Staatsrecht Im Islam

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  • Pages: 182
Islamische Staatsführung Feste Rahmenbedingungen und Möglichkeiten zur heutigen Umsetzung Dr. Jasmin Pacic

1

Inhalt Jasmin Pačić: Islamische Staatsführung, Feste Rahmenbedingungen und Möglichkeiten zur heutigen Umsetzung Wien, 2008 Univ.-Ass. Dr. Jasmin Pacic, Institut für Arbeits- und Sozialrecht, Universität Wien Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Obersten Gerichtshof in Wien

Erstausgabe: Mai 2008 1. Auflage: 100 Stück

Veröffentlicht von: Deutscher Informationsdienst über den Islam (DIdI) e.V. Postfach 11 03 64, 76053 Karlsruhe www.didi-info.de und Europäische Gesellschaft für Friedensforschung und Dialog zwischen den Kulturen (EiFDiK) e.V. www.eifdik.de

Umschlaggestaltung: Nebil Messaoudi

2

Inhalt

Inhalt Geleitwort Vorwort Abkürzungsverzeichnis

7 11 6

1

Grundlagen der Islamischen Staatsführung

15

1.1

Elementare Ziele des Islamischen Staates

15

1.2

Träger des Islamischen Staates

16

1.3

Verankerung in der Scharia

18

1.4

Grundsätzliches zum Staatsoberhaupt

19

1.5

Die Teilung der Verantwortung und die Partizipation des Volkes an der Regierung 20

1.6

Der Kalif als Staatsoberhaupt

21

1.7

Die Wahl des Kalifen

22

1.8

Die Nachfolgeregelung

26

1.9

Anforderungen an den Kalifen

28

1.10 Die Absetzung des Kalifen

29

1.11 Der Anspruch des Stammes der Quraisch auf die Staatsführung

32

1.12 Begrenzung der Anordnungsbefugnis des Kalifen

35

1.13 Grundrechte im Islamischen Staat

40

1.14 Da’wa als Staatsaufgabe

45

1.15 Staatsgrenzen/ Staatssymbole/ Sprachen

47

3

Inhalt 2

Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung 49

2.1

Die besondere Stellung des göttlichen Gesetzes

49

2.2

Das Regierungssystem

50

2.2.1

Charakteristiken des Regierungssystems

50

2.2.2

Die Regenten

51

2.2.3

Die Stellung der Provinzen

52

2.2.4

Das Kriterium der Männlichkeit für Inhaber von Befehlsgewalt 53

2.2.5

Verantwortlichkeitsprinzip

54

2.3

Die Amtsstellung des Kalifen

56

2.4

Ministerpräsident

59

2.5

Fachassistenten / Minister und Staatsräte

61

2.6

Das Parlament (Volksvertretung) und das Prinzip der 64 Schūra

2.7

Oberster Justizrat/ Fatwa-Rat

68

2.8

Die Gouverneure (Al – Wulāt) und Statthalter/Kantonalvorsteher

69

2.9

Die Verwaltung

73

3

Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung

79

3.1

Göttlich festgelegtes Recht

79

3.2

Normsetzung durch den Kalifen

81

3.3

Die Rolle des Allgemeininteresses

82

4

Inhalt 3.4

Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus den Quellen der Scharia 83

4

Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/ Judikative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung

95

5

Politikbereiche

107

5.1

Grundsätzliche Staatsziele

107

5.2

Wirtschaft, Umwelt und Soziales

107

5.3

Der persönliche Lebensbereich

121

5.4

Nichtmuslimische Staatsbürger

133

5.5

Asylrecht

138

5.6

Äußere Angelegenheiten und Innere Sicherheit

139

5.7

Bildungspolitik

146

6

Zur Realisierbarkeit der Grundsätze der islamischen Staatsführung 149

6.1

Grundsätzliches

149

6.2

Zusammenschluss zu einer islamischen Union

150

7

Islam und Demokratie

156

7.1

Islam in einem Demokratischen Staat

156

7.2

Ein Demokratischer Staat als Islamischer Staat

164

8

Schlussfolgerungen

168

Literaturverzeichnis

169

5

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis arab.

arabisch

bzgl.

bezüglich

bzw.

beziehungsweise

d. h.

das heißt

etc.

et cetera

f.

folgende/r/s

ff.

fort folgende/r/s

Fn.

Fußnote

Nr.

Nummer

r.a.

radijallahu ’anhu/a/uma/um – Allah möge mit ihm/ihr/ihnen beiden/ihnen zufrieden sein

s.a.w.s.

sallalahu ’alajhi wa sallam – Allahs Segen und Heil seien auf ihm

sog.

sogenannte/r/s

s.w.t.

suhanahu wa ta’ala – gepriesen und erhaben ist er (dies steht nur bei der Erwähnung von Allah)

u.a.

unter anderem/und andere

usw.

und so weiter

z. B.

zum Beispiel

6

Geleitwort

Geleitwort Der Islam gewinnt in Europa zunehmend an Bedeutung. Sie wird nicht nur durch Zuwanderer aus moslemischen Gebieten in traditionell christlich geprägte Staaten gespeist, sondern auch durch Mitteleuropäer, die sich zum Islam bekennen. Muslime sind in Österreich nach den Angehörigen der römisch-katholischen Kirche bereits die drittgrößte und Wien schon die zweitgrößte religiöse Gruppierung. Dennoch ist das Wissen um die Grundlagen des Islam im Westen wenig verbreitet. Es sind vor allem aktuelle Ereignisse, die mit dem Islam in Verbindung gebracht werden, und die Diskussion bestimmen. So der Umstand, dass sich Terrororganisationen zur Rechtfertigung ihrer Taten auf den Islam berufen und Selbstmordattentate weitaus überwiegend von Menschen mit moslemischem Hintergrund verübt werden. Oder Berichte, wonach des Ehebruchs beschuldigte muslimische Frauen zum Tod durch Steinigung verurteilt wurden. Unverständnis hat bei vielen auch der gewaltsame Protest gegen provokante Aussagen zum Islam erweckt, die der Westen als Ausfluss der Meinungsfreiheit versteht. Viele empfinden das im Iran realisierte politische System, das sich auf Anforderungen des Islam beruft, als Bedrohung der westlichen Demokratie. Dabei wird übersehen, dass es auch im christlichen Abendland Verirrungen gegeben hat und noch immer gibt, die sich auf die christliche Lehre berufen. Ein grundlegender Unterschied besteht jedoch diesbezüglich zwischen dem Islam und der römisch-katholischen Kirche. Diese verfügt über ein mit absoluter Autorität ausgestattetes Lehramt, das in den zentralen Fragen Einheitlichkeit garantiert. Eine ähnliche verbindliche zentrale Festlegung des aktuellen Glaubensgutes kennt der Islam nicht. In Zweifelsfragen werden Gelehrte um Rat gefragt, die darauf in Form von Gutachten antworten, die je nach der Bedeutung des jeweils Befragten auch überregionale 7

Geleitwort Bedeutung erlangen können. Es kann daher nicht erstaunen, dass es durchaus unterschiedliche Auslegungen der heiligen Schriften des Islam gibt, ja zudem von Sunniten und Schiiten nicht einmal dieselben Rechtsquellen herangezogen werden. Es bedeutet daher eine wesentliche Hilfe für NichtMuslime, umfassend in die Gedankenwelt des Islam zu Fragen der Staatsführung eingeführt zu werden. Ein solcher Versuch setzt Vertrautheit sowohl mit westlichem Recht als auch mit der Scharia voraus. Die meisten dieser Versuche wurden von Nicht-Muslimen unternommen. Das Besondere an diesem Buch ist der Umstand, dass der Autor einerseits bekennender Moslem ist, andererseits aber seine juristische Ausbildung im westlichen Recht erhalten hat und in diesem Rechtsbereich auch wissenschaftlich tätig ist. Er ist daher nicht nur in der Lage, islamische Rechtsvorstellungen in einer dem westlichen Juristen durchaus verständlichen Weise nahe zu bringen, er verwendet dazu auch das methodische Rüstzeug europäischer Juristen. Während in den meisten europäischen Staaten das Recht kodifiziert ist und sich die Auslegung damit auf als Normen formulierte Sätze stützen kann, gelten im Islam nicht nur der Koran, sondern auch Aussagen des Propheten und seiner Gefährten als Rechtsquellen. Diese beschränken sich im Hinblick auf staatsrechtliche Fragen oft nur auf sehr allgemeine Grundsätze, die unterschiedliche Deutungen zulassen. Daher nimmt auch Pacic für sich nur in Anspruch, dass sich seine Vorschläge im Rahmen des Interpretationsspielraumes bewegen und daher als mögliche Ausgestaltungen eines islamischen Staates gelten können. Sehr fruchtbar erscheint mir sein Ansatz, zunächst die theoretischen Grundlagen islamischer Staatsführung herauszuarbeiten, um dann die erforderlichen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten ihrer konkreten Umsetzung zu diskutieren.

8

Geleitwort Sein Buch darf nicht als Analyse einer bestehenden staatlichen Rechtsordnung missverstanden werden. Pacic zeichnet vielmehr ein idealtypisches Bild eines Staates, der auf den Grundlagen bestimmter religiöser Vorstellungen beruht. Es ist daher nur mit einem Buch vergleichbar, das etwa darzustellen versucht, wie ein an römisch-katholischen Wertvorstellungen orientierter Staat aussehen könnte. Das besondere Anliegen des Autors gilt dem Versuch zu zeigen, dass ein islamischer Staat nicht im Widerspruch zu grundlegenden demokratischen Vorstellungen des Westens stehen müsste. Er entwickelt seine Gedanken bei allen Sachproblemen, die er anspricht, also etwa bei der Frage nach zentraler oder föderativer Ordnung, nach der Kontrolle der Regierenden, nach der Grenze der Regelungsmacht des Gesetzgebers, nach dem Schutz der Privatsphäre, nach der Rolle des Islam in einem nichtislamischen demokratischen Staat und der Rolle der Nicht-Muslime in einem islamischen Staat zunächst auf der Basis islamischer Positionen, um dann, ausgehend von den im Westen gegebenen Antworten zu analysieren, wie weit sie auch in einem islamischen Staat verwirklicht werden können. Er weist nach, dass auch das islamischen Recht den Schutz der Grundrechte kennt, insbesondere den Schutz vor Diskriminierungen jeglicher Art und damit auch aus religiösen Gründen, es sei denn, Unterschiede seien sachlich gerechtfertigt oder in der Scharia begründet. Am Ende seiner Untersuchung kommt er zu dem für viele wohl überraschenden Ergebnis, dass auch im islamischen Recht wesentliche Aspekte westlicher demokratischer Vorstellungen verwirklicht sind, so die Verantwortung des Volkes für den Staat, die Sicherung der Freiheit und der Rechte der Bürger und vor allem die Gleichheit vor dem Gesetz auch für Nichtmuslime. Er verschweigt allerdings nicht, dass im Unterschied zu den westlichen Demokratiemodellen nach islamischer Anschauung die Herrschaft des Gesetzes auf 9

Geleitwort göttlichen Grundsätzen beruht und insoweit den Menschen nicht zur Disposition steht. Dennoch gestatte eine extensive Interpretation der islamischen Rechtsquellen die Entwicklung eines Staatskonzepts, das weitgehend mit westlichen Demokratievorstellungen vereinbar ist. Das Buch räumt mit vielen Fehlvorstellungen über die Scharia auf. Es zeigt, dass der Islam – wie in manchen Staaten auch real umgesetzt - Raum für durchaus unterschiedliche Staatskonzepte bietet, nach Auffassung des Autors jedoch weder für ein autoritäres Regime noch eine absolute Monarchie oder - wohl zur Überraschung mancher - eine Theokratie. Pacic baut auf die Anpassungsfähigkeit von Grundsätzen, die vor rund eineinhalb Jahrtausenden formuliert wurden und zeigt damit einen Weg auf, wie sich der Islam vor allem in Europa entwickeln könnte. em. Univ-Prof. Theodor Tomandl, Wien

10

Vorwort

Vorwort Bismil-lahir-rahmanir-rahim Mit dem Namen Allahs des All-Gnade Erweisenden, des Allgnädigen In jüngerer Zeit rückt das islamische Staatssystem immer häufiger in den Mittelpunkt des medialen Interesses. Bedingt durch Verhaltensweisen einzelner Extremisten, geraten die Muslime und mit ihnen der Islam unter Generalverdacht, antidemokratisch zu sein und mit fundamentalen Grundsätzen der säkularen Rechtsordnung nicht einverstanden zu sein. Dies führt zu erschwerter Integration, weil Intoleranz ein Gefühl der Fremdheit und Unerwünschtheit verursacht. Dabei wird oft übersehen, dass der Islam keine Religion der Einwanderer und Asylanten ist, sondern eine Weltreligion, die für jeden offen ist und zu der sich auch immer mehr, ehemals christliche, Bürger nichtmuslimischer Staaten bekennen. Der Islam ist also nichts Fremdes. Er ist eine Lebensweise, die jedem offen steht. Extremistische Äußerungen von manchen Personen, die dem muslimischen Lager zugeordnet werden, einerseits und islamfeindliche Hetzrufe von Mitgliedern rechter oder nationalistisch ausgerichteter Parteien andererseits, wecken das Bedürfnis eines Dialogs zwischen den Kulturen, der häufig auch die Diskussion über Fragen nach Vereinbarkeit von Islam und Demokratie, über den wahren islamischen Idealstaatstypus oder über Vorgaben des Islam in Bezug auf zentrale politische Fragestellungen zur Folge hat. Ein Dialog erfordert aber die Rückkehr zu den islamischen Quellen, um die islamischen Vorgaben von traditionsbedingten oder anderen Vorstellungen zu trennen.

11

Vorwort In dieser Arbeit wird eine Analyse des islamischen Staatsrechts vorgenommen, um ein Beispiel dafür zu geben, wie ein islamischer Staat in unserer Gegenwart aufgebaut sein könnte und was seine Anliegen wären. Da die rechtlichen Vorgaben der Scharia im Bereich des Staatsrechts oft nicht detailliert sind und sich in der Normierung von allgemeinen Grundsätzen erschöpfen, wurden beispielhafte Regelungen herausgearbeitet, die ein islamischer Staat der Gegenwart treffen könnte und die den Scharia-Vorgaben genügen, obwohl andere Regelungen möglich sind. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass manche rechtliche Ableitungen für den nichtmuslimischen Leser mitunter schwer nachvollziehbar sein könnten, weil einige Vorschriften als rechtserheblich angesehen werden, die für Nichtmuslime in der Regel unter die Kategorie „Moral“ fallen. Hier seinen beispielhafte Verbote im Islam angeführt, die Nichtmuslime mitunter als moralische Verbote auffassen würden, denen aber im Islam rechtlicher Charakter zuerkannt wird, unabhängig davon, dass die Einhaltung dieser Verbote nicht erzwungen werden darf, wenn keiner dadurch geschädigt wird: das generelle Verbot zu lügen oder zu betrügen, anderen nachzuspionieren oder Verleumdungen auszusprechen. Auf die Relevanz innerhalb der staatlichen Rechtsordnung, die zwangsweise Durchsetzbarkeit oder auf Rechtsfolgen auf dieser Welt kommt es dabei überhaupt nicht an. „Rechtlich“ wird alles beurteilt, was mit der praktischen Tätigkeit zu tun hat. Um Verwirrungen vorzubeugen muss daher beachtet werden, dass in diesem Buch kein heute existierendes staatliches Recht geprüft wird, sondern das religiöse islamische Recht mit seinen Geboten, Verboten und Empfehlungen, unabhängig davon, ob diese korrekt oder nicht umgesetzt werden oder ob ihnen in einem (islamischen) Staat überhaupt 12

Vorwort staatlich-rechtliche Relevanz zuerkannt wird. Gebote und Verbote sind daher in dieser Darstellung immer rechtlich relevant, Empfehlungen können hingegen nicht unmittelbar rechtserheblich sein, sie können aber anzustrebende Staatsziele beinhalten. Fragen der Moral im islamischen Sinne stellen sich folglich nur dann, wenn es sich nicht um Gebote oder Verbote handelt, sondern um erwünschtes oder verpöntes Verhalten oder wenn staatliche Normen nicht mit den religiösen Vorgaben übereinstimmen beziehungsweise wenn die staatliche Norm eine islamisch rechtlich vertretbare Regelung beinhaltet, aber zweifelhaft ist, ob die betreffende Handlung aus religiöser Sicht tatsächlich verboten/geboten ist oder nicht weil es für unterschiedliche Ansichten Argumente gibt. Vereinfacht ausgedrückt: Es ist zwischen dem zu unterscheiden, was der Islam vorgibt und dem, was der Staat daraus macht. Hierdurch soll ein Beitrag zum gegenseitigen Dialog und zur reichhaltigen und fruchtbaren Diskussion geleistet werden, sowie Muslimen und Nichtmuslimen ein tiefer gehender Einblick in dieses, praktisch doch so wichtige, Rechtsgebiet eröffnet werden. Die Wichtigkeit und Aktualität des Rechtsbereichs „islamische Staatsführung“ zeigt sich allein daran, dass sich zahlreiche Staaten der Gegenwart als „islamische“ Staaten bezeichnen, obwohl sie sich in Ihren Staats- und Regierungsformen deutlich unterscheiden. Der Inhalt dieses Buches wurde detailliert mit einem Teil der Dozenten des Deutschen Informationsdienstes über den Islam erörtert und geprüft, um die Scharia- Konformität sicherzustellen. Für diese großartige Unterstützung möchte ich mich herzlich bedanken – dschazāhum-Allahu khairan. Was Gutes darin liegt ist von Allah (s.w.t.) und was, unbeabsichtigt oder mangels besseren Wissens, Schlechtes 13

Vorwort oder Falsches darin liegen sollte, ist von mir und dem Schaytan. Allah (s.w.t.) weiß es am besten. Wien, 19. Februar 2008 Jasmin Pačić

14

1

Grundlagen Grundlagen der Islamischen Staatsführung

1.1 Elementare Ziele des Islamischen Staates Ein Staat kann dann als „islamisch“ bezeichnet werden, wenn sein Staatssystem auf den zu verinnerlichenden, absoluten Glaubensgrundlagen (’Aqida) des Islam aufbaut, dieser somit auf der Basis des islamischen Glaubens und der islamischen Lebensordnung steht. Davon zeugt z. B. folgender Qur’an-Vers: „Jenen die, wenn wir ihnen auf Erden die Oberhand gegeben haben, das Gebet verrichten und die Sozialabgabe (Zakat) entrichten und Gutes Gebieten und Übles verbieten (, steht Allah bei) und Allah bestimmt den Ausgang aller Dinge.“ (Qur’an 22/41)

Aus dem obigen Qur’an-Vers lässt sich folgern, dass die politischen Machthaber verpflichtet sind, das Gebet und die Sozialabgabe (Zakah) im islamischen Staat aufrecht zu erhalten, sowie sich am Guten auszurichten und alles was Übel ist, zu untersagen. Weitere Belege: „[…] Wenn sie aber bereuen und das Gebet verrichten und die Sozialabgabe (Zakah) entrichten, dann gebt ihnen den Weg frei. Wahrlich Allah ist Allvergebend, Allbarmherzig.“ (Qur’an 9/5) „Bereuen sie aber und verrichten das Gebet und entrichten die Sozialabgabe (Zakah), so sind sie eure Brüder im Glauben. Und wir machen die Zeichen klar für die wissenden Leute.“(Qur’an 9/11)

Der islamische Staat ist ein solcher, der jedenfalls nach Gerechtigkeit strebt. Die Anordnungen und normativen Anweisungen seitens des Staates müssen sich also an der Gerechtigkeit und Billigkeit messen lassen.1

1

Vergleiche die Fatwa von Muzammil Siddiqi, Justice: Key to Peace and Security, 04.03.2007.

15

Grundlagen der Islamischen Staatsführung „Allah befielt euch, die anvertrauten Güter ihren Eigentümern zurückzugeben; und wenn ihr zwischen Menschen richtet, nach Gerechtigkeit zu richten. Wahrlich, billig ist, wozu Allah euch ermahnt. Allah ist allhörend, allsehend.“ (Qur’an 4/58). „O ihr, die ihr glaubt! Setzt euch für Allah ein und seid Zeugen der Gerechtigkeit. Und der Hass gegen eine Gruppe soll euch nicht (dazu) verleiten, anders als gerecht zu handeln. Seid gerecht, das ist der Gottesfurcht näher. Und fürchtet Allah; wahrlich, Allah ist eures Tuns kundig.“ (Qur’an 5/8)

Die grundsätzliche Notwendigkeit eines islamischen Staates für Muslime ergibt sich daraus, dass der Schutz der menschlichen Güter am besten innerhalb eines staatlich organisierten Gebildes wahrgenommen werden kann, und daraus, dass viele Bereiche des islamischen Rechts das Bestehen einer organisierten staatlichen Institution voraussetzen, wie etwa das Strafrecht.2

1.2 Träger des Islamischen Staates Träger des islamischen Staates ist die islamische Gemeinschaft (Umma). Die Muslime stehen durch den Islam in einer besonderen Verbindung zueinander, die nicht durch Nationalismus oder sonstige, zur Spaltung führende, Strömungen aufgelöst werden darf. Der Prophet (s.a.w.s) sagte: „Das Beispiel der Gläubigen in ihrer gegenseitigen Liebe und Barmherzigkeit für einander ist wie das Beispiel eines Körpers: Wenn ein Teil des Körpers Schmerz erleidet, dann leidet der ganze Körper an Schlaflosigkeit und Fieber.“ (Buhārī Nr. 511, Muslim Nr. 2586)

2

Siehe dazu folgende Fatwa: Group of Muftis, The Establishment of The Islamic State, 26.01.2003, http://www.islamionline.net.

16

Träger des Islamischen Staates In einer Überlieferung heißt es, dass zwei Männer zur Zeit des Propheten (s.a.w.s.) stritten, wobei der eine einer Gruppe der Muslime zurief und der andere der zweiten Gruppe. Als der Prophet (s.a.w.s.) das hörte, sagte er: „Ist es wirklich so, dass ihr mit den Rufen Zeit der Unwissenheit (Jahiliyya) ruft, während ich noch unter euch weile?!“ (Buhārī) Für die Pflicht der Muslime politisch Zusammenzuhalten sprechen z.B. folgende Überlieferungen:3 Al-Harith Al-Aš’ari berichtet, dass der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Ich befehle euch fünf Dinge, die Allah mir befohlen hat: die Gemeinschaft (Ğema’ah), Hören, Gehorchen, die Auswanderung um Allahs Willen (Hiğrah) und Anstrengung/Mühe (ğihad) auf dem Weg Allahs, dem Gewaltigen und Majestätischen. Wer sich also eine Handbreite von der Gemeinschaft trennt, wirft das Joch des Islam von seinem Nacken, bis er bereut. Und wer mit den Rufen der Rufe der Tage der Unwissenheit ruft, so ist er von den gehorteten Haufen des Höllenfeuers!“ Es wurde gesagt: „Selbst wenn er betet und fastet?“ Also sagte er (s.a.w.s.): „Selbst wenn er fastet und betet. Also ruft einander mit den Rufen Allahs, die Allah euch gab: die Muslime, die Gläubigen, Diener Allahs.“ (At-Tirmidhi Nr. 2863, At-Tilyalasi Nr. 1161) Huzaifa ibn Al-Yaman, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete; Die Leute pflegten, den Gesandten Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, über die guten Dinge zu fragen, und ich pflegte, ihn über das Übel zu fragen, weil ich befürchtete, dass dieses in mich gelangt. Ich sagte: O Gesandter Allahs, wir befanden uns in einer Ğahiliya (Unwissenheit während der vorislamischen Zeit) und in einem Übel zugleich, und Allah brachte uns dieses Gute (durch den Islam). Wird es nach diesem Guten wieder Übel geben? Und er erwiderte: Ja! Ich sagte wieder: Und wird es nach diesem Übel wieder Gutes bringen? Er sagte: Ja! Und es wird Spuren des Verderbens haben. Ich fragte: Und wie sehen seine Spuren des Verderbens aus? Er sagte: Es wird Menschen geben, die die anderen führen, 3

Siehe hierzu auch folgende Fatwa von Muzammil Siddiqi, Unity Among Muslims, 29.01.2005.

17

Grundlagen der Islamischen Staatsführung aber nicht mit meiner Sunnah und nicht mit meiner Rechtleitung; von ihnen wirst du Dinge bejahen und andere verabscheuen. Ich fragte: Wird es nach diesem Guten wieder Übel geben? Und er sagte: Ja! Es wird Leute geben, die die anderen soweit bis zu den Toren des Höllenfeuers aufrufen, und wer ihnen folgt, den werden sie ins Feuer einführen. Ich sagte: O Gesandter Allahs, beschreibe sie uns! Und er sagte: Ja! sie gehören äußerlich zu uns und sprechen unsere Sprache. Ich sagte: Was befiehlst du mir, falls ich so etwas erlebe? Der Prophet sagte: Bleibe stets mit der muslimischen Gemeinde und mit deren Imam (Staatsführer) verbunden! Ich fragte: Wie, wenn sie weder eine Gemeinschaft noch einen Imam haben? Er sagte: Dann verlasse all diese Gruppen, auch dann wenn du an dem Stamm eines Baumes mit deinen Zähnen festhalten würdest, bis der Tod dich ereilt, während du dich noch in diesem Zustand befindest! (Muslim Nr. 3434)

1.3 Verankerung in der Scharia Das Staatsund Regierungssystem eines funktionierenden islamischen Staates muss auf der Scharia Allahs (s.w.t.) beruhen: „Und richte unter ihnen nach dem, was Allah herab gesandt hat, und folge nicht ihren Neigungen, um von dem abzukommen, was an Wahrheit zu dir gelangt ist.“ (Qur’an 5/48) „… Und wer nicht nach dem richtet was Allah hinabgesandt hat - das sind Ungläubige.“ (Qur’an 5/44) „… Wer aber nicht nach dem richtet was Allah herniedergesandt hat - das sind die Ungerechten.“ (Qur’an 5/45) „… und wer nicht Urteil nach dem spricht, was Allah hinabgesandt hat - das sind fürwahr Frevler“ (Qur’an 5/47) „Nein, bei deinem Herrn, sie werden nicht eher gläubig sein, bis sie dich zum Richter in allem erheben, was unter ihnen strittig ist, sie sodann in ihren Herzen keinen Zweifel mehr hegen und sich vollends ergeben.“ (Qur’an 4/65)

18

Grundsätzliches zum Staatsoberhaupt „Aus euch soll eine Gemeinschaft werden, die zum Guten aufruft, gebietet, was recht ist und verbietet, was verwerflich ist.“ (Qur’an 3/104).

Die Menschen sind von Allah (s.w.t.) als Statthalter auf Erden eingesetzt worden und haben auf dieser eine Verantwortung wahrzunehmen. Allah (s.w.t.) sagt im Qur’an: „Und er hat von sich aus alles, was im Himmel und auf Erden ist, in euren Dienst gestellt.“ (Qur’an 15/13) „Und er ist es, der euch zu Nachfolgern auf Erden machte […]“ (Qur’an 6:165).

Die Verantwortung der Wahrung der Güter, die Allah (s.w.t.) als geschützt erklärt hat, kann am besten wahrgenommen werden, wenn die Gemeinschaft der Menschen staatlich organisiert ist.

1.4 Grundsätzliches zum Staatsoberhaupt An der Spitze des islamischen Staates steht ein Vorsteher - Imam, der aus den Reihen der Muslime gewählt wird. Der Begriff „Imam“ beinhaltet keine religiösen Implikationen, ungeachtet der Tatsache, dass der Vorbeter beim Gemeinschaftsgebet idR als Imam bezeichnet wird. Man kann davon ausgehen, dass die islamische Lebensordnung jedem Individuum seinen Teil einer gewissen Verantwortung auferlegt und, dass die letztendliche Verantwortung für das Wohlergehen der Gemeinschaft durch eine Einzelperson symbolisiert wird. `Abdullah ibn `Umar, Allahs Wohlgefallen auf beiden, berichtete, dass der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte: „Wahrlich, ihr seid alle Hirten, und jeder von euch ist verantwortlich für seine Herde: der Imam, der über Menschen eingesetzt worden ist, ist ein Hirte, und er ist verantwortlich für seine Herde. Und der Mann ist für die Leute in seinem Haushalt ein Hirte, und er ist verantwortlich für seine

19

Grundlagen der Islamischen Staatsführung Herde. Und die Frau ist für die Leute des Haushalts ihres Mannes und für seine Kinder eine Hirtin, und sie ist verantwortlich für sie. Und der Diener eines anderen ist ein Hirte in Bezug auf den Besitz seines Herrn, und er ist verantwortlich für dessen Besitz. Wahrlich, ihr seid dann alle Hirten, und jeder von euch ist verantwortlich für seine Herde.“ (Buhārī Nr. 7138)

1.5 Die Teilung der Verantwortung und die Partizipation des Volkes an der Regierung Trotz dieser grundsätzlichen Ausrichtung auf eine Einzelperson, wird die Verantwortung für die Wahrnehmung des Schutzes von Allahs (s.w.t.) Scharia nicht allein dem Staatsoberhaupt auferlegt, sondern zwischen allen Muslimen aufgeteilt. Jeder Muslim ist verpflichtet nach seinem Vermögen an der Beratung des Staatsoberhauptes teilzunehmen und ihn zurechtzuweisen, falls er sich von der Scharia Allahs (s.w.t.) entfernt. Dies geht aus einem allgemeinen Grundsatz hervor, auf dem das gesamte islamische Staatsrecht aufbaut und an dem sich die Ziele der gesetzlichen Handlungen messen lassen müssen: Das Gebieten des Guten und das Verwehren des Üblen (Al-Amr bi al-Ma’ru’f wa al-Nahy ’an al-Munkar) - das sog. Hisba-Prinzip. Abu Sa`id, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: Tariq ibn Schihab sagte: Marwan war der erste Kalif (Staatsoberhaupt der Muslime), der mit der Predigt am Tag des Festes vor der Verrichtung des Gebets begann. (Als er dies einmal tat), stand ein Mann auf und sagte zu ihm: Das Gebet soll vor der Predigt verrichtet werden. Da sagte Marwan: Das hat man heute schon unterlassen. Darüber sagte Abu Sa`id: Dieser Mann hat seine Aufgabe (als Gläubiger) erfüllt. Ich hörte den Gesandten Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagen: Wer von euch etwas Verabscheuungswürdiges sieht, der soll es mit der (Tat) seiner Hand verändern, und wenn er das nicht vermag, dann mit den (Worten) seiner

20

Der Kalif als Staatsoberhaupt Zunge, und wenn er (auch) das nicht vermag, dann mit dem Wunsch seines Herzens, und das ist das wenigste am Glauben. (Muslim Nr. 70) Hudhaifa (r.a.) berichtet, dass der Prophet (s.a.w.s.) sagte: "Bei Allah, in dessen Händen mein Leben ist, entweder ihr gebietet das Gute und verbietet das Üble, oder Allah wird gewiss Strafe über euch senden; und dann werdet ihr beten, aber eure Bitten werden nicht erhört werden." (AtTirmidhi)

Ein weiterer zentraler Grundsatz des islamischen Staatsrechts, sowie der islamischen Lebensweise überhaupt, aus dem sich die Pflicht zum politischen Engagement ableiten lässt, ist das Prinzip der gegenseitigen Konsultation: „[…] und deren Handlungsweise eine Sache gegenseitiger Beratung ist […].“ (Qur’an 42/38)

1.6 Der Kalif als Staatsoberhaupt Das Staatsoberhaupt, als Vorsteher (Imam) der Bürger des islamischen Staates, trägt – nach dem Beispiel der Prophetengefährten Abu Bakr, ’Umar, ’Uthman und ’Alī, die Bezeichnung „Kalif“ (khalīfat rasūl Allah,- Nachfolger des Propheten Allahs). Die Bezeichnung kann aber divergieren. Es kommt lediglich auf die Position des Staatsoberhauptes als Vorsteher des islamischen Staates an (Amir ul-mu’minīn), weswegen weder die schlichte Bezeichnung „Imam“ oder der Titel „Sultan“ (nach dem Vorbild des islamisch-osmanischen Herrschers), noch „Präsident“ des islamischen Staates oder ähnliches abträglich sind. Abu Hazim (r.a.) sagte: „Ich war mit Abu Huraira fünf Jahre lang und hörte von ihm, wie er einmal berichtete, dass der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, folgendes sagte: „Die Kinder Israels wurden gewöhnlich von Propheten geführt, und jedes mal, wenn ein Prophet

21

Grundlagen der Islamischen Staatsführung dahinging, folgte ihm ein anderer Prophet. Nach mir aber wird kein Prophet mehr kommen. Es wird vielmehr Nachfolger (Kalifen) geben […].“ (Buhārī Nr. 3455)

1.7 Die Wahl des Kalifen Niemand kann zum Kalifen berufen werden, ohne von der islamischen Gemeinschaft gewählt und angelobt worden zu sein. Dies entspricht der Vorgehensweise der Gefährten des Propheten (s.a.w.s.) bei der Übertragung des Kalifen-Amtes an die vier obengenannten Prophetengefährten nach dem Tod des Gesandten Allahs (s.a.w.s.). Die Muslime berieten sich über die Eignung und Qualifikation der in Fragen kommenden Kandidaten für das Amt, wählten einen Kandidaten aus und leisteten ihm den Treueid.4 Bei der ersten Einsetzung des Kalifen durch das Volk empfiehlt es sich zunächst eine Volksvertretung bzw. ein Parlament zu wählen (Mağlis al-Umma/ Šūra). Die Volksvertretung kann die Kandidaten für die Wahl des Kalifen eingrenzen und selbst Kandidaten vorschlagen. Dem Volk müsste jedenfalls ausreichend Zeit bis zur Wahl gewährt werden, um sich mit den Kandidaten und ihrer Eignung für das Amt des Kalifen vertraut zu machen, denn im Gegensatz zur Situation bei der ersten Kalifenwahl nach dem Tod des Propheten (s.a.w.s.), als die Gefährten des Propheten (s.a.w.s.) sich untereinander gut kannten und von den gegenseitigen Vorzügen gut Bescheid wussten, gibt es heute Millionen von Muslimen, sodass sich die Kandidaten bei der Wahl des 4

Siehe dazu z. B.: Fazl, Ahmad, Die Rechtgeleiteten Kalifen, Islamische Bibliothek.

22

Die Wahl des Kalifen Staatsoberhauptes eines islamischen Staates dem Volk erst vorstellen müssen. Es dürfen keine Personen zur Kalifenwahl aufgestellt werden, die sich selbst darum reißen und lediglich nach Macht streben. Abū Mūsā (r.a.) berichtet: Mit zwei Männern aus meiner Verwandtschaft kam ich zum Propheten (s.a.w.s.). Einer der beiden sagte: „O Gesandter Allahs, mach uns zu Befehlshabern!“ Und der andere äußerte sich in gleicher Weise. Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Wir machen niemanden zum Befehlshaber, der sich um einen solchen Posten bemüht und danach strebt!“ (Buhāri, Muslim). Abdu-r-Rahman ibn Samura (r.a.) berichtete: „Der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte zu mir: „Du `Abdu-r-Rahman, verlange nicht nach der Führerschaft, denn wenn du sie nach eigenem Verlangen innehast, wirst du ihr ausgeliefert sein. Und wenn du mit dieser ohne eigenes Verlangen beauftragt wirst, so wird dir dabei geholfen werden und wenn du über etwas schwörst und siehst, dass es besser wäre, wenn du anders handeln würdest, so leiste die Sühne für deinen Schwur und tue, was besser ist.“ (Muslim Nr. 3120)

In der Folge können dann alle erwachsenen Mitglieder der Gemeinschaft, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, in freier und gleicher Wahl die Person, die sie für das Amt des Kalifen für am besten geeignet halten, wählen. Gibt es viele Anwärter oder ist das Ergebnis der Wahl zu knapp zwischen den beteiligten Personen ausgegangen, ist eine Stichwahl sicherlich sinnvoll. Man kann aber auch die Volksvertretung (das Parlament) oder ein besonderes Gremium verschiedener Vertreter unterschiedlicher Disziplinen und Gebiete den Kalifen wählen lassen. Dies würde sich vor allem aus dem Grund empfehlen, weil sich dieses Gremium besser von den Eigenschaften und Qualifikationen der in Frage kommenden Personen überzeugen kann, während die Masse der Menschen nur über Werbung zum persönlichen Favoriten gelangt. 23

Grundlagen der Islamischen Staatsführung Dadurch würden auch extrem teure und verschwenderisch geführte Wahlkämpfe, wie sie beispielsweise in den USA bei der Wahl des Präsidenten geführt werden, vermieden werden. Dennoch ist eine demokratische Legitimation gegeben, weil die Volksvertretung oder dieses besondere Gremium vom Volk gewählt werden. Jedenfalls muss eine sorgfältige Auswahl nach gutem Charakter, Aufrichtigkeit und Fähigkeit erfolgen. Nach der öffentlichen Verkündung des Wahlergebnisses wird dem gewählten Kalifen durch die Volksvertretung5 und die hohen Repräsentanten der Gehorsams-Eid (Bai’a) geleistet, auf dass der Vorsteher der Muslime nach dem Buch Allahs (s.w.t) und dem Beispiel (der Sunna) des Propheten (s.a.w.s.) in Gerechtigkeit regieren möge. „O meine Diener, ich habe mir selbst die Ungerechtigkeit untersagt. Ich habe die Ungerechtigkeit unter euch für Unrecht erklärt. Daher tut anderen keine ungerechten Dinge an.“ (Hadith Qudsi - Muslim) „Allah befiehlt euch, die anvertrauten Güter ihren Eigentümern zurückzugeben; und wenn ihr zwischen Menschen richtet, nach Gerechtigkeit zu richten. Wahrlich, billig ist wozu Allah euch ermahnt. Allah ist allhörend, allsehend.“ (Qur’an 4/58).

Durch den Eid ist der Kalifatsvertrag zwischen der Gemeinschaft (Umma) und ihrem Vorsteher/Staatsoberhaupt wirksam geworden. „Wir leisteten dem Gesandten Allahs die Bai’a (Eid), auf dass wir hören und gehorchen, im Schwierigen wie im Leichten und in dem, was uns lieb und unlieb ist.“ (Muslim von ’Ubada ibn al-Samit)

5

Die einzelnen Muslime können dem Kalifen indirekt, somit ohne auflegen der Hand (wie dies bei den Gefährten (r.a.) des Propheten s.a.w.s. üblich war) den Eid leisten; anders ist es bei der großen Menschenmenge nicht denkbar.

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Die Wahl des Kalifen Abdullāh ibn ’Umar sagte: „Wenn wir dem Gesandten Allahs die Bai’a (Eid) leiteten, auf das wir hören und gehorchen, sagte er uns immer: Wozu du im Stande bist.“ (Buhārī und Muslim) Yazid ibn Abu `Ubaid berichtete: „Ich fragte Salama: „Für was habt ihr dem Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, am Tag von Hudaibiyya den Treueeid geleistet?“ Er sagte: „Für den Tod!“ (Buhārī) `Ubada ibn As-Samit berichtete: „Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte zu uns in einer Versammlung: „Leistet mir den Treueschwur, dass ihr Allah weder etwas zur Seite stellt, noch stehlt, noch Unzucht begeht, noch eure Kinder tötet, noch Schändlichkeiten durch eure Hände und Beine begeht und dass ihr euch bezüglich der guten Werke nicht ungehorsam verhaltet. Wer von euch dies erfüllt, der hat seinen Lohn von Allah zu erwarten und wer immer etwas davon begeht und dafür eine Strafe in dieser Welt erleidet, so gilt diese als eine Sühne dafür. Begeht einer aber eine Tat davon und wird von Allah vor der Öffentlichkeit geschützt, so ist das Urteil bei Allah: Wenn Er will, bestraft Er ihn, und wenn Er will, vergibt Er ihm.“ So haben wir ihm aufgrund dessen den Treueschwur geleistet.“ (Buhārī) Abdullah ibn ’Umar berichtet, dass er den Gesandten Allahs sagen hörte: „Wer seine Hand aus dem Gehorsam zieht, der trifft Allah am Tage der Auferstehung ohne Entschuldigung, und wer stirbt ohne im Nacken eine Bai’a zu tragen, der stirbt einen Tod der Ğahiliyya (Unwissenheit).“ (Muslim).

Die Wahl und Ablegung des Eides wird von allen erwachsenen Mitgliedern der Gemeinschaft, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, in freier und gleicher Weise durchgeführt. „O Prophet! Wenn gläubige Frauen zu dir kommen um dir die Bai’a (Eid) zu leisten, dass sie Allah nichts beigesellen, nicht stehlen, keine Unzucht begehen, ihre Kinder nicht töten, kein erlogenes Unrecht zu ihren Händen und Beinen begehen und sich dir in nichts, was rechtens ist, widersetzen, dann nimm ihre Bai’a entgegen.“ (Qur’an 60/12).

