrer Mitte. Dem Heldenhaften des Individualismus wird hier jede Substanz genommen. Die Emotionalisierung durch das Subjektive und Persönliche, wie sie in Platoon geschieht, wird in Full Metal Jacket zur Parodie menschlichen Ausdrucks, bewiesen von den trivialen und emotionslosen Bemerkungen der GIs. Die Zeichnung der Charaktere in Full Metal Jacket, allen voran Joker, destrukturiert eine persönliche Darstellung, so wie sie in Platoon zu sehen ist. In Full Metal Jacket erreicht Joker die Anonymität, nach der sich Chris Taylor so sehnt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Platoon und Full Metal Jacket ist somit die Inszenierung ihrer Protagonisten. Während Oliver Stone gleich zu Beginn des Films eine Reihe von Nah- und Großaufnahmen nutzt, um seinen Helden Chris Taylor dem Publikum näher zu bringen und sogar Aufnahmen einbindet, die aus der Perspektive des Protagonisten aufgenommen sind, verweigert Stanley Kubrick dem Zuschauer die Empathie, indem er seinen Helden Private Joker zu Beginn des Films unidentifiziert lässt. Gemeinsam ist den Filmen auf der Ebene allerdings, dass sie beide versuchen, mit ihrer Art der Inszenierung der Protagonisten ein größtmögliches Publikum anzusprechen und mit auf ihre Reise zu nehmen. Sie bemühen dafür nur verschiedene visuelle und narrative Mittel. Dieser Prozess der emotionalen Einbindung des Zuschauers dient dazu, eine rationale und kritische Sicht des Zuschauers zu verhindern, um ihn für die Botschaft des Films empfänglicher zu machen.

Ein weiterer Unterschied besteht in der unterschiedlichen Perspektive auf das Verhältnis von Verantwortung und Schuld der Soldaten. Oliver Stone stellt die amerikanischen Soldaten in Platoon und vor allem Chris Taylor als Opfer dar; als Opfer der Umstände der Kriegssituation (vgl. Beaver, 1994, S.91) und der daraus resultierenden sozialethischen Desorientierung. Chris’ Figur ist allerdings so angelegt, dass er sich seiner moralischen Maßstäbe trotz der Kriegswirren immer wieder erinnert, wie dem Zuschauer in der Situation klar wird, in der Taylor eine vietnamesische Frau vor der Vergewaltigung durch die eigenen Kameraden rettet. In Full Metal Jacket dagegen sind die Soldaten für ihr Handeln selbst verantwortlich. Dadurch, dass Kubrick die erfolgreiche Umerziehung der

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Rekruten und späteren Soldaten zeigt, stellt er diese weniger als Opfer der Verhältnisse dar, sondern visualisiert das destruktive und auch autodestruktive Potential eines Menschen.

In Platoon und Full Metal Jacket unterscheiden sich die Settings grundsätzlich voneinander. Die Natur hat in Platoon eine starke Präsenz. Oft kann sich der Zuschauer von der landschaftlichen Schönheit Vietnams mit Hilfe der meist aus einem Helikopter aufgenommenen Totalen überzeugen. Dabei variieren die Naturaufnahmen und reichen von Aufnahmen von Tieren, über dichte Wälder, bis hin zu weiten Hügellandschaften. Die Komposition des Bildes ist oft so angelegt, dass die amerikanischen Soldaten inmitten dieser Natur dargestellt werden. Platoon folgt mit der Wahl der Drehorte einem genreüblichen Muster. In Full Metal Jacket dagegen sieht der Zuschauer nur einmal eine Aufnahme aus der Vogelperspektive, in der ein Helikopter ein Waldgebiet und Felder vietnamesischer Bauern überfliegt. Ein Großteil des Films spielt in der urbanen Kulisse der Städte ðà Nang und dem zwar zerbombten aber noch als Stadt erkennbaren Huế. An Stelle von Bergen und Wäldern macht sich das Publikum hier ein Bild von geschäftigen Straßenzügen, bunten Werbetafeln und ausgebrannten und zerklüfteten Betonschluchten. Auch im Falle von Full Metal Jacket kann sich der Zuschauer über langgezogene weite Einstellungen einen Überblick über die örtlichen Begebenheiten machen.

