Strafrecht-at1

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

STRAFRECHT Allgemeiner Teil nach Kienapfel

Basis für die Diplomprüfung aus Strafrecht 2003 Michael Akhavan - Aghdam

Michael Akhavan – Aghdam Seite 1 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel GRUNDBEGRIFFE IM STRAFRECHT I.

SACHVERHALT

Das ist das TATSÄCHLICHE GESCHEHEN, das auf rechtliche Relevanz zu untersuchen ist.

II.

AUSLEGUNG und DEFINITION

Eine Auslegung ist eine nähere Erklärung des Inhalts eines Begriffs durch andere Begriffe. Eine DEFINTION ist das Ergebnis einer Auslegung (in zusammengefasster Form). Dabei ist generell zu beachten, dass juristische Definitionen mitunter erheblich vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichen. Mitunter finden sich im Gesetz LEGALDEFINITIONEN welche die Auslegung erleichtern mitunter aber ihrerseits wieder ausgelegt werden müssen.

III.

SUBSUMTION

Mit Subsumtion wird der FORMALLOGISCHE SCHLUSS von einem bestimmten Sachverhalt auf einen abstrakten gesetzlichen Begriff bezeichnet. Die Subsumtion ist also die Untersuchung ob ein bestimmter Sachverhalt ein gesetzliches Merkmal oder seine Definition erfüllt oder nicht. Dabei sind nicht nur Rechtsbegriffe auslegungsbedürftig sondern mitunter auch Erklärungen und Sachverhalte. IV.

TATBESTAND, DELIKT und VERBRECHEN

Der TATBESTAND ist die gesetzliche Beschreibung eines STRAFRECHTLICH VERBOTENEN VERHALTENS. TATBESTANDSMERKMALE sind alle MERKMALE aus denen sich der TATBESTAND eines DELIKTS zusammensetzt. Ein Verhalten das SÄMTLICHE Tatbestandsmerkmale eines Delikts erfüllt ist TATBESTANDSMÄSSIG! Michael Akhavan – Aghdam Seite 2 von 81

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Ein DELIKT (strafbare Handlung) ist die gesetzliche Beschreibung eines strafrechtlich verbotenen Verhaltens einschließlich Strafdrohung. DELIKT = TATBESTAND + STRAFDROHUNG Je nach Höhe der Strafdrohung unterscheidet man Delikte in VERGEHEN ( bis 3 Jahre Strafdrohung) und VERBRECHEN (über 3 Jahre und lebenslänglich). V.

RECHTSGUT und TATOBJEKT

Rechtsgüter sind strafrechtlich geschützte Werte die für das menschliche Zusammenleben unentbehrlich sind. Man unterscheidet die Rechtsgüter des einzelnen und die Rechtsgüter der Allgemeinheit. Das TATOBJEKT ist der Gegenstand an dem sich der Angriff auf das geschützte Rechtsgut in concreto auswirkt. Das Rechtsgut ist der ideelle Wert der dahinter steht.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 3 von 81

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel STRAFEN und VORBEUGENDE MASSNAHMEN Das österreichische Strafrecht beruht auf dem SYSTEM der ZWEISPURIGKEIT. Das bedeutet, dass von den Strafgerichten a) STRAFEN und b) VORBEUGENDE MASSNAHMEN verhängt werden können. STRAFE Eine STRAFE ist ein mit TADEL VERBUNDENES ÜBEL, das von einem STRAGERICHT aufgrund und nach Maßgabe der Schuld des Täters verhängt wird. Die SCHULD ist demnach nicht nur Voraussetzung sondern auch GRENZE. Das Maß der Strafe darf das Maß der Schuld nicht übersteigen. Der Zweck der Strafe ist: VERGELTUNG, GENERALPRÄVENTION und SPEZIALPRÄVENTION. Jedermann widerfahre das was seine Taten wert sind (Kant). Anstelle der Vergeltung wird auch GERECHTER SCHULDAUSGLEICH verwendet. Der Gedanke der Generalprävention ist der erzieherische Gedanke, also um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegen zu wirken. Aber in keinem Fall darf die Strafe höher als die Schuld ausfallen – auch nicht aus generalpräventiven Gründen. Die Spezialprävention richtet sich nach der Gefährlichkeit des einzelnen. Strafen werden aus spezialpräventiven Gründen verhängt, damit der Täter von künftigen strafbaren Handlungen abgehalten wird. Die Vereinigungstheorie fordert, dass Strafen aus allen drei Gründen verhängt bzw. dass diese berücksichtigt werden. Es mehren sich zunehmend die Stimmen, die verlangen, dass der Vergeltungsgedanke als Strafzweck keinen Platz hat. Die Strafe hat TADELSWIRKUNG (sozialethisches Unwerturteil) als auch ÜBELWIRKUNG (Freiheits- oder Vermögenseinbussen). Darüber hinaus wird auch das soziale Ansehen und das berufliche Fortkommen des Täters beeinträchtigt. Die Freiheitsstrafe ist heute eine Einheitsstrafe. Die Unterscheidung zwischen Kerker und Arrest gibt es nicht mehr.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 4 von 81

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel VORBEUGENDE MASSNAHME Diese Maßnahme knüpft ausschließlich an der BESONDEREN GEFÄHRLICHKEIT des Täters. Ebenso wie bei der Strafe ist die BEGEHUNG einer STRAFBAREN TAT VORAUSSETZUNG einer vorbeugenden Maßnahme. D.h. vorbeugende Maßnahmen KÖNNEN IMMER nur WEGEN EINER ANLASSTAT angeordnet werden. Eine vorbeugende Maßnahme ist ein NICHT MIT TADEL verbundenes ÜBEL, das wegen einer strafbaren Handlung von einem Strafgericht aufgrund und nach Maßgabe der BESONDEREN GEFÄHRLICHKEIT des TÄTERS verhängt wird. Eine vorbeugende Maßnahme KANN NIEMALS aus generalpräventiven Gründen verhängt werden. Sie ist AUSSCHLIESSLICH aus SPEZIALPRÄVENTIVEN ZWECKEN zu verhängen und BEDARF einer BESONDEREN GEFÄHRLICHKEIT des Täters! Diese Maßnahme blickt alleine in die Zukunft. Es geht AUSSCHLIESSLICH darum der künftigen Gefährlichkeit dieses Täters entgegen zu wirken. Alle vorbeugenden Maßnahmen SETZEN eine SPEZIFISCHE GEFÄHRLICHKEITSPROGNOSE voraus. Ohne diese KANN KEINE vorbeugende Maßnahme verhängt werden. Dabei kommen DREI ARTEN in Betracht: -

§ 21 ANSTALT für GEISTIG ABNORME RECHTSBRECHER

-

§ 22 ANSTALT für ENTWÖHNUNGSBEDÜRFTIGE RECHTSBRECHER

-

§ 23 ANSTALT für GEFÄHRLICHE RÜCKFALLSTÄTER

Der Freiheitsentzug ist eine unbeabsichtigte Übelswirkung der vorbeugenden Maßnahmen. Wenn Schuld und besondere Gefährlichkeit zugleich vorliegen können auch Strafe und vorbeugende Maßnahme NEBENEINANDER verhängt werden. VIKARIIEREN bedeutet, dass die vorbeugende Maßnahme unter VOLLER Anrechung auf die Strafe vor dieser „stellvertretend“ zu vollziehen ist. Das gilt NICHT für § 23 (GEFÄHRLICHE RÜCKFALLSTÄTER)! (vgl. § 24 Abs 2 StGB)

Michael Akhavan – Aghdam Seite 5 von 81

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel STRAFE

VORBEUGENDE MASSNAHME

Zweck: Vergeltung, Spezial- und Generalprävention

Zweck: Spezialprävention

Voraussetzung + Grenze: Schuld des Täters

Voraussetzung + Grenze: besondere Gefährlichkeit des Täters

Tadel? Ja

Tadel? nein

Übel? Ja

Übel? Ja – aber ungewollt

Auch von Sachen kann eine besondere Gefahr für die Zukunft ausgehen! Dafür ist im StGB § 26 vorgesehen (EINZIEHUNG). Davon zu UNTERSCHEIDEN ist der VERFALL. Der Verfall (gem § 20 StGB) ist eine NEBENSTRAFE, die EINZIEHUNG eine VORBEUGENDE MASSNAHME!

Michael Akhavan – Aghdam Seite 6 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel RECHTFERTIGUNGSGRÜNDE RECHTFERTIGUNSGGRÜNDE beschreiben Voraussetzungen unter denen tatbestandsmäßige Handlungen von der Rechtsordnung gebilligt werden. Tatsächlich ist es so, dass Rechtfertigungsgründe kollidierende Interessenkonflikte lösen sollen. Es gibt GESCHRIEBENE und UNGESCHRIEBENE RECHTFERTIGUNGSGRÜNDE. geschriebene: -

Notwehr elterliches Erziehungsrecht Einwilligung Anhalterecht Behördliche Genehmigung Dienstliche Weisung und Recht zum Schusswaffengebrauch

ungeschriebene: -

rechtfertigender Notstand (übergesetzlicher Notstand) allgemeines Selbsthilferecht

REGEL AUSNAHME PRINZIP Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit. Liegt ein Rechtfertigungsgrund vor, dann entfällt das Unrecht. Ein Rechtfertigungsgrund ändert nichts an der Tatbestandsmäßigkeit (!) – kann ja gar nicht sein. Wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt kann also weder eine Strafe, noch eine vorbeugende Maßnahme verhängt werden. Prinzipiell dürfen dabei jedoch nicht die Grenzen des Rechtfertigungsgrundes überschritten werden.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 7 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel FALLPRÜFUNGSSCHEMA Prinzipiell ist nach folgendem Aufbau zu prüfen: A) HANDLUNG ? (nur wenn Zweifel) B) TATBESTANDSMÄSSIG ? C) RECHTSWIDRIG ? (evtl. Rechtfertigungsgrund?) D) SCHULDHAFT ?

A) HANDLUNG Wenn der Handlungsbegriff nicht erfüllt ist, dann liegt auch keine Strafbarkeit vor! Wenn das Verhalten nicht vom Willen beeinflussbar ist, dann ist der Handlungsbegriff nicht erfüllt. Das ist der Fall bei -

Schlafenden

-

Bewusstlose

-

Körperreflexe (Kniesehnenreflex, Krampfanfall etc. aber nicht automatisierte Handlungen!)

-

„vis absoluta“ (unwiderstehliche Gewalt – vgl. vis compulsiva willensbeugende Gewalt)

Wenn nicht einmal der Handlungsbegriff erfüllt ist, dann ist die weitere Prüfung des Sachverhaltes einzustellen weil nicht mehr nötig. NB: TUN und UNTERLASSEN gehören beide zum HANDLUNGSBEGRIFF ! Nicht nur jemand der etwas tut sondern auch derjenige der etwas unterlässt handelt iSd StGB. Wobei unterlassen nur dafür steht, dass jemand etwas bestimmtes das ER HÄTTE TUN MÜSSEN nicht tut. UNTERLASSEN IST NICHTVORNAHME GEBOTENEN TUNS !

Michael Akhavan – Aghdam Seite 8 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel TATBESTANDSMERKMALE OBJEKTIVE TATBESTANDSMERKMALE beziehen sich auf das ÄUSSERE ERSCHEINUNGSBILD des deliktischen Geschehens. Beim Diebstahl sind die objektiven Tatbestandsmerkmale so zum Beispiel: -

Sache Fremd Beweglich und Wegnehmen

Auch Qualifikationen (Wert etc.) gehören zu den objektiven Tatbestandsmerkmalen. SUBJEKTIVE TATBESTANDSMERKMALE beziehen sich auf Zustände die im seelischen Bereich des Täters liegen. Beispiele dafür sind: -

Bereicherungsvorsatz Täuschungsvorsatz

Der TATBESTAND ist die SUMME alle OBJEKTIVEN und SUBJEKTIVEN TATBESTANDSMERKMALE eines DELIKTS ! Wer alle Tatbestandsmerkmale eines Delikts erfüllt handelt tatbestandsmäßig. Die Summe aller objektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts heißt GESETZLICHES TATBILD. Die Summe der subjektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts heißt SUBJEKTIVER TATBESTAND.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 9 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel DELIKTSGRUPPEN Zu unterscheiden sind BEGEHUNGSDELIKTE und UNTERLASSUNGSDELIKTE. Begehungsdelikte sind Delikte bei denen das Gesetze ein bestimmtes Tun mit Strafe bedroht (Gros aller Delikte im StGB). Echte UNTERLASSUNGSDELIKTE sind Delikte bei denen das Gesetz die NICHTVORNAHME eines GEBOTENEN TUNS mit STRAFE BEDROHT. Bei den BEGEHUNGSDELIKTEN unterscheidet man zwischen: I.

ERFOLGSDELIKTE Erfolg ist ein von der Tat gedanklich abtrennbare Wirkung in der Außenwelt. Eintritt des Todes, Eintritt der Schädigung, Eintritt des Vermögensschadens etc.

II.

ERFOLGSQUALIFIZIERTE DELIKTE Dabei sieht das Gesetz eine höhere Strafe vor wenn durch die Verwirklichung eines bestimmten Grunddelikts eine besondere Folge der Tat herbeigeführt worden ist (Körperverletzung mit Todesfolge etc.) Davon zu unterscheiden sind die qualifizierten Erfolgsdelikte – das ist ein ganz normales Erfolgsdelikt bei dem das Gesetz an den Eintritt eines bestimmten Umstandes eine höhere Strafe knüpft. Dafür gelten immer die Vorschriften des § 7 Abs 1 – der VORSATZ des TÄTERS MUSS sich auf den QUALIFIZIERENDEN ERFOLG dh insb auch auf die Wertqualifikation beziehen.

III.

SCHLICHTE TÄTIGKEITSDELIKTE Hier erschöpft sich der Tatbestand an der Vornahme eines bestimmten Tuns. Der Eintritt eines bestimmten „Erfolgs“ wird nicht vorausgesetzt. EG: falsche Beweisaussage oder Blutschande

Weiters wird unterschieden zwischen Vorsatzdelikten und Fahrlässigkeitsdelikten. Die meisten der im StGB angegebenen Delikte sind Vorsatzdelikte. Gemäß § 7 Abs 1 ist fahrlässiges Handeln nur dann strafbar wenn es vorsätzlich ist.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 10 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel DAUERDELIKTE Bei einem Dauerdelikt beginnt das Unrecht der tat mit der Vornahme der handlung und endet erst mit ihrem Aufhören. Je länger also die Handlung dauert umso größer ist das Unrecht. NB: RECHTLICH VOLLENDET sind Dauerdelikte bereits mit Vornahme der Handlung! Bei einer vorzeitigen Beendigung der Tathandlung kann der Täter SICH ALSO NICHT AUF RÜCKTRITT gem. § 16 berufen ! Die VERJÄHRUNG beginnt erst mit der tatsächlichen Beendigung der Handlung. Ab Vollendung bis zur tatsächlichen Beendigung ist sowohl BETEILIGUNG (§ 12) als auch BEGÜNSTIGUNG ( § 299) möglich!!!

Michael Akhavan – Aghdam Seite 11 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel KAUSALITÄT Das Problem der Kausalität STELLT SICH NUR BEI ERFOLGSDELIKTEN. Die meisten Delikte im StGB sind allerdings Erfolgsdelikte. Die KAUSALITÄT sagt aus, ob ein Tun (oder „nicht Tun“) einen bestimmten Erfolg verursacht hat. GRUNDSÄTZE I. ES KOMMT IMMER NUR AUF DEN WIRKLICHEN GESCHEHENSABLAUF UND DEN ERFOLG IN SEINER KONKRETEN GESTALT AN! Hypothetische Kausalverläufe sind irrelevant! II.

III.

DIE URSÄCHLICHKEIT EINES BESTIMMTEN TUNS WIRD NICHT DADURCH IN FRAGE GESTELLT, DASS AUCH ANDERE UMSTÄNDE ZUM ERFOLG BEIGETRAGEN HABEN. JEDER UMSTAND – AUCH WENN ER NUR DAS GERINGSTE DAZU BEIGETRAGEN HAT – WAR URSACHE!!!!! ALLE URSACHEN SIND ÄQUIVALENT!!!! (ÄQUIVALENZTHEORIE)

Die Kausalitätsformel der Äquivalenztheorie lautet: ein Tun ist kausal für einen Erfolg, wenn es nicht weggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele! CONDITIO SINE QUA NON (CSQN). Daraus ergeben sich ein paar Schlussfolgerungen: 1.) Es GIBT KEINEN UNTERSCHIED zwischen nahen, entfernten, typischen, atypischen, normalen oder zufälligen Ursachen etc. 2.) Kausalität besteht AUCH dort wo BESONDERE KÖRPERLICHE oder GEISTIGE VERHÄLTNISSE des VERLETZTEN zum Erfolg verholfen haben (z.B. Bluter etc.) 3.) Die Kausalitätsformel ENDET aber IMMER bei unserem DEREZITIGEM ERFAHRUNGSWISSEN 4.) Kritik wegen uferloser Weite der Äquivalentheorie 5.) Eine UNTERBRECHUNG des KAUSALZUSAMMENHANGES GIBT ES NICHT – wohl aber eine überholende Kausalität. (Grenze beim grob unverständlichen Verhalten des Opfers). Michael Akhavan – Aghdam Seite 12 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel KAUSALITÄT UND OBJEKTIVE ZURECHNUNG Wegen der schier uferlosen Weite der Äquivalenztheorie hat sich heute der BEGRIFF DER OBJEKTIVEN ZURECHNUNG durchgesetzt. Die objektive Zurechnung ist ein normatives TATBESTANDSMERKMAL von allen vorsätzlichen und fahrlässigen Erfolgsdelikten und ist IM ANSCHLUSS AN DIE BEJAHUNG DER KAUSALITÄT zu prüfen. idR indiziert die Kausalität die OBJEKTIVE ZURECHNUNG des Erfolgs. Daher ist nur ausnahmsweise darauf einzugehen – wenn indiziert. NB: KAUSALITÄT DARF NICHT MIT SCHULD VERWECHSELT WERDEN ! Dass ein Tun kausal war bedeutet nicht dass es schuldhaft war (vgl. Notwehr). Die Kausalität ist vor der Schuldfrage zu prüfen.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 13 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel NOTWEHR Sämtliche Rechtfertigungsgründe haben die gleiche GRUNDSTRUKTUR: a) RECHTFERTIGUNGSSITUATION b) RECHTFERTIGUNGSHANDLUNG c) SUBJEKTIVES RECHTFERTIGUNGSELEMENT Die NOTWEHR hat DREI STRUKTURELEMENTE: 1.) die NOTWEHRSITUATION 2.) die NOTWEHRHANDLUNG und 3.) der VERTEIDIGUNGSWILLE

1.) DIE NOTWEHRSITUATION Sie wird durch: einen GEGENWÄRTIGEN oder UNMITTELBAR DROHENDEN RECHTSWIDRIGEN ANGRIFF AUF EIN NOTWEHRFÄHIGES RECHTSGUT begründet. Diese Situation muss tatsächlich vorliegen – die bloße Vorstellung des Täters reicht nicht dazu! Ein ANGRIFF ist JEDES MENSCHLICHE Verhalten, das eine Beeinträchtigung von Rechtsgütern befürchten lässt. Der Angriff muss nicht gewollt oder ein aktives Verhalten voraus und kann auch schuldlos sein. Selbst ein pflichtwidriges Unterlassen kann ein Angriff sein. Tierattacken oder Naturereignisse kommen nicht in Betracht! Aber wenn jemand ein Tier auf ein Opfer hetzt ist das idR als Angriff zu werten. Es gibt allerdings eine BAGATELLSCHWELLE. Rechtsgutbeeinträchtigungen unterhalb der Bagatellschwelle sind noch KEINE ANGRIFFE und begründen daher keine Notwehrsituation. (Rempeln beim Sport, Krampusumzug etc.) Auch bei unklarer Rollenverteilung (Rangelei die in Rauferei ausartet z.B.) kann sich idR keiner der Kontrahenten auf Notwehr berufen (wer ist Opfer – wer ist Täter ?).

