29 29
Blut Petro E. Petrides
29.1
Korpuskuläre Elemente des Bluts – 952
29.2
Erythrozyten – 953
29.2.1 29.2.2 29.2.3 29.2.4
Eigenschaften und Stoffwechsel der Erythrozyten Hämoglobin – 957 Erythrozyten-Antigene – 965 Pathobiochemie – 967
29.3
Leukozyten – 972
29.3.1 29.3.2
Funktion und Stoffwechsel der Leukozyten – 972 Pathobiochemie – 976
29.4
Thrombozyten – 976
29.5
Blutstillung – 979
29.5.1 29.5.2 29.5.3 29.5.4 29.5.5
Vaskuläre Blutstillung – 979 Zelluläre Blutstillung (Thrombozytenadhäsion) – 980 Plasmatische Vorgänge (Blutgerinnung) – 981 Fibrinolyse – 987 Pathobiochemie – 988
29.6
Plasmaproteine – 991
29.6.1 29.6.2 29.6.3 29.6.4 29.6.5
Konzentration, Biosynthese und Abbau von Plasmaproteinen Trennung von Plasmaproteinen in Einzelfraktionen – 991 Die einzelnen Proteinfraktionen des Serums – 994 Funktionen der Plasmaproteine – 996 Pathobiochemie – 996
Literatur
– 999
– 953
– 991
952
Kapitel 29 · Blut
> > Einleitung Blut ist das Trägermedium für die humorale Kommunikation zwischen den einzelnen Geweben, die durch das Gefäßsystem ermöglicht wird. Aufgrund seiner ständigen Bewegung eignet sich Blut mit seinen korpuskulären Elementen, Transportproteinen und seiner wässrigen Phase zum Transport der verschiedensten Stoffe. Mit Hilfe der Erythrozyten werden Sauerstoff von den Lungen zu den Geweben und Kohlendioxid in umgekehrter Richtung transportiert. Blut befördert weiterhin im MagenDarm-Trakt resorbierte Nahrungsstoffe in gelöster Form oder in Bindung an Transportproteine über die Pfortader in die Leber und von dort aus in die peripheren Organe. Von den Organen gelangen Endprodukte des Stoffwechsels zu den Ausscheidungsorganen (Nieren, Lungen, Haut und Darm). Hormone werden von den endokrinen Drüsen zu den Erfolgsorganen und Metaboliten zwischen den verschiedenen Organen (z.B. Lactat und Alanin von der Muskulatur in die Leber, Ketonkörper von der Leber in die peripheren Organe) befördert. Im intrazellulären Stoffwechsel entstehende und an den Extrazellulärraum abgegebene Protonen und Kohlendioxid werden vom Blut wirksam abgepuffert und den Ausscheidungsorganen (Lungen und Nieren) zugeleitet. Aufgrund dieser Eigenschaften eignet sich das Blut in hervorragender Weise zur Analyse des Funktionszustands verschiedener Organe: die Untersuchung von durch Venenpunktion gewonnenem Blut erlaubt schnelle Rückschlüsse auf die Funktion von Nieren, Herz, Leber, Knochenmark und anderen Geweben. Gegen Viren und Bakterien kann Blut den Organismus durch den Besitz unspezifischer (Serumproteine wie C-reaktives Protein, Properdin, Faktoren des Komplements, Lysozym) und spezifischer (Antikörperproteine) Abwehrmechanismen schützen. Neutrophile Granulozyten sind durch ihre Fähigkeit, hochaktive Sauerstoffverbindungen zu erzeugen und Bakterien zu phagozytieren, entscheidender Bestandteil des zellulären Immunsystems. Aufgrund der hohen spezifischen Wärme von Wasser verteilt Blut die in einzelnen Organen gebildete Wärme (z.B. in der stoffwechselaktiven Leber) auf den Gesamtorganismus. Durch die Wasser anziehende Wirkung seiner Proteine nimmt Blut Einfluss auf den Austausch von Wasser und Stoffen zwischen der zirkulierenden und der Gewebeflüssigkeit. Zum Schutz vor dem Verlust dieses wichtigen Gewebes existiert ein komplexes Gerinnungssystem, das bei Gefäßverletzungen sofort aktiv wird. Eine Aktivierung dieses Systems ohne Verletzungen des Gefäßes kann zu Thrombosen führen.
29 29.1
Korpuskuläre Elemente des Bluts
Blut enthält eine Reihe korpuskulärer Elemente, die vorwiegend im Knochenmark gebildet werden und an der Erfüllung mehrerer Aufgaben des Bluts (Sauerstofftransport, Blutstillung, Abwehr) beteiligt sind. Dies sind die Erythrozyten, Thrombozyten und Leukozyten. Zu Letzteren gehören neutrophile, eosinophile und basophile Granulozyten sowie Monozyten. ! Die Hämatopoese wird durch Cytokine reguliert.
Ausgangspunkt der Bildung der korpuskulären Elemente im Knochenmark sind die Stammzellen (wegen des Besitzes des Oberflächenmarkers CD34 als CD34-positive Zellen bezeichnet), die die Fähigkeit zur Selbstreplikation mit Bildung von Tochterstammzellen besitzen. CD34+ Zellen sind in sehr geringen Mengen auch im Blut nachweisbar; dasselbe gilt für die sog. CD34+/-R2-Stammzellen, aus denen sich Endothelzellen entwickeln. Stammzellen sind pluripotent, d.h. sie können zu funktionell verschiedenen Zelltypen differenzieren. Dieser Vorgang läuft über mehrere Stufen ab, die mit einem schrittweisen Verlust der Pluripotenz einhergehen (. Abb. 29.1). Die frühesten differenzierten Zellen werden als determinierte Vorläuferzellen bezeichnet, die in ihrer weiteren Entwicklung bereits auf ein oder zwei Zelltypen festgelegt sind. Die Vorläuferzellen besitzen jedoch ein ausgeprägtes proliferatives Potential und produzieren so Tochterzellen des entsprechenden reifen Zelltyps. In vitro überleben oder proliferieren Knochenmarkzellen nur in Gegenwart regulatorischer Polypeptide. Da diese Experimente
in Agarkultursystemen durchgeführt werden, in denen die Zellen unter Bildung von Kolonien wachsen, werden die entstehenden Kolonien als CFU (colony forming units) und die Polypeptide mit Hormoncharakter als CSF (colony stimulating factors) bezeichnet (. Abb. 29.1). Den CSF wird ein Präfix vorangestellt (z.B. GM), das die Zellpopulation angibt (Granulozyten und Makrophagen), die unter dem stimulierenden Einfluss des betreffenden Proteins gebildet wird. T-Lymphozyten, Monozyten (und Makrophagen) und Stromazellen sind die Hauptquellen von Wachstumsfaktoren. Ausnahmen sind nur Erythropoietin (Nieren) und Thrombopoietin (Leber). Viele dieser auch als Cytokine bezeichneten Polypeptide stehen heute in rekombinanter Form für die Therapie beim Menschen zur Verfügung (. Tabelle 29.1). Sie finden vor allem bei der Stimulierung der hämatopoetischen Regeneration (nach Bestrahlung oder zytotoxischen Medikamenten), der Rekrutierung von CD34-Zellen in das Blut für die Stammzelltransplantation oder zur Verstärkung der Abwehr bei akuten Infektionen klinische Anwendung. Nach Differenzierung im Knochenmark müssen die reifen Blutzellen auf einen adäquaten Reiz hin die Knochenmark-Blut-Schranke überwinden, um Anschluss an die Blutbahn zu gewinnen. Diese Schranke stellt eine dreischichtige Struktur dar, die aus Adventitiazellen (einer spezialisierten Fibroblastenart), einer Basalmembran und der Endothelschicht besteht (. Abb. 29.2). Die Überwindung der Schranke wird den reifen Blutzellen wahrscheinlich durch die Freisetzung von Proteasen wie Elastase oder MMPs (7 Kap. 9.3.3) ermöglicht, die dieses Gitter reversibel öffnen können.
953 29.2 · Erythrozyten
. Abb. 29.1. Entwicklung der einzelnen Blutzellen aus einer pluripotenten Stammzelle im Knochenmark unter dem Einfluss hämatopoetischer Wachstumsfaktoren
. Tabelle 29.1. Rekombinante hämatopoietische Wachstumsfaktoren (Cytokine) beim Menschen (Beispiele) Bezeichnung
Synonym
Molekulargewicht
Produziert von
Genetische Information des Glykoproteins
Interleukin-3
Multi-CSF 1I-3
20–26 kDa
T-Lymphozyten
cDNA: 133 Aminosäuren enthaltendes Protein Chromosom 5
GM-CSF
CSF-D
14–35 kDa
T-Lymphozyten Endothelzellen Fibroblasten
cDNA: 127 Aminosäuren enthaltendes Protein Genstruktur: 4 Exons Chromosom 5
M-CSF
CSF-1
70 kDa (Dimer)
Monozyten Fibroblasten Endothelzellen
cDNA: 189 Aminosäuren enthaltendes Protein Chromosom 5
G-CSF
CSF-E
20 kDa
Monozyten Fibroblasten
cDNA: 177 Aminosäuren enthaltendes Protein Genstruktur: 5 Exons Chromosom 17
Erythropoietin
Epo
34–39 kDa
peritubuläre Nierenzellen
cDNA: 166 Aminosäuren enthaltendes Protein Genstruktur: 5 Exons Chromosom 7
Thrombopoietin
Tpo
35 kDa
Leber-, Nierenzellen
cDNA: 335 Aminosäuren enthaltendes Protein Genstruktur: 5 Exons Chromosom 3q26–27
29.2
Erythrozyten
29.2.1
Eigenschaften und Stoffwechsel der Erythrozyten
! Erythrozyten entstehen aus Erythroblasten durch den Verlust des Zellkerns.
Bei der Erythrozytenbildung (Erythropoiese) im Knochenmark differenzieren sich Proerythroblasten unter dem Ein-
fluss des renalen Hormons Erythropoietin (molekularer Mechanismus, 7 Kap. 28.1.10) aus pluripotenten Stammzellen und durchlaufen mehrere Zellteilungen. Die dabei entstehenden Erythroblasten sind in kleinen Inseln um eine zentrale Retikulumzelle angeordnet, die die Erythroblasten während des Reifungsprozesses mit notwendigen Stoffen versorgt. Während der Teilung der Proerythroblasten setzt die Biosynthese von Hämoglobin, des mengenmäßig bedeutendsten Proteins des Erythrozyten, ein. Gleichzeitig beginnt sich der Zellkern zusammenzuziehen, wird schließ-
29
954
29
Kapitel 29 · Blut
. Abb. 29.2. Aufbau der Knochenmark-Blut-Schranke aus Endothelzellschicht, Basalmembran und den Adventitiazellen (grün), einer spezialisierten Fibroblastenart. Nach Stimulierung durch ein Signal S (wie z.B. Interleukin-8, grünes Dreieck), das entweder direkt auf
den Granulozyten oder indirekt über ein zweites Signal (rotes Viereck) wirkt, wandern reife Granulozyten über die Schranke in den Knochenmarksinus
lich aus der Zelle ausgestoßen und von der zentralen Retikulumzelle aufgenommen. Nach dem Verlust des Zellkerns tritt der Erythrozyt, der deshalb nicht mehr als Zelle, sondern als korpuskuläres Element bezeichnet wird, in die Zirkulation über, in der er als Scheibe mit einer zentralen Delle erscheint (. Abb. 29.3). Von den älteren Erythrozyten, die schon längere Zeit im Kreislauf zirkulieren, unterscheidet sich der junge Erythrozyt durch den Besitz eines mit bestimmten Farbstoffen (z.B. Brilliantkresylblau) anfärbbaren Retikulums, das aus ribosomaler RNA und anderen Zellorganellen besteht und innerhalb der ersten 48 Stunden verloren geht. In diesem
Stadium werden Erythrozyten als Reticulozyten (nicht zu verwechseln mit den Retikulumzellen) bezeichnet und dienen als Indikator der Erythrozytenproduktion. Während der Reifung verlieren die Erythrozyten auch ihre Mitochondrien und damit die mit diesem Zellorganell verbundenen Stoffwechselleistungen (z.B. Pyruvatdehydrierung und oxidative Phosphorylierung). Übrig bleiben ihnen cytosolische Stoffwechselwege wie die Glycolyse und der Pentosephosphatweg. ! Zwischen Erythrozytenauf und -abbau besteht ein dynamisches Gleichgewicht.
Die Lebenszeit des Erythrozyten, von denen jeder Mikroliter Blut 4–6 Millionen enthält, beträgt 110–130 Tage (. Tabelle 29.2). Warum Erythrozyten nicht länger überleben, ist unbekannt, könnte aber auf die Aktivitätsminderung erythrozytärer Enzyme zurückzuführen sein, da eine Enzymneusynthese nicht mehr möglich ist. Nach Ablauf . Tabelle 29.2. Einige Lebensdaten des Erythrozyten
. Abb. 29.3. Rasterelektronenoptische Aufnahme eines in einem Fibrinnetz liegenden Erythrozyten
Lebensdauer
120 Tage (110–130 Tage)
Oberfläche aller Erythrozyten
3800 m2
Gesamtmenge
25 000 Milliarden
Täglicher Bedarf
208 Milliarden
Erythrozytenproduktion/s
2,4 Millionen
Zurückgelegter Weg während 120 Tagen
400 km
Gewicht eines Erythrozyten
3 × 10–11 g (= 30 pg)
955 29.2 · Erythrozyten
ihrer Lebenszeit werden die Erythrozyten von Zellen des retikuloendothelialen Systems (in Milz, Knochenmark und Leber) durch Phagozytose aufgenommen und abgebaut. Die beim Abbau des Porphyringerüsts entstehenden Gallenfarbstoffe werden ausgeschieden (7 Kap. 20.3), das frei werdende Eisen und die beim Globinabbau entstehenden Aminosäuren werden erneut für die Biosynthese verwertet. Die Erythrozytenzahl und damit die Hämoglobinkonzentration im Blut werden in engen Grenzen konstant gehalten. Beim erwachsenen Mann beträgt die Erythrozytenzahl zwischen 4,5 und 6,0 Million/μl und die Hämoglobinkonzentration zwischen 14 und 18 g/100 ml (140 und 180 g/l entsprechend 8,7 und 11,2 mmol/l, wobei das Molekulargewicht des Monomers zugrunde liegt), bei der erwachsenen Frau zwischen 4,0 und 5,0 Millionen/μl bzw. 12 und 16 g/100 ml Blut. Störungen dieses Gleichgewichts können durch Änderungen von Abbau und/oder Biosynthese verursacht werden. Der prozentuale Anteil der Erythrozyten am Gesamtblut wird als Hämatokrit bezeichnet. Die Anzahl der Erythrozyten im strömenden Blut wird durch das renale Hormon Erythropoietin (7 u.) reguliert. Eine vermehrte Erythrozytenmenge im Blut wird als Polyzythämie, die Abnahme der Erythrozytenmenge als Anämie bezeichnet. Der Verringerung der Konzentration kann eine Hämolyse, d.h. ein vermehrter Abbau von Erythrozyten vor Erreichen des normalen Lebensalters (hämolytische Anämie) oder eine verringerte Biosynthese aufgrund eines Eisen- (7 Kap. 22.2.1) oder Vitamin-B12-Mangels (7 Kap. 23.3.9) zugrunde liegen. Beim Eisenmangel sind die Erythrozyten zudem kleiner (mikrozytäre Anämie), beim Vitamin B12-Mangel vergrößert (makrozytäre Anämie). Ist eine Schädigung der Stammzellen im Knochenmark die Ursache, so liegt eine aplastische Anämie vor. ! Die Regulation der Erythropoiese erfolgt über das Cytokin Erythropoietin.