Auf der auditiven Ebene lassen sich bei beiden Kriegsfilmen ebenfalls Differenzen feststellen. Während in Platoon die Voice-Over-Kommentare Chris’ und

die

eingespielten

Songs

dazu

dienen,

das

Verständnis

von

Truppenzusammenhalt zu destrukturieren, werden sie in Full Metal Jacket vor allem zur Destrukturierung der genreüblichen Ikonographie und der Rolle der Medien genutzt. Die Songs „White Rabbit“ von Jefferson´s Airplane, Merle Haggard´s „Okie from Muskogee“ und Smokey Robinson´s “Tracks of my tears” beschreiben in Platoon die stereotypen sozialen Gruppierungen innerhalb der Einheit (vgl. Corrigan, 1991, S.41). Die Alkohol trinkenden, Karten spielenden, mehrheitlich weißen „Rednecks“ werden in einer Sequenz den Marihuana rauchenden und

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psychedelische

Musik

hörenden,

mehrheitlich

schwarzen

Soldaten

gegenübergestellt. Die visuelle Gruppierung durch die Beleuchtung und die auditive Gruppierung durch die Lieder ermöglichen eine klare gesellschaftliche und generationale Identifikation innerhalb der sozialen und ethnischen Differenzen des Platoons. In Full Metal Jacket greift der gestammelte Text von „Surfin´ Bird“ von Trashman das Durcheinander von Kameracrew und Frontgeschehen auf, als die Journalisten die Reihe der in Deckung liegenden GIs abfilmt. Als Teil einer kritischen und zynischen Darstellung korrespondiert der eher sinnlose Song mit den belanglosen

Kameraaufnahmen,

deren journalistische Wahrheit auf

kinematographische Klischees reduziert wird (vgl. Corrigan, 1991, S.41):

„Hey, lasst die Kamera laufen! Das ist Vietnam, der Film“ (Cowboy).

Die Kommentare Jokers dienen im Gegensatz zu den Off-Kommentaren Taylors in Platoon nicht dazu, die Gedanken und Gefühle des Protagonisten zum Ausdruck

zu

bringen.

Die

Äußerungen

Jokers

bergen

kein

Identifikationspotential, da dem Rezipient nicht die Möglichkeit gegeben wird, Emotionen des Helden abzuleiten, etwas über seine Herkunft oder seinen sozialen Hintergrund zu erfahren. Vielmehr sind Jokers Anmerkungen die, eines neutralen Beobachters, der den Zuschauer auf sachliche Art und Weise in die Sequenz einweist.

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7. Fazit Cineastische Auseinandersetzungen mit dem Vietnamkrieg haben oft einen nostalgischen Charakter. Viele der Filme, wie auch Platoon und Full Metal Jacket, haben dabei nicht den Anspruch, historisch korrekt zu sein. Vielmehr können sie in ihrer Darstellung des Geschehens eine verzerrte, vielleicht sogar fortschrittliche Sicht auf die historischen Umstände präsentieren. Die Subjektivität der Regisseure schafft so eine immer neue Sicht auf das Vergangene. Die Möglichkeit, innerhalb der historischen Realität neue Aspekte aufzudecken oder Sachverhalte neu zu beleuchten, ist eine wichtige Funktion derjenigen Filme, die sich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit beschäftigen. Auch die Neuordnung von geschichtlichen Wahrheiten und die Fähigkeit, Begebenheiten in einen neuen Zusammenhang zu stellen, obliegen dem Filmischen. So gelingt es dem Film auch, die Perspektive der Zuschauer zu erweitern und deren Orientierung umzulenken. Der Film hat das Vermögen, bisherige beim Zuschauer stabile Sichtweisen aufzubrechen, bestehende Strukturen einzureißen und Platz zu schaffen für neue Blickwinkel. Da die Destrukturierungen die beim Zuschauer bestehenden stereotypen Bilder von Heldenfiguren oder der Rolle der Medien beispielsweise nicht bedienen, geben sie dem Rezipienten die Möglichkeit, eine neue Perspektive auf die Aspekte der Inszenierung von Krieg zu erlangen. Eine differenzierte Auseinandersetzung seitens des Publikums wird somit begünstigt und die kritische Hinterfragung erst möglich.

Der Vergleich der Filme Platoon und Full Metal Jacket hat gezeigt, dass dieses Aufbrechen von Sichtweisen und Einreißen bestehender Strukturen in Kriegsfilmen in ganz unterschiedlichen Kontexten zu finden ist und verschiedene stilistische

Gestaltungsmittel

zur

Inszenierung

dieser

Destrukturierungen

herangezogen werden können. Im Falle der beiden Filme überschneiden sich die Kontexte Körpergefüge, Feindbilder, Persönlichkeiten und Identitäten und die Truppe als zusammenarbeitende Einheit, wobei die Destrukturierung von Körpergefügen

ein

Wesensmerkmal

des

Kriegsfilms

ist.