Michael Akhavan – Aghdam Seite 14 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Es gibt ZEITLICHE SCHRANKEN. Der Angriff muss GEGENWÄRTIG SEIN oder UNMITTELBAR DROHEN. Wenn der Angriff ABGEWEHRT, AUFGEGEBEN oder die Handlung ABGESCHLOSSEN ist, kommt Notwehr nicht mehr in Frage. Daher darf man dem flüchtenden Dieb die Beute wieder abnehmen aber NICHT auf den OHNE BEUTE FLÜCHTENDEN SCHIESSEN! RECHTSWIDRIG ist ein ANGRIFF wenn KEINE RECHTFERTIGUNSGGRÜNDE vorliegen (also kein Anhalterecht, Erziehungsrecht etc.). GEGEN NOTWEHR GIBT ES KEINE NOTWEHR.

2.) DIE NOTWEHRHANDLUNG Dabei geht es um das WIE? Gerechtfertigt IST IMMER NUR DIE NOTWENDIGE VERTEIDIGUNG. Jede ÜBERSCHREITUNG der ZULÄSSIGEN INTENSITÄT der Verteidigung schließt die Berufung auf Notwehr aus. Die Notwendigkeit der Verteidigung liegt im Schnittpunkt der beiden diametral entgegengesetzten Erwägungen: einerseits muss dem Angegriffenen ein möglichst SOFORTIGER und ENDGÜLTIGER SCHUTZ garantiert werden und andererseits hat die Abwehrmaßnahme dem POSTULAT der GRÖSSTMÖGLICHEN SCHONUNG des ANGREIFERS zu genügen. Daraus folgt: NOTWENDIG IST DIE VERTEIDIGUNG DIE UNTER DEN VERFÜGBAREN MITTELN DAS SCHONENDSTE DARSTELLT UM EINEN ANGRIFF SOFORT UND ENDGÜLTIG ABZUWEHREN! Bei den objektiven Kriterien muss bewertet werden: Art und Wucht sowie Intensität des Angriffs sowie die Gefährlichkeit des Angreifers und die zur Verfügung stehenden Mittel. Die RSpr zieht dabei auch körperliche Unterlegenheit ins Kalkül. Vor allem in Fällen die zum TOD oder zu SCHWEREN VERLETZUNGEN des Angreifers führen sehen sich die Gerichte genau an ob unter mehreren verfügbaren Mitteln das für den Angreifer am wenigsten schädliche und gefährliche ausgewählt wurde.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 15 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Problematisch ist das Schießen auf einen überraschten oder flüchtenden Dieb oder Einbrecher. Ein solcher lebensgefährdender Waffengebrauch ist für Exekutivbeamte allenfalls nach Maßgabe des § 7 Z 3 WaffGG zulässig – für den Privatmann dagegen nach Maßgabe der NOTWENDIGKEIT des § 3 zulässig. Soweit Zeit und Situation es erlauben bedarf der Einsatz von Schusswaffen idR eines ABGESTUFTEN VORGEHENS (ANDROHUNG, WARNSCHUSS, SCHUSS). Auf andere Verteidigungsmittel lassen sich diese Stufenüberlegungen nicht anwenden. ABER: IST DIE NOTWEHRHANDLUNG NACH ART UND ANLASS ZULÄSSIG SOLLTE DER MASSSTAB NICHT KLEINLICH SEIN! Strafunmündigen und Geisteskranken muss man ausweichen wenn man schon dadurch das Rechtsgut schützen kann. Das gilt nicht bei berauschten Personen. ABSICHTSPROVOKATION: Wer den Angriff absichtlich herausgefordert hat um einen Vorwand zu haben den Angreifer zu verletzen muss dem Angriff selbst um den Preis einer kleinen Körperverletzung ausweichen. NOTWEHREXZESS: In dem Moment als der Verteidiger das MASS des zur ABWEHR NOTWENDIGEN überschreitet wird aus der NOTWEHRHANDLUNG ein RECHTSWIDRIGER ANGRIFF, gegen den NOTWEHR zulässig ist (INTENSIVER NOTWEHREXZESS). In § 3 Abs 2 ist eine Sonderregelung enthalten wenn die Überschreitung lediglich aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken geschah – in dem Fall haftet der exzessiv Handelnde nur wegen des entsprechenden Fahrlässigkeitsdelikts. Wenn der EXZESS aus anderen Gründen erfolgte haftet der Exzedierende wegen VORSATZ!!!

3.) DER VERTEIDIGUNGSWILLE Zu den beiden Elementen NOTWEHRSITUATION und NOTWEHRHANDLUNG muss noch der VERTEIDIGUNGSWILLE als SUBJEKTIVES RECHTFERTIGUNGSELEMENT hinzukommen! Nach hM genügt schon das Wissen um das Vorliegen einer Verteidigungssituation. Wenn der Täter alle objektiven aber nicht die subjektiven Voraussetzungen erfüllt ist die Meinung gespalten. Die traditionelle Auffassung nimmt VOLLE RECHTFERTIGUNG an – und damit STRAFLOSIGKEIT. Nach Kienapfel haftet der Täter wegen vollendeter Tat – aber ist milder zu bestrafen. § 3 kommt selbst dann zur Anwendung wenn ZORN, WUT, ERBITTERUNG oder HASS im Spiel war. Weder Verteidigungswille noch Notwehrsituation wird durch Vorsatz ausgeschlossen! Michael Akhavan – Aghdam Seite 16 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel RECHTSMISSBRAUCHKORREKTIV Wenn OFFENSICHTLICH ist, dass dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht UND die Verteidigung wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers unangemessen ist, dann ist die Handlung nicht gerechtfertigt. Dass es sich bloß um Bagatellnachteile handelt muss für JEDERMANN also auch für den Täter OFFENSICHTLICH sein (leicht und auf den ersten Blick). Drohende Körperschäden im Grade des § 83 (einfache Körperverletzung) schließen § 3 Abs. 1 2. Satz stets aus – NICHT ABER VERMÖGENSNACHTEILE UNTERHALB der für § 141 gültigen Wertgrenze (Entwendung). Im Übrigen entscheidet ein OBJEKTIV – INDIVIDUELLER Maßstab, der insbesondere auch die wirtschaftliche Situation des Angegriffenen einbezieht. Art II / MRK Das in Art 2 MRK ausgesprochene TÖTUNGSVERBOT wegen der Verteidigung von Sachwerten bezieht sich ausschließlich auf STAAT / BÜRGER beschränkt aber nicht das Notwehrrecht des einzelnen gegenüber Vermögenstätern. NOTHILFE Nothilfe ist eine SONDERFORM der Notwehr und muss deswegen alle Merkmale des § 3 Abs 1 Satz 1 erfüllen. Dabei ist nach Maßgabe des Geholfenem zu beurteilen. Darüber hinaus muss der Helfer den VERTEIDIGUNSGWILLEN haben! Dabei übt ein DRITTER Notwehr zu Gunsten des Angegriffenen.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 17 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

RECHTFERTIGENDER NOTSTAND Der rechtfertigende Notstand ist ein UNGESCHRIEBENER aus dem RECHTSGANZEN ABGELEITETER RECHTFERTIGUNGSGRUND im Wege einer Rechtsanalogie. Die Idee basiert auf dem GÜTER- und INTERESSENABWÄGUNGSPRINZIP. Die Judikatur hat sich erst spät zur Anerkennung durchgerungen. Die Materie ist nach wie vor nicht ausjudiziert und wird zunehmend restriktiv gehandhabt. Wie bei der Notwehr besteht die STRUKTUR des rechtfertigenden Notstandes aus: I.

NOTSTANDSSITUATION

II.

NOTSTANDSHANDLUNG und

III.

RETTUNGSWILLE

I. NOTSTANDSSITUATION Diese Frage bezieht sich auf das „OB“ des rechtfertigenden Notstandes. Eine Notstandssituation wird NUR DURCH EINEN UNMITTELBAR DROHENDEN BEDEUTENDEN NACHTEIL FÜR EIN RECHTSGUT BEGRÜNDET! Bedeutender Nachteil ist jedes Ereignis das aus wertender Sicht eine RELEVANTE Gefahr für ein Rechtsgut begründet. Im Unterschied zur Notwehr kann aber eine Notstandssituation NICHT NUR durch MENSCHLICHES VERHALTEN sondern AUCH DURCH TIERATTACKEN, NATURKATASTROPHEN und SONSTIGE ZUFÄLLE entstehen. Der zweite sehr wesentliche Unterschied ist, dass im Gegensatz zur Notwehr nicht nur notwehrfähige Rechtsgüter in Betracht kommen, sondern ALLE INDIVIDUALRECHTSGÜTER dafür in Frage kommen. (NB keine Rechtsgüter d. Allgemeinheit). Wie bei der Notwehr gibt es eine BESCHRÄNKUNG im BAGATELLBEREICH. Das gilt auch wenn höherwertige Rechtsgüter beeinträchtigt werden – es fehlt einfach die Bedeutsamkeit des Nachteils. Der zeitliche Schranken ist ident mit dem der Notwehr – solange ein unmittelbarer Nachteil droht ist eine rechtfertigender Notstand denkbar.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 18 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel II. NOTSTANDSHANDLUNG Nachdem der Notstand auch Eingriffe in die Rechtsgüter von Dritten (gänzlich Unbeteiligten!) ermöglicht, gelten besonders strenge Maßstäbe für das WIE! a) Die RETTUNGSHANDLUNG MUSS DAS EINZIGE MITTEL sein. Rechtsgüter müssen in der Weise kollidieren, dass das EINE NUR DURCH OPFERUNG des ANDEREN erhalten werden kann. Dieses Erfordernis ist entsprechend restriktiv auszulegen. b) Das Mittel MUSS GEEIGNET sein die RETTUNGSCHANCEN MEHR ALS NUR MINIMAL zu erhöhen. c) Unter mehreren geeigneten Mitteln MUSS DER NOTSTANDSTÄTER das RELATIV SCHONENDSTE WÄHLEN. d) Das GERTETTE RECHTSGUT MUSS HÖHER SEIN ALS DAS BEEINTRÄCHTIGTE. Nach hM muss diese Höherwertigkeit noch dazu EINDEUTIG und ZWEIFELLOS sein. Dabei gilt, dass PERSÖNLICHE HÖHERWERTIG sind ALS MATERIELLE RECHTSGÜTER. e) Selbst bei eindeutigem Überwiegen des geretteten Rechtsguts bzw. Interesses ist die Rettungshandlung nur dann gerechtfertigt wenn die Tat kein UNANGEMESSENES MITTEL zur ABWENDUNG der GEFAHR darstellt. (Bsp. mit gezwungener Blutspende). Das entspricht dem Rechtsmissbrauchkorrektiv in der Notwehr.

III. RETTUNGSWILLE Dieser entspricht dem Verteidigungswillen in der Notwehr. Dabei reicht schon das bloße Wissen um das Vorliegen einer Notstandssituation. SONDERPROBLEME LEBEN GEGEN LEBEN Das Leben ist das höchste der Rechtsgüter und kann von keinem anderen überwogen werden. Deswegen kann es auch nicht sein, dass man das Leben mehrerer auf Kosten eines in Betracht zieht. Menschenleben lassen sich nicht gegeneinander aufwiegen. UNBETEILIGTE PERSONEN

Michael Akhavan – Aghdam Seite 19 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Der rechtfertigende Notstand erlaubt auch den Eingriff in Rechtsgüter unbeteiligter Personen (hM).

WIRTSCHAFTLICHER NOTSTAND Wirtschaftlicher Notstand ist nicht anzuerkennen. Prinzipiell HAT JEDER die RISIKEN seiner WIRTSCHAFTLICHEN DISPOSITION SELBER zu tragen und darf sie nicht auf Dritte abwälzen. RECHTFERTIGENDE NOTSTANDSHILFE zur Abwendung drohender Nachteile für fremde Rechtsgüter ist nach hM zulässig. AUSSCHLUSS DES NOTSTANDES Soweit bestimmte Personen durch die Rechtsordnung die PFLICHT zur SELBSTAUFOPFERUNG haben KÖNNEN sich DIESE NICHT auf RECHTFERTIGENDEN NOTSTAND BERUFEN!

UNTERSCHIEDE NOTWEHR > < NOTSTAND I. NOTWEHRSITUATION Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut

I. NOTSTANDSITUATION Bedeutender Nachteil für ein Individualrechtsgut

gegenwärtig oder unmittelbar drohend

kein Unterschied

Angriff muss rechtswidrig sein

diese Einschränkung entfällt

II. NOTWEHRHANDLUNG notwendige Verteidigung

II. NOTSTANDSHANDLUNG einziges Mittel Höherwertigkeit des geretteten Rechtsgutes kein unangemessenes Mittel

III.

III.

VERTEIDIGUNGSWILLE

RETTUNGSWILLE

EXKLUSIVITÄT: Rechtfertigender Notstand kommt NEBEN NOTWEHR NICHT IN FRAGE! Michael Akhavan – Aghdam Seite 20 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

WEITERE RECHTFERTIGUNGSGRÜNDE Neben der NOTWEHR gem § 3 StGB sowie dem RECHTFERTIGENDEN NOTSTAND (auch übergesetzlicher Notstand), gibt es noch eine Reihe anderer Rechtfertigungsgründe: I.

das ANHALTERECHT

II.

das ALLGEMEINE SELBSTHILFERECHT

III.

besondere SELBSTHILFERECHTE

IV.

die AUSÜBUNG von AMTS- und DIENSTPFLICHTEN sowie

V.

die EINWILLIGUNG

I. DAS ANHALTERECHT Das ANHALTERECHT ist in § 86 Abs 2 StPO geregelt. Demnach ist JEDERMANN, insb. JEDE PRIVATPERSON zu einer ZEITLICH BEGRENZTEN ANHALTUNG eines TATVERDÄCHTIGEN BEFUGT. NB: Damit wird ein Rechtfertigungsgrund für eine Anhaltung statuiert, aber KEINE ANHALTEPFLICHT! Der Zweck liegt darin zu gewährleisten, dass ein Tatverdächtiger den Strafverfolgungsorganen überstellt wird – ABER NICHT UM JEDEN PREIS sondern NUR SOWEIT das MIT ANGEMESSENEN MITTELN und OHNE VORSÄTZLICHE VERLETZUNG DES TATVERDÄCHTIGEN möglich ist. Das Anhalterecht ist also weder eine „Ersatznotwehr“ noch Legitimation für „Hilfssheriffs“. Wiederum basiert das ANHALTERECHT auf 3 Elementen: a) ANHALTESITUATION b) ANHALTEHANDLUNG und c) ANHALTEWILLE

Michael Akhavan – Aghdam Seite 21 von 81

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

A) ANHALTESITUATION Der Gesetzgeber bezeichnet in § 86 Abs 2 drei alternative Anhaltegründe: Verdacht der gegenwärtigen oder unmittelbar vorherigen Ausführung einer mit gerichtlichen Strafe bedrohten Handlung oder der Fahndung wegen einer solchen. „mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung“ Damit sind alle Verbrechen und vergehen iSd § 17 StGB gemeint. Es reicht dazu schon eine Beteiligung (§ 12 StGB) oder ein Versuch(§ 15 StGB) sowie selbständig strafbare Vorbereitungshandlungen. Sogar Fahrlässigkeitsdelikte und Bagatelldelikte reichen dazu! NB: Disziplinarstraftaten, Verwaltungsstraftaten und prozessuale Ordnungsverstöße REICHEN NICHT FÜR EINE ANHALTUNG! Die Tat muss jedoch rechtswidrig sein oder den Anschein der Rechtswidrigkeit haben. KEIN ANHALTERECHT bei GERECHTFERTIGTEN oder rechtfertig erscheinenden Taten. Dass eine Tat schuldhaft begangen wurde ist jedoch kein Erfordernis. Sogar ein ganz offensichtlich unzurechnungsfähiger Mensch kann nach Maßgabe des § 86 StPO angehalten werden. „Tatverdacht“ Das Gesetz lässt bereits das Vorliegen hinreichender Gründe für eine Anhaltung reichen. Damit wird auch einem Schuldlosen das IRRTUMSRISIKO aufgebürdet. Er muss sich die Anhaltung gefallen lassen solange ein hinreichender Tatverdacht besteht. Begründbar ist das mit einer wünschenswerten Effizienz der Strafverfolgung. Hinreichende Gründe iSd Gesetzes liegen vor wenn sich in der Situation des Angehaltenen bestimmte Indizien ein Verdacht einer rechtswidrigen Tat ergibt. Ein dringender Tatverdacht wird gar nicht gefordert. „zeitliche Schranken“ prinzipiell genügt es wenn der Täter auf frischer Tat ertappt wird – man kann eine Anhaltung gem § 86 StPO aber auch nach der Vollendung oder Aufgabe machen solange noch ein zeitlicher und indizienmäßiger Konnex mit der Tat besteht.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 22 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

B) ANHALTEHANDLUNG Bei der Anhaltung geht es um das WIE und das WIE LANGE. Gerechtfertigt ist in jedem Fall nur eine ANHALTUNG AUF ANGEMESSENE WEISE. Das heißt, dass NICHTQUALIFIZIERTE FREIHEITSEINGRIFFE ZULÄSSIG sind. zum Beispiel: -

festhalten Einschließen Abdrängen des Fluchtwagens Androhung von Nachteilen (wie Anzeige) Körperliche Gewalt (strittig in welchem Umfang lt. Burgstaller leichte Körperverletzung für Ladendiebstahl ok)

NB: auf einen OHNE BEUTE flüchtenden Dieb darf man weder schießen noch einen Prügel in Kreuz hauen, selbst wenn das die einzige Möglichkeit wäre seiner habhaft zu werden. Wenn ein Verdächtiger sich gegen eine maßvolle Anhaltung zur Wehr setzt kann das eine Situation begründen die als rechtswidriger Angriff zu werten ist und ihrerseits mit Notwehr gem § 3 StGB abgewehrt werden darf. DAUER DER ANHALTEHANDLUNG Wenn der Tatverdacht wegfällt – entfällt die ANHALTESITUATION. Die ANHALTUNG ist in diesem Fall UNVERZÜGLICH aufzuheben, weil sie sonst EX NUNC ein RECHTSWIDRIGER EINGRIFF in die Freiheit wird. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 86 ist der Anhaltende VERPFLICHTET die Anhaltung UNVERZÜGLICH DEM NÄCHSTEN SICHERHEITSORGAN ANZUZEIGEN. Wenn man das unterlässt macht man sich u.U. gem § 99 oder § 105 StGB strafbar machen. Nach Aufhebung der Anhaltung besteht keine Anzeigepflicht mehr. C) ANHALTEWILLE Als subjektives Rechtfertigungselement wird ein Anhaltewille vorausgesetzt. Es reicht die Kenntnis einer Anhaltesituation.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 23 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

UNWÜRDIGE BEGLEITUMSTÄNDE können die Anhaltung ex nunc in eine strafbare Freiheitsentziehung oder Nötigung verwandeln (anketten an Baum, einsperren in Schweinestall). VERHÄLTNIS ZUR NOTWEHR Notwehr und Anhalterecht schließen einander nicht aus! Häufig ergänzen sie sich sogar. EG: Solange ein Dieb die Beute bei sich hat kann man ihn aus beiden Gründen festhalten. Wenn er sie zurück gibt nur noch gem § 86 Abs 2 StPO.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 24 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

ALLGEMEINES SELBSTHILFERECHT Nahezu alle Rechtsordnungen verbieten Selbstjustiz. Der Staatsbürger kann sich das Recht nicht selber nehmen sondern muss es bei der Behörde suchen.... Das Selbsthilferecht ist nur in sehr engen Grenzen zulässig und setzt sich wie die Notwehr, der rechtfertigende Notstand oder das Anhalterecht aus 3 wesentlichen Elementen: I.