Erythropoietin ist ein 34 kDa-Glycoprotein, das beim Fetus in der Leber und beim Erwachsenen in den peritubulären Fibroblasten der Nieren synthetisiert wird. Es expandiert die Menge unreifer roter Vorläuferzellen im Knochenmark. Rezeptoren für Erythropoietin finden sich nicht nur im Knochenmark, sondern auch in nicht-hämatopoietischen Zellen (ZNS, Endothelzellen, Leber, Uterus). Der Erythropoietinrezeptor gehört in die Gruppe der Cytokinrezeptoren (7 Kap. 25.5.2, . Tab. 25.1). Jeder Verlust von Erythrozyten (z.B. durch Blutverlust oder Hämolyse) reduziert die Versorgung peripherer Gewebe mit Sauerstoff, wodurch es zu einer Stimulierung der Expression des durch Hypoxie induzierbaren Faktors (hypoxia induced factor, HIF-1) (7 Kap. 28.1.10) kommt, der die Erythropoietinproduktion reguliert. Rekombinantes Erythropoietin wird zur Behandlung der Tumoranämie eingesetzt und von Sportlern als Dopingmittel verwendet.
. Abb. 29.4. Entstehung des Signalmetaboliten 2,3-Bisphosphoglycerat in einem Nebenschritt der Glycolyse des Erythrozyten
! Für den Stoffwechsel des Erythrozyten stellt Glucose die wesentliche Energiequelle dar.
Nach Phosphorylierung zu Glucose-6-phosphat durch die Hexokinase beschreitet der weitere Abbau die beiden bekannten Wege: Etwa 5–10% werden zur Bildung von NADPH/H+ dem Pentosephosphatweg zugeführt, die Hauptmenge (90–95%) wird zur Bildung von ATP in der Glycolyse herangezogen. Eine Besonderheit des Erythrozytenstoffwechsels ist ein Nebenweg der Glycolyse, der bei 1,3-Bisphosphoglycerat abzweigt. Statt in der Phosphoglyceratkinasereaktion (. Abb. 29.4) ATP zu bilden, werden etwa 20% des 1,3-Bisphosphoglycerats durch eine Mutase in 2,3-Bisphosphoglycerat umgewandelt, das durch Abspaltung des Phosphatrests am C-Atom 2 (jedoch ohne ATP-Gewinn!) wieder in die Glycolyse einmünden kann. Sinn dieses – als 2,3-Bisphosphoglycerat-Nebenweg bezeichneten – Stoffwechselwegs ist die Bereitstellung von 2,3-Bisphosphoglycerat. Dieses kann an die E-Ketten des Hämoglobins binden und damit – als Signalmetabolit – Einfluss auf die Sauerstoffaufnahme und -abgabe nehmen (7 Kap. 3.3.5, 29.2.2). ! ATP wird zum Ionentransport und zur Glutathionsynthese benötigt.
Das in der Glycolyse gebildete ATP wird für den aktiven Ionentransport benötigt, durch den der Erythrozyt Natrium und Calcium eliminiert (die Natriumkonzentration beträgt in Erythrozyten etwa 10% des Plasmagehalts) und Kalium akkumuliert (die Konzentration beträgt etwa das Dreißigfache des Plasmagehalts). Außerdem wird ATP für die Aufrechterhaltung der Form des Erythrozyten und für die Biosynthese von Glutathion benötigt. Dieses Tripeptid wird im Erythrozyten durch zwei jeweils ATP-abhängige Reaktionen aus Glutamat, Glycin und Cystein synthetisiert. Glutathion, das im Erythrozyten in hoher Konzentration vorliegt (etwa 2,5 μmol/ml) und dessen Halbwertszeit 3–4 Tage beträgt,
29
956
29
Kapitel 29 · Blut
wird nicht im Erythrozyten abgebaut, sondern ins Plasma abgegeben. Die Funktion wird durch die Sulfhydrylgruppe von Cystein bestimmt, die SH-Gruppen von Enzymen (z.B. Hexokinase, Glycerinaldehydphosphat-Dehydrogenase und Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase), von Proteinen der Erythrozytenmembran und von Hämoglobin, das 6 Sulfhydrylgruppen enthält, vor einer Oxidation schützt. Oxidiertes und reduziertes Glutathion bilden ein Redoxsystem, bei dem die reduzierte Form zu 98% vorliegt. Wegen des kontinuierlichen Verbrauchs von Glutathion muss das reduzierte Glutathion ständig durch eine Glutathionreduktase, die mit NADPH/H+ aus dem Pentosephosphatweg arbeitet, regeneriert werden. Wasserstoffperoxid, das im Erythrozyten unter dem Einfluss bestimmter Medikamente (7 unten) entstehen kann, oder unter Sauerstoffeinfluss entstehende Lipidperoxide in Membranlipiden von Erythrozyten werden durch eine Selen-haltige Peroxidase, die mit Glutathion als Cosubstrat arbeitet, entgiftet. Oxidiertes Glutathion wird auch aus dem Erythrozyten heraustransportiert. Da Erythrozyten dem Blut ständig Glucose für ihren Stoffwechsel entnehmen, muss Blut zur Glucosebestimmung in Röhrchen mit Fluoridzusatz entnommen werden, da ansonsten der Wert bis zum Eintreffen der Blutprobe im Labor erniedrigt ist. Von praktischer Bedeutung ist, dass schon eine geringgradige Hämolyse, wie sie z.B. bei der langsamen Blutabnahme aus einer Vene auftreten kann oder beim Stehen einer Blutprobe über Nacht, zum Austritt der in den Erythrozyten enthaltenen Enzyme und Elektrolyte führt. Diese kann eine hohe LDH-Aktivität oder Kaliumkonzentration im Serum verursachen. ! Erythrozyten müssen sich gut verformen können.
Da Erythrozyten einen Durchmesser von etwa 7,5 μm (ihre Dicke liegt bei etwa 1,5 μm), Kapillaren aber nur eine lichte Weite von 3 bis 5 μm aufweisen, ist eine Deformierbarkeit des Erythrozyten Voraussetzung für die ungehinderte Passage der Kapillaren. Durch den Verlust des Zellkerns und die Flexibilität der Membran, die durch das veränderte Verhältnis Oberfläche zu Volumen des Erythrozyten erreicht wird, verformen sich rote Blutkörperchen mit Leichtigkeit und zwängen sich durch engste Kapillaren (. Abb. 29.5). Normalerweise müsste die Oberfläche eines Erythrozyten bei seinem Volumen von 90 μm3 (mittleres korpuskuläres Volumen, MCV) bei einer Kugelform 95 μm2 betragen; tatsächlich ist die Oberfläche durch die bikonkave Scheibenform auf 140 μm2 erhöht, was offenbar eine leichtere Deformierbarkeit zur Folge hat. Die in . Abb. 29.3 gezeigte Form gilt jedoch – das sei ausdrücklich betont – aufgrund der mechanischen Einflüsse, denen der Erythrozyt ständig ausgesetzt ist, nur als Idealform, die intravital selten auftritt. Die spezielle Erythrozytenform hat außerdem den Vorteil, dass durch die Eindellungen die Diffusionsstrecken für den Sauerstoffaustausch reduziert sind.
. Abb. 29.5. Verformung der Erythrozyten im Kapillarbereich. 1 Erythrozytenstrom; 2 Plasmasaum; 3 Kapillarlumen (etwa 5 μm Ø); 4 Endothelzelle; 5 Basalmembran; 6 kollagene Gitterfasern
! Die Architektur der Erythrozytenmembran wird durch den mechanischen Stress bestimmt.
Die Membran des Erythrozyten besteht wie die anderer Zellen aus der typischen Lipiddoppelschicht, in die Proteine eingebaut sind (7 Kap. 2.2.6), weist aber durch den zusätzlichen Besitz eines Membranskeletts eine Strukturbesonderheit auf, die auf die speziellen Funktionen des Erythrozyten zugeschnitten ist. Sie enthält etwa zehn Hauptproteine, die durch SDS-Gelelektrophorese getrennt werden können (. Abb. 3.9, 7 Kap. 3.2.2). Die Bezeichnung der einzelnen Proteine beruht auf ihrer elektrophoretischen Mobilität in SDS-Gelen. Quantitativ bedeutsam sind Proteine, die Erythrozytenantigene tragen (7 Kap. 29.2.3), Rezeptoren (z.B. Glycophorine A und B) oder Transportproteine (z.B. Protein 3, der Anionenkanal oder Aquaporin, der Wasserkanal). Diese Glycoproteine liegen an der äußeren Membranoberfläche. Membranproteine ohne Kohlenhydratanteil befinden sich dagegen an der inneren Oberfläche. Dieser inneren Oberfläche liegen die sog. peripheren Membranproteine in Form eines zweidimensionalen Netzwerks an (. Abb. 29.6): dazu gehören Enzyme wie Glycerinaldehydphosphat-Dehydrogenase (Bande 6), Strukturproteine wie Spectrin (Banden 1 und 2) oder Aktin (Bande 5). Die peripheren Proteine sind mit der Membran assoziiert, untereinander verbunden oder mit den eigentlichen Membranproteinen verankert. Die entscheidenden Komponenten dieses Membranskeletts sind Spectrin, Aktin, Protein 4.1, Ankyrin (das aus den Proteinen 2.1, 2.2, 2.3 und 2.6 besteht) und die Bande 4.9. Spectrin ist ein Dimer aus zwei langen flexiblen Ketten (Protein 1 und 2), die parallel angeordnet und umeinander gewunden sind. An ihrem Kopfende bilden Spectrindimere durch Selbstassoziation Tetra- oder Oligomere, an ihrem Schwanzende binden die Spectrinmoleküle an kurze Aktinfilamente. Diese Bindung wird durch Protein 4.1 verstärkt. Da ein Aktinfilament mit mehreren Spectrinmolekülen in
957 29.2 · Erythrozyten
. Abb. 29.6. Schematische Darstellung der Verteilung und molekularen Wechselwirkungen der wesentlichen Proteine der Erythrozytenmembran. Bande 3 ist ein Tetramer und Bestandteil eines Chlorid-Hydrogencarbonat-Anionenaustauschers, der die Proteine 4,1 4,2 und 4,9 enthält und als Anker für andere Proteine dient. Hierzu
gehören Ankyrin (Bande 2,1), das an die β-Kette von Spectrin (Bande 2) bindet, Protein 4.2 und zahlreiche cytosolische Proteine wie Desoxy-Hämoglobin, Glycerinaldehyddehydrogenase (Bande 6) und Aldolase. Protein 4.1 bindet ebenfalls an Spectrin und an Aktinmoleküle
Wechselwirkung tritt, entstehen Spectrinverzweigungen und damit ein molekulares Netzwerk. Das Membranskelett ist mit der Lipiddoppelschicht über Ankyrin verbunden, das im Bereich der Kopfregion des Spectrins bindet und selbst mit dem cytosolischen Ende von Protein 3 verbunden ist.
globin bei einem 70 kg schweren »Normalerwachsenen« mit einem Blutvolumen von 5 Litern zu 800 g. Davon werden pro Tag etwa 6,25 g, das ist rund 1%, synthetisiert und abgebaut. Eine Verminderung der Hämoglobinkonzentration im Blut (beim Mann unter 14 g/100 ml, bei der Frau unter 12 g/100 ml) wird als Anämie bezeichnet. Hinweise auf mögliche Ursachen gibt der MCH-Wert: 4 bei einem Abfall des MCH-Werts liegt eine hypochrome Anämie vor: der ursächliche Eisen- (oder auch Kupfer- oder Vitamin B6-) mangel reduziert die Hämoglobinsynthese bei gleich bleibender Erythrozytenbildung 4 bei einem Anstieg des MCH-Werts eine hyperchrome Anämien: der ursächliche Vitamin B12- (oder Folsäure)Mangel reduziert die Erythrozytenbildung bei gleich bleibender Hämoglobinsynthese 4 Bei gleichzeitiger Verminderung von Hämoglobinkonzentration und Erythrozytenzahl und damit normalem MCH-Wert liegt eine normochrome Anämie, die z.B. durch eine Hämolyse (siehe oben) verursacht sein kann.
29.2.2
Hämoglobin
! Hämoglobin macht etwa ein Drittel der Zellmasse des Erythrozyten aus.
Der rote Farbstoff der Wirbeltiererythrozyten ist das Hämoglobin, ein zusammengesetztes Protein, das folgende Funktionen besitzt: 4 Transport des Sauerstoffs im Blut 4 Beteiligung am Transport des Kohlendioxids und Stickoxids im Blut 4 Beteiligung an der Pufferung zur Aufrechterhaltung der normalen Wasserstoffionenkonzentration im Extrazellulärraum Der Hämoglobingehalt des einzelnen Erythrozyten kann aus Hb-Gehalt und Erythrozytenzahl errechnet werden: Bei einer Hämoglobinkonzentration von 160 g/l Blut, das 5000 Milliarden Erythrozyten enthält, beträgt der Hämoglobingehalt eines einzelnen Erythrozyten (mittleres korpuskuläres Hämoglobin = MCH) 32 pg. Ausgehend von dem Durchschnittswert von 160 g/l Blut (16 g/100 ml oder 9,9 mmol/l) errechnet sich der Gesamtbestand an Hämo-
! Hämoglobin ist ein Tetramer aus jeweils zwei D- und EKetten.