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Grundlagen der Islamischen Staatsführung `Aischa (r.a.) berichtete: Diejenigen, unter den gläubigen Frauen, die sich dazu verpflichtet hatten, die haben den rechtmäßigen Treueid geleistet. Immer wenn die Frauen ihren Treueid darauf leisteten, sagte ihnen der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm: Geht los! Ich nehme euren Treueid an. Bei Allah, es geschah zu keiner Zeit, dass die Hand des Gesandten Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, beim Leisten des Treueids, die Hand einer (fremden) Frau berührt hat. Das geschah aber nur mündlich. `Aischa berichtete weiter: Bei Allah, der Gesandte Allahs, ließ die Frauen keinen Treueid ablegen, außer zu dem, was Allah, der Erhabene, ihm befahl, und bei Allah, seine Handfläche berührte keine Handfläche einer Frau. Wenn er ihren Treueid annahm, sagte er zu ihnen: Ich habe euren Treueid mündlich angenommen. (Muslim)

1.8 Die Nachfolgeregelung In weiterer Folge muss nach jedem Ausscheiden eines Kalifen aus dem Amt innerhalb kurzer Zeit, am besten innerhalb der nächsten drei Tage und drei Nächte, ein Nachfolger gewählt und angelobt werden, damit die Zeit der Unsicherheit nicht lang dauert und die Muslime sich nicht spalten und dadurch geschwächt werden. Der Kalif ’Umar (r.a.) sagte: „Wenn ich gestorben bin, dann beratet euch drei Tage lang. […] Der vierte Tag darf aber nicht anbrechen, ohne, dass ein Befehlshaber über euch feststeht.“6

Der Nachfolger kann wieder auf die gleiche Art und Weise gewählt werden, entweder direkt oder indirekt vom Volk. In diesem Zusammenhang sei folgende Überlieferung

6

Aus ’Abdu-l-Qadim Zallum, Das Regierungssystem im Islam, 87; basierend auf Taquiyyu-d-Din an-Nabhani.

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Die Nachfolgeregelung des Kalifen und Gefährten des Propheten (s.a.w.s.) ’Umar (r.a.) erwähnt: `Abdullah ibn `Umar, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: Es wurde `Umar gesagt: Wirst du keinen Nachfolger ernennen? Er erwiderte: Ernenne ich einen Nachfolger, dann werde ich es so machen, weil jemand besser als ich, und zwar Abu Bakr, einen Nachfolger ernannt hat. Ernenne ich keinen, dann werde ich es machen, weil jemand besser als ich, und zwar der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, es so gemacht hat. Der Überlieferer fügte hinzu: Als `Umar den Gesandten Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, erwähnt hatte, erkannte ich, dass er keinen Nachfolger ernennen wird. (Muslim Nr. 3399)

Hier muss darauf hingewiesen werden, dass die Ernennung eines Nachfolgers keine verbindliche ist, sondern ein wertender und zu berücksichtigender Vorschlag, schließlich ersetzt die Ernennung nicht die Anerkennung durch das Volk, die Legitimation, und die Leistung des freiwilligen TreueEides. Aus der obigen Überlieferung lässt sich auch auf die Bevorzugung der Nichterwähnung eines Nachfolgevorschlages schließen. Zudem muss man wissen, dass Abu Bakr ’Umar (r.a.) nicht einfach zum Nachfolger erklärt hat, sondern, dass er zuvor prüfen ließ, ob die Mehrheit hinter ihm steht. Ebenso erfolgte eine Frage an die Bürger, ob sie die Auswahl anerkennen würden. Die Auswahl ersetzt(e) somit nicht die Zustimmung des Volkes.7

7

Vergleiche z.B. die Ausführungen im Skriptum von Shehzad Saleem, Understanding Islamic Political Directives, http://www.studyingislam.org; vergleiche ebenso Fazl, Ahmad, Die Rechtgeleiteten Kalifen, 29 ff., Islamische Bibliothek.

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Grundlagen der Islamischen Staatsführung

1.9 Anforderungen Anforderungen an den Kalifen Der Kalifatsanwärter sollte folgende Bedingungen erfüllen: erwachsen; frei; Muslim; Vollbesitz der geistigen Kräfte; ausreichende gesundheitlicher Eignung; Rechtschaffenheit. Im Vordergrund steht sein religiöser Charakter; nach dem Vorbild der Auswahl der rechtschaffenen Kalifen (r.a.) nach dem Tode des Propheten (s.a.w.s.). „Und Allah wird den Ungläubigen über die Gläubigen niemals Macht gewähren.“ (Qur’an 4/141) „Von dreien ist die Feder enthoben worden: Vom Kind, bis es geschlechtsreif wird, vom Schlafenden, bis er aufwacht, und vom Irren bis er zu Sinnen kommt.“ (Abū Dawūd von ’Alī ibn Abī Tālib). „Und wahrlich, richte unter ihnen nach dem, was Allah herab gesandt hat.“ (Qur’an 5/48). „Wer uns betrügt ist keiner von uns.“ (Muslim). “Möge Allah beide verfluchen, denjenigen der Schmiergeld zahlt und denjenigen, der es annimmt.“ (Ibn Hibban). „Und diejenigen, die gläubigen Männern und gläubigen Frauen ungerechterweise Ungemach zufügen, laden gewiss (die Schuld) der Verleumdung und eine offenkundige Sünde auf sich.“ (Qur’an 33/58). Al-Hasan berichtete: „Wir statteten Ma`qil ibn Yasar einen Krankenbesuch ab, währenddessen `Ubaidullah zu uns herein trat. Ma`qil sagte zu ihm: „Ich will dir von einem Hadith berichten, den ich vom Gesandten Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, gehört habe, in dem er sagte: „Es gibt keinen Machthaber, der über ein muslimisches Volk regiert und stirbt, nachdem er es betrogen hatte, ohne dass Allah ihm das Paradies verwehrt.“ (Muslim) Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: Der Prophet, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: Der Imam ist ein Schutz, man kämpft hinter ihm und sucht Schutz bei ihm. Wenn er dann zur

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Die Absetzung des Kalifen Taqwa (Allahs Furcht) aufruft und recht handelt, bekommt er seinen Lohn dafür. Wenn er aber anders handelt, wird er die Konsequenzen tragen müssen. (Muslim 3428)

Es ist strittig, ob der Kalif ein Mudschtehid sein muss, also jemand, der die Eignung und das Wissen besitzt, selbstständig rechtliche Ableitungen aus den Quellen des islamischen Rechts durchzuführen (Idschtihād). Die herrschende Ansicht sieht es nicht für erforderlich an, wenn seine Berater bzw. nahe stehenden Minister ausreichend qualifiziert sind. Er sollte aber zumindest rechtskundig sein, weil er sonst auch nicht wüsste, wie er die unterschiedlichen Meinungen der islamischen Rechtsgelehrten abwägen sollte. Er sollte auch mit den Entwicklungen und Problemen des jeweiligen Zeitalters vertraut sein, um seine Geschäfte verantwortungsvoll wahrnehmen zu können. Denn jemand, dem die Probleme nicht bewusst sind, der kann sie auch nicht lösen.

1.10 Die Absetzung Absetzung des Kalifen Sollte eine der Ernennungsvoraussetzungen wegfallen, kann der Kalif abgesetzt werden. Jedenfalls ist dies durch das Oberste Gericht möglich (Mazālim-Gericht), zudem wäre es sinnvoll, die Klagemöglichkeit für die Absetzung des Kalifen einem Gremium zu übertragen, das aus verdienstvollen Gelehrten der islamischen Wissenschaften besteht; dieser sei in Folge „Oberster Justizrat“ genannt. Auch sollte es möglich sein, auf Beschluss der Mehrheit der Volksvertretung (Parlament), eine Klage gegen den Kalifen, auf Überprüfung der Eignung, einzureichen. Denn wenn eine solche Mehrheit zustande kommt, spricht viel für das Bestehen eines ernsthaften Verdachts gegen den Kalifen, weswegen es für das friedliche Weiterleben besser wäre, wenn dieser Verdacht durch ein 29

Grundlagen der Islamischen Staatsführung unabhängiges Gericht überprüft wird. Niemals kann eine Absetzung bzw. ein Vorgehen gegen den Kalifen willkürlich oder auf eigene Initiative erfolgen, sondern erfordert das Befassen des Gerichts mit der Angelegenheit. Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Abu Dharr, was tust du bei Statthaltern, die diese Beutegabe an sich reißen und dich ausschließen?“ Er antwortete: „Bei dem der dich mit der Wahrheit entsandte, ich lege mein Schwert auf die Schulter und kämpfe damit, bis ich dich erreiche.“ Der Gesandte sprach: „Soll ich dir etwas raten, was besser für dich ist? Übe dich in Geduld bis du auf mich triffst!“ (Ahmad, Abū Dāwūd)

Das zuständige Gericht kann über die Absetzung des Kalifen wegen Wegfalls der Eignung bzw. wegen Begehung offensichtlichen Unrechts gegenüber den Menschen, durch ein Verhalten, das nicht gerechtfertigt werden kann und daher zum Wegfall der Rechtschaffenheit als Voraussetzung führt, nach dem Maßstab der Scharia entscheiden. „Und wenn ihr in einer Angelegenheit streitig seid, so führt es auf Allah und seinen Gesandten zurück.“ (Qur’an 4/59). ´Alī, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: „Der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, entsandte eine Kampftruppe, setzte über sie einen Mann aus den Ansar ein und gab den Leuten seine Anweisungen dazu, dass sie ihm Gehorsam leisten sollen. Später wurde dieser zornig über sie und sagte: „Seid ihr nicht vom Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, dazu verpflichtet, mir Gehorsam zu leisten?“ Die Leute sagten: „Doch!“ Der Mann sagte: „Dann befehle ich euch Brennholz zu sammeln, Feuer anzuzünden und in dieses hineinzutreten!“ Die Leute sammelten das Brennholz, zündeten das Feuer, und als sie beinah dabei waren, in dieses hineinzutreten, blieben einige von ihnen stehen, schauten sich gegenseitig an und sagten: „Wir folgten wahrlich dem Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, um vor dem Feuer zu entfliehen. Sollen wir nun in dieses hineintreten?“ Während dessen ging das Feuer aus, und der Zorn des Mannes ließ nach. Als er dies dem Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, berichtete, sagte er: „Wenn sie ins Feuer gegangen wären, wären sie nicht aus ihm herausgekommen! Gehorsam ist nur im guten Sinne.“

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Die Absetzung des Kalifen Das richten nach einem Gesetz, das nicht dem Gesetz Allahs (s.w.t.) entspricht, führt nicht automatisch dazu, dass ein muslimischer Herrscher vom Islam abfällt. Seine Anweisungen müssen also weiterhin befolgt werden (solange sie keine Sünde im persönlichen Bereich bedeuten würden), bis der Herrscher rechtmäßig abgesetzt worden ist. Ali ibn Abi Talha berichtet von Ibn Abbas, dass dieser über „Und wer nicht nach dem richtet, was Allah herabgesandt hat – das sind die Kafirūn. (Qur’an 5/44)“ folgendes gesagt hat: „Wer das abstreitet, was Allah herabgesandt hat, der hat Kufr begangen, d. h. ist aus dem Islam ausgetreten. Wer bestätigt, dass dies die Wahrheit ist, sich jedoch nicht daran richtet, der ist ein Ungerechter (arab. dhalim) bzw. ein Unterdrücker und ein Frevler (arab. fāsiq).“ (Tabari) Tāwūs berichtet, dass Ibn Abbas über „Und wer nicht nach dem richtet, was Allah herabgesandt hat – das sind die Kafirūn. (Qur’an 5/44)“ folgendes gesagt hat: „Er begeht dadurch Kufr … Jedoch ist es eine Art des Kufr, durch den man nicht aus der Religion (des Islam) austritt.“ (AlHakim; Dhahabi und Albani erklären die Überlieferung [Hadith] für gesund [sahih])8

8

Entnommen aus Mourad, Erläuterungen des Koran (Tafsīr), Band III, 123 f. Dort heißt es schlussfolgernd: „Diese Aussagen beinhalten also u.a. Folgendes: Wenn ein heutiger muslimischer Herrscher in einem muslimischen Land zwar an das Gesetz Allahs glaubt und dies auch für die Wahrheit hält, jedoch aus Schwäche oder z.B. aufgrund von Druck einer ausländischen Macht nicht nach dem Gesetz Allahs richtet, dann begeht er zwar eine sehr große Sünde, ist aber immer noch Muslim. Ein Herrscher hat eine besonders große Verantwortung, weil durch seinen Regierungsstil das Volk entweder Nutzen hat oder leidet. Aus diesem Grund wird wohl die Sünde, dass der muslimische Herrscher nicht nach

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Grundlagen der Islamischen Staatsführung Unter welchen Umständen bewaffneter Aufstand und Rebellion gegen das Staatsoberhaupt schariarechtlich zulässig sind, ist strittig. Die Mehrheit der Gelehrten geht aber davon aus, dass ein bewaffneter Aufstand nicht zulässig ist, solange das Staatsoberhaupt noch als Muslim betrachtet werden kann und nicht sichergestellt werden kann, dass die Mehrheit der Bevölkerung nach dem Sturz ein stabiles Regime errichten kann.9 Schließlich ist eine schlechte Ordnung besser als Anarchie.10 Von der Frage nach dem Recht zum Aufstand ist aber die Frage nach dem Recht zum Ungehorsam zu unterscheiden: Der Muslim schuldet keinen Gehorsam, wenn ihm etwas befohlen wird, was mit der Scharia unvereinbar ist.

1.11 Der Anspruch des Stammes der Quraisch auf

die Staatsführung Teilweise wird darüber gestritten, ob der Kalif dem Stamme der Quraisch angehören muss. Diese Diskussion gründet u.a. auf folgenden Überlieferungen:

dem Gesetz Allahs richtet, als Kufr bezeichnet. Und Allah weiß es besser.“ 9 Vergleiche hierzu folgende Fatwas: Dr. Ahmad Sa’eed Hawwa/ Dr. Mahmoud ’Akkam, Overthrowing an Opressive Ruler, 29.04.2003; Group of Muftis, Rebelling against Deviated Rulers, 20.07.2002, http://www.islamonline.net. 10 Vergleiche folgende Fatwa: Group of Muftis, Backing the US-led War on Iraq to Remove “Dictatorship”, 20.03.2003, http://www.islamonline.net.

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Der Anspruch des Stammes der Quraisch auf die Staatsführung Abdullah ibn `Umar, Allahs Wohlgefallen auf beiden, berichtete; Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: Das Kalifentum wird immer den Quraisch gebühren, auch wenn nur zwei Personen auf der Erde bleiben. (Muslim 3392) Dschabir ibn Samra, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: „Ich hört. dass der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Die Angelegenheit der Menschen wird solange gut verwaltet (wörtlich: läuft ohne Komplikationen, arab. mādian), solange über sie 12 Männer eingesetzt sind.“ Dann sprach der Prophet (s.a.w.s.) etwas, was ich nicht hörte. Daraufhin fragte ich meinen Vater: Was hat der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) gesagt?“, worauf er sagte: (Der Prophet (s.a.w.s.) sagte:) „Alle sind von den Quraisch.“ (Buhari) Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete; Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: „Die Herrschaft über die Leute (d.h. die Araber) gebührt den Quraisch: Die Muslime der Quraisch sind den Muslimen der Quraisch unterworfen, und die Ungläubigen der Quraisch sind den Ungläubigen der Quraisch unterworfen.“ (Muslim Nr. 3389)

Aus diesen Überlieferungen folgt aber nicht, dass nur die Leute aus dem Stamm der Quraisch Befehlsgewalt innehaben dürfen, denn der Prophet (s.a.w.s.) übertrug die Befehlsgewalt sehr oft an Personen anderer Stämme und seine Auswahl folgte nur der Eignung (etwa Abdullah ibn Rawaha, Usama ibn Zaid oder Zaid ibn Haritha). Zudem sind die relevanten Überlieferungen in diesem Zusammenhang in der Mitteilungsform gehalten und nicht im Imperativ.11 Unter Zugrundelegung des Verhaltens der Prophetengefährten schließt die herrschende Ansicht, dass es nicht verbindlich ist, 11

Für sich alleine begründet diese Tatsache allerdings nicht die Unverbindlichkeit.

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Grundlagen der Islamischen Staatsführung dass der Kalif aus dem Stamm der Quraisch ist, dies widerspräche auch dem Grundsatz des Islam, dass lediglich die Qualifikation und die Gottesfurcht zählt und nicht die Verwandtschaft oder die Freundschaft.12 Ebenso wird gegen diejenigen argumentiert, die meinen, der Kalif müsse aus der Sippe des Propheten (s.a.w.s.) stammen, somit ein Haschimit sein. Die ersten drei (rechtschaffenen) Kalifen Abu Bakr, ’Umar, ’Uthman gehörten nicht zur Sippe des Propheten (s.a.w.s.) und ihnen wurde allesamt der Treue-Eid geleistet und somit die Rechtmäßigkeit der Herrschaft durch einen Konsens der Prophetengefährten bestätigt. Die angeführten Überlieferungen können höchstens als Beleg für eine Vorzugseigenschaft eines Kalifen-Kandidaten dienen. Besonders hingewiesen sei noch auf folgende Überlieferung: Abu Musa, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: Ich trat mit zwei von meinen Vettern bei dem Propheten, Allahs Segen und Heil auf ihm, ein. Einer von ihnen sagte: Setze uns über einige Gebiete ein, über die Allah, der Erhabene und Ruhmreiche, dich zum Herrn gemacht hat! Der andere sagte auch wie der erste. Da sagte der Prophet: Bei Allah, wir geben diese Führerschaft nicht demjenigen, der danach verlangt, oder demjenigen, der sie begehrt. (Muslim 3402)

Man kann die obigen Überlieferungen zum Anspruch der Quraisch aber auch im Zusammenhang mit folgendem Qur’anvers betrachten: „[…] und deren Handlungsweise eine Sache gegenseitiger Beratung ist […]“ (Qur’an 42/38)

12

Vergleiche hierzu folgende Fatwa: Muzammil Siddiqi, How Leadership Is Decided in Islam, 24.10.2002, http://www.islamonline.net.

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Begrenzung der Anordnungsbefugnis des Kalifen Sieht man nämlich die diesem Qur’anvers entspringende Aussage darin, dass das islamische System auf gegenseitiger Konsultation beruht, sodass die Entscheidungen im Einvernehmen, und wenn kein Konsens hergestellt werden kann, dann auf Grundlage der Mehrheitsentscheidung getroffen werden, erklären sich die Überlieferungen fast von selbst und stützt die These, dass dem islamische System bindende Mehrheitsentscheidungen immanent sind. Die Quraisch waren nämlich der Stamm, der das meiste Ansehen unter den Arabern genoss, sodass davon ausgegangen werden konnte, dass ein Staatsoberhaupt aus dem Stamm der Quraisch die Anerkennung und den Rückhalt der Mehrheit der Bevölkerung genießen konnte. Daher ist es naheliegend, dass der Prophet (s.a.w.s.) auf diese Tatsache hinwies, um eine stabile Regierung zu gewährleisten.13

1.12 Begrenzung der Anordnungsbefugnis des Kalifen Der Kalif kann nur solche Anordnungen geben, die sich innerhalb der Scharia bewegen. „Und richte unter ihnen nach dem, was Allah herab gesandt hat!“ (Qur’an 5/49). Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Wenn der Befehl zu einer Sünde gegeben wird, so gibt es keinen Gehorsam“ (Buhārī, Muslim, Abu Dawūd, Tirmidhi, Nasā’i).

13

Vergleiche hierzu folgende Fatwa: Muzammil Siddiqi, Is It Necessary for Caliphs to be from Quraish?, 28.11.2002.

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Grundlagen der Islamischen Staatsführung Wo die Scharia Raum lässt, können im Interesse der Allgemeinheit und zum Gemeinwohl verbindliche Regelungen erlassen werden. „Und wenn ihr unter den Menschen richtet, so richtet mit Gerechtigkeit!“ (Qur’an 4/58). Von Zaid ibn Tabit: „Der Gesandte Gottes hat das doch auch nicht angeordnet! ’Umar sagte: Bei Gott, es wäre zum Wohl der Menschheit!“ (Buhāri).14

Meinungsunterschiede im Kernbereich der Scharia werden durch den Rechtsspruch des Kalifen beseitigt, der einen solchen erlässt, wenn dies im Allgemeininteresse notwendig ist. „Ihr Gläubigen! Gehorcht Allah und gehorcht dem Gesandten und denjenigen unter euch, die die Befehlsgewalt innehaben.“ (Qur’an 4/59). Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „[…] Einem Befehl darf nur Folge geleistet werden, wenn er im Einklang mit Recht und Gesetz steht.“ (Buhāri) „[…] und dass wir die Befehlsgewalt denjenigen, die sie innehaben nicht streitig machen. Er sagte: ’Es sei denn, ihr seht einen offenkundigen Kufr (Unglauben), für den ihr von Allah einen definitiven Beweis habt.’ (Al-Buhārī von ’Ubāda ibn al-Sāmit).

Sein Rechtsspruch ist für alle bindend, auch wenn es nicht der persönlichen Überzeugung entspricht, außer es handelt sich um offenkundiges Unrecht. Ibn `Umar, Allahs Wohlgefallen auf beiden, berichtete; Der Prophet, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: „Hören und Gehorchen ist jedem muslimischen Menschen zur Pflicht, was er mag oder hasst, solange

14

Hier ging es um die Erstellung einer Qur’anausgabe in Buchform.

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Begrenzung der Anordnungsbefugnis des Kalifen von ihm keine sündhafte Tat verlangt wird. Wird von ihm eine sündhafte Tat verlangt, so darf er nicht hören und gehorchen.“ (Muslim) Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Wem etwas an seinem Befehlshaber (Amīr) missfällt, der soll sich in Geduld üben, denn jeder der sich von der Herrschaft eine Handbreit loslöst und stirbt, stirbt den Tod der Ğahilīyya (Unwissenheit).“ (Muslim von ibn Abbās). Der Gesandte Allahs (s.a.w.s) sprach zudem: „Wenn der Befehl zu einer Sünde gegeben wird, so gibt es keinen Gehorsam“ (Buhārī, Muslim, Abu Dawūd, Tirmidhi, Nasā’i).

Der Kalif kann auch von seiner Meinung abgehen, wenn er zur Überzeugung erlangt, dass diese nicht richtig ist. Jeder Bürger ist daher aufgefordert, politisch an der Meinungsbildung des Kalifen durch Beratung und Zurechtweisung zu partizipieren. Der Prophet (s.a.w.s) sagte: „Und wenn du einen Eid geleistet hast und später erkennst, dass eine andere Vorgehensweise besser ist, dann tritt von deinem Eid zurück.“ (Buhāri).

Normative Akte und Urteile wirken aber nicht zurück, auch wenn sie für die Zukunft durch eine Änderung in der rechtlichen Ableitung verbindlich sind, sofern dies nicht den Quellen der Scharia entgegenläuft. Ibn Qudāma in Al-Muānī: „Wenn sich aber sein Iğtihād (eigenständiges rechtliches Ableiten von Vorschriften) ändert, ohne einem Offenbarungstext oder einer Iğma (übereinstimmender Konsens aller Rechtsgelehrten) zu widersprechen, oder sein Iğtihād dem eines Vorgängers widerspricht, so hebt er deswegen den früheren Rechtspruch nicht auf, weil die Gefährten dies übereinstimmend billigten (Konsens).“15

Rechtssprüche und Ideen in den Bereichen der Glaubenslehre (’Aqīda) und der gottesdienstliche Handlungen 15

Vergleiche ’Abdu-l-Qadim Zallum, Das Regierungssystem im Islam, 217; basierend auf Taquiyyu-d-Din an-Nabhani.

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Grundlagen der Islamischen Staatsführung (’Ibādāt) sind unzulässig und nicht bindend, es sei denn, es ist durch die Scharia gerechtfertigt. Hier erfolgt eine Trennung von Theologie und Staat. Das Oberhaupt des islamischen Staates ist kein Geistlicher und hat keine religiösen Vorrechte. Die Glaubenslehre ist durch das Buch Allahs (Qur’an) und die Sunna des Gesandten Allahs (s.a.w.s.) dargelegt. So etwas wie die Statthalterschaft der Rechtsgelehrten (wilayat-ul faqih), wie sie nach der iranischen Verfassung vorgesehen ist, lässt sich nicht ableiten. Die islamischen Rechtsgelehrten (fukāha) genießen zwar einen besonderen Status im Ansehen, dies rührt aber vom Respekt gegenüber jeglichem Wissen her und hat nichts mit der rechtlichen Vorrangstellung zu tun, die es nicht gibt. Usaid ibn Hudair, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: Ein Mann aus den Ansar (den Helfern) nahm den Gesandten Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, beiseite und sagte: Wirst du mich nicht mit einer Aufgabe (d.h. der Führerschaft) beauftragen, wie du Soundso mit einer beauftragt hast? Da sagte der Prophet: Ihr werdet nach mir sehen, dass es für manche Menschen gewisse Vorrechte geben wird, so harrt auf Geduld, bis ihr mir wieder (am Tage des Jüngsten Gerichts) am Becken begegnet seid.“ (Muslim)

Eine Vorrangstellung gibt es im Islam nur durch Frömmigkeit. Die Rechtsgelehrten im Iran sind in eine bestimmte Hierarchie eingegliedert, an deren Spitze tatsächlich so etwas ein geistlicher Führer steht, der den Gegensatz zum Präsidenten, quasi als weltlichem Führer, bildet. Eine solche Klerus-Führungsschicht widerspricht den Grundprinzipien der islamischen Denkweise und dem Vorbild des Propheten (s.a.w.s.) und seiner Gefährten (r.a.), die in den Kalifen politische Führer mit herausragender Stellung aufgrund ihres Charakters und ihrer Gottesfurcht sowie ihres Wissens, gesehen hatten, keineswegs jedoch geistliche Führer. Selbst der Prophet (s.a.w.s.) galt nicht als unfehlbar, wenn er als Mensch 38

Begrenzung der Anordnungsbefugnis des Kalifen handelte und richtete, es sei denn er hatte eine direkte Offenbarung von Allah (s.w.t.). Umm Salama, Allahs Wohlgefallen auf ihr, berichtete, dass der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, in seiner Eigenschaft als Richter16 sagte: „Ich bin nur ein Mensch, und zu mir kommen von euch Streitparteien. Es mag vorkommen, dass manche unter euch für deren Anliegen im Wort gewandter sind als die anderen, und somit gebe ich ein Urteil ab, das dem entspricht, was ich gehört habe. Zu wessen Gunsten ich dann etwas von dem Recht seines Bruders gebe, der soll es nicht annehmen

16

Hierzu ein Auszug aus Mourad/Toumi, Methodenlehre, 138 f.: Man kann die Aussagen und Taten des Propheten (s.a.s.) in folgende Kategorien einteilen: 1. Solche, die er als Gesandter Gottes bzw. als Rechtsgelehrter getätigt hat im letzteren Fall hat Allah ihn gegebenenfalls korrigiert, nämlich, falls er einen Fehler bzgl. einer Fatwa gemacht hat: Diese Taten und Aussagen des Propheten (s.a.s.) sind verbindlich für alle Muslime und sind Teil der göttlichen Rechtleitung. Man muss niemanden um Erlaubnis fragen, in diesen Taten und Aussagen dem Propheten (s.a.s.) zu folgen. Beispiele: Gottesdienstliche Handlungen und alle anderen religiösen Fiqhhandlungen 2. Solche, die er als Führer (arab. imam) getätigt hat. Hierbei hat er als gewöhnlicher Mensch in einer Position des Führers einer Gemeinschaft gehandelt. Diese Taten darf man als Muslim nur dann dem Propheten (s.a.s.) nachmachen, wenn der Führer der islamischen Gemeinschaft, in der man ist, die Erlaubnis dazu gibt, da es sich um organisatorische Vorgehensweisen handelt, bei denen der Prophet (s.a.s.) als oberster Führer die Freiheit des Handelns hatte, wobei er nur an die Gesetze Allahs gebunden war und keinem Befehlshaber untergeordnet war. Will aber ein Muslim, der nicht der oberste Führer ist, ebenso handeln, muss er vorher die Erlaubnis seines Führers einholen. Beispiele: Das Aussenden von Armeen, das Verteilen von Staatsgeldern, das Einsetzen von Statthaltern usw. 3. Solche, die der Prophet (s.a.s.) als Richter tätigte. Hier gilt entsprechend das, was unter 2. bzgl. des Führers gesagt wurde. Beispiele: Wenn der Prophet (s.a.s.) bzgl. Streitigkeiten zwischen den Prophetengefährten gerichtet hat aufgrund des Wissens, das er im Rahmen einer Gerichtsverhandlung hatte.

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Grundlagen der Islamischen Staatsführung denn ich gebe ihm damit nichts anderes als ein Stück Glut aus dem Höllenfeuer.“ (Buhārī Nr. 7169)

1.13 Grundrechte im Islamischen Staat Alle Bürger des islamischen Staates genießen im Rahmen der Scharia gleiche Rechte und Pflichten. Kein Staatsbürger darf irgendeines durch die Scharia eingeräumten Rechts beraubt werden. Es ist verboten, bei der Wahrnehmung sämtlicher staatlicher Angelegenheiten, diskriminierend vorzugehen. Es dürfen keine Unterschiede bei der Hautfarbe, Volkszugehörigkeit, Religion, Geschlecht, politischer Zugehörigkeit, sozialem Status etc. gemacht werden, außer dies ist sachlich gerechtfertigt und in der Scharia begründet. Es gibt keinen Vorzug eines Menschen über einen anderen, außer durch Frömmigkeit und gute Werke. Hierzu einige Belege: Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Der Araber hat keinen Vorrang vor dem Nichtaraber, der Nichtaraber keinen vor dem Araber, nicht der Hellhäutige vor dem Dunkelhäutigen, nicht der Dunkelhäutige vor dem Hellhäutigen, außer durch die Frömmigkeit“ (Rede bei der Abschiedspilgerfahrt). „O ihr, die ihr glaubt, seid fest in Wahrung der Gerechtigkeit und Zeugen für Allah, mag es auch gegen euch selbst oder gegen Eltern und Verwandte sein. Ob Reicher oder Armer, Allah hat über beide mehr Rechte.“ (Qur’an 4/135). „[…] Die ganze Menschheit stammt von Adam und Adam wurde aus Lehm geschaffen.“ (Abu Dawūd). Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Sie (die Nicht-Muslime) haben die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten.“ (Imam Malik in Muwatta). Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Beleidigst du diesen Mann aufgrund seiner eigenen (schwarzen) Mutter? Wahrlich du besitzt immer noch einige Gewohnheiten aus der vorislamischen Zeit. Sie ist vorbei. Sie

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Grundrechte im Islamischen Staat ist vorbei. Es gibt keine besondere Tugend oder Wert des Sohnes einer weißen Frau über den einer Schwarzen außer in der Frömmigkeit und Rechtschaffenheit oder in ihren guten Taten und Handlungen.“ (Ahmad) „O ihr Menschen, wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen und zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander erkennen möget. Wahrlich der Angesehenste von euch vor Allah ist der Gottesfürchtigste. Wahrlich Allah ist allwissend, allkundig.“ (Qur’an 49/13).

Jeder Mensch hat im Rahmen der Rechtsordnung des islamischen Staates und der Prinzipien der Scharia insbesondere das Recht auf: Leben und Schutz der körperlichen Integrität zu Lebzeiten und nach dem Tode,  auf Gleichheit vor dem Gesetz,  ein gerechtes Verfahren und rechtliches Gehör,  Schutz des Vermögens,  Schutz der Privatsphäre,  der persönlichen Freiheit  und der eigenen Wohnung,  Schutz vor ungerechtfertigter Verfolgung  und Willkür,  Schutz der Ehre,  Glaubens- und Gewissensfreiheit und  Freiheit der Meinungsäußerung,  Protest und Auflehnung gegen Unterdrückung,  freie Wohnsitzwahl,  Familiengründung,  Schutz der Abstammung,  die Bildung von Vereinen und die Organisation 41

Grundlagen der Islamischen Staatsführung  und Abhaltung von Versammlungen,  Zuflucht vor Ungerechtigkeit,  Erleichterung in Härtefällen,  freie Bewegung und Aufenthalt,  soziale Gerechtigkeit,  die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse,  Erziehung und Bildung,  freie Berufswahl und -ausübung,  zu wählen und gewählt zu werden,  politische Partizipation und  Unschuldsvermutung. Hierzu einige Belege:17 „Wenn einer jemanden tötet, (und zwar) nicht für jemand anderen (der von diesem getötet wurde) oder (zur Strafe) für Unheil (das er) auf Erden (angerichtet hat), so soll es so sein, als ob er die ganze Menschheit getötet hätte, und wen einer jemanden am Leben erhält, so soll es sein, als ob er die Menschheit am Leben erhalten hätte.“ (Qur’an 5/32). Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Den Knochen eines Toten zu brechen ist ähnlich wie den Knochen eines Lebendigen zu brechen.“ (Abu Dawūd, Ibn Mağa, Ahmad). Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Wer ohne Recht etwas vom Boden wegnimmt, wird in ihm am Tag der Auferstehung bis zur tiefsten Hölle versinken.“ (Buhārī). 17

Vergleiche auch folgende Fatwa: IOL Shari’ah Researchers, Rights of Citizens in an Islamic State, 29.06.2002, Bezug nehmend auf einen Artikel zu diesem Thema, veröffentlicht von: The Institute of Islamic Information and Education, http://www.islamonline.net.

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Grundrechte im Islamischen Staat „Der Gesandte Gottes - Gott segne ihn und schenke ihm Heil! wurde gefragt: Welcher Ğihad ist am besten? Er sagte: Ein Wort der Wahrheit bei einem despotischen Herrscher“ (Nasa’i, Tirmidhi). Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Jede Frau, die fälschlicherweise ein Kind zu ihrem Haushalt als wahres Kind ihres Ehemannes hinzunimmt, wird nicht als Gläubige angesehen. Ferner wird Allah einer solchen Frau nicht erlauben, das Paradies (Ğennah) zu betreten. Jeder Mann, der fälschlicherweise seinen Sohn ablehnt, während er ihn doch sieht, dem wird Allah eine Grenze zwischen Sich und ihm bauen. […].“ (Abu Dawud, Nesa’i). Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Euer Blut, eure Güter und eure Ehre sind unverletzlich […].“ (Rede bei der Abschiedspilgerfahrt) „Und wenn einer von den Heiden dich um Schutz angeht, dann gewähre ihm Schutz, damit er das Wort Gottes hören kann! Hierauf lass ihn (unbehelligt) dahin gelangen, wo er in Sicherheit ist.“ (Qur’an 9/6). „Und alle werden nach dem eingestuft, was sie getan haben.“ (Qur’an 46/19). „Ihr Menschen! Fürchtet euren Herrn, der euch aus einem einzigen Wesen geschaffen hat, und aus ihm das ihm entsprechende andere Wesen, und der aus ihnen beiden viele Männer und Frauen hat hervorgehen lassen.“ (Qur’an 4/1). Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Der Anwesende soll den Abwesenden unterrichten.“ (Rede bei der Abschiedspilgerfahrt) „Er ist es, der euch die Erde untertan gemacht hat. Geht auf ihren Schultern umher und esst von dem, was er beschert hat.“ (Qur’an 67/15) „War denn die Erde Gottes nicht weit genug, so dass ihr darauf hättet auswandern können?“ (Qur’an 4/97).

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Grundlagen der Islamischen Staatsführung Die Würde des Menschen ist geschützt und jedes Gesetz, jede Verordnung sowie jede Anordnung im islamischen Staat, die die Menschenwürde verletzt, ist nichtig.18 Der islamische Staat ist weder ein totalitärer Unterdrückerstaat, noch ein Polizeistaat. Militär und Sicherheitsbehörden haben die Schranken der Grundrechte beim Umgang mit Bürgern zu beachten. Die Befugnisse der Exekutive sollten im islamischen Staat am besten per Verordnung ausführlich geregelt sein, damit es zu keinen Ausschreitungen kommt. „Und in Anbetracht der Barmherzigkeit Allahs warst du (Muhammed) mild zu ihnen; wärst du aber rau und harten Herzens gewesen, so wären sie dir davongelaufen. Darum vergib ihnen und bitte für sie um Verzeihung und ziehe sie in der Sache zu Rate; und wenn du dich entschlossen hast, dann vertraue auf Allah; denn wahrlich Allah liebt diejenigen, die auf ihn vertrauen.“ (Qur’an 3/159).

Die von der Rechtsordnung geschützten Güter sind gleichwertig, außer in Not- und Ausnahmesituationen, dann gehen nach der Logik Leben und körperliche Integrität sowie Freiheit dem Vermögen, der Ehre und anderen Gütern vor. Die Menschenwürde darf aber nicht im Kernbereich angetastet werden. Folter und Unterdrückung, egal ob physisch oder psychisch, sind nach der islamischen Rechtsordnung absolut unzulässig und werden strafrechtlich auf das Strengste verfolgt. Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Diejenigen, die Menschen in der Welt peinigen, wird Gott peinigen“ (Buhari, Muslim, Abu Dawud, Tirmidhi, Nasa’i).

Jeder Mensch hat das Recht auf Notwehr und für jeden gilt der Grundsatz „Not erlaubt Ausnahmen“. 18

Vergleiche Art. 7 b) Kairoer Erklärung der Islamischen Menschenrechte.

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Da’wa als Staatsaufgabe „Und es ist keine Sünde für euch, wenn ihr etwas versehentlich tut, sondern nur, wenn euer Herz etwas absichtlich tut“ (Qur’an 33/5).

Um Machtmissbrauch seitens der Exekutive zu verhindern und zu ahnden, könnte z.B. im islamischen Staat ein Beobachter direkt vom Volk gewählt werden, der die Handlungen der Polizei, Justizwache und des Militärs beobachtet und entsprechende Schritte zur Verfolgung von Ungerechtigkeiten, bei den Regenten und beim zuständigen Gericht (wenn es sich um Vorkommnisse in der Justiz handelt), einleitet.

1.14 Da’wa als Staatsaufgabe Es zählt zu den Hauptaufgaben des Staates die Grundfesten des islamischen Rechts zu bewahren und die Botschaft des Islam nach innen und nach außen zu tragen.19 Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „[…] ein Prophet wurde immer nur zu einem Volk entsandt, ich aber an die gesamte Menschheit.“ (Buhārī und Muslim).

Die islamische Lebensweise kann nur sichergestellt werden, wenn die Bürger den Islam praktizieren und wenn danach getrachtet wird, die islamische Gemeinschaft zu einigen. Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Wer von euch einen Platz in der Mitte des Paradieses haben will, der soll sich an die Gemeinschaft halten. Denn der Satan ist mit dem Einzelnen und er ist von zweien schon weiter weg.“ (Tirmidhi) 19

Vergleiche auch folgende Fatwa: Muzammil Siddiqi, The Obligation of Making Da’wah, 17.10.2002.

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Grundlagen der Islamischen Staatsführung Die Verkündung des Islam soll aber auf die beste Weise und durch gutes Beispiel, nämlich durch die Sicherstellung der Gerechtigkeit, erfolgen. „[…] Der Kalif Alī (Allahs Wohlgefallen sei auf ihm) verlor einmal seine Rüstung, welche er bei einem Christen wiederfand. Daraufhin brachten sie die Angelegenheit vor den Richter Schuraih. Ali sagte: „Die Rüstung ist meine, ich habe sie weder verkauft noch verschenkt.“ Daraufhin befragte Schuraih den Christen nach dem, was der Kalif gesagt hatte. Da sagte der Christ: „Die Rüstung ist meine. Der Befehlshaber der Mu’minun (d.h. der Kalif) ist jedoch für mich kein Lügner.“ Schuraih wandte sich daraufhin zu Ali und fragte ihn: „Hast du einen Beweis für deine Behauptung?“, woraufhin Ali lachte und sagte: „Schuraih hat richtig gerichtet, ich habe keinen Beweis.“ Daraufhin sprach der Richter dem Christen die Rüstung zu, weil sie sich in seinen Händen befand und Ali keinen Beweis erbracht hatte, dass die Rüstung dem Christen trotzdem nicht gehörte. Da nahm der Christ die Rüstung und ging weg. Er ging nur einige Schritte, kam dann zurück und sagte: „Ich bezeuge, dass dies Gesetze sind, nach denen Propheten richten. Der Kalif bringt mich zu dem von ihm eingesetzten Richter, der dann mir das Recht zuspricht gegen den Kalifen! Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah und dass Muhammad der Gesandte Allahs ist. Die Rüstung ist deine Rüstung o Kalif […] ich bin dem Heer gefolgt, als du von Siffin weggingst. Da ist die Rüstung von deinem Kamel gefallen.“ Daraufhin sagte Ali (Allahs Wohlgefallen sei auf ihm): „Da du nun Muslim geworden bist, soll die Rüstung dir gehören!“ (Ibn Kathir in Al-bidaya wan-nihaha [Der Anfang und das Ende]; Tirmidhi; Hakim)

Es gibt keinen Zwang im Glauben. Die islamische Denkweise darf den Menschen nicht aufgezwungen werden, etwa durch strenge Sittenwächter, die weitgehende Zwangsbefugnisse haben und die religiöse Moral mit Gewalt durchzusetzen versuchen. Die Maxime des Islam ist vielmehr Milde und gutes Vorbild, sowie Erleichterung für die Menschen.