SELBSTHILFESITUATION

II.

SELBSTHILFEHANDLUNG und

III.

SELBSTHILFEWILLE

I. SELBSTHILFESITUATION Diese ist sehr eng auszulegen und besteht aus a) BESTEHEN EINES PRIVATRECHTLICHEN ANSPRUCHS (dieser muss TATSÄCHLICH GEGEBEN SEIN) b) STAATLICHE HILFE KÄME ZU SPÄT (gemeint ist Hilfe durch inländische Behörden) II. SELBSTHILFEHANDLUNG Die Selbsthilfehandlung muss NACH ART und AUSFÜHRUNG UNBEDINGT NÖTIG und ANGEMESSEN SEIN! „unbedingt nötig“ selbsterklärend „Angemessenheit“ sie darf nicht außer Verhältnis zu Wert bzw. zu Bedeutung des durchzusetzenden Rechts stehen. (nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen) „körperliche Gewalt“

Michael Akhavan – Aghdam Seite 25 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Es handelt sich NICHT um ERSATZNOTWEHR. Vorsätzliche Körperverletzung etc. ist unzulässig. Allenfalls körperliche Misshandlungen bzw. leichte fahrlässige Körperverletzungen sind zulässig III. SELBSTHILFEWILLE Das Wissen reicht. Auch rechtfertigende DRITTHILFE ist zulässig.

BESONDERE SELBSTHILFERECHTE Neben dem allgemeinen Selbsthilferecht gibt es auch besondere Selbsthilferechte in der österreichischen Rechtsordnung. NB: lex specialis derogat legem generalis ! Beispiele: -

Rückbehaltungsrecht des Herausgabepflichtigen Rückbehaltungsrecht des Gastwirtes Rückbehaltungsrecht des Vermieters Viehtreibungsrecht, Privatpfändungsrecht Kaufmännisches Rückbehaltungsrecht

Auch ihnen ist die dreiteilige Gliederung immanent.

AUSÜBUNG VON AMTS- und DIENSTPFLICHTEN Hierbei handelt es sich um überwiegend geschriebenem Recht, das den Trägern von öffentlich-rechtlichen Funktionen BEGRENZTE auf BESTIMMTE AMTLICHE TÄTIGKEITEN BEZOGENE EINGRIFFSRECHTE GEWÄHRT. EG: -

§ 139 StPO Haus- und Personendurchsuchung § 143 StPO Beschlagnahme § 26 EO Hausdurchsuchung und Taschenpfändung § 175 StPO Anordnung der vorläufigen Verwahrung .....

Auch Beamte in Ausübung Ihrer Tätigkeiten können sich auf Rechtfertigungsgründe wie Notwehr oder rechtfertigenden Notstand etc. berufen.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 26 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

EINWILLIGUNG Bei der Einwilligung handelt es sich ebenso wie beim rechtfertigenden Notstand um einen UNGESCHRIEBENEN RECHTFERTIGUNGSGRUND. Eine Einwilligung kann AUSDRÜCKLICH oder KONKLUDENT erklärt werden. Nachdem die Einwilligung aber eine Willenserklärung ist reicht bloßes geschehen lassen nicht aus! Die hM unterscheidet allerdings die Einwilligung vom tatbestandsausschließenden Einverständnis. Durch ein Einverständnis wird das Tatbild erst gar nicht erfüllt. (man darf ein altes Fahrrad aus dem Schuppen abholen und behalten – d.h. es kommt erst gar nicht zum Diebstahl) Wiederum setzt sich eine Einwilligung durch DREI HAUPTSTRUKTUREN zusammen: I.

die EINWILLIGUNGSSITUATION

II.

die EINWILLIGUNGSHANDLUNG und

III.

die KENNTNIS von der EINWILLIGUNG des RECHTSGUTTRÄGERS

I. EINWILLIGUNGSSITUATION Diese setzt die DISPONIBILITÄT des RECHTSGUTES voraus! Die Individualrechtsgüter sind allgemein disponible AUSGENOMMEN DAS LEBEN! Rechtsgüter des Staates oder der Allgemeinheit SIND NICHT DISPONIBEL. Es gibt jedoch das allgemeine Sittenwidrigkeitskorrektiv, das von einer beschränkten Disponibilität der körperlichen Integrität ausgeht (betr. §§ 83 – 89 StGB). Die Einwilligung MUSS ERNSTLICH UND FREIWILLIG sein und darf NICHT an GRAVIERENDEN WILLENSMÄNGELN leiden. Die ERTEILUNG DER EINWILLIGUNG ist NUR DANN WIRKSAM, wenn sie VOR ODER SPÄTESTENS BEI DER TAT GEGEBEN WIRD!!! Ein Verzeihen danach ist unwirksam, weil dann ja der Strafanspruch des Staates entstanden ist über den der Verletzte nicht disponieren kann (außer bei Privatanklagedelikten oder Ermächtigungsdelikten natürlich!). Michael Akhavan – Aghdam Seite 27 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

„Dispositionsbefugnis“ Das ist idR der Rechtsgutträger, kann bei Eigentum oder Vermögen aber auch ein Verfügungsberechtigter sein. „Dispositionsfähigkeit“ Der Rechtsgutträger muss aufgrund seiner geistigen und sittlichen Reife dazu in der Lage sein die Tragweite der Rechtsguteinbuße und des Rechtsschutzverzichts zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen. Es wird jedoch keine Geschäftsfähigkeit verlangt. Maßgeblich ist die Einsichts- und Urteilsfähigkeit.

II. EINWILLIGUNGSHANDLUNG Die gestattete Beeinträchtigung muss sich nach Art, Umfang und auch in zeitlicher und persönlicher wie auch in örtlicher Hinsicht IM RAHMEN DESSEN HALTEN was der rechtsgutträger gewollt und erklärt hat. Eine ÜBERSCHREITUNG MACHT DEN RECHTSGUTEINGRIFF RECHTSWIDRIG. III. EINWILLIGUNGSKENNNTIS Das subjektive Rechtfertigungselement besteht darin, dass der Täter IM ZEITPUNKT DER TAT vom Vorliegen der EINWILLIGUNG GEWUSST und AUFGRUND ODER ZUMINDEST IN KENNTNIS DER EINWLLIGUNG gehandelt hat! SONDERPROBLEME: Vielfach wird vorschnell und gänzlich lebensfremd mit der Einwilligung operiert – obwohl in Wirklichkeit ein Rechtsschutzverzicht gar nicht gewollt ist. So bedeutet das Mitfahren mit einem betrunkenen Lenker keineswegs, dass man eine Einwilligung in die eigne Körperverletzung gibt – oder gar den Tod (was gar nicht geht weil das Leben kein disponibles Rechtsgut ist). Es heißt nur, dass man sich freiwillig und unvernünftigerweise in Gefahr begibt. Es gibt noch Mischfälle wo disponible mit nicht disponiblen Rechtsgütern zusammenkommen wie z.B. bei der Verleumdung. Nachdem hier das Element der Michael Akhavan – Aghdam Seite 28 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Rechtspflege dominiert und dieses als allgemeines Rechtsgut nicht disponibel ist wird man eine Einwilligungsmöglichkeit verneinen müssen.

MUTMASSLICHE EINWILLIGUNG Bei der mutmaßlichen Einwilligung handelt es sich um einen RECHTFERTIGUNGSGRUND EIGENER ART. Er ist als SOLCHER NIRGENDS IM StGB GEREGELT – WIRD JEDOCH ALLGEMEIN ANERKANNT. Voraussetzung und Grenzen sind jedoch nach wie umstritten. Der Gedanke dahinter lehnt sich an einen ENTSCHEIDUNGSNOTSTAND an. Die mutmaßliche Einwilligung ist eine NICHTEINWILLIGUNG. Das bedeutet, dass sie ZUM ZEITPUNKT DER TAT NICHT VORLIEGEN DARF. Sie ist ERSATZ für die wirkliche Einwilligung. Wiederum setzt sie sich aus drei wesentlichen Elementen zusammen: I.

MUTMASSLICHE EINWILLIGUNGSSITUATION

II.

MUTMASSLICHE EINWILLIGUNGSHANDLUNG und

III.

KENNTNIS DER UMSTÄNDE, WELCHE DIE MUTMASSLICHE EINWILLIGUNGSSITUATION BEGRÜNDEN

I. MUTMASSLICHE EINWILLIGUNGSSITUATION Sie setzt sich aus zwei Elementen zusammen: a) die Einwilligung des Rechtsträgers ist nicht erreichbar und b) der Rechtsträger würde in dieser Situation die Einwilligung mit Sicherheit erteilen Wenn der „Täter“ dahingehend irrt, dass der Rechtsträger nicht einwilligt kommt § 8 StGB „irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhaltes“ zum tragen. Ein NEIN ist in jedem Fall zu respektieren. II. MUTMASSLICHE EINWILLIGUNGSHANLUNG Die Grenze der Tat ist die Grenze dessen was der Rechtsträger gewollt hätte. Michael Akhavan – Aghdam Seite 29 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

III.

KENNTNIS DER UMSTÄNDE, WELCHE DIE MUTMASSLICHE EINWILLIGUNGSSITUATION BEGRÜNDEN

Wiederum ist die Kenntnis der Umstände als subjektiver Rechtfertigungsgrund notwendig. Der Handelnde muss um die Unerreichbarkeit des Rechtsträgers wissen und nach Abwägung aller Umstände davon überzeugt sein, dass dieser in der Situation eingewilligt hätte.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 30 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

DER SCHULDBEGRIFF DER VORSATZDELIKTE Das österreichische Strafrecht ist ein SCHULDSTRAFRECHT. Es basiert auf dem SCHULDPRINZIP: STRAFBAR IST NUR WER SCHULDHAFT HANDELT Damit ist die Schuld der Grund und gleichzeitig die Grenze der Strafe. Die Schuld ist der Eckpfeiler des rechtsstaatlichen Strafrechts. Seine Schwachstelle ist allerdings, dass es keine Rücksicht auf die spezifische Gefährlichkeit des Täters nimmt. Deshalb bedarf das Schuldprinzip eines ergänzenden Korrektivs: den vorbeugenden Maßnahmen. Frank: normativer Schuldbegriff „Schuld ist Vorwerfbarkeit“. Maßstab der Schuld ist der maßgerechte Mensch in der Situation des Täters! Unter dem Menschenbild des StGB ist ein der Rechtsordnung verbundener Mensch zu verstehen, der sich nach ihr richtet. Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter VORGEWORFEN, dass er NICHT SO GEHANDELT HAT WIE ein MASSGERECHTER MENSCH AN SEINER STELLE GEHANDELT HÄTTE. Wir unterscheiden VORSATZSCHULD zum einen und FAHRLÄSSIGKEITSSCHULD zum anderen. Die VORSATZSCHULD besteht aus VIER SCHULDELEMENTEN: a) Schuldfähigkeit b) Vorsatz c) Unrechtsbewusstsein und d) keine Entschuldigungsgründe Alle diese vier Elemente MÜSSEN zum ZEITPUNKT der TAT vorhanden sein. Wenn auch nur ein einziges Element fehlt handelt der Täter ohne Schuld und kann nicht wegen einer rechtswidrigen Vorsatztat bestraft werden! Schuld und Kausalität sind nicht das gleiche! (no na) Michael Akhavan – Aghdam Seite 31 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

SCHULDFÄHIGKEIT gem § 11 StGB Das ist ein essentielles Element der Vorsatz- und Fahrlässigkeitsschuld. Ein Schuldunfähiger erfüllt nicht den psycho-physischen Mindeststandard des maßgerechten Menschen iSd StGB. Ein schuldunfähiger Mensch kann zwar handeln und rechtswidrige Taten begehen aber er kann wegen mangelnder Schuld nicht bestraft werden. Der Begriff Zurechnungsfähigkeit wird von Kienapfel eher abgelehnt – man sollte SCHULDFÄHIGKEIT benutzen – weil das den Kern der Sache besser trifft. SCHULDFÄHIGKEIT IST DIE FÄHIGKEIT DAS UNRECHT DER TAT EINZUSEHEN UND NACH DIESER EINSICHT ZU HANDELN Der Katalog des § 11 ist abschließend. Die Frage ob jemand schuldfähig ist oder nicht hängt vom Alter oder vom Nichtvorliegen bestimmter seelischer Störungen ab. Bis zu 14 Jahren ist man GENERELL SCHULDUNFÄHIG. 14 bis 19 jährige gelten nur bei verzögerter Reife als schuldunfähig (vgl. § 4 JGG). Bei den seelischen Störungen kommen in Betracht: a) Geisteskrankheiten (manisch depressives Irresein, als Folge von Alkoholismus oder Tumoren) b) Schwachsinn wie Imbezillität, Idiotie und Debilität (IQ zwischen 50 – 69) c) tiefgreifende Bewusstseinsstörungen (erhebliche Trunkenheit, Rauschgifteinwirkung, Hypnose, Schock, Affekt...) d) oder gleichwertige seelische Störungen (schwere Triebstörungen, schwere Neurosen, Psychopathien) Daneben gibt es noch die PARTIELLE SCHULDUNFÄHIGKEIT, die keine eigene dogmatische Kategorie darstellt, aber im Zuge der Urteilsfindung allenfalls als Milderungsgrund zu werten ist. (Blackout etc.).

Michael Akhavan – Aghdam Seite 32 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

ACTIO LIBERA IN CAUSA und der § 287 Abs 1 StGB Die Rechtsfigur der ACTIO LIBERO IN CAUSA ist im StGB nicht ausdrücklich geregelt – WIRD ABER IN DER LEHRE ANERKANNT. Es handelt sich um eine Einschränkung des § 11 StGB – die im Rahmen einer rechtshistorischen Betrachtung nicht unbedenklich ist, nachdem sie zu einer nicht unerheblichen Ausweitung der Strafbarkeit führt. VORSÄTZLICHE ACTIO LIBERA IN CAUSA: Wenn sich der Täter mit dem Vorsatz in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat um in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat zu begehen. Der Täter macht sich zu seinem eigenen schuldunfähigen Werkzeug. Neben der vorsätzlichen gibt es auch noch eine FAHRLÄSSIGE ACTIO LIBERA IN CAUSA. Bei beiden Fällen wird die GESAMTE SCHULDPRÜFUNG AUF DEN ZEITPUNKT VORVERLEGT in dem sich der Täter in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat. § 287 Abs 1 Dabei geht es um ein selbständiges Delikt, dass ganz allgemein die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung regelt bzw. als eigenes Delikt unter Strafe stellt. Damit erfüllt der § 287 Abs 1 eine ähnliche Funktion wie die ACTIO LIBERA IN CAUSA. Wenn es diese beiden Rechtsfiguren nicht gäbe würden unerträgliche Straflücken entstehen – nur weil sich jemand berauscht z.B. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Rechtsfiguren ist, dass der Täter im Zuge der ACTIO LIBERA IN CAUSA den Vorsatz bzw. die Fahrlässigkeit bereits vor der Berauschung UNTER BEZUG AUF EINE BESTIMMTE RECHTSWIDRIGE TAT hat und im Zuge des § 287 Abs 1 bestraft wird, wer eine im Rausch begangene Tat WEDER GEWOLLT NOCH VORAUSGESEHEN HAT. Michael Akhavan – Aghdam Seite 33 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Die Actio libera in causa kann u.U. sogar greifen, wenn gar kein Handeln vorliegt (z.B. der Fahrer schläft völlig übermüdet ein – es kann ihm vorgehalten werden, dass er die eigene Handlungsunfähigkeit fahrlässig herbeigeführt hat – Pech).

