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THEMA
BESTE ARMEE DER WELT So stramm wie auf diesem Symbolbild zeigen sich die Soldaten der Schweizer Armee in den Wiederholungskursen selten. RAPHAEL HÜNERFAUTH
PFEFFERSPRAY WK-Soldaten trainieren den Umgang mit der Waffe. HO
IN BEREITSCHAFT Der Armee-Alltag besteht aus Wartezeiten. HO
TISCHGRILL Für Unterhaltung sorgen die Soldaten selber. HO
«Schweizer Armee, halt oder ich spraye!» Reporter Benno Tuchschmid (24) schildert seine Erlebnisse als Soldat im WK einer Panzerjägerkompanie BENNO TUCHSCHMID
Die Lage ist ernst und ich sitze in einem Bauernhof und tue nichts. Der Feind stösst mit grossen Panzerverbänden in die Linthebene beim oberen Zürichsee vor, während sich der Akku meines Handys langsam leert. Der Feind kommt aus «Rotland», obwohl der Osten schon lange nicht mehr rot ist und Panzerkriege in Europa nicht mehr zu den realistischen Szenarien gehören. «Abnützen» und «Aufhalten» ist das Ziel für meine Panzerjägerkompanie. Schon vor dem Ende der Übung «Tell» ist klar: Der Feind wird zurückgeschlagen werden. Ich selber bekomme von Panzerkrieg in der Linthebene wenig mit. Zusammen mit meinen Kameraden sitze ich in einem erhöht gelegenen Hof im Übungsgebiet und bekämpfe die Langeweile statt feindliche Panzer. Meine Gruppe betreibt eine Relais-Station. Wir
müssen die Funkverbindung zwischen den eigenen Truppen sicherstellen. Hohe Offiziere kommen bei uns keine vorbei. Die wichtigste Eigenschaft eines Relais-Soldaten ist Geduld. Ich lese, sofern es die Lichtverhältnisse zulassen, in Hugo Loetschers «Abwässer», spiele Karten, trinke Kaffee, manchmal ohne, öfter mit Schnaps. Das ist mein Beitrag zur «Abnützung» des Feindes.
Übungen sorgen für Kopfschütteln Ich bin ein Armee-XXI-Soldat. Nach modernstem Verfahren ausgehoben, während zweier Tage. Ein Soldat der Zukunft. Vor dreieinhalb Wochen bin ich in Pfäffikon SZ in meinen vierten WK eingerückt. In eine Armee, die in der Vergangenheit feststeckt und krankhaft nach neuen Aufgaben sucht – und keine findet. Auch Ende September 2009 trainiert sie noch für einen Panzerkrieg im «strategischen Schlüssel-
gebiet Linthebene», wie ein hoher Offizier sagt. Noch immer gehört die Verteidigung zu den Kernaufgaben. Doch die Übungsszenarien lösen bei den beteiligten Soldaten bestenfalls Gleichgültigkeit aus, viel öfter aber Kopfschütteln, Unverständnis und Spott. Die Schweizer Armee kann sich mit solchen Übungsszenarien selber nicht mehr ernst nehmen, so der Tenor. Auch weil wenig funktioniert. Während der Übung «Tell» liegt über der Linthebene Nebel, kein sehr dichter, einfach ein normaler Morgennebel. Aber der reicht aus, um den Funkverkehr lahmzulegen. Bei Nebel hat die Schweizer Armee ausgefunkt, die Offiziere kommunizieren ausschliesslich per Natel. Und wir sitzen vor schweigenden Funkgeräten und können noch weniger tun als sonst. Unter uns Soldaten kursiert der Spruch: «Im Ernstfall nehmen wir bei Nebel ein Time-out.»