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Staatsgrenzen/ Staatssymbole/ Sprachen „Hätte dein Herr es gewollt, dann wären alle auf Erden Gläubige geworden. Willst du also die Menschen dazu zwingen Gläubige zu werden? […]“ (Qur’an 10/99-100) „Und durch Barmherzigkeit von Allah warst du mild zu ihnen. Wärest du aber barsch und harten Herzens gewesen, dann wären sie bestimmt von dir weggelaufen […]“ (Qur’an 3/159) Abu Huraira berichtet in einer Überlieferung von Buhari: „Ein Wüstenaraber stand auf und urinierte in der Moschee. Als die Leute nach ihm griffen, sagte der Prophet (Allahs Segen du Heil auf ihm): „Lasst ihn und gießt einen Eimer Wasser – oder etwas mehr – auf seinen Urin; denn eure Aufgabe besteht darin, es den Menschen leichter zu machen, nicht es ihnen zu erschweren.““

1.15 Staatsgrenzen/ Staatssymbole/ Sprachen Die Grenzen des Staates, die Hauptstadt, die Flagge und das Wappen des Staates sind durch die islamischen Quellen nicht vorgegeben und können nach Notwendigkeit unterschiedlich festgelegt werden. Zur Zeit des Propheten (s.a.w.s.) wurden schwarze und weiße Fahnen benutzt. Die Hauptstadt des geschichtlichen Kalifats wurde mehrfach verlegt. Die arabische Sprache ist die Sprache des Qur’an, weswegen es empfehlenswert wäre, sie als offizielle Sprache des Staates und als Pflichtfach in den Schulen festzulegen. Jede Provinz (Wilāya) sollte aber zudem eine oder mehrere weitere Amtsprachen festlegen, in der/denen auch der Unterricht geführt werden darf, die sich nach den repräsentativen Volkssprachen in der Provinz richten. Sprachliche Minderheiten haben das Recht Privatschulen in ihrer Sprache zu führen. Die Unterschiede in den Sprachen sind ein Zeichen und eine Gnade Allahs, die es uns ermöglichen und anregen 47

Grundlagen der Islamischen Staatsführung sollen, uns gegenseitig besser kennenzulernen. Es gibt keinen Vorzug eines Arabers vor einem Nichtaraber oder einen Vorzug irgendeiner Volksgruppe vor einer anderen, daher dürfen die Sprachen und Merkmale der Volksgruppen nicht zurückgedrängt werden, sondern müssen nebeneinander und in Verbindung mit einander existieren. Es ist nur deswegen sinnvoll, die arabische Sprache als offizielle Gesamtstaatsprache zu normieren, weil es besser ist, wenn sich die Bürger an jedem Ort des Staates verständigen können und weil dadurch sichergestellt wird, dass alle Muslime denselben Zugang zu den Quellen des Islam, dem Qur’an und der Überlieferungen des Propheten (s.a.w.s.) haben, wodurch ihre Ausbildung in ihrer Religion erleichtert wird. „Und zu seinen Zeichen gehört die Schöpfung der Himmel und der Erde und der Unterschied eurer Sprachen und Farben.“ (Qur’an Ar-Rum, 22)

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Rahmenbedingungen Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung

2.1 Die besondere Stellung des göttlichen Gesetzes Die Souveränität liegt weder beim Volk noch beim Kalifen, sondern einzig und allein im Gesetz, in der Scharia. Niemand, auch nicht der Kalif steht über dem Gesetz. Ein solches System, das die Ausübung der Herrschaft nur nach einem Regelwerk erlaubt, das dem Zugriff des Herrschers weitgehend entzogen ist, nennt man Nomokratie.20 Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Wer in dieser unserer Angelegenheit etwas neues hervorbringt, was nicht dazugehört, so ist es zurückzuweisen.“ (AlBuhārī und Muslim von Aischa).

Die Verantwortung für die Durchführung der Scharia liegt allerdings bei der Gemeinschaft (Umma) und die Regierung geht aus der Gemeinschaft hervor. „Das Beispiel der Gläubigen in ihrer gegenseitigen Liebe und Barmherzigkeit für einander ist wie das Beispiel eines Körpers: Wenn ein Teil des Körpers Schmerz erleidet, dann leidet der ganze Körper an Schlaflosigkeit und Fieber.“ (Buhārī Nr. 511, Muslim Nr. 2586)

Der islamische Staat ist ein menschlicher und kein theokratischer Staat.21 Die Theokratie beruht auf dem Gedanken der Herrschaft von Gottes Gnaden. Die Herrschaft 20

Griechisch nomos – das Gesetz und kratos - die Macht/Herrschaft, somit in der Bedeutung: Gesetzesherrschaft. Nomokratien waren grundsätzlich alle Staaten, die auf dem Gesetz Gottes gründeten, so auch der jüdische Staat. Vergleiche dazu Cohn, Marcus, Wörterbuch des Jüdischen Rechts (Neudruck 1980), - Jüdisches Staatsrecht. 21 Siehe hierzu: Fatwa von Sheikh Faysal Mawlawi, The Islamic State: Democratic or Theocratic?, 05.06.2003, http//www.islamonline.net.

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Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung im islamischen Staat wird jedoch nach dem schon bestehenden Gesetz, der Scharia, durchgeführt. Es werden keine göttlichen Rechtsnormen erlassen, es gilt nur das göttliche Recht zu interpretieren, wobei die Herrschenden nicht als unfehlbar gelten. Der Prophet (s.a.w.s.) sagte in seiner Eigenschaft als Richter22: „Ich bin nur ein Mensch und zu mir kommen von euch Streitparteien. Es mag vorkommen, dass manche unter euch für deren Anliegen im Wort gewandter sind als die anderen, und somit gebe ich ein Urteil ab, das dem entspricht, was ich gehört habe. Zu wessen Gunsten ich dann etwas von dem Recht seines Bruders gebe, der soll es nicht annehmen, denn ich gebe ihm damit nichts anderes als ein Stück Glut aus dem Höllenfeuer.“ (Buhārī Nr. 7169) Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Es gibt keinen Diener, der von Allah zum Herrscher über ein Volk gemacht wird und dann stirbt, nachdem er es betrogen hatte, ohne dass Allah ihm das Paradies verwehrt.“ (Muslim)

2.2 Das Regierungssystem 2.2.1

Charakteristiken Charakteristiken des Regierungssystems

Das Regierungssystem des islamischen Staates ist einheitlich mit föderativer Ausprägung. Die Gouverneure der Provinzen zur Zeit des Propheten (s.a.w.s.) und im nachfolgenden Kalifat regierten selbstständig, doch waren sie an Anweisungen des Propheten (s.a.w.s.) bzw. an Rechtssprüche des Kalifen gebunden, wenn solche aufgrund 22

Vergleiche hierzu die Ausführungen in Fn. 14 aus Mourad/Toumi, Methodenlehre, 138 f.

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Das Regierungssystem der allgemeinen Notwendigkeit festgelegt wurden. Es besteht jedoch keine Notwendigkeit für eine zentrale Verwaltung. Im Gegenteil, es ist sogar besser die Verwaltung in einem Vielvölkerstaat dezentral zu gestalten, damit diese von den Provinzen selbstständig durchgeführt wird, sodass die Menschen in keinem Gebiet das Gefühl haben sollen, es werde ihnen etwas bloß oktroyiert und ihnen die Selbstständigkeit abgenommen; denn das kann zu Autonomiebestrebungen und dies wieder zu Spaltung führen. 2.2.2 Die Regenten23

Regent auf Gesamtstaatsebene ist primär der Kalif. Zu den Regenten kann auch der persönliche von ihm ernannte bevollmächtigte Assistent (Großwesir) gerechnet werden. Dieser sei in der Folge zur leichteren Begrifflichkeit Ministerpräsident genannt. Der Staat gliedert sich in Provinzen (Wilāyāt), denen ein Gouverneur (Wālī) als Regent vorsteht und diese wiederum in Landkreise (’Imāla), deren Vorsteher z. B. als Statthalter bezeichnet werden könnten. Die Bezeichnungen sind jedoch irrelevant und können auch anders lauten. Fest steht, dass es sowohl zur Zeit des Propheten (s.a.w.s.), als auch während des Kalifats, solche Aufteilungen in Gebiete und Untergebiete gegeben hat und dass über sie Regenten eingesetzt wurden.

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Vergleiche zum Klassischen islamischen Regierungssystem; Prof. Tamara Sonn (University of South Florida), Political Authority in Classical Islamic Thought, http://www.islamonline.net.

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Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung Auf Gesamtstaatsebene ist in den Regierungsprozess jedenfalls noch die gewählte Volksvertretung, die man als Parlament (Mağlis asch-Schura) bezeichnet kann, als allgemeiner Repräsentant der Bevölkerung, eingebunden, sowie verschiedene Personen, mit Fachkenntnissen aus diversen Wissenszweigen. Letztere können hier als Minister (Wesire) bezeichnet werden. Diesen Ministern kann und sollten (hierzu weiter unten) weitere Personen beigegeben werden, hier seien sie als Staatsräte bezeichnet. Zudem wäre ein Oberster Justizrat (näheres weiter unten) in einem islamischen Staat der Gegenwart erforderlich. Es sollte auch auf Provinzialebene eine Volksvertretung (mit Provinzialräten) geben (aufgrund großer Flächen und zahlreicher Bevölkerung), genauso wie dem Statthalter etwa ein Kantonalrat bzw. Landkreisrat beigegeben sein sollte. Auf die einzelnen an der Regierung Beteiligten und die Rechtfertigung ihres Bestehens, wird weiter unten gesondert eingegangen.

2.2.3 Die Stellung der Provinzen

Den Provinzen und Landkreisen sollte weitest mögliche Selbstständigkeit in ihren Belangen gewährt werden, weil der islamische Staat kein Staat ist, der unterdrückt und die Völker Gelegenheit haben sollen, sich im Rahmen der Scharia auf gerechtfertigte Weise unterschiedlich zu entfalten und zu engagieren. Zudem ist es eine Bereicherung, wenn mit Problemen auf unterschiedliche Weise ungegangen wird, weil man so von einander lernen kann. Auch kennen die kleineren Gebietskörperschaften ihre Angelegenheiten und Besonderheiten wesentlich besser, als ein Vertreter auf Gesamtstaatsebene. 52

Das Regierungssystem Höherrangige Normen derogieren jedoch immer den Normen niederen Ranges, der Kalif ist schließlich der Letztverantwortliche für die Normsetzung und Wahrnehmung der Angelegenheiten der Bevölkerung. Wäre dem nicht so, würden sich die Provinzen immer mehr vom Gesamtstaat und damit vom Kalifen entfernen und entfremden und die rechtmäßige islamische Staatsführung würde zu einem Formalkriterium degradiert. Auch Gelehrte während der Zeit des islamischen Kalifats setzten sich für die Begrenzung der Macht der Provinzgouverneure und die Stärkung des Kalifen ein, so etwa Al Mawardi in seinem klassischen Werk „Al Ahkam al-Sultaniya“ (Die Regeln der Herrschaft).

2.2.4 Das Kriterium der Männlichkeit für Inhaber von Befehlsgewalt

Als dem Gesandten Allahs (s.a.w.s.) die Kunde kam, dass die Perser die Tochter von Kisra über sich als Königin eingesetzt haben, sagte er: „Ein Volk wird nicht erfolgreich sein, wenn es über ihre Angelegenheiten eine Frau einsetzt. (Buhāri) Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, ob diese Überlieferung allgemeingültig ist oder sich lediglich auf die konkrete Person (die Königstochter) bzw. auf die Herrschaft im engeren Sinne bezieht. Der Berichterstatter des obigen Hadith hat die Aussage des Propheten (s.a.w.s.) so verstanden, dass sie allgemeingültig ist. Aus diesem Grund nahm er auch Abstand vom Kampf auf der Seite Aischas (r.a.), obwohl er ihre Ansicht grundsätzlich teilte. As-San’ani sieht darin einen Beleg für das Verbot der Übernahme öffentlicher Verantwortung durch Frauen. Die Mehrheit der Gelehrten ist der Meinung, dass der Inhalt der Aussage auf die Herrschaftsausübung bzw. 53

Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung Regentschaft beschränkt ist.24 Demzufolge dürfen Frauen jedenfalls öffentliche Positionen besetzen, in denen es z. B. um repräsentative Aufgaben, um Verwaltungstätigkeiten, um Forschung, um Sicherstellung von Rechten etc. geht, denn es gibt keine Belege aus den Quellen der Scharia, die eine Unterscheidung (allgemein) rechtfertigen würden (dies gilt umso mehr für die Leitung von nicht-staatlichen Organisationen oder Unternehmen).25 Imam Tabari sagt, dass eine Frau in allen Angelegenheiten als Verantwortliche eingesetzt werden kann.26

2.2.5 Verantwortlichkeitsprinzip

Die Regenten sind dem Volk zur Rechenschaft verpflichtet. Die Volksversammlung hat die Pflicht, von den Regenten Rechenschaft zu fordern, denn sie nehmen diese Aufgabe repräsentativ wahr; die einzelnen Bürger haben das Recht, die Regenten zu Recht zu weisen (Fard Kifāya). Dies 24

Siehe zu diesem Themenbereich u.a. folgende Fatwas: Yusuf AlQaradawi, Woman Acting as a Judge, 21.06.2007; Zienab Mostafa, Can a Woman be a Nation’s Leader?, 07.02.2007; Yusuf Al-Qaradawi, Women holding Public Positions, 15.08.2005; Muzammil Siddiqi, Women in Leading Posts, 11.08.2005. Alle genannten Fatwas finden sich auf: http://www.islamonline.net. 25 In einer Fatwa von Zienab Mostafa (Can Woman be a Nation’s Leader?, 07.02.2007) heißt es: „[…] women can obviously be the head of any organization, whether Muslim or non-Muslim, and they can help in every field that develops humanity. The only reservation in this regard would be that they work in a lawful field.“, http://www.islamonline.net. 26 Vergleiche hierzu: Mourad, Samir, Fiqh II, Seite 258, DIDI.

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Das Regierungssystem ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz Gutes zu gebieten und Schlechtes zu verbieten.27 Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Der beste Ğihād ist ein rechtes Wort zu einem ungerechten Herrscher.“ (Ahmad von Abu Sa’id al-Hudri).

Zur Wahrnehmung der politischen Verantwortung können die Bürger Parteien, Gewerkschaften und Vereine gründen. Dies kann aber aus der Verpflichtung zur gegenseitigen Beratung abgeleitet werden.28 Zusammenschlüsse verschiedener Interessengruppen bündeln die Stimmen ihrer Mitglieder und sorgen dafür, dass Argumente berücksichtigt werden, die möglicherweise unberücksichtigt blieben, wenn der Entscheidungsträger nicht von den Auswirkungen einer normativen Maßnahme selbst betroffen ist und daher auf manches nicht genügend Acht gibt. Wenn ein einzelner Mensch das Recht hat, auf Missverständnisse aufmerksam zu machen, sich für seine Interessen zu engagieren und an der politischen Meinungsbildung mitzuwirken, dann erst Recht eine Gruppe von gleich gesinnten Menschen, etwa eine Partei oder eine Gewerkschaft. Dazu bedarf es keiner staatlichen Genehmigung. Diese Vereinigungen dürfen in einem islamischen Staat konsequenterweise jedoch nicht gegen den Islam und die islamischen Glaubensgrundlagen (’Aqīda) gerichtet sein. „[…] und deren Angelegenheit in gegenseitiger Beratung steht.“ (Qur’an 42/48) „Und berate dich mit ihnen in der Angelegenheit“ (Qur’an 3/159)

27

Vergleiche auch: Fatwa von Muzammil Siddiqi, How Leadership is decided in Islam, 24.10.2002. 28 Siehe zur rechtsdogmatischen Begründung eingehend: Alibašić Ahmet, Pravo na političku opoziciju: istraživanje ambivalentnog naslijeña.

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Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung

2.3 Die Amtsstellung des Kalifen Der Kalif ist derjenige, der von der islamischen Gemeinschaft gewählt wird und dem die Ausführung der Scharia, der Schutz der Bevölkerung und ihrer Güter und die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben zustehen, wozu er auch verpflichtet ist. ’Auf ibn Mālik berichtet, dass der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Die besten unter eueren Imamen sind jene, die ihr liebt und die euch lieben, für die ihr betet und die für euch beten.“ (Muslim) „Der Imam ist ein Hüter und er ist für seine Bürger verantwortlich.“ (Buhari, Ahmad). „Wem die Führung über die Muslime anvertraut ist, sich dann vor ihnen verbirgt und ihre Bedürfnisse nicht beantwortet, Allah wird sich am Tag des Gerichts vor einem solchen Herrscher verstecken indem er ihn an seiner eigenen Armseligkeit und Bedürfnissen leiden lässt.“ (Abu Dawud). Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete; Der Prophet, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: Der Imam ist ein Schutzschild, man kämpft unter ihm und sucht Schutz bei ihm. Wenn er dann zur Taqwa (Allahs Furcht) aufruft und recht handelt, bekommt er seinen Lohn dafür. Wenn er aber anders handelt, wird er seine Konsequenzen tragen müssen. (Muslim Nr. 3428)

Er ist verantwortlich für die Innen- und Außenpolitik, er ist Oberbefehlshaber der Arme, erklärt Krieg und Frieden und schließt nach dem Vorbild des Propheten29 (s.a.w.s.) internationale (Friedens-) Verträge ab.30

29 30

Z.B. Vertrag von Hudaybiyya. Vergleiche: Fatwa von ’Atiyya Saqr, Separating Islam and Politics, 12.05.2003.

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Die Amtsstellung des Kalifen Al-Buhārī berichtet über Abdullah ibn ’Umar, dass dieser sagte: „Der Gesandte Allahs setzte bei der Schlacht von Mu’ta Zaid ibn HariŃa als Befehlshaber ein. Dann sagte er: Wenn Zaid fällt übernimmt Ğa’far das Kommando, sollte auch Ğa’far fallen, dann übernimmt das Kommando Abdullah ibn Rawāha.“

Der Kalif kann in einem zeitgemäßen islamischen Staat unter anderem den Ministerpräsidenten, den Obersten Richter (Justizminister) und die Provinzgouverneure ernennen. Wen auch immer der Kalif einsetzt, er muss die entsprechende Qualifikation aufweisen und seine Einsetzung muss begründet werden können. Der Kalif ’Umar (r.a.) sagte: „Wer einem Mann wegen seiner Verwandtschaft oder Freundschaft zwischen einander eine Herrschaft überträgt, obwohl er unter den Muslimen bessere findet, so hat er Allah, seinen Gesandten und die Gläubigen verraten.“ 31

Willkürliche oder rechtsmissbräuchliche Einsetzungen müssen daher aufgehoben werden können. Dazu könnte man z. B. folgende Regelung treffen: >Gerichtsbeschluss beziehungsweise Beschluss des Obersten Richters, Beschluss des Obersten Justizrates, 2/3 Beschluss der Volksvertretung (begründetes Misstrauensvotum).<

Es darf unter einer einheitlichen Gemeinschaft der Muslime nur einen Kalifen geben. Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Wer zu euch kommt, wenn ihr vereint hinter einem Manne steht, und versucht euere Einheit zu spalten oder euere Gemeinschaft zu zerstreuen, so tötet ihn.“ (Muslim) „Wer einem Imam die Bai’a (Eid) leistet, ihm seinen Handschlag gibt und die Furcht seines Herzens, dann soll er ihm gehorchen, so er dazu im

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Aus: ’Abdu-l-Qadim Zallum, Das Regierungssystem im Islam, 97; basierend auf Taquiyyu-d-Din an-Nabhani.

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Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung Stande ist. Wenn ein anderer kommt und ihm die Herrschaft streitig macht, so schlagt dem anderen den Kopf ab.“ (Muslim)

Der Kalif ist, genauso wie jeder Bürger, an das Gesetz gebunden. Er steht nicht über den Bürgern, sondern ist als ihr Vorsteher (Imam) primus inter pares (Erster unter Gleichen). „[…] Der Kalif Alī (Allahs Wohlgefallen sei auf ihm) verlor einmal seine Rüstung, welche er bei einem Christen wiederfand. Daraufhin brachten sie die Angelegenheit vor den Richter Schuraih. Ali sagte: „Die Rüstung ist meine, ich habe sie weder verkauft noch verschenkt.“ Daraufhin befragte Schuraih den Christen nach dem, was der Kalif gesagt hatte. Da sagte der Christ: „Die Rüstung ist meine. Der Befehlshaber der Mu’minun (d.h. der Kalif) ist jedoch für mich kein Lügner.“ Schuraih wandte sich daraufhin zu Ali und fragte ihn: „Hast du einen Beweis für deine Behauptung?“ , woraufhin Ali lachte und sagte: „Schuraih hat richtig gerichtet, ich habe keinen Beweis.“ Daraufhin sprach der Richter dem Christen die Rüstung zu, weil sie sich in seinen Händen befand und Ali keinen Beweis erbracht hatte, dass die Rüstung dem Christen trotzdem nicht gehörte. Da nahm der Christ die Rüstung und ging weg. Er ging nur einige Schritte, kam dann zurück und sagte: „Ich bezeuge, dass dies Gesetze sind, nach denen Propheten richten. Der Kalif bringt mich zu dem von ihm eingesetzten Richter, der dann mir das Recht zuspricht gegen den Kalifen! Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah und dass Muhammad der Gesandte Allahs ist. Die Rüstung ist deine Rüstung o Kalif […] ich bin dem Heer gefolgt, als du von Siffin weggingst. Da ist die Rüstung von deinem Kamel gefallen.“ Daraufhin sagte Ali (Allahs Wohlgefallen sei auf ihm): „Da du nun Muslim geworden bist, soll die Rüstung dir gehören!“ (Ibn Kathir in Al-bidaya wan-nihaha [Der Anfang und das Ende]; Tirmidhi; Hakim)

Die Amtsbezeichnung ist eine Respektsbezeichnung, jeder Bürger hat – nach dem Vorbild der vier rechtschaffenen Kalifen (Abu Bakr, ’Umar, ’Uthman, ’Alī) das Recht, den Kalifen mit seinem Namen anzusprechen. „Sprich: Ich bin doch nur ein Mensch wie ihr.“ (Qur’an 18/110).

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Ministerpräsident

2.4 Ministerpräsident Der Kalif kann einen bevollmächtigten Assistenten als Ministerpräsident ernennen.32 Dies entspricht auch der Praxis der Kalifen bzw. Sultane während des arabisch-islamischen und osmanischen Reiches, die für eine gewisse Zeitperiode Großwesire ernannt haben. Dieser sollte am besten vom Vorsteher des Obersten Justizrates bestätigt werden. Der Ministerpräsident sollte dieselben Ernennungsvoraussetzungen erfüllen, wie der Kalif. Er ist schließlich der persönliche Vertreter des Kalifen mit einer Art Generalvollmacht (im Gegensatz zu dem Fachministern, die nur über eine Vollmacht in Bezug auf ihr Fachressort verfügen). Er muss für die Aufgabe, die ihm der Kalif überträgt, geeignet sein. Er muss rechtskundig sein und sollte nach Möglichkeit ein Rechtsgelehrter sein. Die Vollmacht müsste öffentlich übertragen werden, damit die Bürger von ihr Kenntnis erlangen. Bei der Auswahl des Ministerpräsidenten sollte der Kalif sich an den realpolitischen Gegebenheiten in der Volksvertretung bzw. dem Parlament orientieren, damit eine gute Zusammenarbeit gewährleistet ist und damit sinnvolle politische Pläne der Mehrheit des Parlaments umgesetzt werden können. Der Ministerpräsident hat den Kalifen über sein Vorgehen zu informieren und ist ihm gegenüber weisungsgebunden. Der Kalif muss seine Handlungen prüfen nur er ist es, dem die Gemeinschaft die Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten übertragen hat, daher kann er diese Vollmacht

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Vergleiche ’Abdu-l-Qadim Zallum, Das Regierungssystem im Islam, 143; basierend auf Taquiyyu-d-Din an-Nabhani.

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Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung des Volkes nicht einfach weitergeben, ohne deren Einhaltung zu kontrollieren. Der Ministerpräsident hätte in einem islamischen Staat der Gegenwart als Bevollmächtigter die Verantwortung für die Regierung zu tragen und stünde dem Ministerrat vor, der sich aus der Gesamtheit der Minister und der ihnen beigegebenen Staatsräte zusammensetzt. Auch hätte er deren Arbeit zu überwachen. Er hätte die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Innerhalb eines vom Kalifen generell bestätigten Feldes (z.B. für den Erlass eines Gesetzes zu einem bestimmten Problembereich zu sorgen, eventuell unter Beachtung von bestimmten einschränkenden Kriterien) könnte der Ministerpräsident Gesetze und Verordnungen, die den üblichen Gesetzgebungsprozess durchlaufen, erlassen. Al-Hākim und al-Tirmidhi berichten von Abū Sa’īd al-Hudrī, dass dieser sagte: „Es sprach der Gesandte Allahs: Meine Assistenten unter den Himmelsbewohnern sind Ğibrīl und Mikā’īl, unter den Erdenbewohnern sind es Abū Bakr und ’Umar.“ Die Sahaba (Gefährten des Propheten s.a.w.s.) fragten Abu Bakr, der ’Umar als Assistenten eingesetzt hatte sogar: „Wir wissen nicht mehr, ist nun ’Umar der Kalif oder bist du es?“ „Und verschaffe mir aus meiner Familie einen Wesir (Helfer/Unterstützer).“ (Qur’an 20/29) Al Mawardi spricht in seinem Werk Al-Ahkam Al-Sultaniya von „der bevollmächtigten Assistenz“ (Wizaratu at-Tafwid), wenn der Imam jemanden zu Hilfe zieht, der zur Leitung der Angelegenheiten nach eigener Meinung und Rechtsansicht bevollmächtigt ist.33

33

Vergleiche ’Abdu-l-Qadim Zallum, Das Regierungssystem im Islam, 145; basierend auf Taquiyyu-d-Din an-Nabhani.

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Fachassistenten / Minister und Staatsräte

2.5 Fachassistenten / Minister und Staatsräte Als Minister (Wesire) können alle am Regierungsprozess systematisch beteiligten Helfer des Kalifen angesehen werden. Sie können heutzutage innerhalb der Richtlinien des Ministerpräsidenten mit der selbstständigen Leitung eines bestimmten anvertrauten Ressorts beauftragt werden und wären befugt, Verwaltungsanordnungen im Rahmen der Gesetze und koordiniert mit anderen Ressortchefs zu erlassen. Bei Konflikten zwischen den Ressorts könnte der Ministerpräsident entscheiden. In einem islamischen Staat der Gegenwart wäre etwa folgende Regelung sinnvoll: >Die Minister sind zur fachlichen Prüfung von Gesetzesvorschlägen durch die Volksvertretung / das Parlament verpflichtet und berechtigt, Gesetzes- und Verordnungsentwürfe zu erstellen. Sie haben zu diesem Zeck nach Bedarf nicht-ständige Fachgremien einzurichten und Gutachten von Experten durchführen zu lassen, auf deren Grundlage sie ihre Entscheidungen treffen bzw. Kommissionen zur Erarbeitung von Gesetzes- und Verordnungsvorschlägen einzusetzen. Kommissionen müssen eingesetzt werden, wenn es sich um umfassende Gesetzesbeziehungsweise Verordnungsvorschläge handelt, somit nicht um einzelne einfachere Bestimmungen. <

Der Verteidigungsminister sowie der Minister für Finanzen müssten vom Ministerpräsidenten oder direkt vom Kalifen beauftragt werden, weil es sich bei diesen beiden Ressorts um Kernaufgaben des Staates bzw. ihres Vorstehers (des Kalifen) handelt und dieser dafür verantwortlich ist. Wenn er die Befugnisse weiterleitet, dann muss das jemand sein, den er auswählen kann, vorausgesetzt die Qualifikation ist erfüllt. Der vom Kalifen eingesetzte Oberste Richter (Qādi al-Qudāt) kann heute als Minister für Justiz angesehen werden. Es ist aus der Praxis des Propheten (s.a.w.s.) und der vier rechtschaffenen Kalifen nach dem Tod des Propheten (s.a.w.s.) zu erkennen, dass der Prophet (s.a.w.s.) und die Kalifen (r.a.) als 61

Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung Oberbefehlshaber fungierten, genauso setzten sie auf eigene Initiative Richter ein und sorgten für die Kontrolle der Verwaltung der Finanzen bzw. beauftragten ihnen geeignet erscheinende Personen hiermit. Alle übrigen Minister (z. B. für Wirtschaft und Arbeit, Gesundheit und Soziales, Inneres, Energie, Verkehr und Infrastruktur etc.) könnten z.B. auf Vorschlag des Präsidenten des Parlaments (Volksvertretung) ernannt werden. Die Anzahl der Minister kann keinesfalls fix festgelegt werden und variiert, genauso wie die Einteilung der Ressorts, je nach Notwenigkeit. Zur Wahrung der inneren Sicherheit müssen Sicherheitsbehörden (Polizei) eingerichtet werden. Im islamischen Reich entwickelten sich früh Sicherheitskräfte und Marktaufseher (Muhtasib). Letztere kontrollierten die Einhaltung der Marktbestimmungen, z. B. Maße und Gewichte, Betrugsuntersuchungen etc. Die Zwangsbefugnis wird z. B. aus folgender Überlieferung abgeleitet, wo von einer Situation berichtet wird, in der der Prophet (s.a.w.s.) zum Schutze des Gemeinwohls durchgriff, und schlechte Nahrungsmittel, die unter guten lagen um sie zu verbergen, sichtbar machte, ohne für den Durchgriff ein Gerichtsverfahren durchzuführen: Abu Huraira (r.a.) berichtet, dass der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) an einem Haufen von aufgehäuften Nahrungsmitteln vorbeikam. Er steckte seine Hand in den Haufen und seine Finger fühlten etwas Feuchtes. Da sagte er: „Was ist das, o du Nahrungsmittelverkäufer?“ Dieser antwortete: „Es ist etwas Regen draufgekommen, o Gesandter Allahs.“ Da sagte Er: „Warum hast du dieses nicht nach oben drauf getan, damit die Kunden es sehen? Wer betrügt, der ist nicht von mir.“ (Muslim)

Die Polizei kann jedenfalls organisatorisch der zivilen Verwaltung des Innenministers unterliegen. Dieser wäre dann die oberste Verwaltungsinstanz in Sicherheitsfragen und für die 62

Fachassistenten / Minister und Staatsräte Organisation und Einteilung zuständig, würde aber nicht über die Exekutivgewalt der Polizei verfügen. Diese sollte in den Händen des vom Kalifen ernannten Sicherheitsbeauftragten als Polizeidirektor/Polizeichef/Polizeipräsident liegen, der direkt dem Befehl des Kalifen untersteht. Schließlich ist der Kalif der Oberbefehlshaber. Der islamische Staat hat dafür zu sorgen, dass die Organisation der Sicherheits- und Verteidigungseinrichtungen effizient ist. Das Niveau der Ausbildung muss hoch gehalten werden, ebenso wie die allgemeine Bildung und Moral. Die Polizei sollte am besten so organisiert sein, dass die Provinzen (Wilāyat) auch über einen Teil derselben direkt verfügen können. Als Ausgleich dafür, dass die zentralen Ministerposten vom Kalifen vergeben werden, könnte – um Missbrauch vorzubeugen – in einem islamischen Staat der Gegenwart folgende Regelung getroffen werden: >Jedem Minister kann ein vom Parlament (der Volksvertretung) gewählter Staatsrat (für Wirtschaft, für Finanzen, etc.) beigegeben werden. Der Staatsrat für Justiz wird direkt von der Bevölkerung gewählt [weil hier die größten und fatalsten Missstände zu befürchten sind]. Der Staatsrat hat die Tätigkeiten des Ministers zu überwachen und ihn zu unterstützen. Er hat die Allgemeininteressen zu vertreten und für eine ausgewogene Diskussion über Gesetzes- und Verordnungsentwürfe zu sorgen. Er hat auch für eine ausgewogene Besetzung der eingesetzten Fachkommissionen und beauftragten Gutachter, unter Berücksichtigung wichtiger Interessenvertretungen, zu sorgen. Die Staatsräte nehmen Teil an den Ministerratssitzungen und den Beratungen und Verhandlungen über die Annahme oder Ablehnung bzw. das weitere Vorgehen von/bei Gesetzesvorschlägen mit dem Kalifen oder dem Ministerpräsidenten. Der Staatsrat für Justiz ernennt die Staatsanwälte [weil die Richter vom Kalifen ernannt werden – dazu weiter unten]. < Abu Sa’id al Hudri berichtet, der Prophet (s.a.w.s.) habe gesagt: „Gott entsendet keinen Propheten und bestimmt niemanden zum Kalifen, der nicht zweierlei Vertraute und Berater hat. Die einen beraten ihn in aufrichtiger Weise und geben ihm wichtige Anregungen; die anderen geben

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Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung ihm schlechten Rat und verleiten ihn zu unrechtem Tun. Vor solch schlechtem Einfluss ist nur ein Herrscher geschützt, dem Allah der Erhabene beisteht.“ (Buhari) Aischa (r.a.) überliefert, dass der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: "Wenn Allah einem Herrscher Gutes will, so schenkt Er ihm einen aufrichtigen Berater, der ihn erinnert, wenn er vergisst, und der ihm hilft, wenn er sich erinnert. Und wenn ihm Allah etwas anderes will, so schenkt er ihm einen schlimmen Berater, der ihn nicht erinnert, wenn er vergisst, und ihm nicht hilft, wenn er sich erinnert." (Abu Dawud)

2.6 Das Parlament (Volksvertretung) und das Prinzip der Schūra Schūra Das Parlament (Madschlis asch-Schūra) ist jener Kreis von gewählten und entsandten Personen, die die Interessen und Meinungen der Bürger vertreten und die der Kalif zur Entscheidungsfindung konsultieren kann. Das Parlament wirkt maßgeblich am Normsetzungsprozess mit. „[…] und berate dich mit ihnen in der Angelegenheit. Doch wenn du dich entschlossen hast, dann vertraue auf Allah.“ (Qur’an 2/159) „[…] und deren Angelegenheit in gegenseitiger Beratung steht.“ 42/38)

(Qur’an

„Ich habe niemanden gesehen, der sich mehr mit seinen Gefährten beriet, als der Gesandte Allahs (s.a.w.s.).“ (At-Tirmidhi von Abu Hureira).

Das Parlament hat das Recht von den Regenten über alle Angelegenheiten Rechenschaft zu fordern. Maßnahmen für die keine oder keine schlüssige Begründung geliefert werden kann, sollten in einem islamischen Staat der Gegenwart auf Mehrheitsbeschluss des Parlaments aufgehoben werden können. Der betroffene Regent könnte daraufhin z. B. die Vorlage der Sache an das (Mazālim-)Gericht verlangen, das über die Schlüssigkeit verbindlich entscheidet. Der Regent ist 64

Das Parlament (Volksvertretung) und das Prinzip der Schūra in seiner Politik frei, solange er im Rahmen der Scharia handelt; bei diesem Verfahren könnte lediglich Willkür verhindert werden. Daher wäre nicht die Richtigkeit der Entscheidung zu überprüfen, sondern lediglich die Schlüssigkeit der Begründung. Ebenso ist es sinnvoll zu regeln, dass der Mehrheitsentschluss des Parlaments zur Absetzung eines Provinz-Gouverneurs (Wālī) führen muss. Ein Gouverneur ist kein gewähltes Organ. Spricht sich die Mehrheit gegen ihn aus, wird er auf Widerstand stoßen, der zu einer Lahmlegung des Systems führen kann, sodass ein Zweifel an seiner Eignung und Legitimität entsteht.

Das Parlament könnte so eingerichtet sein, dass es aus zwei Kammern besteht: der Repräsentantenkammer und dem Senat. Der größte Teil der Repräsentanten sollte gewählt sein, eine bestimmte Anzahl könnte jedoch von wichtigen und repräsentativen Interessenvertretungen, Vereinen und Gewerkschaften entsandt werden, um ein Forum zu bilden, das eine ausgewogene Diskussion mit allen wirtschaftlich relevanten Personen und Organisationen möglich macht. Der Senat könnte aus Vertretern der Provinzen bestehen, die von den Provinzbewohnern gewählt werden. Die Anzahl der Senatoren pro Provinz sollte aufgrund der Gleichheit der Nationen gleich sein. Die Aufgabe des Senates wäre es unter anderem die Interessen der Provinzen zu vertreten. Als Variante - wenn das Kalifat aus einer Vielzahl von Völkern besteht - eröffnet sich z. B. folgende Möglichkeit: >Die Repräsentantenkammer als Oberhaus besteht aus gewählten Provinzialvertretern des Volkes, dabei bekommt jede Provinz so viele Mandate, wie es dem Verhältnis der Bevölkerung entspricht. Die zweite Kammer als Unterhaus besteht aus Vertretern der Interessenvertretungen. <

Die Vertreter der Interessenvertretungen sollen sogleich im Parlament als einer Institution, die der Regierung zur Beratung zur Verfügung steht, eingebunden sein, damit insbesondere die Verständigung im Bereich des Wirtschafts65

Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung Handels und Arbeitsrecht leichter vorgenommen werden kann. Entscheidungen, die auf einer Einigung mit den wirtschaftlichen Spitzenkräften erfolgen - bzw., wenn sich die wirtschaftlichen Spitzenkräfte (Vertreter der Arbeitnehmer und Arbeitgeber) einigen - garantieren eine sichere Grundlage für die Entscheidungsfindung und für das Gelingen des Normvorhabens sowie für kollektiven Frieden und breitere Akzeptanz, da es sich nicht um eine quasi oktroyierte Maßnahme handelt, sondern eine, die von den Vertretern der Wirtschaftskräfte ausgehandelt wurde. Darauf sollte unbedingt Bedacht genommen werden. (Modell der Sozialpartnerschaft). Jeder Staatsbürger, Mann oder Frau, Muslim oder Nichtmuslim, hat in einem zeitgemäßen islamischen Staat das Recht, das Parlament zu wählen und gewählt zu werden, damit die Aufgabe erfüllt werden kann, die politischen Angelegenheiten in gegenseitiger Beratung wahrzunehmen. „Bringt mir aus eueren Reihen zwölf Vertreter hervor, damit sie ihrem Stamm ein Bürge sind.“ (von Ibn Hišam über Ka’b ibn Mālik). „Der Prophet beriet sich über seinen Auszug nach Badr. Abu Bakr teilte ihm seine Meinung mit. Dann zog er ’Umar zu Rate und dieser teilte ihm ebenfalls seine Meinung mit. Der Prophet rief weiter zur Beratung auf, da sagten einige der Ansar: Ihr Volk der Ansar! Der Prophet meint doch euch.“ (Ahmad über Anas).

