Palladio 1508 - 1588
Villa Almerico Capra ora Valmarana
„La Rotonda“ 1566 / 67 Vicenza / Veneto
Heute besuchte ich das eine halbe Stunde von der Stadt, auf einer angenehmen Höhe liegende Prachthaus, die Rotonda genannt. Es ist ein viereckiges Gebäude, das einen runden, von oben beleuchteten Saal in sich schließt. Von allen vier Seiten steigt man auf breiten Treppen hinan und gelangt jedesmal in eine Vorhalle, die von sechs korinthischen Säulen gebildet wird
Goethe, 22. September 1786 (1)
Veneto
Villa Almerico Capra „La Rotonda“
Zu den zahlreichen ehrenwerten vicentinischen Edelleuten zählt auch Monsignor Paolo Almerico, ein Kleriker, der als Referendario zwei Päpsten, nämlich Pius IV. und V., gedient hatte und der für seine wertvollen Verdienste mitsamt seiner Familie zum römischen Bürger ernannt wurde. Dieser Mann, der, nach Ruhm strebend, viele Jahre hindurch gereist war, kam, nachdem schließlich seine ganze Familie gestorben war, in seine Heimatstadt zurück. Er zog zu seiner Erholung auf einen Hügel aus seinem Besitz in der Vorstadt, der vom Zentrum weniger als vier Meilen entfernt war und auf dem er, nach dem hier folgenden Entwurf [49], ein Gebäude errichten ließ. Dessen Zeichnung erschien mir wegen der Nähe zur Stadt nicht geeignet, sie unter die Villen zu reihen, könnte man doch sogar sagen, sie läge in der Stadt selbst. Die Lage gehört zu den anmutigsten und erfreulichsten, die man finden kann. Das Haus liegt auf einem leicht zu besteigenden Hügel, der auf der einen Seite vom Bacchiglione, einem schiffbaren Fluß, begrenzt wird und der auf der anderen Seite von weiteren lieblichen Hügeln umgeben ist, die wie ein großes Theater wirken und alle bestellt werden, reichlich Früchte sowie ausgezeichnete und gute Weinreben tragen. Da man von jeder Seite wunderschöne Ausblicke genießt, worunter einige die nahe Umgebung erfassen, andere wiederum weiter reichen und wieder andere erst am Horizont enden, so hat man an allen vier Seiten Loggien errichtet, unter denen, wie auch unter dem Hauptsaal, die Räume für den Gebrauch und die Bequemlichkeit des Gesindes liegen. Der Hauptsaal liegt in der Mitte, ist rund und erhält sein Licht von oben. Die Kammern sind Halbgeschosse. Über den großen Räumen, deren Gewölbe so hoch wie nach der ersten Art der Einwölbungen sind und die um den Hauptsaal herumliegen, findet sich ein Umgang von fünfzehneinhalb Fuß Breite. An den äußeren Enden der Postamente, die die Treppen der Loggien stützen, sind Marmorstatuen von der Hand des Bildhauers Lorenzo Vicentino aufgestellt. Palladio (2)
Symmetrie außen
Symmetrie innen
Grundriss
Aufriss
Von jeder Seite führt ein schmaler, tonnengewölbter Gang in den Rundsaal
Vertikalschnitt
Sicherlich wird Abwechslung und neue Erfindung jedermann erfreuen, aber man sollte dabei nicht gegen die Regeln der Kunst und gegen das Gebot der Vernunft verstoßen. Darum sehen wir, dass die Alten zwar reich an Erfindung waren, sich aber niemals von gewissen allgemeingültigen und notwendigen Regeln entfernten. Palladio (3) Was empfand Palldaio, wenn er immer wieder mit denselben Elementen experimentierte? Sobald er das grundlegende geometrische Skelett für den Typ „Villa“ gefunden hatte, passte er es so klar und einfach wie möglich den ebsonderen Erfordernissen jedes Auftrags an. Er brachte die jeweilige Aufgabe in Einklang mit der „absoluten