Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens.
Neue Folge Band 10
Im Auftrag der Dominikanerprovinz Teutonia herausgegeben von Walter Senner OP (Federfiihrender Herausgeber) KasparElm Ulrich Engel OP Isnard W. Frank OP Ulrich Horst OP
ALBERTUS MAGNUS Zum Gedenken nach 800 Jahren: Neue Zugänge, Aspekte und Perspektiven
Herausgegeben im Auftrag der Dominikanerprovinz Teutonia durch Walter Senner OP unter Mitarbeit von Henryk Anzulewicz, Maria Burger, Ruth Meyer, Maria Nauert, Pablo C. Sicouly OP, Joachim Söder, Klaus-Bemward Springer
Akademie Verlag
Gedruckt mit Unterstützung der Dominikanerprovinz Teutonia
Inhaltsverzeichnis SENNER, Walter OP HONNEFELDER, Ludger Albertus Magnus Institut
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 3-05-003563-3
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1. Teil
Vorwort Albertus Magnus 1200-2000 Albertus Magnus: Gesamtverzeichnis der Werke und ihrer Abkürzungen
ALBERTS QUELLEN
Die Erprobung der Vernunft. Vom Umgang mit Traditionen in De homine Albert der Große über Anaximander JECK, Udo Reinhold Zur Rezeption des Moses Maimonides im RIGO, Caterina Werk des Albertus Magnus The Reception ofAvicennas' "Philosophia BERTOLACCI, Amos Prima" in Albert the Great's Commentary on the "Metaphysics ": the case ofthe doctine ofunity WEBER, Edouard-Henri OP Un theme de la philosophie ambe interprete par Albert le Grand
2. Teil
PRIMA PHILOSOPHIA, ERKENNTNIS
AERTSEN, Jan
Die Frage nach dem Ersten und Grundlegenden. Albert der Große und die Lehre von den Transzendentalien "Bonum" als Schlüsselbegriffbei Albertus Magnu.~
füHRER, Markus L. WÖHLER, Hans-Ulrich ISSN 0942-4059 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2001
SANTOS-NOYA, Manuel
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GULDENTOPS, Guy
Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden.
LIPKE, Stephan
Printed in the Federal Republic of Germany
XXV-XXIX
SÖDER, Joachim
ANZULEWICZ, Henryk
Druck: GAM MEDIA, Berlin Bindung: Norbert Klotz, Jellingen-Scheppach
IX-XVI XVII-XXIV
Albertus Magnus ' Theory ofDivine Illumination Alberts des Großen Lehre von den Kontrarietäten Die Universalienlehre der" Nominales" in der Darstellung Alberts des Großen Albert 's Influence on Bate 's Metaphysics andNoetics Die Bedeutung der Seele für die Einheit des Menschen nach De homine
1-B 15-27 29-66
67-78 79-90
91-112 113-140 141-155 157-169 171-194 195-206 207-219
VI
3. Teil SCHÖNBERGER, Ralf SAARINEN, Risto MCCLUSKEY, Colleen TROTTMANN, Christian
4.
Teil MÜLLER, Jöm
ERNST, Stephan STAMMKÖTTER, FranzBemhard TRACEY, Martin J. PIERPAULI, Jose Ricardo SCHMIDT, Hans-Joachim STEHKÄMPER, Hugo
Inhaltsverzeichnis
WILLE Rationale Spontaneität. Zur Theorie des Willens bei Albertus Magnus Die aristotelische Willensschwäche im Mittelalter: der Beitrag von Albertus Magnus Albertus Magnus and Thomas Aquinas on the Freedom ofHuman Action La synderese selon Albert le Grand ETHIK UND POLITIK Ethics as a Practical Science in Albert the Great's Commentaries on the Nicomachean Ethics Philosophische Ethik im Rahmen der Theologie bei Albertus Magnus Die Entwicklung der Bestimmung der Prudentia in der Ethik des Albertus Magnus Albert's Readings ofAristotle 's MoralPhilosophical Treatises on Pleasure vis-a-vis Three Recent Perspectives on his Thought Ordo naturae et ordo politicus unter ontotheologischer Perspektive bei Albert dem Großen Politische Theorie und politische Praxis: Albertus Magnus und die städtische Gemeinde Albertus Magnus undpolitisch ausweglose Situationen in Köln
Inhaltsverzeichnis
KÖHLER, Theodor Wolfram OSB 221-234 235-242
6.