Angesichts der Tatsache, dass ein Parlament in der Regel aus Vertretern von Parteien oder Listen besteht und nicht aus Einzelkandidaten, empfiehlt es sich beim Wahlsystem das Verhältniswahlrecht mit Koalitionszwang zu normieren: >Das reine Verhältniswahlrecht (wie in Zentraleuropa) kann dazu führen, dass die Parteien des Parlaments gezwungen werden, Koalitionen einzugehen, in denen keine der stimmenstarken Parteien ihr Regierungskonzept durchsetzen kann, die Parteien solche Koalition aber dennoch eingehen müssen, um die (relative) Mehrheit im Parlament zu

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Das Parlament (Volksvertretung) und das Prinzip der Schūra erreichen und beschlussfähig zu sein. Das Mehrheitswahlrecht (wie in Großbritannien), bei dem die im jeweiligen Wahlkreis stärkste Partei ein Mandat erhält, die anderen hingegen leer ausgehen, hat hingegen den Nachteil, dass Minderheits-Parteien keine Chance haben, im Parlament (ausreichend) vertreten zu sein und die Meinung desjenigen Teils der Bevölkerung, den diese kleinen Parteien repräsentieren daher ungehört bleibt. Es sollte daher am besten ein System gewählt werden, bei welchem die stimmenstärkste Partei jedenfalls eine fixe Zahl an Mandaten erhält und die anderen Mandatsplätze im Verhältnis der tatsächlich erhaltenen Stimmen verteilt werden. Die stimmenstärkste Partei kann aber (wenn sie nicht mehr als die 50 % der tatsächlichen Stimmen hat) nicht alleine entscheiden, sondern benötigt, um die Mehrheit im Parlament zu haben, die Stimme eines Mandatars (oder einiger weniger) einer anderen Partei. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass das Parlament entscheidungsfähig bleibt und die stimmenstärkste Partei ihr Konzept verwirklichen kann, aber dennoch nicht alleine entscheiden kann, wodurch eine Machtkonzentration vermieden wird. Die stimmenstärkste Partei braucht zwar einen Koalitionspartner, dieser Koalitionspartner kann aber eine beliebige, also jede im Parlament vertretene, Partei sein. Somit können immer auch kleine Parteien Koalitionen eingehen. Dieses Modell entspricht wohl am ehesten dem islamischen Gerechtigkeitsgedanken, dass die Stimmen aller Volksgruppen gehört werden sollen, weil auch die kleinen Parteien im Parlament vertreten sind und der Vorgabe, dass die Regierung und Verwaltung effizient erfolgen soll, weil das Parlament durch die flexible Koalitionsbildung eine innere Blockade ausschließt. Für den Fall, dass die Wahlbeteiligung sehr gering ausfällt, kann normiert werden, dass die Stimmen der Nichtwähler der stimmenstärksten Partei zugezählt werden (Nichtwählerprämie). Dadurch werden die Bürger motiviert, selbst am politischen Geschen teilzunehmen und wählen zu gehen, wenn sie vermeiden wollen, dass ihre Stimme jemandem zu Gute kommt, den sie nicht unterstützen wollen.<

Uneinigkeit gibt es darüber, ob ein Beschluss eines derart konstruierten Parlaments (Ratsversammlung) bindende Wirkung entfalten kann oder nicht. Darauf wird bei der Gesetzgebung näher eingegangen.

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Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung

2.7 Oberster Justizrat/ Justizrat/ FatwaFatwa-Rat Das islamische Staatssystem basiert auf der Herrschaftsausübung durch gegenseitige Beratung und Konsultierung beziehungsweise Einbeziehung von Fachleuten. Das Parlament kann als Organ zur allgemeinen Vertretung der Interessen des Volkes gesehen werden und die Minister können als Fachberater der jeweiligen Disziplinen betrachtet werden. Es sollte aber auch ein Gremium von Personen geben, die die islamische Rechtslehre in ihrer ursprünglichen Form kennen und erforschen und die im Stande sind, die Anordnungen der Regenten auf die Vereinbarkeit mit der islamischen Rechtsordnung, der Scharia, zu prüfen. Es sollte ein Forum geben, wo politische Maßnahmen von Vertretern unterschiedlicher Rechtspositionen nach dem islamischen Recht diskutiert und analysiert werden können. Insbesondere deswegen, weil die Ableitung rechtlicher Vorschriften aus den Quellen der Scharia eine komplexe Angelegenheit ist, die – je nach Methode – zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. In einem islamischen Staat hängt die Durchführbarkeit einer politischen Maßnahme aber wesentlich von der Vereinbarkeit mit dem islamischen Recht ab, was die Anhörung unterschiedlicher Meinungen und Begründungen erforderlich macht. In diesem Sinne empfiehlt es sich einen Obersten Justizrat einzurichten. Der Oberste Justizrat ist demnach ein Gremium von rechtsgelehrten Männern und Frauen mit Befähigung zum selbstständigen Iğtihād (Ableiten von Vorschriften aus den Quellen), das maßgeblich an der Normbildung beteiligt ist und als Oberster Fatwa-Rat (zur Erstellung von Rechtsgutachten) fungiert, dessen Rechtsgutachten Leitwirkung haben.

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Die Gouverneure (Al – Wulāt) und Statthalter/Kantonalvorsteher Des Weiteren könnte folgende Regelung getroffen werden: >Die Mitglieder bestehen aus Angehörigen der islamischen Rechtswissenschaft an den höheren Bildungseinrichtungen, die von diesen vorgeschlagen und von der Volksvertretung der Provinz aus der Liste gewählt und entsandt werden. Ihre Amtszeit beträgt […] Jahre. Die Mitglieder wählen aus ihrer Mitte einen Vorsteher, der dadurch zugleich Oberster Rechtsgutachter (Großmufti) wird. Bei den Gesetzesbegutachtungen und freien Rechtsgutachten ist eine Abstimmung vorzunehmen, bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorstehers. In der Veröffentlichung der Abstimmung und der Begründung ist auch jedes Sondervotum mit Begründung auszuweisen. <

2.8 Die Gouverneure (Al – Wulāt) Wulāt) und Statthalter/Kantonalvorsteher Der Gouverneur ist der Leiter einer Provinz bzw. eines Gliedstaates des Gesamtstaates und wird direkt vom Kalifen für eine bestimmte Zeit ernannt. Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach bei der Einsetzung: „Erleichtert es den Menschen und erschwert es ihnen nicht. Seid FroheBotschafter und nicht abstoßend. Und bemüht euch!“ (Buhari).

Der Provinzialrat als Volksvertretung auf Provinzebene sollte hierbei Vorschläge unterbreiten können. Bei der Ernennung des Gouverneurs hat der Kalif die realpolitischen Gegebenheiten zu beachten hat und soll einen Gouverneur einsetzen, der einen soliden Rückhalt bei der Bevölkerung bzw. ihren Vertretern im Provinzialrat hat. Ein Ansatz dafür ergibt sich z. B. aus den Briefen des Propheten (s.a.w.s.) an die Herrscher der Welt, aus denen deutlich wird, dass ihnen ihre Macht erhalten bleiben sollte, wenn sie den Islam annehmen. Hier ein Beispiel aus dem Brief an Heraklius: „Mit dem Namen Allahs des Allerbarmers, des Allbarmherzigen. Von Muhammed dem Diener Allahs, an Heraklius dem Imperator Roms. Friede sei mit dem, der der Rechtleitung folgt. Ich lade dich zur Religion des Islam ein: Werde Muslim, dann bist du

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Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung sicher und Allah gibt dir doppelten Lohn; wenn du dich aber abwendest, so lastet auf dir die Sünde deiner Untergebenen. O Volk der Schrift kommt herbei zu einem Wort das gleich ist zwischen uns und euch: dass wir niemandem dienen außer Allah und ihm nichts beigesellen und dass die einen von und die anderen nicht zu Herren annehmen anstelle Allahs. Doch wenn sie sich abwenden, so bezeugt, dass wir Muslime sind.“

Ein Ansatz dafür, dass der Kalif bei der Auswahl des Gouverneurs auf die Mehrheitsverhältnisse in der Provinz achten muss, ist zunächst der Qur’an-Vers 42/38, wonach das System der Muslime auf gegenseitiger Konsultation beruht und weiters auch, dass der Prophet (s.a.w.s.) angesichts der Tatsache, dass die Quraisch der politisch angesehenste Stamm waren und sicherlich die Anerkennung der Mehrheit der Araber genossen, sowohl der Muslime, als auch der Nichtmuslime, forderte, dass die Befehlsgewalt unter den Quraisch gewahrt bleibt. Siehe zu den entsprechenden Ausführungen im ersten Kapitel. Dies legt nahe, dass auf die Mehrheitsverhältnisse Rücksicht genommen werden muss. Die Vorsteher der Landkreise bzw. Statthalter der Bezirke oder Kantone könnten direkt vom Volk auf bestimmte Zeit gewählt und vom Gouverneur bestätigt werden. Es erscheint nicht notwendig, diese einseitig zu ernennen, da direkt vom Kalifen Beauftragte für größere Gebiete ausreichen, zumal die moderne Kommunikation und Technologie einen raschen und problemlosen Informationsaustausch über größere Gebiete zulässt und es daher möglich ist, für Untergebiete direkt gewählte Vertreter zuzulassen, die der Kalif oder Gouverneur auch problemlos kontrollieren kann. Ausnahmen bestehen selbstverständlich in Krisenzeiten.

Die Übertragung der Regierungsbefugnis der Provinz kann voll (alle Regierungstätigkeiten umfassend) oder eingeschränkt erfolgen. Beide Formen finden sich in den Handlungen des Propheten (s.a.w.s.), z. B. volle Regierungsbefugnis-Übertragung an Amr ibn Hazm,

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Die Gouverneure (Al – Wulāt) und Statthalter/Kantonalvorsteher eingeschränkt bei ’Alī, für die Rechtsprechung in Jemen; wie auch in den Handlungen der nachfolgenden Kalifen: so übertrug ’Umar ibn al-Hattab Mu’awiya ibn Abi Sufyan die volle Regierungsbefugnis während z. B. Alī ibn Abi Talib eine Regierungsbefugnis ohne Finanz-Ressort an Abdullah ibn ’Abbas übertrug.

Der Gouverneur regiert selbstständig und stellvertretend für den Kalifen als Treuhänder in seiner Provinz. Der Tod oder die Absetzung des Kalifen haben daher keinen Einfluss auf die Amtsstellung des Gouverneurs. Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Abū Dharr, du bist schwach und es ist wahrlich eine Treuhand.“ (Muslim von Abū Dharr). Der Prophet (s.a.w.s.) entsandte z. B. Mu’adh ibn Ğabal als Gouverneur über den Dschanad (im Jemen); Ziad ibn Labīd als Gouverneur über Hadramaut; Abu Mussa al-’As-Ch’ariy als Gouverneur über Zabid und Eden.

Dem Gouverneur unterstehen die der Provinzialleitung zugeordneten Behörden und Exekutivkräfte. Ist die Regierungsbefugnis voll, kann sie bei entsprechender Eignung und Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen auch das Richteramt einschließen. Dann kann der Gouverneur auch selbstständig höherrangige Richter in seiner Provinz ernennen, die die Qualifikationen erfüllen (heute: nach Ausschreibung) und in einer Sache selbst urteilen. Heute ist das wohl kaum relevant, weit mehr Problemfelder und ein größeres Aufgabenfeld anfallen, als dies bei Gouverneuren zur Zeit des Propheten (s.a.w.s) und der nachfolgenden Generationen der Fall war. Der Gouverneur kann aber Rechtsfragen für ein Gericht seiner Provinz bindend festlegen [das ist wesentlich relevanter für die heutige Zeit], unter Heranziehung von Beratern nach den gesetzlichen Vorschriften. Dies begründet z. B. Ibn al-Qāsim in Mudauwana (Muhtalita) [Malikitische Rechtsschule]. 71

Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung Heute wäre z. B. folgende Regelung möglich und sinnvoll: >Verbindliche Rechtsableitungen des Gouverneurs dürfen nicht zurückwirken und gegen gesamtstaatliche Anordnungen, die sich direkt aus den Quellen ergeben, verstoßen, außer es handelt sich um eine Sache, in der rechtfertigender weise unterschiedliche Ableitungen möglich und juristisch gerechtfertigt sind, sofern nicht eine notwendige Regelung des Gesamtstaates existiert und es sich nicht um Spezifizierungen oder Konkretisierungen oder besondere Anpassungen an bestimmte Begebenheiten handelt; über letztere muss der Kalif informiert werden, der die Maßnahme für nichtig erklären kann.<

Gegen sein Urteil oder ein Urteil, bei dem der Gouverneur in die Rechtsableitung eines laufenden Prozesses eingegriffen hat, kann Beschwerde an den (Mazālim)Gerichtshof geführt werden. „Als der Gesandte Allahs Mu’az in den Jemen entsandte, sprach er zu ihm: Wie richtest du wenn ein Rechtsstreit dir vorgetragen wird? […]“ (Abū Dawūd, Baihaqī und Ahmad).

Dem Gouverneur sollte – entsprechend dem Prinzip der Beratung (Schura) – wie auf Gesamtstaatsebene, eine gewählte Volksvertretung zugeordnet werden, die bei der politischen und rechtlichen Meinungsbildung beteiligt ist und die Verwaltung durch gewählte Vertreter in Fachressorts übernimmt. Es empfiehlt sich in einem islamischen Staat der Gegenwart z. B. folgende Regelung: >Der Gouverneur ist automatisch abgesetzt, wenn die vom Kalifen bestimmte Amtszeit abgelaufen ist. Er kann davor durch den Kalifen abgesetzt werden, niemals jedoch grundlos und willkürlich, die Entscheidung ist öffentlich zu begründen. Der Gouverneur kann auch durch den Beschluss des Parlaments – außer die Mehrheit der Volksvertretung der Provinz ist für die Beibehaltung – oder aber auf Verlangen der ¾ Mehrheit der Volksvertretung in der Provinz abgesetzt werden. Die Absetzung hat der Kalif durchzuführen. Der Beschluss des Parlaments kann unbegründet sein, der Beschluss der Provinzvertretung muss hingegen begründet sein, außer die Provinzbevölkerung stimmt selbst über dessen Absetzung ab. <

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Die Verwaltung

2.9 Die Verwaltung Die Verwaltung kann z. B. durch Ressorts, Behörden, Ämter, Dienststellen und weitere Verwaltungsstellen erfolgen. Jeder Dienstbehörde kann z. B. ein Generaldirektor/Präsident vorstehen, jedem niederen Verwaltungsamt z. B. Direktoren und Amtsleiter. Es gibt hierzu keine Vorgaben.34 Die Verwaltung gehört nicht zur Regierungsform und kann je nach Notwendigkeit und in Abhängigkeit von Zeit und Ort unterschiedlich gestaltet werden. Ein Beispiel dafür sind die unterschiedlichen Ausformungen der erstmals vom Kalifen ’Umar (r.a.) für den islamischen Staat eingeführten Dīwāne (wörtlich: Register), die der Verwaltungstätigkeit und Führung von Verwaltungsdaten durch Schreiber dienten. Genauso wie der Kalif ’Umar (r.a.) pflegten die späteren muslimischen Befehlshaber nützliche Verwaltungseinrichtungen der von den Muslimen eroberten Staaten zu übernehmen. Um den Gegebenheiten unserer Zeit gerecht zu werden, könnte z. B. folgende Regelung getroffen werden: >Die Verwaltung erfolgt grundsätzlich über die Gouverneure oder in allen Angelegenheiten die die Kantone/Landkreise im Allgemeinen betreffen und von diesen Wahrgenommen werden oder am besten von diesen wahrgenommen werden sollten, über die Statthalter oder kleinere Einheiten (Gemeinden, Städte, Dörfer; deren Vorsteher direkt gewählt werden); kann aber auch in Teilbereichen mittelbar über die Gouverneure durch den Gesamtstaat erfolgen; dann ist der Gouverneur allerdings weisungsgebunden.

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Vergleiche hierzu: Prof. Dr. Mumtaz Ahmad, Islam and Democracy – The Emerging Consenus, 05.06.2002, http://www.islamonline.net.

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Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung Wo es notwendig und sinnvoll ist erfolgt die Verwaltung unmittelbar, z. B. bei Polizeibehörden und Kriminalämtern, die nicht den Provinzen zugeordnet sind oder bei der Verwaltung von GesamtstaatsInfrastruktur, eventuell bei staatlichen Allgemeinschulen. Im Bereich der Justiz, der Finanzen und des Militärs erfolgt sie immer unmittelbar. Die Verwaltung soll nach Möglichkeit und Effizienz von der jeweils kleineren Einheit durchgeführt werden. Es können auch Selbstverwaltungseinrichtungen vorgesehen werden, die vom Staat kontrolliert werden, aber keiner Weisung unterliegen und im Rahmen der Gesetze und Verordnungen arbeiten müssen (z. B. Universitäten). <

Die Verwaltung sollte jedenfalls nach Möglichkeit und Effizienz von der jeweils kleineren Einheit wahrgenommen werden. Das sichert die weitgehende Autonomie und die Zufriedenheit der regionalen Bevölkerung, weil die eigenständige Erledigung von Aufgaben mehr Erfüllung bringt, als Maßnahmen aufgetragen zu bekommen. Zudem erhielten die Regionen in der Frühzeit des islamischen Reiches sehr hohe Autonomie. Die Verwaltung soll so organisiert werden, dass sie einfach, effizient, schnell, bürgernah und möglichst kostengünstig arbeitet und von kompetenten Beamten durchgeführt wird. Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Allah hat die Perfektion in allem vorgeschrieben. […]“ (Muslim) „Gott liebt es, dass derjenige von euch, der eine Arbeit tut, diese gründlich ausführt.“ (Abū Ya’lā). „Wenn ich euch irgendetwas zu tun befehle, so tut dies so gut ihr könnt.“ (Buhari).

Der Kalif müsste heute über ein eigenes bürokratisches Amt verfügen, um die Anliegen die an ihn herangetragen werden, zu bewältigen und die Ergebnisse weiterzuleiten sowie 74

Die Verwaltung die Durchführung seiner Anordnungen sicherzustellen. Eine leichtere Kommunikation zwischen dem Amt und dem Kalifen wird durch eine Vertrauensperson des Kalifen ermöglicht, die als Vorsteher des Amtes handelt und mit dem Kalifen in ständiger Verbindung steht. Man könnte ihn Vollzugsassistent nennen.35 Hinsichtlich des Instanzenzuges bei den Rechtsmitteln gegen verwaltungsbehördliches Handeln kann z. B. folgende Regelung getroffen werden, um den komplizierten Gegebenheiten unserer Zeit und den Verschränkungen zahlreicher Verwaltungsgebiete gerecht zu werden: >Der Instanzenzug in der Verwaltung erfolgt von der Verwaltungsbehörde in erster Instanz bis zum Gouverneur in letzter – maximal dritter wenn dies absolut notwendig ist – Instanz. In bestimmten Bereichen kann ein Instanzenzug bis zum Minister festgelegt werden (vor allem, wenn der Gouverneur in erster Instanz entscheidet). Werden Verwaltungsangelegenheiten in die selbstständige Verwaltung eines Landkreises übertragen, dann ist der Statthalter letzte Instanz, ansonsten erste oder zweite und der Gouverneur letzte Instanz, bei selbstständiger Kommunalverwaltung ist der entsprechende Vorsteher oder Bürgermeister letzte Instanz, bei unselbstständiger Kommunalverwaltung der Statthalter oder der Gouverneur. Erfolgt die Verwaltung in unmittelbarer Vollziehung durch den zuständigen Minister, so ist dieser nach einem Rechtsmittel von der Behörde erster Instanz über eine Oberbehörde schließlich letzte – maximal dritte – Instanz. Es ist durch Verordnung festzulegen, welche Angelegenheiten unmittelbar vom Minister vollzogen werden und welche von den Gouverneuren. Die Finanzverwaltung und die Organisation der Sicherheitsbehörden erfolgt jedenfalls unmittelbar durch den Minister. Die Instanzenzüge sind nach Möglichkeit zweigliedrig zu halten. Zweite Instanz in im Wege der Verordnung festzulegenden Finanzsachen, jedenfalls für Finanzstrafsachen, ist jedoch ein unabhängiges – weisungsungebundenes – Finanzgericht. Gegen dessen Beschluss kann Beschwerde an die (Mazalim-)

35

Vergleiche ’Abdu-l-Qadim Zallum, Das Regierungssystem im Islam, 154; basierend auf Taquiyyu-d-Din an-Nabhani.

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Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung Gerichte erhoben werden. Gegen Verwaltungsstrafen und verfahrensfreie Verwaltungshandlungen (in erster Linie Zwangs- und Gewalthandlungen der Polizei), sowie Vorgehen der Marktaufsichtsbehörde kann Beschwerde bei einem unabhängigen Verwaltungsgericht (im letzten Fall als Marktgericht) eingelegt werden, von dem aus eine Beschwerde an die (Mazalim-)Gerichte erhoben werden kann. <

Die Islamische Rechtsordnung ist um Einfachheit und Übersichtlichkeit bemüht: zu lange Instanzenzüge machen es dem Bürger schwer zu seinem Recht zu kommen und die Verfahren werden undurchschaubar und kompliziert, was zu stetiger Entfernung und Entfremdung des Staates von seinen Bürgern führt. Die Möglichkeit einer nachprüfenden richterlichen Kontrolle ist der islamischen Rechtsordnung eindeutig zu entnehmen, allein schon aus der Tatsache, dass die meisten Verwaltungssachen von Richtern durchgeführt wurden oder, dass die Marktaufseher den Richtern zugeordnet waren. Zudem entwickelte sich rasch die sog. Mazālim-Gerichtsbarkeit, die eine nachprüfende Kontrolle der Gerichte und Behörden ermöglichte, falls ein Urteil unsachlich oder willkürlich getroffen wurde. Hierzu weiter unten im Kapitel über die Gerichtsbarkeit. Jeder Staatsbürger, ohne Unterschied der Religion, des Geschlechts, der Volkszugehörigkeit oder anderer Merkmale, kann in den Beamtenstatus aufgenommen werden und alle Ämter bis zum Generaldirektor bzw. Minister bekleiden (Mit Ausnahme solcher, die durch die Scharia bedingt besondere Erfordernisse vorsehen). Es gibt diesbezügliche keine Unterscheidung seitens der islamischen Rechtsordnung.

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Die Verwaltung Die Stellung der Beamten, ihre Ernennung, Laufbahn, Absetzung, Entlohnung etc. sollte genau festgelegt werden. Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Wen wir für eine Aufgabe verwenden und ihn dafür mit etwas entlohnen, so steht ihm das zu. Was er darüber hinaus an sich nimmt, ist Unterschlagung“ (Abū Dāwūd von Bureida) „Jeder hat Rangstellungen für das, was er geleistet hat; und dein Herr übersieht nicht was sie tun.“ (Qur’an 6/132). Aischa (r.a.) berichtet: Nachdem Abu Bakr as-Siddiq zum Kalifen gewählt worden war, sagte er: „Die Leute wissen, dass mein Beruf sehr wohl dazu geeignet ist, meine Familie zu ernähren. Jetzt aber wurde ich mit der Herrschaft über die Muslime betraut. Meine Familie wird sich von nun an aus öffentlichen Geldern ernähren und ich werde ausschließlich für das Wohl der Muslime tätig sein!“ (Buhari)

Freie Stellen in der öffentlichen Verwaltung sollten in einem modernen islamischen Staat, wenn möglich und sinnvoll, grundsätzlich öffentlich ausgeschrieben werden, um der Erfordernis Rechnung zu tragen, dass öffentliche Posten von den dafür geeignetsten Personen geführt werden sollen. Jedem, der die geforderten Qualifikationen besitzt, steht das Recht zu, sich auf die Stelle zu bewerben. Interne Leitungsfunktionen sollten nach Möglichkeit durch Wahl besetzt werden. Das finanzielle Gebaren der Verwaltung sollte durch einen unabhängigen Rechnungshof auf Gesamtstaatsebene kontrolliert werden. Der Präsident könnte von der Volksvertretung (Parlament) gewählt werden. Der Rechnungshof müsste der Volksvertretung Bericht erstatten. Die Volksvertretungen der Provinzen könnten ebensolche unabhängigen Rechnungshöfe für ihre Provinz einrichten. Um Missstände in der Verwaltung aufzudecken, seien diese faktisch gegeben oder auf ein Ausführungsgesetz oder eine Verordnung zurückzuführen, kann von den Bürgern eine 77

Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung Volksanwaltschaft gewählt werden, die bestehende Missstände aufzeigt, die Anliegen der Bürger verfolgt und um Gerechtigkeit bemüht ist, in dem sie (stellvertretend für die Betroffenen) Kontakt mit den Behörden und Regenten aufnimmt und mit diesen verhandelt. Die Behörden wären zur Amtshilfe verpflichtet. Diesbezüglich könnte weiters folgende Regelung getroffen werden: >Die Volksanwaltschaft gibt Empfehlungen und kann die ihr vorgetragenen Fälle öffentlich diskutieren. Sie ist immer dann verpflicht einen Fall zu behandeln, wenn keine Rechtsmittel mehr ergriffen werden können oder wenn diese aussichtslos erscheinen. Sie kann die behandelten Fälle und Fragen auch direkt an die (Mazalim-)Gerichte des öffentlichen Rechts weiterleiten und die Anliegen der ungerecht behandelten Bürger dort vertreten. Die Bevölkerung kann aber jederzeit Anregungen einreichen. Es können auch Provinzialvolksanwälte gewählt werden. Näheres ist in gesonderten Verordnungen festzulegen. <

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Göttlich festgelegtes Recht

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Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung Umsetzung

3.1 Göttlich festgelegtes Recht Hinsichtlich der Legislative gibt es in der islamischen Rechtsordnung einen unumstößlichen Grundsatz: Die Befugnis allgemeinverbindliche Gesetze zu erlassen steht als einzigem Gesetzgeber Allah (s.w.t.) zu. Allah (s.w.t.) hat seinen gesetzlichen Willen – die Scharia – im seinem geoffenbarten Buch (Qur’an) und durch seinen Gesandten Muhammed (s.a.w.s.) in dessen Handlungsweise - Sunna36 ausgedrückt. 36

Der Inhalt der Sunna wird durch Ahadith (Plural von Hadith – Überlieferung) vermittelt. Ein Hadith besteht aus einem Text – Matn und einer Überlieferungskette – Sanad/Isnad. Um falschen und erfundenen Überlieferungen vorzubeugen entwickelte sich eine eigene Wissenschaft, die die Ahadith überprüfte und kategorisierte. Man spricht von einem Sahih Hadith, wenn der Überlieferungsweg lückenlos ist, sämtliche Überlieferer vertrauenswürdig waren, ein gutes Erinnerungsvermögen hatten, der Inhalt keinem anderen Hadith widerspricht und keine versteckten Fehler vorlagen. Hierfür wurden neben dem Inhalt vor allem die Biographien und Lebensumstände der überliefernden Sahaba (Gefährten des Propheten s.a.w.s.) und Tabi’un (Die Nachfolgegeneration der Prophetengefährten) bis ins Detail rekonstruiert und überprüft. Ein Hadith ist zudem Mutawatir, wenn er in jeder Überlieferungsgeneration von so vielen Muslimen überliefert wird, dass es nicht möglich ist, dass diese sich auf eine Falschaussage abgesprochen haben. Diese Ahadith sind für die Muslime absolut verbindlich. Daneben unterscheidet man noch Hasan – das ist die Hadithgruppe unter Sahih; bei dieser Gruppe von Hadith sind die Anforderungen an das Erinnerungsvermögen der Überlieferer einwenig abgeschwächt; weiters Da’if – das sind alle anderen Ahadith, unterteilt in weitere Untergruppen, die man als schwach bezeichnen kann und die keine Verbindlichkeit auslösen können. Nach der Anzahl der Überlieferer unterscheidet man ebenfalls noch zwei Gruppen unter Mutawatir, nämlich Maschhur – das

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Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung „Kein Gläubiger und keine Gläubige haben, wenn Allah und sein Gesandter eine Sache entschieden haben, in ihrer Angelegenheit noch eine Wahl.“ (Qur’an 33/36) „Sprich: Gehorcht Allah und seinem Gesandten.“ (Qur’an 3/32) „Wer dem Gesandten gehorcht, der gehorcht in der Tat Allah.“ (Qur’an 4/80).

Dieses Gesetz hat für die Muslime Gültigkeit bis zum Tage des Gerichts, weil Allahs (s.w.t.) Gesetze nur durch neue Offenbarungen geändert werden können, es neue Offenbarungen nachdem Tod des letzten Gesandten (s.a.w.s.) allerdings nicht mehr gibt. Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Wer in unserer Angelegenheit etwas Neues hervorbringt, was nicht dazugehört, so ist es zurückzuweisen!“ (Muslim von Aischa).

Jede Gesetzgebung und Normsetzung, die als solche in einer Verfassung oder einem anderen Gesetz, in einem auf dem Islam beruhenden Staat bezeichnet wird, muss sich von der Scharia ableiten lassen und stellt entweder eine verbindlich gemachte Interpretation bestehender Vorschriften der Scharia dar (dann kann dies z. B. als Gesetz oder Ausführungsgesetz bezeichnet werden) oder aber eine normative Anordnung die notwendig ist und sich im Rahmen dessen bewegt, was von der

sind solche Ahadith, die von wenigen Gefährten überliefert wurden, aber an sehr viele Muslime, der den Gefährten folgenden Generation, weitergeleitet wurden und schließlich Ahad – das sind alle anderen Ahadith, bei denen man auch von Einzelüberlieferungen spricht. Von den sechs größten Ahadith Sammlungen, die Sahih-Ahadith beinhalten, sind die Sammlungen von Buhari und Muslim die bekanntesten und wichtigsten, weil in diesen Sammlungen ausschließlich Sahih-Ahadith enthalten sind. Siehe dazu Heider, Ferid, Hadithwissenschaften (2007), DIDI.

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Normsetzung durch den Kalifen Scharia erlaubt ist (diese Anordnung könnte dann, je nach Kategorie z. B. als Verordnung, Anordnung, Richtlinie, Anweisung (Weisung), Bescheid, Befehl bezeichnet werden). Die Aufgabe der islamischen Gemeinschaft in einem islamischen Staat ist es den wahrscheinlichen Willen Allahs (s.w.t.) – den wahren Willen kennt nur er – herauszufinden und danach zu handeln. Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Wenn du zwischen ihnen richtest und die richtige Entscheidung triffst, so bekommst du die zehnfache Belohnung. Wenn du dich in der Rechtsableitung bemühst und die falsche Entscheidung triffst, so erhältst du (trotzdem) eine einfache Belohnung.“ (Ahmad von ’Amr ibn al-’Ās).

3.2 Normsetzung Normsetzung durch den Kalifen Als Vorsteher der islamischen Gemeinschaft (Umma) steht dem Kalifen nach herrschender Ansicht die Befugnis zu, die Angelegenheiten des Volkes, nach seiner Überzeugung und (selbstständige Ableitung von seinem Iğtihād Rechtsvorschriften aus den Quellen), zu regeln; ist er nicht zum Iğtihād befähigt, kann er einem Muğtehid37 folgen und, nach ausführlicher Beratung und Anhörung von Fachmeinungen und Gutachten, jede Regelung verbindlich erlassen, die seiner Überzeugung nach am ehesten zutrifft. „Und wenn du dich entschlossen hast, so vertraue auf Allah.“ (Qur’an 2/159) „Die Entscheidung liegt allein bei Allah.“ (Qur’an 13/40).

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Jemand, der zur selbstständigen Ableitung von Rechtsvorschriften aus den rechtlich relevanten Quellen fähig ist.

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Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung Abū Dāwūd, Baihaqī und Ahmad berichten von Mu’ādh, dass der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) diesen bei der Entsendung nach Jemen fragte: „Wie richtest du, wenn dir eine Rechtssache vorgebracht wird? Er antwortete: Nach dem Buch Allahs. Der Prophet fragte: Und wenn du es im Buch Allahs nicht findest? Er sagte: Dann richte ich nach der Sunna des Gesandten Allahs. Der Prophet fragte: Und wenn du es in der Sunna des Gesandten Allahs nicht findest? Er antwortete: Dann vollziehe ich Iğtihād in meinem Ermessen. Der Prophet klopfte sodann mit seiner Hand auf meine Brust und sprach: Gepriesen sei Allah, der den Gesandten des Gesandten Allahs zu dem hinführte, was den Gesandten Allahs zufrieden stellt.“

Der Kalif ist an seine eigenen Rechtssätze gebunden. Er kann davon abgehen, wenn er nach Abwägung der Umstände zu einem anderen Ergebnis kommt, doch wirken diese Anordnungen nicht zurück sondern ex nunc für die Zukunft. „Wir hätten nie (über ein Volk) eine Strafe verhängt, ohne vorher einen Gesandten (zu ihm) geschickt zu haben“ (Qur’an 17/15) „[…] Und wenn du einen Eid geleistet hast und später erkennst, dass eine andere Vorgehensweise besser ist, dann tritt von deinem Eid zurück.“ (Buhari).

3.3 Die Rolle des Allgemeininteresses Allgemeininteresses Das Allgemeininteresse (Al maslaha al-mursala) ist bei der Normsetzung stets zu beachten.38 Das Allgemeininteresse

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Siehe hierzu das Kapitel „2.4.4 Herbeiführung einer Wohlfahrt bzw. eines Vorteils und Abwendung eines Schadens für den Einzelnen und die Gesellschaft“ in Mourad/Toumi, Methodenlehre (2006), 146 ff.

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Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus den Quellen der Scharia kann bei Bestehen eines Parlaments als Volksvertretung symbolisch im Beschluss des Parlaments gesehen werden. Sämtliche Bestimmungen Allahs dienen dem Wohl der Menschen, daher ist das Gemeinwohl als aus den Primärquellen ableitbares Prinzip stets und in jedem Bereich zu beachten. Zaid ibn Tabit berichtet: „[…] Der Gesandte Gottes (s.a.w.s.) hat das doch auch nicht angeordnet! ’Umar sagte: „Bei Gott, es wäre zum Wohl der Menschheit! […]“ (Buhāri).

Das darf allerdings nicht dazu führen, dass ein Gesetz der Scharia dadurch ausgehebelt wird, dies ist nichtig. „Und wenn du den meisten derer auf Erden gehorchst, werden sie dich von Allahs Weg irreführen.“ (Qur’an 6/116).

Stehen aber zwei oder mehr Rechtsmeinungen zur Verfügung, deren Argumente einander die Waage halten, sollte jedenfalls das Allgemeininteresse (Maslaha) einer Seite mehr Gewicht verleihen und bei mehreren Wegen sollte immer der (für die Menschen) leichtere eingeschlagen werden, weil Allah (s.w.t.) es den Menschen erleichtern will und nicht erschweren. „Allah möchte es für euch leicht machen und er möchte es nicht erschweren.“ (Qur’an 2/185) „Allah möchte euch die Last leichter machen. Denn der Mensch ist schwach erschaffen.“ (Qur’an 4/28). Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Macht es (den Menschen) leicht und nicht schwer. Und überbringt frohe Kunde und schreckt nicht (die Leute) ab.“ (Buhārī).

3.4 Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus den Quellen der Scharia Bei der Normsetzung im Bereich der direkten Ableitung von Rechtssprüchen aus den Primärquellen der Scharia sind 83

Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung immer der Sinn/telos/Geist des Gesetzes (wenn sich in den Primärquellen Anhaltspunkte dafür finden) und die historischen Umstände sowie der Anlass bzw. die Ursache für eine Bestimmung (’illa) zu beachten.39 Im Folgenden eine kurze (wertende) Zusammenfassung der wichtigsten Interpretationsregeln40: > Zu aller erst ist aber die verbale41 (Hauptaussagen und Nebenaussagen), sowie der telos und die systematisch logische Interpretation (im Zusammenhang gelesen, sowohl unmittelbar als auch im Zusammenhang mit anderen Normen der Rechtsordnung; logische Schlussfolgerungen aus dem unmittelbaren Text) durchzuführen. Eine authentische spezielle Interpretation eines Begriffes oder einer Anweisung geht der allgemeinen Interpretation vor, wenn ihr nicht durch eine andere

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Bei einer allgemeingültig formulierten Textfassung ist aber zu bedenken, dass die Ursache einer Offenbarung den Text zwar erläutern kann, nicht aber die Gültigkeit einschränken kann. Siehe zu den Interpretationsmethoden ausführlich: Mourad, Samir/ Toumi, Said, Methodenlehre der Ermittlung rechtlicher Bestimmungen aus den islamischen Quellen, DIDI 2006. Für die verbale Interpretation ist die Kenntnis der arabischen Sprache notwendig oder die Heranziehung von Stellungnahmen arabischsprachiger Experten zur Bedeutung, in letzter Möglichkeit zumindest ordentliche Lexika und andere Quellen – bis Aufklärung gebracht wird. „Wir haben einen jeden Gesandten mit der Sprache seines Volkes entsandt, damit er ihnen (die Sachverhalte) klar macht.“ (Qur’an 14/4). Die verbale Interpretation steht deswegen am Anfang der Interpretation überhaupt, weil das Mittel der Anordnung ja die Sprache selbst ist und diese vom Gesetzgeber korrekt verwendet wird, es sei denn ,es gibt einen Grund, dass der Text nicht nach dem (äußersten) Wortlaut zu verstehen ist, weil sie z. B. im Zusammenhang mit einer anderen Bestimmung zu sehen ist, weil ein Begriff im übertragenen Sinn verwendet wird, weil es sich um eine allgemeine Bestimmung handelt, bei der es denkbar ist, dass sie durch andere eingeschränkt ist, weil die Bestimmung abrogiert wurde, etc.

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Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus den Quellen der Scharia Bestimmung derogiert wurde beziehungsweise werden kann – außer es handelt sich um absolut klare Offenbarungstexte, die feststehend sind und (ihrer Natur nach) nicht aufgehoben werden können. Ein Text darf nicht herangezogen werden für Umstände, die nicht gleich oder gegenteilig wie die/von denen sind, für die eine Aussage besteht. Auch bei allgemeingültig formulierten mutawatir-Taxten muss die nicht-mutawatir aber sahih Sunna beachtet werden; wenn diese durch keinen sahih-Hadith eingeschränkt sind, dann ist der allgemeingültige Text zu beachten.42 In den Primärquellen – Qur’an und sicherer Sunna gibt es keine Widersprüche, somit sind alle Widersprüche unechte Widersprüche. Widersprüchlichkeit kann bei zwei Qur’anversen, einem Qur’anvers und einem mutawatir überlieferten Hadith, zwei mutawatir überlieferten Ahadith, zwei nicht mutawatir überlieferten Ahadith und zwei Analogieschlüssen auftreten. Kein Widerspruch besteht zwischen Qur’an und nicht-mutawatir Hadith. Besteht der Anschein auf Widersprüchlichkeit müssen die Bestimmungen durch Auslegung in Einklang gebracht werden, ansonsten muss es Gründe geben eine Bestimmung der anderen vorzuziehen, ansonsten gilt die früher erlassene Bestimmung als durch die später erlassene aufgehoben. Falls die Reihenfolge des Erlasses unklar ist, kann man wählen oder von beiden Abstand nehmen. Die Iğma’ (Konsens) als Übereinstimmung aller Muğtehids (Rechtsgelehrte mit der Befähigung zur eigenständigen Rechtsableitung – Iğtihad) eines Zeitalters43 ist eine Rechtsquelle, sofern sich die Umstände (und damit die Konsensgrundlage) in diesem Punkt seit dem Zeitpunkt des Konsenses nicht geändert haben. Der Konsens steht hierarchisch unter der Sunna, somit geht die direkte Ableitung aus bestehender Sunna und selbstverständlich aus dem Qur’an dem vor. Die Analogie (qijas) ist in der Hierarchie dort anzuordnen, wo die ableitbare Bestimmung zu finden ist (etwa auf der Stufe vor der Sunna, 42

Dies ist unter den Rechtsgelehrten strittig. Die geschilderte Ansicht entspricht der von Abu Zahra. Die Beachtlichkeit der nicht-mutawatir Sunna gegenüber mutawatir Texten (Qur’an) sehen auch die malikitische, schafiitische und hanbalitische Rechtschule als richtig an. 43 Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Meine Gemeinschaft (umma) kommt nicht in einem Irrtum überein.“ (Ibn Mağa, Tirmidhi, ua – der Hadith gilt sahih laut Ibn Hağar und al-Albani).

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Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung wenn es eine Analogie aus einer qur’anischen Bestimmung ist etc.). Eine Analogie zu einer Bestimmung aus dem Qur’an kann aber nicht gezogen werden, wenn es eine sichere Sunna zu der gleichen Fragestellung gibt, außer gegenteiliges ist durch allgemeine Auslegung zu begründen. Qijas umfasst auch argumentum a maiore ad minus, a minore ad maius, a fortiori/e, reductio ad absurdum. Die menschliche Vernunft ist in erster Linie keine Rechtsquelle, sie ist ein Instrument zur Ableitung aus den verschiedenen Rechtsquellen und zur Erkenntnis.44 Dort aber, wo aus den Quellen nichts abgeleitet werden kann und auch über das Allgemeininteresse keiner gerechtfertigten Ansicht der Vorzug gegeben werden kann, ist mit Hilfe der Vernunft eine völlig neue Regelung zu treffen, wenn diese die Stufe der Notwendigkeit erlangt um allgemein verbindlich erlassen zu werden. Das Gewohnheitsrecht ist Teil der Rechtsordnung.45 Davon ist z. B. auch der allgemeine völkerrechtliche Konsens eines Zeitalters erfasst, sofern er nicht im Widerspruch zur Scharia steht. Beispiele sind etwa die Abschaffung der Sklaverei, das Verbot des Menschenhandels oder die Behandlung von Kriegsgefangenen. (Möglicherweise kann auch der Schutz

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Der Ansicht, dass alles was die Vernunft diktiert, als von Gott diktiert betrachtet werden kann, kann nicht gefolgt werden. Die scheinbar ewig gültige vernunftmäßige Ableitung und Erkenntnis ist eben nicht allgemein und ewig gültig sondern kann nur zeitgebunden und abänderbar aufgefasst werden. Das zeigt sich vor allem an der heutzutage geführten Menschenrechtsdiskussion. Wenn es vor 2000 Jahren vernünftig erschien, gewisse Verbrecher den Löwen zum Fraß vorzuwerfen, so trifft dies heute nicht zu. Die Setzung der Vernunft als absolute Rechtsquelle würde zur Aushebelung der göttlichen Anordnung führen und damit zur Umgehung des gesamten islamischen Rechtsbestandes, was dazu führt, dass als absoluter Wert etwas angenommen werden kann, was in Wirklichkeit kein absoluter Wert ist; dies wiederum führt zu Ungerechtigkeit und zur Entfernung von göttlichen Prinzipien, die Gott selbst festgesetzt hat; das wiederum führt zur Unterdrückung und Willkürherrschaft. „Übe Nachsicht und gebiete entsprechend der Gewohnheit und wende dich ab von den Unwissenden.“ (Qur’an 7/199).