Wahrheit der Mathematik“, die endgültig und unwandelbar ist. Jeder, der Palladios Villen besucht, spürt, mehr im Unterbewusstsein als bewusst, diesen geometrischen Grundton – und das ist es, was seinen Bauten ihre Überzeugungskraft gibt. Dieses Gruppieren und Umgruppieren innerhalb desselben Schemas war aber nicht ein so einfacher Vorgang, wie es den Anschein hat.Palladio arbeitete mit der größten Sorgfalt, um harmonische Verhältnisse nicht nur in jedem Raum, sondern auch in der Beziehung der Räume zueinander zu erzielen, und deises Ringen um die vollkommene Ratio ist recht eigentlich die Quintessenz seines Architekturschaffens. (6)
Das Schema dieser Grundrisse ergibt sich aus den schlichten Bedürfnissen des italiensichen Landhauses: offene Loggien (Portiken) und ein großer Saal in der Mittelachse, zwei oder drei Wohn oder Schlafzimmer verschiedener Größe an beiden Seiten, und zwischen diesen und dem Saal Raum für kleine Nebengelasse und die Treppen. (7)
figura del mondo Viele Renaissancetheoretiker fanden den Schlüssel für das Verhältnis von Makrokosmos und Mikrokosmos in den vitruvianischen Figuren des Mannes im Kreis und im Quadrat, der organische und geometrische Schönheit versöhnt. Palladio deutet die Metapher vom gotterschaffenen Menschen ins Hierarchische um (Buch II, S. 3): „Wie Gott, der Gebenedeite, unsere Körperglieder so angeordnet hat, daß die schönsten an sichtbarster Stelle sind und sich die weniger anständigen verbergen, so wollen wir selbst es beim Bauen halten: Wir plazieren die wichtigen und ansehnlichen Teile gut sichtbar, die weniger schönen dagegen verstecken wir nach Möglichkeit vor unseren Augen." Palladio betrachtet den Makrokosmos als eine vollendete Maschine (Buch IV, S. 3); diese „questa bella machina del Mondo" zeigt sich besonders in den wechselnden Jahreszeiten und in der „süßen Harmonie ihrer gemessenen Bewegung": „Wir können nicht zweifeln, daß die kleinen Tempel, die wir bauen, jenem gewaltigen Tempel gleichen müssen, den Gottes unendliche Güte mit einem einzigen Wort erschaffen hat, daß wir gehalten sind, in unseren Tempeln allen Schmuck anzubringen, dessen wir fähig sind, daß wir sie in der Weise und mit solchen Proportionen errichten sollen, daß alle Teile zusammen eine süße Harmonie in die Augen der Betrachter tragen und jeder Teil für sich seiner Bestimmung angemessen diene." Unter dem Gesichtspunkt der Bewegung sieht Palladio auch die Kreisform (Buch IV, S. 6): „Tempel werden rund, quadratisch, sechseckig, achteckig und so fort gebaut, in Formen also, die im Kreis be schlossen sind; auch kreuzförmig und in verschiedenen anderen Formen und Figuren, welche die Menschen erfinden. Lob verdienen alle, die sich durch schöne, angemessene Proportionen und durch eine elegante, wohlgeschmückte Architektur auszeichnen. Die schönsten und regelmäßigsten Formen aber, von denen die anderen ihre Maße ableiten, sind Kreis und Quadrat." Kreisförmige Tempel hätten die Alten für Sol und Luna gebaut, weil diese sich um die Welt drehten, ebenso für Vesta als Göttin der Erde, „weil die Erde bekanntlich rund ist". Auch die Säulenordnungen seien Göttern und Göttergruppen zugeordnet gewesen. „Wir aber, die wir nicht mehr die falschen Götter haben, wählen die vollendetste und erhabenste Form der Tempel, weil nur diese sich schickt. Da aber die Kreisform allein unten allen Formen einfach, einheitlich, ausgeglichen, stark und geräumig ist, bauen wir die Tempel rund; denn diese Form , wo sich das Entfernteste überall gleich weit vom Mittelpunkt entfernt befindet, ist auf´s höchste geeignet, die Einheit, die Unendlichkeit, die Einheitlichkeit und die Gerechtigkeit Gottes zu zeigen. (4)