Dahingegen

kristallisieren sich in beiden Filmen auch Destrukturierungen in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen heraus, wie der historische Kontext, in dem 69

der Vietnamkrieg oftmals gesehen wird, die Inszenierung der Heldenfigur, das genreübliche Setting, die Perspektive der Soldaten auf den Krieg, die Fernsehnachricht als Informationsträger und die Landschaft. Die Beispiele Platoon und Full Metal Jacket zeigen, dass Kriegsfilme innerhalb bestimmter Kontexte die beim Zuschauer bestehenden Strukturen und Gefüge mit Hilfe der filmischen Stilmittel destrukturieren.

Diese unterschiedlich kontextuell eingebundenen Destrukturierungen lassen auf bestimmte Ebenen schließen, auf denen Gefüge und Strukturen zerstört, neu geordnet oder deformiert werden können. Hierbei unterscheide ich vier Ebenen, auf deren Grundlage Destrukturierungen in Kriegsfilmen stattfinden können: − Strukturelle Ebene − Ikonographische Ebene − Visuelle Ebene − Narrative Ebene Ich werde nun die Destrukturierungen, die sich bei meiner Filmanalyse herausgestellt haben, den verschiedenen übergeordneten Ebenen zuweisen. Diese sind auf Kriegsfilme im Allgemeinen zu beziehen und geben dem Zuschauer die Möglichkeit zu erkennen, in welchen Zusammenhängen Destrukturierungen zu finden sind und wie sich unterschiedliche Inszenierungsstrategien auf die Sehgewohnheiten des Publikums auswirken.

Strukturellen Ebene Die strukturelle Ebene bezieht sich auf die Gestalt, also auf den formalen Aufbau eines Films. Die Anordnung der einzelnen Teile eines Werkes und deren Verbindung untereinander werden auf dieser Ebene analysiert. Gerade das Beispiel Full Metal Jacket beweist, dass die Authentizität eines Films nicht unbedingt davon abhängt, ob der Film eine für Hollywood übliche Form aufweist. Der Realismus von Full Metal Jacket begründet sich also nicht darauf, dass er einer für das Genre typischen dramaturgischen Struktur folgt, sondern dass er das Kriegsgeschehen episodenhaft und fragmentiert erzählt und mit der

70

eigentümlichen Struktur bricht. Diese Abkehr von der üblichen Dramaturgie steht damit im Zusammenhang, dass in Full Metal Jacket nicht die Geschichte einer bestimmten Person und ihrer individuellen Motivation nachgezeichnet wird. Die Qualität und Authentizität der Inszenierung des Kriegsgeschehens muss also nicht immer auf der Basis einer geschlossenen, sich steigernden Narration erfolgen, die an eine Person geknüpft ist, sondern kann auch mit der Destrukturierung des typischen formalen Aufbaus einsetzen. So ist Full Metal Jacket eine Grenzüberschreitung auf struktureller Ebene und damit fast schon ein Formexperiment.

Ikonographische Ebene Die

Analyse

spezifischer

Bildinhalte

und

die

Deutung

bestimmter

wiederkehrender Motive eines Werkes ist eine Voraussetzung für die Interpretation eines Films. Auf der ikonographischen Ebene werden also Motive der Kriegsdarstellung untersucht und deren symbolische Relevanz gedeutet. Solche wiederkehrende Elemente in der Inszenierung des Krieges sind beispielsweise die Visualisierung des Feindes, die des Helden oder die des Schauplatzes.

Kriegsfilme

bedienen

sich

der

Destrukturierung

dieser

Ikonographie, um Kritik an den gefestigten Symbolen zu üben. Diese bergen oftmals undifferenzierte Verallgemeinerungen, die nicht zeitgemäß sind und eine komplexe Betrachtung der Zusammenhänge behindern. Das Bild des Gegners wird in Kriegsfilmen zum Beispiel destrukturiert, um dem Rezipienten vor Augen zu führen, dass es nicht den einen, definitiven Feind gibt. Das Feindbild muss individuell aufgebaut werden, da die Soldaten in Kriegsfilmen nicht immer dem Feind begegnen, gegen den sie zu kämpfen glauben. Manchmal erscheint das Böse auch in der Uniform der eigenen Truppe. Der Feind kann auch, wie die junge vietnamesische Scharfschützin in Full Metal Jacket beweist, so aussehen, wie jemand, den es im Krieg eigentlich zu schützen gilt. Auf der anderen Seite stehen die GIs in Platoon zu dem offiziellen Feind auch noch dem Feind in sich selbst gegenüber. Wie in Full Metal Jacket dargestellt muss der Held des Films nicht jemand sein, für den der Zuschauer eine besondere Sympathie hegt oder jemand, mit dem sich das Publikum besonders gut identifizieren kann. Aus der Tatsache, dass sich

