Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 25/07

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Seitenüberschrift: Sport Ressort: Sonntagszeitung

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 24.06.2007, Nr. 25, S. 24

Der Tänzer in der Senkrechten David Lama gilt als Wunderknabe des Sportkletterns. Kaum ein Konkurrent ist an der Wand so gewandt und gelassen wie der Österreicher. Dabei ist er erst 16. VON BERND STEINLE ZÜRICH. Es gibt eine Menge Geschichten über David Lama. Zum Beispiel die, als er mit sechs Jahren einen Kletterkurs beim österreichischen Spitzenbergsteiger Peter Habeler machte. Der war von seiner perfekten Koordination, seiner instinktiven Begabung dermaßen beeindruckt, dass er dem Knirps prophezeite: "David, du wirst mal Weltmeister." "Jo, jo", murmelte der, "werd' scho passn." Oder die, als er elf war und bei der Weltmeisterschaft im Sportklettern außer Konkurrenz die Qualifikationsroute der Frauen durchstieg - und das so eindrucksvoll, dass die versammelte Weltelite beeindruckt Beifall zollte. Es gibt auch eine Menge Fakten über David Lama. Zweimal war er Jugendweltmeister, er stieg mit 15 in den Weltcup ein, gewann dort schon seinen zweiten Wettbewerb und wurde am Ende seiner Debütsaison Zweiter der Gesamtwertung. Er wurde zweimal Kletter-Europameister, und den ersten Weltcup 2007 im Vorstieg (siehe Kasten), den gewann er auch. Draußen am Fels ist er seit Jahren auf schwierigen Routen zugange, im Ötztal, in Spanien, in Südfrankreich. Die interessanteste Tatsache aber ist, dass David Lama, 1,65 Meter groß und 55 Kilo schwer, Sohn eines Nepalesen und einer Österreicherin, als Wunderkind und Ausnahmeerscheinung der Kletterszene gepriesen, gerade mal 16 Jahre alt ist. Samstagvormittag im Kletterzentrum Gaswerk in Zürich, das Halbfinale im zweiten Weltcupwettbewerb der Saison steht an. Wie in einem Hinterhof haben sich die Zuschauer in der Mitte der Halle versammelt und verfolgen, mit zunehmender Nackenstarre, wie sich die Kletterer die rundherum steil aufschießenden, mit bunten Griffknubbeln gesprenkelten grauen Wände hinaufarbeiten. Bis zu 16 Meter hoch sind sie, bis zu acht Meter überhängend. Das ist in etwa so, als bewege man sich an der Unterseite einer Dachschräge. Als viertletzter Starter kommt David Lama in die Halle, das Sicherungsseil am Hüftgurt verknotet, den Sicherungspartner im Gefolge. Er wirkt konzentriert, angespannt, der Blick ist ausdruckslos, er scheint überhaupt nicht wahrzunehmen, was um ihn herum geschieht. Ein letztes Mal geht er in Gedanken die vor ihm liegende Route durch, tritt dann auf die Matte am Einstieg, legt beide Hände auf den tellerartigen, mit Magnesiaresten überzuckerten ersten Griff und zieht sich nach oben. Der Tanz in der Senkrechten beginnt. Wilde Spagate, abenteuerliche Kraftakte, akrobatische Körperkunst: Wenn Spitzenkletterer wie David Lama spinnengleich an Wänden und Decken entlangturnen, ist das wie die Bewegung in einem anderen Element. Einem Element, in dem die Schwerkraft außer Kraft gesetzt scheint. Minutenlang verharren sie unterwegs, die Arme ausschüttelnd, in Rastpositionen, bei denen normale Horizontalmenschen sich fragen, wie man sich dort überhaupt länger als einen Augenblick festhalten kann. Jedes Mal, wenn sie bei ihrem Aufstieg eine schwierige Passage meistern, brandet Jubel auf, jedes Mal, wenn es eng wird, werden die "Allez! Allez!"