Pantheon, Rom, 118 – 125 n. Chr. Hadrian (Kaiser: 117 – 138) Inschrift: geschaffen von M. Agrippa während seines dritten Konsulats
Vorhalle in traditioneller Gliederbauweise: Säulen tragen Gebälk, darauf der Giebel, Zwischenbau und Rotunde als Massivbau: massiges Ziegelmauerwerk, Bau ruht auf massivem Ringfundament (5,50 m Tiefe), acht Pfeiler in zylindrischer Wand, hohl aufgemauert, mit Gussbetonschichten gefüllt. Kuppel zweischalig gebaut. Die innere, aus Backstein gemauerte Kalotte, besteht aus aufsteigenden Rippen, die untereinander mit Querbindern stabilisiert sind. In den Zwischen räumen sitzen die Kassetten. Rippensystem mit gestuften Kassetten wird von homogener Betonmasse umhüllt. Abnahme der Dicke der Kuppelschale nach oben. Druckkräfte im oberen Bereich der Kuppel drücken nach innen, zur Mitte, und drücken den Steinring, der den Okulus umrandet zusammen. Aufgrund der Krümmung und der Last treten im unteren Bereich Schubkräfte auf,die schräg nach außen drängen – diese werden gebändigt durch getreppte Steinringe außen und Widerlager im unteren Gewölbebereich
Längsschnitt: Innenraum mit 44m Durchmesser, überwölbt von der Halbkugel einer Kuppel, fünf Ringe mit je 28 Kassetten. Der zweigeschossige zylindrische Sockel ist gleich hoch wie die Kuppel. Der oculus im 44m hohen Scheitel hat einen Durchmessen von 9m und bildet die einzige Lichtquelle.
Portikus
Nebenapsiden (halbrunde Exedren) Apsiden auf den Diagonalen (rechteckige Exedren Apsis der Neptunsbasilika
16 Säulen (Monolithe)
Nischen mit Statuen Agrippa und Augustus
Eingangsvestibül Hauptapsis in der Längsachse
Rund um den großen Okulus, der – einer Sonne gleicht – dem Innenraum Licht gibt, symbolisieren die fünf Kassettenringe den Lauf der damals bekannten fünf Planeten. Das Bauwerk spiegelt das geozentrische System, wie es in der ptolemäischen Kosmologie beschrieben wird.
Verschobene Vertiefungen der Kassetten gleichen die optische Verzerrung aus
Major
Minor
Minor
Major
Alles gleicht der Zahl Zahlenphilosophie
Pythagoräische
Symbolik: Pantheon – Begriff aus dem hellenistischen Osten des Mittelmeerraumes – Könige errichten Tempel, der allen Göttern geweiht ist, und reihen sich selbst ein in die Schar der Allmächtigen, um den eigenen Machtanspruch zu legitimieren. Diese Idee wird im Pantheon aufgegriffen. Statuen von Caesar, Augustus und Agrippa stehen neben Venus und Mars. Pantheon kaiserlicher Repräsentationsbau, Hadrian hielt Sitzungen mit dem Senat ab. Kreis und Kugel – höchste Vollendung und Harmonie: Kreis bildet den Grundriss – Halbkugel die Kuppelform, dazu Goldener Schnitt. Sieben Apsiden waren vermutlich mit den sieben PlanetenGottheiten besetzt: Jupiter, Saturn, Mars, Merkur, Venus, Sol, Luna. Fünf Kassettenringe lassen sich deuten als die Bahnen der Planeten, die die Sonne – den Okulus – umkreisen. Bild der aufgehenden Sonne über der Stadt Rom (Zentrum der Welt). Bauwerk als pythagoräische Summe, Sinnbild gottkaiserlicher Macht , aula regia, Sinnbild kosmischer Ordnung und göttlicher Vollendung.