71

Stanley Kubrick nicht auf einen spezifischen Charakter festlegt, seine Herkunft, Ansichten oder Emotionen vorstellt, begründet sich die Möglichkeit, ein großes Publikum für die Botschaft des Films empfänglich zu machen. Zwar ist der Zuschauer durch die Intensität der Sequenzen in Full Metal Jacket emotional berührt, doch es sind gerade die Off-Kommentare des Hauptdarstellers die ihm immer wieder eine rationale Sicht aufdrängen (vgl. Wende, 1999, S.1085). Während Kubrick Nah- oder Großaufnahmen seines Helden meidet und so keine Identifikation mit ihm forciert, nutzt Oliver Stone in Platoon eine gegenteilige Inszenierungsstrategie, um ein großes Publikum anzusprechen. Stone bedient mit der Inszenierung seines Helden allerdings die genretypische Ikonographie. Sein Held ist vielfach in nahen Einstellungen im Bild zu sehen. Über seine sehr persönlichen Kommentare, in denen der Rezipient den Protagonisten kennenlernt und Empathie aufbauen kann, erfährt das Publikum Details aus dem Leben des Helden, was sein Identifikationspotential steigert. Eine weitere Möglichkeit der Destrukturierung auf der ikonographischen Ebene stellt die Wahl des Settings dar. Mit dem Drehort des Films werden bestimmte Aussagen über die Gültigkeit der Inszenierung gemacht. Kriegsfilme, die sich einer Darstellung des üblichen Settings verweigern, verfolgen mit dieser Inszenierungsstrategie das Ziel, ihren Bildern einen universelleren und allgemeingültigeren Charakter zu geben. Der Film kann also auf einen größeren Rahmen bezogen werden und unterliegt nicht allein dem Kontext eines Krieges. Im Gegensatz zu Apocalypse Now beispielsweise, in dem Francis Ford Coppola einen hohen Wert auf ein besonders vietnamesisches Ambiente gelegt hat (vgl. Wende, 1999, S.1079) und so das typische, auch durch das amerikanische Fernsehen produzierte Bild eines Dschungel-Krieges inszenierte, kann Kubricks Film zumindest von den Schauplätzen her eher verallgemeinert und auf das Phänomen Krieg an sich bezogen werden.

Visuelle Ebene Für

die

Inszenierung

von

kriegerischen

Auseinandersetzungen

ist

die

Visualisierung der Destruktion von Materiellem und auf der Leinwand Sichtbarem essentiell. Die Zerstörung von Häusern, Dörfern, Landschaften oder auch

72

menschlichen Körpern ist ein wesentliches Merkmal von Kriegsfilmen und die Inszenierung dieser Destrukturierungen ein häufig aufgegriffenes Motiv. Die

Zerstörungsmacht

der

Kriegstechnologien

lässt

sich

durch

die

Destrukturierung von zerbrechlichen, menschlichen Körpergefügen verdeutlichen, was oftmals eine ablehnende Haltung gegenüber dem Krieg seitens des Publikums begünstigt. Auch die Filme Platoon und Full Metal Jacket zeigen die Destrukturierung von menschlichen Körpern. Stanley Kubrick wählte für die Visualisierung von Verletzungen,

Sterbeprozessen und Toten eine direkte

Konfrontation und verstärkt die Bilder durch visuelle und akustische Effekte sogar zusätzlich. Oliver Stone dagegen entschied sich für eine zurückhaltendere Darstellung menschlichen Leidens und fokussiert vor allem die Reaktion der Überlebenden auf den Tod. Für die Destrukturierung der Landschaft Vietnams, nutzt der Regisseur von Platoon vornehmlich die Mittel der Kameraarbeit, um die Ausmaße der Zerstörungsgewalt moderner Kriegstechnik, so wie sie in Vietnam eingesetzt wurde, zu bebildern. Durch

die

immer

wiederkehrende

Visualisierung

der

geographischen

Begebenheiten, hat die Landschaft Vietnams in Platoon eine starke Präsenz. Der Krieg wird in Form von Hubschraubern, Soldaten und Waffengewalt auf der visuellen Ebene beständig mit der natürlichen Umgebung verknüpft. Auch die in die

Szenen

eingearbeitete

Geräuschkulisse

des

Dschungels

trägt

zur

Authentisierung des Gesehenen bei. In anderen Kriegsfilmen wie Full Metal Jacket beispielsweise wird es dem Zuschauer eher ermöglicht, Rückschlüsse auf den zeitlichen Rahmen des Krieges zu ziehen und ihn historische einzuordnen. Diesen zeitlichen Kontext, in dem der Vietnamkrieg vorrangig wahrgenommen wird, destrukturiert Oliver Stone.