Hämoglobin ist ein kugelförmiges Molekül, das aus 4 Untereinheiten besteht, von denen jede etwa ein Molekulargewicht von etwa 17 kD besitzt (7 Kap. 3.3.5). Jede Untereinheit trägt in ihrem Inneren eine Hämgruppe, mit der sie über eine koordinative Bindung (Histidin) und hydrophobe Wechselwirkungen verbunden ist. Beim Sauerstofftrans-
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958
29
Kapitel 29 · Blut
port wird der Sauerstoff reversibel an das Hämeisen angelagert (Oxygenierung), ohne dass Eisen im Schutz der koordinativen Bindung Fe-N (Histidin) oxidiert wird (7 Kap. 3.3.5). Von den vier Polypeptidketten des Hämoglobins, die insgesamt als sein Globinanteil bezeichnet werden, sind je zwei identisch. Man unterscheidet zwischen jenen der Dund der E-Familie: So wird z.B. das normale Erwachsenenhämoglobin aus 2D- und 2E-Ketten gebildet und als HbA (Adult) oder HbD2ß2 bezeichnet. Die Gene für die Globinketten liegen auf verschiedenen Chromosomen in der Reihenfolge, in der sie während der Ontogenie aktiviert werden (. Abb. 29.7). Die D-ähnlichen Gene auf Chromosom 16 enthalten ein funktionelles embryonales ]-Gen, das die Information für die embryonalen D-Gene trägt, gefolgt von einem Pseudo-]-Gen, dann \-DGenen – die jeweils nicht exprimiert werden – und den eigentlichen D-Genen, die für die D-Kette des fetalen (HbF) und Erwachsenenhämoglobins (HbA) codieren. Die EGlobingenfamilie auf Chromosom 11 enthält das embryonale H-Globingen, zwei fetale Globingene (GJ und AJ), ein \-E-Gen und zwei Erwachsenenglobingene (G und E). Der prinzipielle Aufbau der einzelnen Gene der beiden Familien ist praktisch identisch: Jedes Gen besteht aus drei Exons, die von zwei Introns unterbrochen werden. Die Sequenz am 5’-Ende enthält die Promotorregion, mit hoch-
. Abb. 29.7. Embryonales, fetales und ErwachsenenStadium der Hämoglobinbiosynthese beim Menschen. Die embryonalen Globinketten (H und ]) werden in der frühen Embryonalentwicklung gebildet; zu diesem Zeitpunkt werden auch geringe Mengen der J-Globinketten des Erwachsenen synthetisiert. Mit der Anschaltung der J-Globingene wird fetales Hämoglobin gebildet. Am Ende der Fetalperiode erfolgt die Umschaltung auf die Produktion des Erwachsenenhämoglobins
konservierten Regionen für die Biosynthese der mRNA, am 3’-Ende dienen andere Sequenzen als Signale für die Beendigung der Transkription und Polyadenylierung der mRNA. ! Während der Embryofetalentwicklung sind andere Hämoglobine aktiv als in der Postnatalperiode.
Beim Embryo werden die Hämoglobine Gower 1 und 2 gebildet, die Tetramere aus jeweils zwei H- und ]- bzw. D-Ketten darstellen (. Abb. 29.7). Im 3. Schwangerschaftsmonat werden die embryonalen durch die fetalen Hämoglobine ersetzt. Das fetale Hämoglobin weist besondere Charakteristika der Sauerstoffanlagerung auf, was für die Koppelung des fetalen an den mütterlichen Kreislauf erforderlich ist. Der Austausch von fetalem Hämoglobin HbF (F = fetal) gegen HbA (A = adult) beginnt durch Umschaltung der Kettenbiosynthese schon vor der Geburt, sodass bei der Geburt nur noch 60–80% fetales Hämoglobin im Erythrozyten vorliegen. Der Kind- und Erwachsenenerythrozyt enthält HbA (auch als HbA1 bezeichnet) und daneben noch etwa 2,5% HbA2, ein Hämoglobin, bei dem die E-Ketten durch G-Ketten ersetzt sind (D2G2). Diese Ketten bestehen ebenfalls aus 146 Aminosäuren, unterscheiden sich aber in 10 Positionen von der E-Kette, die für seine höhere Sauerstoffaffinität verantwortlich sind.
959 29.2 · Erythrozyten
! Unterschiedlich beladene Hämoglobine werden anhand ihres Absorptionsspektrums unterschieden.
Alle Hämoglobine zeigen bei der Spektralanalyse eine charakteristische Absorptionsbande, die sog. Soret-Bande bei 400 nm, die durch den Porphyrinanteil hervorgerufen wird. Durch die übrigen Banden können unterschiedliche Hämoglobinderivate voneinander unterschieden werden (. Abb. 29.8). Da die Spektralkurven von CO-Hämoglobin und mit Sauerstoff beladenem Hämoglobin (Oxyhämoglobin) sehr ähnlich sind, behandelt man eine Blutprobe bei Verdacht auf eine Kohlenmonoxidvergiftung mit einem leichten Reduktionsmittel (z.B. Natriumdithionit): dadurch gibt Oxyhämoglobin seinen Sauerstoff ab und zeigt die charakteristische Absorptionsbande des desoxygenierten Hämoglobins, während in Gegenwart von CO-Hb keine Änderung der Absorptionsbande eintritt. ! Hämoglobin transportiert den im Blut schlecht löslichen Sauerstoff.
Da Sauerstoff in polaren Lösungsmitteln wie dem Plasmawasser viel schlechter löslich ist als in unpolaren (1 l Blut löst und transportiert bei einem O2-Partialdruck von 100 mmHg gerade 3 ml Sauerstoff) und die Transportstrecke von den Lungenalveolen, über die das Sauerstoffgas in den Organismus eintritt, zu den Gewebezellen sehr lang ist, könnten die Zellen durch einfache molekulare Diffusion des Sauerstoffs nicht ausreichend mit diesem lebensnotwendigen Gas versorgt werden. Deshalb ist die Anlagerung an ein spezifisches Transportprotein – das Hämoglobin – erforderlich, das mit seinem hydrophoben Porphyringerüst und seiner hydrophilen Oberfläche als Lösungsvermittler zwischen dem unpolaren Sauerstoff und dem polaren Plasmawasser wirkt. Den Vorgang der Anlagerung eines Sauerstoffmoleküls an das Porphyrineisen der Hämoglobinun-
. Abb. 29.8. Spektralkurven menschlichen Hämoglobins. Links: Oxygeniertes Hämoglobin (rot), desoxygeniertes Hämoglobin (grün), Kohlenmonoxidhämoglobin (blau). Rechts: Oxygeniertes Hämoglobin (rot), Cyanmethämoglobin (grün) und Methämoglobin (blau)
tereinheit bezeichnet man als Oxygenierung, die Abgabe des Sauerstoffs als Desoxygenierung. Da die Konzentration des Hämoglobins im Vergleich zu anderen Blutproteinen mit etwa 160 g/l sehr hoch ist (im Vergleich dazu die Albumine mit 70 g/l), bietet die Verpackung im Erythrozyten insofern einen Vorteil, als das Protein dadurch kolloidosmotisch unwirksam wird und damit nicht den Wasseraustausch im Kapillarbereich beeinträchtigen kann. Durch die Vermittlung des Transportproteins Hämoglobin kann pro Liter Blut die 70-fache Menge Sauerstoff, also etwa 200–210 ml (bei einem Hämoglobingehalt von 160 g/l), befördert werden. ! Sauerstoffkapazität und -affinität des Bluts bestimmen den Sauerstoffaustausch.
Die Sauerstoffmenge, die vom Blut in den Lungen aufgenommen und in den Geweben an die Zellen abgegeben werden kann, wird von der Sauerstoffkapazität und der Sauerstoffaffinität bestimmt. Unter der Sauerstoffkapazität des Bluts versteht man seine maximale Aufnahmefähigkeit pro definierter Volumeneinheit (z.B. Liter). Sie hängt unter physiologischen O2-Druckbedingungen (also etwa 100 mmHg in den Lungenalveolen) und bei normalen Temperaturen (also etwa 37°C) nahezu ausschließlich von der Konzentration des Hämoglobins ab. Dabei ist jedoch allein das sauerstoffanlagerungsfähige Hämoglobin entscheidend, da z.B. CO-Hämoglobin (Raucher!) und Methämoglobin keinen Sauerstoff transportieren können. Als Sauerstoffaffinität des Bluts wird das Verhältnis zwischen O2-Druck (sei es im Bereich der Lungen oder der Gewebe) und der Beladung des Hämoglobinmoleküls (O2Sättigung) mit Sauerstoff bezeichnet, d.h. sie gibt an, wie viel Prozent des Hämoglobins bei einem bestimmten Sauerstoffangebot beladen sind. Ein Maß für die Affinität ist der O2-Druck, der eine Sättigung des Hämoglobins von 50% herbeiführt (Halbsättigungsdruck, P50). Er beträgt bei pH 7,4 und 37°C bei gesunden Erwachsenen 26,6 mmHg. Da bei der Sauerstoffanlagerung und -abgabe eine Farbänderung des Hämoglobins auftritt (. Abb. 29.8), die für die unterschiedliche Färbung des Bluts in den Venen (dunkelrot) und Arterien (hellrot) verantwortlich ist, lässt sich das Ausmaß der O2-Anlagerung mit Hilfe eines Spektralphotometers bequem quantitativ verfolgen. Man erhält dabei eine S-förmige Kurve (7 u.), die typisch für einen kooperativen Anlagerungsprozess ist. Das bedeutet, dass bei der Anlagerung von vier Sauerstoffmolekülen an das Hämoglobintetramer das erste nur sehr langsam, das zweite und dritte schon wesentlich leichter und das vierte mehrere hundert Male schneller aufgenommen wird (»Der Appetit kommt beim Essen«.). Der biologische Vorteil des sigmoid(al)en Verlaufs der Sauerstoffanlagerungskurve liegt v.a. darin, dass Hämoglobin den Sauerstoff leicht bei dem im Bereich der Gewebezellen herrschenden niedrigen O2-Druck (15– 30 mmHg im Kapillarbereich) abgeben kann. Im Fall einer
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960
Kapitel 29 · Blut
hyperbolischen Anlagerungskurve (wie z.B. bei der isolierten E-Kette) würde ein erheblicher Teil des transportierten Sauerstoffs nicht an die Zellen abgegeben werden können. ! Temperatur, pH-Wert und CO2-Partial-Druck beeinflussen die Sauerstoffanlagerungskurve.
Die Sauerstoffanlagerungskurve wird durch die Temperatur, den pH-Wert, den CO2-Druck und andere Faktoren beeinflusst. Unter der Standard-O2-Kurve versteht man den Kurvenverlauf bei 37 bzw. 38°C (je nach Übereinkunft) und pH 7,4. 4 Die Linksverlagerung dieser Kurve bedeutet eine Zunahme der Sauerstoffaffinität, d.h. die O2-Aufnahme in den Lungen wird erleichtert, die O2-Abgabe in den Geweben erschwert 4 Die Rechtsverlagerung bedeutet Abnahme der Sauerstoffaffinität, d.h. der Sauerstoff wird schwerer in den Lungen aufgenommen, aber besser in den Geweben abgegeben
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Unter physiologischen Bedingungen stehen die Wirkungen von Änderungen des pH-Werts bzw. des CO2-Drucks im Blut auf die Sauerstoffaffinität des Hämoglobins im Vordergrund. Beide Einflüsse werden nach ihrem Entdecker Christian Bohr (dem Vater von Niels Bohr) als Bohr-Effekt zusammengefasst. Ob die nach CO2-Druckabnahme im Blut zu beobachtende Rechtsverlagerung der Sauerstoffanlagerungskurve ausschließlich auf den gleichzeitig damit einhergehenden Abfall des pH-Werts (Henderson-Hasselbalch-Gleichung!, 7 Kap. 1.2.6) zurückzuführen ist oder ob außerdem eine spezifische Wirkung auf die O2-Affinität des Hämoglobins existiert, ist noch unklar. Die Erleichterung der O2-Abgabe im sauren und CO2-reichen Gewebebereich ist biologisch ebenso sinnvoll wie die verbesserte O2-Abgabe bei erhöhter Temperatur (z.B. beim arbeitenden Muskel). Typische Verlagerungen der O2-Anlagerungskurve des menschlichen Bluts können auch hervorgerufen werden durch 4 infolge von Genmutationen veränderte Hämoglobine 4 die Art des Hämoglobins (HbF oder HbA) 4 die Hämoglobin- und Kationenkonzentrationen im einzelnen Erythrozyten 4 intraerythrozytäre Enzymdefekte (7 Kap. 29.2.4) sowie 4 den Gehalt der Erythrozyten an 2,3-Bisphosphogylcerat, auf dessen Einfluss genauer eingegangen werden soll ! 2,3-Bisphosphoglycerat verlagert die Sauerstoffanlagerungskurve nach rechts.
Die Sauerstoffaffinität des Hämoglobins nimmt nach Zusatz von 2,3-Bisphosphoglycerat zu Hämoglobinlösungen zu; ebenso verlagert der Konzentrationsanstieg dieser Phosphate im Erythrozyten die Sauerstoffanlagerungskurve nach rechts (. Abb. 29.9). Erythrozyten enthalten
. Abb. 29.9. Sauerstoffanlagerungskurven. Von links nach rechts: Hämoglobin in Abwesenheit von 2,3-Bisphosphoglycerat (BPG); Hämoglobin in Gegenwart von 40 mmHg CO2; Hämoglobin in Gegenwart von 2,3-Bisphosphoglycerat; Hämoglobin in Anwesenheit von 2,3-Bisphosphoglycerat und CO2; Vollblut bei 40 mmHg CO2. Der pHWert der Hb-Lösung betrug 7,22 bei 50% O2-Sättigung. Der pH-Wert des Blutplasmas betrug 7,40 bei 50% O2-Sättigung, was einem pH-Wert von 7,22 innerhalb der Erythrozyten entspricht. (1 mmHg = 133,3 Pa)
wesentlich mehr 2,3-Bisphosphoglycerat als andere Körperzellen. 2,3-Bisphosphoglycerat, das auf einem Nebenweg der Glycolyse gebildet und abgebaut wird (7 o.), ist im menschlichen Erythrozyten etwa in der gleichen molaren Konzentration wie Hämoglobin und etwa in der vierfachen molaren Konzentration von ATP vorhanden. Durch Anlagerung des 2,3-Bisphosphoglyceratmoleküls an das desoxygenierte Hämoglobinmolekül wird die Sauerstoffaffinität von Hämoglobin herabgesetzt. Dies erleichtert die Sauerstoffabgabe in der peripheren Zirkulation und gewährleistet eine bessere Sauerstoffversorgung der Gewebe. 2,3-Bisphoglycerat besitzt die Funktion eines Signals und wird deshalb als Signalmetabolit bezeichnet. Der Erythrozyt besitzt mit diesem System einen Mechanismus zur Aufrechterhaltung der Sauerstoffversorgung der Gewebe unter veränderten äußeren Bedingungen: so kommt es beim Aufenthalt in Gebirgshöhen ab 4500 m zu einer erheblichen Steigerung der 2,3-Bisphosphoglyceratkonzentration, die sich etwa 50 Stunden nach Rückkehr ins Flachland wieder normalisiert. Gleichzeitig mit dieser 2,3-Bisphosphoglyceraterhöhung ist der Halbsättigungs-
961 29.2 · Erythrozyten
druck erhöht, d.h. derjenige Sauerstoffpartialdruck im Blut, der Hämoglobin bei einem pH von 7,40 und einer Temperatur von 37 bzw. 38°C zu 50% mit Sauerstoff sättigt (P50). Dies entspricht einer Rechtsverlagerung der Sauerstoffanlagerungskurve. Der Organismus reagiert mit diesem Kompensationsmechanismus auch auf eine Änderung der zirkulierenden Erythrozytenmenge. Im Tierexperiment zeigen Affenerythrozyten bereits 24 Stunden nach Entnahme von etwa 40% des Erythrozytenvolumens einen signifikanten 2,3-Bisphosphoglyceratanstieg mit entsprechender P50-Erhöhung. Die 2,3-Bisphosphoglyceraterhöhung bei Anämien soll – durch die dadurch bedingte Rechtsverlagerung – zu einer Entlastung des Herzens führen, das sein Minutenvolumen (Lehrbücher der Physiologie) entsprechend dem Hämoglobinverlust erhöhen müsste, um die Sauerstoffversorgung der Gewebe sicherzustellen. Möglicherweise führt aber weniger die Anämie als vielmehr eine intraerythrozytäre pH-Erhöhung zur 2,3-Bisphosphoglyceratvermehrung. ! Der intraerythrozytäre pH-Wert ist der wichtigste Regulator der 2,3-Bisphosphoglyceratkonzentration.