-Rufe der Zuschauer lauter. David Lama ist schon ziemlich lange unterwegs, hat sich bis zur dritten Wand vorgearbeitet, als plötzlich ein spitzer Schrei durch die Halle gellt. Er hat den nächsten Griff verpasst, fällt ins Seil, pendelt über den Köpfen der Zuschauer aus, mit hängendem Kopf und hängenden Schultern. Ende der Vorstellung. Der Trost: Für das Finale der letzten acht reicht es. Zufrieden? "Zufrieden", brummt David Lama und wirkt dabei nicht sehr zufrieden. Rang sechs ist nicht gerade ein Grund zur Ekstase für ihn, nicht bei seinen Maßstäben. Er will gewinnen, was sonst, "es wär' ja dumm, als WeltcupZweiter jetzt zu sagen, mein Ziel ist der dritte Platz". Das wohl Bemerkenswerteste an der an Bemerkenswertem nicht eben armen Karriere des David Lama ist die Gelassenheit, die Unbekümmertheit, die Selbstverständlichkeit, mit der er, ein Teenager, sich unter den weltbesten Sportkletterern bewegt. "Er geht seinen eigenen Weg", sagt sein Vater Rinzi Lama. Und der Respekt vor dieser Selbstgewissheit, dieser Sicherheit, ist unüberhörbar. Davids Eltern lernten sich bei einer Trekkingtour in Nepal kennen, Mutter Claudia war Teilnehmerin, Vater Rinzi Bergführer. Als Kind schon begann David zu Hause in der Nähe von Innsbruck über Stock und Stein zu kraxeln. Der Kletterkurs bei Peter Habeler lenkte den Auftrieb dann in geordnete Bahnen. Habeler ist einer der profiliertesten Extrembergsteiger der Welt, mit Reinhold Messner erreichte er 1978 als Erster ohne künstlichen Sauerstoff den höchsten Gipfel der Welt, den Mount Everest. An David Lama imponieren ihm, damals wie heute, die Zielstrebigkeit und die Konsequenz, mit der er sich seinem Sport verschreibt - neben seinem außergewöhnlichen Gespür für das Klettern. Habeler hat das einmal mit dem absoluten Gehör verglichen. Das hat man, oder man hat es nicht. "David hat eine sehr flexible Art zu klettern, er kann sich schnell auf veränderte Situationen einstellen", sagt Yuji Hirayama. Der 38 Jahre alte Japaner kennt die Sportkletterszene wie kein Zweiter, vor sechzehn Jahren gewann er seine erste WM-Medaille, und noch heute ist er aktueller Asienmeister. Hirayama hat viele Kletterer kommen und gehen sehen, er schwärmt von der jungen Klettergeneration, von deren Können, ihrer Energie, ihrer Unbeschwertheit. David Lama aber sei da noch eine Klasse drüber. "Er ist geistig freier als die meisten anderen", sagt Hirayama. Und: "Er hat selbst im Wettkampf jede Menge Spaß am Klettern." Samstagabend im Züricher Gaswerk, Besichtigung der Finalroute. Sechs Minuten haben die Kletterer Zeit, sich die Route einzuprägen, dann müssen sie in die Isolationszone verschwinden - jeder Starter soll die gleichen Chancen