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Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus den Quellen der Scharia des geistigen Eigentums als gewohnheitsrechtlich verpflichtend angesehen werden.) Die menschlichen Handlungen teilen sich in verschiedene Kategorien: die Grundkategorien sind: Pflicht (fard, wağib), freiwillige gute Tat (mandub), erlaubte Handlung (mubah), verpönte Handlung (makruh), Verbot (haram). Diese können sich je nach Klassifizierung wieder in unterschiedliche Kategorien aufteilen: wie etwa fard ’ain, fard kifaja und wağib als Formen des Gebotes, mustahabb und sunna als Form des Erwünschten, mufsid (fasid/verdorben und batil/ungültig), karaha tahrimijja und karaha tanzimijja als Formen des Unerwünschten/ Verpönten und tatsächlich Verbotenes und deswegen Verbotenes, weil es jedenfalls zu Verbotenem führt als Formen von haram. Wenn es keinen ausdrücklichen Beweis gibt, darf eine (nicht-gottesdienstliche) Handlung nicht als Verboten angesehen werden.46<

Was den großen Bereich der Normsetzung angeht, für den keine direkte Ableitung einer Lösung aus den Quellen der Scharia möglich ist, stellt sich die Frage, ob eine Stellungnahme des Parlaments für den Kalifen bindend ist oder nicht. Diejenigen, die meinen, ein Beschluss des Parlaments (Schura) sei nicht verbindlich, berufen sich auf den Qur’anvers 3/159: „[…] und ziehe sie in der Sache zu Rate; und wenn du dich entschlossen hast, dann vertraue auf Allah […]“ Die Formulierung „wenn du dich entschlossen hast“ legt nahe, dass die Meinung der Beratenden nicht verbindlich ist. Dieser Vers richtet sich aber direkt an den Propheten (s.a.w.s.), der unter Allahs (s.w.t.) Offenbarung handelte, abgesehen davon muss man wissen, dass sich der Prophet 46

„Und sagt nicht aufgrund der Falschheit euerer Zeugen: Das ist erlaubt und das ist verboten; so dass ihr eine Lüge gegen Allah erdichtet. Wahrlich diejenigen die eine Lüge gegen Allah erdichten, haben keinen Erfolg.“ (Qur’an 16/116).

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Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung (s.a.w.s.) tatsächlich an die Meinung der von ihm konsultierten Personen gehalten hat. „Ich habe niemanden gesehen, der sich mehr mit seinen Gefährten beriet, als der Gesandte Allahs (s.a.w.s.).“ (At-Tirmidhi von Abu Huraira).

Ein anderer Qur’anvers, nämlich 42/38, ist hingegen allgemein formuliert: „und deren Handlungsweise/Angelegenheit eine Sache gegenseitiger Beratung ist“ (Amruhum Schura baynahum). Das Wort ’Amr entspricht in diesem Zusammenhang aber wohl am ehesten der Bezeichnung allgemeine Angelegenheit, somit „System“. Zudem geht aus dem Vers hervor, dass die Konsultation jedenfalls vorgeschrieben ist und in dieser allgemeinen Formulierung gibt es keine weitere Einschränkung. Man kann also durchaus davon ausgehen, dass in Angelegenheiten, in denen keine eindeutigen Belege aus den islamischen Quellen für eine gewisse Lösung sprechen, jedenfalls eine Konsultation durchzuführen ist und, dass diese bei Einvernehmen bzw. Mehrheitsbeschluss tatsächlich bindend ist. Fraglich ist aber dann, ob in jedem Fall das (allgemeine) Parlament zu konsultieren ist, oder ob nicht eher in allgemeinen Fragen die Entscheidung des Parlaments bindend sein soll und in fachlichen Fragestellungen der entsprechende Fachmann in der Person des Ministers des betroffenen Ressorts eine Rolle spielen soll. Die Unterscheidung zwischen allgemeinen Fragen und fachspezifischen Fragen ist allerdings deswegen sinnvoll, weil sich aus der Handlungsweise des Propheten (s.a.w.s.) ableiten lässt, dass er zwar die Allgemeinheit konsultiert hat, bei fachspezifischen Fragen aber der Meinung von Experten gefolgt ist. So etwa bei der Auswahl des Lagerplatzes vor einer Schlacht auf den Fachmann al-Hubab ibn al-Mundhir hörte, der ihm von seinem ursprünglichen Plan abriet. Man könnte daher 88

Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus den Quellen der Scharia entweder eine Einbeziehung der Minister in verbindliche Entscheidungen mit fachspezifischen Implikationen vorsehen oder aber man sorgt dafür, dass das Parlament mit ausreichend Fachleuten diverser Disziplinen besetzt ist. Der Prophet (s.a.w.s.) sagte zu Abu Bakr und ’Umar: „Wenn ihr euch in einer Beratungsangelegenheit einig seid, so werde ich nicht widersprechen“ (Ahmad auf dem Weg von Ibn Āanm al-Aš’ari)

Folgende Regelung wäre in einem Islamischen Staat der Gegenwart sinnvoll: > In jenen Angelegenheiten, die ein staatliches Vorgehen und Tätigkeiten nach sich ziehen und bei denen es nicht darum geht, etwas zu erlauben oder zu verbieten und in solchen Angelegenheiten, die keine besondere facheinschlägige Auseinandersetzung benötigen (z. B. in inneren Angelegenheiten der Verwaltung, Organisation des Gesundheitssystems, Bau bestimmter Anlagen, etwa Ausbau der Eisenbahn etc.) ist die Meinung des Parlaments für den Kalifen verbindlich. Der Beschluss symbolisiert nämlich das Allgemeininteresse. Da es sich hier um den Raum handelt, den die Scharia offen lässt und die Anweisungen des Kalifen zum Wohle der Menschen getätigt werden sollen, gibt es keinen Grund eine Bindungswirkung des Parlaments zu versagen. Er kann daher nur aus übergeordneten Interessen, die sich aus den Prinzipien der Rechtsordnung ergeben, insbesondere ungerechtfertigter oder unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte und wenn gewisse Ziele oder Vorhaben über anderen stehen und dadurch unverhältnismäßig gefährdet werden (insbesondere Sicherheitsfragen) davon abweichen. Bei letzterem kann die Einschränkung erfolgen, dass nur dann abgewichen werden kann, wenn der zuständige Minister sich gegen die Meinung des Parlaments ausspricht. Bei Kompetenzfragen und Fragen über das Vorliegen eines übergeordneten Interesses – sofern es sich nicht um ein sicherheitsbeziehungsweise militärisch-taktisches Interesse handelt – könnte z. B. ein Vorabentscheidungsverfahren beim zuständigen (Staats-)Gerichtshof eingerichtet werden, das innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit zu entscheiden hätte. Die Minister haben ein Initiativrecht für Gesetze und Verordnungen in ihrem Ressort und sind mit der fachlichen Untersuchung und Ausarbeitung betraut. Stimmt der Vorschlag des Ministers mit der Mehrheit im Parlament überein, so ist dies für den Kalifen/

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Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung Ministerpräsidenten grundsätzlich bindend [ denn die Minister stehen für die fachliche Kompetenz der Ressorts und der Beschluss der Volksvertretung für das Allgemeininteresse ], außer es bestehen übergeordnete Interessen, die in den Prinzipien der Rechtsordnung begründet sind, insbesondere ungerechtfertigter oder unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte oder es geht um die direkte Ableitung von Rechtssprüchen aus den Primärquellen der Scharia und nicht um Anordnungen in jenen Bereichen, die von der Scharia offen gelassen wurden. Die Minister stehen für die fachliche Kompetenz der Ressorts und der Beschluss der Volksvertretung für das Allgemeininteresse. Es gibt keine außerordentlichen Gesetze, die den Kalifen oder irgendjemanden sonst zur Normsetzung unter Ausschaltung der Kontrollmechanismen berechtigen. <

Dadurch wird sichergestellt, dass der demokratische Gedanke gewahrt wird und das Volk die Angelegenheiten selbst entscheidet, und zugleich wird die Möglichkeit für den Kalifen offen gelassen, (nach Befassung des Staatsgerichts) zu handeln, wenn höchstrangige Prinzipien der Rechtsordnung gewahrt werden müssen (weil der Kalif der letztendlich Verantwortliche für die Normsetzung ist). Dieses System vermeidet auch das Problem einfacher Demokratien, sich selbst zu blockieren, indem Entscheidungen mangels Mehrheit nicht sinnvoll getroffen werden (können). Hier kann der Kalif sodann bei Notwendigkeit eine Maßnahme anordnen beziehungsweise eine Norm beschließen und das Parlament ist dann gezwungen sich zu einigen, wenn es damit nicht einverstanden ist. Dies erhöht sicherlich die politische Kompromissbereitschaft, weil es dem Parlament sicher lieber sein wird, eine eigene (Kompromiss-)Lösung auszuhandeln, als eine auferlegt zu bekommen.

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Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus den Quellen der Scharia Vereinfacht gesagt, kann also festgelegt werden, dass der Beschluss des Parlaments in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des zuständigen Ministers jedenfalls bindend sein sollte. Ohne Zustimmung des Ministers sollte der Beschluss des Parlaments nur dann bindend sein, wenn es sich um keine fachspezifische (komplizierte) Angelegenheit handelt, sondern um eine allgemeine. Im Bereich der direkten Ableitung von Rechtsvorschriften aus den Quellen der Scharia spielt die Meinung des Parlaments nur dann eine Rolle, wenn mehrere unterschiedliche Ableitungen möglich und gerechtfertigt sind (Al Maslaha al Mursala). Steht etwas nach dem Qur’an oder der Sunna eindeutig fest, kann keine Entscheidung eines Konsultativorgans für den Kalifen bindend sein. Das zeigte sich z. B. gleich zu Beginn des Kalifats, als Abu Bakr (r.a.) gegen diejenigen vorging, die es nach dem Tod des Propheten (s.a.w.s.) unterlassen haben, die Sozialabgabe (Zakah) zu zahlen. Er konsultierte nicht die Ratsversammlung, denn hiefür ist keine Beratung notwendig, weil die Zahlung der Sozialabgabe nämlich Pflicht ist. Bei der Normsetzung sollte am besten differenziert vorgegangen werden und es sollte in vielen Bereichen die Subsidiarität zugunsten der Provinzen bedacht werden. Im Bereich der aus den Primärquellen direkt ableitbaren Rechtssätze ist der Gouverneur jeder Provinz nach seinem Iğtihād oder in Befolgung eines anderen Gelehrten entscheidungsbefugt, solange der Kalif nicht einen SchariaRechtsspruch (Hukm ’Scharri’) erlässt und den Meinungsunterschied aufhebt. In den Bereichen, die die Scharia offen lässt, insbesondere bei Verwaltungsangelegenheiten, sollte von dem Primärrecht der Provinzen zur Normsetzung ausgegangen werden. Abū Dāwūd, Baihaqī und Ahmad berichten von Mu’ādh, dass der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) diesen bei der Entsendung nach Jemen fragte:

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Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung „Wie richtest du, wenn dir eine Rechtssache vorgebracht wird? Er antwortete: Nach dem Buch Allahs. Der Prophet fragte: Und wenn du es im Buch Allahs nicht findest? Er sagte: Dann richte ich nach der Sunna des Gesandten Allahs. Der Prophet fragte: Und wenn du es in der Sunna des Gesandten Allahs nicht findest? Er antwortete: Dann vollziehe ich Iğtihād in meinem Ermessen. Der Prophet klopfte sodann mit seiner Hand auf meine Brust und sprach: Gepriesen sei Allah, der den Gesandten des Gesandten Allahs zu dem hinführte, was den Gesandten Allahs zufrieden stellt.“

Zu empfehlen wäre z. B. folgende Regelung: > Der Gesamtstaat schreitet ein um Mindesterfordernisse festzusetzen oder im Wege der Grundsatzgesetzgebung (z. B. Grundsätze der Bildungspolitik, einheitliche Standards; aber keine Vorschreibung eines bestimmten Systems – etwa Gesamtschule oder nicht) bzw. der Gesetzgebung durch Vorschreiben mehrerer zur Auswahl stehender Alternativen, außer eine Maßnahme bzw. ein von der Rechtsordnung gefördertes und angestrebtes Ziel kann nur durch gesamtstaatliche Normsetzung erreicht werden oder zumindest wesentlich besser und effizienter erreicht werden (etwa im Bereich der Gesundheitsversorgung und Grundsicherung) sowie dann, wenn eine oder die Provinz/en entsprechende Maßnahmen verabsäumen. Will der Kalif eine Norm erlassen, bei der zweifelhaft ist, ob sie die Selbstständigkeit der Provinzen stark beeinträchtigt, entscheidet das Staatsgericht über die Schlüssigkeit – nicht jedoch über die politische Gewichtung – der Notwendigkeitsbegründung und -abwägung des Kalifen bzw. Ministerpräsidenten, um Willkür zu vermeiden. Der Kalif hat über diese Grundsätze zu wachen. Es ist den Provinzen nicht gestattet Normen für die Bereiche zu schaffen, die unmittelbar vom Gesamtstaat verwaltet werden, mit Ausnahme der freien Bereiche in der Judikatur. Es ist den Provinzen nicht erlaubt selbstständig Steuern und Einnahmen zu erheben, wenn ihnen dies nicht durch den Gesamtstaat ausdrücklich zugestanden wird. Bei der Erlaubnis bestimmte Steuern zu erheben, die ausschließlich für eine Provinz bzw. einen Landkreis verwendet werden, sind die Provinzen/Gliedstaaten gleich zu behandeln, außer es besteht eine Notwendigkeit zur Sondererlaubnis, die objektiv gerechtfertigt werden kann und die der Kalif

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Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus den Quellen der Scharia bestätigt. Bei Streitigkeiten entscheidet das Gericht. (Siehe hierzu weiter unten bei den Politikbereichen) Auch innerhalb einer Provinz ist den kleineren Einheiten die Möglichkeit zu geben, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, insbesondere die Kommunalverwaltung. Jeder Gesetzesakt kann vom Regenten dem Volk zur verbindlichen Entscheidung vorgelegt werden. Ausgenommen sind die unmittelbaren Ableitungen aus dem Kernbereich der Scharia, außer es geht darum das Allgemeininteresse für die Gewichtung bestimmter Argumente zu erforschen. Das Volk hat die Möglichkeit durch Bürgerinitiativen (Unterschriftenaktionen in gewissem Mindestumfang) an der politischen Willensbildung teilzunehmen um eine verpflichtende Befassung der Volksvertretung und der Regenten mit einem bestimmten Thema zu erwirken. <

Eine föderale Ausprägung ist absolut notwendig, will man die Stabilität des Staates gewährleisten, der aus mehreren Völkern besteht. Zudem ergibt sich der föderale Charakter aus der (relativen) Regierungsfreiheit der Befehlshaber während der Zeit des Propheten (s.a.w.s.) und der nachfolgenden Kalifen. Jede beschlossene Norm sollte am besten einem Obersten Justizrat vorgelegt werden, der über die Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Scharia entscheidet. Dieses Gremium besteht aus islamischen Rechtsgelehrten, die in der Lage sind, die Norm nach den islamischen Rechtsvorschriften eingehend zu untersuchen. Der Oberste Justizrat sollte als ein ExpertenParlament betrachtet werden, dessen Rat bei der direkten Ableitung von Rechtsvorschriften aus den Quellen der Scharia besondere Bedeutung besitzt – schließlich ist der Kalif in diesem Bereich, wie weiter oben ausgeführt, nicht an die Meinung des Parlaments als allgemeines Volksvertretungsorgan gebunden. Passend wäre etwa folgende Regelung: 93

Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung >Ist die Mehrheit im Justizrat der Meinung, die Norm verstößt gegen Grundsätze der Scharia, wird sie zurückverwiesen und muss erneut unter Berücksichtigung der Argumente des Rates behandelt werden. Es kann ein abgeänderter Beschluss oder ein Beharrungsbeschluss gefasst werden. Sollte ein Beharrungsbeschluss gefasst werden, ist diese grundsätzlich verbindlich. Der Oberste Justizrat kann ihn allerdings für nichtig erklären, wenn es sich um offenkundiges Unrecht handelt – eine Auslegung, die den islamischen Prinzipien widerspricht und durch keine ernsthafte und durchdachte Interpretation der Quellen und nicht unter Berücksichtigung der teleologischen und historischen Interpretation, erreicht werden kann, sowie dann, wenn die Maßnahme offensichtlich auf Willkür und Unterdrückung abzielt. (Bei der ersten Überprüfung geht es um die Richtigkeit nach Meinung des Rates, bei der zweiten Überprüfung geht es hingegen um die schlichte Vertretbarkeit) <

Weitere beispielhafte Belege: „[…] und dass wir die Befehlsgewalt denjenigen, die sie innehaben nicht streitig machen. Er (der Prophet s.a.w.s.) sagte: ’Es sei denn, ihr seht einen offenkundigen Kufr (Unglauben/Sünde), für den ihr von Allah einen definitiven Beweis habt.’ (Al-Buhārī von ’Ubāda ibn al-Sāmit) Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Wer in unserer Angelegenheit etwas Neues hervorbringt, was nicht dazugehört, so ist es zurückzuweisen!“ (Muslim von A’iša). Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Wenn der Befehl zu einer Sünde gegeben wird, so gibt es keinen Gehorsam“ (Buhārī, Muslim, Abu Dawūd, Tirmidhi, Nasā’i).

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Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/ Judikative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung

Die Judikative ist jene unabhängige, in ihrer rechtsprechenden Tätigkeit weisungsfreie Gewalt, die über Recht und Unrecht verbindlich entscheidet, im Bereich des Strafrechts, des Privatrechts, sowie bei Auseinandersetzungen zwischen dem Staat und den Bürgern. Während des historischen Kalifats hat sich der Posten des Obersten Richters (Qādi al-Qudāt / Wālī al-Qadā’) etabliert: er wird vom Kalifen oder Ministerpräsidenten auf eine bestimmte Zeit ernannt. Er muss dem Kreis der Rechtsgelehrten angehören, der zum selbstständigen Iğtihād fähig ist. In unserer Zeit kann man den Obersten Richter zugleich als Justizminister mit entsprechenden Befugnissen ansehen.47 Es kann als

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Der Oberste Richter ist als Justizminister in seinen richterlichen Aufgaben und seinen eigentlichen inhaltlichen Tätigkeiten genauso wie alle anderen Richter weisungsfrei, d.h. ihm kann weder das Ergebnis seiner Arbeit noch eine verbindliche Interpretation auf eine bestimmte Art und Weise vorgegeben werden. Die Bezeichnung Oberster Richter soll nicht den Eindruck erwecken, dieser könnte inhaltliche Weisungen in laufenden Prozessen erteilen oder eine bestimmte Interpretation vorschreiben. Richter können nur in Justiz-Verwaltungsangelegenheiten oder in organisatorischen Fragen Weisungen (seitens des Obersten Richters als Justizminister) unterliegen, weil diese nicht die rechtsprechende Tätigkeit berühren. Dies ist ein zentrales Merkmal rechtstaatlicher Systeme. Daher kann auch dem Obersten Richter als Justizminister eine bestimmte Vorgabe seitens des Ministerpräsidenten oder des Kalifen erstatten werden, etwa für einen bestimmten Teil des Strafrechts einen Kodifikationsvorschlag zu erstatten oder ein neues Bezirksgericht einzurichten: er entscheidet aber über den Inhalt des Gesetzesvorschlags

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Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/ Judikative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung Vorsteher der Mazālim-Gerichte betrachtet werden, der auch die Befugnis besitzt, Richter einzusetzen. Die MazālimGerichte waren im islamischen Reich die zweite Instanz, an die sich die Bürger wenden konnten, wenn in einem Verfahren ein wesentliches Recht missachtet wurde.48 Diese Gerichte konnten die Entscheidung der Vorinstanzen aufheben und neuerlich entscheiden. ’Abd al-Razzāq berichtet von al-Imam al-Taurī, dass dieser sagte: „Wenn der Richter im Widerspruch zum Buch Allahs, zur Sunna des Gesandten Allahs oder im Widerspruch zu etwas richtet, worüber Übereinstimmung herrscht, so muss der Richter nach ihm sein Urteil aufheben.“49

In Bezug auf de Obersten Richter empfiehlt sich folgende Regelung: >Der Oberste Richter kann vom Kalifen einseitig und vom Vorsteher des Obersten Justizrates auf begründeten Beschluss des Obersten Justizrats abgesetzt werden – die Absetzung muss durch den Kalifen erfolgen (nach Prüfung des Grundes), ebenso kann ihm durch eine 2/3 Mehrheit der Volksvertretung das Misstrauen ausgesprochen werden, was den Kalifen zur Absetzung verpflichtet.<

In Vereinbarkeit mit den Prinzipien der Scharia und der Möglichkeit und absoluten Notwendigkeit eine zweite nachprüfende Instanz zu schaffen, bietet sich die Möglichkeit in

sowie über die Art und Weise des Gerichtssprengels und die Auswahl der Richter für die neuen freien Posten. 48 Siehe z. B. Gerhard Conrad, Reviewed Work: Jorgen S. Nielsen, Secular Justice in an Islamic State: Mazalim under the Bahri Mamluks, in: Die Welt des Islam, New Ser., Bd. 29, Nr. 1/4. (1989), pp. 251-253. 49 Aus: ’Abdu-l-Qadim Zallum, Das Regierungssystem im Islam, 220; basierend auf Taquiyyu-d-Din an-Nabhani.

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Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus den Quellen der Scharia einem islamischen Staat der Gegenwart z. B.: folgende Regelung zu treffen: >Die Mazālim–Gerichte gliedern sich in drei Gerichtshöfe: Der Oberste Gerichtshof, der Staatsgerichtshof und der Verwaltungsgerichthof, wobei dem Obersten Gerichtshof ein Berufungsgericht beigegeben ist. Der Oberste Richter ernennt die Richter an den Mazālim–Gerichten. Die Verwaltungsangelegenheiten kann er an von den Richtern gewählte Präsidenten delegieren. Die Hälfte der Richter für den Staats- und den Verwaltungsgerichtshof kann die Volksvertretung vorschlagen, der Oberste Richter prüft dabei die ausreichende Qualifikation der Bewerber, die andere Hälfte der Stellen wird ausgeschrieben und der Oberste Richter ernennt die seiner Meinung nach geeigneten Personen und muss dies schlüssig begründen; ist die Begründung nicht schlüssig, kann die Ernennung durch den Vorsteher des Obersten Justizrates aufgehoben werden. Für den Obersten Gerichtshof ist jedenfalls eine Ausschreibung notwendig. Die Mazālim-Gerichte sind befugt, Fälle, die Kompetenzbereich fallen, von Amts wegen wahrzunehmen.

in

ihren

Die Unabhängigkeit der Richter ist zu gewährleisten. Sie sind nicht weisungsunterworfen – außer in Bereichen der Justizverwaltung – unabsetzbar und unversetzbar, außer bei Handlungen, die offensichtliches Unrecht darstellen oder wenn die Voraussetzungen ihrer Eignung wegfallen (z. B. bestimmte Verurteilungen). Die Unabhängigkeit der Justiz wird von einem weisungsfreien beauftragten Staatsanwalt beobachtet, der bei Verfehlungen Anklage erheben kann; dieser wird vom Staatsrat für Justiz auf Empfehlung der Volksvertretung bestellt. Niemand kann in einen laufenden Prozess eingreifen, weder der Oberste Richter noch der Kalif, erst Recht nicht, wenn es um einen Regenten geht bzw. gegen den Kalifen selbst. Jeder hat das Recht auf einen öffentlichen Prozess vor einem unabhängigen Gericht innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit, sowie auf hinreichende Aufklärung seines Sachverhaltes unter Berücksichtigung seiner Argumente und Untersuchung seiner Beweismittel. Jeder hat das Recht sich vor Gericht durch einen Bevollmächtigten vertreten zu lassen, der auch ein Honorar dafür verlangen kann (Anwaltsvertretung). Im Strafprozess hat jeder ein Recht auf fachkundige Rechtsberatung zur Wahrung seiner Rechte, kann er sich keinen Berater und Vertreter leisten, wird ihm von Seiten des Staates einer zur Seite gestellt. Der Oberste Gerichtshof ist die höchste Instanz in den Bereichen Strafrecht und Privatrecht. Er entscheidet in Senaten (bei Stimmengleichheit

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Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/ Judikative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag) oder bei grundsätzlichen Fragen und bei Abweichen von der eigenen Rechtsprechung in verstärkten Senaten über die Auslegung der Normen und die abstrakte Festlegung – rechtliche Ableitung, der Vorsitzende entscheidet sodann – wenn dies vorgesehen und notwendig ist – nach Beratung mit dem Senat unter Bindung an die Rechtsansicht, in der Sache selbst.<

Nach klassischem Fiqh (islamische Rechtswissenschaft) ist der Richter alleine für sein Urteil vor Allah verantwortlich, keiner der großen Rechtsgelehrten hat gefordert, dass eine Entscheidung in Senaten getroffen wird; die Einzelentscheidung wurde als selbstverständlich angesehen. Aus den Geschichtsquellen ergibt sich, dass die Richter jedoch Berater (Senate) heranziehen müssen. Wenn der Senat jedoch gemeinschaftlich nur über die Rechtsauslegung entscheidet, so ist die mit diesem Prinzip vereinbar (schließlich ist auch der gesamte Normsetzungsprozess durch verschiedene Personen und deren Zusammenwirken bestimmt), denn es liegt letztlich ausschließlich am Einzelrichter, die Rechtsansicht am konkreten Fall im Einzelnen anzuwenden und zu prüfen, ob ein rechtserheblicher Sachverhalt unter einen gesetzlichen Tatbestand subsumiert werden kann, sowie über die erforderlichen Feststellungen zur Würdigung der Beweismittel zu urteilen; zudem obliegt ihm das Urteil nach allfälligem richterlichem Ermessen - und dafür ist er allein vor Allah verantwortlich. >Zuständig ist der Oberste Gerichtshof für Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung, sofern die Gesamtstaatsordnung betroffen ist oder Grundprinzipien und Grundrechte der Rechtsordnung. Wird eine solche Rechtsfrage von einer Partei behauptet, ist sie dem Obersten Gerichtshof

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Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus den Quellen der Scharia vorzulegen, falls das Berufungsgericht die Ansicht über die Erheblichkeit teilt. Sollte das Berufungsgericht diese ordentliche Revision nicht zulassen, ist eine außerordentliche Revision durch die Parteien nach Fällung des Urteils der zweiten Instanz und vor dessen Rechtskraft möglich. Der Oberste Gerichtshof kann die Sache an das Berufungsgericht zurückverweisen oder annehmen. Nimmt er die Sache an, entscheidet er im Senat über die vorgelegten Rechtsfragen (nicht in der Sache selbst) und verweist an das Berufungsgericht zurück, das an die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs gebunden ist (außer dies stellt offensichtliches Unrecht dar). Bei groben Mängeln (Diskriminierung, Korruption, Mangel an rechtlichem Gehör, unterlassen von sinnvollen Beweisprüfungen, Befangenheit, etc.) sowie zur Wahrung grundlegender Prinzipien der Rechtsordnung im Bereich Zivilrecht- und Strafrecht entscheidet der Gerichtshof in letzter Instanz in der Sache selbst – nach Beratung im Senat, durch den Vorsitzenden; oder er ordnet eine neue Verhandlung mit neuen Richtern zweiter Instanz an. Bei Grenz- oder Vergeltungsdelikten erfolgt die Berufung direkt an den Obersten Gerichtshof unter Umgehung des Berufungsgerichts, sofern es sich um Körperstrafen handelt. Ermessensentscheidungen dürfen nicht revidiert werden, es sei denn der vorliegende Mangel könnte Einfluss auf die Entscheidung haben. In zweiter Instanz entscheiden Berufungsgerichtshöfe als MazālimGerichte, an die generell sämtliche Fälle herangetragen werden können, die Mängel in der rechtlichen Beurteilung oder im Verfahren aufweisen, sowie beim Vorwurf unzureichender Würdigung der Beweismittel. Sie haben keine Kompetenz eine Ermessensentscheidung des Richters erster Instanz zu revidieren außer, diese steht mit dem Mangel in Verbindung; oder Sachverhaltsfeststellungen für ungültig zu erklären, wenn der Richter erster Instanz die Beweise ausreichend und gründlich berücksichtigt hat, außer es liegen gröbliche Verfahrensfehler (Willkür, Befangenheit des Richters, grobe Gemütserregung, etc.) vor. In erster Instanz gibt es grundsätzlich zwei Arten der Gerichte: einfache Gerichte und höhere Gerichte erster Instanz. Sie unterscheiden sich in der Kompetenzverteilung und in der Bedeutung der Streitangelegenheiten. Die einfachen Gerichte bilden die große Mehrheit, sie entscheiden in einem effizienten Schnellverfahren über die Grundanliegen der Bevölkerung (z. B. allgemeines Familienrecht, Erbrecht, Mietrecht, Fälle mit geringem Streitwert etc.). Gegen ihr Urteil ist eine Berufung an die Gerichte zweiter Instanz möglich. Die höheren Gerichte entscheiden in komplizierteren Fällen, sowie bei höherem Streitwert und schwerwiegenderem Strafrecht. Es

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Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/ Judikative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung kann auch vorgesehen werden, dass für bestimmte Bereiche ein Schnellverfahren (ohne tiefgreifende Beweiswürdigung) vor den einfachen Gerichten eingerichtet wird (als eine Art Schiedsgericht), um bei Angelegenheiten des täglichen Lebens zu einer raschen Rechtsbegutachtung zu kommen; dieses Urteil aber nur bei Zustimmung durch beide Parteien Rechtsgültigkeit erlangt und außer Kraft tritt bei der fristgerechten Anrufung des ordentlichen Gerichts, dass völlig neu und in einem gründlichen Verfahren über die Sache entscheidet. Sollten die Parteien sich dem Urteil unterwerfen (Schiedsgericht), kann nur Berufung unter den allgemeinen Berufungsvoraussetzungen erhoben werden. Die Entscheidungsträger bei den Schnellgerichten und bei den einfachen Gerichten erster Instanz können hinreichend qualifizierte rechtskundige Beamte; bei den Schnellverfahren (Schiedsgerichte) können aber vor allem qualifizierte Imame bzw. Muftis der regionalen Moscheen damit beauftragt werden. Bei allgemeinen Zivilrechtsklagen hat in erster Instanz ein schriftliches Vorverfahren stattzufinden, das dem Kläger bei Schlüssigkeit der Klagebehauptung zu einem vorläufigen gerichtlichen Ausführungsbefehl verhilft, der außer Kraft gesetzt wird, falls der Beklagte Einspruch erhebt. Lässt er die Frist verstreichen hat ihn der Richter zu kontaktieren und bei Einspruch ein Verfahren einzuleiten, bei mangelnder Reaktion anhand der bestehenden und selbstständig gefundenen Beweismittel zu urteilen. In erster Instanz bei den einfachen Gerichten und den Schnellgerichten ist immer ein Einzelrichter zuständig. Bei den höheren Gerichten und den Gerichten zweiter Instanz sind Senate zuständig, die endgültige Entscheidung trifft aber alleinverantwortlich der Vorsitzende als zuständiger Richter; dieser muss aber die Argumente und Mehrheitsverhältnisse als wichtige Impulse berücksichtigen. Je nach Notwendigkeit sind Spezialgerichte erster Instanz einzurichten, etwa für arbeitsrechtliche Angelegenheiten oder für Handelsrecht, Kartellrecht etc. Es sind normative Regelungen über die Voraussetzungen und Bedingungen der Wiedereinsetzung und der Wiederaufnahme des Verfahrens zu treffen. <

Im Folgenden einige beispielhafte Überlieferungen des Propheten (s.a.w.s.) zur Gerichtsbarkeit: Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Wenn zwei Männer in einer Streitsache zu dir kommen, so richte nicht für den Ersten, bis du auch den

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Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus den Quellen der Scharia zweiten angehört hast. Dann wirst du wissen, wie du richten musst.“ (Buhari und Muslim) Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Wenn die beiden Gegner sich zu dir setzen, so spreche erst, wenn du den Zweiten in gleicher Weise angehört hast wie den Ersten“. (Ahmad) Ibn `Abbas, Allahs Wohlgefallen auf beiden, berichtete: Der Prophet, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: Wenn den Rechtsklagen der Leute (immer) stattgegeben würde, dann würde jeder Mensch den anderen um sein Leben und sein Hab und Gut verklagen. Deshalb hat der Angeklagte (das Recht), einen Eid (auf seine Unschuld) abzulegen. (Muslim) Umm Salama, Allahs Wohlgefallen auf ihr, berichtete: Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: Ihr lasst mich über eure Streite entscheiden. Es mag vorkommen, dass manche unter euch für deren Anliegen im Wort mehr gewandt sind als die anderen, und somit gebe ich ein Urteil zu ihren Gunsten demgemäß, was ich von ihnen gehört habe. Zu wessen Gunsten ich dann das Recht seines Bruders gebe, der muss es nicht annehmen, weil ich ihm eine Glut aus dem Höllenfeuer gebe. (Muslim) Amr ibn Al- `As, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: Ich hörte den Gesandten Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagen: Wenn ein Regierender sich bemüht, um die treffendste Entscheidung herbeizuführen, und dabei die Richtigkeit trifft, erwirbt er zwei Löhne. Wenn er sich aber bemüht und dabei das Ziel verfehlt, hat er doch einen Lohn. (Muslim) Abu Bakr, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: Ich hörte den Gesandten Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagen: Ein Richter darf nicht zwischen zwei Menschen richten, wenn er zornig ist. (Muslim) Anas, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: „Ein Jude schlug zwischen zwei Steinen in seinen Händen den Kopf eines jungen Mädchens. Es wurde dann befragt: „Wer hat das mit dir gemacht? Ist es der Soundso, oder der Soundso?“ Als der Name des Juden erwähnt wurde, nickte es mit

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Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/ Judikative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung dem Kopf. Der Jude wurde dann verhaftet, und er gestand die Tat. Der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, ließ ihn dann abführen und seinen Kopf gleichermaßen zwischen zwei Steinen schlagen. (Die Vergeltung erfolgte in gerechter Weise, sowohl nach der Vorschrift der Thora, als auch nach den göttlichen Bestimmungen des Qur’an in dem 45. Vers der 5. Sure Al-Ma`ida, in dem auch die hiesige Vorschrift der Thora bestätigt wird) (Buhari Nr. 2413).

Im Strafprozess gilt der Grundsatz in dubio pro reo (Im Zweifel für den Angeklagten). „Wendet die Grenzstrafen von den Muslimen ab, so gut ihr könnt. Wenn er (der Beschuldigte) einen Ausweg hat, so lasst ihn ziehen. Dass dem Imam bei Strafverzicht ein Fehler widerfährt, ist besser, als wenn es bei einer Bestrafung geschieht.“ (Tirmidhī).

Die Straftaten teilen sich nach herrschender Ansicht in der islamischen Rechtswissenschaft in drei Bereiche: Hudūd (Grenzbereich), Qisās (Vergeltungsdelikte) und Ta’zīr (freier Strafbereich).50 Die Delikte sind in einer Strafrechtskodifikation nach dem Iğtihād des Kalifen bzw. nach dem, dem dieser folgt, unter Wahrung der Vorschriften der Scharia und Beachtung des Allgemeininteresses, festzulegen. Es sollten detaillierte Regelungen zu dem materiellen Tatbestandsmerkmalen der jeweiligen Delikte und ihren prozessualen Voraussetzungen getroffen werden. Bei Missständen im Justizsystem bietet sich die Möglichkeit der Aussetzung von Grenzstrafen. 50

An dieser Stelle wird auf eine ausführlichere Darlegung des islamischen Strafrechts verzichtet. Siehe dazu z. B. Mourad, Fiqh 2, DIDI; Pacic, Islamisches Strafrecht, DIDI 2008. Vergleiche auch folgende Fatwas: IOL Shari’ah Researchers, Islamic Criminal Justice: Is it barbaric?,31.03.2005; IOL Shari’ah Researchers, The Concept of Punishment in Islam, 26.04.2006; ’Abdul-Majeed Subh, Islamic Shari’ah knows no Diskrimination, 18.04.2006.

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Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus den Quellen der Scharia Im freien Strafbereich dürfen keine Strafen erlassen werden, die nicht auf einer Notwendigkeit beruhen und bei denen keine Interessensabwägung vorgenommen wurde – das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist strengstens einzuhalten. Es gibt keine Strafe ohne Gesetz und keine Strafe ohne Schuld. „Und keiner wird die Last eines anderen tragen“ (Qur’an 17/15) „Und diejenigen, die gläubigen Männern und Frauen Ungemach zufügen wegen etwas, was diese gar nicht erworben haben, laden damit Verleumdung und offenkundige Sünde auf sich.“ (Qur’an 33/58).

Die Höhe und Härte der Strafe muss der Stufe der Straftat und der Schuld entsprechen, die prozessualen Voraussetzungen müssen bei härteren Strafen höher sein, außer es geht anderes aus der Scharia hervor.51 Bei freier Beweiswürdigung ist der Beklagte freizusprechen, wenn Aussage gegen Aussage steht, unabhängig von der persönlichen Glaubwürdigkeit (außer es gibt zusätzliche Beweismittel), sofern der Beklagte den Eid leistet. „Wenn den Menschen (Urteile nur) aufgrund ihrer Behauptungen und Stellungnahmen gegeben würden, würdest du Leute sehen, die behaupten andere töteten (ihre Verwandten) und besitzen ihren Reichtum. Trotzdem muss der Angeklagte einen Schwur leisten.“ (Buhārī).

Das Prozessrecht, insbesondere das Strafprozessrecht sollte in einem gesonderten Gesetz präzise festgelegt werden, um einheitliche und gerechte Verfahren sicherzustellen. Es gilt die freie Beweiswürdigung. Indizienbeweise (teilweise in Verbindung mit dem Schwurverfahren Al-Qasama), sind 51

Vergleiche: Fatwa von IOL Shari’ah Researchers, Islamic Fixed Penalties: Striking Balance between Causes and Results, 17.01.2002; IOL Shari’ah Researchers, The Philosophy Behind Prescribed Penalties in Islam, 30.04.2006.

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Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/ Judikative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung insofern zulässig, als sie dermaßen verdichtet sind, dass sie zur völligen Glaubwürdigkeit ohne Zweifel beim Richter führen. Es gibt keine Diskriminierung von Männern und Frauen bei der Zeugenaussage. Im Zivilprozess erfolgt eine sachlich differenzierte Gewichtung nach Lebensbereichen (Geschäftliches, Familie, etc.), um zum absoluten Beweis zu kommen, auf dessen Grundlage der Klage jedenfalls stattgegeben werden muss. Die Zeugenaussagen von Mann und Frau sind im Strafprozess gleich viel wert, außer beim Delikt der Unzucht (Zina), wo grundsätzlich nur die Zeugenaussagen von vier Männern akzeptiert werden.52 Für die Strafverfolgung und die öffentliche Anklage sollten am besten vom Staatsrat für Justiz, Staatsanwälte verschiedenen Ranges eingesetzt werden. Staatsanwälte, die die gleichen Qualifikationen erfüllen müssen wie Richter, sind heutzutage unverzichtbar. Die Fülle an Material kann nicht von Richtern alleine bewältigt werden. Zudem tritt der Staatsanwalt an die Stelle des Regenten in der Strafverfolgung und nimmt daher eine staatliche Kernaufgabe wahr, die vom Regenten überprüft werden können muss. Es empfiehlt sich aber für den Staatsrat für Justiz die Staatsanwälte einzusetzen, weil der Oberste Richter als Justizminister oder der Kalif selber die Richter einsetzt, um Korruption und Missverhältnisse in der Justiz zu verhindern. Der Regent muss aber die Qualifikation des Staatsrates und der Staatsanwälte überprüfen können, da – wie gesagt – die Strafverfolgung eine zentrale Aufgabe des Staates ist.

52

Siehe dazu die Fatwa von Group of Muftis, Testamony of Women and Non-Muslims, 17.02.2004, http://www.islamonline.net.