243-254 255-273
EMERY, Gilles OP
Teil
OLSZEWSKI, Mikolaj HOENEN, Maarten F. 275-285
HOEDL, Ludwig
287-301
BLASBERG, Ralf 303-310
OBENAUER, Klaus OP 311-325
HORST, Ulrich OP 327-341
CONFORTI, Patrizia 343-357
VII
Der Tiervergleich als philosophisch-anthropologisches Schlüsselparadigma - der Beitrag Alberts des Großen
BIBLISCHE UND SYSTEMATISCHE THEOLOGIE La relation dans la theologie de S. Albert le Grand St. Albert the Great 's Theory OfInterpretation ofthe Bible Glaube und Vernunft. Die Trinitäts Theologie des Albertus Magnus Wesenseinheit und Personbeziehungen im frühen trinitätstheologischen Denken Alberts des Großen "Qui tempus ab aevo ire iubes Zur positiven Theologie der Zeit im Frühwerk und in der Summa des Albertus Magnus Zur Prädestinationslehre des hl. Albertus Magnus Albertus Magnus und Thomas von Aquin zu Matthäus 16,18f Ein Beitrag zur Lehre vom päpstlichen Primat La doctrine de la grace d'union et son evolution chez Albert le Grand et ses contemporains
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5. Teil MEYER, Ruth ASUA, Miguel de PARAVICINI BAGLIANI, Agostino HOSSFELD, Paul LINDGREN, Uta
PHILOSOPHIA NATURALlS ,'positio vero est quidam situs partium et generationis ordinatio ". Zur Kategorie der Lage bei Albertus Magnus Minerals, Plants and Animals from A to Z. The Inventory ofthe Natural World in Albert the Great 's philosophia naturalis Le Speculum Astronomiae. Enquete sur les manuscrits Das zweite Buch der Meteora des Albertus Magnus Abschied von Aristoteles. Die Zeit als Problem
MYSTIK UND SPIRITUALITÄT Mystische Theologie nach Albert dem Großen MOONAN, Lawrence What is a negative theology? Albert 's answer SICOULY, Pablo C. OP Gebet als" instrumenturn theologiae ZU einer Aussage Alberts des Großen in seinem Kommentar zu Ps.-Dionysius' De divinis nominibus SCHINAGL, Elisabeth Naturwissen in den Predigten der Handschrift Leipzig Univ. 683 SPRINGER, Klaus-Bemward Albertus Ma&Tflus und die "religiöse Frauenbewegung" TEIL HOYE, William J.
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Register TextsteIlen bei Albertus Magnus Handschriftenregister Personen aus Bibel, Antike und Mittelalter Sachregister (vorzugsweise lateinische Begriffe)
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MANUEL SANTOS NOYA, Tübingen
Die Universalienlehre der 'Nominales' in der Darstellung Alberts des Großen Am Ende seiner Schrift De V universalibus (tr. 9, c. 3) faßt Albert seine Universalienlehre zusammen und verweist den Leser auf den vorangehenden 2. Traktat, in dem er die Frage nach der Natur der Universalien thematisch erörtert hatte. Dabei macht er ein merkwürdiges Geständnis: An der erwähnten Stelle habe er die Position der Realisten (reales) vertreten, weil sie schwieriger zu verteidigen war als die Lehre der Nominalisten (nominales): " ... in praecedentibus de tractatu communi de universalibus hoc sustinuimus quod dixerunt reales, eo quod magis difficile fuit ad sustinendum". Zwar fehlt der Nebensatz "eo quod magis difficile jUit ad sustinendum" in den Druckeditionen 1, er wird aber von allen Handschriften mit einer einzigen Ausnahme2 bezeugt, so daß er als authentisch zu gelten hat. Als Leser ist man etwas ratlos angesichts einer solchen Aussage, da man Albert kaum abnehmen kann, daß er tatsächlich nur aus didaktischen Gründen die Universalienlehre der Realisten vertreten habe, gehört sie doch zweifelsohne zum Kern seiner eigenen Philosophie. Darüber hinaus hatte er in dem erwähnten 2. Traktat gesagt, daß die Argumente der 'Reales' zwingend seien3• Weswegen er nun am Ende von De V universalibus seine Verteidigung des Universalienrealismus plötzlich relativiert, ist wohl nicht mehr zu klären. Womöglich hat er diese Bemerkung gemacht, weil er mit seiner eigenen Argumentation nicht ganz zufrieden war. Eines steht auf jeden Fall fest: Albert war der Meinung, daß seine eigene Universalienlehre zutreffend sei, jedoch einen größeren Schwierigkeitsgrad als die der Nominalisten biete4 . Albert setzt sich mit der Universalienlehre der Nominalisten im 2. und vor allem im 3. Kapitel des bereits erwähnten 2. Traktats auseinander, welcher der Darstellung des Seinsmodus und Wesens der Universalien gewidmet ist und deswegen zu Recht den Titel "De universalibus" trägt. Es ist zu bemerken, daß Albert seine eigene Lehre mittels
4
VgI. ALBERTUS Magnus: De V univ., tr. 9, c. 3: Ed. Paris. t. I, S. 147a. Die Textüberlieferung der Schrift De V universalibus ist äußerst mangelhaft. Die Druckeditionen und einige Handschriften haben zahlreiche, zum Teil gravierende Lesefehler, in deren Folge die Aussage Alberts zuweilen in ihr Gegenteil umgekehrt werden. Auf die wichtigsten Lesefehler der Druckeditionen werde ich in diesem Beitrag an den entsprechenden Textstellen hinweisen. Es handelt sich um den Codex Pisa, BibI. Cateriniana, 99, der oft die Texttradition der Drucke vertritt. VgI. De V univ.. tr. 2, c. 3: S. 26a: "Ea autem quae seeundo indueta sunt, puto de neeessitate eoneludere". VgI. aueh ebd., S. 24b: "... Sunt [universalia] et extra vel praeter intelleeturn solum, nudum et purum sunt, sieut incontradicibiliter probant secundo induetae rationes" VgI. loe. eit.: S. 20b-22b.