Wiederholungskurse in der Armee XXI Seit dem 1. Januar 2004 dauert die Rekrutenschule in der Schweizer Armee 21 Wochen oder je nach Truppengattung 18 Wochen. In der Armee 95 waren es noch einheitlich 15 Wochen. Dafür müssen die Soldaten, die für die Armee XXI ausgehoben wurden, nur 6 Wiederholungskurse (bei 21 Wochen RS) oder 7 WK (bei 18 Wochen RS) leisten. Wer seinen Dienst ohne Verschiebung durchzieht, kann bereits mit 26 Jahren seine Waffe zurükkgeben und den Wehrdienst been-
den. Soldaten, welche die Rekrutenschule noch in der Armee 95 absolviert haben, mussten fast 10 Wiederholungskurse leisten. Die Wiederholungskurse finden in der Regel jährlich statt und dauern für Soldaten 3 Wochen, für das untere und höhere Kader 4 Wochen. Normalerweise werden in der ersten WK-Woche die Aufgaben der jeweiligen Truppengattungen repetiert, in den letzten beiden Wochen werden Übungen in kleineren und grösseren Truppenverbänden
durchgeführt. Angehörige der Armee, welche einen Wiederholungskurs verschieben, müssen eine Wehrpflichtersatzabgabe bezahlen. Die Höhe dieser Abgabe hängt von dem über die direkte Bundessteuer ermittelten Reineinkommen ab, beträgt aber mindestens 200 Franken. Dieses Geld kann der Soldat zurückfordern, wenn er bis zum 34. Lebensjahr sämtliche Diensttage geleistet hat. Dies muss er selbstständig tun, sonst wird das Geld nicht zurückbezahlt. ( B T U )
Und auch die auf den Radschützenpanzern montierten Gefechts-Simulationsgeräte streiken während der Übung vollständig. Trotzdem ist die Stimmung in meinem Zug gut. Doch mit Motivation hat das nichts zu tun. Wir haben vorgesorgt. Wir wussten schon vor dem WK, es wird auf den Übungen tagelang nichts passieren. Wir vom Übermittlungszug müssen dafür sorgen, dass die Funkverbindungen stehen. Sonst nichts. Stundenlang, teilweise tagelang einfach nichts. Raucher rauchen mehr, Trinker trinken mehr. Spieler spielen mehr als in ihrem Alltag: Für Unterhaltung muss man selber sorgen. FondueCaquelons, Tischgrills und RacletteÖfen werden mitgeschleppt. Jeden Tag wird auf der abgelegenen Relais-Station ausgiebig geschlemmt. Während der Übungen hat unsere Gruppe das Essen abbestellt, wir kochen selber. Nicht weil das Essen der Küche schlecht wäre, es ist gut. Aber Fondue und Raclette halten warm. Denn trotz prächtigem Wetter wird es in der Nacht kalt.
«Manne, das ist eine Waffe» Panzerkriege gehören der Vergangenheit an, der Ernstfall in der heutigen Armee heisst Wache schieben. Für Panzerkriege braucht es Panzer, für die Wache höchstens noch einen Pfefferspray. Weil keine Gemeinde mehr Soldaten mit geladenem Sturmgewehr auf ihrem Boden haben möchte. Darum werden die Soldaten in der ersten Woche des WK während zweier Stunden am Pfefferspray ausgebildet. Ein Grossteil der Theorie besteht darin, den Soldaten klarzumachen, dass der Pfeffer-
spray, oder das RSG 2000 (Reizstoffsprühgerät 2000), wie es in der Armee offiziell heisst, gefährlich sei. «Manne, das ist eine Waffe», sagen die Ausbildner. Wenn erwachsene Männer sich zu Übungszwecken aus einem Plastikgerät eine Alkohollösung ins Gesicht spritzen, wirkt das aber alles andere als gefährlich. Der Warnspruch «Schweizer Armee, halt oder ich spraye!», den man uns eintrichtert, macht das Ganze nicht furchteinflössender. Trotzdem müssen erwachsene Männer den Spruch im Chor aufsagen – bis er richtig sitzt (kein Witz!).
Das Raclette ist im Wallis besser Nach eineinhalb Wochen in Pfäffikon SZ verschiebt das Aufklärungsbataillon, zu dem meine Panzerjägerkompanie gehört, mit sämtlichen Panzern und Fahrzeugen ins Oberwallis. Auf dem Weg zum Furka-Autoverlad bei Realp wird die Armee zur mobilen Verkehrssperre, weil die schweren Armeefahrzeuge die steilen Bergstrassen nur mit einer Höchstgeschwindigkeit von 20 Kilometer pro Stunde schaffen. Im Oberwallis wird dann ein weiteres Szenario durchgespielt: Grosse Flüchtlingsströme ziehen durchs Tal. Die Flüchtlinge kommen aus «Gelbland». Es sind keine netten Flüchtlinge, sie ziehen marodierend durch das schöne Oberwallis. Aber das interessiert, ausser dem höheren Kader, niemanden. Was uns interessiert: Im Wallis sind das Raclette und der Weisswein besser und die Landschaft ist schöner als am oberen Zürichsee. Bezahlte Abenteuerferien. Die Rechnung bezahlen die Steuerzahler, jedes Jahr mit 3,9 Milliarden Franken.