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Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus den Quellen der Scharia Hinsichtlich der Rechtsprechung im öffentlichrechtlichen Bereich könnte in einem islamischen Staat der Gegenwart z. B. folgende Regelung getroffen werden, um den Erfordernisse der, notwendigerweise komplexen, Verwaltungsstrukturen unserer Zeit gerecht zu werden: >Der Staatsgerichtshof gehört mit dem Verwaltungsgerichtshof zum öffentlich rechtlichen Teil der Mazālim-Gerichtsbarkeit. Die beiden Gerichtshöfe stehen sich gleichberechtigt gegenüber, es gibt eine Kompetenztrennung. Der Staatsgerichtshof ist insbesondere zuständig für die Normenkontrolle (Gesetzesprüfung, Verordnungsprüfung, völkerrechtliche Verträge etc.) im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der Grundordnung (Grundgesetze des islamischen Staates) und den Grundprinzipien der Scharia – Rechtsordnung, die Kompetenzgerichtsbarkeit und Kompetenzfeststellung und die Wahlgerichtsbarkeit. Der Staatsgerichtshof entscheidet über die Amtsenthebung der Regenten und Befehlshaber, die die Scharia missachten. Er entscheidet auch über die Verletzung verfassungsmäßig gewährleisteter Rechte, jedes Gericht ist in diesem Zusammenhang vorlageberechtigt, der Verwaltungsgerichtshof ist vorlagepflichtig. Der Staatsgerichtshof kann von sich aus tätig werden. Der Verwaltungsgerichtshof ist zur Sicherung der gesamten öffentlichen Verwaltung zuständig. Er kontrolliert die Rechtmäßigkeit der individuellen Verwaltungsakte und hebt den Akt bei Rechtswidrigkeit auf. Er entscheidet nicht über freies Ermessen der Behörden oder Tatsachenfragen, außer er ist der Ansicht es liegt Willkür vor. Bei Säumnis der Behörde zweiter Instanz kann der Verwaltungsgerichthof angerufen werden, bei dessen Säumnis der Oberste Richter oder der Kalif, dann erfolgt eine Entscheidung in der Sache selbst. Das Gericht kann auf eigene Initiative jederzeit tätig werden. Die Gerichtshöfe entscheiden in Senaten, außer es wird eine Entscheidung in der Sache selbst getroffen, dann entscheidet ein Einzelrichter beziehungsweise der Vorsitzende des Senats unter Beteiligung einer gewissen Zahl von Richtern als Berater.<

„In der Sache selbst“ wird entschieden, wenn eine Entscheidung für einen konkreten Fall eines Bürgers erfolgt. Gibt es eine „abstrakte Entscheidung“ oder wird nicht über das 105

Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/ Judikative und Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung Recht eines einzelnen Bürgers entschieden, so ist eine Entscheidung im Senat möglich.

106

5

Politikbereiche

5.1 Grundsätzliche Staatsziele Von wesentlicher Bedeutung für die Staatsführung sind auch die grundsätzlichen Zielvorgaben für diverse Politikbereiche.53 Die Scharia lässt den Regenten einen sehr großen Spielraum in den Politikbereichen, damit auf Erfordernisse von Zeit und Ort eingegangen werden kann. Dennoch gibt die islamische Rechtsordnung gewisse Zielvorgaben vor. Oberstes Ziel ist das Gemeinwohl und die Gerechtigkeit, es geht darum das Gute zu gebieten und zu fördern, das Übel hingegen einzudämmen. „Allah befiehlt euch, die anvertrauten Güter ihren Eigentümern zurückzugeben; und wenn ihr zwischen Menschen richtet, nach Gerechtigkeit zu richten. Wahrlich, billig ist wozu Allah euch ermahnt. Allah ist allhörend, allsehend.“ (Qur’an 4/58). „Jenen, die, wenn wir ihnen auf Erden die Oberhand gegeben haben, das Gebet verrichten und die Armensteuer (Zakat) entrichten und Gutes Gebieten und Übles verbieten (, steht Allah bei) und Allah bestimmt den Ausgang aller Dinge.“ (Qur’an 22/41)

5.2 Wirtschaft, Umwelt und Soziales Der Staat hat die Pflicht danach zu streben, sämtliche Grundbedürfnisse – insbesondere Nahrung, Kleidung, Unterkunft und medizinische Versorgung, sowie ausreichende Bildung – jedes Menschen im Staat zu befriedigen. Die Befriedigung darüber hinausgehender Bedürfnisse sollte so weit als möglich auf höchstmöglichem Niveau garantiert 53

Vergleiche: Fatwa von Yusuf Al-Qaradawi, Islam and Politics, 10.07.2004.

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Politikbereiche werden. Der Staat hat den Unterhalt und die Versorgung und Betreuung hilfsbedürftiger Menschen sicherzustellen (z. B. Waisen, Personen, die bedürftig sind und keinen Unterhaltsverpflichteten haben oder dieser nicht leistet oder leisten kann, Menschen mit Behinderungen etc.). „Die sich verpflichtet haben, einen bestimmten Anteil von ihrem Vermögen dem Bettler und Unbemittelten zu überlassen.“ (Qur’an 70/24, 25) „Der Prophet steht den (untereinander).“ (Qur’an 33/6)

Gläubigen

näher,

als

sie

selber

Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Jede Gruppe eines Volkes, die sich in einer bestimmten islamischen Gemeinschaft aufhält und sich nicht um eine hungrige Person unter ihnen kümmert, sollte bei Allah und seinem Propheten nicht als praktizierender Muslim betrachtet werden“ (Ahmad). Abu Musa Al-Asch`aryy berichtete, dass der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte: „Löst die Fesseln des Kriegsgefangenen (bzw. Sklaven), speist den Hungrigen und besucht den Kranken.“ (Buhari Nr. 3046) Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Ich bin für jeden Muslim geeigneter als er selbst. Hinterlässt einer eine Schuld oder unversorgte Kinder, so obliegt es mir (dafür zu sorgen); Hinterlässt jemand Vermögen, so gehört es den Erben.“ (Abu Bakr und ’Umar, Abû Dâwûd und Tirmidhî) Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: “[…] Was eine Person betrifft die Arme und bedürftige Familienmitglieder zurücklässt, so werden Allah und der Gesandte Allahs auf sie Acht geben.“ (Buhārī).

Das Gesundheitssystem sollte nach Möglichkeit kostenlos (dies bedeutet nicht, dass keine Beiträge von den Einkünften an die Gesundheitsämter abgeführt werden dürfen, sondern, dass jeder – auch bei Arbeitslosigkeit und niederem Verdienst – die gleichen Gesundheitsansprüche hat) und jedem Bürger zugänglich sein. Privatärztliche Dienste und Privatkliniken sowie pharmazeutische Unternehmen müssen erlaubt sein, weil die Ausübung ärztlicher Dienstleistungen in dieser Form (nämlich in Form der privatärztlichen Tätigkeit) 108

Wirtschaft, Umwelt und Soziales auch vom Propheten (s.a.w.s.) in Anspruch genommen wurde. Der Staat müsste in diesem Fall Regelungen zur entsprechenden Kostenrückerstattung erlassen. Der Hadith von Anas ibn Malik, Allahs Wohlgefallen auf ihm: Anas ibn Malik wurde nach dem Lohn des Behandelnden mit Aderlass (Schröpfen) gefragt. Da sagte er: Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, ließ sich von Abu Taiba durch Aderlass behandeln. Dafür ließ er Abu Taiba zwei Saa` (Maßeinheit für Getreide) von Essen nehmen. Der Gesandte Allahs sprach auch mit seinem Herrn, damit er seine Steuer herabsetzt. Der Gesandte Allahs sagte weiter: Die beste Arznei für euch ist die Behandlung mit Aderlass (Schröpfen) oder es ist unter euren besten Arzneien. (Muslim) Ibn `Abbas, Allahs Wohlgefallen auf beiden, berichtete: „Der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, ließ sich durch Aderlass behandeln und gab dem Behandelnden seinen Lohn.“ (Buhari)

Die Bürger haben Gesundheitseinrichtungen Hygienestandard.

Anspruch mit

auf ordentliche ausreichendem

Usama ibn Zaid (r.a.) berichtet, dass der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) gesagt hat: „Die Pest ist eine Strafe, welche auf das Volk Israel bzw. auf diejenigen, die vor euch waren, herabgesandt wurde. Wenn ihr hört, dass sie (d. h. die Pest) in einem Land ist, dann geht nicht dorthin, und wenn sie in einem Land auftritt, während ihr dort seid, dann ergreift nicht die Flucht von dort.“ (Muslim) Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Ein Kranker darf nicht gebracht werden um einen sich erholenden zu besuchen.“ (Buhārī).

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Politikbereiche Der Staat hat die Forschung im Bereich der Medizin nach Möglichkeit weitestgehend zu fördern.54 Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete, dass der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte: „Allah hat keine Krankheit herabkommen lassen, ohne dass Er für sie zugleich ein Heilmittel herabkommen ließ.“ (Buhari)

Der Staat hat Vorkehrungen zum Schutz der schwächeren Parteien zu treffen, wie z. B. Arbeitnehmer, Konsumenten, Mieter, etc., um sie vor Übervorteilung und Ausbeutung durch die (wirtschaftlich) stärkere Partei zu schützen. Der Gesandte Allahs (s.a.w.s) sagte: „Eure Arbeiter sind eure Brüder. Allah der Allmächtige ordnete sie euch (zu Diensten) unter. Wer auch immer einen unter sich (arbeiten) hat, muss ihn mit dem ernähren, was er auch selbst isst, ihn bekleiden, womit er sich selbst kleidet und ihnen nichts zu tun auferlegen, was sie nicht leisten können. Wenn du das tust, dann hilf ihnen.“ (Buhārī) „Ich bin am Tag des Gerichts der Gegner dreier Menschen. […] und ein Mann, der einen Arbeiter beschäftigt, aber ihm nicht seinen Lohn bezahlt.“ (Baihaqi) Der Prophet (s.a.w.s) ordnete an, dass der Arbeiter bestimmte Ansprüche hat, z.B. Klärung des Lohnes im Vorhinein, rechtzeitige Bezahlung, keine unangemessenen Aufgaben. (Buhārī, Baihaqi, ‚Abdul Razzak in Al Musannaf). „Am Tage der Auferstehung bin ich der Gegner von Dreien: des Mannes, der in meinem Namen etwas versprochen hat, es dann aber nicht

54

Vergleiche z. B. folgende Fatwas: Ahmad Kutty/ Muzammil Siddiqi, Stem Cell Research in Shar’ah Perspective, 19.04.2007; Yusuf Al-Qaradawi, How Does Islam View Genetic Engineering?, 05.12.2006; Marawan Shahin, Infection: An Islamic Perspective, 09.03.2006.

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Wirtschaft, Umwelt und Soziales erfüllte; des Mannes, der einen freien Mann verkaufte und sich am Preis bereicherte; des Mannes, der einen Lohnarbeiter einstellte und volle Leistung bekam, aber ihm den Lohn nicht gibt.“ (Buhārī).

Der Staat soll den Arbeitsmarkt fördern und nach Möglichkeit für genügend Arbeitsplätze sorgen. Es spricht nichts dagegen, dass sich die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer zu Gewerkschaften und Interessenvertretungen zusammenschließen, die untereinander verbindliche Kollektivverträge (z. B. über einen Mindestlohn) für ihre Angehörigen schließen können. Hier handelt es sich um eine Konstruktion auf Grundlage der Vollmacht. Die Arbeitnehmer müssen die Möglichkeit haben, auf Betriebsebene Vertreter zu wählen, die für sie Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber abschließen können (dies beruht auf dem gleichen Prinzip der Vollmacht). Um ausreichenden Schutz zu gewährleisten, können gesetzliche Gewerkschaften eingerichtet werden, die allerdings nicht auf Zwangsmitgliedschaft beruhen und deren Vertreter von den Angehörigen der verschiedenen Berufszweige gewählt werden. Die festgelegten Mindestarbeitsbedingungen und Mindestlöhne durch Vereinbarung zwischen den Gewerkschaften bilden dann das allgemeine Maß und die Grenze der Angemessenheit. Hierbei handelt es sich nicht um die nach islamischem Recht verbotene einseitige staatliche Festsetzung von Preisen, sondern um einen Vertrag zwischen zwei kollektiven Körperschaften, die diese Mindeststandards aushandeln. Dieses Mindestmaß von Seiten der Nichtmitglieder zu unterschreiten, bedürfte dann besonderer rechtfertigender Sachverhalte.

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Politikbereiche Um ausreichende Stabilität des Wirtschaftssystems zu gewährleisten, sollten bei der Normsetzung im Staat sowie in den Provinzen die repräsentativen Vertreter der wirtschaftlichen Kräfte (Spitzenverbände) mit einbezogen werden und von einer Einigung unter ihnen und den Regierungsmitgliedern sollte nicht abgewichen werden. Dies garantiert stabile wirtschaftliche Verhältnisse, die auf Konsens bzw. Mehrheit beruhen und dem islamischen Prinzip der gegenseitigen Beratung entsprechen. Zu den Vermögensrechten: Die primäre Prämisse ist folgende: Alle Besitztümer auf Erden gehören Allah (s.w.t.). Gott hat die Herrschaft über Himmel und Erde und was in ihnen ist.“ (Qur’an 2/120).

Er hat sie den Menschen durch die Einsetzung zum Treuhänder auf Erden verfügbar gemacht und ihnen ein tatsächliches Recht darauf gegeben. „Und dass er reich macht und Besitz verleibt.“ (Qur’an 53/48).

Der Mensch ist verpflichtet, sorgsam mit den Gütern umzugehen und auf seine Umwelt zu achten.55 Der Prophet Allahs (s.a.w.s) sagte: „Irgendwelche schädlichen Dinge von der Straße zu räumen ist eine wohltätige Handlung.“ (Buhari) Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte „Niemals pflanzt ein Muslim einen Baum (oder eine Pflanze), von dem die Vögel, ein Mensch oder gar Tiere essen, ohne dass für den Pflanzenden eine Belohnung aufgeschrieben wird.“ (Muslim).

55

Siehe dazu z. B. folgende Fatwa: IOL Islamic Researchers, Islam and Environment, 05.06.2007; IOL Islamic Researchers, How Islam Cares About the Environment, 03.06.2007.

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Wirtschaft, Umwelt und Soziales Der Schutz der Natur und der Lebewesen ist bei allen staatlichen Akten zu beachten und die unbillige Beeinträchtigung der Natur ist durch den Staat zu untersagen und zu verhindern, genauso wie der Schutz der Lebewesen sicherzustellen ist, wie etwa durch die strafrechtliche Sanktionierung von Tierquälerei. Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Eine Frau kam wegen ihrer Katze ins Höllenfeuer. Sie sperrte die Katze ein, bis die Katze starb. Die Frau gab der Katze weder Futter noch Wasser, noch erlaubte sie ihr herumzustreunen und zu fressen, was sie finden könnte.“ (Buhārī, Muslim) „Allah der Allmächtige verflucht denjenigen, der ein Tier brennt um es zu kennzeichnen. (Buhārī, Muslim) „Möge Allah denjenigen verfluchen, der ein Lebewesen als lebendiges Ziel aussetzt.“ (Buhārī, Muslim) „Wer war derjenige, der die zwei kleinen Vögel von ihrer Mutter entführte und sie traurig und bekümmert machte? Gebt die zwei kleinen Vögel ihrer Mutter zurück.“ (Abu Dawud).

Bei der Energiegewinnung ist der Staat verpflichtet, nach Möglichkeit mit möglichst naturverträglichen und naturfreundlichen Mitteln und Verfahren zu arbeiten.56 Die Menschen haben das Recht, in einer sauberen und gesunden Umgebung zu leben. Das Eigentum an Gütern kann man grundsätzlich in drei Kategorien gliedern: Öffentliches Eigentum, an dessen Nutzen grundsätzlich jeder partizipieren kann, außer es besteht ein besonderes entgegenstehendes Allgemeininteresse (z. B. öffentliche Plätze und Anlagen), Staatseigentum, dass zur staatlichen Nutzung bestimmt ist, und schließlich das absolut 56

Vergleiche z. B. folgende Fatwa: Nasr Farid Wasil, Islam and Environmental Pollution, 04.06.2007.

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Politikbereiche geschützte Privateigentum, das auf eine durch die Scharia erlaubte Weise erworben wurde, z. B. Kauf, Tausch, Schenkung, Entgelt, Erbschaft, aber z. B. auch originäre Erwerbsarten, wie die Umzäunung und Bestellung von über drei Jahre brachliegendem Land. „O ihr die ihr glaubt, betretet keine anderen Wohnungen als die euren, bevor ihr nicht um Erlaubnis gebeten und ihre Bewohner gegrüßt habt. Das ist besser für euch, wenn ihr euch ermahnen lasst. Und wenn ihr niemanden darin findet, so tretet nicht eher ein, als bis euch die Erlaubnis gegeben wird. Und wenn zu euch gesprochen wird: Kehrt um! Dann kehrt um. Das ist reiner für euch. Und Allah weiß, was ihr tut.“ (Qur’an 24/2728).

Die Landwirtschaft ist durch den Staat zu fördern und die Bestellung von Land durch staatliche Unterstützung auch für jene zu ermöglichen, die bedürftig sind. `A´ischa, Allahs Wohlgefallen auf ihr, berichtete, dass der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte: „Wer ein Land urbar macht, das niemandem gehört, hat ein Vorrecht darauf.“ `Urwah erzählte, dass `Umar, Allahs Wohlgefallen auf ihm, während der Amtszeit seines Kalifats nach diesem Grundsatz in der Rechtsprechung so verfuhr. (Buhari) Dschabir, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: „Die Leute pflegten (die Ländereien) gegen ein Drittel, Viertel oder gegen die Hälfte des Ertrages zu kultivieren, und der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte: „Wer ein Land hat, der soll es selbst bestellen oder einem anderen ohne Gegenleistung geben und wenn dieser das nicht tut, so soll er sein Land (trotzdem) behalten.“ (Buhari)

Naturgewalten, wie Flüsse und Seen, gehören nach überzeugender Ansicht zum öffentlichen Eigentum, genauso wie große Rohstoffvorkommen, sofern es sich um große

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Wirtschaft, Umwelt und Soziales natürliche Energiequellen handelt, auf welche die Menschen allgemein angewiesen sind (z. B. Erdöl, Erdgas).57 Er ist es, der euch die Erde untertan gemacht hat; wandert also auf ihren Wegen und genießt seine Versorgung. Und zu ihm führt die Auferstehung.“ (Qur’an 67/15) Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Die Muslime sind Teilhaber in drei Dingen: Wasser, Weideland und Feuer (Brennstoff/Energie)“ (Abu Dawud 3477, sahih nach Albani)

Enteignungen des Privatbesitzes sind nicht zulässig,58 außer bei besonderem öffentlichen Interesse, das nicht anders befriedigt werden kann, wobei sonst ein unangemessener Schaden an der Allgemeinheit entstehen würde (letztes Mittel, notwendig, geeignet, angemessen); vorausgesetzt dem Betroffenen wird unverzüglich gerechter Ersatz gewährt. Beschlagnahme des Vermögens darf nicht ungesetzlich und ohne Gerichtsurteil erfolgen. Der Staat sollte Vorkehrungen treffen, um Ungerechtigkeiten und Unbilligkeiten in Bezug auf geistige Leistungen zu verhindern und diese hinreichend zu schützen. Das uneingeschränkte Herausschlagen von Profit auf Grundlage der geistigen Arbeit eines anderen ohne dessen

57

58

Eine andere Ansicht ist die, dass der Staat für Rohstoffe, die zur Energiegewinnung dienen, wie Erdöl oder Ergas 20 % (davon bzw. von den Einnahmen dadurch) als Sozialabgabe (Zakat) an Bedürftige abzuführen hat. Siehe etwa zu einer entsprechenden Fatwa der Al-Azhar Universität in Kairo: New Egyptian Fatwa orders oil revenues fort he poor, 19.06.2008, http://www.islamonline.com/news/newsfull.php?newid=131952. Dies geht aus dem absoluten Schutz des Eigentums als Grundrecht hervor. Vergleiche zum Privatbesitz folgende Fatwa: Monzer Kahf, Islam and Privatization, 07.05.2003.

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Politikbereiche Erlaubnis ist untersagt. Ausnahmen in Bezug auf Copyrights muss es aber bei nicht gewerblicher Verwendung, insbesondere für den persönlichen Gebrauch und für Bildungsanstalten geben; etwa bei unerschwinglichen oder notwendig benötigten Lernunterlagen oder Materialien zur Forschung und Lehre, solange es sich um eine angemessene Menge handelt.59 Plagiate sind unzulässig. Marken, Muster etc., die eine Person oder ein Unternehmen und dergleichen ausweisen, sind zu schützen. Unter den Rechtsgelehrten ist dies strittig. Es scheint aber einsichtig, dass das geistige Eigentum nicht gleich behandelt werden kann, wie körperliches Eigentum, denn sie sind wesensunterschiedlich. Wenn man das körperliche Eigentum verkauft, ist es weg, wenn man es zerstört, ist es weg, während das bei geistigem nicht zutrifft. Eine CD kann überspielt werden, ein Buch gänzlich kopiert werden etc. Daher muss dem Gerechtigkeitsgedanken der islamischen Rechtsordnung entsprechend eine zwischen den persönlichen und den allgemeinen Interessen abwägende Regelung getroffen werden. Zudem ist der Muslim als Käufer verpflichtet sich an Copyrights zu halten, die im Kaufvertrag als „Bedingungen“ vereinbart werden oder die sich aus dem Gewohnheitsrecht ergeben.60

Entdeckungen und wissenschaftliche Entwicklungen sollten innerhalb von drei Jahren in angemessener Weise verwertet werden (eine Frist, festgesetzt werden kann, damit der Gemeinschaft dadurch kein Schaden erwächst), außer die 59

Fatwa von Group of Muftis (Sheikh ‘Abd Al-Azeez ibn Baz/ Sheikh Muhammad ibn Salih Al-Uthaimeen/ Dr. Mahmoud ’Akam), Copying CDs & Computer Programs that have Copyrights, 26.03.2002. 60 Siehe z. B. die Fatwa von Muzammil Siddiqi, Is there a Copyright Law in Islam?, 24.04.2002; Fatwa von Group of Muftis (Sheikh ‘Abd Al-Azeez ibn Baz/ Sheikh Muhammad ibn Salih Al-Uthaimeen/ Dr. Mahmoud ’Akam), Copying CDs & Computer Programs that have Copyrights, 26.03.2002.

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Wirtschaft, Umwelt und Soziales Nichtverwertung ist sachlich gerechtfertigt (wie etwa: Testphase, gewisse Unsicherheiten, etc.). Geschieht dies nicht, könnte der Staat gegen angemessene Vergütung eine Zwangsveröffentlichung oder -verwertung vorsehen, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt (z. B. Medikamente, Heilverfahren, etc.). „(Unwissende) Menschen sollen Wissen bei ihren Nachbarn suchen. Wissende Menschen müssen ihre Nachbarn unterrichten, sonst wird eine Strafe über sie kommen.“ (Tabarani)

Es ist durch den Erlass von Normen sicherzustellen, dass die Instrumente zur Teilnahme am Wirtschaftsleben solche sind, die den islamischen Prinzipien entsprechen. Entsprechende Regelungen sind insbesondere im Vertragsrecht und Gesellschaftsrecht zu erlassen.61 Die islamische Rechtsordnung garantiert Marktfreiheit, allerdings auf dem sozialen Gerechtigkeitsgedanken aufbauend und nicht dem kapitalistischen System folgend. Wenn z. B. Kredite an Firmen nicht auf dem Zinssystem beruhen würden, sondern auf Beteiligungen (die auch die Verlusttragung mit einschließen), würden die Banken weit mehr am Schicksal der Unternehmen interessiert sein und würden die Unternehmen nicht so leicht in Insolvenz geraten, weil sie die gewaltigen Zinsen nicht tragen können, sondern könnten sich am Markt halten und wieder erholen.62

Mit der islamischen Rechtsordnung in keiner Weise zu vereinbarende Handlungen sind zu untersagen, so z. B. die Zinsnahme, die Monopolisierung, das Glücksspiel, aber auch staatliche Festsetzung von Preisen etc. Das Geld soll im Umlauf unter allen Bürgern sein, nicht nur in bestimmten

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Vergleiche z. B. die Fatwa von A Group of Islamic Researchers, Civil Laws in Shari’ah, 20.03.2002, Hussein Shihata, Do Islamic Banks Deal in Riba?, 05.05.2004; Monzer Kahf, What is Murabahah?, 30.07.2003. 62 Siehe zu den Vorschriften des Wirtschaftsrechts nach der islamischen Rechtsordnung: Mourad, Samir, Fiqh II, DIDI.

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Politikbereiche höheren Kreisen. Alle Bürger sind gleich zu behandeln. Ausländische Investoren dürfen nicht bevorzugt werden. Hierzu einige exemplarische Überlieferungen: Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) hat gesagt: „Wer betrügt, gehört nicht zu uns.“ (Muslim) „Der Prophet hat den Verkauf von Weintrauben, ehe sie schwarz geworden sind, und von Getreide, ehe es fest geworden ist, verboten.“ (Buhârî, Muslim, Abû Dâ’ûd, Tirmidî und Nasâ’î) „Wehe den Betrügern, die, wenn sie sich von den Leuten (etwas) zumessen lassen, volles Maß verlangen, wenn sie aber (von sich aus) ihnen (etwas) zumessen oder abwägen, (sie) in Schaden bringen.“ (Qur’an 88/1,2) Der Prophet (s.a.w.s.) sprach: (Muslim)

„Nur der Sünder hortet an.”

„Gott hat das Kaufgeschäft erlaubt und die Zinsleihe verboten.“ (Qur’an 2/175) Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Käufer und Verkäufer haben das Rücktrittsrecht, solange sie sich nicht getrennt haben. Sind sie aufrichtig und erklären sie sich eindeutig, so ist ihr Kaufgeschäft gesegnet, täuschen und lügen sie, so ist der Segen von ihrem Geschäft genommen.“ (Buhârî, Muslim, Abû Dâ’ûd, Tirmidî und Nasâ’î).

Der islamische Staat sollte eine eigene und unabhängige Währung drucken und prägen (etwa Dinar und Dirham), wie dies im Kalifat üblich war. Das Geld kann aus Papiergeld und Münzen bestehen. Strittig ist, ob eine Deckung in Gold gegeben sein muss. Jedenfalls ist erforderlich, dass die Währung ausreichend Deckung (in welcher Hinsicht auch immer) findet, weil sie sonst keinen Wert hätte und nicht als schariakonformes Tauschmittel gesehen werden könnte. Die Sozialabgabe (Zakah), die von allen Muslimen erhoben wird, wenn das Vermögen über der Erhebungsgrenze liegt (Nisāb-Grenze), die Bodensteuer (Kharağ), die Verteidigungs-Ersatz-Abgabe (Ğizya), die von den 118

Wirtschaft, Umwelt und Soziales erwachsenen Nichtmuslimischen Männern erhoben werden kann, wenn dies vertraglich vorgesehen ist, Fay’ (die kampflose Kriegsbeute) und ein Fünftel der Bodenschätze und Mineralien bzw. von deren Ertrag/Gewinn, stehen dem Staat als dauernde Einnahmequellen zu. Diese Steuern wurden von den rechtschaffenen Kalifen und Prophetengefährten gebilligt und bestätigt. „Was Gott seinem Gesandten von den Bewohnern der Städte (als Beute) zugewiesen hat, gehört Gott und seinem Gesandten, des Weiteren den Verwandten, den Waisen, den Armen und dem, der unterwegs ist. (Es soll dem Gesandten vorbehalten sein und von ihm verteilt werden), damit es nicht (als zusätzlicher Besitz) unter denen von euch umläuft, die (schon) reich sind.“ (Qur’an 59/7).

Daneben dürfen ohne Notwendigkeit und für der Scharia nicht entsprechende Zwecke, keine Steuer erhoben werden.63 Die notwendige Steuer ist als ein Almosen von dem Besteuerten zu betrachten, das belohnt wird, weil sie für islamkonforme und der Bevölkerung zu Gute kommende Zwecke ausgegeben wird. Besteuert darf nur jenes Vermögen werden, dass über den Betrag hinausgeht, der zur gewöhnlichen Deckung der Bedürfnisse erforderlich ist, außergewöhnliche Belastungen müssten entsprechend berücksichtigt werden. Das ergibt sich schon daraus, dass für die Sozialabgabe (Zakah) eine Erheblichkeitsschwelle besteht (Nisab). Gerichts- und Verwaltungsgebühren sind unzulässig, diese Leistungen des Staates müssen den Bürgern frei stehen, wie sie ihnen zur Zeit des Propheten (s.a.w.s.) und der

63

Siehe dazu: Irfan Ul Haq. Herndon, Economic Doctrines of Islam: A Study in the Doctrines of Islam and Their Implication for Poverty, Employment and Economic Growth, http://www.islamonline.net.

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Politikbereiche rechtschaffenen Kalifen freigestanden sind. Die Kosten werden durch öffentliche Mittel gedeckt.64 Aischa (r.a.) berichtet: Nachdem Abu Bakr as-Siddiq zum Kalifen gewählt worden war, sagte er: „Die Leute wissen, dass mein Beruf sehr wohl dazu geeignet ist, meine Familie zu ernähren. Jetzt aber wurde ich mit der Herrschaft über die Muslime betraut. Meine Familie wird sich von nun an aus öffentlichen Geldern ernähren und ich werde ausschließlich für das Wohl der Muslime tätig sein!“ (Buhari)

Es könnte in einem islamischen Staat z. B. folgende Regelung getroffen werden: >Die Schlüssigkeit der Notwendigkeitsbegründung wird vom Mazālim–Gericht (Staatsgericht) überprüft. Die Festsetzung von Steuern und die Ausgabe von Geldern für Projekte oder allgemeine Ausgaben, die nicht notwendig sind oder zweck-ungebunden sind, kann nur durch das Volk selbst – somit durch dessen Vertreter – Parlament beschlossen werden, weil der Staat hierfür nicht verpflichtet ist und dem Volk daher keine entsprechende Last auferlegen darf; dies gilt auch für den Bereich der Provinzen. Aber selbst die Volksvertretung kann nicht Geld einheben um es maßlos für ungerechtfertigte Angelegenheiten auszugeben. Die Einhaltung der Prinzipien wird von der Mazalim-Gerichtsbarkeit kontrolliert, insbesondere über die Rechtfertigungsbeschreibungen zu den Gesetzesvorhaben und über die Berichte des Rechnungshofes/ der Rechnungshöfe. <

Zollgebühren und Gelder, die aus der Verwertung des öffentlichen Eigentums oder des Staatseigentums hervorgehen sowie Hinterlassenschaften, für die sich keine Erben finden, bilden schariarechtlich ebenso Einkünfte des Staates. Dies wurde so von den Kalifen praktiziert. Hinsichtlich der Zölle erstmals vom Kalifen ’Umar (r.a.). Des Weiteren empfiehlt sich folgende Regelung:

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Siehe: Muhammad Akram Khan, The Role of Government in the Economy, 08.08.2002, http://www.islamonline.net.

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Der persönliche Lebensbereich >In gesonderten Gesetzen ist festzulegen, welche Gelder von wem (Provinz/Gesamtstaat) eingehoben und genutzt werden. Bei der Frage der Zuweisung von Abgaben, ist der Kalif nicht an den Beschluss der Volksversammlung gebunden, soll sich aber an die Übereinkunft des Finanzministers und der Finanzräte oder Gouverneure halten, wenn diese ordnungsgemäß verhandelt haben. Im Abstand von […] Jahren ist festzulegen oder zu bestätigen, wie die gesamtstaatlichen Gelder verteilt werden; an die jeweiligen Ressorts und je nach Bevölkerungszahl und weitergehender Notwendigkeit an die Provinzen und die weiteren Untergliederungen. <

5.3 Der persönliche Lebensbereich Der persönliche Lebensbereich (insbesondere die Wohnung) ist absolut geschützt, sowie Leben, körperliche Integrität, Vermögen, Würde und Ehre. Den Bürgern darf in einem islamischen Staat nicht nachspioniert werden, um moralisch-religiöse Verfehlungen aufzudecken. „Und spioniert nicht.“ (Qur’an 49/12) Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Oh ihr, die ihr nur mit der Zunge Muslime geworden seid und deren Glaube das Herz nicht erreicht: Fügt den Muslimen keinen Schmerz zu, tadelt sie nicht und verfolgt nicht ihre schwachen Stellen. Wer die schwache Stelle eines muslimischen Bruders verfolgt, dessen schwache Stelle verfolgt Gott. Und wessen schwache Stelle Gott verfolgt, dessen Laster wird aufgedeckt werden, selbst wenn er ganz verborgen sein sollte.“ (Abu Dawud, Tirmidhi).

Die Muslime sollen die islamischen Empfehlungen zur Charakterbildung und Stärkung der guten Eigenschaften im Umgang mit einander beachten. Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: Vermeidet Verdächtigung. Verdächtigung ist die schlimmste Lüge. Folgt nicht den schlechten Neuigkeiten, Mängeln und Fehlern euerer muslimischen Brüder. Hasst eure muslimischen Brüder nicht. Wendet euch nicht von eueren muslimischen Brüdern ab. O Diener Allahs! Seid einander Brüder, wie er es euch

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Politikbereiche befohlen hat. Ein Muslim ist dem anderen Muslim ein Bruder. Ein Muslim muss zu seinem muslimischen Bruder gerecht sein. Ein Muslim darf ihn nicht im Stich lassen oder ihm die Unterstützung untersagen. Ein Muslim darf seinen muslimischen Bruder nicht bloßstellen. Was ein Muslim besitzt ist einem anderen Muslim verboten zu benutzen (ohne Erlaubnis) oder zu missbrauchen (ohne Berechtigung). Frömmigkeit ist hier.“ dabei zeigte er auf seine Brust, „Frömmigkeit ist hier. Es ist für einen Muslim ein ausreichendes Übel seinen Bruder bloßzustellen. Alles was ein Muslim besitzt ist einem anderen Muslim verboten (sich einzumischen); sein Blut, seine beschützten Dinge (Würde, Ehre, Familienangehörige, etc.) und sein Reichtum oder Besitz. Wahrlich Allah schenkt euerem Körper, eurer Gestalt oder Form keine Beachtung, sondern er betrachtet unsere Herzen, Taten und Handlungen.“ (Muslim) „Ein Muslim ist kein richtiger Gläubiger, bevor er für seinen Bruder wünscht, was er für sich selbst wünscht.“ (Buhari).

Die Familie ist der Grundstein der Gesellschaft. Als Grundlage für die Familie besteht im Islam das Institut der Ehe. Der Staat hat die Heirat daher zu erleichtern und zu fördern.65 Sa`d ibn Abi Waqqas, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, lehnte es ab, dass `Uthman ibn Maz`un im Zölibat lebt. Hätte der Prophet dies erlaubt, hätten wir uns kastrieren lassen! (Muslim Nr. 2488) `Abdullah Ibn Mas`ud, Allahs Wohlgefallen auf ihm `Alkama, berichtete: Ich ging mit `Abdullah in Mina, als wir `Uthman trafen. Da ging er mit ihm und sprach mit ihm. `Uthman sagte zu `Abdullah: (O Abu `Abdu-r-Rahman, möchtest du, daß wir dich mit einer Jungfrau

65

Vergleiche dazu folgende Fatwas: Yusuf Al-Qaradawi, The Philosophy of Marriage in Islam, 10.07.2007; IOL Shari’ah Researchers, The Islamic Ruling on Marriage, 20.11.2002.

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Der persönliche Lebensbereich verheiraten? Sie würde einige Tage deiner Jugend in dir wachrufen!) `Abdullah sagte: Zu der Frage, die du angesprochen hast, hat der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, gesagt: „Ihr junge Leute! Wem von euch es möglich ist zu heiraten, der soll es tun; denn dies hilft, die Blicke (zu anderen Frauen zurückzuhalten, und die Keuschheit vor Schändlichkeiten) zu wahren. Wer aber dies nicht zu tun vermag, der soll fasten; denn es ist eher für ihn ein Schutz (vor sündhafter Handlung)!“ (Muslim Nr. 2485)

Jeder hat das Recht, sich gemäß seiner Überzeugung zu äußern, außer dies widerspricht fundamentalen Grundsätzen der Rechtsordnung (indem es auf ungerechten Schaden eines anderen abzielt). Frauen und Männer sind gleichwertig, jeder Teil hat Rechte und Pflichten.66 Gesetzlich dürfen keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen gemacht werden, es sei denn dies geht durch klare Beweise aus der Scharia hervor. „Die einen von euch sind von den anderen“ (Qur’an 3/195). „Diejenigen aber, die handeln, wie es recht ist – sei es Mann oder Frau – und dabei gläubig sind, werden ins Paradies eingehen und nicht im geringsten Unrecht erleiden.“ (Qur’an 4/124) „Und die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen sind einer des anderen Awliya (Beschützer/ Unterstützer/ Freunde/ Helfer); Sie gebieten das Gute und verbieten das Böse […]“ (Qur’an 9/71) Allah (s.w.t.) sagt: „Wahrlich die muslimischen Männer und die muslimischen Frauen, die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen, die gehorsamen Männer und die gehorsamen Frauen, die wahrhaftigen Männer und die wahrhaftigen Frauen, die geduldigen Männer und die geduldigen Frauen, die demütigen Männer und die demütigen Frauen, 66

Siehe dazu folgende Fatwa: Yusuf Al-Qaradawi, The Response To Those Who Deny Women Political Rights, 04.05.2005.

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Politikbereiche die Männer, die Almosen geben und die Frauen, die Almosen geben, die Männer, die fasten und die Frauen, die fasten, die Männer, die ihre Keuschheit wahren und die Frauen, die ihre Keuschheit wahren, die Männer, die Allahs häufig mit ihren Herzen und Zungen gedenken und die Frauen, die Allahs häufig mit ihren Herzen und Zungen gedenken – Allah hat ihnen Vergebung und großen Lohn bereitet.“ (Qur’an 33/35) Anas (r.a.) berichtet, dass der Prophet (s.a.w.s.) gesagt hat: „Wenn jemand zwei Mädchen aufzieht, von ihrer Kindheit bis zum Reifealter, so werden ich und er am Tage des Gerichts wie diese beiden sein.“ Und er legte seine beiden Finger zusammen. (Muslim)

Die Scharia weist den Männern allerdings teilweise höhere Verantwortung zu, den Ehemännern gegenüber ihren Ehefrauen wie auch der kollektiven (nicht individuell) Gesamtheit der Männer für die (kollektive) Gesamtheit der Frauen, weswegen dies bei der Normsetzung zu beachten ist und den Frauen keine Erschwernis aufgebürdet werden darf, wo dies nicht notwendig ist.67 Dies erfolgte bei den religiösen Angelegenheiten z. B. dahingehend, dass die Frauen nicht zum Freitagsgebet müssen und, dass sie nicht fasten und beten, wenn sie die Periode haben, sie keine Pflicht zum Verteidigungskampf trifft usw. Dies darf aber nicht zu unbilligen und diskriminierenden Lösungen führen. Gleiches darf nicht ungleich und Ungleiches nicht gleich behandelt werden, außer durch in der Scharia begründete objektive sachliche Rechtfertigung (dann handelt es sich aber um keine Diskriminierung). „Die Männer stehen den Frauen in Verantwortung vor […].“ (Qur’an 4/34).

67

Vergleiche z. B. folgende Fatwa: IOL Shari’ah Researchers, The Status of Woman in Islam, 07.05.2007.

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Der persönliche Lebensbereich Männer und Frauen sind gleichermaßen und ohne Einschränkung rechts,- handlungs- und vermögensfähig und haben das Recht ihre Angelegenheiten persönlich zu verwalten und durchzuführen.68 Bei allen freien Wahlen steht den Frauen wie den Männern ein gleich gewichtetes Stimmrecht zu.69 Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Das Blut der Muslime ist gleichwertig […]“ (Ahmad) Umm Hani, eine Cousine des Propheten (s.a.w.s.) sagte zu ihm nach der Eroberung von Mekka: „Ich habe zwei meiner Verschwägerten Schutz gewährt.“ Der Prophet sagte: „O Umm Hani, wir haben demjenigen Schutz gegeben, dem du Schutz gewährt hast.“ (Muslim)

Das Eheleben der Ehepartner soll von Zufriedenheit und gegenseitiger Verantwortung und Fürsorge gekennzeichnet sein.70 Die Ehegatten sind Partner und haben gewisse durch die Scharia festgelegte Rechte und Pflichten gegenüber einander.71 Der Ehemann ist verpflichtet zur Obhut der Ehefrau und der Familie im Rahmen der Scharia und zum Unterhalt. Er nimmt seine Aufgaben, Pflichten und Rechte in gegenseitiger Beratung gemäß den Prinzipien der Scharia Allahs (s.w.t.)