Vitruv Drei Ziele der Architektur: firmitas Festigkeit
utilitas Zweckmäißgkeit
venustas Anmut
Auf Festigkeit wird Rücksicht genommen sein, wenn die Einsenkung der Fundamente bis zum festen Untergrund reicht und die Baustoffe, welcher Art sie auch sind, ohne Knauserei ausgesucht werden... auf Zweckmäßigkeit, wenn die Anordnung der Räume fehlerfrei ist und ohne Behinderung für die Benutzung und die Lage eines jeden Raumes nach seiner Art den Himmelsrichtungen angepasst und zweckmäßig ist... auf Anmut aber, wenn das Bauwerk ein angenehmes und gefälliges Aussehen hat und die Symmetrie der Glieder die richtigen berechnungen der Symmetrien hat. (9)
Palladio: Dauerhaftigkeit
Zweckmäßigkeit
Schönheit /bellezza
Die Forderungen Palladios zum Thema „Dauerhaftigkeit“, also zu den Kriterien Konstruktion und Material, sind durch die forciert technische Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert weitgehend hinfällig. Was er über „Zweckmäßigkeit“, d.h. den richtigen gebrauch von Gebäuden und Gebäudelementen durch ihre Benutzerschreibt (...) ist als Kriterium gültig. Die Diskussion um die Bedeutung Palladios ist vornehmlich auf die Frage nach der richtigen Gestaltung – mithin auf bellezza und venustas – hin ausgerichtet. (11)
Symmetria Vitruv verwendet drei ästhetische Hauptbegriffe, die sich teilweise überschneiden: „symmetria", „eurythmia" und „decor". Er definiert sie hintereinander im 2. Kapitel des I. Buches in der Reihenfolge „eurythmia", „symmetria", „decor"; wir nehmen aber die Symmetrie vorweg. Vitruv schreibt: „Symmetria [. . .] ist der sich aus den Gliedern des Bauwerks selbst ergebende Einklang und die auf einem berechneten Teil (modulus) beruhende Wechselbeziehung der einzelnen Teile für sich gesondert zur Gestalt des Bauwerks als Ganzem. Wie beim menschlichen Körper aus Ellenbogen, Fuß, Hand, Finger und den übrigen Körperteilen die Eigenschaft der Eurythmie symmetrisch ist, so ist es auch bei Ausführung von Bauwerken. Und vornehmlich bei heiligen Bauwerken wird entweder aus den Säulendicken oder dem Triglyphon [. . .] die Berechnung der Symmetrie gewonnen.„ „Symmetria", so können wir vereinfachend sagen, nennt Vitruv ein Proportionsgesetz, dessen Recheneinheit ein Bau oder Körperteil ist. Am menschlichen Körper ist die Sache leichter zu erklären. Wer einenKopf streng frontal zeichnen will, geht am besten von der Länge der Nase aus. Die Strecke von der Nase zum Kinn beträgt eine Nasenlänge, die Strecke von der Nasenwurzel zum Haaransatz ebenfalls eine Nasenlänge, ebenso vom Haaransatz zum Scheitel; ferner sind die Ohren gleich lang wie die Nase und setzen gleich hoch an. Gemessen an der gewählten Einheit ist ein Menschenhaupt vier Modul hoch. Die menschliche Hand bedeckt genau das menschliche Gesicht, ist also drei Nasen lang. Zunächst sieht eine solche Einteilung wie eine harmlose Eselsbrücke aus; vor dem Modell aber oder bei einigem Nachdenken stellt sich heraus, daß die Menschen verschieden sind. In dem Augenblick, da er die Verschiedenheit der Menschen gewahr wird, muß der Zeichner die Ungenauigkeit seiner Regel eingestehen oder sie zur Norm erheben. Aus der Eselsbrücke wird dann unverhofft ein Proportionsgesetz für den schönen Menschen oder ein Kanon. Aus der griechischen Bildhauerei des 5. und 4. Jahrhunderts sind verschiedene solcher Kanones überliefert, von denen der Kanon des Bildhauers Polyklet der berühmteste ist. Ein solcher Proportionskanon kann nun leicht eine Ehe mit der Zahlenlehre der Pythagoräer eingehen. Nach der Lehre der Phythagoräer durchwalten einfache Zahlenverhältnisse den ganzen Kosmos. (10)
In der Deutung Palladios stammt die Schönheit „aus der schönen Form, aus der Übereinstimmung des Ganzen mit den Teilen, der Teile untereinander und mit dem Ganzen, sodass ein Gebäude als ein Körper mit fehlerlosen und vollkommenen Proportionen erscheint, an dem jedes Glied vom Standpunkt des ganzen Körpers notwendig ist.“ (...) Hierbei beruft sich Palladio eindeutig auf Vitruv, für den sich Schönheit und Harmonie aus den griechischen Prinzipien der Proportionslehre herleiten.