Narrative Ebene Die narrative Ebene fokussiert die mit Hilfe von Gestaltungsmitteln, wie der Montage, verknüpfte Erzählung der Geschichte, die jedem Film zugrunde liegt. Die

kaum

visuell

umsetzbaren

psychischen

oder

ideologischen

Destrukturierungen können durch deren narrative Einbindung in den Film, zum Ausdruck gebracht werden.

73

Dass eines der ersten Opfer des Krieges die Identität und Psyche der Soldaten ist, präsentieren die beiden analysierten Filme eindrucksvoll. In Full Metal Jacket wird der Zuschauer Zeuge, wie junge Männer zu Kampfmaschinen erzogen werden, die es kaum erwarten können ihrem neu eingeimpften zerstörerischen und selbstzerstörerischen

Verlangen

nachzugehen.

Es

ist

vor

allem

die

Bildkomposition, in der das Individuum in der kollektiven Militärmaschinerie aufgeht, die dem Zuschauer den Untergang des Einzelnen in der Masse vor Augen führt. In Platoon wiederum zeugen die Off-Kommentare des Protagonisten von der schrittweisen Destrukturierung seiner Psyche und von der Herausforderung, seinen Werten und seiner Erziehung im Chaos und der Gesetzlosigkeit der Krieges treu zu bleiben und sie im dichten Dschungel von Vietnam nicht aus den Augen zu verlieren. Die Vorstellung des Zuschauers vom Zusammenhalt und der Kooperation innerhalb einer Einheit, in der die Kameraden gegenseitig auf sich acht geben sollten, wird in Platoon durch die Spaltung der Truppe destrukturiert. Dabei kann Chris’ innerer Konflikt als Symbol für die ambivalente Einstellung der amerikanischen Bevölkerung zum Krieg in Vietnam gewertet werden, bei der ein Teil der Bevölkerung eine kriegsbejahende und siegessichere Haltung einnimmt, während der andere Teil am amerikanischen Sieg zweifelt und dessen Kriegsablehnung zum Teil so weit geht, dass er zu derer Rechtfertigen sogar eine Niederlage der eigenen Truppen bevorzugt. Auf der narrativen Ebene geht aus beiden Filmen auch die Auffassung hervor, dass ein Krieg auf allen Seiten nur Opfer hervorbringt. Durch die Destrukturierung der Perspektive der amerikanischen Soldaten, indem gerade in Full Metal Jacket immer wieder die Opferperspektive und auch die, des vietnamesischen Gegners eingenommen wird, wird deutlich, dass es auf das Kriegsgeschehen eine Vielzahl von Blickwinkeln gibt und jede Seite ihrer Sichtweise eine alleinige Gültigkeit zuweist. Dazu werden die Soldaten, durch die Gegenüberstellung mit der Perspektive der Toten und durch ihre sinnlose Kommentierungen, selbst zu leblosen Hüllen, die dem Tod schon oft ins Gesicht geschaut haben und die sich auf Grund ihre Emotionslosigkeit kaum noch von den Opfern unterscheiden.

74

Eine

implizite

Destrukturierung

der

Fernsehnachricht

als

Träger

von

Informationen findet man in der Inszenierung des auftretenden Kamerateams und der anschließenden Interviewsequenz in Full Metal Jacket. Dabei imitiert Kubricks Kamera das im Bild dargestellte Verhalten des Filmteams und deren Kamerabewegung. In der ersten Einstellung ahmt er die Kamerabewegung des Filmteams nach und in der zweiten Sequenz weicht die Einstellung, die das inszenierte Kamerateam auf die Interviewten einnimmt, nur leicht von der Kameraposition Kubricks ab. Auch die Treffen der Redaktion der US-ArmyZeitung „Stars and Stripes“ vermitteln dem Zuschauer die Vorstellung, das die Nachrichten aus Vietnam wenig informativen Gehalt haben. Die Idee von einer unabhängigen Presse und von uneingeschränkter Freiheit der Medien wird so destrukturiert.