VORSATZ IM STRAFRECHT Der TATVORSATZ ist die SCHULDFORM der VORSATZDELIKTE. Vorsätzlich handelt WER EINEN SACHVERHALT VERWIRKLICHEN WILL, DER EINEM GESETZLICHEN TATBILD ENTSPRICHT. Der Tatvorsatz muss sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des Delikts umfassen, also -

TATHANDLUNG TATOBJEKT TATMODALITÄTEN und den ERFOLG QUALIFIKATIONEN (insb. Wertqualifikation)

Der Tatvorsatz besteht aus der WISSENS- und der WOLLENSKOMPONENTE. Irrelevant ist das Motiv bei der Sache. Dabei gilt, dass ein sicheres Wissen beim Täter nicht erforderlich ist. Bereits undeutliche und unreflektierte Vorstellungen reichen. So ist der Taschendieb der die Brieftasche stiehlt und das Geld behält – alles andere aber wegwirft wegen: -

Diebstahl des Geldes Dauernder Sachentziehung der Geldbörse sowie wegen Urkundenunterdrückung (Ausweise etc.)

zu bestrafen. Daneben ist die WOLLENSKOMPONENTE zu betrachten: BEDINGTER VORSATZ (DOLUS EVENTUALIS) Ist der unterste Stärkegrad des Vorsatzes. Das bedeutet, dass der Täter es für ernsthaft möglich hält einen bestimmten Sachverhalt zu verwirklichen und sich damit abfindet (§ 5 Abs 1 2. HS StGB). WISSENTLICHKEIT ist die nächsthöhere Stufe des Vorsatzes. Wissentlich handelt, wer den Umstand oder Erfolg für den das Gesetz Wissentlichkeit voraussetzt nicht bloß für möglich hält sondern sein Vorliegen oder Eintreten für gewiss hält. Michael Akhavan – Aghdam Seite 34 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel ABSICHLICHKEIT schließlich ist die stärkste Form. Es bedeutet zielgerichtetes Wollen. Absichtlich handelt, wem es darauf ankommt den Erfolg zu verwirklichen für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt.

TATBILDIRRTUM Ein TATBILDIRRTUM VERHÜLLT DEM TÄTER DIE TATBILDMÄSSIGKEIT seiner Handlung. Mithin entfällt der Tatvorsatz. Es genügt dabei bereits, dass der Täter über ein einziges von mehreren Tatbildmerkmalen irrt. Der TATBILDIRRTUM betrifft alleine die WISSENSKOMPONENTE und ist die KEHRSEITE des VORSATZES. Der TATBILDIRRTUM ist im Gesetz nicht definiert. Man gelangt zum Tatbildirrtum, wenn man § 5 Abs 1 1.HS UMKEHRT und NEGATIV VERSIEHT (Vorsatz). EIN TATBILDIRRTUM LIEGT VOR, WENN DER TÄTER NICHT ERKENNT, DASS ER EINEN SACHVERHALT VERWIRKLICHT, DER EINEM GESETZLICHEN TATBILD ENTSPRICHT. Der Tatbildirrtum wird wegen seiner täterfreundlichen Konsequenzen eher restriktiv gehandhabt. Wenn dem Täter die Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmales AUS DEN BEGLEITUMSTÄNDEN oder SONST LATENT BEWUSST ist, scheidet die Annahme eines Tatbildirrtums aus. Beispiel im Lehrbuch: LKW Fahrer der über einen Karton fährt ohne zu wissen, dass sich ein Kind darin verborgen hat. Ein Tatbildirrtum kommt in Betracht wenn der Täter die tatsächlichen Umstände nicht wahrgenommen oder ihren sozialen und rechtlichen Bedeutungsgehalt nicht erkannt hat. IRRTUM ÜBER DEN KAUSALVERLAUF Der Tatvorsatz muss den Kausalverlauf wenigstens in groben Umrissen umfassen. Daraus folgt, dass unwesentliche Abweichungen keinen Tatbildirrtum begründen! Sehr umstritten ist die Behandlung von WESENTLICHEN ABWEICHUNGEN im Kausalverlauf....

Michael Akhavan – Aghdam Seite 35 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Zum einen gibt es die TRADITIONELLE VORSATZLÖSUNG: „..auch eine wesentliche Abweichung begründet keinen Tatbildirrtum...Strafe wegen vollendeter Tat....“.

Zum anderen gibt es die MODERNE ZURECHNUNGSLÖSUNG. Die hM bejaht zwar den Kausalzusammenhang, verneint jedoch die objektive Zurechenbarkeit des Erfolgs. Wenn also der Erfolg nicht den Anforderungen des Adäquanz- oder Risikozusammenhangs entspricht kann man ihn dem Täter nicht zurechnen. IRRTUM ÜBER WERTQUALIFIKATIONEN Die Wertqualifikationen sind echte Tatbestandsmerkmale und MÜSSEN VOM TATVORSATZ des TÄTERS UMFASST SEIN! Die Gerichte erledigen den Einwand des Tatbildirrtums seitens des Täters idR damit, dass jeder Dieb eine möglichst hohe Beute erwartet und hinsichtlich der Wertqualifikation zumindest mit DOLUS EVENTUALIS handelt. Es reicht also schon, dass dem Täter ein solcher Vorsatz zuzutrauen sei. Der TATBILDIRRTUM schließt den Tatvorsatz aus. Damit ist die Tat nur noch strafbar wenn es ein Fahrlässigkeitsdelikt dazu gibt und wenn der Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht – ANSONSTEN GEHT DER TÄTER STRAFFREI AUS! IRRTUM ÜBER DAS TATOBJEKT Dabei irrt der Täter über die Identität oder sonstige Eigenschaften einer Person oder Sache. Wenn es sich um ein gleichartiges Tatobjekt handelt, ist der Irrtum unbeachtlich. Wenn es sich um ein ungleichartiges Tatobjekt handelt, dann schließt der Irrtum über das Tatobjekt den Tatvorsatz des Täters aus. Es handelt sich um einen Tatbildirrtum. EG:

Der Täter schießt auf einen Reiter und trifft das Pferd. Hinsichtlich des Pferdes liegt ein Irrtum über das Tatobjekt vor. Der Täter wird wegen versuchten Mordes belangt.

ABERATIO ICTUS

Michael Akhavan – Aghdam Seite 36 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Davon spricht man wenn in Folge eines Abirrens des Angriffs nicht das Zielobjekt sondern ein anderes getroffen wird. Es handelt sich dabei um eine eigene Rechtsfigur. Das wird dahingehend gelöst, dass der Versuch und u.U. die fahrlässige Tat in Bezug auf den tatsächlichen Erfolg angenommen wird.

DOLUS GENERALIS Dabei handelt es sich um einen Sonderfall des Irrtums über den Kausalverlauf. Wenn es sich um eine wesentliche Abweichung handelt dann gilt analoges hinsichtlich der objektiven Zurechnung. Dolus generalis nahm man früher an – als einen EINHEITLICHEN, die GANZE TAT UMFASSENDEN GENERELLEN VORSATZ.

IRRTUM ÜBER QUALIFIZIERENDE TATBESTANDSMERKMALE In diesem Fall haftet der Täter lediglich im Rahmen des Grunddeliktes.

IRRTUM ÜBER PRIVILIGIERENDE MERKMALE In Hinblick auf den SCHULDGRUNDSATZ ist der Täter lediglich für die geringere Schuld des privilegierten Delikts zu belangen.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 37 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

UNRECHTSBEWUSSTSEIN VORWERFBAR HANDELT WER MIT UNRECHTSBEWUSSTSEIN HANDELT ! Unrechtsbewusstsein ist das Bewusstsein, dass die Tat gegen die Rechtsordnung verstößt. Aktuelles Unrechtsbewusstsein ist wirklich vorhandenes Unrechtsbewusstsein. Dazu reicht schon, dass dem Täter der Verstoß gegen die Rechtsordnung wenigstens nach Laienart bewusst ist. Daneben gibt es das potentielle Unrechtsbewusstsein. Davon spricht man wenn dem Täter das Unrecht seiner Tat nicht bekannt war – er aber verpflichtet gewesen wäre sich danach zu erkundigen. Dieser Begriff hängt eng mit dem maßgerechten Menschen iSd StGB zusammen. Wenn jemand nicht einmal potentielles Unrechtsbewusstsein vorgehalten werden kann, dann handelt er nicht schuldhaft. Unrechtsbewusstsein und Tatvorsatz dürfen nicht miteinander verwechselt werden. Das Bewusstsein um die Strafbarkeit einer Tat ist jedenfalls weder Voraussetzung für die Schuld – noch für die Bestrafung des Täters.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 38 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

VERBOTSIRRTUM (§ 9 StGB) Der VERBOTSIRRTUM wird auch RECHTSIRRTUM genannt. Der VERBOTSIRRTUM VERHÜLLT DEM TÄTER DAS UNRECHT SEINER TAT. EIN VERBOTSIRRTUM LIEGT VOR, WENN DER TÄTER NICHT ERKENNT, DASS SEINE TAT UNRECHT IST. Dabei ist vollkommen egal ob er eine FALSCHE oder GAR KEINE VORSTELLUNG davon hat, dass seine Tat Unrecht ist. Wir unterscheiden dabei: I.

DIREKTER VERBOTSIRRTUM und

II.

INDIREKTER VERBOTSIRRTUM

I. DER DIREKTE VERBOTSIRRTUM Von einem direkten Verbotsirrtum spricht man, wenn der Täter überhaupt nicht erkennt, dass seine Tat verboten und daher Unrecht ist. Im Kernbereich herkömmlicher Delikte hat der direkte Verbotsirrtum praktisch keine Bedeutung. In den zahlreichen Nebenrechten jedoch ist die praktische Bedeutung größer. II. DER INDIREKTE VERBOTSIRRTUM Beim indirekten Verbotsirrtum irrt sich der Täter entweder über die Existenz oder die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes und erkennt deshalb nicht, dass seine Tat unrecht ist. Dabei weiß der Täter, dass seine Tat an sich verboten ist, doch er glaubt, dass er sie ausnahmsweise doch begehen darf. Entweder wegen: Michael Akhavan – Aghdam Seite 39 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel a) IRRTUM über die EXISTENZ eines RECHTFERTIGUNSGGRUNDES oder Das kann sich um ein nicht oder nicht mehr vorhandenen Rechtfertigungsgrund handeln. b) IRRTUM über die GRENZEN eines RECHTFERTIGUNGSGRUNDES Überdehnung des zeitlichen Schrankens des Notwehrrechtes oder er glaubt, dass seine Abwehrhandlung noch im Bereich des „notwendigen“ liegt.

NB: NUR DER NICHT VORWERFBARE VERBOTSIRRTUM SCHLIESST JEDE SCHULD und DAMIT JEDE STRAFE AUS. ABGRENZUNG ZUM TATBILDIRRTUM: Beim TATBILDIRRTUM ist der Täter im Hinblick auf den SACHVERHALT im IRRTUM – er erkennt gar nicht dass er einen Sachverhalt verwirklicht der einem gesetzlichen Tatbild entspricht. Beim VERBOTSIRRTUM erkennt der Täter den Sachverhalt, aber er ist in Hinblick auf die rechtliche Situation im Irrtum und erkennt nicht, dass es sich um Unrecht handelt. Der Verbotsirrtum darf aber nicht mit dem Irrtum über die Strafbarkeit verwechselt werden. Ein Irrtum über die Strafbarkeit ist irrelevant.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 40 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

IRRTUM ÜBER EINEN RECHTFERTIGENDEN SACHVERHALT Wer in einem Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt handelt, nimmt irrtümlich einen Sachverhalt an, welcher die Rechtswidrigkeit seiner Tat ausschließen würde (Beispiel: Bodyguard, der an einen Anschlag glaubt oder Jogger der die verlorene Brieftasche zurückgeben will etc.). Anwendungsbereich: Putativnotwehr, Putativnotstand, Putativeinwilligung Wer sich in einem Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt befindet, handelt vorsätzlich denn er WILL DAS DELIKT BEGEHEN! Aber der vorliegende Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt schließt das Unrechtsbewusstsein aus! Das zieht nach sich, dass der Täter nicht eo ipso straffrei ist, sondern, dass die Rechtsfolgend des fahrlässigen Handelns eintreten. Das hat einen einfachen Grund: wenn man vorschnell einen rechtfertigenden Sachverhalt annimmt, dann ist das an und für sich schon fahrlässig. Es ist Folge einer UNSORGFÄLTIGEN PRÜFUNG des SACHVERHALTS! Daraus resultiert: TROTZ VORSATZ wird der Täter NICHT WEGEN VORSÄTZLICHER BEGEHUNG BESTRAFT, sondern wegen FAHRLÄSSIGER BEGEHUNG – aber natürlich nur 1.) WENN es ÜBERHAUPT ein FAHRLÄSSIGKEITSDELIKT GIBT und 2.) der IRRTUM auf FAHRLÄSSIGKEIT BERUHT

NB: Der IRRTUM über einen rechtfertigenden Sachverhalt hat zwar Ähnlichkeiten zum TATBILDIRRTUM als auch zum indirekten Verbotsirrtum, aber er stimmt mit keinem der beiden Rechtsfiguren überein und bedarf dementsprechend einer Abgrenzung. Michael Akhavan – Aghdam Seite 41 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

UNTERSCHIED zum INDIREKTEN VERBOTSIRRTUM: Beim indirekten Verbotsirrtum glaubt der Täter – ebenso wie beim Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt, dass er nicht rechtswidrig handelt. Das ist den beiden Rechtsfiguren gemein. Aber beim indirekten Verbotsirrtum gelangt der Täter aus einem ANDEREN GRUND ZU DER ANNAHME: Beim indirekten Verbotsirrtum irrt der Täter jedoch über die EXISTENZ oder die GRENZEN eines Rechtfertigungsgrundes. Beim Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt irrt der Täter jedoch dahingehend, dass er einen rechtfertigenden Sachverhalt annimmt, der nicht vorliegt. Der wesentliche Unterschied liegt auch in den Sanktionen: Während es beim indirekten oder direkten Verbotsirrtum darauf ankommt, ob der Verbotsirrtum vorwerfbar ist oder nicht, kommt es beim Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt lediglich darauf an, ob der Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht oder nicht.

UNTERSCHIED zum TATBILDIRRTUM: Beim TATBILDIRRTUM und beim IRRTUM über einen rechtfertigenden Sachverhalt irrt der Täter über den Sachverhalt. Beim Tatbildirrtum irrt sich der Täter über einen Sachverhalt, der für die Tatbildmäßigkeit von Bedeutung ist. Das bedeutet, dass der Tatbildirrtum dem Täter die Tatbestandsmäßigkeit seiner Handlung verschleiert. Beim Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt ist dem Täter die Tatbestandsmäßigkeit keineswegs verschleiert – SONDERN DIE RECHTSWIDRIGKEIT seiner Handlung – und damit das Unrecht. Daher folgt logischerweise, dass anders als beim Tatbildirrtum nie der VORSATZ ausgeschlossen werden kann!!!! Wer einen rechtfertigenden Sachverhalt annimmt handelt natürlich vorsätzlich. Es entfällt aber das UNRECHTSBEWUSSTSEIN – mit fehlendem Unrechtsbewusstsein ENTFÄLLT ZUGLEICH DIE VORSATZSCHULD. Es bleibt aber die Strafbarkeit für fahrlässiges Handeln übrig. Es kann natürlich auch zu Mischformen mehrerer Irrtumstypen kommen. Ein klassisches Beispiel dafür ist der PUTATIVNOTWEHREXZESS! Michael Akhavan – Aghdam Seite 42 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

Schuldfähig?

Vorsatz bzw. Tatbildirrtum?

Irrtum über rechtfertigenden Sachverhalt? direkter od. ind. Verbotsirrtum?

KEINE ENTSCHULDIGUNGSGR ÜNDE

ENTSCHULDIGENDER NOTSTAND (§ 10 StGB) Der entschuldigende Notstand ist in § 10 Abs 1 und Abs 2 geregelt und ist der praktisch wichtigste Entschuldigungsgrund. Er ist NUR AUF VORSÄTZLICHE BEGEHUNGSDELIKTE anwendbar. Bei Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikten muss man sich die Zumutbarkeit ansehen. Entscheidend ist, dass der Täter entschuldigt ist, dass bedeutet nicht, dass die Tat gebilligt wird. Es ist die Frage ob ein maßgerechter Mensch sich in dieser Lage auch so verhalten hätte – d.h. dass rechtmäßiges Verhalten nicht mehr zumutbar ist. Dadurch, dass die Tat nicht gebilligt ist, folgt, dass Notwehr gegen entschuldigenden Notstand zulässig ist (aber eingeschränkt wie bei Kindern oder kranken Menschen). Das ist insbesondere der Fall, wenn man in extremer Bedrängnis ist bzw. einen so starken Motivationsdruck hat, dass man selbst als maßgerechter Mensch nicht mehr realistischerweise rechtmäßig handelt. Das StGB TRENNT STRIKT ZWISCHEN entschuldigendem und rechtfertigendem Notstand in Abweichung von der einstigen EINHEITSTHEORIE. Jetzt gilt die DIFFERENZIERUNGSTHEORIE. NOTSTANDSITUATION: Ein UNMITTELBAR DROHENDER BEDEUTENDER NACHTEIL für INDIVIDUALRECHTSGÜTER des Notstandstäters oder von einem Dritten! Aber im Gegensatz zur Notwehr fallen nicht nur die notwehrfähigen Rechtsgüter unter die möglichen beim entschuldigenden Notstand. Entschuldigender Notstand ist so also auch zum Schutz der Privatsphäre oder der ehelichen Treue denkbar. NB: Einschränkungen und sehr restriktive Handhabung beim wirtschaftlichen Notstand Wie beim rechtfertigenden Notstand wird beim entschuldigenden Notstand eine KOLLISIONSLAGE von Rechtsgütern vorausgesetzt. ABER im Gegensatz zum Michael Akhavan – Aghdam Seite 43 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel rechtfertigenden Notstand ist hier das gerettete Rechtsgut GERADE NICHT HÖHERWERTIG als das geopferte – SONDERN von GLEICHEM oder GERINGEREM WERT. Die Notstandshandlung braucht beim entschuldigenden Notstand auch nicht einziges Mittel zu sein!!!! Und es können ALLE INDIVIDUAL- und UNIVERSALRECHTSGÜTER geopfert werden (inkl. menschliches Leben!!!!!). AUSSCHLUSSGRÜNDE für entschuldigenden Notstand sind in § 10 ausdrücklich – negativ formuliert. So ist der Täter nicht entschuldigt, wenn der Schaden aus der Tat UNVERHÄLTNISMÄSSIG SCHWERER wiegt als der drohende Nachteil. Außerdem ist der Täter nicht entschuldigt, wenn er sich der Gefahr bewusst – ohne einen von der Rechtsordnung anerkannten Grund ausgesetzt hat. (Das gilt nicht für Sportler etc. – ist aber noch nicht ausjudiziert). Analog zum rechtfertigenden Notstand muss ein Rettungswille vorhanden sein.