haben. David Lama steht vor der Wand und grübelt zusammen mit dem Niederländer Jorg Verhoeven, wie er die Route angehen soll, mit hochgereckten Armen, die Reihenfolge der Bewegungsabläufe nachahmend, wie ein Skirennläufer vor dem Start. Ein solches Joint Venture ist nichts Ungewöhnliches im Klettersport, selbst in der Isolationszone, direkt vor dem Wettkampf, wo sonst beim manchmal stundenlangen Warten nicht viel mehr zu tun bleibt, als auf dem Laptop die "Simpsons" zu gucken, tauscht David Lama noch mit Kollegen seine Erkenntnisse über Route und Grifffolge aus. "Ich sehe die anderen nicht nur als Konkurrenten", sagt er. "Klettern ist für mich auch Lifestyle, da geht es auch um Freundschaften." Er genießt es, Teil der Kletterszene zu sein, sich mit Bekannten in lockerer Atmosphäre am Fels zu treffen oder sich mit ihnen unter Wettkampfbedingungen in der Halle zu messen. Die Leistungsdichte im Sportklettern ist in den letzten Jahren enorm gewachsen, die Weltspitze ist breiter geworden. "Es gibt zur Zeit etwa zehn Leute, die auf einem extrem hohen Level sind", sagt David Lama. In Zürich etwa verpasste der tschechische Weltmeister Tomás Mrázek als Zehntplazierter das Finale. Oft sind es daher Kleinigkeiten, die den Ausschlag geben: minimale technische Fehler, gedankliche Fahrlässigkeiten, eine einzige falsche Entscheidung, getroffen in den wenigen Sekunden, die oft nur dafür bleiben. An fehlender Kraft scheitern die wenigsten, dank des intensiven Trainings, das die Spitzenkletterer inzwischen betreiben. David Lama stellt mit seinem Trainer Reinhold Scherer zusammen seinen Trainingsplan auf. Dessen genaue Ausgestaltung aber, wann er was macht, übernimmt er selbst. "Da bin ich sicher selbständiger als andere." Vieles, sagt er, sei beim Klettern ohnehin Erfahrungssache. Erfahrungssache? Mit sechzehn Jahren? David Lama lächelt: "Ich klettere ja schon seit zehn Jahren." Finale in Zürich, in der Halle herrscht dichtes Gedränge, überall stehen, sitzen, liegen die Zuschauer, ein Andrang, wie wenn der Bundespräsident zur Gastvorlesung an die Uni kommt. Gegen halb zehn tritt David Lama aus der Isolationszone. Der erste Griff, der erste Zug. Wenig später schon, im unteren Wanddrittel noch, hängt David Lama fest. Es ist die Schlüsselstelle der Route. Größere Kletterer spielen hier ihre Reichweitenvorteile aus, einige mogeln sich auf den letzten Drücker irgendwie drüber, andere scheitern früh. David Lama probiert es einmal, zweimal, dreimal. Es reicht nicht, er kommt nicht an den nächsten Griff. Der vierte Anlauf, die Fans rufen, lärmen, wollen ihn hinaufbrüllen. Der fünfte Anlauf, der sechste. Nichts zu machen. Dann kommt der Schrei. Jorg Verhoeven gewinnt, David Lama wird Achter. Nach dem Wettkampf steht er unten in der Halle, redet mit Kollegen, Freunden. Immer wieder wandert der Blick an die Wand, hinauf zu der vermaledeiten Schlüsselstelle. Es nagt an ihm, es nagt spürbar. David Lama ist nicht in Plauderlaune: Ja, die Situation wird ihm heute Nacht noch ein paar Mal durch den Kopf gehen; nein, bei der Besichtigung ist ihm die Stelle nicht aufgefallen; ja, das schnelle Ende kam für ihn schon überraschend. Bei aller Gelassenheit, bei aller inneren Ruhe: David Lama wirkt da plötzlich überhaupt nicht mehr wie der unerschütterliche Aufsteiger, das Wunderkind, die Ausnahmeerscheinung. Sondern wie ein ganz normaler Sechzehnjähriger, der einfach sauer ist, weil es nicht so gelaufen ist, wie er sich das vorgestellt hat. Und, wie soll man sagen: Irgendwie ist das auch beruhigend. Kastentext: "Lama ist flexibel und geistig freier als die meisten anderen." Wenn Spitzenkletterer wie Lama spinnengleich an Wänden turnen, ist das wie die Bewegung in einem anderen Element. Boomsportart Klettern Das Sportklettern hat in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen - vor allem bei jungen Menschen. In Deutschland gibt es nach Angaben des Deutschen Alpenvereins (DAV) rund 250 000 Sportkletterer, davon sind rund 40 Prozent weiblich. Die meisten von ihnen betreiben das Klettern sowohl in der Halle als auch im Freien. Die erste künstliche Kletteranlage in Deutschland wurde 1970 auf dem Teufelsberg in Berlin eröffnet. Mittlerweile gibt es etwa 370 Anlagen - in Schulen, Fitness-Studios oder Kletterzentren. 190 von ihnen werden vom DAV betrieben, rund die Hälfte davon entstand in den letzten 13 Jahren. Weltcup und Weltmeisterschaften im Sportklettern werden in drei Disziplinen ausgetragen: dem Vorstieg (Lead), dem Bouldern und dem Speedklettern. Die Kerndisziplin, der Lead-Weltcup, umfasst 2007 acht Veranstaltungen. Bei Wettbewerben im Vorstieg stehen die Athleten vor der Aufgabe, innerhalb von zwölf Minuten eine vorgegebene Route möglichst weit durchklettern zu müssen. nle.

Bildunterschrift: Wand, Wald, Wunderkind: Der Überhang im kalifornischen Yosemite Nationalpark ist für David Lama kein großes Hindernis auf dem Weg nach oben. Fotos Visual Impact/Rainer Eder. Hängepartie in der Halle: Beim Weltcup in Zürich hat Lama schwer zu kämpfen.

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