Bei den Änderungen des 2,3-Bisphosphoglyceratspiegels, die z.B. während einer Hypoxie (Sauerstoffmangel der Gewebe), einer Alkalose (Zunahme des pH-Werts im Extrazellulärraum) oder Azidose (Abfall des pH-Werts im Extrazellulärraum) auftreten, spielt der pH-Wert im Erythrozyten die Schlüsselrolle (. Abb. 29.10). Bei der Hypoxie führt der Sauerstoffmangel zu einer Hyperventilation mit vermehrtem Kohlendioxidverlust, sodass der pH-Wert des Bluts und der Erythrozyten ansteigt (Alkalose). Gleichzeitig bedingt die vermehrte Bildung von Desoxyhämoglobin mit der damit verbundenen Aufnahme von Protonen (7 Kap. 3.3.5) einen Anstieg des intraerythrozytären pH-Werts. Dies bewirkt die Abnahme der Konzentration von freiem 2,3-Bisphosphoglycerat, das bevorzugt an Desoxyhämoglobin bindet. Die Alkalisierung innerhalb des Erythrozyten führt über eine Aktivierung der Phosphofructokinase zu einer Erhöhung der Glycolyserate, wodurch vermehrt 1,3-Bisphosphoglycerat entsteht. Demzufolge nimmt auch die Produktion von 2,3-Bisphosphoglycerat zu. Da die 2,3-Bisphosphoglycerat. Abb. 29.10. Mechanismus des Hypoxie-induzierten Anstiegs des Erythrozyten-2,3-Bisphosphoglyceratspiegels. BPG = Bisphosphoglycerat; PFK = Phosphofructokinase. (Einzelheiten im Text)
phosphatase durch einen pH-Anstieg gehemmt wird, tragen Hypoxie und Alkalose auch über eine Hemmung dieses Enzyms zu einem Konzentrationsanstieg bei. Auf der anderen Seite führt eine Azidose zu einer Erniedrigung der 2,3-Bisphosphoglyceratkonzentration. Der durch diese Vorgänge vermittelte Anstieg der 2,3Bisphosphoglyceratkonzentration während einer Hypoxie oder Alkalose wird offenbar durch einen Rückkoppelungsprozess reguliert. Mit steigender Konzentration des nichtpermeablen 2,3-Bisphosphoglyceratanions sinkt der intraerythrozytäre pH-Wert wieder ab. Der Abfall des pH-Werts wirkt also dem durch die Hypoxie hervorgerufenen pHAnstieg entgegen, d.h. die erhöhte 2,3-Bisphosphoglyceratbiosyntheserate wird bei hohen 2,3-Bisphosphoglyceratspiegeln wieder auf Normalwerte reduziert. Wie oben dargelegt beeinflusst der Erythrozyten-pHWert nicht nur den 2,3-Bisphosphoglyceratstoffwechsel, sondern auch die Sauerstoffaffinität von Hämoglobin (Bohr-Effekt, 7 o., 7 Kap. 3.3.5). Ein Anstieg des pH-Werts verlagert die Sauerstoff-Anlagerungskurve nach links. Der gleiche Anstieg des pH-Werts verursacht jedoch einen Anstieg der 2,3-Bisphosphoglyceratkonzentration, der seinerseits eine Verlagerung der Kurve in die Gegenrichtung, nämlich nach rechts, hervorruft. Es erscheint somit wahrscheinlich, dass der 2,3-Bisphosphoglyceratmechanismus die pH-induzierte Änderung der Sauerstoffaffinität des Bluts bei chronischen Störungen des Säure-Basen-Haushalts (7 Kap. 28.8.6) kompensiert. ! Im Bereich der Gewebekapillaren wird Kohlendioxid im Erythrozyten in Hydrogencarbonat überführt.
Das im Zellstoffwechsel produzierte Kohlendioxid gelangt in physikalischer Lösung in den interstitiellen Raum und diffundiert von dort in das Plasma der Gewebekapillaren. Unter Verwendung des molaren Löslichkeitskoeffizienten, der angibt, wie viel Millimol eines Gases sich in 1 Liter Flüssigkeit bei Einwirkung des Partialdrucks von 1 mmHg lösen, errechnet sich die physikalisch gelöste Konzentration bei einem CO2-Partialdruck im venösen (arteriellen) Bereich von etwa 45 (39) mmHg mit 1,4 (1,2) mmol/l. Diese physikalisch gelöste Menge nimmt mit etwa 10% am Transport teil. Ein geringer Teil (etwa 0,1%) des Kohlendioxids wird zu Kohlensäure hydratisiert, die in Hydrogencarbonat
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962
Kapitel 29 · Blut
und Protonen dissoziiert, wobei letztere von Plasmapuffern abgefangen werden. Die übrigen 90% werden in chemischer Bindung und als Hydrogencarbonat befördert. Aus dem Plasma diffundiert Kohlendioxid in den Erythrozyten und wird dort an Aminogruppen des Hämoglobins (wahrscheinlich N-terminale Valylreste) in Form der Carbaminobindung (10–15% des transportierten Kohlendioxids) gebunden. Die Reaktion verläuft nichtenzymatisch nach der Gleichung
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Mit protonierten Aminogruppen (NH3+) bildet CO2 keine Carbaminoverbindungen. Derartige Bindungen können auch mit Plasmaproteinen zustande kommen. Der größere Teil des Kohlendioxids, der in die Erythrozyten diffundiert ist, wird unter Katalyse der in den Erythrozyten vorkommenden Enzyme Carboanhydrase I und II reversibel hydratisiert. Carboanhydrase II ist eines der schnellsten Enzyme: Pro Sekunde kann jedes Enzymmolekül 106 CO2-Moleküle in Protonen und Hydrogencarbonat umwandeln. Da dadurch für Hydrogencarbonat ein Konzentrationsgefälle ins Plasma entsteht, diffundiert es aus dem Erythrozyten ins Plasma. Die frei werdenden Protonen werden vom Hämoglobin aufgenommen, das bei der Sauerstoffabgabe in den Gewebekapillaren zu einer schwächeren Säure wird (Änderung des pK-Werts der Aminogruppe von Valylresten und der Imidazolgruppe von Histidylresten, 7 Kap. 3.3.5). Diese Abwanderung der Hydrogencarbonatanionen als negative Ladungsträger würde die elektrische Neutralität zwischen Plasma und Erythrozyten stören, wenn nicht entweder die gleiche Menge Kationen ebenfalls aus dem Erythrozyten ins Plasma oder die gleiche Menge von Anionen aus dem Plasma in den Erythrozyten diffundieren würde. Da die Erythrozytenmembran für Kationen im Gegensatz zu Anionen schlecht permeabel ist, muss ein Anion in den Erythrozyten diffundieren. Dazu bietet sich das im Plasma in hoher Konzentration vorliegende Chloridanion an. Dieser als Chloridverschiebung bezeichnete Austausch von Hydrogencarbonat- gegen Chloridionen erfolgt über den Anionenkanal, ein transmembranäres Tetramer des Protein 3 (auch als Chlorid/ Hydrogencarbonat-Anionen-Exchanger AE1 bezeichnet, . Abb. 29.6), und läuft bis zum Erreichen eines Gleichgewichtes ab. Dadurch steigt im Plasma die Konzentration von Hydrogencarbonat an, das die wesentliche Transportform (75–80%) von Kohlendioxid von den Geweben zu den Lungen darstellt. Die Carboanhydrasen bilden mit AE1 einen Komplex, sodass ein sog. Metabolon entsteht. ! Im Bereich der Lungenkapillaren wird Hydrogencarbonat über Kohlensäure zu Kohlendioxid überführt.
Im venösen Schenkel der Lungenkapillaren gerät das Blut mit dem CO2-Partialdruck der Alveolarluft in Kontakt, der durch das Atemzentrum (Lehrbücher der Physiologie) auf
40 mmHg eingestellt wird. Aus dem Blut diffundiert jetzt so viel CO2 in die Gasphase, bis die CO2-Konzentration wieder 1,2 mmol/l beträgt. Das diffundierende Kohlendioxid stammt aus zwei Quellen: Zum einen werden aus den covalenten Carbaminobindungen der Plasmaproteine und des Hämoglobins wieder CO2-Moleküle freigesetzt, zum anderen laufen in den Erythrozyten die umgekehrten Vorgänge wie im Bereich der Gewebekapillaren ab: Die durch die Sauerstoffaufnahme stärkere Säure Oxyhämoglobin gibt Protonen ab, die mit Hydrogencarbonat zu Kohlensäure zusammentreten. Die Carboanhydrase beschleunigt die Dehydratisierung von Kohlensäure zu Kohlendioxid, das den Erythrozyten verlässt und durch das Plasma in den Alveolarraum diffundiert. Da dadurch der Hydrogencarbonatspiegel im Erythrozyten abfällt, diffundiert Hydrogencarbonat aus dem Plasma nach, wobei die Erhaltung der Elektroneutralität wieder durch Chlorid, diesmal durch Abströmen durch den Anionenkanal ins Plasma, erfolgt. Der größte Teil des CO2-Transports verläuft also unter Vermittlung des Erythrozyten, der durch den Besitz der Carboanhydrase im Bereich der Gewebekapillaren aus dem CO2 gut lösliches HCO3– für das Plasma bereitstellt und im Bereich der Lungenkapillaren das Hydrogencarbonat wieder in das auszuscheidende, gut diffusible Kohlendioxid zurückverwandelt. Da die Erythrozyten weniger als 1s in den Lungenkapillaren verweilen, würde diese Zeit für die nichtenzymatische Bereitstellung von CO2 nicht ausreichen. ! Täglich werden etwa 12 mol Kohlendioxid über die Lungen abgeatmet.
Unter Ruhebedingungen beträgt die Gesamtmenge Kohlensäure in 1 Liter venösen Bluts 23,21 mmol, in derselben Menge arteriellen Bluts 21,53 mmol. Die Differenz von 1,68 mmol/l ist die Menge CO2, die in 1 Liter Blut von den Geweben zu den Lungen transportiert wird und dort aus dem Blut in die Lungenalveolen diffundiert. Da die Lungen von 5 Liter Blut/min durchströmt werden, werden in dieser Zeit 8,4 mmol CO2 abgegeben. Das bedeutet eine tägliche CO2-Abgabe von 12100 mmol unter Ruhebedingungen. Wie die Gesamt-CO2-Menge im Blut auf Plasma und Erythrozyten verteilt ist, zeigt . Tabelle 29.3. Bei einem Hämatokrit von 40% (Plasma 60%, Erythrozyten 40%) beträgt die CO2-Konzentration in 600 ml venösen Plasmas 16,99 mmol, in derselben Menge arteriellen Plasmas 15,94 mmol. Die Differenz in Höhe von 1,05 mmol stellt die im Plasma von den Geweben zu den Lungen transportierte CO2-Menge dar. Sie beträgt 62% der transportierten Gesamt-CO2-Menge (1,68 mmol). Von diesem Betrag werden nur 0,09 mmol in physikalischer Lösung und 0,96 mmol in Form von Hydrogencarbonationen transportiert. Die Erythrozyten (400 ml) transportieren 0,63 mmol CO2 oder 38% der Gesamtmenge, d.h. der Großteil des CO2-Transports erfolgt im Plasma. Da aber die Hydrogencarbonationen durch die intraerythrozytäre Carboanhy-
963 29.2 · Erythrozyten
. Tabelle 29.3. Blutwerte des Probanden A.V.B. Konzentration des Hämoglobins = 8,93 mmol/l Blut (dieser Angabe liegt das Molekulargewicht des Monomers mit 16,7 kD zugrunde), Hämatokrit = 40 % Venös
Artriell
Differenz
Gesamt-CO2 [mmol/Blut]
23,21
21,53
+ 1,68
Gesamt-CO2 im Plasma von 1 l Blut (= 600 ml)
16,99
15,94
+ 1,05
davon: als gelöstes CO2
0,80
0,71
+ 0,09
als HCO3–-Ionen
16,19
15,23
+ 0,96
pH
7,429
Netto-negative Ladungen an Plasmaproteinen Chloridionen
7,455
– 0,026
7,80
7,89
– 0,09
58,72
59,59
– 0,87
Gesamt-CO2 in der Erythrozyten von 1 l Blut (= 400 ml)
6,22
5,59
+ 0,63
davon: als gelöstes CO2
0,39
0,34
+ 0,05
als Carbamino- CO2
1,42
0,97
+ 0,45
als HCO3–-Ionen
4,41
4,28
+ 0,13
Netto-negative Ladungen am Hämoglobin
21,15
22,60
– 1,45
Chloridionen
18,98
18,11
+ 0,87
Alle Angaben – mit Ausnahme des pH-Wertes (ohne Dimension) – in mmol/l.
drase gebildet und die entstehenden Protonen durch Hämoglobin abgepuffert werden, ist der Erythrozyt Voraussetzung für den CO2-Transport. Wie aus . Tabelle 29.3 weiterhin hervorgeht, ändert sich die negative Ladung der Plasmaproteine, da sie 0,09 mmol Protonen aufnehmen, die aus der im Plasma gebildeten Kohlensäure stammen. Die dabei gebildeten 0,09 mmol Hydrogencarbonationen verbleiben im Plasma. Weil die gesamte transportierte Hydrogencarbonationenmenge 0,96 mmol beträgt, müssen 0,87 mmol (0,96–0,09) aus den Erythrozyten ins Plasma übergetreten sein. Die Bedeutung des Hämoglobins für den CO2-Transport ist aus dem unteren Teil von . Tabelle 29.3 zu ersehen: Da Hämoglobin 1,45 Einheiten negative Ladungen verliert, müssen in Erythrozyten 1,45 mmol Protonen gebildet und von Hämoglobinmolekülen aufgenommen worden sein. Davon entstehen 0,45 mmol bei der Bildung von Carbaminoverbindungen (R–NHCOO–+H+), der Rest bei der Hydratisierung von 1 mmol CO2 zu HCO3– und Protonen. Die Protonen beider Gruppen werden von Hämoglobinmolekülen abgepuffert. Da sich die Chloridkonzentration um 0,87 mmol ändert, müssen von den 1 mmol entstandenen Hydrogencarbonationen (7 oben) 87% ins Plasma übergetreten sein. Das Entscheidende beim CO2-Transport ist, dass jedes CO2-Molekül, das zum Transport nicht physikalisch gelöst wird, nur unter Freisetzung von Protonen (durch Bildung von Hydrogencarbonationen und Carbaminoverbindungen) befördert werden kann. Die Funktion des Hämoglobins beim CO2-Transport liegt darin, dass es den wesentlichen Teil der freigesetzten Protonen (1,45 mmol von 1,54 mmol; die restlichen 0,09 mmol werden von den Plasmaproteinen abgepuffert) aufnimmt.