UNTERSCHIEDE RECHTFERTIGENDER > NOTSTAND

< ENTSCHULDIGENDER NOTSTAND

I. NOTSTANDSSITUATION

I. NOTSTANDSSITUATION

Unmittelbar drohender Nachteil für ein Rechtsgut

ebenso

Bedeutsamkeit des Nachteils

ebenso

II. NOTSTANDSHANDLUNG Höherwertigkeit des geretteten Rechtsguts

II. NOTSTANDSHANDLUNG gleich- oder geringerwertiges Rechtsgut

einziges Mittel

Unverhältnismäßigkeitskorrektiv Verschuldenskorrektiv Zumutbarkeitskorrektiv

kein unangemessenes Mittel III. RETTUNGSWILLE

Michael Akhavan – Aghdam Seite 44 von 81

III. RETTUNGGSWILLE

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

VORBEREITUNG, VERSUCH und VOLLENDUNG ENTSCHLIESSUNG VORBEREITUNG VERSUCH VOLLENDUNG STRAFLOS STRAFBAR

Eine reine Entschließung und die Vorbereitung ist straflos (wegen bloßer Gedanken wird niemand bestraft!) Vorbereitungshandlungen sind Handlungen welche die spätere Ausführung ermöglichen, absichern oder erleichtern sollen. So zum Beispiel: -

Beschaffen einer Waffe Nachmachen eines Nachschlüssels Auskundschaften einer Bank Aufgabe eines Heiratsinserates (beim Heiratsschwindler) etc

Vorbereitungshandlungen sind bei VORBEREITUNGSDELIKTEN STRAFBAR! zum Beispiel: -

Vorbereiten eines Hochverrats Vorbereitung der Fälschung öffentlicher Urkunden oder Geld Verbrecherisches Komplott und Bandenbildung

Michael Akhavan – Aghdam Seite 45 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Bei den VERSUCHSDELIKTEN wird nicht die Strafbarkeit vorgezogen, sondern der Vollendungszeitpunkt ist bereits mit dem Versuch gegeben.

VERSUCH und VOLLENDUNG sind nicht nur die beiden strafbaren Formen im Strafrecht sondern die beiden Erscheinungsformen der VORSATZDELIKTE. JEDER VERSUCH IST BEI EINEM VORSATZDELIKT STRAFBAR !!!! Aber damit soll keine generelle Kriminalisierung bei Bagatelldelikten einhergehen. Es erscheint angebracht, dass in Zusammenhang der § 42 StGB (mangelnde Strafwürdigkeit der Tat) großzügig ausgelegt wird. In § 15 wird geregelt, dass -

jeder VERSUCH eines VORSATZDELIKTES STRAFBAR IST!

-

mit Hilfe des § 15 wird der Tatbestand des versuchten Deliktes gebildet

-

für versuchte Delikte dieselben Rechtsfolgen gelten wie für vollendete

Die ABGRENZUNG zwischen Versuch und Vorbereitung gehört zu den schwierigsten Themenbereichen der Versuchslehre. Eine Abgrenzung zwischen Versuch und Vorbereitung wird in § 15 Abs 2 gezogen. Maßgeblich ist, was ein OBJEKTIVER BEOBACHTER, der den Tatplan kennt als den entscheidenden Schritt zur Tatbegehung empfunden hat. Diese Betrachtung wird auch als EINDRUCKSTHEORIE bezeichnet. Ein DELIKT IST IN JEDEM FALL VOLLENDET wenn ALLE TATBESTANDSMERKMALE ERFÜLLT SIND! Obwohl die Abgrenzung zwischen Versuch und Vollendung einfach erscheint kommt es doch auf die spezifischen Umstände an. Diebstahl oder Raub sind jedenfalls erst mit Gewahrsamsbruch vollendet. Zur Vollendung des Betruges gehört der eingetretene Vermögensschaden. Eine bloße Vermögensgefährdung reicht dazu nicht aus!!! Delikte mit erweitertem Vorsatz sind bereits ab dem Zeitpunkt vollendet in dem der Täter mit dem erweiterten Vorsatz die Tathandlung vornimmt. Michael Akhavan – Aghdam Seite 46 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

AUFBAU DER VERSUCHSPRÜFUNG Ein Versuch ist eine VOLLSTÄNDIG GEWOLLTE ABER STECKENGEBLIEBENE TAT! Damit ein Versuch vorliegt müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein: I.

es dürfen nicht alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sein Dazu reicht schon das Fehlen eines einzigen objektiven Tatbestandsmerkmales.

II.

der Täter muss mit VOLLEM TATENTSCHLUSS gehandelt haben Beim Versuch darf in subjektiver Sicht nichts fehlen. Meist kann man Tatvorsatz darunter verstehen. Bedingter Tatvorsatz reicht schon.

III.

der Täter muss bereits eine Ausführungshandlung oder eine ausführungsnahe Handlung begangen haben, sonst würde es sich um eine straflose Vorbereitungshandlung handeln

Der Schuldbegriff beim versuchten Delikt ist im Gegensatz zum vollendeten Delikt (viergliedrig) dreigliedrig. Im Gegensatz zum Tatbildirrtum hat der Täter beim versuchten Delikt mehr Vorsatz als er umsetzt. Beim Tatbildirrtum überschießt das Tatbild den Vorsatz.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 47 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

RÜCKTRITT UND TÄTIGE REUE (§ 16 StGB) Die Frage ist primär ob es sich um einen beendeten oder unbeendeten Versuch handelt. Dies kann lediglich subjektiv beurteilt werden, nachdem hierzu keine Regelung im StGB vorliegt. In jedem Fall ist der Versuch beendet, wenn der Täter glaubt alles zur Vollendung der Tat erforderliche getan zu haben. Glaubt er jedoch, dass er noch weiter handeln muss, dann ist der Versuch noch unbeendet. § 16 Abs 1 StGB legt fest, dass jemand der vom UNBEENDETEN VERSUCH STRAFFREI BLEIBT wenn: -

die TATAUSFÜHRUNG ENDGÜLTIG AUFGEGEBEN wird und FREIWILLIGKEIT VORLIEGT

Nach der Frankschen Formel: freiwillig = ich will nicht, obwohl ich kann unfreiwillig = ich kann nicht, obwohl ich will also ist iSd Frankschen Formel „freiwillig“ wenn: -

der Täter aus Gewissengründen, aus Mitleid, Angst vor Schimpf und Schande oder aus Furcht vor Strafe zurücktritt

NB: unfreiwillig ist, wenn -

das Opfer erheblichen Widerstand leistet oder flüchtet

-

der Täter einschläft, oder wenn er wegen tiefem Ekel ablässt oder er von Hundegebell vertrieben wird oder wenn sich die Haustüre nicht so leicht öffnen lässt oder der gestohlene Wagen nicht anspringt....

-

unfreiwillig ist auch wenn der Täter vor einem nahenden Polizeiwagen flüchtet oder wenn er sich beobachtet fühlt

Michael Akhavan – Aghdam Seite 48 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel RÜCKTRITT VOM BEENDETEN VERSUCH: Dabei kann man nur mittels TÄTIGEM RÜCKTRITT STRAFFREI WERDEN: a) ABWENDUNG DES ERFOLGS b) FREIWILLIGKEIT c) EIGENES ZUTUN DES TÄTERS Unter eigenes Zutun ist zu verstehen, dass PASSIVES VERHALTEN NICHT REICHT! Wenn Dritte OHNE WISSEN DES TÄTERS den ERFOLG BEREITS ABGEWENDET HABEN, dann SCHEIDET STRAFBEFREIENDER RÜCKTRITT gem. § 16 Abs 1 3. Fall aus – möglich wäre § 16 Abs 2. Beim fehlgeschlagenen Versuch hat der Täter Pech. Wenn der Täter eine weitere Ausführung nicht für möglich hält, kann er auch nicht mehr zurücktreten.... Das geht natürlich nur solange er sein ursprüngliches Ziel noch für erreichbar hält – und zwar aus eigenem Handeln heraus. Unter ABWENDUNG DES ERFOLGS wird GEFAHRNEUTRALISIERENDES HANDELN verstanden. RÜCKTRITT UND TÄTIGE REUE SIND STRAFAUFHEBUNGSGRÜNDE! STRAFAUFHEBUNGSGRÜNDE: Strafaufhebungsgründe beschreiben die Voraussetzungen unter denen die wegen einer Straftat an sich bereits verwirkte Strafe wieder aufgehoben wird. Damit berücksichtigt das Gesetz Umstände die nach Begehung der Straftat entstanden sind. STRAFAUSSCHLIESSUNGSGRÜNDE: Strafausschließungsgründe beschreiben Umstände einer Straftat die idR schon bei Ihrer Begehung vorliegen und einer Bestrafung entgegenstehen. Der wichtigste Strafausschließungsgrund ist MANGELNDE STRAFWÜRDIGKEIT gem § 42 StGB. Gleich danach kommt § 88 Abs 2 (Körperverletzung ohne schweres Verschulden). Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründe WIRKEN NUR AD PERSONAM!

Michael Akhavan – Aghdam Seite 49 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Wenn TATBESTANDSMÄSSIGKEIT, RECHTSWIDRIGKEIT und SCHULD vorliegen – ist das DELIKT VOLLENDET. Dann kann nur noch ein Strafaufhebungs- oder Strafausschließungsgrund die Strafe AUFHEBEN oder AUSSCHLIESSEN.

DER UNTAUGLICHE VERSUCH (§ 15 Abs 3 StGB) Dabei handelt es sich um einen wichtigen Problembereich in der Versuchslehre. In § 15 Abs 3 sind 3 Ursachen für die Untauglichkeit eines Versuchs angegeben: 1. Untauglichkeit des Subjekts 2. Untauglichkeit des Objekts 3. Untauglichkeit der Handlung Die Untauglichkeit des Subjekts ist ein Irrtum des Täters über seine eigene Täterqualität (z.B. Putzfrau im Amt glaubt sie begeht Amtsmissbrauch etc.). Untauglichkeit des Objekts liegt vor, wenn die Vollendung der Tat nach Art des Gegenstandes an dem sie begangen wurde ausgeschlossen ist. (z.B. Mann schießt auf Baumstumpf weil er glaubt, dass das sein Feind ist, oder Mordversuch an bereits Verstorbenem etc.). Untauglichkeit der Handlung liegt vor, wenn die Vollendung der Tat nach Art der Handlung ausgeschlossen ist (z.B. jemand will seinen Feind mit Kopfpolster erschlagen). Wegen der gleichen Strafwürdigkeit sind die Rechtsfolgen des untauglichen Versuchs prinzipiell dieselben wie für jeden anderen Versuch. STRAFFREI IST NUR DER ABSOLUT UNTAUGLICHE VERSUCH! Der Grund liegt darin, dass eine Tat die nur dazu geeignet ist Kopfschütteln ob der Dummheit auszulösen keinen so verderblichen Eindruck hervorruft, dass das allgemeine Rechtsbewusstsein dadurch erschüttert wird. Das bedeutet insbesondere dass keine generalpräventiven Maßnahmen indiziert sind. Derzeit gibt es zur Thematik die EINDRUCKSTHEORIE welche besagt, dass ein absolut untauglicher Versuch dann vorliegt, wenn nach dem Urteil eines verständigen Beobachters die Handlungsvornahme des Täters geradezu Michael Akhavan – Aghdam Seite 50 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel denkunmöglich zur Verwirklichung der konkreten Tatplanes und damit zur Vollendung der Tat führen kann. (der Täter will sein Opfer „totbeten“ etc.). Daneben gibt es noch die REDUZIERTE EINDRUCKSTHEORIE: Diese besagt, dass der Wortlaut des § 15 Abs 3 strikt zu beachten ist und die Tat dann straffrei ist, wenn sie nach Art und Eigenschaft des „Tatobjektes“ geradezu denkunmöglich war.

DER FAHRLÄSSIGKEITSBEGRIFF iSd StGB Gemäß § 7 Abs 1 StGB ist fahrlässiges Handeln NUR dann STRAFBAR, WENN es das Gesetz AUSDRÜCKLICH unter STRAFE stellt. Im StGB finden sich relativ wenige Fahrlässigkeitsdelikte. Die bedeutsamsten sind die fahrlässige Tötung gemäß § 80 und die fahrlässige Körperverletzung gem § 88 StGB. § 6 Abs 1 enthält die LEGALDEFINITION VON FAHRLÄSSIGKEIT: Fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen verpflichtet und fähig ist und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht. Der strafrechtliche FAHRLÄSSIGKEITSBEGRIFF setzt sich aus vier Elementen zusammen: I.

OBJEKTIVE SORGFALTSWIDRIGKEIT der Handlung

II.

SUBJEKTIVE SORGFALTSWIDRIGKEIT der Handlung

III.

OBJEKTIVE VORAUSSEHBARKEIT des Erfolgs

IV.

SUBJEKTIVE VORAUSSEHBARKEIT des Erfolgs

Maßstab dabei ist der EINSICHTIGE und BESONNENE MENSCH in der LAGE DES TÄTERS AUS DEM VERKEHRSKREIS DES TÄTERS. Also hat der Täter fahrlässig gehandelt, wenn sich ein einsichtiger und besonnener Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters und mit dessen Sonderwissen ausgestattet in dieser Situation anders verhalten hätte. Dabei gibt es für viele Lebensbereich Sorgfaltsregeln die zum Teil dem geschriebenem und zum Teil dem ungeschriebenem Recht angehören. Michael Akhavan – Aghdam Seite 51 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Ob überdurchschnittliche Fähigkeiten und Kenntnisse die objektiven Sorgfaltspflichten erhöhen ist strittig. Unbestritten ist, dass unterdurchschnittliche Fähigkeiten und Kenntnisse (alte und kranke Menschen etc). NICHT zur HERABSETZUNG der allgemeinen Sorgfaltsanforderungen führen. Die Sorgfaltspflichten müssen jedoch realitätsnah bleiben und dürfen nicht überspannt werden. In Zusammenhang sind insbesondere das ERLAUBTE RISIKO, der VERTRAUENSGRUNDSATZ sowie das ARBEITSTEILIGE ZUSAMMENWIRKEN mehrerer PERSONEN wichtig. Die SUBJEKTIVE SORGFALTSWIDRIGKEIT WIRD DURCH DIE OBJEKTIVE SORGFALTSWIDRIGKEIT INDIZIERT! Es ist nach hL und hRS maßgebend ob ein anderer ausgestattet mit den geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Täters in dessen Situation fähig gewesen wäre den objektiven Sorgfaltsanforderungen zu genügen – oder nicht. DESHALB kann sich ein TÄTER idR AUF DIE UNKENNTNIS DESSEN WAS ZUM ALLGEMEINEN ERFAHRUNGS- und WISSENSTANDARD gehört NICHT BERUFEN! Ein Sonderproblem stellt dabei die ÜBERNAHMSFAHRLÄSSIGKEIT dar. Sie stellt darauf ab, ob der Täter eine Tätigkeit übernommen hat, von der er erkennen konnte, dass er ihr nicht gewachsen ist. Das ist Fahrlässigkeit iSd § 6 StGB. Der klassische Fall dafür ist jemand, der sich übermüdet, unter Medikamenteneinfluss und alkoholisiert an das Steuer eines Kraftfahrzeuges setzt – oder das „sich ansaufen“ wenn man weiß oder rechnet, dass man noch Autofahren muss. OBJEKTIV VORAUSSEHBAR ist ein Erfolg dann, wenn ein EINSICHTIGER und BESONNENER Mensch in der Lage des Täters die Gefahr des Erfolgseintritts erkannt hätte. Das wird auch ADÄQUANZZUSAMMENHANG genannt! Das bedeutet insbesondere, dass der Kausalverlauf nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegen darf – das ist ein ATYPISCHER KAUSALVERLAUF. Die SUBJEKTIVE VORAUSSEHBARKEIT des ERFOLGS wird idR von der OBJEKTIVEN VORAUSSEHBARKEIT des ERFOLGS indiziert.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 52 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

DER AUFBAU DES FAHRLÄSSIGKEITSDELIKTES Im Gegensatz zu früheren Zeiten werden die Fahrlässigkeitsdelikte heute als EIGENSTÄNDIGE VERHALTENSFORM angesehen, welche sowohl Unrechts- als auch Schuldelemente in sich trägt. Das Unrecht liegt in der Beeinträchtigung eines Rechtsgutes durch eine objektiv sorgfaltswidrige Handlung des Täters. Die Schuld des Täters liegt darin, dass der Täter nicht auf die ihm persönlich mögliche und zumutbare Sorgfalt geachtet hat, die ein maßgerechter Mensch an seiner Stelle beachtet hätte. ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Bei FAHRLÄSSIGKEITSDELIKTEN GIBT ES WEDER EINEN VERSUCH, NOCH EINEN RÜCKTRITT !!!!! ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Man kann bei der Prüfung eines Fahrlässigkeitsdeliktes wie bei einer „normalen“ Fallprüfung vorgehen; 1.) TATBESTANDSMÄSSIGKEIT? 2.) RECHTSWIDRIGKEIT? 3.) SCHULD? 1.) DER TATBESTAND DES FAHRLÄSSIGKEITSDELIKTES Automatisierte Handlungen wie zum Beispiel beim Autofahren sowie FEHLREAKTIONEN im Straßenverkehr erfüllen idR den strafrechtlichen Handlungsbegriff!!! Bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten (hauptsächlich fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung) muss ZUR sorgfaltswidrigen Handlung noch die Michael Akhavan – Aghdam Seite 53 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolgs kommen!!!! Die VERURSACHUNG wird mittels ÄQUIVALENZTHEORIE bestimmt – schon der kleinste Beitrag ist ursächlich!!!!! Um die uferlose Weite der ÄQUIVALENTHEORIE EINZUDÄMMEN kommt der ADÄQUANZZUSAMMENHANG dazu!!!! Das ist die OBJEKTIVE VORAUSSEHBARKEIT DES ERFOLGS.