Leon Battista Alberti De re aedificatoria, um 1450 Die Natur selbst liebt das Kreisrund über Alles; das beweisen unter ihren Schöpfungen der Erdball, die Gestirne, viele Tier und ihre Nester, und noch vieles andere. Denn die Natur strebt nach absoluter Vollkommenheit, sie ist die göttliche Lehrerin aller Dinge. (8)
Leonardo da Vinci Homo quadratus, Proportionsschema, Illustration zu Vitruv, 1485/1490, zeichnung, 34,4 x 24,5 cm, Galleria dell ´Accademia, Vendeig
Leonardo, Entwürfe für Zentralbauten
Nach Donato Bramante, Santa Maria della Conselazinoe, 1508, Todi
Bramante, Tempietto San Pietro in Montorio, 1502, Rom
Wegraum
Verweilraum Palladio, Il Rendentore
Hauptbau als „Würfel“ mit flachem Walmdach, in der Mitte runde, realtiv flache Kuppel mit mehreren Stufen und kleiner Krone (bekrönt)
Vollständig symmetrisch aufgebauter Baukörper, in jede Himmelsrichtung gleichmäßig mit offener Treppe und säulengestützter Vorhalle (Portikus, Loggia)
Über jeder Giebelecke große figürliche Vollplastik
Flacher Dreiecksgiebel mit Tympanon, zwei ovale Fenster, Wappen
Offene Vorhalle, ionische Säulen – ohne Kanneluren
Wangen säumen Treppe, Vollplastik
Freitreppe
Wandflächen eher schlicht , wenig Fenster, Goldener Schnitt, zwei Gurtgesimse und Sockelgesims, schlichtes, schmales Kranzgesims
Ein breiter Gesimsstreifen betont die Waagrechte und wird zwischen Portikussäulen und Dreiecksgiebeln um den ganzen Bau herumgezogen. Er trennt das obere Attikageschoss vom „piano nobile“, dem höheren Hauptgeschoss, das auf dem fundamentartigen, mit gewölbten Räumen versehenen Sockelgeschoss aufliegt. Alle Fenster werden schlicht in die Mauerfläche eingeschnitten, nur die fast bis auf Bodenhöhe herabgezogenen Fenster in den Wandflächen neben den Säulenfronten übernehmen die ÄdikulaRahmung der Hauptportale.
Attikageschoss
Piano nobile
Sockelgeschoss
Villa Rotonda - privates Landhaus vor den Toren der Stadt Vicenza, von Palladio für den hoch gebildeten Theologen Paolo Almerico entworfen, ohne landwirtschaftliche Nebengebäude. Ort der Erholung, Synthese von landschaftlicher Schönheit und architektonischer Harmonie, repräsentativer Ort für Zusammenkünfte mit befreundeten Humanisten.