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MANUELSANTOsNoYA
Die Universalienlehre der 'Nominales'
einer Auseinandersetzung mit den Nominalisten darstellt. Er verfährt dabei so, daß er zunächst sieben Beweise der Nominalisten und andererseits sieben Beweise der Realisten 5 anfUhrt, wobei er schließlich die Argumente der Nominalisten widerlegt6. Es gibt keinen der Darlegung der eigenen Lehre speziell gewidmeten expositorischen Teil. Vielmehr erfolgt die Formulierung der eigenen Position fast ausschließlich mittels dieser dialektischen Abfolge von Argumenten, Gegenargumenten und Antworten, so daß die Auseinandersetzung mit den Nominalisten gleichzeitig der Exposition der eigenen Lehre dient. Wie Albert selbst am Anfang des 3. Kapitels sagt, soll diese 'dialektische' Gegenüberstellung der Argumente zu einer besseren Erkenntnis der Wahrheit fUhren 7• In diesem Sinne beginne ich die Darstellung mit der 'leichteren' Theorie und versuche zunächst die Aussagen Alberts über die Universalienlehre der Nominalisten in einen systematischen Zusammenhang einzuordnen; anschließend versuche ich herauszufinden, welche Nominalisten bzw. welchen Typus von Nominalismus Albert bekämpfte. Zum Abschluß folgen einige allgemeinere Bemerkungen über die Universalienlehre Alberts.
Individuen, und nur diese haben wirkliche Subsistenz, da alles, was abgetrennt existiert, als solches existiert, weil es ein Individuum ist. Diesen Grundsatz der Identität von wirklicher Existenz und Individualität beweisen die Nominalisten unter Berufung auf Aristoteles, Boethius und Avicenna, die wie sie sagen - der Meinung gewesen seien, "daß alles, was in der Natur als ein Abgetrenntes existiert, gerade deswegen als solches existiert, weil es zahlenmäßig ein Einzelnes ist"9. Individualität und Singularität sind somit die Vorbedingung wirklicher Existenz, d, h. reale Existenz ist nur möglich in der Form der Individualität, oder in Alberts prägnanter Zusammenfassung des Arguments: "alles was ist, ist deswegen, weil es zahlenmäßig Eines ist"IO.
2. Die Wirklichkeit besteht ausschließlich aus Individuen Die Nominalisten gehen noch einen Schritt weiter: Nicht nur das, was in der Natur subsistiert, ist partikulär und individuell, sondern auch alles, was den Individuen zugrundeliegt, ist seinerseits partikulär und individuell, da es von der Materie genau so individualisiert 11 wird wie die Individuen, denen es zugrundeliegt:
L Die Universalienlehre der 'Nominales' 1.
"So wie alles, was in der Natur als ein Abgetrenntes existiert, ein Partikuläres und ein Individuum ist, so ist alles, was in einem solchen abgetrennt Existierenden ist, partikulär und individualisiert, wie zum Beispiel jede substantielle und akzidentelle Form, die in einem Individuum ist, individuell ist, denn sie wird durch die Materie, die das Prinzip und die Ursache jeder Individuation ist, zu einem Individuellem gemacht"12
Alles Seiende ist individuell
Die Nominalisten gehen von der Identität des wirklich Seiendem mit dem Individuum aus. Alles, was außerhalb des Intellekts Realität besitzt und abgetrennt existiert, ist "ein Partikuläres und ein Individuum"s. In der extramentalen Wirklichkeit existieren nur 5 6
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Vgl. loc. eit.: S. 22b-24a. Vgl. loc. cit.: S. 24a-26a. Vgl. loc. cit.: S. 20b: "Ad quaestionem ergo primam [an ista quae genera et speeies dicuntur in re subsistant ...] difficultates maiores, quae dubitationem pro utraque parte faciunt, sunt inducendae, ut visa rationc dubitationis melius intelligatur soluta dubitatione". Da die Drucke "... dubitationem pro parte faciunt ..." statt". .. dubitationem pro utraque parte faeiunt ..." lesen, wird im gedruckten Text dieser programmatische Hinweis auf die eigene Methode verschleiert. Wie stark dieser kleine Fehler das Verständnis des Textes beeinträchtigt, wird aus der deutschen Übersetzung der Textstelle in der von Hans-Ulrich Wöhler herausgegebenen Auswahl von Texten zum Universalienstreit deutlich, vgl. wäHLER, Hans-Ulrich (Übers. und Hrsg.): Texte zum Universalienstreit. Bd. J u. 2 (Berlin J992 u. 1994), in der Folge zitiert als: WäHLER [Anm. 7], Bd. 1, bzw. Bd. 2, hierzu Bd. 2, S. 9: "Zur ersten Frage sind also die größeren Schwierigkeiten anzuführen, die im einzelnen die Unklarheit hervorrufen". Eigentlich müßte es aber etwa heißen: " ... sind also die größeren Schwierigkeiten anzufUhren, aufgrund deren jede der beiden Positionen in Frage gestellt wird". Da Wöhler fUr seine Übersetzung nur die Drucke benutzt hat, spiegeln sich unvermeidlicherweise in seiner Übertragung die Fehler des gedruckten Textes wider. Meine Berichtigungen seiner Version bedeuten also keine Kritik an seiner sonst verdienstvollen Arbeit. ALBERTUS Magnus: De Vuniv., tr. 2, c. 3: ed. eit., S. 21a: "Tertiam adducunt [seil. nominales] rationern, quod sicut omne, quod est secundum esse separatum in natura, particulare et individuum est ..."