2.) DIE RECHTSWIDRIGKEIT BEIM FAHRLÄSSIGKEITSDELIKT Auch bei Fahrlässigkeitsdelikten kann ein Rechtfertigungsgrund zum Tragen kommen. Denkbar sind insbesondere: NOTWEHR, rechtfertigender NOTSTAND und EINWILLIGUNG. EG für rechtfertigenden Notstand: „Arzt in Stalingrad“

3.) DIE SCHULD BEIM FAHRLÄSSIGKEITSDELIKT Dazu muss man sich die SUBJEKTIVE SORGFALTSWIDRIGKEIT und die SUBJEKTIVE VORAUSSEHBARKEIT ansehen. Entscheidend ist also ob der Täter nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt war die SUBJEKTIVE SORGFALT zu beachten und den EINGETRETENEN ERFOLG VORAUSZUSEHEN. Wenn auch nur eines dieser Elemente fehlt – handelt der Täter NICHT SCHULDHAFT! Dabei sind alle Schuldelemente auf den Zeitpunkt der Handlungsvornahme zu beziehen (nachher sind alle gscheit!). Es muss ZUMINDEST EIN POTENTIELLES UNRECHTBEWUSSTSEIN VORHANDEN SEIN!! Der Fahrlässigkeitstäter kann nur bestraft werden, wenn er in Unrechtbewusstsein gehandelt hat. Es gibt auch ein normatives Schuldkorrektiv – die UNZUMUTBARKEIT SORGFALTSMÄSSIGEN HANDELNS – ein generalklauselhafter Entschuldigungsgrund. Vergleichsgröße ist der maßgerechte Mensch.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 54 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

SPEZIELLE PROBLEME DES FAHRLÄSSIGKEITSDELIKTES Um die schier uferlose Weite des Äquivalenzprinzips zu begegnen hat sich die LEHRE VON DER OBJEKTIVEN ZURECHNUNG GEBILDET. Die objektive Zurechenbarkeit des Erfolgs setzt bei Fahrlässigkeitsdelikten sowohl den RISIKOZUSAMMENHANG als auch den Adäquanzzusammenhang voraus. Der RISIKOZUSAMMENHANG ist DANN GEGEBEN, wenn sich in dem Ereignis das RISIKO VERWIRKLICHT hat, dessen ABWENDUNG die ÜBERTRETENE SORGFALTSNORM BEZWECKT. Nach wie vor heftig umstritten ist ein späteres FEHLVERHALTEN eines dritten oder des Verletzten selbst. Es gilt, dass der Erstverursacher MANGELS RISIKOZUSAMMENHANG nicht haftet, wenn das verletzte Opfer im Bewusstsein seinen eigenverantwortlichen Lebensgefährdung ein Folgeverhalten setzt, das für JEDEN VERNÜNFTIGEN MENSCHEN und den gegebenen Umständen UNBEGREIFLICH ist. NB: Aber es wird gemeinhin dem Erstverursacher eine sehr weite Haftung für DIAGNOSE- und BEHANDLUNGSFEHLER aufgebürdet. ADÄQUANZZUSAMMENHANG – OBJEKTIVE VORAUSSEHBARKEIT Ein weiteres Sonderproblem ist der ATYPISCHE KAUSALVERLAUF. Solche einer liegt vor, wenn der Kausalverlauf AUSSERHALB DER ALLGEMEINEN LEBENSERFAHRUNG liegt. Es gilt als noch INNERHALB der Lebenserfahrung liegend wenn: -

der Verletzte an einer hinzukommenden Lungenentzündung oder Embolie stirbt der Arzt eine Komplikation zu spät erkennt

Außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung wird beurteilt, wenn: Michael Akhavan – Aghdam Seite 55 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel -

der Verletzte auf dem Weg zum Arzt von einem Ziegel erschlagen wird der Verletzte im Krankenhaus von einer Hornisse zu Tode gestochen wird der Verletzte unabhängig davon Opfer eines Verkehrsunfalls wird oder durch einen Amokläufer stirbt auch ganz ungewöhnliche Komplikationen bei der Operation gelten als atypisch

RISIKOZUSAMMENHANG und ADÄQUANZZUSAMMENHANG begrenzen die Haftung bei der objektiven Zurechnung! RECHTMÄSSIGES ALTERNATIVVERHALTEN Dabei handelt es sich um ein in der PRAXIS bedeutendes Sonderproblem. Es geht um Fälle bei denen der RISIKOZUSAMMENHANG und der ADÄQUANZZUSAMMENHANG zwar gegeben sind, der Täter jedoch einwendet, dass der Erfolg auch dann eingetreten wäre, wenn er sich SORGFALTSGEMÄSS VERHALTEN HÄTTE. z.B. der Lenker wendet ein, dass er dem Opfer auch dann nicht ausweichen hätte können, wenn er statt 60 km/h nur mit der zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h gefahren wäre..... Eine LÖSUNG für solche FÄLLE ist die RISIKOERHÖHUNGSTHEORIE von ROXIN. Nach dieser Theorie kommt es darauf an, ob das sorgfaltswidrige Verhalten das auch bei rechtmäßigem Verhalten bestehende Risiko WESENTLICH ERHÖHT hat. Wenn ja: Pech für den Täter. Das StGB unterscheidet in § 6 zwischen BEWUSSTER (§ 6 Abs 2 StGB) und UNBEWUSSTER (§ 6 Abs 1 StGB) FAHRLÄSSIGKEIT. Diese Abstufung macht jedoch keinen Unterschied – weil für alle Fahrlässigkeitsdelikte bereits die unbewusste Fahrlässigkeit genügt. Der EIGENTLICHE GRUND FÜR diese zwei Formen der Fahrlässigkeit besteht darin eine MÖGLICHST SCHARFE GRENZE ZWISCHEN BEWUSSTER FAHRLÄSSIGKEIT zum einen und BEDINGTEM VORSATZ (dolus eventualis) zum Anderen zu ziehen. Der Unterschied: BEWUSST FAHRLÄSSIG:

es wird schon nicht.... Hält Tatbestandsverwirklichung ernstlich für möglich und findet sich damit ab

BEDINGT VORSÄTZLICH:

na wenn schon! Täter vertraut darauf, dass Erfolg nicht eintritt

Michael Akhavan – Aghdam Seite 56 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

ERFOLGSQUALIFIZIERTE DELIKTE Die wichtigsten erfolgsqualifizierten Delikte sind -

§ 84 StGB - schwere Körperverletzung § 85 StGB - Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen § 86 StGB - Körperverletzung mit tödlichem Ausgang § 94 Abs 2 StGB – Imstichlassen eines Verletzten mit schwerer KV oder Tod als Folge § 106 Abs 3 StGB – schwere Nötigung § 143 StGB – schwerer Raub § 169 Abs 3 – Brandstiftung mit Todesfolge § 201 Abs 3 – Vergewaltigung mit schwerer KV, Tod, besondere Erniedrigung etc.

ERFOLGSQUALIFIZIERTE DELIKTE SIND ALLE DELIKTE BEI DENEN DAS GESETZ AN EINE BESONDERE FOLGE DER TAT EINE HÖHERE STRAFE KNÜPFT! Das ist nicht zu verwechseln mit den qualifizierten Erfolgsdelikten – wozu auch die Wertqualifikationen zählen!!!!! Der wesentliche Punkt im STRAFGESETZ dazu ist in § 7 Abs 2 verankert. Danach muss die BESONDERE FOLGE DER TAT WENIGSTENS FAHRLÄSSIG HERBEIGEFÜHRT WORDEN SEIN! Wenn dem nicht so ist, dann bleibt es bei der Bestrafung des Grunddelikts. Lehre und Praxis begnügen sich mit einer vereinfachten Fahrlässigkeitsprüfung. Normalerweise (idR) gehört der eingetretene Erfolg der ART NACH zu den OBJEKTIV voraussehbaren Folgen der Tat. Dazu reicht also schon das Grunddelikt. DIE BESONDERE FOLGE DER TAT KANN DEM TÄTER NUR DANN ANGELASTET WERDEN, WENN SIE IHM OBJEKTIV ZUGERECHNET WERDEN KANN. Das bedeutet, dass die Folgen SOWOHL INNERHALB DES RISIKO- als auch des ADÄQUANZZUSAMMENHANGES liegen. EG: Opfer fährt mit Bauchstichen zu einem weit entfernten Ziel mit dem Bus – obwohl der Arzt auf die lebensbedrohliche Situation hingewiesen hat. Michael Akhavan – Aghdam Seite 57 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Bei den ERFOLGSQUALIFIZIERTEN VORSATZDELIKTEN MUSS DER TÄTER hinsichtlich des GRUNDDELIKTS VOSÄTZLICH und bezüglich der BESONDEREN FOLGE WENIGSTENS FAHRLÄSSIG gehandelt haben.

ECHTE UND UNECHTE UNTERLASSUNGSDELIKTE ECHTE UNTERLASSUNGSDELIKTE Echte Unterlassungsdelikte sind Delikte bei denen das Gesetz die NICHTVORNAHME eines GEBOTENEN TUNS mit STRAFE BEDROHT. Der Tatbestand erfüllt sich in der Nichtvornahme. Die drei wichtigsten echten Unterlassungsdelikte: -

§ 94 Imstichlassen eines Verletzten § 95 Unterlassung der Hilfeleistung § 286 Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung

Die Pflicht zur Vornahme des gebotenen Tuns wird bei ALLEN UNECHTEN und ECHTEN Unterlassungsdelikten durch die realen Gegebenheiten – insbesondere die psycho-physischen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Betreffenden begrenzt. Die Vornahme des gebotenen Tuns MUSS DEM VERPFLICHTETEN TATSÄCHLICH MÖGLICH SEIN. Dabei handelt es sich um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal aller Unterlassungsdelikte! Darüber hinaus gibt es noch die ERFOLGSQUALIFIZIERTEN UNTERLASSUNGSDELIKTE. Bei ihnen knüpft das Gesetz an eine besondere Folge des Unterlassens eine höhere Strafe. Die besondere Folge muss wiederum zumindest fahrlässig verursacht sein. UNECHTE UNTERLASSUNGSDELIKTE Unechte UNTERLASSUNGSDELIKTE sind Delikte, bei denen das Gesetz die Herbeiführung eines Erfolgs durch NICHTVORNAHME eines GEBOTENEN TUNS mit STRAFE bedroht (vgl. § 2 StGB Begehung durch Unterlassung).

Michael Akhavan – Aghdam Seite 58 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Im Unterschied zum echten Unterlassungsdelikt trifft den Täter eine qualifizierte Pflicht: ER MUSS DEN EINTRITT DES DROHENDEN ERFOLGS ABWENDEN – d.h. er hat die ERFOLGSABWENDUNGSPFLICHT!!!!! Eine so weitgehende Pflicht auferlegt das Gesetz aber nur GARANTEN!!! Je nachdem ob die Unterlassung vorsätzlich oder fahrlässig begangen wird unterscheidet man VORSÄTZLICHE und FAHRLÄSSIGE UNECHTE UNTERLASSUNGSDELIKTE.

Die BEDEUTUNG des § 2 für die unechten Unterlassungsdelikte § 2 enthält eine AUTHENTISCHE AUSLEGUNGSREGEL. Sie bestimmt unter welchen rechtlichen Voraussetzungen die NICHTVORNAHME eines gebotenen Tuns unter die als „TUN“ beschriebene Tathandlung eines Begehungsdeliktes subsumiert werden kann. § 2 ist IN DEN TATBESTAND des in BETRACHT KOMMENDEN BEGEHUNGSDELIKTES SINNGEMEÄSS HINEINZULESEN. Daher ist bei Mord zum Beispiel zu zitieren: § 2 iVm § 75. Jedenfalls stellt § 2 fest, dass NICHT ALLE BEGEHUNGSDELIKTE – SONDERN NUR ERFOLGSDELIKTE in der Form des unechten Unterlassungsdeliktes begangen werden können. (Das bedeutet, dass Begehungsdelikte wie Meineid nicht durch unechte Unterlassung begangen werden können!!! – NO NA!). § 2 erstreckt die Strafandrohung des entsprechenden Begehungsdeliktes auf das unechte Unterlassungsdelikt – aber in § 34 Z 5 wird diese Konstellation als strafmildernd angeführt.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 59 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

AUFBAU DES UNECHTEN UNTERLASSUNGSDELIKTES DER TATBESTAND DES UNECHTEN UNTERLASSUNGSDELIKTES Dieser setzt sich aus FÜNF ELEMENTEN ZUSAMMEN: I.

EINTRITT DES ERFOLGES Zum vollendeten unechten Unterlassungsdelikt muss der Erfolg eingetreten sein. Sonst kommt allenfalls der VERSUCH eines unechten Unterlassungsdeliktes in Frage (§ 2, § 15 iVm § xxx StGB!)

II.

NICHTVORNAHME DES GEBOTENEN TUNS Geboten ist stets so ein Tun, das darauf abgerichtet ist, den tatbestandsmäßigen Erfolg möglichst rasch und sicher abzuwenden. Maßgeblich ist dabei die EX ANTE SICHT eines OBJEKTIVEN BEOBACHTERS. Es kommt dabei auf die Fähigkeiten und Möglichkeiten des Verpflichteten sowie auf Art und Intensität der Gefahr, auf die räumliche Nähe zur Gefahrenstelle etc. an. Dabei reicht schon die Vornahme einer Handlung mit Erfolgabwendungstendenz.

III.

TATSÄCHLICHE MÖGLICHKEIT DER ERFOLGSABWENDUNG “ultra posse nemo obligatur“ Die tatsächliche Möglichkeit der Erfolgsabwendung darf nicht mit der Frage nach der Zumutbarkeit verwechselt werden!

IV.

HYPOTHETISCHE KAUSALITÄT Ein Unterlassen ist KAUSAL für einen Erfolg, wenn das gebotene Tun nicht hinzugedacht werden kann , ohne, dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt mit AN SICHERHEIT GRENZENDER WAHRSCHEINLICHKEIT entfiele.....

V.

GARANTENSTELLUNG Täter eines unechten Unterlassungsdeliktes KANN DENKMÖGLICH NUR

Michael Akhavan – Aghdam Seite 60 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel EIN GARANT SEIN!!!! Garant iSd § 2 StGB ist, wer rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt. GLEICHWERTIGKEITSKORREKTIV § 2 StGB regelt explizit, dass ein Garant nur dann wegen Unterlassen bestraft werden kann, wenn die Unterlassung einem Tun gleichzuhalten ist..... Das ist nur bei verhaltensgebundenen Delikten wie z.B. § 144 Erpressung oder § 146 Betrug zu prüfen. Das Gleichwertigkeitskorrektiv ist nach hM jedenfalls kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal.

SPEZIELLE PROBLEME BEIM UNECHTEN UNTERLASSUNGSDELIKT GARANTENSTELLUNG Die GARANTENSTELLUNG iSd § 2 ist nicht nur das komplexeste und schwierigste sondern BEI WEITEM AUCH WICHTIGSTE ERFORDERNIS für die Verwirklichung eines unechten Unterlassungsdeliktes. Eine Garantenstellung KANN NUR durch RECHTSPFLICHTEN begründet werden. Diese ergeben sich aus dem Gesetz – können mittels Analogien aber auch aus der Rechtsordnung abgeleitet werden. Moral, Anstand, soziale und ethische Werte etc. ERZEUGEN KEINE RECHTSPFLICHTEN und lassen dementsprechend auch KEINE GARANTENSTELLUNG entstehen. Freundschaft, Kameradschaft, Nachbarschaft etc. sind alles in Zusammenhang IRRELEVANTE Funktionen. Dafür genügen auch nicht jedermann treffende Rechtspflichten – sondern es ist nach bestimmten Personen und bestimmten Situationen zu differenzieren. So ist nicht jeder Arzt Garant dem Patienten gegenüber – sondern nur der DIENSTTUENDE ARZT bzw. derjenige der die Behandlung dieses Patienten übernommen hat. Bei juristischen Personen trifft die Garantenstellung nicht die Kapitalgesellschaft z.B. als solche sondern die Mitglieder des Vorstandes oder des Aufsichtsrates, oder die Geschäftsführung. Eine GARANTENSTELLUNG kann sich ergeben aus: -

RECHTSVORSCHRIFT Die beiden wichtigsten Rechtsvorschriften sind familienrechtlicher Art. EHEGATTEN und KINDER. Dies gilt auch für uneheliche Kinder!!! Weiters gibt es dazu Vorschriften aus dem Straßenverkehrsrecht,

Michael Akhavan – Aghdam Seite 61 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Arbeitnehmerschutz, Baurecht, Gewerberecht, Amts- und Dienstpflichten bei Beamten etc. -

ENGER NATÜRLICHER VERBUNDENHEIT (Lebenspartner etc.) Die Verbundenheit MUSS ENG sein und eine RECHTLICHE GRUNDLAGE haben!!! Verlobter, Geschwister etc. zT strittig

-

FREIWILLIGE PFLICHTENÜBERNAHME Bademeister, Kindermädchen, Ärzte, Krankenschwester, Vermögensverwalter etc. – aber nur wenn sie ihren Dienst tatsächlich angetreten haben Dabei ist irrelevant ob ausdrücklich oder konkludent, entgeltlich oder unentgeltlich und vorübergehend oder auf Dauer....

-

GEFAHRENGEMEINSCHAFT Von einer Gefahrengemeinschaft spricht man, wenn sich mehrere Personen zu dem Zweck verbunden haben, durch ihren Zusammenschluss die CHANCEN ZUR BEWÄLIGUNG eines GEFÄHRLICHEN UNTERNEHMENS zu ERHÖHEN. Das gilt nicht für ZUFALLSGEMEINSCHAFTEN!!!!! Das hat der OGH beim „SÜCHTIGEN PARTY Fall“ festgestellt.

-

GEFAHRBEGRÜNDENDES VORVERHALTEN Wer durch sein objektiv pflichtwidriges Verhalten eine nahe Gefahr für fremde Rechtsgüter herbeiführt ist verpflichtet den Erfolg abzuwenden. GEFAHRBEGRÜNDENDES VORVERHALTEN = PRINZIP DER INGERENZ Dabei gilt, dass nur so ein Vorverhalten eine Garantenstellung begründet, wenn es einen Erfolgseintritt wahrscheinlich macht wie zB das Zurücklassen des alkoholisierten Lebensgefährten an einer gefährlichen Furt. Bei Delikten gegen Leib und Leben verlangt die Rspr einschränkend, dass das Opfer durch das Vorverhalten in eine Lage qualifizierter Schutzbedürftigkeit versetzt worden sein muss aus der es sich ohne fremde Hilfe nicht befreien kann. Als Rechtfertigungsgrund für ein unechtes Unterlassungsdelikt kommt in erster Linie eine RECHTFERTIGENDE PFLICHTENKOLLISION in Frage (zB man kann von 2 Hilfsbedürftigen nur einen vor dem Ertrinken retten etc.).