Von den in . Tabelle 29.3 angegebenen Messgrößen sind nur der pH-Wert, die Gesamtmenge CO2 und der pCO2 messbar, während für die Bestimmung von Hydrogencarbonationen und gelöstem CO2 keine direkten Messmethoden existieren. Sind die Gesamtmenge CO2 und der pH-Wert bekannt, so können nach der Gleichung von Henderson und Hasselbalch (7 Kap. 1.2.6) die Hydrogencarbonatkonzentration und der CO2-Partialdruck berechnet werden:
Da die Konzentration des gelösten CO2, die in der Gleichung für die Summe aus CO2 und H2CO3 steht, dem CO2Partialdruck direkt proportional ist, kann unter Verwendung des molaren Löslichkeitskoeffizienten für CO2 in der Gleichung statt [CO2]=[S·pCO2] gesetzt werden:
Da die Gesamtmenge CO2 im Plasma die Summe aus gelöstem CO2 und Hydrogencarbonationen darstellt, kann bei bekannter Gesamt-CO2-Konzentration die Hydrogencarbonatkonzentration folgendermaßen errechnet werden:
29
964
Kapitel 29 · Blut
Setzt man diesen Ausdruck für HCO3– in die obige Henderson-Hasselbalch-Gleichung ein, so entsteht:
Der pK-Wert, der von Bestimmungsmethode, Temperatur und pH-Wert abhängt, beträgt i. Allg. 6,10, der molare Löslichkeitskoeffizient für Plasma bei 37°C 0,0304.
29
Diese Gleichung enthält drei Unbekannte: den pH-Wert, die Gesamt-CO2-Konzentration im Plasma und den CO2Partialdruck. Sind zwei dieser Größen bekannt, so kann die dritte berechnet werden. Da die Gesamtmenge CO2 im Plasma oft in Volumenprozent angegeben wird, muss sie unter Verwendung eines Umrechnungsfaktors vor Einsetzen in die Gleichung noch in mmol/l umgerechnet werden. Zur Berechnung der CO2-Verteilung im Plasma werden also in Plasmaproben arteriellen und venösen Bluts der pH-Wert und die Gesamtmenge CO2 bestimmt (. Tabelle 29.4). Nach der Umrechnung der Volumenprozente in mmol/l Gesamtmenge CO2 lassen sich aus der Henderson-Hasselbalch-Gleichung der CO2-Partialdruck und damit auch die Konzentration des gelösten Kohlendioxids sowie die Hydrogencarbonatkonzentration errechnen oder aus speziellen Nomogrammen (. Abb. 29.11) ablesen. Da die Erythrozyten einen wesentlichen Anteil am CO2-Transport haben, kann auch die Verteilung des Kohlendioxids im Gesamtblut, d.h. Plasma und Erythrozyten, durch einfache – an dieser Stelle nicht erwähnte – Berechnungen ermittelt werden. ! Hämoglobin ist aufgrund seiner hohen Konzentration ein wichtiges Puffersystem im Blutplasma.
Nach dem Hydrogencarbonatpuffersystem (7 Kap. 1.2.6) ist das Hämoglobinprotein das wichtigste Puffersystem im . Tabelle 29.4. Berechnung von pCO2, [CO2]P und [HCO3–]P nach Bestimmung des pH-Wertes und der Gesamtmenge CO2 in Plasmaproben arteriellen und venösen Blutes Werte
Venös
Arteriell
Gemessen pH-Wert Gesamt-CO2 [Vol%]
7,39
7,44
62,0
59,4
Gesamt-COs [mmol/l]
27,8
26,7
pCO2 [mm Hg]
45
39
Errechnet
[CO2]P [mmol/l] –
[HCO3 ] [mmol/l]
1,4
1,2
26,4
25,5
. Abb. 29.11. Nomogramm zur Ermittlung des CO2-Partialdrucks, des pH-Werts und der Plasmahydrogencarbonatkonzentration. Sind zwei dieser drei Größen bekannt, so kann die dritte abgelesen werden
Blut, was auf die hohe Konzentration und die Histidylreste mit den günstigen pK-Werten (. Abb. 3.2, 7 Kap. 3.1.3) zurückzuführen ist. Wie bereits erwähnt (7 Kap. 3.3.5), führt die Oxygenierung des Hämoglobins zur Abgabe von Protonen, die Desoxygenierung zu deren Aufnahme. Normalerweise kann das Hämoglobinprotein pro Mol abgegebenen Sauerstoff 0,7 mol Protonen aufnehmen. Das bedeutet, dass bei einem respiratorischen Quotienten (RQ, 7 Kap. 21.1.4) von 0,7 (Fettoxidation) alle durch den CO2Abtransport anfallenden Protonen von Hämoglobinmolekülen aufgenommen werden können. Bei einem RQ von 1,0 (Kohlenhydratoxidation) können nur 70% gepuffert werden. Deshalb weist das venöse Blut bei normalem Stoffwechsel (RQ>0,7) einen geringeren pH-Wert (= höhere Protonenkonzentration) als das arterielle auf. ! Hämoglobin kann auch mit Stickoxid reagieren.
Hämoglobin kann Stickoxid (NO) sowohl durch Bindung an das Hämeisen inaktivieren (unter Bildung von Methämoglobin, siehe unten und Nitrat) oder reversibel an das Cystein in Position 93 der ß-Kette binden. Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass NO bei fallender Sauerstoffspannung in der Mikrozirkulation aus der Hämoglobinbindung freigesetzt wird und die dadurch hervorgerufene
965 29.2 · Erythrozyten
Vasodilatation den Blutfluss in die Region des örtlichen Sauerstoffbedarfs dirigiert.
29.2.3
Erythrozyten-Antigene
! Die AB0- und Rhesussysteme sind die für Transfusionen wichtigsten Blutgruppenantigene.
Die Blutgruppenunterteilungen innerhalb einer Species kommen dadurch zustande, dass bestimmte Mitglieder der Species auf ihrer Erythrozytenoberfläche Antigene (7 Kap. 34.2.1) besitzen, die auf den Erythrozyten anderer Mitglieder derselben Species fehlen. Diese Antigene werden durch Serumantikörper entdeckt, die die Erythrozyten zur Agglutination (Zusammenballung) bringen. Die Blutgruppenantigene kommen nicht nur auf Erythrozyten, sondern auch auf sehr vielen anderen Zelloberflächen und in Körperflüssigkeiten vor. Aber sie beschränken sich nicht nur auf den Menschen: Blutgruppen und blutgruppenähnliche Verbindungen kommen bei allen Tieren und vielen Mikroorganismen vor. Deshalb werden diese Antigene als heterophile Antigene bezeichnet, d.h. es handelt sich um Antigene, die Affinität zu Antikörpern besitzen, die aufgrund ihrer Herkunft eigentlich nichts mehr mit dem betreffenden Antigen zu tun haben dürften. So entwickeln z.B. Kaninchen, die mit Meerschweinchenniere immunisiert wurden, hämolysierende Antikörper gegen Schafserythrozyten. Die Blutgruppenantigene heißen also nur deshalb so, weil sie zuerst an Erythrozyten entdeckt worden sind. Beim Menschen sind vierzehn Blutgruppensysteme bekannt, die aus mehr als hundert verschiedenen Blutgruppenantigenen bestehen. Die am längsten bekannten sind das AB0-System (vor hundert Jahren entdeckt) und das Rhesussystem (vor fünfzig Jahren entdeckt). Beim AB0-System werden Träger der Blutgruppe A, B oder AB unterschieden, in deren Serum die Antikörper Anti-B (E), Anti-A (D) bzw. keine Antikörper vorkommen. Bei Menschen mit der Blutgruppe 0 finden sich im Serum die Antikörper Anti-A und Anti-B (. Tabelle 29.5). Es gibt kein 0-Antigen: Gruppe-0-Erythrozyten besitzen das H-Antigen, die Bezeichnung Blutgruppe 0 wurde nur aus historischen Gründen beibehalten.
. Tabelle 29.5. Das ABO-System (die prozentuale Verteilung in Mitteleuropa) Blutgruppe
Antigen auf Erythrozyten
Antikörper im Serum
A (40 %)
A
Anti-B (β)
B (16 %)
B
Anti-A (α)
AB (4 %)
A und B
–
0 (40 %)
H
Anti-A und Anti-B
Die Produktion dieser Antikörper (Isoagglutinine) wird durch blutgruppensubstanzhaltige Bakterien der Darmflora stimuliert. Genetisch bedingt ist nur die Fähigkeit, Antikörper mit einer derartigen Spezifität zu bilden. Die menschlichen Isoagglutinine sind also heterophile Antikörper. Das eigentliche antigene Stimulans, das bakterielle »Blutgruppenantigen«, hat mit Erythrozyten der menschlichen Population nur zufällig die determinante Gruppe gemeinsam. Isoagglutinine kommen außer im Blut auch in der Tränenflüssigkeit, im Vaginalsekret und im Speichel vor. Klinische Bedeutung kommt den Blutgruppeneigenschaften bei Erythrozytentransfusionen (Gefahr der hämolytischen Reaktion infolge Transfusionen gruppenungleichen Bluts) und bei Unverträglichkeitserscheinungen (Inkompatibilität) der Blutgruppen von Mutter und Kind (fetale Erythroblastose) zu. A- und/oder B-Antigene bzw. das H-Antigen kommen auf der Oberfläche wahrscheinlich aller Endothel- und vieler Epithelzellen sowie auf Erythrozyten, Thrombozyten, Leukozyten und Spermatozoen vor. Bei diesen zellgebundenen Antigenen handelt es sich um Kohlenhydrate. Zusätzlich scheiden als Sekretoren bezeichnete Individuen (etwa 80% der Population) wasserlösliche Blutgruppensubstanzen aus, die in Urin, Speichel, Magensaft, Amnionflüssigkeit, Samenflüssigkeit, Cervicalschleim, in Ovarialzysten und im Meconium, dem ersten Stuhl des Neugeborenen, nachweisbar sind. ! Für die Biosynthese der ABH- Antigene sind Glycosyltransferasen erforderlich.
Beim chemischen Aufbau der Blutgruppenantigene unterscheidet man das Trägermolekül und die antigene Determinante (7 Kap. 34.2.1). Letztere wird entweder durch ein Oligosaccharid – an dessen Aufbau vier verschiedene Saccharide teilnehmen können (Fucose, Galactose, N-Acetyl-DGalactosamin, N-Acetyl-D-Glucosamin) – oder ein Protein gebildet. Die Kohlenhydrat-Antigene (ABH) sind covalent an Proteine und/oder Sphingolipide gebunden. Protein-Antigene (z.B. das Rhesussystem) werden von Proteinen, Glycoproteinen oder Proteinen mit GPI-Anker gebildet. Bei den Sphingolipiden besteht das Trägermolekül aus Ceramid (7 Kap. 2.2.4). Die primäre Alkoholgruppe stellt die Bindungsstelle für den Oligosaccharidanteil dar. Glycoproteine weisen einen Kohlenhydratanteil von bis zu 85% auf. Die Biosynthese der oligosaccharidhaltigen Antigene erfolgt durch Glycosyltransferasen, durch die schrittweise Monosaccharide (. Abb. 29.12) an eine aus D-Galactose und N-Acetyl-D-Glucosamin bestehende Disaccharidgrundstruktur gehängt werden. Je nachdem, ob die beiden Zucker (1.3)-E-glycosidisch oder (1.4)-E-glycosidisch miteinander verbunden sind, wird zwischen Typ-1- und Typ2-Ketten unterschieden. Wird an das Galactosemolekül der Grundstruktur ein Fucosylrest (1.2)-D-glycosidisch durch eine D-L-Fucosyltransferase gebunden, so entsteht eine Struktur mit H-Spe-
29
966
Kapitel 29 · Blut
29
. Abb. 29.12. Biosynthese der antigenen Determinanten der Blutgruppensubstanzen durch Glycosyltransferasen. Endständige Zuckersequenzen der Polysaccharidketten der Glycoproteine, die die
Spezifitäten »H«, »A« und »B« bestimmen (7 Text). GP = Glycoprotein; Gal = D-Galactose; GNAc = N-Acetyl-D-glucosamin; GalNAc = N-Acetyl-D-galactosamin; Fuc = L-Fucose
zifität (. Abb. 29.12). Wird an diese H-Struktur N-Acetylgalactosamin bzw. Galactose gekoppelt, so entstehen die A- und B-determinanten Gruppen.
Die Gene der A- und B-Antigene unterscheiden sich nur um einige Basensubstitutionen unterscheiden, die zur Änderung von vier Aminosäureresten führen. Dies ruft die Unterschiede in der Spezifität dieser beiden Transferasen hervor (. Abb. 29.13). Im H-Gen findet sich die Deletion einer Base, die zu einem vollständig unterschiedlichen,
! Wenige Basensubstitutionen ändern die Spezifität der A- und B-Glycosyltransferasen.
967 29.2 · Erythrozyten
wo die Pestzüge nur selten hinkamen (Alpen- und Pyrenäentäler, britische Inseln), überwiegt bei weitem die Blutgruppe 0. ! Die Rhesusantigene werden von zwei Genen auf Chromosom 1 codiert.