Das Medium Film und ganz besonders das Genre Kriegsfilm arbeiten mit bestimmten Strukturen, die beim Zuschauer auf der kognitiven Ebene existieren und die Wahrnehmung und Interpretation eines Films maßgeblich beeinflussen. Bricht ein Film diese kognitiven Strukturen auf, kann dies als ein Mittel verstanden werden, das Publikum von seiner starren Sichtweise zu befreien und es für eine andere Wahrnehmung zu sensibilisieren. Auf der einen Seite verfolgen Regisseure das Ziel, die Wahrnehmungsgewohnheiten der Zuschauer neu zu ordnen, auf der anderen Seite sind sie auf das Vorhandensein genau dieser vorgeformten Strukturen angewiesen, um ihre Wirkung beim Zuschauer erzielen zu können. Denn nur ein Rezipient, der um die ikonographische Bedeutung der Heldeninszenierung

beispielsweise

Inszenierungsstrategien Inszenierungsstrategie

weiß

vertraut

ist,

erkennen

und

und

kann aus

mit

einen ihr

seine

ihren Bruch vom

stereotypen mit

dieser

Filmemacher

intentionierten Schlüsse ziehen. Kriegsfilme wie Platoon und Full Metal Jacket verändern also die Sehgewohnheiten des Publikums, gerade weil sie nicht die typische Form eines Spielfilms haben, nicht die typischen Helden vorstellen, nicht die typischen Feinde präsentieren oder an typischen Drehorten spielen. Es sind genau diese Unterschiede und die Andersartigkeit der Inszenierung, durch die dem aufmerksamen Publikum neue Zusammenhänge bewusst werden.

75

Die in beiden Filmen zum Ausdruck kommenden Destrukturierungen zeichnet das Bild eines ungerechten Krieges, der weder Gewinner, noch Verlierer hervorbringt. Der Krieg destrukturiert daher als Ganzes: Menschen, Landschaften, Städte, aber auch

Ideologien,

Wertesysteme,

Freund-

und

Feindschemata.

Diese

Destrukturierungen geben dem Krieg sein zerstörerisches Gesicht. Sie lassen die Intention der Regisseure erkennen, den Krieg und seine Konsequenzen auf den Menschen und seine Umwelt nicht verherrlichen oder schönen zu wollen. Die Destrukturierungen sind vielmehr mit der Absicht verbunden, dem Krieg sein heroisches Gesicht zu nehmen und den Zuschauer für die Schrecken zu sensibilisieren. Sie führen darüber hinaus zu Sinndestrukturierungen der Gründen für kriegerische Auseinandersetzungen und der Kriegsziele. Denn mit einem Zerfall des Zusammenhalts und der Motivation innerhalb der Truppe oder mit einer Auflösung der Perspektive der amerikanischen GIs, verschwindet auch die klare Einsicht in die Notwendigkeit einer kriegerischen Handlung. Daneben zerfällt auch mit einem Verschwinden eines eindeutigen Feindbildes die greifbare Gefahr, die von ihm ausgeht und somit zerfällt auch das Ziel des Krieges diese Gefahr auszuschalten.

Destrukturierungen können also auf ganz unterschiedlichen Ebenen mit unterschiedlichen Reichweiten passieren, die je nach Ebene durch verschiedene Stilmittel und Inszenierungsstrategien filmisch umgesetzt werden. Dabei bedingen die einzelnen Ebenen spezifische Inszenierungsweisen, da der Filmemacher je nach Beschaffenheit der Ebene nur mit bestimmten Gestaltungsmitteln arbeiten kann. Auf Basis der strukturellen Ebene nutzt ein Regisseur das Stilmittel der Narrationsstruktur und transportiert so eine Aussage. Dabei stehen ihm eine Vielzahl von Narrationsmustern zur Verfügung, die je nach Erzählmuster unterschiedliche Zusammenhänge aufzeigen oder unterschiedliche Schwerpunkte in der Darstellung setzen. Auf der ikonographische Ebene eine Films kann durch ihren Fokus auf die Bedeutung der symbolischen Bildinhalte mit den visuellen Gestaltungsmitteln gearbeitet werden. Jedoch benötigt der Zuschauer für eine Interpretation auf der Basis der strukturellen Ebene Wissen über die Bedeutung der Bildinhalte. Für den

76

Kriegsfilm sind hier die Darstellung der Heldenfigur, die Darstellung des Feindes oder auch die Wahl des Drehortes und der damit verknüpften Symboliken zentral. Die visuellen Inszenierungsstrategien, die alle im Bild sichtbaren Elemente der Filmgestaltung betreffen, umfassen Gestaltungsmittel wie die Montage, die Beleuchtung, die Brennweite oder auch die schauspielerische Arbeit. Die Bedeutung der visuellen Ebene ist besonders groß, lässt ja gerade sie bei einem visuell orientierten Medium den Zuschauer die Destruktionsmacht der Waffen, das Ausmaß der Gewaltanwendung oder die Weite der vietnamesischen Landschaft wahrnehmen. Einer Kooperation der visuellen und auditiven Inszenierungsmittel bedienen sich die Regisseure bei Destrukturierungen auf der narrativen Ebene. Das Zusammenwirken der verschiedenen Zeichensysteme ermöglicht dem Zuschauer, die Einordnung des Geschehens auf der Leinwand. Durch Akustische Reize, wie durch den Film führende Begleitkommentare, die meist aus dem Off zu hören sind, kann sich der Zuschauer Zusammenhänge erschließen und somit der Narration des Films folgen.