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Op. cit: S. 21a: "Dicunt [seil. nominales] quod Boethius et Aristoteles et Avicenna dicun.t, quod omne, quod separatum in natura est, ideo separatum est, quia unum numero est". Vgl. WÖHLER [Anm. 7], Bd. 2, S. 10. ALBERTUS Magnus: De V univ, tr. 2, c. 3: [Anm. I], S. 25a: "Ad id ergo quod primo pro prima parte indueitur, dicendum quod, eum dicunt Aristoteles et Boethius quod omne quod est, ideo est, quia unum numero est ..." . . Dieses auf der individualisierenden Wirkung der Materie gründende Argument kann m dieser Form kaum von den Nominales stammen. Lehrten sie doch, daß alles Seiende aus sich selbst und durch die eigene Wesenheit partikulär und individualisert sei; vgl. unten Anm. 57. Op. cit.: S. 21a: "Tertiam adducunt rationem, quod sieut (Ed. Paris. si) omne, quod est secundum esse sepamtum in natura, particulare et individuum est, ita omne, quod est in eo, quod sie separatum est, partieulare et individuatum est (ita omne, ... individuatum est om. Ed. Paris.), ut omms forma, quae in individuo est, individua est, sive sit substantialis sive aceidentalis. Individuatur enim per materiam, quae omnis individuationis prindpium et causa est". Im gedruckten Text fehlt infolge eines Homoioteleutons der zweite Teil des Vordersatzes (ita omne, quod est in eo, quod sie separatum est, parlieulare et individuatum est), so daß die eigentliche Intention des Arguments nämlich, daß dem Individuum rein individuelle Formen zugrundeliegen - verschleiert wird. - Bei seiner Übersetzung hat Wöhler die Konditionalkonjunktion 'si' ausgelassen, da sonst der Text keinen Sinn gehabt hätte, vgl. WäHLER [Anm. 7], Bd. 2, S. 10: " ... Alles, was von Natur als [=
Die Universalienlehre der 'Nominales'
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Negation der extramentalen Existenz der Universalien ('weil das Universale in der extramentalen Wirklichkeit nichts ist') eine entschiedene Behauptung derselben: 'weil das Universale ja außerhalb des Intellekts in der Außenwirklichkeit existiert'22.
4.1. 'Universale in solis intellectibus' Die Nominalisten lösen die erste der drei Fragen23 , die Porphyrius am Anfang der Isagoge über die Natur der Universalien (bzw. der Genera und Spezies) stellt, mit einer dreifachen Betonung der rein gedanklichen Natur (in soZis, nudis et puris intellectibus) derselben 24 : Die Universalien - sagen sie in Alberts Darstellung subsistieren nicht in der real-gegenständlichen Welt, sondern existieren nur 'in den alleinigen, bloßen und reinen Gedanken'. 'Allein in den Gedanken' (in soZis intellectibus), weil "allein der Intellekt bewirkt (fadt), daß sie existieren und irgendwie Sein besitzen"25. Diese deutliche Formulierung der nominalistischen Lehre von der rein intellektuellen Natur der Universalien ist im gedruckten Text völlig entstellt. Statt "quae ut sint et quoquo modo esse habeant, sojus facit intellectus", wie es in allen Handschriften heißt, lesen die Editionen (Ed. Paris., 1. 1, S. 19b) "quae utrum sint et quomodo esse habeant, sojus seit intellectus", d. h.: "Nur der Intellekt weiß, ob sie existieren und wie sie ein Sein besitzen"26. Damit wird aus einer Aussage über den rein intellektuellen Charakter der Universalien eine gnoseologische Frage nach der Art und Weise, wie die Universalien er-