SCHULDPROBLEME BEIM UNECHTEN UNTERLASSUNGSDELIKT GRUNDSÄTZLICH muss sich der TATVORSATZ auf ALLE OBJEKTIVEN TATBESTANDSMERKMALE erstrecken, das heißt INSBESONDERE auch auf die GARANTENSTELLUNG. Wenn der Vorsatz auch nur hinsichtlich eines einzigen objektiven Tatbestandsmerkmales fehlt, dann kommt allenfalls eine Bestrafung wegen FAHRLÄSSIGKEIT in Betracht – aber nur wenn es überhaupt ein diesbezügliches Fahrlässigkeitsdelikt gibt!!!!

Michael Akhavan – Aghdam Seite 62 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Problematisch erscheint weiteres der Unterlassungsvorsatz, wenn sich der „Täter“ einfach zu keiner Entscheidung aufraffen kann. Weiters sind VIELFÄLTIGE MÖGLICHKEITEN eines TATBILDIRRTUMS denkbar – der praktisch wichtigste Fall ist der IRRTUM über die GARANTENSTELLUNG. Ein solcher liegt vor, wenn der Täter über die tatsächlichen Umstände irrt, die eine Garantenstellung begründen. Weitgehend ungelöst und noch nicht abschließend erörtert sind die Fragen der UNZUMUTBARKEIT. Die JEDERMANN treffenden Pflichten aus einem echten Gunterlassungsdelikt BEGRÜNDEN NIEMALS eine GARANTENSTELLUNG iSd § 2 StGB.

GRUNDLAGEN DER BETEILIGUNGSLEHRE Im Gegensatz zum deutschen Modell (dualistisches System) besteht in Österreich das MONISTISCHE SYSTEM. In Österreich wird GANZ BEWUSST auf eine begriffliche Gegenüberstellung von Tätern und Teilnehmern verzichtet. ALLE AN EINER TAT BETEILIGTEN PERSONEN WERDEN EINHEITLICH ALS TÄTER BEZEICHNET UND UNTERLIEGEN DERSELBEN STRAFDROHUNG!!!! Daher leitet sich der Begriff des EINHEITSTÄTERS bzw. der EINHEITSTÄTERSCHAFT ab. Im Einheitstätersystem ist nicht nur Täter wer die Tat unmittelbar ausführt, sondern auch derjenige, der den Ausführenden den Willen stärkt oder ihm hilfreiche Hand bietet. Obwohl alle Beteiligten TÄTER sind – verantwortet jeder natürlich nur seine eigene Schuld. Ein wesentlicher Punkt für das Einheitstätersystem ist der VERZICHT AUF DIE QUALITATIVE AKZESSORIETÄT. In Österreich besteht das FUNTIONALE EINHEITSTÄTERSYSTEM – wir unterscheiden zwischen: -

unmittelbarem Täter Bestimmungstäter und Beitragstäter

Damit haben wir ein Mehrtypensystem, das immer noch ein Einheitstätersystem ist. In § 12 StGB ist die zentrale Vorschrift der österreichischen Beteiligungslehre erfasst: Michael Akhavan – Aghdam Seite 63 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel NICHT NUR DER UNMITTELBARE TÄTER BEGEHT DIE STRAFBARE HANDLUNG, SONDERN AUCH JEDER, DER EINEN ANDEREN DAZU BESTIMMT, SIE AUSZUFÜHREN, ODER SONST ZU IHRER AUSFÜHRUNG BEITRÄGT. Der VERZICHT auf die QUALITATIVE AKZESSORIETÄT ist das untrügliche Kennzeichen jeder Einheitstäterregelung. In Österreich: -

ES GIBT NUR EINE TÄTERSCHAFTSFORM Alle Täterschaftsformen sind rechtlich gleichwertig VERZICHT auf die QUALITATIVE AKZESSORIETÄT GLEICHER STRAFRAHMEN für ALLE BETEILIGTEN

Im Hinblick auf eine mögliche falsche Einordnung des Täters in eine falsche Täterschafsform vertritt der OGH die Ansicht, dass dies den Täter nicht benachteiligt. Aber bei mehrtäterschaftlicher Begehung MUSS IN ALLEN VERFAHRENSARTEN SICHERGESTELLT WERDEN, DASS der jeweilige KONKRETE TATANTEIL SACHVERHALTSMÄSSIG hinreichend deutlich festgestellt wird. Auch ist im URTEIL AUSZUSPRECHEN WELCHE der DREI TÄTERFORMEN VORLIEGT.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 64 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

DER UNMITTELBARE TÄTER Im österreichischen Einheitstätersystem gibt es drei Täterschaftsformen: I.

der UNMITTELBARE TÄTER

II.

der BESTIMMUNGSTÄTER und

III.

der BEITRAGSTÄTER

Unmittelbarer Täter ist, wer eine dem Wortlaut eines bestimmten Tatbestandes entsprechende Ausführungshandlung vornimmt. Wenn dem nicht so ist – ist der Täter zumindest nicht der unmittelbare Täter. Unmittelbarer Täter ist auch wer VIS ABSOLUTA oder ein dressiertes Tier etc. einsetzt. Eine ZUPRDNUNGSPROBLEMATIK tritt dann auf, wenn mehrtäterschaftliche Fallkonstellationen vorliegen . In Frage kommt da zum Beispiel eine Mittäterschaft oder eine Beitragstäterschaft etc. Unmittelbare Mittäterschaft liegt gem § 12 1. Fall StGB vor, wenn Personen eine tatbestandliche Ausführungshandlung ganz oder zumindest teilweise selbst vornehmen. Die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beitragstäterschaft gehört zu den Standardproblemen der Praxis. Eine Beteiligung im Vorbereitungsstadium ist für den Beitragstäter insofern problematisch, als die Vorbereitungshandlung eo ipso straffrei wäre – aber durch die spätere tatsächliche Ausführung des Deliktes eine strafbare Beitragstäterschaft wird.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 65 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Wenn zum Beispiel bei einer Vergewaltigung einer das Opfer hält und der andere den Beischlaf ausführt, dann hat der haltende durchaus eine MITtäterschaft zu verantworten. Bei Mord kommt lediglich eine Beitragstäterschaft in Frage. VERDECKTE UNMITTELBARE TÄTERSCHAFT: Burgstaller hat im Rahmen seiner Bemühungen den § 12 iSd des akzessorischen Teilnahmesystems auszulegen den Begriff der „verdeckten unmittelbaren Täterschaft“ geprägt. Beispiel: A vergiftet Suppe, die der ahnungslose B dem C einflößt. Kienapfel würde diesen Fall dahingehend lösen, dass A ein Bestimmungstäter ist.

MEHRTÄTERSCHAFT BEI FAHRLÄSSIGKEITSDELIKTEN Inzwischen hat sich die hL und die Rspr durchgesetzt, dass § 12 3. Fall auch für Fahrlässigkeitsdelikte gilt. Maßgeblich ist dabei allerdings, dass jeder am Fahrlässigkeitsdelikt beteiligte nur dann bestraft werden kann, wenn er eine ihn selbst treffende objektive Sorgfaltspflicht verletzt hat. Die schwierigste und umstrittenste Materie in Zusammenhang liegt bei der VORSÄTZLICHEN BETEILIGUNG an einer unvorsätzlichen Tat. (Beispiel mit kurzsichtigem Jäger, der auf einen Menschen zielt – und der Jagdhelfer ihm noch den Rucksack abnimmt, damit er besser zielen kann.....). Wenn man den Grundsatz, dass jeder nach seinem eigenen Unrecht und seiner eigenen Schuld zu richten ist, haftet der Jäger für fahrlässige Tötung und der Jagdhelfer gem § 12 3. Fall iVm § 75 MORD!

DER BESTIMMUNGSTÄTER Ein BESTIMMUNGSTÄTER iSd § 12 2. Fall ist, wer vorsätzlich einen anderen zur Ausführung einer strafbaren Handlung veranlasst. Der Begriff „vorsätzlich“ steht zwar nicht explizit im Gesetz, aber BESTIMMEN lässt sich fast gar nicht anders interpretieren. Diese Form der Tatbegehungsform ist in den jeweiligen Tatbestand hineinzulesen: „...Wer einen anderen dazu bestimmt, einen Mord auszuführen....“ – zu zitieren ist § 12 2. Fall, 75 StGB. Michael Akhavan – Aghdam Seite 66 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Bestimmungstäterschaft ist eine täterschaftliche TATBEGEHUNGSFORM und setzt damit eine EIGENE TATBESTANDSMÄSSIGE, RECHTSWIDRIGE und SCHULDHAFTE HANDLUNG des Bestimmungstäters voraus. Es muss eine Bestimmungshandlung vorliegen und die mit strafe bedrohte Handlung muss durch den bestimmten ausgeführt werden.

Wie immer besteht ein dreigliedriger Aufbau: I.

TATBESTANDSMÄSSIGKEIT Die Bestimmungshandlung ist nicht näher definiert und kann sehr unterschiedlich ausgelegt werden. Denkbar ist alles von Bestechen, Loben Drohen, scheinbares Abraten, Überreden, Täuschen etc. Es kann auch sein, dass der Bestimmungsbefehl verschlüsselt ist und nur vom Empfänger verstanden wird. Der Ausführende braucht nicht vorsätzlich zu handeln. Das bloße Herbeiführen einer provokanten Situation (wie z.B. Geld herumliegen lassen reicht nicht aus um als Bestimmung qualifiziert zu werden). Die Bestimmung muss an einen bestimmten Adressaten gehen und nach Unrechtsgehalt und Angriffsrichtung ausreichend individualisiert sein. Bestimmen durch unterlassen GEHT NICHT!!!! OMNIMODO = ALIAS FACTURUS = ein fest Entschlossener kann nicht bestimmt werden!

II.

RECHTSWIDRIGKEIT Aus dem Umstand, dass einer der Beteiligten ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, kann nicht auf den anderen geschlossen werden. Allfälliges ist für jeden einzeln zu prüfen. Beispiel mit dem A, der merkt, dass C an einer Gasvergiftung stirbt und den B auffordert Steine in die Fenster des C zu werfen. Während A durch rechtfertigende Notstandshilfe gedeckt ist, begeht B eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Sachbeschädigung wenn er von der drohenden Gefahr nichts weiß.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 67 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel III.

SCHULD Die Schuld ist gemäß § 13 StGB jedem einzeln zuzumessen. Der Bestimmungstäter muss den Bestimmungsvorsatz haben. Dolus eventualis genügt insoweit, als diese Vorsatzform auch für den unmittelbaren Täter genügt. Der Bestimmungsvorsatz muss immer dahingehen, dass die Tat vollendet wird. (Deshalb ist ein agent provocateur nicht als Bestimmungstäter zu strafe, weil er idR nicht will, dass die tat vollendet wird). Auch nicht wer einen anderen zu einem untauglichen Versuch bestimmt.

Schwierig sind Fälle in denen der Bestimmte mehr oder weniger tut als er beauftragt wurde. Wenn der unmittelbare Täter weniger anstellt als der Bestimmungstäter ihm aufgetragen hat, dann haftet auch der Bestimmungstäter nur für das Mindergeschehen. Für den nicht umgesetzten Teil ist allenfalls an eine versuchte Bestimmung zu denken. Wenn der unmittelbare Täter mehr anstellt als er beauftragt wurde, dann kann ein QUANTITATIVER oder ein QUALITATIVER EXZESS vorliegen. Je nach Sachverhalt kann es sein, dass der Bestimmungstäter für den quantitativen Exzess als fahrlässige bestimmte Begehung haftbar zu machen ist. Bei einem qualitativen Exzess bei dem ein ALIUD verwirklicht wird, kann der Bestimmungstäter für das ALIUD wohl nicht mehr gut haftbar gemacht werden.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 68 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

DER BEITRAGSTÄTER Ein Beitragstäter iSd § 12 3. Fall ist, wer in sonstiger Weise vorsätzlich oder fahrlässig zur Ausführung einer strafbaren Handlung beiträgt. Die Bestimmung des § 12 3. Fall ist KEIN STRAFAUSDEHNUNGSGRUND sondern eine eigene Tatbegehungsform. Beitragstäterschaft setzt eine EIGENE TATBESTANDSMÄSSIGE RECHTSWIDRIGE und SCHULDHAFTE Handlung des Beitragstäters voraus. Der TATBESTAND erfordert: 1.) eine BEITRAGSHANDLUNG 2.) die Ausführung einer mit Strafe bedrohten Handlung durch den unmittelbaren Täter 3.) das vorliegen subjektiver Tatbestandsmerkmale in der Person des Beitragstäters Als Tathandlung kommt alles in Frage, was die Ausführung der Tat durch einen anderen ermöglicht, erleichtert, absichert oder in anderer Weise fördert. Wenn jemand die Tat allerdings initiiert, dann ist er ein Bestimmungstäter! Nach stRspr MUSS die TAT KAUSAL – also DE FACTO WIRKSAM gewesen sein. Schon die geringste Ursache, welche die Tat irgendwie fördert und bis zum Ende wirksam bleibt, genügt. Wenn der Tatbeitrag vom Täter nicht in Anspruch genommen wurde, dann bleibt er straflos!!!! VERSUCHTER BEITRAG IST NICHT STRAFBAR!!!! Michael Akhavan – Aghdam Seite 69 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Ein Grundsatz ist, dass der Beitragstäter nicht in größerem Umfang haften darf als der unmittelbare Täter. Beitragstäterschaft kann aber nicht nur in Taten sondern auch psychisch erfolgen (Rat). Das wurde aber in der Vergangenheit zu extensiv ausgenutzt und wird dzt. Wieder zurückgedrängt bzw. strengeren Maßstäben unterworfen. Ähnlich wie beim Bestimmungstäter KANN der BEITRAGSTÄTER GERECHTFERTIGT sein OBWOHL die TAT des UNMITTELBAREN TÄTERS RECHTSWIDRIG ist. Wie der Bestimmungstäter haftet der Beitragstäter ausschließlich für eigene Schuld. Im Rahmen der Beitragstäterschaft treten die gleichen Probleme auf, wenn der Beitrag für eine andere Tat geleistet wurde, als tatsächlich zur Ausführung gelangt.

BETEILIGUNG UND VERSUCH Gemäß § 15 StGB erstrecken sich die Strafdrohungen auch für den VERSUCH des unmittelbaren Täters sowie für den VERSUCH und für JEDE BETEILIGUNG an einem VERSUCH. In § 15 Abs 2 FEHLT eine Regelung für den VERSUCH des BEITRAGSTÄTERS. Sie FEHLT MIT ABSICHT! In Abs 3 ist der ABSOLUT UNTAUGLICHE VERSUCH geregelt. Nachdem die Wohltat des strafbefreienden Rücktritts welche dem unmittelbaren Täter zugestanden wird schwerlich dem Beitragstäter versagt werden kann, ist in § 16 eine diesbezügliche Regelung enthalten. DER VERSUCH DES BESTIMMUNGSTÄTERS Der Bestimmungsversuch umfasst alle Fälle, in denen es dem Bestimmenden NICHT gelingt, den unmittelbaren Täter wenigstens zum Versuch der Tat zu veranlassen. Die Strafbarkeit des Bestimmungsversuchs ist kriminalpolitisch nicht unumstritten – weil auch ganz geringfügige Delikte mit Strafe bedroht sind obwohl die Tatausführung durch den anderen nicht einmal in Sicht ist. Wenn OMNIMODO FACTURUS vorliegt, kann man trotzdem versuchte Bestimmung annehmen. BESTIMMUNG ZUM VERSUCH

Michael Akhavan – Aghdam Seite 70 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Eine BESTIMMUNG zum VERSUCH liegt vor, wenn der unmittelbare Täter eine Ausführungshandlung vornimmt, diese aber über das Versuchsstadium nicht hinauskommt. ABGRENZUNG ZWISCHEN VERSUCH UND VORBEREITUNG Leitlinie für die Unterscheidung ist auch hier die Eindruckstheorie – es kommt auf die wertende Betrachtung vom objektiven Standpunkt eines beobachtenden Dritten an. Versuchte Bestimmungstäterschaft liegt vor, sobald der Bestimmungstäter seinen Bestimmungsentschluss durch eine Bestimmungshandlung oder zumindest durch eine bestimmungsnahe Handlung iSd § 15 Abs 2 betätigt hat.

RÜCKTRITT DES BESTIMMUNGSTÄTERS Strafbefreiender Rücktritt von versuchter Bestimmungstäterschaft ist grundsätzlich bis zur Vollendung der angesonnenen Tat durch den unmittelbaren Täter möglich. Dazu müssen aber folgende Bedingungen erfüllt sein: -

der Täter muss selber aktiv werden und die Tat verhindern das muss freiwillig sein

dem Rücktritt nach § 16 Abs steht sein FREIWILLIGES und ERNSTLICHES BEMÜHEN um einen RÜCKTRITT gleich! DER VERSUCH DES BEITRAGSTÄTERS Die Beitragstäterschaft ist eine KOMBINIERTE RECHTSFIGUR, die sich aus zwei personenverschiedenen Strukturen zusammensetzt. Die BESTRAFUNG des Beitragstäters wegen VOLLENDETEM DELIKTS setzt voraus, dass der Beitragstäter einen KAUSALEN und OBJEKTIV ZURECHENBAREN BEITRAG ERBRACHT hat UND dass der unmittelbare Täter die Tat tatsächlich begangen hat (d.h. vollendet hat!!!!).

REDUZIERTER UMFANG DER VERSUCHTEN BEITRAGSTÄTERSCHAFT Der bloße Beitragsversuch, also das VERGEBLICHE BEMÜHEN einen anderen bei der Vorbereitung oder der unmittelbaren Ausführung der Tat zu unterstützen BEGRÜNDET KEINE STRAFBARKEIT!!!!