68

Siehe dazu z. B. die Fatwa von ’Abdul-Fattah Idrees, Women’s Work: Ans Restrictions?, 05.02.2007; Fatwa von Ahmad Kutty, A Woman Travelling for Conferences without a Mahram, 13.03.2004; Fatwa von Su’ad Salih, Women Acting as TV Announcers, 18.06.2002; Fatwa von Yusuf Al-Qaradawi, Women holding Public Positions, 15.08.2005; Yusuf Al-Qaradawi, Woman Acting as a Judge, 21.06.2007. 69 Vergleiche: Fatwa von A Group of Islamic Researchers, Women Voting: Any Restrictions?. 10.11.2003, http://www.islamonline.net. 70 Vergleiche: Fatwa von Taha Jabir Al’-Alawani, Marital Life should be on Mutual Trust & Understanding, 09.11.2000. 71 Siehe dazu z.B. Fatwa von IOL Shari’ah Researchers, Husband and Wife: mutual Righs and Obligations, 21.04.2004.

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Politikbereiche wahr. Die Ehefrau sorgt für ein gedeihliches Familienleben ihrerseits und folgt dem Ehemann auf dem Weg der Scharia Allahs in gegenseitiger Beratung und Partnerschaft und nimmt ihre Rechte und die Verantwortung gemäß der Scharia Allahs wahr. Dies sind Grundsätze des islamischen Familienrechts. „Und zu seinen Zeichen gehört es, dass er euch aus euch selber Gattinnen geschaffen hat, damit ihr bei ihnen ruhet. Und er hat Liebe und Güte zwischen euch gemacht.“ (Qur’an 30/21). „Und den Frauen stehen die gleichen Rechte zu, wie sie die Männer zur gütlichen Ausübung über sie haben. Doch die Männer stehen eine Stufe über ihnen [in Verantwortung]. Und Allah ist Allmächtig, Allweise.“ (Qur’an 2/228) „Und begehrt nicht das, womit Allah die einen von euch vor den anderen ausgezeichnet hat. Die Männer sollen ihren Anteil nach ihrem Verdienst erhalten und die Frauen sollen ihren Anteil nach ihrem Verdienst erhalten. Und bittet Allah um seine Huld. Wahrlich Allah hat vollkommene Kenntnis von allen Dingen.“ (Qur’an 4/32)

Der Staat muss auf die beste Weise Vorsorge treffen um häuslicher Gewalt vorzubeugen und Sanktionen für solches Handeln setzen.72 „Wer unter euch den festen Glauben hat, ist der, der seiner Frau gegenüber den besten Charakter besitzt und das nachgiebigste Benehmen erweist. (Tirmidhî; Hakim) „Jener, der seine Frau am Tage schlägt, wie kann dieser am Abend mit ihr (seiner Frau) in das gleiche Bett steigen?“ (Buhari, Abu Dawud,) Es berichtet Abu Huraira (r), dass der Gesandte Allahs (s) sagte: "Ein gläubiger Ehemann soll niemals seine gläubige Frau hassen. Wenn er

72

Vergleiche: Fatwa von Zienab Mostafa, Islamic View on Emotinal Abuse in Marital Life, 21.12.2002; Fatwa von Jamal Badawi/ Muzammil Siddiqi, Wife Beating in Islamic Perspective, 21.04.2004, http://www.islamonline.net.

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Der persönliche Lebensbereich eine bestimmte Angewohnheit von ihr nicht mag, so mag er doch eine andere bei ihr finden, die ihm gefällt." (Muslim) Es berichtet Abu Huraira (r), dass der Prophet (s) sagte: "Der vollendetste Muslim in Glaubensangelegenheiten ist derjenige, der ein vorzügliches Benehmen hat; und die Besten unter euch sind jene, die ihre Ehefrauen am besten behandeln." (At-Tirmidhi)

Niemand darf zur Ehe gezwungen werden, solche Ehen sind ungültig.73 „Eine Jungfrau kam zum Propheten und berichtete ihm, dass ihr Vater sie verheiratet habe, obwohl sie dies abgelehnt habe. Der Prophet ließ sie wählen.“ (Abu Dawud, Ahmad).

Jeder hat das Recht zur (begründeten) Scheidung nach den Regeln der Scharia (Talaq, Khul, gerichtliche Scheidung), diese soll jedoch der letzt mögliche Schritt sein, nach Durchführung eines Schlichtungsverfahrens.74 Niemand darf bei der Erbschaft nach den Bestimmungen des Buches Allahs um etwas verkürzt werden.75 Auch in diesem Bereich hat der islamische Staat Vorkehrungen zu treffen und das qur’anische Erbrecht zu etablieren. 73

Siehe dazu: Fatwa von A Group of Islamic Researchers, Seeking Woman’s Consent to the Marriage, 11.08.2003. 74 Vergleiche dazu z. B.: Fatwa von The European Council for Fatwa and Research, Can a woman divorce herself?, 29.07.2002; A Group of Islamic Researchers, The Womans’ Right to Demand Divorce, 22.03.2003; Fatwa von Muzammil Siddiqi, Divorce: Islamic Procedure & Rulings, 09.09.2003; IOL Shari’ah Researchers, Divorce schould be the Final Resort, 08.09.2003; Fatwa von Group of Muftis, Ruling on triple Divorce, 05.08.2004, http://www.islamonline.net. 75 Siehe dazu z.B. folgende Fatwa: Muzammil Siddiqi, Inheritance and Will, 20.06.2002; European Council for Fatwa and Research, Inheriting from a Non-Muslim Relative, 04.08.2003.

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Politikbereiche Jedes Kind hat gegenüber Eltern, Gesellschaft und Staat das Recht auf angemessene Versorgung und Obhut in jeglicher Hinsicht, Bildung und Zuwendung.76 Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „[…] Sei bewusst und fürchte Allah. Sei gerecht, billig und gleich in der Behandlung deiner Kinder.“ (Buhari).

Eltern und/oder Vormund steht die Obsorge zu, nach einer Scheidung steht der Mutter bis zur Wiederverheiratung das größere Recht auf Erziehung zu. Der Vater ist zum Unterhalt verpflichtet. Das Kindeswohl steht, unter Beachtung der Werte der Scharia, im Vordergrund.77 Der Staat sollte darum bemüht sein, Männern und Frauen ihre ihnen von der Scharia zugewiesenen Aufgaben zu erleichtern, so dem Mann die unterhaltsrechtliche Verantwortung für die Familie und der Frau die Wahrnehmung ihrer mütterlichen Aufgaben. Der Staat muss etwa Maßnahmen ergreifen, dass der Frau kein Nachteil durch die Schwangerschaft und die Elternrolle im Berufsleben entsteht und dass sie für diese Zeit abgesichert ist (z. B. Kündigungsschutz), sowie, dass im Berufsleben durch entsprechende abweichende Regelungen (z.B. Arbeitszeit) ermöglicht wird, den familiären Notwendigkeiten nachzukommen. „Oh Prophet, welcher Mensch hat am meisten Anspruch auf meine gute Behandlung? Er antwortete: Deine Mutter! Er fragte weiter: Und danach? Er antwortete wieder: Deine Mutter! Er fragte erneut: Und danach? Er

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77

Vergleiche: Fatwa von Islamic Fiqh Academy, Rights of the Child in Islam, 30.05.3005. Vergleiche z. B. folgende Fatwa: Mohamed El-Moctar El-Shinqiti, Husband Stipulating Custody of Child in Case of Divorce, 11.02.2007;

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Der persönliche Lebensbereich erwiderte: Deine Mutter! Er fragte wiederum: Und danach? Er sagte: Dein Vater.“ (Abu Bakr und 'Umar) „und wenn sie schwanger sind, dann macht (die nötigen) Ausgaben für sie, bis sie zur Welt gebracht haben.“ (Qur’an 65/6).

Beide Geschlechter nehmen im islamischen Staat ihre Aufgaben im öffentlichen Leben wahr und pflegen Umgang miteinander.78 Im privaten Bereich soll die Bevölkerung von sich aus die religiösen Gebote und Empfehlungen der Scharia beachten,79 insbesondere jene, wonach ein Mann und eine Frau, die nicht verheiratet sind und nicht zu jenen gehören, die es zu heiraten verboten ist, es vermeiden sollen sich alleine in den privaten Bereich (wo man das Kommen einer dritten Person nicht erwartet) zurückzuziehen, damit nicht Fitna (Versuchung und Verführung) unter ihnen entsteht.80 Männer und Frauen sind nach der Scharia im öffentlichen Bereich bestimmten Kleidungsvorschriften und anderen persönlichen Vorschriften und Empfehlungen unterworfen.81 Der Staat muss sich allerdings hüten, mit Zwang

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Vergleiche z. B. Fatwa von Yusuf Al-Qaradawi, Mixing between Men and Women, 28.11.2005;. Fatwa von Zienab Mostafa, Women and Work in Public, 28.08.2005. 79 Siehe dazu folgende Fatwas: Ahmad Kutty, Hugging the Opposite Sex, 13.11.2005; IOL Shari’ah Researchers, Looking With Desire at the Opposite Sex, 16.11.2005; European Council for Fatwa and Research, Talking with Members of the Opposite Sex, 10.11.2005. 80 Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Ein Mann darf nicht mit einer fremden Frau ohne einen Mahram (jemand den zu heiraten verboten ist) alleine sein, sonst wird der Teufel der Dritte sein.“ Vergleiche: Fatwa von Ahmad Kutty, Talking Intimately With the Opposite Sex, 13.11.2005. 81 Vergleiche z. B. folgende Fatwas: Muhammad Iqbal Nadvi, Islamic Dress Code for Men, 21.08.2002; Ahmad Kutty, Requirements of Hijab,

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Politikbereiche vorzugehen. Der Prophet (s.a.w.s.) hat dies nicht getan und die Verhältnisse der natürlichen Veranlagung zwischen Männern und Frauen haben sich seit damals nicht geändert, sodass ein besonderes zusätzliches Allgemeininteresse fehlt. Das Gebieten des Guten und das Verwehren des Üblen ist eine Aufgabe jedes einzelnen Mitglieds der islamischen Gemeinschaft und muss überdies auf die beste Weise erfolgen. Zudem können sich Individuen in persönlichen Ausnahmesituationen, die auch Dauerzustände sein können, befinden, was für andere eventuell nicht erkennbar sein kann. Das was aber zu Schaden der Gesellschaft geht und an dem ein übergeordnetes Allgemeininteresse besteht, wie etwa die weitgehende Freizügigkeit im zu verbergenden Schambereich, kann sicherlich mit staatlichen Mitteln auf die beste Weise und abgestuft eingeschränkt werden, wenn es öffentlichen Ärgernis erregt und zu Schaden führt. Dies kann z. B. unabhängig davon normiert werden, dass Nichtmuslime grundsätzlich nicht an die islamische Kleiderordnung gebunden sind.82 Der Staat kann Institutionen und private Unternehmen fördern, die auch im öffentlichen Bereich – Geschäftsbereich, Arbeitsplatz – für eine ausreichende Sicherstellung der islamischen Prinzipien sorgen. Das zur Förderung des Guten auf die beste Weise und zur zwangsweisen Verhinderung des Verbotenen erörterte, muss auch bei allen anderen Angelegenheiten, in denen sich

82

17.10.2006; Yusuf Al-Qaradawi, Shaking Hands with Women: An Islamic Perspective, 24.07.2003. Siehe dazu: Ibrahim Salih Al-Husaini, Must Non-Muslim Women Wear Hijab in Muslim Countries?, 06.03.2007.

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Der persönliche Lebensbereich der öffentliche und der private Bereich überschneiden, beachtet werden.83 Keinesfalls dürfen Verallgemeinerungen ohne übergeordnetes Allgemeininteresse getroffen werden, um Sachen oder Handlungen zu verbieten, die eventuell zu Verbotenem führen können. Es ist immer eine funktionale Betrachtungsweise notwendig. Etwas, das nicht mit Sicherheit zu Verbotenem führt (z. B. Musik und Musikinstrumente, Fernsehen, Videokameras, Kunst und Photos etc) ist immer funktional zu betrachten und hängt von der konkreten Situation und der Absicht der Betroffenen ab und ist daher grundsätzlich also erlaubt anzusehen.84 Es gibt nichts, was dem privaten Vergnügen, Sport und Spiel entgegenstehen kann, solange die Pflichten wahrgenommen werden (z. B. Gebetszeiten) und es sich nicht um Schändliches handelt.85 Der Staat kann nur öffentliche Auswirkungen von privaten Angelegenheiten zwangsweise bekämpfen. In Sachen der Moral muss vor allem der Einfluss auf und das Vorbild für Kinder beachtet werden. Sollte es notwendig sein und im übergeordneten Allgemeininteresse stehen, gegen verbreitete Unsitten und 83

Siehe zur Vorgehensweise des Propheten (s.a.w.s.) bei der Belehrung der Menschen: IOL Shari’ah Researchers, The Prophet’s Methods of Education, 23.03.2006. 84 Siehe dazu z. B. folgende Fatwas: Ahmad Kutty, Women Working in Media, 11.08.2005; A Group of Islamic Researchers, Watching TV & Dancing in Weddings, 14.01.2004; A Group of Islamic Researchers, Bezug nehmend auf eine Fatwa von Yusuf Al-Qaradawi, Singing & Musik: Islamic View, 13.01.2004; Ahmad Kutty, Fatwa on Photography, 16.09.2003; Ahmad Kutty, Ruling on Playing Guitar, 13.08.2002. 85 Vergleiche z.B. folgende Fatwa: ’Atiyyar Saqr, Sports: Definition, Etiquette and Ruling, 08.06.2002.

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Politikbereiche Handlungen vorzugehen, die öffentlichen Ärger bereiten, so sind diese auf die beste Weise einzudämmen und zu der Sache des Islam einladen; Die Menschen dürfen nicht zwangsweise bedrängt werden, es darf nicht Hand angelegt werden, erst Recht nicht durch Beamte verschiedenen Geschlechtes - außer in gesetzlich genau festgelegten Fällen zur Verhinderung offenkundiger Schandbarkeiten und als letztes Mittel, sowie auf schonendste Weise ohne sich im Ton zu vergreifen; jeder Nachteil muss verhältnismäßig und abgestuft sein. „Und sprecht zu den Menschen auf gute Art und Weise.“ (Qur’an 2/83). „Rufe zum Weg deines Herrn mit Weisheit und schöner Ermahnung auf und streite mit ihnen auf die beste Art, wahrlich dein Herr weiß am besten, wer von seinem Weg abgeirrt ist; und er kennt jene am besten, die rechtgeleitet sind.“ (Qur’an 16/125).

Die Einladung zum Islam und zu den islamischen Geboten muss auf die schönste Art erfolgen, die Abschreckung und Bedrängung der Menschen führt zu deren Irreleitung und Abneigung. Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Wer in diesem Leben einen Gläubigen ängstigt, dem droht Allah, der Allmächtige, solch eine Person am Tag des Gerichts zu verunsichern (und zu ängstigen).“ (Tabarany) „Rufe zum Weg deines Herrn mit Weisheit und schöner Ermahnung auf und streite mit ihnen auf die beste Art, wahrlich dein Herr weiß am besten, wer von seinem Weg abgeirrt ist; und er kennt jene am besten, die rechtgeleitet sind.“ (Qur’an 16/125).

Einheiten mit Zwangsbefugnissen in dieser Hinsicht sollten auf keinen Fall eingesetzt werden. Man sieht am Beispiel vieler muslimischer Staaten der Gegenwart, zu welchen Missständen und Gewaltausbrüchen sowie Tyranneien es führt. Die Exekutivorgane haben nach den dargelegten Grundsätzen die beste Alternative für die Hintergründe 132

Nichtmuslimische Staatsbürger menschlichen Verhaltens anzunehmen, bevor sie einen Bürger befragen und ermahnen. Aggression durch die Behörden ist strengstens untersagt und muss disziplinarrechtlich und gegebenenfalls auch strafrechtlich verfolgt werden.86 „Keinen Schaden zufügen und keinen Schaden mit Schadenszufügung beantworten. Wer (jemanden) Schaden zufügt, dem fügt Allah Schaden zu […].“ (Al-Hakim, nach Albani ein sahih Hadith).

Sie ist unter bestimmten durch Verordnung zu spezifizierenden Gegebenheiten nur zur Bekämpfung der Kriminalität und Gewalt und zum Schutz der Rechte der Bürger zulässig. Die Würde und Ehre der Menschen ist in jedem Fall zu beachten. Die Freiheit des Einzelnen ist so wenig wie möglich einzuschränken. Maßnahmen, die die Freiheit zu sehr beeinträchtigen, obwohl es gute Beweise für die Unzulässigkeit der Maßnahmen gibt, sollten vom Mazalim–Gericht (Staatsgerichtshof) oder vom Obersten Justizrat für nichtig erklärt und aufgehoben werden können. Das islamische Bewusstsein der Bevölkerung und die Bildung sind hingegen auf die bestmögliche Weise zu stärken und zu fördern.

5.4 Nichtmuslimische Staatsbürger Die religiöse Überzeugung der Bürger ist im islamischen Staat geschützt. Nichtmuslime dürfen ihren Glauben frei leben.87

86

Vergleiche: Fatwa von: Yusuf Al-Qaradawi/ Muzammil Siddiqi, Aggression Against Innocent People, 01.07.2007.

133

Politikbereiche „Und euch euere Religion und mir meine“ (Qur’an 109/6) „Und schmäht die nicht, die sie statt Allah anrufen, sonst würden sie aus Groll ohne Willen Allah schmähen. Also lassen wir jedem Volk sein Tun als wohlgefällig erscheinen.“ (Qur’an 6/108) „Und stiftet keinen Verderb auf Erden, nachdem dort Ordnung herrscht und ruft ihn in Furcht und Hoffnung an. Wahrlich, Allahs Barmherzigkeit ist denen nahe, die gute Werke tun.“ (Qur’an 7/56) „Und hätte dein Herr es gewollt, so hätten alle, die insgesamt auf Erden sind, geglaubt. Willst du also die Menschen zwingen Gläubige zu werden?“ (Qur’an 10/99).

Die (kulturellen und religiösen) Einrichtungen der Nichtmuslime sind staatlich geschützt. „Es gibt keinen Zwang im Glauben“ (Qur’an 2/256) „Willst du etwa die Menschen zwingen, Gläubige zu werden?“ (Qur’an 10/99) „Wenn sie nun zu dir kommen, dann entscheide zwischen ihnen oder aber wende dich von ihnen ab (und überlasse sie sich selbst!). Wenn du dich von ihnen abwendest, können sie dir keinen Schaden zufügen, wenn du aber (als Schiedsrichter strittige Fragen) entscheidest, dann entscheide unter ihnen nach Gerechtigkeit!“ (Qur’an 2/42) „Und schmäht nicht diejenigen, zu denen sie beten, statt zu Gott, damit sie in (ihrem) Unverstand nicht (ihrerseits) in Übertretung (der göttlichen Gebote) Gott schmähen! So haben wir jeder Gemeinschaft ihr Tun im schönsten Licht erscheinen lassen. Hierauf werden sie zu Gott zurückkehren.” (Qur’an 6/108).

Nichtmuslime stehen zur islamischen Gemeinschaft in einem Vertragszustand, durch den sie die 87

Vergleiche: Fatwa von Jamal Badawi/ Muhammad Nur Abdullah, Freedom of Belief & Minority Rights in Muslim Countries, 18.04.2006; Fatwa von Yusuf Al-Qaradawi, Protection of Non-Muslim’s Place of Worship, 26.11.2006.

134

Nichtmuslimische Staatsbürger Staatsbürgerschaft des islamischen Staates erhalten und durch den die Gleichheit der wechselseitigen Rechte und Pflichten begründet wird. In der islamischen Geschichte wurde vertraglich z. B. die gleiche soziale Absicherung festgeschrieben. Dieser Staatsbürgerschaftsvertrag wird aufgehoben, wenn Grundfesten des islamischen Staates gefährdet werden (Spionage, etc. – dies gilt allerdings auch für den Muslim). Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Sie haben die gleichen Rechte und Pflichten.“ (Malik in Muwatta). So ist z. B. bekannt, dass die soziale Absicherung in einem Vertrag von Halid ibn Walid mit den christlichen Bewohnern von Hira im Irak explizit festgelegt war. Außerdem ist bekannt, dass der Kalif ’Umar (r.a.) eine Rente aus der Staatskasse gewährte.

Es ist möglich – und wurde in der Geschichte auch so praktiziert, – dass den nichtmuslimischen Bürgern eines Islamischen Staates weitgehende Autonomie, nicht nur im religiösen – das ist vorgegeben – sondern auch im rechtlichen Bereich (mitsamt Gerichtsbarkeit) gewährt wird. Nichtmuslimische Staatsbürger können wählen, ob sie in den Bereichen, in denen sie Autonomie genießen, die islamische oder ihre autonome Rechtsprechung in Anspruch nehmen möchten. So hatten Nichtmuslime bereits zur Zeit des Propheten (s.a.w.s.) und der rechtschaffenen Kalifen Autonomie im Bereich des Familienrechts und des Erbrechts und sie waren von jenen Bereichen des islamischen Rechts ausgenommen, die sich auf Muslime beziehen: so durften sie Schweinefleisch essen und Alkohol trinken und damit handeln, obwohl es für muslimische Staatsbürger verboten war (ist). 135

Politikbereiche Es gibt keine Unterdrückung und Diskriminierung nach dem islamischen Recht.88 Der Kalif Ali (r.a.) sagte: „[…] es ist jedoch so, dass das Blut dessen, der durch das Dhimma-Abkommen (Staatsbürgerschaftsvertrag) unter unserem Schutz steht, so behandelt wird, wie unser eigenes Blut, und das für ihn zu entrichtende Blutgeld so wie das für uns zu entrichtende Blutgeld ist.“ (Tabarani, Baihaqi) Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Sie haben die gleichen Rechte und Pflichten.“ (Malik in Muwatta). Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Wer jemanden, mit dem ein Vertrag geschlossen wurde, tötet, wird den Duft des Paradieses nicht riechen, und der Duft des Paradieses ist in einer Entfernung von vierzig Jahren zu riechen.“ (Buhari, Ahmad). Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Seht euch vor! Wer gegen einen Vertragspartner grausam und hart ist, oder ihn in seinen Rechten beschneidet, oder ihm mehr aufbürdet, als er ertragen kann, oder ihm gegen seinen Willen etwas von seinem Besitz wegnimmt, gegen den werde ich selbst am Tage des Gerichts als Kläger auftreten.“ (Abu Dawud, Baihaqi).

An dieser Stelle soll noch auf die VerteidigungsErsatz-Abgabe (Ğizya) eingegangen werden, die in vielen Darstellungen verfehlt beschrieben wird. Die Ğizya ist eine Abgabe, die die Regenten von den nichtmuslimischen Staatsbürgern erhoben haben, um die staatlichen Ausgaben für den militärischen Schutz zu finanzieren. Eine Diskriminierung ist das nicht, denn diskriminiert kann nur dort werden, wo gleiches ungleich behandelt wird. Die Nichtmuslime waren 88

Vergleiche folgende Fatwas: IOL Shari’ah Researchers, Religious Freedom in the Eyes of shari’ah,11.05.2006; ’Abdul-Majeed Subh, Islamic Shari’ah knows no Diskrimination, 18.04.2006.

136

Nichtmuslimische Staatsbürger aber nicht verpflichtet den Militärdienst zu leisten. Leisteten sie diesen freiwillig, wurde die Steuer rückerstattet. Der Kalif ’Ali sagte: „Die Nichtmuslime entrichten die Ğizya damit ihr Blut wie unser Blut und ihr Besitztum wie unser Besitztum behandelt wird.“ Der Heerführer Khalid ibn al-Walid sagte: „Ich schwöre euch meine Treue, dass ich euch für die Schutzsteuer, die von euch gesammelt wird, vollständig beschützen werde. Wenn wir den nötigen Schutz bereitstellen haben wir einen Anspruch auf die Schutzsteuer, anderenfalls braucht ihr sie nicht zu bezahlen.“ (Balathuree).

Zudem wurde die Steuer nur von erwachsenen arbeitsfähigen Männern erhoben, wobei auf soziale Härten und Rücksicht genommen wurde und die Steuer nach Einkommen gestaffelt war. Abgesehen davon stellt diese Steuer einen Ausgleich dafür dar, dass die Nichtmuslime nicht verpflichtet sind die Sozialabgabe (Zakah) zu zahlen, die die Muslime entrichten mussten (Sozialabgabe: 2, 5 % des Jahresgewinns oder 10 % je nach Gütern). „Jede ältere Person, jeder arbeitsunfähige Arbeiter, jede unheilbar kranke Person oder ein reicher, der seinen Reichtum verloren hat, erhalten Armenhilfe von den religiösen Mitmenschen, all diese Menschen brauchen keine Ğizya zu bezahlen. Noch dazu haben all jene für sich und für ihre zu unterstützenden Familienmitglieder einen Anspruch auf angemessene Unterstützung aus der islamischen Schatzkammer.“ (Abu Yusuf, Al Kharağ, 144).

Doch selbst diese Steuer, die in der beschriebenen Form als „Ausgleichssteuer“ anzusehen ist, ist nicht verbindlich, denn es ist möglich in einem Friedensvertrag oder eben diesem Staatsbürgerschaftsvertrag, auf diese zu verzichten; dies ist geschichtlich auch belegt. 137

Politikbereiche Solch ein Vertrag existierte z. B. zwischen den Muslimen und den Nubiern. Ibn Lahi’a sagte: ’Uthman, wie auch die Statthalter und Befehlshaber nach seinem Tod unterschrieben diesen Vertrag und Umar ibn Abdulaziz bestätigte diesen Vertrag.89

Nichtmuslimische Bürger des islamischen Staates sind also vollwertige Staatsbürger des islamischen Staates.

5.5 Asyl Asylrecht Jeder der gerechtfertigt Asyl im islamischen Staat sucht, soll das Recht auf Asyl haben. Der Islam ist nämlich darum bemüht, die Menschen aus der Unterdrückung zu befreien und die Sicherheit zu gewährleisten. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Staat des Asylsuchenden mit dem islamischen Staat im Kriegszustand steht oder nicht.90 „Und wenn einer der Götzendiener bei dir Schutz sucht, dann gewähre ihm Schutz, bis er Allahs Worte vernehmen kann; hierauf lasse ihn den Ort seiner Sicherheit erreichen […].“ (Qur’an 9/6)

Leute die ihren Lebensmittelpunkt im islamischen Raum haben und sich in diesem nicht nur verhältnismäßig kurze Zeit aufhalten, sollten jedenfalls ein Bleiberecht haben, wenn sie nicht schwererer krimineller Handlungen für schuldig befunden worden sind oder eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen. Dies ergibt sich aus der Menschlichkeit. Alle

89

Vergleiche dazu Maulawi, Feisal, Die Prinzipien der Scharia auf denen die Beziehungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen gegründet sind. 90

Siehe zu diesem Thema folgende Fatwas: Hamid Al-Ali/ Taha Jabir AlAlawani, Islam’s Stance on Refugees, 01.01.2006; Faysal Mawlawi (deutsche Schreibweise: Maulawi Feisal), Rights of Refugees in Islam, 19.06.2003.

138

Äußere Angelegenheiten und Innere Sicherheit Verwaltungsverfahren haben innerhalb angemessener Zeit abgeschlossen zu sein, ansonsten erwächst den Betroffenen ein Recht daraus, weil dies gegen die Menschenwürde verstößt und die Menschen dem Staat nicht ausgeliefert sein sollen. Es sollten auch die Voraussetzungen des allgemeinen Bleiberechts detailliert geregelt werden, um Willkür unter den Beamten auszuschließen; dabei ist das Recht auf Familie und Familienzusammenführung zu beachten und auch das besondere Recht eines jeden der im islamischen Land seine Bildung absolviert hat oder in diesem aufgewachsen ist oder mit diesem auf sonstige Weise eng verbunden ist.

5.6 Äußere Angelegenheiten und Innere Sicherheit Der Kalif nimmt im Rahmen der Scharia die Aufgaben der Außenpolitik und die Wahrung der inneren Sicherheit wahr und ernennt auch die Heerführer. Der Kalif und der Außenminister sind für ihre Handlungen der Volksvertretung Rechenschaft schuldig. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann durch die Polizei gewährleistet werden, die auch den Verkehr regelt und überwacht sowie als Strafverfolgungsbehörde strafbare und ordnungswidrige Handlungen erforscht und Gefahren abwehrt. Die Verwaltung sollte möglichst einfach und effizient erfolgen. Ein Teil der Polizei (bestimmte Strafbekämpfungseinrichtungen, Spezialeinheiten, etc.) sollten direkt dem Gesamtstaat unterliegen und direkt verwaltet werden, ansonsten sollte die Polizei den Provinzen unterstellt sein, sodass der Gouverneur über die Exekutive verfügen kann. Dies kann aber auch anders geregelt werden, weil es zum Verwaltungsbereich gehört, wo es keine Vorgaben der islamischen Rechtsordnung gibt. 139

Politikbereiche Die Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten muss auf der Grundlage der Rechtsordnung erfolgen und darf nicht gegen diese verstoßen. Dem Regenten ist genügend Spielraum zu lassen, um die beste politische Taktik durchführen zu können, solange die Mittel nicht gegen die islamischen Grundsätze verstoßen. Zur Bewahrung der Sicherheit und zum Schutz des Volkes und des Staates kann ein Nachrichtendienst / Geheimdienst eingerichtet werden, der dem Heerführer (Amīr der Streitkräfte) und dem Kalifen direkt untersteht.91 Der Einsatz des Nachrichtendienstes gegen die eigene Bevölkerung ist jedoch untersagt, außer zur Abwendung von Gefahren kriminellen Machenschaften (nach richterlicher Genehmigung) – ohne dass jedoch diese Beweise aus Spionagetätigkeit (Tonbänder, Aufnahmen etc.) vor Gericht direkt Verwertung finden. Dies ergibt sich aus dem qur’anischen Spionageverbot. „Und spioniert nicht.“ (Qur’an 49/12)

Der Kalif und seine Vertreter haben den Islam nach außen zu tragen und auf beste Weise zu repräsentieren. Dies wurde weiter oben dargelegt. Sie dürfen nicht in die Fänge der feindlichen Intrigen geraten und müssen stets auf die beste Weise in Stärke und Standhaftigkeit sowie im Streben nach Gerechtigkeit handeln. Der Prophet (s.a.w.s.) sprach: „Der Imam ist ein Schutzschild, man kämpft hinter ihm und man schützt sich durch ihn.“ (Muslim über Al-A’rağ und Abū Hureira). 91

Ein solcher bestand zur Amtszeit des Kalifen ’Umar (r.a.). Siehe Ünal, Halid, Die Rechtfertigung der juristischen Urteile des zweiten Kalifen ’Umar ibn al-Hattab (Diss, Köln 1985), 67.

140

Äußere Angelegenheiten und Innere Sicherheit Der Kalif und der von ihm Beauftragte haben das Recht Staatsverträge verschiedener Art abzuschließen, etwa wirtschaftliche, bildungsfördernde und kulturelle Abkommen oder Friedensverträge. Die Muslime und der islamische Staat sind verpflichtet, sich an die Vertragstexte zu halten, solange der Vertragspartner keinen Vertragsbruch begeht. „Ihr Gläubigen, haltet die Verträge ein!“ (Qur’an 5/1) „Solange diese euch treu bleiben, haltet ihnen die Treue.“ (Qur’an 9/7) „Greift an, aber brecht euere Verträge oder den Waffenstillstand nicht, verstümmelt nicht und tötet kein neugeborenes Kind.“ (Muslim).

Militärpakte können die islamische Gemeinschaft nicht verpflichten militärisch einzugreifen, wenn der Eingriff der Scharia widersprechen würde, es sich also z. B. nicht um einen militärischen Angriff zur Befreiung eines Volkes vor einem schariarechtlich ungerechtfertigten Angriff oder vor bestehender Unterdrückung und Ungerechtigkeit handelt; ebenso sollten Pakte, die die Präsenz fremder Streitkräfte auf islamischem Boden zulassen als nichtig betrachtet werden.92 Eine Bedingung, die gegen das Buch Allahs verstößt ist nämlich nichtig. Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Die Muslime haben sich an ihre Bedingungen zu halten, es sei denn, eine Bedingung verbietet das Erlaubte oder erlaubt das Verbotene.“

Die Gesandten und Botschafter ausländischer Staaten sind zu respektieren und unter staatlichen Schutz zu stellen. So nach dem Vorbild des Propheten (s.a.w.s.) und seinem

92

Vergleiche: Fatwa von ’Abdul-Majeed Subh, Muslim and Non-Muslim Armies Helping Each Other, 18.12.2002.

141

Politikbereiche Verhalten gegenüber Botschaftern, selbst und vor allem wenn sie seine Feinde waren.93 Kriegerische Handlungen sind zulässig, um die Staatsbürger zu verteidigen und Angriffe abzuwenden.94 „Und was ist euch, dass ihr nicht für Allahs Sache kämpft und für die der Schwachen – Männer, Frauen und Kinder – die sagen: „Unser Herr, führe uns heraus aus dieser Stadt, deren Bewohner ungerecht sind und gib uns von dir einen Beschützer und gib uns von dir einen Helfer.“ (Qur’an 4/75) „Und kämpft gegen sie bis keine Verführung mehr besteht und bis sämtliche Verehrung auf Allah allein gerichtet ist. Wenn sie jedoch aufhören, dann wahrlich sieht Allah sehr wohl, was sie tun.“ (Qur’an 8/39) „Und wenn sie dem Frieden zuneigen, so neige dich ihm zu (so neige auch du zum Frieden) und vertraue auf Allah.“ (Qur’an 8/61) „Darum, wenn sie sich von euch fernhalten und nicht gegen euch kämpfen, sondern euch Frieden bieten; dann hat Allah euch keinen Grund gegen sie gegeben.“ (Qur’an 4/90).

Aktiver Einsatz von Streitkräften ist erlaubt, um die innerstaatliche Unterdrückung oder den offensichtlich schariarechtlich ungerechtfertigten Angriff fremder Völker zu beseitigen und diesen die Freiheit zu garantieren – humanitäre Intervention. „Und kämpft auf dem Weg Allahs gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen, doch übertretet nicht. Wahrlich Allah liebt nicht diejenigen, die übertreten.“ (Qur’an 2/190) „Und was ist euch, dass ihr nicht für Allahs Sache kämpft und für die Schwachen – Männer, Frauen und Kinder – die sagen: „Unser Herr, 93 94

Fatwa von Faysal Mawlawi, Taking Hostages: Permissible?, 30.07.2007. Fatwa von Muzammil Siddiqi, Jihad: Ist true Meaning and Purpose, 26.07.2007; Group of Muftis (u.a. Atiyyah Saqr/ Abdul-Majeed Subh), Jihad in Islam: Preemptive or Defensive?, 20.03.2003.

142

Äußere Angelegenheiten und Innere Sicherheit führe uns heraus aus dieser Stadt, deren Bewohner ungerecht sind und gib uns von dir einen Beschützer und gib uns von dir einen Helfer.“ (Qur’an 4/75) „Darum, wenn sie sich von euch fernhalten und nicht gegen euch kämpfen, sondern euch Frieden bieten; dann hat Allah euch keinen Grund gegen sie gegeben.“ (Qur’an 4/90).

Der Krieg muss möglichst entsprechend den Bestimmungen der Scharia geführt werden: Alten Menschen, Kranken und Verwundeten, Kindern und Frauen darf nichts geschehen; dasselbe gilt für Bäume und Pflanzen sowie Gebäude und öffentliche Einrichtungen.95 Nach dem Vorbild des Propheten (s.a.w.s.) sagte Abu Bakr: „Hört zu und gehorcht zehn Befehlen und Anweisungen: Betrügt niemanden. Stehlt niemals von der Kriegsbeute. Brecht nie einen Treue-Eid. Verstümmelt keinen Körper eines feindlichen Kämpfers oder Verstorbenen. Tötet kein Kind oder kleineres. Tötet keinen älteren Mann oder Frau. Tötet keine Frau. Fällt keine Dattelpalme und verbrennt sie auch nicht. Schneidet oder zerstört keinen Obstbaum. Schlachtet weder Schaf, Kuh noch Kamel, es sei denn zu eurer (nötigen) Versorgung. Ihr werdet sicher an Leuten vorbeikommen, die sich als Mönche oder Ähnliches ausgrenzen und isolieren, ganz für den Gottesdienst an Allah, also lasst sie in Ruhe und stört sie nicht. […] Schreitet voran im Namen Allahs.“96

Nichtkriegerischen Aktivitäten, wie humanitärer Hilfe und Friedenssicherung durch die Entsendung friedenswahrender Truppen, steht jedoch nichts entgegen. Dadurch darf das betroffene Volk jedoch keinesfalls

95

96

Siehe in diesem Zusammenhang folgende Fatwa: IOL Shari’ah Researchers, War Ethics in Islam, 01.04.2004. Siehe: Abdul Rahman al-Sheha, Missverständnisse über Menschenrechte im Islam, Verlag Safir, Riadh. König Fahd Bibliothek, Seite 18.

143

Politikbereiche unterdrückt oder seines Selbstbestimmungsrechts beraubt werden. Kriegsgefangene haben – entsprechend der Handlungsweise des Propheten (s.a.w.s.) – das Recht auf würdevolle Behandlung und ausreichend Versorgung (Nahrung, Kleidung, Medizin).97 „Und sie geben Speise – und mag sie ihnen auch noch so lieb sein – den Armen, der Weise und den Gefangenen: Wir speisen euch nur um Allahs Willen. Wir begehren von euch weder Lohn noch Dank.“ (Qur’an 76/8,9).

Verletzung oder Folter wird strafrechtlich geahndet.98 Kriegsgefangene sind für Lösegeld freizulassen oder gegen eigene in Gefangenschaft geratene auszutauschen oder zu begnadigen; oder es ist ihnen eine Möglichkeit zu geben, sich durch einen angemessenen Dienst an der Allgemeinheit zu befreien (zur Zeit des Propheten (s.a.w.s.) z. B. dadurch, dass sie Muslimen das Lesen und Schreiben beibrachten). Zur Zeit des Propheten (s.a.w.s.) wurden keine Gefängnisse gehalten, die Gefangenen wurden auf die muslimischen Familien verteilt und konnten sich auf dem islamischen Gebiet frei bewegen. Lediglich Verbrecher unter den Gefangenen dürfen zum Tode verurteilt werden.99 „[…]Dann hernach entweder Gnade oder Lösegeld bis der Krieg seine Lasten von euch wegnimmt.“ (Qur’an 47/4).

97

Siehe: Fatwa von Muhammad Saleh Al-Munajjid, What Islam says about Prisoners, 30.04.2004; Fatwa von IOL Shari’ah Researchers, Islam’s Stance on Prisoners of War, 13.07.2006. 98 Vergleiche: Fatwa von IOL Islamic Researchers, Islam’s Stance on Torturing Captives, 08.05.2004. 99 Siehe hierzu die Fatwa von Yusuf Al-Qaradawi, Islam’s Stance on Killing Captives, 17.05.2004.

144

Äußere Angelegenheiten und Innere Sicherheit Abu Musa, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete, dass der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte: „Löst die Fesseln des Kriegsgefangenen, speist den Hungrigen und besucht den Kranken!“

Familien, die durch Kriege und Unruhen getrennt worden sind, sollte ein explizites Recht auf Zusammenführung eingeräumt werden. „Wer war derjenige, der die zwei kleinen Vögel von ihrer Mutter entführte und sie traurig und bekümmert machte? Gebt die zwei kleinen Vögel ihrer Mutter zurück.“ (Abu Dawud).

Muslime halten sich an internationale Konventionen und an allgemeinen völkerrechtlichen Konsens, unter der Voraussetzung der Vereinbarkeit mit der Scharia. Diese werden als Gewohnheitsrecht (’Urf) zur Quelle der islamischen Rechtswissenschaft.100 Ein solcher völkerrechtlicher Konsens besteht z. B. im Hinblick auf die Abschaffung der Sklaverei und des Menschenhandels oder in Bezug auf die Behandlung von Kriegsgefangenen.

100

Siehe zur Rolle des Gewohnheitsrechts (’Urf) bei der Interpretation des islamischen Rechts im Kapitel über die Rahmenbedingungen der Legislative.

145

Politikbereiche

5.7 Bildungspolitik Bildungspolitik Das Streben nach Bildung ist für jeden Muslim, Mann und Frau,101 im Rahmen seiner Möglichkeiten eine religiöse Pflicht.102 „Sprich: Sind solche die wissen denen gleich, die nicht wissen? Allein nur diejenigen lassen sich warnen, die verständig sind.“ (Qur’an 39/9) Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Die Suche nach Wissen ist für jeden Muslim (männlich oder weiblich) verpflichtend.“ (Ibn Mağa) „Wer reist um irgendwelches Wissen zu suchen, wird wie jemand angesehen, der Ğihad für Allah unternimmt, bis er nach Hause zurückkehrt.“ (Tirmidhi) „Wer immer einen Weg einschlägt um Wissen zu suchen, einem solchen Menschen wird Allah einen Weg nach Ğennah (ins Paradies) ebnen.“ (Abu Dawūd, Tirimidhi).