77

8. Quellen 8.1 Literaturquellen Baever, Frank Eugene: Oliver Stone. Wakeup Cinema. Twayne Publishers, New York, 1994, S.91-97.

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Büttner, Christian: Kriegsfilme in Demokratien. In: Büttner, Christian;

von

Gottberg, Joachim, Metze-Mangold, Verena (Hrsg.): Der Krieg in den Medien. Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2004, S.75-82 .

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Dittmar, Linda; Michaud, Gene (Hrsg.): From Hanoi to Hollywood. The Vietnam War in American Film. Rutgers University Press, New Brunswick, New Jersey, 1990, S.4-171.

Gottberg, Joachim von: Rambo, der Jugendschutz und die demokratisch legitimierte Politik. In: Büttner, Christian; Gottberg, Joachim von, MetzeMangold, Verena (Hrsg.): Der Krieg in den Medien. Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2004, S.92-102.

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78

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Klein, Thomas; Stiglegger, Marcus; Traber, Bodo (Hrsg.): Filmgenres Kriegsfilm. Philipp Reclam jun. Verlag, Stuttgart, 2006, S.9-304.

Mikat, Claudia: Kriegsfilme im Fernsehen. Die Grenze des Erträglichen am Beispiel des Jugendschutzes. In: Büttner, Christian; Gottberg, Joachim von; Kladzinski, Magdalena (Hrsg.): Krieg in Bildschirmmedien. Zur politischen Orientierung Jugendlicher zwischen Inszenierung und Wirklichkeit. kopaed, München, 2005, S.94.

Mikos, Lothar: Helden zwischen Kampfgetümmel und Selbstzweifel. In: Büttner, Christian; von Gottberg, Joachim, Metze-Mangold, Verena (Hrsg.): Der Krieg in den Medien. Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2004, S.130-138.

Müller, Harald: Demokratie, die Medien und der Irakkrieg. In: Büttner, Christian; von Gottberg, Joachim, Metze-Mangold, Verena (Hrsg.): Der Krieg in den Medien. Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2004, S.15.

Weigel-Klick, Nicole: Die Verarbeitung des Vietnam-Traumas im USamerikanischem Spielfilm seit 1968. Alfred, 1996, S.96.

Wende, Waltraud: Über die Unfähigkeit der Amerikaner, sich ein Bild vom Vietnam-Krieg zu machen…Der Krieg, die Rolle der Medien und Stanley Kubricks Film „Full Metal Jacket“ (1987). In: Fischer, Thomas (Hrsg.): Kriegserlebnis und Legendenbildung. Das Bild des „modernen“ Literatur, Theater, Photographie und Film/ The Experience of War and the Creation of Myth: The image of “modern“ war in literature, theatre, photography and

79

film [Beiträge zum gleichnamigen Symposium, Erich Maria RemarqueZentrum, Universität Osnabrück, 4.-8.März 1998], Universitätsverlag Rasch, Osnabrück, 1999, S.1075-1085.

8.2 Internetquellen Bayer, Robert M.: Dale Dye URL: http://www.imdb.com/name/nm0245653/bio [Stand: 12.August 2008]

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http://www.mediaculture-

online.de/fileadmin/bibliothek/descourvieres_filmanalyse/descourvieres_filmanalyse.pdf

[Stand: 28.05.2008]

Hollis, James (2006): A Brief Note on Carl Jung URL: http://www.cgjungpage.org/index.php?option=com_content&task=view&id=743 &Itemid=54 [Stand: 08.August 2008]

Mikos, Lothar (2008): Aktivitäten URL: http://www.mikos-media.de/losite/lm/frameblau.htm [08. August 2008]

o.N.: (2007): Introduction URL: http://www.stripes.com/webpages.asp?id=97 [08. August 2008]

o.N (2008).: Marine Corps Recruit Depot Parris Island URL: http://en.wikipedia.org/wiki/Marine_Corps_Recruit_Depot_Parris_Island [Stand: 23.Juli 2008]

80

Wenk, Dieter (2004): Re-entry des Bösen. URL: http://www.filmzentrale.com/rezis/platoondw.htm [Stand: 28.05.2008]

81

9. Anlage 9.1 Filmdaten 9.1.1 Platoon Originaltitel

Platoon

Entstehungsjahr

1986 (Orion)