Michael Akhavan – Aghdam Seite 71 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Die STRAFLOSIGKEIT der versuchten Beitragstäterschaft ergibt sich aus einem argumentum e contrario Schluss des § 15 Abs 2. Dort ist der Versuch des unmittelbaren Täters sowie des Bestimmungstäters als strafbar umfasst – aber nicht die versuchte Beitragstäterschaft. NULLA POENA SINE LEGE -> STRAFLOSIGKEIT BEITRAG ZUM VERSUCH Ein Beitrag zu einem Versuch ist laut § 15 Abs 1 3.Fall STRAFBAR. Das gilt für jeden Beitrag zu einem Versuch. Wie der Beitrag zu einem absolut untauglichen Versuch zu bewerten ist erscheint fragwürdig. Aber nachdem der Beitragstäter niemals schwerer bestraft werden kann als der unmittelbare Täter – und dieser straflos bleibt – ist ein Beitrag zu einem absolut untauglichen Versuch straflos zu werten. Die Strafbarkeit der Bestimmungstäterschaft reicht jedenfalls weiter als die des Beitragstäters. Daher ist genau abzugrenzen zwischen Bestimmung und Beitrag! ABGRENZUNG VON VERSUCH und VORBEREITUNG Die Abgrenzung zwischen Versuch und Vorbereitung bereitet bei sämtlichen Täterschaftsformen ein Problem. Aus § 15 Abs 2 ergibt sich jedenfalls ZWINGEND, dass die Strafbarkeitserweiterungen für den Versuch des unmittelbaren Täters und des Bestimmungstäters um die AUFSÜHRUNGS- und BESTIMMUNGSNAHE Handlung NICHT FÜR DEN VERSUCH des BEITRAGSTÄTERS gelten – sonst wäre das nämlich EXPLIZIT ANGEFÜHRT. Versuch der Beitragstäterschaft liegt vor, sobald der Täter seinen Beitragsentschluss durch eine Beitragshandlung betätigt hat, VORAUSGESETZT, DASS ES IN DEREN FOLGE ÜBERHAUPT zur VORNAHME EINES VERSUCHS durch den unmittelbaren Täter kommt – sonst bleibt er straflos!!!! Voraussetzung ist in jedem Fall, dass der unmittelbare Täter MIT VOLLEM TATENTSCHLUSS gehandelt hat – wenn es daran mangelt – liegt ein STRAFLOSER BEITRAGSVERSUCH vor! In Relation zu den anderen Vorstufen erscheint die Strafbarkeit des Bestimmungsversuches etwas überzogen. So ist zum Beispiel eine gelungene Verabredung zu einem Einbruchdiebstahl für alle Verabredeten straflos, der Bestimmungsversuch aber strafbar (Versuch Komplizen anzuwerden).... Das erscheint nicht haltbar. Nach wie vor gilt jedoch AUSNAHMSLOS: nullum crimen sine lege!

Michael Akhavan – Aghdam Seite 72 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

BEITEILIGUNG AM SONDERDELIKT Die Bewertung von MEHRTÄTERSCHAFTLICHEN Fallkonstellationen bei SONDERDELIKTEN bereitet Schwierigkeiten. Diese Konstellationen werden in § 14 StGB ABSCHLIESSEND GEREGELT – dürfen aber nicht auf andere Bereiche ausgedehnt werden!!!! In § 14 werden UNRECHTSGEPRÄGTE SONDERDELIKTE (Abs 1) und SCHULDGEPRÄGTE SONDERDELIKTE (Abs 2) unterschieden. In Abs 1 ist der für sämtliche unrechtsgeprägten Sonderdelikte geltende GRUNDSATZ verankert, Abs 2 regelt die SEHR SELTENEN SCHULDGEPRÄGTEN SONDERDELIKTE und schränkt hier den Grundsatz des Abs 1 sehr ein. DOGMATISCHE GRUNDLAGEN Sonderdelikte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie beim unmittelbaren Täter bestimmte persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse voraussetzen. Das bringt mit sich, dass ein UNMITTELBARER TÄTER immer nur ein qualifiziertes Tatsubjekt (sog. INTRANEUS) sein kann. Alle anderen Beitragstäter sind EXTRANEI und können demnach nur Beitrags- oder Bestimmungstäter sein. Wie auch immer – Beitrags- und Bestimmungstäter haften auch im Rahmen eines Sonderdelikts AUSSCHLIESSLICH FÜR EIGENES UNRECHT!!! Michael Akhavan – Aghdam Seite 73 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Das österreichische Strafrecht lässt es genügen, wenn die SUBJEKTMERKMALE bei EINEM der Beteiligten vorliegen. Dann ist das Gesetz auf ALLE BETEILIGTEN anzuwenden. Strittig ist, ob mit Hilfe des § 14 Abs 1 extranei sogar zu unmittelbaren Tätern werden. Nach hM wird diese Frage bejaht – Kienapfel stimmt dem nicht zu. Er meint, dass dadurch Sinn und Zweck des § 14 Abs 1 überinterpretiert werden. Die traditionelle Meinung vertritt die Ansicht, dass ein EXTRANEI nur ein Bestimmungs- oder Beitragstäter sein kann. Nach § 14 ist das Gesetz bei Sonderdelikten auf alle Beteiligten anzuwenden. Daraus folgt zwangsläufig, dass für INTRANEI und EXTRANEI die gleichen Strafdrohungen gelten. Ob ein EXTRANEI milder zu bestrafen ist (ein Drittel weniger) ist umstritten. BESONDERE PERSÖNLICHE UNRECHTSMERKMALE Ein solches ist zum Beispiel das Geschlecht des Täters. Täter iSd § 205 Abs 1, 209 kann nur eine Person männlichen Geschlechts sein. Aber auch eine rechtliche Eigenschaft wie zum Beispiel „Beamter“ iSd § 302 ff ist ein besonderes persönliches Merkmal. Bei manchen Sonderdelikten werden die besonderen Täterqualitäten noch weitere Bedingungen geknüpft. So muss ein Beamter, welcher § 302 StGB verwirklicht IN MISSBRAUCH SEINER PFLICHTENSTELLUNG handeln.

PERSÖNLICHE SCHULDMERKMALE Ein Fall von persönlichen Schuldmerkmalen ist zum Beispiel § 79 StGB. Hier genügt nicht, dass die Täterin MUTTER des Opfers ist – sie muss auch im § 79 beschriebenen Geburtsstress befinden. Bei den meisten unrechtsgeprägten Sonderdelikten hängt das Unrecht davon ab, ob der INTRANEUS die Tat als UNMITTELBARER TÄTER ausführt, oder dass er zumindest in bestimmter Weise daran mitwirkt. EIGENHÄNDIGE SONDERDELIKTE (§ 14 Abs 1 Satz 2 1. Fall) Bei dieser Art Delikt kann ein Extraneus nur dann bestraft werden, wenn der Intraneus die Tat unmittelbar ausgeführt hat. Michael Akhavan – Aghdam Seite 74 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Beispiel: Bordellwirtin Fall kann so gelöst werden, dadurch, dass die beiden miteinander Verkehrenden mangels Tatvorsatz straflos bleiben, die Wirtin aber als Bestimmungstäterin haftet. SONDERPFLICHTDELIKTE (§ 14 Abs 1 Satz 2 2. Fall) Der Sinn und Zweck dieser Regelung war lange zeit umstritten. Heute gibt es wenigstens eine einheitliche hM über den Ausgangspunkt der Regelung. Dabei wird bestimmt, dass die STRAFBARKEIT eines Bestimmungs- oder Beitragstäters nur dann gegeben ist, wenn: -

der INTRANEUS die TAT UNMITTELBAR AUSFÜHRT und außerdem mit dem jeweils DELIKSTSPEZIFISCHEN TATVORSATZ handelt.

Fraglich ist inwiefern der Bestimmungs- oder Beitragstäter Kenntnis von der Wissentlichkeit des Amtsmissbrauchs haben müssen. DIE REGELUNG DES § 14 Abs 2 Die Funktion des Abs 2 beschränkt sich darauf, die Aussage des § 13 auf die ausschließlich SCHULDGEPRÄGTEN SONDERDELIKTE zu erstrecken. § 14 Abs 2 ist damit eine ERGÄNZUNG zu § 13 und hat in erster Linie eine klarstellende Bedeutung. Der Anwendungsbereich dieser Regelung ist relativ begrenzt. Kienapfel nimmt die Motivation der Legislative bei „§ 79 Kindestötung bei der Geburt“ an. Gewerbsmäßige Delikte können jedenfalls gar nicht unter diese Regelung fallen, weil es sich weder um Sonderdelikte handelt, noch die „Gewerbsmäßigkeit“ ein schuldgeprägtes persönliches Merkmal darstellen (sic!). Auch für die Entwendung gem § 141 kommt § 14 nicht in Frage – das ist kein Sonderdelikt. § 39 und § 313 fallen auch nicht unter diese Regelung – es handelt sich dabei lediglich um Strafbemessungsregeln. EXKURS ZU § 13 Gem § 13 ist jeder Beteiligte nur nach seiner Schuld zu bestrafen. Dieser Grundsatz ist eine Konkretisierung zum ALLGEMEINEN SCHULDGRUNDSATZ gem § 4 StGB für die Beteiligungslehre. Der Anwendungsbereich des § 13 ist sehr weit gespannt und umfasst sämtliche Fragen des Schulddefizits mit Ausnahme der Bereiche der Sonderdelikte die im § 14 Abs 2 ausdrücklich geregelt wurden (lex specialis derogat leges generalis). Michael Akhavan – Aghdam Seite 75 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

DIE LEHRE VON DEN KONKURRENZEN idR häufen sich mehrere Delikte in einem Sachverhalt. Der Richter muss idR ALLE DELIKTE im Urteilstenor aufnehmen und alle im Tenor erfassten Delikte in einem Urteilsspruch erledigen. Wie dies zu lösen ist – klärt die Lehre von den Konkurrenzen. Die Lehre von den Konkurrenzen gehört zur STRAFRECHTSDOGMATIK. Die Hauptaufgabe der Lehre von den Konkurrenzen besteht zweifelsohne darin, die Frage nach dem MASSGEBLICHEN STRAFRAHMEN zu lösen. Konkurrenzfragen stellen sich immer dann, wenn a) der Angeklagte MEHRERE DELIKTE BEGANGEN HAT und b) bezüglich dieser Delikte VOLLDELIKTISCH gehandelt hat – d.h. zumindest sämtliche materiellen Strafbarkeitsvoraussetzungen erfüllt hat.

SCHEINKONKURRENZ UND ECHTE KONKURRENZ Häufig ergibt sich schon aus dem Zusammenhang, dass das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Deliktes IN JEDER BEZIEHUNG MITUMFASST! Das bedeutet, dass das Delikt durch das andere Delikt verdrängt wird.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 76 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Bei diesem Fall liegt eigentlich keine Konkurrenz vor, weil das verdrängte Gesetz nicht anwendbar ist. Daher spricht man von UNECHTER KONKURRENZ oder SCHEINKONKURRENZ. Die Frage der Scheinkonkurrenz ist eigentlich im StGB nicht expressis verbis geregelt. Der EINZIGE IM STGB GEREGELTE BEREICH hinsichtlich Konkurrenzen ist die ECHTE KONKURRENZ. Die Annahme von echten Konkurrenzen hat zur Folge, dass ALLE KONKURRIERENDEN DELIKTE in den Urteilstenor aufzunehmen sind! Das liegt der KLARSTELLUNGSFUNKTION zugrunde – das Urteil soll sämtliche Delikte VOLLSTÄNDIG erfassen und in diesem Sinne klarzustellen. Es macht Sinn die unechte Konkurrenz vor der echten zu prüfen – weil es nur dann indiziert ist die weitere Prüfung nach der echten Konkurrenz anzustellen.

SCHEINKONKURRENZ Die SCHEINKONKURRENZ muss nach DREI ARTEN unterschieden werden: I.

SPEZIALITÄT

II.

SUBSIDIARITÄT und

III.

KONSUMTION

Mitunter wird auch nach strafloser VORTAT, BEGLEITTAT und NACHTAT unterschieden (vgl. Burgstaller). In Wirklichkeit handelt es sich um Formen der Subsidiarität oder Konsumtion lt. Kienapfel. SPEZIALITÄT Im Falle der Spezialität verdrängt das SPEZIELLE GESETZ das generelle. Es gilt: LEX SPECIALIS DEROGAT LEGI GENERALI Leges specialis sind so zum Beispiel sämtliche QUALIFIZIERTEN und PRIVILIGIERTEN DELIKTE im Verhältnis zum Grunddelikt. Einen besonders wichtigen Teil nehmen dabei die ERFOLGSQUALIFIZIERTEN DELIKTE ein. Wenn mehrere Qualifikationen desselben Grunddeliktes zusammenkommen, besteht zwischen ihnen idR ECHTE KONKURRENZ. Michael Akhavan – Aghdam Seite 77 von 81

30.10.2009

06:19

STRAFRECHT – AT nach Kienapfel SUBSIDIARITÄT Bei der Subsidiarität wird das zurücktretende Gesetz aufgrund NORMATIVER ERWÄGUNGEN zurückgedrängt. Es gibt Fälle in denen das Gesetz die Subsidiarität AUSDRÜCKLICH anordnet. (so zum Beispiel § 151 StGB Versicherungsmissbrauch). Daneben gibt es noch die stillschweigende (materielle) Subsidiarität. Das kommt in Betracht, wenn ein Rechtsgutangriff unterschiedliche Intensitätsgrade oder verschiedene Entwicklungsstadien durchläuft. So sind zum Beispiel Versuchsdelikte zum vollendeten Delikt subsidiär, oder Gefährdungsdelikte im Verhältnis zur entsprechenden Verletzungstat.

KONSUMTION Bei der KONSUMTION geht es darum, ob ein Delikt REGELMÄSSIG und TYPISCHERWEISE im anderen Delikt enthalten ist. Bei einer solchen Sachlage wird der UNRECHTSGEHALT des verdrängten Deliktes idR durch das vorrangige AUFGEZEHRT. Zum Beispiel ist bei einem Einbruchsdiebstahl REGELMÄSSIG und TYPISCHERWEISE SACHBESCHÄDIGUNG verbunden. Auch ein Schwangerschaftsabbruch nach § 96 StGB ist ohne gleichzeitige Körperverletzung der Schwangeren nach §83 kaum vorstellbar.... Wenn das Tatgeschehen im Einzelfall den RAHMEN der typischen BEGLEITTAT SPRENGT – also ein atypisches ZUSAMMENTREFFEN der Delikte vorliegt, dann scheidet echte Konkurrenz aus. RECHTLICHE WIRKUNGEN Der GRUNDGEDANKE der SCHEINKONKURRENZ besteht darin, das VERDRÄNGTE GESETZ GÄNZLICH UNBERÜCKSICHTIGT zu LASSEN. DASVERDRÄNGTE GESETZ DARF NICHT IN DEN SCHULDSPRUCH AUFGENOMMEN WERDEN!!!

Michael Akhavan – Aghdam Seite 78 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel Es gibt auch keine Restwirkungen des verdrängten Delikts – das bedeutet, dass deswegen auch KEINE VORBEUGENDEN MASSNAHMEN, NEBENSTRAFEN oder NEBENFOLGEN abgeleitet werden dürfen. Verdrängte Delikte dürfen nicht im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend berücksichtigt werden!!!

ECHTE KONKURRENZ Wenn keine Scheinkonkurrenz anzunehmen ist, dann liegt ECHTE KONKURRENZ vor. Es findet keine Verdrängung wie bei der Scheinkonkurrenz statt. Im Falle echter Konkurrenz sind sämtliche konkurrierenden Delikte in den Urteilstenor aufzunehmen. Im STRAFGESETZ sind ECHTE KONKURRENZEN in § 28 – Zusammentreffen strafbarer Handlungen erfasst. Der Zweck dieser Regelung ist wieder einen MASSGEBLICHEN STRAFRAHMEN im Sinne einer GEMEINSAMEN ABURTEILUNG in einem Urteilstenor zu bestimmen. Bei der echten Konkurrenz unterscheidet das Gesetz zwei Fallkonstellationen: I.

TATEINHEIT Das bedeutet, dass der Angeklagte durch eine Tat mehrere Delikte gleichzeitig

II.

TATMEHRHEIT Das bedeutet, dass der Angeklagte mehrere Delikte zeitlich nacheinander begangen hat. Es handelt sich also um mehrere selbständige Taten.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 79 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel § 28 StGB differenziert danach, ob die in Betracht kommenden Strafdrohungen GLEICHARTIG sind oder nicht! Für den Fall, dass ungleichartige Strafdrohungen in Betracht kommen findet sich die entsprechende Regelung in Absatz 2! Wenn gleichartige Strafdrohungen zusammentreffen – was den Regelfall darstellt – dann wird der GEMEINSAME STRAFRAHMEN aus DER HÖCHSTEN OBERGRENZE und der HÖCHSTEN UNTERGRENZE KOMBINIERT. Vorbeugende Maßnahmen können oder müssen angeordnet werden, wenn sie in IRGENDEINEM der zusammentreffenden Gesetze fakultativ oder obligatorisch angedroht sind! Wenn GELDSTRAFEN mit FREIHEITSSTRAFEN zusammentreffen, dann sind beide zwingend nebeneinander zu verhängen wenn diese Strafen jeweils ausschließlich angedroht sind. Das entspricht dem KUMULATIONSPRINZIP.

DAS FORTGESETZTE DELIKT Auch FORTSETZUNGSZUSAMMENHANG genannt. Dabei handelt es sich um eine der Scheinkonkurrenz nahestehende EIGENE RECHTSFIGUR, die richtergewohnheitsrechtlich entwickelt wurde. Der Angeklagte kommt bei einer fortgesetzten Tat erfahrungsgemäß billiger davon und der Richter tut sich leichter den Sachverhalt fest zu stellen. Die Anwendung des fortgesetzten Delikts setzt voraus, dass sich die einzelnen Akte gegen dasselbe Rechtsgut richten, in der Begehungsweise gleichartig sind und im nahen zeitlichen Kontext stehen sowie von einem einheitlichen Vorsatz getragen werden. Unter Gesamtvorsatz ist eine etappenweise Verwirklichung zu verstehen. Es gilt zu beachten, dass bei der Beeinträchtigung höchstpersönlicher Rechtsgüter ein Fortsetzungszusammenhang wegfällt, wenn sich die Einzeltaten gegen verschiedene Rechtsgutträger richten. Ein Rücktritt vom Versuch eines Teilaktes läßt die Strafbarkeit in Bezug auf die übrigen Teilakte unberührt. Die Verjährung beginnt erst mit Beendigung des letzten Teilaktes. Das fortgesetzte Delikt begründet prozessual gesehen eine Tat! Deshalb erstreckt sich der Urteilstenor auf sämtliche Einzelakte – auch solche welche das Gericht Michael Akhavan – Aghdam Seite 80 von 81

30.10.2009

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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel weder gekannt hat noch kennen konnte zum Zeitpunkt der Urteilsverkündigung. Auch falls sich weitere Straftaten herausstellen sollten – die in das fortgesetzte Delikt passen – ist der STRAFANSPRUCH diesbezüglich VERBRAUCHT!!!! Das gleiche gilt natürlich falls die Anklage des fortgesetzten Deliktes mit einem Freispruch endete. Es gibt Tendenzen einzelne Teilakte eines fortgesetzten Delikts in verschiedene Verfahrensgegenstände aufzuspalten. Wenn sich das durchsetzt bedeutet das de facto das Ende des fortgesetzten Deliktes als Rechtsfigur.

Michael Akhavan – Aghdam Seite 81 von 81

30.10.2009

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