Bei der Bildungspolitik sind stets die islamischen Glaubensgrundlagen (’Aqida) zu beachten und sicherzustellen, dass das notwendige Wissen zur Bildung einer fundierten selbstständigen Denkweise vermittelt wird. Die Bildungsvermittlung sollte nach Möglichkeit – in Abhängigkeit von der Materie – vielschichtig erfolgen und darf nicht einseitig sein. Die Menschen sollen schließlich zum selbstständigen Nachdenken und zur eigenverantwortlichen Entscheidung auf solider islamischer Basis angeregt werden.

101

Siehe z. B. folgende Fatwa, wonach das Studium der Medizin von Frauen eine Kollektive Pflicht ist (fard kifayah): Muhammad Nur Abdullah, Women Studying Medicine, 12.12.2006. 102 Siehe zu diesem Themenbereich z. B. folgende Fatwa: Ahmad Kutty, Rules for Women Traveling Abroad to Study, 26.01.2006.

146

Bildungspolitik Die Schulbildung sollte ein angemessenes Spektrum von Wissenschaften und Disziplinen abdecken, wie Naturwissenschaften (Physik, Mathematik, Chemie, etc.), Geisteswissenschaften (Geschichte, Geografie, etc.), politische Bildung etc. Die islamischen Wissenschaften sollten in gewissem Umfang Pflichtfach sein. In der Bildungspolitik und Schulorganisation sollten die Provinzen relativ frei sein. Die Bildungspolitik sollte so vielfältig wie möglich sein; dies fördert außerdem die Zufriedenheit in der Provinzialbevölkerung. Der Gesamtstaat sollte allerdings einheitliche Standards aufzustellen. Unterrichtssprachen sollten am besten die Amtssprachen der Provinzen sein. Die Sprache ist ein besonderes Merkmal eines Volkes und wenn einem die Sprache verboten wird, dann schlägt dies in Unterdrückung um und dies führt zu Auflehnung. Es sollte allerdings eine genügende Anzahl von Arabisch-Stunden sichergestellt werden, um eine einheitliche Verständigung und gleichzeitig einen guten Zugang zu den Quellen des Islam, insbesondere dem Qur’an, zu eröffnen. Privatschulen sollten zulässig sein, müssten jedoch den staatlichen Bildungsstandards entsprechen. Es spielt schließlich keine Rolle woher das Wissen kommt, man muss stets danach trachten, nützliches Wissen zu erwerben. Es können verschiedene Schulsysteme vorgesehen werden, um alle Bereiche und Wissenschaften abzudecken. Es gibt absolut keine Vorgaben oder Empfehlungen seitens der islamischen Quellen. Nach einer einheitlichen Pflichtschule könnte z. B. die Teilung in unterschiedliche Ausbildungsrichtungen (Handwerk, Technik, Pflege und so weiter) erfolgen, wobei verschiedene allgemeinbildende Schulen vorgesehen sein sollten. Es sollte am besten ein allgemeiner Standard festgelegt werden, der zur allgemeinen oder speziellen Studienberechtigung führt. 147

Politikbereiche Die höheren Bildungseinrichtungen, wie Akademien und Universitäten, sollten selbstständige Lehre und Forschung unterhalten und ihnen sollte unter Aufsicht des Staates weitgehende Autonomie bei der Verwaltung zukommen, damit die Forschung und Entwicklung gut gedeiht. Der Staat sollte die Forschung und Entwicklung so weit wie möglich unterstützen und Wissenschaften und Wissenschaftler aller Richtungen fördern. Lernmittel und Bibliotheken sowie Forschungslabors sollten vom Staat in ausreichendem Maß zur Verfügung gestellt werden, denn der Staat als Ganzes hat die Pflicht, die Rahmenbedingungen für die islamische Aufforderung, nach Wissen zu suchen und sich dieses anzueignen, sicherzustellen. Der Staat sollte daher den Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen kostenfrei zur Verfügung stellen und das Studium an höheren Bildungseinrichtungen durch bestmögliche Förderung und Unterstützung, insbesondere in finanzieller Hinsicht, erleichtern. In dieser Hinsicht sei noch einmal die zentrale Überlieferung zur Bildungspolitik angeführt: Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Die Suche nach Wissen ist für jeden Muslim (männlich oder weiblich) verpflichtend.“ (Ibn Mağa)

148

Grundsätzliches

6 6.1

Zur Realisierbarkeit Realisierbarkeit der Grundsätze der islamischen Staatsführung Grundsätzliches

Es gibt zahlreiche „muslimische“ Staaten in unserer Zeit. Sie können als muslimisch bezeichnet werden, weil sich die Bevölkerungsmehrheit zum Islam bekennt und die Politik daher auch von islamischen Prinzipien beeinflusst ist. Manche davon bezeichnet man auch als „islamisch“, weil sie Teilgebiete ihres Rechtssystems an der Scharia ausrichten, wie etwa der Iran, Saudi Arabien, Pakistan, Nigeria, Afghanistan, Sudan, Katar, Kuwait, Bahrain, Jemen etc. Angesichts einer solchen Fülle von muslimischen Staaten stellt sich die Frage, wie realistisch es ist, dass ein islamischer Staat, wie er in den vorangegangenen Kapiteln beschrieben wurde, tatsächlich implementiert wird, zumal es schwer vorstellbar ist, dass alle Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit ihre Identität und Autonomie aufgeben und sich als Provinzen bzw. Gliedstaaten zu einem gemeinsamen islamischen Staat zusammenschließen. Eine realistische Umsetzung einer staatenübergreifenden islamischen Staatsführung soll weiter unten behandelt werden. Hier wird noch einmal auf das Konzept der islamischen Gemeinschaft (Umma) eingegangen. Eingangs (im ersten Kapitel) wurde erwähnt, dass die Quellen der Scharia die Notwendigkeit der Einheit der Muslime nahelegen. Die Forderung nach Einheit bezieht sich auch auf den politischen Bereich, weil es Belege gibt, die 149

Zur Realisierbarkeit der Grundsätze der islamischen Staatsführung beweisen, dass sich die Muslime nach der Leistung eines Treue-Eides an ein Staatsoberhaupt unter keinen Umständen spalten dürfen. Es darf also nur einen Kalifen geben. Mitunter wird hingegen die Meinung vertreten, dass das Verbot der (politischen) Spaltung lediglich für eine geschlossene Einheit von Muslimen relevant ist, also z. B. für alle Muslime in einem abgegrenzten Gebiet (Staat). Unter Zugrundelegung eines solchen Verständnisses der „islamischen Gemeinschaft“ kann man sich auch Einzelstaaten (Nationalstaaten) vorstellen, die sich an einer dem beschriebenen System ähnlichen Staats- und Regierungsform ausrichten. Die Bildung islamischer Einzelstaaten erscheint jedenfalls besser, als den Gedanken an einen Staat nach den islamischen Prinzipien gänzlich zu verwerfen und sich an einem System zu orientieren, das keine Wurzeln in den Quellen der Scharia besitzt, wie etwa einer Monarchie.

6.2

Zusammenschluss zu einer islamischen Union

Ein politischer Zusammenschluss der muslimischen Staaten ist erstrebenswert und sinnvoll, zumal dies auch zu einem Ende der innermuslimischen Spannungen führen würde, weil dann eine Herrschaftsform bestünde, die sich an den Grundsätzen der islamischen Ideologie und Lebensführung ausrichtet. Am Bespiel der Europäischen Union sieht man die Nützlichkeit eines Zusammenschlusses von Völkern und

150

Zusammenschluss zu einer islamischen Union Staaten mit gleichen oder ähnlichen kulturellen Wurzeln und Grundvorstellungen. Angesichts der unterschiedlichen politischen Systeme in den verschiedenen muslimischen Staaten und in Anbetracht unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen, ist aber ein Zusammenschluss der muslimischen Staaten zu einem islamischen Staat (in naher Zukunft) nicht zu erwarten. Dennoch bedeutet das nicht, dass die beschriebenen Grundsätze der islamischen Staatsführung keinen Niederschlag in einem realisierbaren politischen System der Gegenwart finden könnten. Es spricht viel für eine Orientierung am Werdegang der Europäischen Union. Die Europäische Union ist ein immer enger werdender Zusammenschluss verschiedener eigenständiger Staaten. Auf europäischer Ebene können lediglich in begrenzen Bereichen Regelungen festgelegt werden, die in allem Staaten verbindlich sein sollen. Die Union ist aber auf eine stufenweise Angleichung der Rechtsvorschriften ausgerichtet und zielt darauf ab, ein gemeinsames europäisches Bewusstsein zu schaffen und Hindernisse für den Waren-, Kapital-, Personen- und Dienstleistungsverkehr im europäischen Bereich zu beseitigen. Nach diesem Vorbild ist eine Islamische Union denkbar, die sich aus den muslimischen Staaten zusammensetzt, die allesamt ihre Eigenständigkeit bewahren, aber ihre Grenzen untereinander abschaffen, den wirtschaftlichen Verkehr ermöglichen und eine einheitliche Spitze in Form eines Unionsoberhauptes bilden. Das 151

Zur Realisierbarkeit der Grundsätze der islamischen Staatsführung Unionsoberhaupt kann hier durchaus als Kalif oder Imam bezeichnet werden. Diesem Kalifen der islamischen Union kann die Rechtsetzungsbefugnis im Bereich der direkten Ableitung aus den Quellen der Scharia übertragen werden, nach den Grundsätzen wie sie bereits dargestellt wurden. So kann ein Oberster Justizrat gebildet werden, der sich aus Vertretern der islamischen Rechtswissenschaften aus den verschiedenen Staaten zusammensetzt. Es kann auch ein Oberster Unionsgerichtshof gebildet werden, der letzte Instanz ist Fragen des zwingenden islamischen Strafrechts (somit lediglich im Bereich der Grenz- und Vergeltungsstrafen (Hudud- und Qisas-Delikte) sowie in Fragen des zwingenden islamischen Privat- und Wirtschaftsrechts ist. Alle anderen Bereiche des Strafrechts (der größte Bereich der freien Strafen – Ta’zir-Delikte) und des Privat- sowie Wirtschaftsrechts wie auch das Verwaltungsrecht, die sicherlich den größten Teil der rechtlichen Vorschriften ausmachen, die in einem modernen Staat notwendig sind, könnten nach den Vorstellungen der Mitgliedstaaten gestaltet werden. Die Verwaltung und Organisation des Staates der Mitgliedstaaten können von den Mitgliedstaaten selbst nach Belieben gestaltet werden, sodass die bisherigen Strukturen beibehalten werden können. In den Bereichen, in denen die Scharia keine zwingenden Vorgaben enthält, könnten Entscheidungen mit Einstimmigkeit oder Mehrheitsbeschluss (je nach vertraglicher Festlegung zwischen den Mitgliedstaaten) des jeweiligen Fachministerrates oder des allgemeinen Unionsparlaments gefällt werden, die der Kalif 152

Zusammenschluss zu einer islamischen Union dann erlässt und die in der gesamten Union verbindlich werden. Solch eine Union ist politisch realisierbar, weil nur die zwingenden Normen des islamischen Rechts aus der Autonomie der Mitgliedstaaten ausgelagert werden müssten, während alle anderen Rechtsgebiete innerstaatliche Angelegenheiten blieben. Man könnte dann vertraglich festlegen, in welchen Bereichen das Unionsparlament (in Allgemeinen Angelegenheiten) oder der Rat der jeweiligen Fachminister aus den Mitgliedstaaten (in Fachlichen Angelegenheiten), unter welchen Voraussetzungen tätig werden kann und wann Stellungnahmen und Beschlüsse für den Kalifen bildend sein sollen. Dabei kann man sich an dem im Kapitel über die Legislative dargestellten System orientieren. Militärische Aktionen anordnen und völkerrechtliche Verträge abschließen, könnte der Kalif allerdings nur, falls sich die Befugnis aus dem zwingenden Bereich des islamischen Rechts ergibt oder falls nur so die zwingenden Vorschriften sichergestellt werden können (Alles was zum Erreichen der Pflicht notwendig ist, ist selbst Pflicht). Hierzu könnte eine eigene Unionstruppe zusammengestellt werden. Die Staatsbürger der Mitgliedstaaten wären gleichermaßen Unionsbürger, wodurch sich jedenfalls bei den Muslimen das Konzept der Umma – islamischen (Gesamt)Gemeinschaft als Träger des islamischen Staates bzw. in diesem Fall der „islamischen (Staats-)Union“ verwirklichen würde. Zudem wären die Muslime in Hinblick auf die 153

Zur Realisierbarkeit der Grundsätze der islamischen Staatsführung zwingenden Regelungen die aus der Scharia abgeleitet werden können, über die es aber unterschiedliche Auffassungen gibt, einem Rechtsspruch unterworfen, der auf Grundlage der Beratung und Akzeptanz durch ein Gremium von aus allen Mitgliedstaaten gewählten Gelehrten des islamischen Rechts gefällt wird. In allen Rechtsgebieten und Politikbereichen, in denen die Scharia nur Grundsätze vorgibt, könnte die Union nur die Sicherstellung der Grundsätze verlangen, nicht die Umsetzung konkreter Maßnahmen. Die Regierungen der Mitgliedstaaten wären in der Umsetzung der Grundsatzrichtlinien frei. So gibt es z. B. die Vorgabe der Notwendigkeit der Sicherstellung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung, die Art der Sicherstellung ist aber nicht vorgegeben. Ähnlich ist es beim Umweltschutz. Ebenso gibt es im Wirtschaftsrecht teilweise detaillierte Vorgaben (etwa zum Zins und Glückspiel), genauso wie im Privatrecht (etwa im Bereich Familienrecht und Erbrecht), andererseits aber auch weitgehend ungeregelte Gebiete (etwa Bereiche des Versicherungsrechts, Arbeitsrecht, Sozialrecht, Konsumentenschutz, Mietrecht, notwendige Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen etc.) Im Verwaltungsrecht bzw. im Verwaltungssystem (z. B. Gewerberecht, Baurecht, Verkehrsrecht, Teile des Wohn- oder Mietrechts, Polizeirecht, Schulwesen, Marktaufsichtsund Ordnungsbehörden, Verwaltungsverfahren etc.) sind die schariarechtlichen Vorgaben am geringsten.

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Zusammenschluss zu einer islamischen Union Der Zusammenschluss der muslimischen Staaten zu einer islamischen Union ist eine gute Möglichkeit in unserer Zeit ein, an der islamischen Staatsführung und auf Grundlage der islamischen Lebensordnung ausgerichtetes, funktionierendes, spezifisch islamisches System, unter Zugrundelegung des Allgemeinwohls, zu realisieren. Wirtschaftlich gesehen würde solch eine Union sicherlich auch Stabilität in die muslimischen Staaten bringen und einen friedlichen marktwirtschaftlichen Wettbewerb mit den größten Nationen unserer Zeit sicherstellen. Dies ist auch ein vernünftiger Weg um Korruption, Unterdrückung und Missbrauch des islamischen Rechts in muslimischen Staaten zu bekämpfen und Frieden in zahlreichen Krisenregionen zu gewährleisten. Ein Zusammenschluss der muslimischen Völker zu einem einheitlichen Staat kann letztendlich nur dann verwirklicht werden, wenn eine ausreichende Mehrheit der Muslime die islamischen Lehren verinnerlicht und beginnt, nach den islamischen Grundsätzen zu handeln und zu leben. Dann verschwinden national-geprägte Ideologien von selbst, weil der Wunsch nach Einheit und Gerechtigkeit auf Grundlage des Islam von selbst zu einem Zusammenschluss der Muslime führt.103

103

Siehe hierzu folgende Fatwa: Group of Muftis, How to get the Khilafah (caliphate) back?, 13.02.2003; Group of Muftis, The Establishment of the Islamic State, 26.01.2003, http://www.islamonline.net.

155

Islam und Demokratie

7

Islam und Demokratie

7.1 Islam in einem Demokratischen Staat Muslime in demokratischen – zumeist westlichen Staaten – sehen sich oft mit dem Problem konfrontiert, die Frage beantworten zu müssen, ob denn der Islam mit der Demokratie und den Menschenrechten vereinbar ist. Sie sind bloß durch ihre Religionszugehörigkeit einem unterschwelligen Verdacht ausgesetzt, mit den Grundfesten der demokratischen Ordnung nicht einverstanden zu sein und diese zu missachten. Betrachtet man die Bibel, die als zentrales Heiligtum der Juden (Thora) und Christen (Altes und Neues Testament) gilt, erkennt man, dass an unzähligen Stellen die Rede von der Todesstrafe ist (z. B. für Götzendienst, Inzucht, Bestialität, Sodomie, Ungehorsamkeitsdelikte, Vergeltungsdelikte und vieles mehr) oder, dass vieles verboten ist, was heute als erlaubt angesehen wird oder sogar als Menschenrecht (etwa Homosexualität – hierzu hat die Kirche immer noch einen kritischen und eher ablehnenden Standpunkt). Doch kommt kaum jemand auf die Idee, das Christentum oder das Judentum auf die Menschenrechtskonformität zu prüfen oder auf die Vereinbarkeit mit der Demokratie oder den Grundwerten der Verfassung, obwohl doch so viele Menschen diese Bücher, in denen sich diverse rechtliche Anordnungen befinden, als „heilig“ ansehen. Der Islam ist eine Religion und als Religion nur der Anbetung des Einen Gottes und der Gerechtigkeit verpflichtet. Der Islam ist auch eine Lebensordnung die im persönlichen Bereich viele Vorschriften kennt, an die sich der Gläubige halten soll (z. B. Gebet, Fasten, Armensteuer, korrekter Umgang und Unterstützung (mit) der Familie, dem Nachbarn, Freunden, Bedürftigen, etc.). Leitet man aus der islamischen Lebensordnung ein Staatskonzept ab, heißt das noch lange 156

Islam in einem Demokratischen Staat nicht, dass dieses das demokratische System eines nichtmuslimisch dominierten Gebietes ablösen soll. Die Idee eines islamischen (Ideal-)Staates gefährdet weder die Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates noch die säkulare Gesellschaftsordnung. Genauso wenig wie die jüdischen bzw. mosaischen Gesetze diese gefährden, die – in ihrer Gesamtheit angewendet – wohl unzweifelhaft gegen diverse Menschen- und Grundrechte im Sinne der derzeitigen Fassung der UN-Menschenrechtskonvention oder der EMRK verstoßen würden. Der islamische Staat ist ein Staat, der die Grundrechte der Scharia schützt und durchsetzt, der die Interessen der Bevölkerung wahrnimmt und danach trachtet, die Angelegenheiten der Bevölkerung als Gottesdienst zum Wohlgefallen Allahs (s.w.t.) an der durch Allah (s.w.t.) und seinen Gesandten (s.a.w.s.) verkündeten Gerechtigkeit auszurichten. Es ist nicht sinnvoll darüber zu streiten ob der Islam mit diesem oder jenem vereinbar ist. Der Islam ist ein System, an dem sich der einzelne Muslim orientiert, das aber nichts mit der Achtung der Gesetze eines Staates zu tun hat. Der Muslim ist in einem islamischen Staat verpflichtet sich an Anordnungen zu halten, die keine offenkundige Sünde im privaten Bereich darstellen. Die Pflicht zur Gesetzestreue ergibt sich in nicht-muslimischen Staaten aus dem (schlüssigen) Vertragszustand, den der Muslim mit dem jeweiligen Staat bei der Einreise oder der Annahme der Staatsbürgerschaft schließt, aus dem sich die Bedingungen für das Bleiberecht und für das Recht als Bürger des Staates ergeben. Zudem strebt der Muslim immer nach geordneten Verhältnissen in der Gesellschaft und zieht jegliche Ordnung der Unordnung und Anarchie vor. Solange der Muslime seinen persönlichen religiösen Geboten – also solchen, die nicht an die Machthaber, sondern an den Einzelnen oder an die 157

Islam und Demokratie Gemeinschaft zwecks gottesdienstlicher Handlungen gerichtet sind, nachkommen kann, hat er sich also im Rahmen der Rechtsordnung des jeweiligen Staates zu bewegen.104 „O ihr, die ihr glaubt, erfüllt die Verträge.“ (Qur’an 5/1)

Dass der Muslim den Islam als bevorzugtes System ansieht, steht dem nicht entgegen, denn nach den islamischen Prinzipien zu handeln und zu richten ist nur dort Pflicht, wo dies möglich ist und wo die Prinzipien des islamischen Rechts sichergestellt werden. Es gibt zahlreiche Parteien, die sich an einem System orientieren, das nicht dem der westeuropäischen Staaten entspricht und dennoch besteht kein Zweifel daran, dass dieses Gedankengut keine Gefährdung für den Staat darstellt. Es spricht doch auch nichts dagegen, wenn jemand Anhänger der Monarchie in einem republikanisch-demokratischen Staat ist, solange er eben das System, in welchem er lebt, achtet und im Einklang damit handelt. Die Bereiche des islamischen Rechts, die mit den Verfassungen der demokratischen Staaten unvereinbar scheinen, stehen der Vereinbarkeit von Islam und Demokratie in einem nichtmuslimischen Staat in Wirklichkeit nicht entgegen. Es handelt sich nämlich durchwegs um Anordnungen, die einen „islamischen Staat“ voraussetzen. Daher ist z. B. die Furcht unbegründet, die Muslime würden in einem nichtmuslimischen Staat nach dem islamischen Strafrecht streben. Auch entstehen viele Spannungen dadurch, dass nicht auf die wahren Prinzipien des islamischen Rechts abgestellt wird. Es gibt nach dem islamischen Recht keine

104

Vergleiche: Maulawi, Die Schariagrundlagen für das Verhältnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen (2006), 92 ff.

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Islam in einem Demokratischen Staat Ehrenmorde, keine Zwangsverehelichungen, keine Gewalttaten und keine Terroranschläge. Der Islam ist die Religion des Friedens, des Friedens mit Gott, mit den Menschen und mit sich selbst. Die meisten Problembereiche der Muslime in nicht muslimischen Staaten sind also solche, die in Wirklichkeit nicht bestehen, weil sie problemlos aufgelöst werden können. Sie werden nur von einzelnen Personen aus persönlichem Interesse zu Problembereichen aufgebauscht. Im Folgenden sollen beispielsweise zwei wichtige Themenbereiche im Zusammenhang mit der politischen Partizipation in nichtmuslimischen Staaten erörtert werden. Wahlbeteiligung:105 Oft wird darüber gestritten, ob der Islam verfassungswidrig sei, weil er angeblich das Wählen verbiete. Diejenigen Gruppierungen, die es für schariarechtlich verboten ansehen, dass Muslime in einem nichtmuslimischen Staat an öffentlichen Wahlen teilnehmen, gehen davon aus, dass die Wahl einer Partei eine Vollmachtübertragung mit einschließt, sodass sich der wählende Muslim letzten Endes damit einverstanden erklärt, dass diese Partei (oder Person) Gesetze beschließt, obwohl bekannt ist, dass die Gesetze, die erlassen werden, nicht auf Grundlage des islamischen Prinzipien erlassen werden. In diesem Zusammenhang wird z. B. folgender Vers aus dem Qur’an (Sure 5 Vers 50) als Beleg angeführt: 105

Siehe zur Zulässigkeit der Wahlbeteiligung auch folgende Fatwas: Group of Muftis, Voting in an Majority non-Muslim Country, 29.08.2003; European Council for Fatwa and Research, Elections in non-Muslim Countries: Role of Muslims, 22.04.2007; Mohamed ElMoctar El-Shinqiti, Voting for a Non-Muslim Candidate, 19.04.2007.

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Islam und Demokratie „Streben sie den Rechtsspruch der Unwissenheit an, was ist jedoch besser als der Rechtsspruch Allahs für ein Volk mit Erkenntnis?“

In Wirklichkeit geht es aber nicht darum, jemandem eine Vollmacht zu erteilen, dass er irgendwelche Gesetze nach seinem Gutdünken beschließen kann, schließlich ist ein demokratischer Staat nicht vergleichbar mit einer absoluten Monarchie. Nur weil man eine Partei gewählt hat, werden einem nicht die verfassungsgemäßen Rechte aberkannt, sich mit Entscheidungen der/des Gewählten nicht zufrieden zu geben und dagegen politisch vorzugehen (Demonstrationen, Streiks und dergleichen). Eine Vollmacht würde bedeuten, dass man sich das Handeln der Gewählten zurechnen lassen muss. Das widerspricht allerdings dem Konzept der Wahl in demokratischen Staaten. Es geht darum eine Partei oder allgemein jemanden zu unterstützen, von dem/der man erhofft, dass er/sie gerechtere und bessere Regelungen treffen wird, als jemand anders. Es ist ein allgemeines Prinzip im Islam, dass man bei mehreren schlechten Varianten das kleinere Übel wählen soll. Mit „schlechten Varianten“ ist nur gemeint, dass es keine Partei gibt, die dem islamischen Idealkonzept entspricht, sodass die Muslime diese wählen könnten. Bei der Wahlbeteiligung der Muslime geht es also nur darum, jemanden zu unterstützen, der dem Islam und den Muslimen freundlich gegenübersteht. Aus diesem Grund ist es völlig legitim, an Wahlen in demokratischen nichtmuslimischen Staaten teilzunehmen und auch 106 Hier sei auch nichtmuslimische Parteien zu wählen. 106

Was für die militärische Unterstützung eines nichtmuslimischen Staates gilt, muss umso mehr für die bloße Wahlunterstützung gelten. Hierzu ein Beispiel aus Mourad, Einführung in das Verhältnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, 125: Der Abbasidische Kalif Abu Dscha’far alMasur schickte im Jahr 756 nach Christus eine Einheit von 4000

160

Islam in einem Demokratischen Staat folgender Qur’anvers, der im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung der christlichen Byzantiner mit den Götzendienern offenbart wurde, als Beleg angeführt: „Die Byzantiner sind geschlagen worden am tiefsten Ort der Erde, und sie werden nach ihrer Niederlage siegen, in einigen Jahren. Allah gehört der Befehl vorher und nachher. Und an diesem Tag werden die Muslime sich freuen über die Hilfe Gottes" (Qur’an 30/2-4)

Mitarbeit in Parteien oder in der Regierung:107 Als „Partei“ bezeichnet man gemeinhin einen Zusammenschluss politisch Gleichgesinnter. Die Parteibildung ist ohne Frage im islamischen System erlaubt und ergibt sich eigentlich schon aus der Verpflichtung guten Rat zu leisten und das Gute zu gebieten sowie das Übel anzuprangern – dies kann am besten durch gemeinschaftliches Handeln erreicht werden. So heißt es im Qur’an Sure 2 Vers 104: „Möge aus euch eine Gruppe entstehen, die zum Guten aufruft, das Rechte gebietet und das Unrecht anprangert, und dies sind fürwahr die Erfolgreichen.“

Soldaten zur Unterstützung des chinesischen Kaisers Su Tsung, welche eine Revolution beendete und den chinesischen Kaiser in seiner Autorität festigte. In diesem Zusammenhang führt Mourad aus: „Es besteht wohl kein Zweifel daran, daß es besser für die Muslime ist, ein Nachbarland zu haben, dessen Regierung in Freundschaft und Dankbarkeit dem islamischen Staat verbunden ist, so daß es sich nicht entgegenstellt, wenn die Muslime in ihrem Land zum Islam einladen. Ein solches Verhältnis ist viel besser als eine Situation, in der eine neue Regierung an die Macht kommt, die möglicherweise das Volk aus Fanatismus zum Kampf gegen die Muslime aufwiegelt.“ 107 Siehe zur Zulässigkeit u.a. folgende Fatwas: Muzammil Siddiqi, Muslims Participating in the US Local Councils, 01.10.2003; Yusuf Al-Qaradawi, Muslims’ Participation in the US Political Life, 04.11.2003; Taha Jabir Al’-Alawani, Muslim Participation in the Political Scene in the US, 31.10.2006.

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Islam und Demokratie Das zentrale Argument derjenigen, die es als verboten ansehen, sich einer politischen Partei in nichtmuslimischen Gesellschaften anzuschließen, ist, dass der Beitritt voraussetzt, dass man mit den ideologischen Grundlagen der jeweiligen Partei und ihrer Mitglieder einverstanden ist. Da die ideologischen Grundlagen nichtmuslimischer Parteien aber nicht mit denen des Islam übereinstimmen, dürfe sich ein Muslim keiner Partei anschließen. Die Ansicht wird z. B. mit folgendem Qur’anvers begründet: „Und helft einander zur Frömmigkeit und Gottesfurcht, aber nicht zur Sünde und Übertretung! Und fürchtet Allah! Allah ist wahrlich schwer im Strafen!“ (Qur’an Sure7 5 Vers 2)

Dafür, dass der Beitritt zu einer Partei doch als erlaubt angesehen werden kann, spricht allerdings, dass abseits von Definitionen des Wortes „Partei“, allgemein bekannt ist, dass die Mitgliedschaft in einer Partei nicht bedeutet, dass man mit allem einverstanden sein muss, was die Mehrheit der Partei für richtig hält. Oft genug hört man in den Nachrichten von Politikern, die sich von Aussagen ihrer Parteifreunde distanzieren, weil diese nicht ihrer persönlichen Ansicht entsprechen. Die Mitgliedschaft in einer nichtmuslimischen Partei bedeutet nicht, dass der Muslim seine islamischideologische Grundlage verwirft und sich eine andere aneignet, sondern kann auch bedeuten, dass der Muslim diese Partei als die wohltätigste in Bezug auf die Muslime und den Islam hält und diese daher unterstützt, weil es keine muslimischen Parteien oder keine anderen Parteien gibt, die den Anforderungen des Islam an das „Gebieten des Guten und Verwehren des Übels“ genügen. Ein gutes Argument dafür, dass es erlaubt ist sich im politischen System eines nichtmuslimischen Staates einzubringen, ist das Verhalten des Propheten Yūsuf (Josef) der – wie der Qur’an berichtet – als gläubiger Muslim einen hochrangigen Posten im Staatssystem des ägyptischen Pharao 162

Islam in einem Demokratischen Staat bekleidete und dadurch sein Volk (seine Religionsgemeinschaft) unterstützte, indem er für Nahrung sorgte, als die Dürre eintraf und sie zu verhungern drohten. Daraus kann gefolgert werden, dass die Muslime verpflichtet sind, sich in ein System, das nicht auf der Basis des Islam beruht, nach Möglichkeit einzubringen, um nach Gerechtigkeit zu streben und für das Wohl der Menschen zu sorgen. Selbst die Tätigkeit eines Muslims als Richter in einem säkularen Staat wird von den Rechtsgelehrten für zulässig erachtet, weil es erstrebenswert ist, faire und gerechte Richter zu haben und innerhalb der Möglichkeiten der jeweiligen Rechtsordnung nach Gerechtigkeit zu streben.108 Einzig und allein das Argument, dass die Arbeit in der Regierung oder in politischen Gremien (etwa im Gemeinderat, Stadtrat, Parlament) bzw. das politische Engagement das Eine sind, die Mitgliedschaft in einer Parte aber etwas Anderes ist, weil man nicht unbedingt Mitglied einer Partei sein muss, um politisch sinnvolle Arbeit zu leisten, bleibt unwiderlegt bestehen. Allerdings ist es auch absolut unproblematisch, wenn man der Meinung ist, dass man einer Partei besser nicht beitreten sollte, schließlich macht es das Wesen einer Demokratie aus, dass man nicht gezwungen wird einer Gruppe beizutreten, sondern, dass man die freie Wahl hat. Auch besteht die Möglichkeit, eine Partei zu gründen, die auf Grundlage des Islam im Rahmen, den die Gesetze des jeweiligen Staates bieten, das aus islamischer Sicht Gute gebieten und gegen das Übel vorgehen.

108

Siehe dazu die Fatwa von: Ahmad Kutty/ Mohamed El-Moctar El Shinqiti, Working as a Judge in an Seculae Country, 22.05.2007, http://www.islamonline.net.

163

Islam und Demokratie Allein die Tatsache, dass der Islam Parteien zulässt, zeugt von der Vereinbarkeit mit demokratischen Werten. Ob ein Muslim einer Partei beitreten möchte oder nicht, bleibt schließlich seinem Gewissen überlassen, denn letzten Endes ist politisches Engagement auch als „Parteiloser“ durchaus möglich. Es finden sich immer wieder parteilose Minister in den Regierungen von Europas Staaten. Schlussfolgernd kann also gesagt werden, dass der Islam in keiner Weise die Demokratie gefährdet, baut doch die islamische Staatsordnung, wie sie im Kalifat der Prophetengefährten (Abu Bakr, ’Umar, ’Uthman und Alī) praktiziert wurde, auf demokratischen Grundsätzen auf, nämlich auf der Wahl, der Meinungsfreiheit und der Beteiligung des Volkes an der Regierung.

7.2 Ein Demokratischer Staat als Islamischer Staat Von der Frage, ob der Islam mit der Demokratie vereinbar ist, ist die Frage strikt zu trennen, ob ein islamischer Staat ein demokratisches System haben sollte oder überhaupt haben kann. Bei der ersten Frage, die oben behandelt wurde, geht es darum, ob die Muslime nach den Vorgaben des Islam in einem demokratischen System leben und sich an diesem ausrichten sowie sich in diesem politisch betätigen und ihre Religion innerhalb dieses Systems vollends praktizieren können. Dies ist zu bejahen, weil viele Bereiche des islamischen Rechts an einen islamischen Staat anknüpfen und die Adressaten dieser Normen somit nicht die einzelnen Bürger, sondern die Regenten sind. Bei der zweiten Frage geht es aber darum, ob einem von Muslimen errichteten Staat, der den islamischen Prinzipien verpflichtet ist und auf die Sicherung der islamischen Lebensordnung ausgerichtet ist, ein 164

Ein Demokratischer Staat als Islamischer Staat demokratisches System zugrunde liegen kann und wenn dies möglich ist, ob dies erstrebenswert wäre.109 Die bisherige Darstellung in diesem Buch vermittelt dem Leser sicherlich den Eindruck, dass ein islamischer Staat wohl keine klassische Demokratie ist oder sein kann. Dazu ist zunächst zu sagen, dass die Demokratie keine einheitliche Ausformung besitzt. Die demokratischen Konzepte unterscheiden sich von Land zu Land. Manche von ihnen betonen die Stellung des Einzelnen, des Präsidenten, auf besondere Weise, andere degradieren das Staatsoberhaupt zu einer reinen Repräsentationsfigur. Versteht man unter Demokratie, dass die Verantwortung für den Staat beim Volk liegt, dass die Interessen des Volkes gewahrt und sichergestellt werden, dass die Freiheit und die Rechte der Bevölkerung gesichert sind und dass alle vor dem Gesetz gleich sind, so ist diese Art der Demokratie in einem islamischen Staat sicherlich verwirklicht.110 Verbindet man mit Demokratie allerdings die Vorstellung, dass der Wille des Volkes in der Form des Mehrheitsbeschlusses der Repräsentanten des Volkes (Parlament) jedenfalls verbindlich ist, unabhängig davon, welchen Inhalt er aufweist, so kann dies nicht mit dem beschriebenen Staatskonzept in Einklang gebracht werden. „Und wenn du den meisten derer auf Erden gehorchst, werden sie dich von Allahs Weg irreführen.“ (Qur’an 6/116).

109

Vergleiche hierzu: Prof. Dr. Mumtaz Ahmad, Islam and Democracy – The Emerging Consenus, 05.06.2002, http://www.islamonline.net. 110 Vergleiche: Fatwa von Yusuf Al-Qaradawi, Shura and Democracy, 04.02.2002.

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Islam und Demokratie Für das Konzept einer islamischen Demokratie spricht der Qur’anvers 42/38, der das allgemeine Prinzip normiert, dass das System der Muslime auf gegenseitiger Konsultation beruht: „und deren System eine Sache gegenseitiger Konsultation ist“ (Amruhum Schūrā baynahum).111 Durch extensive Interpretation dieses Verses und unter Zugrundelegung der Handlungsweise des Propheten (s.a.w.s.) sowie seiner Nachfolger, die Entscheidungen nach der Konsultation auch tatsächlich auf Grundlage der gütlichen Einigung getroffen haben, und zudem durch die Sicherstellung, dass das Parlament mit fähigen und qualifizierten Personen besetzt wird, kann erreicht werden, dass das Parlament ein umfassendes Recht auf Konsultation hat und dass der Beschluss des Parlaments für das Staatsoberhaupt verbindlich ist. So könnte man zu einer Form der Demokratie gelangen.112 Allerdings funktioniert das nur, wenn die Vorgaben des Islam bei der Normsetzung beachtet werden, denn ein Staat wäre kein islamischer Staat, wenn zwingende Anordnungen der Scharia, über die es keinen rechtlichen Zweifel gibt und die nicht strittig sind, durch den Beschluss des Parlaments beseitigt werden könnten.113 Über die Sicherstellung solcherart zwingender islamischer Vorgaben hätte das Staatsoberhaupt des Staates zu wachen.

111

Vergleiche z.B. die Ausführungen im Skriptum von Shehzad Saleem, Understanding Islamic Political Directives, http://www.studyingislam.org. 112 Vergleiche: Azizah Y. Al-Hibri, Islamic Constitutionalism and the Concept of Democracy, in Case Western Reserve Journal of International Law (1992) 113 Vergleiche: Fatwa von Sheikh Faysal Mawlawi, How Islam Views Pluralism & Demokracy, 30.07.2002.

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Ein Demokratischer Staat als Islamischer Staat Nun entspricht es nicht der westlichen Demokratievorstellung, dass es ein Gesetz gibt, das unabhängig vom Willen des Volkes existiert und anwendbar sein soll. Daher lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass bei entsprechender Interpretation der relevanten islamischen Quellen eine Art „islamisch demokratischer Staat“ geschaffen werden kann, die angesprochene Demokratie aber eine Demokratie eigener Art (sui generis) wäre.114 Aber es ist ja auch nicht gesagt, dass die Demokratie westlicher Prägung ein um jeden Preis erstrebenswertes Ziel ist. Schließlich ist diese kein perfektes System. Wäre sie das, gäbe es keine gravierenden gesellschaftlichen Konflikte in Staaten mit mehreren größeren ethnischen Gruppen und gäbe es auch ein durchwegs einheitliches Demokratiemodell. Eines der zentralen Kritikpunkte an dem klassischen Modell der Demokratie ist etwa, dass das Parlament nicht (mehr) die Stätte gegenseitiger Beratung und Gespräche ist und kaum die Möglichkeit besteht, dass ein Abgeordneter einen anderen aufgrund seiner Argumente überzeugt: der Fraktionszwang zählt zur Praxis des heutigen Parlamentarismus.115 Letzen Endes werden im Parlament in der Regel nur Beschlüsse gefasst, die abseits der Öffentlichkeit im kleinen Kreis (z. B. von den Parteiführern) verhandelt wurden. In diesem Zusammenhang sei an ein Zitat von Churchill erinnert: „Demokratie ist die schlechteste Regierungsform - außer all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind." Winston Churchill, in einer Rede im Unterhaus, 11. November 1947. 114

Vergleiche: Fatwa von Ahmad Kutty, Islam & Democracy: Compatible?, 26.05.2004; Fatwa von Ja’far Sheikh Idris, Shura and Demokracy: A Conceptual Analysis, 11.04.2004. 115 Klaus Stüwe und Gregor Weber [Hrsg.], Antike und Moderne Demokratie – Ausgewählte Texte, 370, Reclam.

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Schlussfolgerungen

8

Schlussfolgerungen

Das islamische Recht kennt kein einheitliches Staatssystem, sondern lässt viele Bereiche des Staatsrechts offen, damit diese, je nach Anforderungen von Ort und Zeit und je nach gegebenen Umständen, unterschiedlich geregelt werden können. Dennoch lassen sich bestimmte Prinzipien aus den Quellen ableiten, die keinen Rechtfertigungsspielraum für jedwede Staatsform zulassen. So finden Monarchie – vor allem in Form der absoluten Monarchie – und Theokratie in der Scharia absolut keine Grundlage. Bei extensiver Interpretation der islamischen Quellen lässt sich ein demokratisches Staatskonzept eigener Prägung ableiten, das aber von den Demokratie-Vorstellungen westlicher demokratischer Staaten abweicht. Für eine spezifisch islamische Staatsführung ist allerdings keine schlichte Demokratie geeignet, sondern ein gänzlich eigenes System. Dieses spezifisch islamische Staatssystem ist eine rechtsund sozialstaatliche Nomokratie (Gesetzesherrschaft), die auf göttlichen Grundsätzen beruht. Es handelt sich um keine Theokratie, sondern um ein Staatssystem menschlicher Prägung. Die spezifisch islamische Staatsführung ist in ihrem Stil auf, verantwortliche und unabhängiger Kontrolle unterworfene, Individuen ausgerichtet und steht (dennoch) auf fester demokratischer Basis.

Alles Lob und Dank gebührt Allah dem Herrn der Welten

168

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Die

Rechtgeleiteten

Kalifen,

Islamische

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172

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