22 Vgl. WÖHLER [Anm. 7], Bd. 2, S. 11: "Weil es [das Universale] ja außerhalb des Intellekts der Wirklichkeit angehört".
23 Zu Beginn seiner Isagoge sagt Porphyrius, daß er drei wichtige Fragen über das Wesen und die Existenzweise der Universalien trotz ihrer Bedeutung übergehen wird. Indem er aber diese Fragen aufwarf und offen ließ, hat er ganze Generationen von Logikern dazu veranlaßt, sich mit der von ihm vermerkten Problematik auseinanderzusetzen. Die von ihm genannten Fragen lauten: [1.] "existieren die Genera und die Spezies wirklich oder befinden sie sich nur in den bloßen Gedanken? [2.] wenn sie wirklich existieren, sind sie dann körperlich oder unkörperlich? [3.] sind sie von den Sinnendingen losgetrennt oder existieren sie in ihnen?". Cr. PORPHYRIUS: Isagoge Translatio Boethii (ed. Laurentius Minio-Paluello). Bruges [u.a.] 1966 (Aristoteles Latinus, t. 1,6-7), S. 5; vgl. WÖHLER [Anm. 7], Bd. I, S. 3. 24 Auch bei Abaelard befindet sich diese auf die porphyrische Frage bezogene - dreifache Bestimmung der gedanklichen Natur des Universale, aber mit anderen Schwerpunkten (ABAELARDUS, Petrus: Logiea 'Ingredientibus', [Anm. 18], S. 27): "Unde merito intellectus universalium solus et nudus et purus dicitur, solus quidem a sensu, quia rem ut sensualem non percipit, nudus vero quantum ad abstractionem formarum vel omnium vel aliquarum, purus ex toto quantum ad discretionem, quia nulla res, sive materia sit sive forma, in eo certificatur". 25 ALBERTUS Magnus: De V univ., tr. 2, c. 2: [Anm. I], S. 19b: "Sunt tarnen qui aliter ea, quae dicta sunt, interpretantur dicentes quod 'in solis intellectibus' sunt iIla quoad nos, quae ut (Ed. Paris. utrum) sint et quoquo (Ed. Paris. = quo) modo esse habeant, solus/aeit (Ed. Paris. = seit) intellectus. Et tale esse in intellectu universalia habere dixerunt iIIi, qui vocabantur nominales". 26 WÖHLER [Anm. 7], Bd. 2, S. 7.
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MANUEL SANTOS NOYA
kannt werden 27 , Die Art und Weise, wie der Intellekt die Universalien hervorbringt, wird an einer anderen TextsteIle angedeutet: Die Universalien existieren nur im Intellekt, der sie allein "auf Grund einer von den Dingen gemachten Abstraktion"28 hervorbringt und bildet. Da die Wirklichkeit ausschließlich aus Individuen besteht, so daß in ihr nichts Universelles vorkommt, sind die allgemeinen Wesenheiten und die Gattungen unter welche wir die Einzeldinge subsumieren und einordnen, rein gedankliche Konstruktionen: "Eben jene, die man 'Nominales' nannte" - referiert Albert - "waren der Auffassung, daß die Universalien" bloß "ein gedankliches Sein besäßen und daß die Gemeinschaft, auf welche die zu den Universalien gehörenden Partikularien über welche die Universalien ausgesagt werden bezogen werden, nur gedanklich existiert"29. Die Universalien haben also kein getrenntes Sein (esse separatum) außerhalb des Intellekts, sondern existieren allein in den Gedanken, indem sie im Geist und im Licht der Vernunft als reine Begriffe und Intentionen (ration es et intentiones) entstehen30 .
4.2. 'Universale in nudis purisque intellectibus' Des weiteren lehren die Nominalisten, daß die Universalien 'bloße und reine' Gedanken sind. 'Bloß und rein', weil die Universalien als rein gedankliche Konstruktionen ohne jede Realität in der materiellen und real-gegenständlichen Welt - von allen sinnlichen Vorstellungen (phantasmata) entblößt und mit der Materie unvermischt sind: Das Uni-
27 Die Häufung solcher Lesefehler in den Druckeditionen und in einigen Handschriften der logischen Traktate Alberts ist dafUr mitverantwortlich, daß er in manchen Kreisen als schlechter Logiker gilt.
28 Vgl. ALBERTUS Magnus: De Vuniv., tr. 2, c. 2: [Anm. I], S. 19a: "Prima quidem [quaestio] est, an ista quae genera et speeies dicuntur, in re subsistant, aut non quidem in rerum natura sint subsistentia, sed in solis nudis purisque intellectibus per abstractionem arebus faetam sint positaT Vgl. WÖHLER [Anm. 7], Bd. 2, S. 7. 29 Op. eit., tr. 2, c. 2: S. 19b: "Et tale esse in intellectu universalia habere dixerunt illi, qui vocabantur nominales, qui communitatem, ad quam particularia universalium de quibus dicuntur ipsa universalia - referuntur, tantum in intellectu esse dicebant". Vgl. WÖHLER [Anm. 7], Bd. 2, S. 7. 30 Op. cit., tr. 2, c. 3: S. 20b: "Est ergo quaestio prima, utrum universalia et praecipue genera et species quae quid significant (Ed. Paris. quidem significantur), subsistant in natura secundum esse separatum ab intellectu, an non quidem sic subsistant, sed in solis nudis purisque intellectibus posita sint, ita quod separatum non habeant esse, sed tantum sint accepta, prout sunt rationes et intentiones in mente et lumine intellectus acceptae. Auch hier ist der gedruckte Text fehlerhat. da es in den Edition .,... genera et species quae quidem significantur statt .,... genera et speeies quae quid significant ., heißt. Wöhler hat versucht, dem unverständlichen Text einen Sinn abzugewinnen, und übersetzte (WÖHLER [Anm. 7], Bd. 2, S. 9): "Die erste Frage lautet also, ob das als 'Universalien' bezeichnete und in erster Linie die Genera und Spezies wirklich in der Natur mit einem vom Gedanken getrennten Sein existieren ..." Eigentlich heißt es aber: "Die erste Frage lautet also, ob die Universalien - und in erster Linie die Genera und Spezies, die eine Wesenheit ('quid') bedeuten wirklich in der Natur mit einem vom Gedanken getrennten Sein existieren ..." U