Palladio: „Der Ort ist schön gelegen (…); weil man sich auf alle vier Seiten hin der schönen Aussicht erfreut, wurden auf allen Fassaden Loggien errichtet.“ Landschaftsausblicke in vier Himmelsrichtungen Rotonda auf der Kuppe eines Hügels (Belvedere – Charakter) (Integration des Baus in andere Umgebung) Bauwerk und Landschaft werden durch Treppenläufe miteinander verbunden (Verschmelzung mit Natur) Kuppel als Überhöhung der Kuppe (Überhöhung der Landschaft, Natur „vereinnahmt“ Architektur) Einerseits: Verschmelzung und Durchdringung von Architektur und Landschaft Andererseits: Kontrast zwischen gewachsener Natur und nach strengem Maß konstruiertem Kunstgebilde („absolute Wahrheit“ der Mathematik) Ergo: Architekturentwurf ohne diesen Landschaftskontext so nicht denkbar.
Portikus
Ionische Säulenordnung, deren Kapitelle mit den sich einrollenden Voluten von der Vertikale der Säulen in die Horizontale des Gesimses und in die Basis der Dreiecksgiebel überleiten. Von den fünf Interkolumnien der tempelähnlichen Vorhallen ist das mittlere durch eine etwas größere Breite akzentuiert. Ihm entspricht an den Wänden des kubischen Hauptbaues das reiche profilierte, übergiebelte Eingangsportal. Eine profilierte Rahmung mit Zahnschnittfries begrenzt stark plastisch die Giebelfelder, die durch zwei querovale Fenster und mittigem Wappen strukturiert werden.
Palladios besondere Liebe gilt der Tempelfront. Schon in Daniele Barbaros Vitruvausgabe zeigt sich das von Palladio rekonstruierte antike Haus von einer Tempelfront geschmückt. Ebenso rekonstruiert Palladio in den Quattro libri das antike Landhaus nach Vitruvs Beschreibung mit einer Tempelfront. Gestützt darauf schreibt er (Buch II, S. 69); „In allen Landhäusern (fabriche di Villa) wie auch in einigen Stadtpalästen habe ich im Gegensatz zu den Alten das Frontispiz auf die Vorderseite gesetzt, wo die Hauptportale sind; denn solche Frontispize zeigen den Eingang des Hauses an und unterstreichen Größe und Pracht des Werkes; dadurch gewinnt die Vorderfront an Bedeutung. Außerdem kommen Frontispize sehr gelegen für das Anbringen von Insignien und Wappen der Bauherren, die man in der Mitte der Fassade anzubringen pflegt. Solche Frontispize verwendeten auch die Alten, wie man an den überkommenen Tempeln und anderen öffentlichen Gebäuden sieht [. . .]. Wahrscheinlich entnahmen sie Erfindung und Begründung der Frontispize den Privatbauten, das heißt den Häusern." Aus dieser wie auch aus anderen Stellen läßt sich erkennen, daß Palladio mit „frontispicio" nicht die ganze Tempelfront, sondern nur den Tempelgiebel bezeichnet.
. Die Tempelfront als Ganzes nennt er „frontispicio sopra loggie"; sie bieten einen herrlichen Anblick, weil sie den Mittelteil gegenüber den Flanken hervorheben (Buch II, S. 48 und 77). Auch Portikusflügel, die Herrenhaus und ökonomiebauten verbinden, tragen in Palladios Augen zum Schmuck bei (Buch II, S. 46). Hinter Palladios Ableitung der Tempelfront aus dem Hausbau steht die Theorie Vitruvs, der die Entstehung der Architektur aus dem Hausbau schildert. In seinem erhellenden Büchlein über die Villa Foscari hat Erik Forssman Palladios Bedürfnis nach Legitimation so umschrieben (1973, S. 37); „Er wünschte an seinen Villen als Front einen monumentalen Portikus zu haben und erfand deshalb einen antiken Vorläufer. Das ist typisch für seinen gesamten .Klassizismus', der nicht imitativ, sondern kreativ ist." (5)
Aufsicht (Modell):
vier vollkommen gleiche Fassadenfronten mit Portikus bzw. offener Loggia und monumentalen Freitreppen kubischer Zentralbau mit Kuppel griechisches Kreuz als erweiterter Grundriss
Rückbezug auf Antike (Vitruv) und Säkularisierung christlich sakraler Bauformen
Gebäudeschnitt im Modell verdeutlicht Zentralbau mit über kreisförmigem Grundriss errichteten Kuppelsaal, der sog. „Rotonda“, von dem der Bau seinen Namen hat. Im Gegensatz zu den übrigen Räumen nimmt dieser Mittelraum die gesamte Höhe des Baukerns ein und findet in der Kuppel seinen oberen Abschluss.