Produktionsland

USA

Länge

f 120 min

Stab Regie

Oliver Stone

Drehbuch

Oliver Stone

Musik

Georges Delerue

Kamera

Robert Richardson

Schnitt

Claire Simpson

Cast Charlie Sheen

Private Chris Taylor

Wiliam Dafoe

Sergeant Elias Grodin

Tom Berenger

Sergeant Bob Barnes

Forest Whitaker

Big Harold

John C. McGinley

Sergeant Red O´Neill

Mark Moses

Lieutenant Wolfe

Keith David

King

Richard Edson

Sal

Francesco Quinn

Rhah

Kevin Dillon

Bunny

Reggie Johnson

Junior

Johnny Depp

Private Lerner

82

9.1.2 Full Metal Jacket Originaltitel

Full Metal Jacket

Entstehungsjahr

1987 (Warner Brothers)

Produktionsland

Großbritannien/ USA

Länge

f 116 min

Stab Regie

Stanley Kubrick

Drehbuch

Stanley Kubrick, Michael Herr, Gustav Hasford (nach dessen Roman „The Short Timers“)

Musik

Abigail Mead (alias Vivian Kubrick), Mick Jagger

Kamera

Douglas Milsome

Schnitt

Martin Hunter

Cast Matthew Modine

Private Joker

R. Lee Ermey

Gunnery Sergeant Hartman

Vincent D´Onofrio

Leonard Lawrence/ Private Pyle

Arliss Howard

Private Cowboy

Kevyn Major Howard

Rafterman

Adam Baldwin

Animal Mother

Dorian Harewood

Eightball/ Albino

9.2 Sequenzprotokoll 9.2.1 Platoon Angriff des Vietcong

Einstellungsdaue

Einstellungsgröße

Bildinhalt

Große (G)

Chris befreit sich von Ameisen auf Nacken,

r in Sekunden 6

Gesicht und Hals 2

Halbtotale (HT)

Lichtung, kein Vietcong (VC) zu sehen

83

14

G

Chris zieht sich ein Handtuch über den Kopf und schaut noch einmal zur Lichtung

3

HT

Silhouette eines VC zu sehen

7

G

Chris befreit sich weiter von Insekten

5

Detail (D)

Chris’ Augen blicken zur Lichtung

10

HT

VC bewegt sich langsam

4

D

Chris’ Augen blicken zur Lichtung

8

HT

VC gibt Zeichen zum Weitergehen, mehrere VC erheben sich aus der Deckung

1

D

Chris’ Augen blicken zur Lichtung

5

Nahe (N)

Chris’ Blick zu Boden, Schwenk zum Auslöser der Tellerminen, Schwenk zurück zu Chris’ Gesicht

2

D

Chris’ Augen schauen zum Boden

2

HT

Schwenk über die Waffen am Boden

2

D

Chris’ Augen blicken zur Lichtung

4

HT

VC kommt auf Chris’ zu

1

D

Chris’ Augen blicken zum VC

2

HT

Schlafender Kameraden

2

D

Chris’ Augen blicken zur Seite

2

HT

Schlafender Kamerad

3

D

Chris’ Augen blicken zum VC

5

HT

VC kommt näher

6

Amerikanische (A)

Chris’ Helm aus Perspektive des VC

3

HT

VC kommt näher

1

N

Chris mit starrem Blick, der auf VC gerichtet ist

3

N

Blick des VC tastet die Umgebung ab, Detonation einer Tellermine

6

A

Chris zuckt zusammen und schützt sich, schmeißt sich auf den Zünder der Tellermine

84

Barnes erschießt Elias Einstellungsdauer Einstellungsgröße

Bildinhalt

in Sekunden 7

HT bis N

Zoom auf Barnes, der zwischen den Blättern zu sehen ist, sein Gewehr hochnimmt und zielt

3

T

Elias erscheint zwischen Bäumen und Sträuchern

3

T

Barnes zielt

3

N

Elias blickt in Richtung Barnes und beginnt zu lächeln

3

N

Barnes zielt, nimmt seinen Kopf hoch

2

N

Elias geht lächelnd auf Barnes zu

4

N

Barnes mit Gewehr im Anschlag,

2

D

Elias lächelnde Augen werden ernst

3

D

Barnes fester Blick, beginnt wieder zu zielen

1

HT

Überschultereinstellung,

in

der

Barnes

Schüsse auf Elias abfeuert 1

N

Elias wird getroffen und fällt um

7

N

Barnes mit Gewehr im Anschlag, nimmt es herunter, atmet durch, blickt sich um

85

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