. Abb. 29.13. Struktureller Aufbau der Membran verankerten Aund B-Glycosyltransferasen. Die Gene beider Enzyme unterscheiden sich durch Codons für vier Aminosäuren, von denen zwei (266 und 268) die Substratspezifität bestimmen. Eine Deletion im Codon für die Aminosäure 87 führt zu einem Rasterschub und damit Verlust der Enzymaktivität, was die 0-Spezifität bedingt
inaktiven Enzym führt, die das H-Antigen nicht mehr modifizieren kann. Dass diese Mutation Verbreitung fand, ist darauf zurückzuführen, dass sie für die betreffende Bevölkerung einen Selektionsvorteil brachte. Wahrscheinlich haben die seuchenhaften Infektionserkrankungen, wie z.B. die Pest, eine besondere Rolle dabei gespielt. Bei Populationen, die mehrfach von Pestepidemien heimgesucht wurden, ist die Blutgruppe 0 zurückgegangen, während die Blutgruppe A offenbar einen Selektionsvorteil darstellte. Dies beruht wahrscheinlich darauf, dass die Pestbazillen über H-Antigene verfügen, die einen Nachteil für Blutträger der Blutgruppe 0 darstellen, da bei der Bildung von Antikörpern gegen die Pestbazillen diese auch gegen die eigenen Blutgruppenantigene gerichtet sind. Überall dort,
. Abb. 29.14. Codierung der Antigene des Rhesussystems durch das Rh D-Gen und das Rh CcEe-Gen. Beide Gene codieren für strukturell verwandte Membranproteine mit jeweils 417 Aminosäuren, wobei beim Rh CcEe-Gen durch alternierendes Spleißen ein zweites verkürztes Protein mit 267 Aminosäuren entsteht. Vier Aminosäure-
Die Rhesusantigene werden nicht durch Kohlenhydrate, sondern durch Proteine codiert. Für die drei Antigene (CDE bzw. cde) werden nur zwei Gene benötigt. Das Rhesus D-Gen codiert für das D-Antigen mit 417 Aminosäuren, das für die rhesuspositive Blutgruppe verantwortlich ist. Rhesusnegative Individuen (dd) sind für eine Deletion der Rhesus D-Gensequenz homozygot. Das Rhesus CcEeGen ist mit dem Rhesus D-Gen homolog und unterscheidet sich in etwa 30 Aminosäurepositionen. Aus dem primären präRNA-Transkript entsteht durch alternierendes Spleißen entweder das normale Transkript mit 417 Aminosäuren, das für das Rhesus E/e-Antigen codiert, oder ein Protein mit 267 Aminosäuren, welches für das C/c-Antigen codiert. Rhesus E und Rhesus e unterscheiden sich durch eine Aminosäuresubstitution in Position 226 voneinander, Rhesus C und Rhesus c durch vier Aminosäuren (. Abb. 29.14). Rhesusantigen-ähnliche Proteine sind in der Niere, Leber, Gehirn und Haut nachweisbar.
29.2.4
Pathobiochemie
Ein erhöhter Umsatz der Erythrozyten, der zu einer verkürzten Erythrozytenlebenszeit führt, wird als Hämolyse
substitutionen (16, 60, 68 und 103) sind für die Unterschiede zwischen C und c verantwortlich, eine (226) für den Unterschied zwischen E und e. Bei rhesusnegativen Personen wird das Rh D-Gen durch eine Mutation nicht exprimiert
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Kapitel 29 · Blut
. Abb. 29.15. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen von Erythrozyten. Hereditäre Elliptozytose (oben), Sphärozytose (unten)
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bezeichnet. Der Hämolyse können Störungen des Enzymstoffwechsels, der Membran oder des Hämoglobins zugrunde liegen. ! Glucose-6-phosphat-Dehydrogenasemangel schützt vor Malaria.
Von allen Enzymen des Erythrozytenstoffwechsels sind kongenitale Anomalien bekannt, von denen die wichtigste der Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase(G6PD)-Defekt ist. Als Folge dieser Störung des Pentosephosphatwegs, von der weltweit ca. 400 Millionen Menschen betroffen sind, kann es zu einer Beeinträchtigung der Produktion von Glutathion kommen, das zum Schutz des Hämoglobins vor einer Oxidation benötigt wird. Heute sind über 400 G6PDVarianten bekannt, von denen aber nur wenige eine Hämolyse verursachen. Die meisten Betroffenen haben deshalb keine klinischen oder biochemischen Zeichen einer Hämolyse; erst wenn auslösende Mechanismen wie eine Infektion, bestimmte Medikamente (wie z.B. das Sulfonamid Cotrimoxazol oder das Antiandrogen Flutamid) oder der Genuss von Acker- oder Saubohnen einen oxidativen Stress verursachen, werden die Genträger symptomatisch. Bohnen enthalten Glycoside, deren Abbauprodukte freie Sauerstoffradikale generieren. Diese führen zur Oxidation von SH-Gruppen im Hämoglobin, das in Monomere dissoziiert und in den Erythrozyten präzipitiert. Entstehende Einschlüsse in den Erythrozyten sind im Blutausstrich erkennbar. Genträger der G6PD-Mutationen haben einen Schutz vor Malaria, was die weite Verbreitung der Mutationen in Malariagebieten erklärt. ! Auch angeborene Membrandefekte können eine Hämolyse verursachen.
Die hereditäre Elliptozytose ist eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, die morphologisch durch ovalgeformte Erythrozyten gekennzeichnet ist (. Abb. 29.15). Ursache ist das Fehlen des Proteins 4.1, das zu einer Störung der Membranintegrität des Erythrozyten und damit zur Hämolyse führt. Bei der häufigen hereditären Sphärozytose (1 auf 2500 Menschen in Nordeuropa) liegt ebenfalls eine Störung der Architektur des Erythrozytenmembranskeletts vor [Defekt im Spectrinmolekül, Ankyrin, Bande 3 oder Protein 4.2]. Dadurch ist die Assoziation mit den anderen Membranskelettproteinen gestört, sodass der Erythrozyt Kugelform annimmt und deshalb Sphärozyt heißt (. Abb. 29.15). Diese veränderten Erythrozyten werden bereits nach zehntägiger (!) Lebensdauer durch Phagozytose in der Milz aus dem Blut entfernt. Kann das Knochenmark den schnellen Abbau durch eine vermehrte Erythrozytenbildung ausgleichen, so liegt eine kompensierte Hämolyse vor. Erleidet dagegen ein Betroffener zusätzlich einen Infekt, so kann das Knochenmark diese Kompensation nicht mehr bewerkstelligen, sodass der Erythozytenwert abfällt (dekompensierte hämolytische Anämie). Bei dauerhafter Dekompensation besteht die Therapie in einer Entfernung der Milz, wodurch die Lebensdauer der Sphärozyten bis auf 80 Tage erhöht werden kann. ! Bei der erworbenen paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie liegt eine somatische Mutation in dem Gen für die Synthese eines GPI-Ankerproteins vor.
Patienten mit dieser erworbenen Stammzellerkrankung leiden an häufig nachts auftretenden hämolytischen Attacken, die immer wieder ein Ausmaß annehmen, dass sich der Urin dunkel verfärbt. Die Verfärbung ist auf freies Hämoglobin zurückzuführen, das in so großen Mengen anfällt,
969 29.2 · Erythrozyten
dass es durch Haptoglobin nicht mehr gebunden werden kann und deshalb in den Urin übertritt. Ursache der Hämolyse der von der Mutation (siehe unten) betroffenen Erythrozyten ist eine besondere Empfindlichkeit gegenüber dem Angriff durch das Komplementsystem (7 Kap. 34.4). Bereits normale Erythrozyten sind ständig durch die zellzerstörenden Komplementfaktoren bedroht, die sich auf der Erythrozytenoberfläche ansammeln, wenn sie durch Antikörper und Bakterienprodukte aktiviert worden sind. Zur Abwehr dieses lytischen Angriffs besitzen Erythrozyten drei membranverankerte Proteine: 4 den zerfallbeschleunigenden Faktor (Decay-accelerating-factor, DAF), 4 den Membraninhibitor der reaktiven Lyse (CD59) und 4 ein C8-bindendes Protein. Die von der Erkrankung betroffenen Erythrozyten sind extrem empfindlich gegenüber dem Komplementsystem, da ihnen diese drei schützenden Proteine fehlen. Allen drei Proteinen ist gemeinsam, dass sie nicht mit Hilfe einer transmembranären Proteindomäne, sondern über einen Glycosyl-Phosphatidyl-Inositol-Anker in der Membran verankert sind. Bei der PNH erwirbt eine Stammzelle im Knochenmark eine Mutation im Gen für die Synthese eines Glycosyl-Phosphatidyl-Inositolankers. Bei der PNH liegen verschiedene Mutationen im GPI-A-Gen vor, welches für das erste Enzym der GPI-Synthese codiert. Damit fehlt den drei oben genannten Proteinen ihr Membrananker. Im Gegensatz zu Keimbahnmutationen, die für die angeborenen Enzym- und Membrandefekte des Erythrozyten verantwortlich sind, liegt bei der PNH eine erworbene, genetische Störung vor. Sie kommt durch eine somatische Mutation in einer Knochenmarksstammzelle zustande. Der betroffene Zellklon übergibt diese Mutation an all seine Abkömmlinge, d.h. Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten. Diese mutierten Zellen existieren gleichzeitig mit den normalen Blutelementen, wodurch ein hämatologisches Mosaik entsteht, bei dem das Verhältnis von gestörten zu normalen Erythrozyten im Blut den Schweregrad der Krankheit bestimmt. ! Durch die ständige Gegenwart von Glucose entsteht Glycohämoglobin auf nichtenzymatischem Weg.
Ein Glucose enthaltendes Hämoglobin (HbA1c) ist in einer Konzentration von 4–6% im Erythrozyten nachweisbar. Dieses Glycohämoglobin ist bei Diabetikern häufig erhöht und dient zur Bewertung der Einstellung des Diabetes mellitus (7 Kap. 26.4). ! Verschiedene Medikamente begünstigen die Bildung von Methämoglobin.
Wird das zweiwertige Eisen im Hämoglobin zu dreiwertigem oxidiert, so kann das entstandene Methämoglobin
(Hämiglobin) keinen Sauerstoff mehr transportieren. In vivo wie in vitro kann Methämoglobin durch Einwirkung von Oxidationsmitteln wie Kaliumferricyanid, Wasserstoffperoxid oder aromatische Nitro- und Aminverbindungen (Nitroglycerin, Anilin) entstehen. Im Erythrozyten entsteht Methämoglobin ständig durch die Anlagerung des Sauerstoffs an Hämoglobin. Bei diesem als Autoxidation bezeichneten Vorgang führt die Übernahme eines Elektrons von Eisen zur Bildung von Methämoglobin und dem Superoxidanion (O2–). Dass die Methämoglobinkonzentration i. Allg. 1–2% nicht überschreitet, ist auf eine intraerythrozytäre NADH-abhängige Methämoglobinreduktase zurückzuführen. Das Superoxidanion wird durch eine Superoxiddismutase zu H2O2 reduziert und anschließend durch die in Kapitel 15.3 erwähnte Peroxidase zu H2O und O2 entgiftet. Ist die Aktivität der Methämoglobinreduktase – wie bei der familiären Methämoglobinämie – stark vermindert, so kann das ständig gebildete Methämoglobin nicht mehr ausreichend reduziert werden, sodass die Konzentration bis auf 30% ansteigt. Folge der dadurch verursachten mangelnden Sauerstoffversorgung der Gewebe ist eine Vermehrung der Erythrozyten im Blut (reaktive Polyzythämie). Bestimmte Medikamente mit Anilinderivatcharakter (siehe oben) wie Dapson, ein Lepramittel, sind Methämoglobinbildner. Bei Vergiftungen (Met-Hb>40%) wird ein Reduktionsmittel (Toloniumchlorid) als Antidot intravenös verabreicht, in schweren Fällen sind Austauschtransfusionen erforderlich. ! Hämoglobin besitzt eine 300-fach höhere Affinität zu Kohlenmonoxid als zu Sauerstoff.
Kohlenmonoxid (CO) ist ein giftiges Gas, das durch unvollständige Verbrennung organischer Verbindungen entsteht. Die Toxizität dieses farb- und geruchlosen Gases kommt dadurch zustande, dass es sich an Stelle des Sauerstoffs an das Hämoglobinmolekül anlagert und so den Sauerstofftransport blockiert. Da die Affinität des Hämoglobinmoleküls zu Kohlenmonoxid rund 300mal so hoch ist wie zu Sauerstoff (. Abb. 29.16), führen schon geringe Mengen dieses Gases zu einer starken Reduktion der Sauerstofftransportfähigkeit des Bluts. Die daraus resultierende Hypoxie (Sauerstoffmangel der Gewebe) wird noch dadurch verstärkt, dass Kohlenmonoxid eine Linksverlagerung der Sauerstoffanlagerungskurve (7 o.) bewirkt, sodass die Abgabe des noch transportierten Sauerstoffs im Bereich der Gewebe erschwert ist. Erst durch diesen Umstand wird es verständlich, dass eine CO-Vergiftung, die mit 60% COHämoglobin einhergeht, eine tödliche Bedrohung darstellt, während eine Anämie mit 40% des normalen Hämoglobingehalts durchaus mit dem Leben vereinbar ist. Daneben blockiert Kohlenmonoxid auch Myoglobin und andere eisenhaltige Proteine. Wegen der reversiblen Anlagerung des Kohlenmonoxids an den Porphyrinanteil des Hämoglobins kann das CO-Hämoglobin durch hohe Sauerstoffdrucke in O2-Hb überführt werden. Vergiftete sind deshalb schnell aus dem Kohlenmonoxid-haltigen Milieu (z.B. Abgasen in
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970
Kapitel 29 · Blut
. Abb. 29.16. Bindung von Kohlenmonoxyd bzw. Sauerstoff an Hämoglobin. Die Kurven zeigen, zu welchem Prozentsatz das Hämoglobin bei einem bestimmten Gasangebot (Sauerstoff bzw. Kohlenmonoxid) mit dem betreffenden Gas beladen ist. Aufgrund der hohen Affinität des Hämoglobins zu Kohlenmonoxid führen schon sehr geringe CO-Drucke zu einer 100%igen Sättigung des Hämoglobins, die beim Sauerstoff erst bei Drucken von etwa 120 mmHg erreicht wird. (1 mmHg = 133,3 Pa)
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Garagen) zu bringen und mit Sauerstoff zu beatmen. Bei Zigarettenrauchern findet man im Durchschnitt 4–9%, bei stärkeren Rauchern auch Werte bis zu 15% CO-Hämoglobin (!). ! Die Thalassämien kommen durch quantitative Störungen der Globinkettenproduktion zustande.