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Die Universalienlehre der 'Nominales'
Dementsprechend räumt er der Darstellung und Widerlegung der Argumente der Nominalisten gegen die reale Existenz der Universalien verhältnismäßig viel Platz ein. Man kann sagen, daß Albert in seiner Dastellung der Lehre der Nominalisten die sprachliche Dimension des Universalienproblems stark reduziert, um sich vor al1em auf die Polarität von res und intellectus zu konzentrieren. In dieser Hinsicht paßt seine Beschreibung der Nominalisten eher für jenen Typus von Nominalismus, den Johannes von Salisbury unmittelbar nach der Lehre Abaelards erwähnt und von dessen Vertretern er sagt, daß sie die Universalien als intellectus und notiones deuten:
Das logische Universale setzt also das ontologische voraus. Das heißt, Albert zieht aus der aristotelischen Definition des Universale eine ganz andere Folgerung als Abaelard. Für diesen stehen wie oben dargelegt wurde die Ebene der Sprache und die Ebene der Wirklichkeit in unaufhebbarer Spannung: Das Universale als Prädikabile kann seine Fähigkeit, von vielem prädiziert zu werden, nur dann bewahren, wenn es keine dinghafte Existenz erhält. Für Albert dagegen kann das Universale nur dann von vielem prädiziert werden, wenn es in vielem realiter existiert: 3• Er setzt also die Ebene der Sprache bzw. die der Erkenntnis mit der Ebene der Realität gleich: "Dasjenige, wodurch ein Ding existiert, und dasjenige, wodurch es erkannt und gewußt wird, ist identisch. Eine Wissenschaft aber gibt es nur vom Allgemeinen und durch das Allgemeine. Also existiert ein Ding überhaupt nur auf Grund des Allgemeinen"54. Weil die Sprache und die Wissenschaften mit allgemeinen Begriffen operieren, müssen die Einzeldinge von denen die Wissenschaften handeln auch etwas Al1gemeines in sich bergen, sonst könnten die allgemeinen Begriffe nicht von den Einzeldingen ausgesagt werden. Daher muß er die rein sprachliche Bestimmung des Universale (quod de pluribus praedicabile est) durch die ontologische Bestimmung (quod est in multis) ergänzen: "Universale autem est, quod eum sit in uno, aptum natum est esse in pluribus ... Et per hoc quod in multis per aptitudinem est, praedieabile est de de illis. Et sie universale est, quod de sua aptitudine est in multis et de multis"55. Somit wird klar, daß in der Behandlung der Universalienfrage eine deutliche Akzentverschiebung stattgefunden hat. Die sprach-logischen Aspekte des Problems, die bei den Nominalisten im Mittelpunkt standen, treten bei Albert zugunsten des metaphysischen Moments 56 zurück. Indem er nun die Universalienlehre der Nominalisten aus
"Ein anderer beruft sich auf die Gedanken [intellectus] und sagt, daß natürlich sie die Genera und Spezies sind. Sie stützen sich dabei auf Cicero und Boethius, die Aristoteles als Urheber dafür rühmen, daß man die Genera und Spezies für Begriffe halten und als solche ansprechen müsse. Ein Begriff ist nun nach ihrer Meinung die aus einer zuvor aufgenommenen Form rührende Erkenntnis eines jeden Dinges, die einer Deutung bedarf. Und an anderer Stelle heißt es: ein Begriff ist ein gewisser Gedanke und ein einfaches geistiges Auffassen. Durch ein solches Verfahren wird also alles, was geschrieben wurde, zurechtgebogen, damit der Gedanke bzw. der Begriff die Allgemeinheit von Universalien besitzen"49.
Zwar berücksichtigt auch Albert die sprachlichen und logischen Aspekte des Universa50 lienproblems , aber er behandelt viel ausführlicher die metaphysische Dimension, nämlich die Frage nach der Realexistenz der Universalien als al1gemeine Naturen. Wie Abaelard geht auch er von der aristotelischen Definition des Universale als 'das was von vielem prädiziert werden kann' (quod de multis aptum est natum praedieari) a~s. In dieser sprachlichen Funktion, als Prädikabile von vielem, ist das Universale der Gegenstand der Logik: "In der Wissenschaft der Logik muß an erster StelIe das Universale untersucht werden", denn "das Wesen und der Grund eines Prädikabile besteht darin, d~ es Universale ist,,51. Der Grund der 'Prädikabilität' der Fähigkeit, von vielem präd~zIert zu werden - besteht also in der ontologischen Universalität (in der Fähigkeit, in VIelem zu sein). Nur was wirklich in vielem ist, kann von vielem prädiziert werden 52 .