Die kulturelle Funktion der Villa verdichtet sich im kreisförmigen Mittelsaal. Dieser Raum ist der Schauplatz der Zusammenkünfte, Musiksaal und Raum für Deklamationen und gelehrte humanistische Diskussionen.
Die Gestaltung des kreisförmigen Saales steht auf demselben Niveau wie die vier klassischen Fassaden und ihr Raum. Die Logik in der Anordnung der Räume schafft den Zusammenhang zwischen geistigem Mittelpunkt des Gebäudes und natürlicher Umgebung. Dies wird dadurch unterstrichen, dass der zentrale Raum in keiner unmittelbaren Verbindung mit den Zimmern steht, diese schließen sich aneinander an.
Die Portiken nehmen die halbe Breite des kubischen Mittelbaus ein. Der halben Tiefe des Kernhauses entsprechen jeweils Säulenvorhallen und Treppen. Die Summe der vier Portiken und Treppen bedeckt die gleiche Fläche wie der Hauptbau. So entwickelt sich aus Maß und Zahl, aus Geometrie und analoger Proportion ein Bauwerk aus voller Klarheit und Schönheit.
Blick aus der Rotunde in den tonnengewölbten Gang und auf Tür zum Treppenhaus
Palladianismus
Chiswick House ist ein im palladianichen Stil errichtetes Gebäude im Londoner Stadtteil Chiswick mit revolutionären Gartenanlagen, die Richard Boyle, 3. Earl of Burlington (16951753) von William Kent (1724 – 1728) anlegen ließ.
Stourhead, ab 1721
Colen Campbell (* 1676, † 1729) war ein führender englischer Architekt des 18. Jhdts. und einer der prominentesten Protagonisten des Neopalladianischen Stils. Er baute u.a. Burlington House und Wanstead House in London, Houghton Hall in Norfolk, Stourhead House in Wiltshire und Mereworth in Kent. Er übersetzte die Vier Bücher zur Architektur des Andrea Palladio und gab 1715 1725 in drei Bänden den Vitruvius Britannicus heraus, eine Sammlung von Entwürfen vor allem von Inigo Jones, Sir Christopher Wren und seiner selbst.
Schloss Wörlitz (1769 – 1773), Architekt: Friedrich Wilhelm Freiherr von Erdmannsdorff (1736 -1800)
Tempietto Barbarano Maser (Treviso)
Villa Cornaro Piombino Dese (Treviso)
Anhang
1.
Goethe, zit. nach Bödefeld, Gerda /Hinz, Berthold, Die Villen im Veneto Darmstadt 1998, S. 126
2.
Palladio, Andrea, Die vier Bücher zur Architektur, Zürich und München 1983, S. 132
3.
Palladio, ebenda, S. 82
4.
Germann, Georg, Einführung in die Geschichte der Architekturtheorie, Darmstadt 1980, S. 135 f
5.
Germann, Georg, ebenda, S. 137
6.
Wittkower, Rudolf, Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus,München 1969, S.63
7.
Wittkower, Rudolf, ebenda, S. 61
8.
Wittkower, Rudolf, ebenda, S. 13
9.
Vitruv, De architetura libri decem, Wiesbaden 2004, S. 27 f
10. Germann, Georg, ebenda, S. 18f 11. Nachwort von Andreas Beyer /Ulrich Schütte – Die vier Bücher zur Architektur, München 1983, S. 443
Tipp:
www.marcusfrings.de/rotonda