Bei den Thalassämien ist die Biosynthese eines der beiden Kettentypen des Hämoglobins in den Erythroblasten des Knochenmarks gestört. Die homozygote Form (Thalassämia major) hat früher bereits im Kindesalter zum Tode geführt, heute hat die Lebenserwartung der Patienten aufgrund verbesserter Kenntnisse über die Erkrankung deutlich zugenommen. Genträger, also Individuen, die die heterozygote Form (Thalassämia minor) aufweisen, haben eine mikrozytäre Anämie, die keine Symptome verursacht. Aus diesem Grunde besitzen die Identifizierung von Genträgern und genetische Beratung für die Familienplanung von Betroffenen eine große Bedeutung. α-Thalassämien. Deletionen treten häufiger in der DGlobinfamilie auf, da der gesamte Komplex Sequenzhomologien aufweist und die Verdoppelung der E- und D-Gene (. Abb. 29.17) die Wahrscheinlichkeit der Fehlanlagerung während der Meiose erhöhen kann. Eine ungleiche Überkreuzung kann zu Chromosomen mit einer Überzahl oder verringerten Anzahl von D-Genen führen. Die Tatsache, dass vier D-Gene (jeweils zwei auf jedem Chromosom 16) existieren, erklärt, warum D-Thalassämien i. Allg. weniger dramatisch verlaufen als E-Thalassämien (. Abb. 29.17). Die homozygote D-Thalassämie, die zum Hydrops fetalis (Morbus haemolyticus neonatorum) und zum Tod in utero führt, beruht auf einer Deletion aller vier Globingene. Die Hämoglobin-H-Erkrankung, eine milde, hypochrome, hä-
. Abb. 29.17. Erscheinungsformen der α-Thalassämien. Alle vier Genloci werden gleich stark exprimiert. Die Existenz von vier a-Genen erklärt, warum die a-Thalassämien i. Allg. – mit Ausnahme der homozygoten Form – klinisch weniger dramatisch verlaufen als die E-Thalassämien. Der Verlust von 1, 2 oder 3 Genen wird zumindest teilweise durch die übrigen kompensiert
molytische Anämie, ist in vielen Fällen auf die Deletion von drei D-Genen zurückzuführen. Die beiden heterozygoten Zustände werden durch die Deletion von einem oder zwei D-Genen verursacht. Durch die Störung der Biosynthese der D-Ketten ist nicht nur die Produktion von HbA1, sondern auch von HbA2 und HbF verringert. Beim Embryo treten die überschüssigen J-Ketten wegen der eingeschränkten DKettenbiosynthese zu γ4-Tetrameren (Hb J4 oder HbBart) zusammen. Da nach der Geburt die J-Ketten durch E-Ketten ersetzt werden, bilden E-Ketten, die keine D-Ketten zur Bildung des normalen D2E2-Hämoglobins finden, β4-Tetramere (HbH). HbBart und HbH zeigen keinen Bohr-Effekt mehr, sind unstabil und neigen zu Verklumpungen, wodurch die normale Lebensdauer der Erythrozyten, die bizarre Formen aufweisen können, herabgesetzt wird. β-Thalassämien. Im Gegensatz zur D-Thalassämie wird die E-Thalassämie erst einige Wochen oder Monate nach der Geburt manifest, wenn die J-Ketten durch E-Ketten ersetzt werden. Da die Biosynthese dieser Ketten jedoch reduziert ist (E+) oder überhaupt nicht stattfindet (E°), treten überschüssige D-Ketten mit – auch im Erwachsenenalter bei der E-Thalassämie weiter synthetisierten – J- oder
971 29.2 · Erythrozyten
G-Ketten zusammen, wodurch bei der heterozygoten Form der Prozentsatz von HbA2 (D2G2) auf 4–6% (normal 2–3%) und von HbF (D2J2) auf 0,5–6% (normal nicht vorhanden) erhöht ist. Es werden keine D4-Tetramere gebildet. Die Instabilität der Erythrozyten von Patienten mit Thalassämien ist zumindest teilweise dadurch bedingt, dass freie D- und E-Ketten wesentlich rascher als im Tetramerverband des normalen Hämoglobins autoxidieren. Dadurch wird entsprechend mehr Superoxidanion gebildet und die Kapazität des Dismutasesystems überschritten, sodass Schäden an der Erythrozytenmembran durch die Peroxidation von Membranlipiden und SH-Gruppen von Proteinen resultieren. Die vermehrte Produktion von HbA2 und HbF reicht jedoch nicht zur Kompensation der verringerten EGlobinsynthese aus. Gleichzeitig wird die Erythropoiese erheblich gesteigert (bis zum Faktor 10), aufgrund des Überschusses an D-Ketten ist sie jedoch ineffektiv, d.h. die erythrozytären Vorläufer gehen im Knochenmark durch Apoptose (7 Kap. 7.1.5) zugrunde. Als wesentliche Komplikation der homozygoten bzw. gemischt-heterozygoten schweren Form der Thalassämie tritt aufgrund der ineffektiven Erythropoiese eine Überladung des Organismus mit Eisen (sekundäre Eisenüberladung) auf: der bei den Patienten zu beobachtende Abfall des Hepcidinspiegels führt dazu, dass im Gastrointestinaltrakt vermehrt Eisen resorbiert wird. Dadurch kommt es zu einer Eisenakkumulation mit konsekutiver Funktionsstörung von Herz, Leber und endokrinen Organen. ! Punktmutationen in Exonbereichen der Globingene führen zu qualitativ veränderten Hämoglobinen.
Abweichungen der normalen Sequenz der Globinketten werden bei etwa jedem 600sten Menschen beobachtet. Inwieweit der Austausch einer Aminosäure Einfluss auf die Struktur und Funktion des Hämoglobins besitzt, hängt davon ab, welcher Art die Substitution ist (z.B. Austausch einer hydrophoben durch eine hydrophile Aminosäure), und ob die ausgetauschte Aminosäure an der Oberfläche oder im Inneren des Moleküls liegt. Hämoglobinanomalien werden autosomal-rezessiv vererbt. Bei heterozygoten Trägern, die zur Hälfte ein normales und ein pathologisches Hämoglobin besitzen, reicht die Menge des normalen Hämoglobins zur Sauerstoffversorgung der Gewebe aus, während bei homozygoten Trägern schwere Anämien und in vielen Fällen der Tod eintreten. Die anomalen Hämoglobine werden
. Tabelle 29.6. Genetische Störung der Aminosäuresequenz von Hämoglobinen (Auswahl aus über 250 bekannten Varianten) Hämoglobin
Substitution
Resultierende Störung
HbS
E6
Glu o Val
Sichelzellbildung
Chesapeake
D92
Arg o Leu
O2-Affinität erhöht
Seattle
E70
Ala o Asp
O2-Affinität reduziert
Nagoya
E97
His o Pro
instabil mit Hämolyse
Barcelona
E94
Asp o His
Erythrozytose (Polyzythämie)
Iwate
D87
His o Tyr
Methämoglobinbildung mit Zyanose
mit den großen Buchstaben des Alphabets oder mit dem Klinik-, Ortschafts- oder Patientennamen bezeichnet, der mit ihrer erstmaligen Beschreibung in Zusammenhang steht (. Tabelle 29.6). Die Mutation wird entweder auf DNA-Ebene (z.B. GAG o GTG) oder Proteinebene (E6Glu o Val oder Glu6Val) beschrieben, d.h. in diesem Fall ist der Glutamylrest in Stellung 6 der E-Ketten durch einen Valylrest ersetzt. ! Das Sichelzellgen schützt heterozygote Träger vor einer Malariainfektion.
Bei der homozygoten Form der Sichelzellkrankheit (HbS/ HbS) kommt es im peripheren, d.h. sauerstoffarmen Blut zum Auftreten sichelförmiger Erythrozyten. Ursache ist eine Polymerbildung des desoxygenierten HbS, die durch die Substitution des hydrophilen Glutamats durch das hydrophobe Valin in Position 6 an der Oberfläche der ß-Kette zustande kommt (HbS = D2E26Glu o Val). Die Sichel-Erythrozyten adhärieren in der postkapillären Venule der Mikrozirkulation und führen dort zu einem (schmerzhaften) Gefäßverschluss. Weiterhin werden die irreversibel geschädigten Erythrozyten rasch abgebaut, sodass eine Anämie entsteht. Der Selektionsvorteil heterozygoter Träger der HbS-Anlage beruht darauf, dass Erythrozyten, die den Malariaparasiten enthalten, sehr viel leichter als nicht infizierte Zellen sicheln, da sie einen niedrigeren pH-Wert aufweisen. Mit dem Sicheln im sauerstoffarmen Blut ist die Aktivierung des Kalium-Efflux-Kanals verbunden, der zum Verlust von Kaliumionen und dadurch zum Tod des Parasiten führt.
In Kürze Erythrozyten sind für den Transport von Sauerstoff und Kohlendioxid im Blut verantwortlich. Die Nieren messen den peripheren Sauerstoffgehalt über den Hypoxie induzierbaren Faktor (HIF) und regulieren die Erythrozytenproduktion im Knochenmark über Erythropoietin. Der Ery-
throzyt bezieht seine Energie aus der ausschließlichen Verstoffwechselung von Glucose. Diese Energie wird zur Aufrechterhaltung von Ionengradienten und zum Schutz vor oxidativem Stress benötigt. Erythrozyten sind formflexibel und besitzen eine komplex aufgebaute Membran. Ver6
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972
Kapitel 29 · Blut
schiedene angeborene Enzym- oder Membrandefekte führen zum frühzeitigen Abbau (Hämolyse), der bei unzureichender Kompensation durch eine Steigerung der Erythopoiese eine Anämie hervorrufen kann. Bei der erworbenen paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie wird ein GPI-Ankerprotein nicht mehr gebildet, sodass die Erythrozyten besonders empfindlich gegenüber Komplementfaktoren werden. Hämoglobin transportiert Sauerstoff, Kohlendioxid, Protonen und möglicherweise auch Stickoxid. Bei der Geburt erfolgt eine Umschaltung vom fetalen auf das Erwachsenen-Hämoglobin mit veränderten funktionellen Eigenschaften. Die Sauerstoffanlagerungskurve wird durch Temperatur, pH-Wert, CO2-Druck und 2,3-Bisphosphoglycerat beeinflusst. Hämoglobin stellt aufgrund seiner hohen Konzentration ein wichtiges Puffersystem dar. Längerfristige Erhö-
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hungen des Plasma-Glucosespiegels erhöhen die Glycohämoglobinkonzentration im Erythrozyten. Letale CO-Vergiftungen beruhen auf der extrem hohen Affinität von Kohlenmonoxid zu Hämoglobin. Die Thalassämien kommen durch quantitative Störungen der Globinkettenproduktion zustande. Punktmutationen in Exonbereichen der Hämoglobinketten führen zu Hämoglobinopathien: die häufigste ist die Sichelzellanämie, die im heterozygoten Zustand vor Malaria schützt und im homozygoten Zustand zu Gefäßverschlüssen und Anämie führt. Die unterschiedlichen Blutgruppenantigene A, B und 0 (auch als H bezeichnet) werden durch die individuell unterschiedliche Ausstattung mit Glycosyltransferasen verursacht. Die Rhesusantigene werden nicht durch Kohlenhydrate, sondern durch Proteine codiert.
29.3
Leukozyten
! Neutrophile Granulozyten müssen an das Endothel adhärieren, bevor sie die Zirkulation verlassen.
29.3.1
Funktion und Stoffwechsel der Leukozyten
Die Adhäsion und die sich daran anschließende Wanderung durch das Endothel finden vor allem in den postkapillären Venolen statt. Dieser Prozess ist mit charakteristischen Änderungen der Granulozytenmorphologie verbunden. Der schwimmende Granulozyt gerät zuerst in kurzen Kontakt mit der Gefäßwand, verlangsamt daraufhin seine Bewegung und rollt sich am Endothel entlang. Einige Zellen lösen sich wieder von der Gefäßwandoberfläche, wohingegen andere zu einem Stillstand kommen und ihre Gestalt innerhalb von Sekunden ändern, indem sie eine abgeflachte, adhärente Struktur annehmen. Innerhalb der nächsten Minuten wandern die Zellen zwischen den Endothelzellen hindurch in das Gewebe (. Abb. 29.18). Der entscheidende Faktor für die Rekrutierung dieser Granulozyten sind Wechselwirkungen zwischen den Zellen und dem Endothelium. Für das Andocken an die Endotheloberfläche sind lektinähnliche, Kohlenhydrat-bindende Proteine, die sog. Selectine (7 Kap. 6.2.6) verantwortlich. 4 L-Selectin findet sich auf den meisten Leukozyten 4 wohingegen E-Selectin von Endothelzellen nach Aktivierung durch Cytokine synthetisiert und exprimiert wird 4 P-Selectin wird vom aktivierten Endothel und von Thrombozyten (Plättchen) exprimiert
Je nach Gestalt, Funktion und Biosyntheseort unterscheidet man Granulozyten, Lymphozyten und Monozyten. Da nur 1% der Lymphozyten in der Blutbahn kreist, ist der Lymphozyt streng genommen eine Gewebezelle und wird deshalb im Kap. Immungewebe (7 Kap. 34) besprochen. ! Die Granula neutrophiler Granulozyten enthalten eine Vielzahl verschiedener Enzyme.
Unter den Granulozyten (neutrophile, eosinophile und basophile) kommt den Neutrophilen eine Schlüsselstellung bei der Infektabwehr zu. Die neutrophilen Granulozyten – auch als polymorphkernige Leukozyten bezeichnet – phagozytieren stark, sind reich an in Granula (Name!) verpackten Hydrolasen [Proteasen wie Elastase (7 Kap. 6.2.7), Kollagenase oder Kathepsin G; Lysozym (Muraminidase, 7 Kap. 4.3)] und können mit diesen und anderen Enzymen Bakterien auflösen. Bei der Reifung im Knochenmark macht der Granulozyt mehrere Phasen durch, wobei ab der zweiten Phase (also mit Ausnahme der Myeloblasten, die noch keine Granula besitzen) das Enzym Myeloperoxidase (7 u.) nachgewiesen werden kann. Während des Reifungsprozesses nimmt die Anzahl der Mitochondrien ab, während Glycogenspeicherung und Glycolyserate zunehmen. Der Energiegewinn durch Glycolyse bietet dem Granulozyten insofern einen Vorteil, als mit Hilfe dieses Stoffwechselwegs Energie auch unter anaeroben Bedingungen wie im hypoxischen, entzündeten Gewebe gewonnen werden kann.