WÖHLER [Anm. 7], Bd. I, S. 208-209. - JOHANNES Saresberiensis: Metalogicon Il cap. 17: [Anm. 19], S. 81: "Alius versatur in intellectibus, et eos dumtaxat genera dicit esse et species. Sumunt enim occasionem a Cicerone et Boethio qui Aristotilem laudant auctorem, quod hae credi et dici debeant notiones. Est autem, ut aiunt, notio ex ante percepta forma cuiusque rei cognitio, enodatione indigens. Et alibi: Notio est quidam intellectus, et simplex animi conceptio. Eo ergo 50 deflectitur quicquid scriptum est, ut intellectus aut notio universitatem universalium claudat". 51 VgL ALBERTUS Magnus: De Vuniv., tr. 2, c. I: [Anm. I], S. 17-19. Loc. eil.: S. 17a: "Primum autem quod in scientia logica est considerandum, universale est ... Ratio 52 ergo et causa praedicabilis est quod sit universale". - Vgl. WÖHLER [Anm. 7], Bd. 2, S. 3. Vgl. WIELAND [Anm. 13], S. 41: "Das Problem des Universale gehört für Albert sowohl in den Bereich der Logik als auch in den der Metaphysik. Die Logik behandelt es im Hinblick auf die Aussagbarkeit, denn das Aussagbare wird als solches durch seine Allgemeinheit konstituiert. Soweit es sich beim Universale um eine Natur handelt und damit um eine spezifische Weise des Sei49
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enden überhaupt, gehört es in den Bereich der Metaphysik. Die erste und allgemeine Bestimmung des Universale besteht darin, in vielen Trägern zu sein, womit die Möglichkeit der Aussage von eben diesen vielen Trägern gegeben ist". 53 Es ist bemerkenswert, daß Albert an dieser Stelle (De V univ., tr. 2, c. I) bereits die Lehre von der realen Existenz des Universale voraussetzt, die er erst im tr. 2, c. 3 beweisen wird. 54 ALBERTUS Magnus: De V univ., tr. 2, c. 3: [Anm. I], S. 22b: "Secundum [argumentum] est quod, sicut dicit Aristoteles in principio I Physicorum, eadem sunt, ~uibus res est et quibus cognoscitur et scitur. Non est autem scientia nisi de universali et per unIversale. Ergo res non est nisi per id, quod est universale". - WÖHLER [Anm. 7], Bd. 2, S. 12-13. . 55 Op. cit., tr.. 2, c. I: S. 17b. Über diese Definition des universale vgl. oben Anm. 13. Auf dIese Akzentverschiebung in Alberts Definition des universale hat G. Wieland ([Anm. 13], S. 41 f. Anm. 5) ebenfalls hingewiesen: "Daß Albert im Anschluß an Avicenna eine .Be~chr~ibung. des universale wählt, die zwar die Möglichkeit der Aussage von mehreren und damIt die anstoteltsche Bestimmung einschließt, aber darüber hinaus ein Element enthält, das das 'Innewohnen' des universale in den Dingen hervorhebt (in multis), bedeutet eine ... nicht unwichtige Akzentverschiebung, die dem Universale auch innerhalb der Metaphysik einen wichtigen Platz einräumt". 56 Ibid.: "Et hoc modo prout [universale] ratio est praedicabilitatis, ad logicum pertinet de universali tractare, quamvis secundum quod est natura quaedam et differentia entis, tractare de ipso pertineat ad metaphysicum".
Die Universalienlehre der 'Nominales'
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kretisierten Universale wirklich werden. indem er das Universale abstrahiert. d. h. es von der individualisierenden Materie u~d materiellen Eigenschaften lostrenne 5 • Insofern kann Albert sogar behaupten, daß die Universalien in intellectu die Dinge selbst (res ipsae) sind und keine rein gedanklichen Vorstellungen der Dinge (intentiones rerum)76.
4.
Die Universalität der in den Einzeldingen individualisierten Natur
Nun aber zurück zu Alberts Antwort auf das von den Nominalisten im Anschluß an Aristoteles und Boethius angeführte Argument, daß alles, was existiert, deswegen existiere, weil es zahlenmäßig ein Eines sei. Albert antwortet, indem er zwischen einem Seinsmodus im vollendeten Akt der Existenz und einem Seinsmodus ohne diese letzte Vollendung und Aktualität der Existenz unterscheidet. Der erste Modus sei den Einzeldingen eigen, der zweite den Prinzipien der Einzeldinge. Die Universalien aber existieren nicht im Seinsmodus der Einzeldinge, sondern im Modus der Prinzipien und Naturen. Wenn man also sagt, daß nur Individuen wirklich existieren, muß man die verschiedenen Bedeutungen des Verbs 'ist' oder 'existiert' unterscheiden: In der vollkommenen Form der Wirklichkeit existiert nur das Individuum. In diesem Sinn kann man den Nominalisten zustimmen, wenn sie behaupten, daß nur die Individuen existieren. Aber daraus darf man nicht folgern, daß die Universalien keine Form der realen Existenz haben, denn sie existieren wirklich - jedoch nicht in der vollendeten Seinsform der Individuen, sondern in einer den Prinzipien der Einzeldinge eigenen reduzierten Seinsform 77. Dem anderen Argument der Nominalisten 78 , daß alles, was dem Individuum zugrundeliegt, selbst individualisiert und partikularisiert sei, stimmt Albert insofern zu, als er
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Vgl. ALBERTUS Magnus: De V univ. tr. 2, e. 3: [Anm. IJ, S. 24a-24b: "Seeundum relationem autem, quam habet ad intelleetum eognoseentem, non eausantem, habet [universale] quod talis intelleetus, seeundum quod abstrahit ipsum, agit in ipso universalitatem, quam de natura sua ante habuit, per hoc quod separat ipsum a materia et materialibus individuantibus ipsum (Ed. Paris. = individuitatibus)". Vgl. WÖHLER [Anm 7], Bd. 2, S. 15. Vgl. loe. eit.: S. 22b: "Si enim [universalia] essent in intelleetu tantum, essent rerum intentiones, et non res ipsae". Vgl. loe. eit.. S. 25a: .,Ad id ergo, quod primo pro prima parte opinionis indueitur, dicendum quod, eum dieunt Aristoteles et Boethius quod omne, quod est, ideo est, quia unum numero est, aut intelligitur de his, quae ultimo in natura perfeeta sunt de his enim verum est -, sed universalia hoc modo non sunt. Sunt enim ut rerum prineipia, et non ut res ultimo actu in natura eonstitutae et eompletae" . Vgl. loe. eit.: S. 21a: "Tertiam addueunt [seil. nominalesJ rationem, quod sieut omne, quod est seeundum esse separatum in natura, partieulare et individuum est, ita omne, quod est in eo. quod sie separatum est, partieulare et individuatum est". Vgl. oben Anm. 12.
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MANUEL SANTOS NOYA
selber zugibt, daß "alles, was in einern Individuum ist, insoweit es im Individuum ist, singulär ist". Aber - fügt Albert hinzu das, was im Individuum ist, kann - unter einem anderen Gesichtspunkt betrachtet - ein Universale sein79 • Denn die den einzelnen Individuen innewohnende Natur ist zwar durch die Inkorporierung in die Materie partikularisiert und individualisiert, behält aber gleichzeitig ihre Fähigkeit, in vielem zu sein. Und gerade darin besteht das Wesen des Universale80 •
5. Die 'Lumen'-Theorie An dieser Stelle sei noch auf einen einigermaßen überraschenden und meist zu wenig beachteten Sachverhalt hingewiesen, nämlich darauf, daß Albert in seiner Zusammenfassung der eigenen Universalienlehre (De V univ, tr.9 cap.3) die Entstehung des Allgemeinbegriffs anders erklärt als an den hier angeführten TextsteIlen des 2. Traktats. Im 9. Traktat hat er nämlich die Abstraktionslehre durch eine Art von Illuminationstheorie unvermittelt und ohne jede Erklärung ersetzt. Nach dieser Konzeption ist die ganze Weltwirklichkeit vorn Licht der göttlichen Intelligenz durchdrungen. Demnach ist jede einfache Natur und Form ein Abglanz und Strahl der alle Formen spendenden Ersten Intelligenz (quae dat omnesformas)81. Die solcherart im Licht der göttlichen Intelligenz bestehende einfache Natur wird dadurch begrifflich und intelligibel (efficitur ut intellectus quidam et intelligibilis), daß der Abglanz der göttlichen Intelligenz in der Seele ein geistiges und intellektuelles Abbild seiner selbst (simile sibi in esse spirituali vel intellectuali) hervorbringt82 • Als Abglanz und Strahl der wirkenden Intelligenz (agentis intelligentiae), die mit ihrem Licht alle Formen bewirkt, bewegen die einfachen Naturen den intellectus potentialis der Seele und werden auf diese Weise selbst in der Seele hervorgebracht. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß die Seele frei von jedem Hindernis ist und sich ihren eigenen Intellekt in dessen Eigenschaft als Intellekt vollkom-
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Vgl. Op. eiL, tr. 2, c. 3: [Anm. I], S. 25a-25b: "Ad id, quod tertio inducunt per dictum Avicennae, dicendum quod omne, quod est in individuo, secundum quod est in individuo, singulare esL Sed id, quod est in individuo, non prohibet esse universale, non seeundum quod est in individuo aeeeptum; hoc enim seeundum se aeeeptum, nihil prohibet esse quale quid, et non hoe aliquid". Vgl. WÖHLER [Anm. 7] Bd. 2, S. 17. Vgl. ALBERTUS Magnus: De V univ., tr. 9, e. 3: [Anm, I], S. 147a: "... quia universale ab hae aptitudine [seil. ad hoe quod sit in pluribus int(:rioribus] dieitur universale, et non ab aetu quo effieitur aetu universale". Zur Lehre vom 'dator formarum' bei Albert vgL LlBERA [Anm. 72], S. 120-129. Vgl. ALBERTUS Magnus: De V univ., tr. 9, c. 3: [Anm. I], S. 147a-147b: "Haee autem eadem natura aeeepta in lumine intelligentiae, euius ipsa est splendor quidam et radius secundum quod dieimus, quod omnis forma sive natura simplex splendor est et radius intelligentiae quae dat omnes formas efficitur ut intellectus quidam et intelligibilis, eo quod splendor intelligentiae operatur in anima (quae dat ... in anima om. Ed. Paris.) simile (Ed. Paris. = similis) sibi in esse spirituali sive intelleetuali".