Jedes dieser Selectine erkennt spezifische Kohlenhydratsequenzen auf Leukozyten (so z.B. E-Selectin das sLex-Molekül) oder dem Endothel. Selectine sind für diese Andockungsfunktion gut geeignet, da sie lang ausgestreckt sind, sodass Leukozyten, die den entsprechenden Rezeptor auf-
973 29.3 · Leukozyten
. Abb. 29.18. Prozesse, die zur Auswanderung von neutrophilen Granulozyten aus dem Blutgefäßsystem bei Entzündungen führen. Im ersten Schritt kommt es zu einer lockeren Anhaftung, die über ICAM-1 und E-Selectin auf Endothelzellen vermittelt wird. Im zweiten Schritt wird diese Adhäsion durch zusätzliche Adhäsionsmoleküle, wie sLe auf Endothelzellen oder die L-Selectine auf Granulozyten, intensi-
viert. Dies ist die Voraussetzung für die Wanderung der Granulozyten zwischen zwei Endothelzellen hindurch durch die Gefäßwand. Von Makrophagen freigesetzte Mediatoren wie Interleukine, chemotaktische Substanzen des Komplementsystems oder Leukotriene fördern die gerichtete Wanderung der durchgetretenen Granulozyten in den Entzündungsbereich
weisen, eingefangen werden können. Die vorübergehende Natur dieser Wechselwirkung ist wichtig, da Leukozyten das Endothel auf spezifische Auslösefaktoren absuchen können, welche zu einer Aktivierung der Leukozyten und damit zu einer Auswanderung in entzündete Gewebe führen. Fehlen solche Faktoren, so führt die nur leichte Bindung an Selectine zu einer schnellen Lösung, sodass die Leukozyten im Blut weiterschwimmen können. Die feste Anhaftung an das Endothel wird durch Adhäsionsmoleküle vermittelt, die als Integrine bezeichnet werden (7 Kap. 6.2.6, 24.5.3). Dazu gehören die E2-Integrine LFA-1 (Lymphozytenfunktion assoziiertes Antigen, CDLFA/CD 18), MAC-1 (Leukozyten-Adhäsionsrezeptor, CD 11 B/CD 18) und das E1-Integrin VLA-4, die am CAM-Molekül (7 Kap. 6.2.6) wie ICAM-1 oder 2 an Endothelzellen binden (. Abb. 29.18). Diese Integrine auf zirkulierenden Leukozyten binden nur dann gut an Endothelien, wenn ihre Bindungsaktivität durch Aktivierung erhöht wird. Diese Aktivierung erfolgt durch Signale, die vorwiegend von Endothelzellen freigesetzt werden und als chemotaktisch aktive Cytokine (Chemokine wie z.B. Interleukin-8) bezeichnet werden. Nach Adhäsion an das Endothel wandern Leukozyten unter dem Einfluss von Chemokinen in das Gewebe. Dazu gehören auch Fragmente des Komplementsystems wie C5a (7 Kap. 34.4) oder das Leukotrien B4. Unter dem Einfluss lokal gebildeter Entzündungsfaktoren, wie z.B. Tumor-
nekrosefaktor D (7 Kap. 25.8.2) oder Interleukin-1 werden interzelluläre Adhäsionsmoleküle (wie z.B. ICAM-1) auf Endothelzellen verstärkt exprimiert, sodass noch mehr Leukozyten aus dem Blutstrom rekrutiert werden können. Auf chemotaktische Reize ändern die Neutrophilen nach Einwanderung in das Gewebe ihre Gestalt, richten sich nach dem Gradienten aus und bewegen sich kontinuierlich auf den Ausgangspunkt der chemoattraktiven Substanz zu. Nach Kontakt mit dem Fremdkörper wird dieser von Cytosolausläufern (Pseudopodien) des Granulozyten umgeben und in den Zell-Leib aufgenommen. Dadurch, dass die Pseudopodien an der distalen Seite des Mikroorganismus fusionieren, entsteht eine von der Zellmembran umschlossene Phagozytosevakuole (als Phagosom bezeichnet), in die das Bakterium eingekapselt ist. Dieses Phagosom löst sich von der Zellperipherie und wandert zelleinwärts. Die Aufnahme eines Fremdkörpers stellt einen energieabhängigen Vorgang dar, der mit einer Aktivitätserhöhung ATP-produzierender Prozesse einhergeht. ! Degranulierung und Erzeugung hochaktiver Sauerstoffverbindungen ermöglichen die Vernichtung von Bakterien.
Die Aktivierung des Granulozyten bewirkt die Bildung von zwei intrazellulären Botenstoffen, des Inositol-1,4,5-tris-
29
974
Kapitel 29 · Blut
phosphats und des Diacylglycerins. Während Inositoltrisphosphat Calcium aus intrazellulären Speichern mobilisiert, aktiviert Diacylglycerin Protein C-Kinasen, die ihrerseits Cytoskelett-Proteine wie Aktin, Aktin bindende Proteine, Profilin, Acumentin oder Gelsolin phosphorylieren. Das von Filamenten dieser Proteine gebildete Netzwerk bestimmt den physikalischen Zustand des Cytosols und damit die Bewegung der Pseudopodien und die Phagozytose. Anschließend verschmelzen die Granula des Granulozyten mit dem Phagosom und verschwinden aus dem Cytosol (Degranulierung). Dabei ergießen sich die Enzyme der primären und sekundären Granula wie 4 Lysozym zur Zerstörung der Bakterienwand (osmotischer Schock!) 4 neutrale und saure Hydrolasen sowie 4 Lactoferrin, das Eisen cheliert und damit den Mikroorganismen dieses für ihr Wachstum wichtige Metall entzieht
29
in die Vakuole, ohne jedoch in das Cytosol der Zelle zu gelangen. Gleichzeitig nimmt der nicht-mitochondriale Sauerstoffverbrauch des Granulozyten innerhalb von Sekunden auf das hundertfache (sog. respiratory burst) zu, da durch eine in der Plasmamembran lokalisierte NADPH- Oxidase Sauerstoff nach Reaktion
Aktivierung aus dem Cytosol rekrutiert werden. Im Einzelnen handelt es sich um 4 Einen trimeren Proteinkomplex aus den Proteinen p47, p40 und p67. Diese werden nach Phosphorylierung durch die Proteinkinase C an p22 gebunden und sind eine Voraussetzung für die Aktivität der NADPH-Oxidase 4 Das kleine G-Protein Rac-2. Aktivierende Signale lösen den Austausch von GDP gegen GTP aus, was ebenfalls von der Bindung an p22 gefolgt ist und die Aktivierung der Oxidase auslöst Das Superoxidanion wird durch die Superoxiddismutase (7 Kap. 15.3) zu Wasserstoffperoxid reduziert oder kann mit bereits gebildetem Wasserstoffperoxid unter Bildung hochaktiver Hydroxylradikale (OH) reagieren:
Unter dem Einfluss des bereits erwähnten Enzyms Myeloperoxidase werden Chloridionen (oder auch Jodid) durch Wasserstoffperoxid unter Bildung von Hypochloritionen oxidiert:
zum Superoxidanion (O2–) reduziert wird. Die NADPH-Oxidase ist ein Proteinkomplex aus katalytisch aktiven und regulatorischen Komponenten (. Abb. 29.19). In der Membran trägt die Untereinheit p91 die katalytische Aktivität. Sie ist ein Flavoprotein und verfügt außerdem über zwei Cytochrom b558 -Gruppen, die für den Elektronentransport zum Sauerstoff verantwortlich sind. Die regulatorische Untereinheit p22 ist ebenfalls membrangebunden. Sie bindet eine Reihe von Faktoren, die bei der
Diese Sauerstoffverbindungen verursachen die Peroxidation von Membranlipiden (Radikalreaktionen, 7 Kap. 15.3) des Bakteriums. Wasserstoffperoxid wird auch durch eine D-Aminosäureoxidase (7 Kap. 13.3.4) erzeugt, die bei der Vereinigung eines bakterienhaltigen Phagosoms mit einem Peroxisom die Oxidation von D-Aminosäuren der Bakterienwand katalysiert. Da H2O2 biologische Membranen relativ gut permeieren kann und dadurch aus dem Phagosom ins Cytosol gelangt, muss der Granulozyt sich durch Katalase (in Peroxisomen, 7 Kap. 6.2.10) und Glutathionabhängige Enzymsysteme (7 Kap. 15.3) vor H2O2 schützen.
. Abb. 29.19. Aufbau des NADPH/H+-Oxidase-Systems in der Plasmamembran des Granulozyten. Der membrangebundene Komplex aus den Proteinen p91 und p22 wird durch Rekrutierung cytoplasmatischer Proteine aktiviert. Die aktivierenden Signale lösen
die Phosphorylierung der p67 Untereinheit des p47/p40/p67-Komplexes und dessen Bindung an p22 aus. Außerdem führen sie zur Aktivierung von Rac-2 und dessen Bindung an p22. Erst dann ist die Oxidase aktiv. (Weitere Einzelheiten 7 Text)
975 29.3 · Leukozyten
Das durch H2O2 oder Lipidperoxide oxidierte Glutathion wird durch mit dem Pentosephosphatweg gekoppelte Enzyme regeneriert. Sauerstoffradikale können auch mit D1-Antitrypsin reagieren und diesen Proteaseinhibitor durch Oxidation eines entscheidenden Methionylrests inaktivieren. Während diese Reaktion für die Bakterienabtötung keine Rolle spielt, kann sie bei Gewebeschädigungen durch Entzündungen mit Granulozytenaktivierung von Bedeutung sein. Das Schicksal des neutrophilen Granulozyten ist mit dem der abgetöteten Bakterien unlösbar verbunden: Die mit den Enzymen angefüllte Phagozytenvakuole kann nicht mehr aus der Zelle entfernt werden; nach einigen Stunden wird ihre Wand durchlässig, der Inhalt ergießt sich in die Zelle und zerstört sie. Man bezeichnet das Phagosom deshalb auch als »suicide bag«. In neutrophilen Granulozyten übt das Cytoskelett-assoziierte Protein Pyrin (auch als Marenostrin bezeichnet) eine hemmende Wirkung auf die Stimulationskaskade der Granulozyten aus, sodass nur starke proinflammatorische Stimuli eine Aktivierung bewirken können. Gleichzeitig fördert Pyrin die Bildung antiinflammatorischer Inhibitoren, z.B. des C5a-Inhibitors, wodurch die Entzündungsreaktion reguliert wird. Mutationen im Pyringen beim familiären Mittelmeerfieber verursachen eine überschießende Aktivierung und Migration von Neutrophilen, die sich klinisch durch Fieber, Bauch- und Rippenfell- sowie Gelenkentzündungen manifestiert. Auch eosinophile und basophile Granulozyten besitzen die Fähigkeit zur Phagozytose. Dadurch sind diese Zellen ebenfalls an Abwehrreaktionen (z.B. Wurminfektionen) beteiligt. ! Makrophagen besitzen eine Funktion als Antigen präsentierende Zellen.
Aus den Monozyten, die ebenfalls im Knochenmark gebildet werden, differenzieren sich die Gewebemakrophagen. Dabei nehmen sie unter Änderung ihrer Morphologie und ihres Stoffwechsels Eigenschaften an, die für das betreffende Gewebe charakteristisch sind. So gewinnen die Makrophagen in den Lungenalveolen ihre Energie vorwiegend durch oxidative Phosphorylierung, während Makrophagen im Peritoneum sie aus der Glycolyse beziehen. Der Ersatz von Gewebemakrophagen wird hauptsächlich durch den Zustrom von Blutmonozyten bestimmt, von einigen Ausnahmen – wie z.B. den Kupffer-Zellen – abgesehen, die sich in situ reduplizieren können. Monozyten enthalten wie die neutrophilen Granulozyten cytosolische Granula, in denen sich Peroxidase und lysosomale Enzyme befinden. Nach Aufnahme in die Gewebe und Differenzierung zum Makrophagen verschwinden die Peroxidase-haltigen Granula, wohingegen die lysosomalen Enzyme weiterhin synthetisiert werden, dann aber in kleineren Vesikeln verpackt sind. Makrophagen nehmen durch ihre Fähigkeit zur Erkennung, Phagozytose, Prozessierung und Präsentation von Antigenen eine Schlüsselfunktion im Immunsystem ein
(7 Kap. 34). Sie interagieren dabei v.a. mit T-Lymphozyten. Durch die Existenz von membranständigen Fc-Rezeptoren (die den Fc-Anteil von IgG-Antikörpern binden, 7 Kap. 34.3.4) und Rezeptoren für Komplementfaktoren werden v.a. die Antigene von Makrophagen leicht aufgenommen, die opsoniert worden sind, d.h. mit Antikörper und Komplement beladen sind. Im Rahmen der Phagozytose wird das Antigen internalisiert und durch proteolytische Enzyme zu Aminosäuren abgebaut. Ein kleiner Anteil des aufgenommenen Antigens entgeht jedoch dem vollständigen Abbau durch Proteasen, sodass Antigenfragmente zusammen mit MHC-II (HLH-)-Proteinen (7 Kap. 34.2.2) in die Plasmamembran verlagert werden (Antigenpräsentation). Dieser bimolekulare Komplex wird jetzt von T-Lymphozyten erkannt, die natives, frei zirkulierendes Antigen nicht erkennen können. Die Erkennung führt zu einem direkten Zell-Zell-Kontakt zwischen T-Lymphozyten und Makrophagen, infolge dessen Interleukin-1, ein Polypeptid mit einem Molekulargewicht von etwa 17 kD, vom Makrophagen sezerniert wird. Dieses Lymphokin bindet an Interleukin 1-Rezeptoren des T-Lymphozyten und stimuliert diesen zur Sekretion von Interleukin-2 (7 Kap. 25.5.2) und Immun- oder J-Interferon (7 Kap. 25.8.4), das weitere Makrophagen aktiviert. T-Lymphozyten erkennen somit – im Gegensatz zu B-Lymphozyten – antigene Determinanten (Epitope, 7 Kap. 34.2.1) nicht an nativen Polypeptiden, sondern nur in denaturierten Proteinfragmenten. ! Cytokine aktivieren die Akutphase-Antwort.
Verschiedene Cytokine wie Interleukin-6, Interleukin-1, Tumornekrose-Faktor-D, Interferon-J, TGF-ß oder Interleukin-8 werden während entzündlicher Vorgänge gebildet und stellen die Haupt-Stimulatoren der sog. AkutphaseAntwort dar. Diese Cytokine werden von einer Vielzahl verschiedener Zellen gebildet (Hepatozyten, Endothelzellen, Keratinozyten etc.), die wichtigsten sind aber die Makrophagen und Monozyten in Entzündungsregionen. Die Akutphase-Antwort stellt eine koordinierte Reaktion des Organismus auf Infektionen oder Gewebeverletzungen dar. Zu dieser Reaktion (. Abb. 29.20) gehören: 4 Ein Anstieg der Biosynthese von etwa 30 Plasmaproteinen, den sog. Akutphase-Proteinen. Unter diesen stellt das C-reaktive Protein (CRP) das klinisch wichtigste dar (7 Kap. 29.6.4) 4 ein Anstieg der neutrophilen Granulozyten 4 ein Abfall der Eisen- und Zinkkonzentration im Plasma, der eine vermehrte Freisetzung von Lactoferrin (7 Kap. 29.3.1) aus neutrophilen Granulozyten mit anschließender Sequestrierung als Eisen-LactoferrinKomplex zugrunde liegt 4 eine Steigerung der Proteolyse im Muskel mit Freisetzung von Aminosäuren sowie 4 eine Temperaturverstellung im Wärmeregulationszentrum des Hypothalamus (Fieber als physiologische Antwort auf Infektionen)
29
976
Kapitel 29 · Blut
. Abb. 29.20. Die Akutphase-Antwort. (Einzelheiten 7 Text)
29
Darüber hinaus stimuliert Interleukin-1 die ACTH- und Cortisolsekretion (7 Kap. 27.3). Die Aktivierung durch J-Interferon führt u.a. zur Freisetzung eines für Tumorzellen zytotoxischen Polypeptids (Molekularmasse 17,3 kD) aus dem Makrophagen, das als Tumornekrosefaktor-D (TNF-D, 7 Kap. 25.8.2) oder auch Kachektin bezeichnet wird. Das Polypeptid tötet in vitro Tumorzellen ab und verursacht bei Versuchstieren Nekrosen in transplantierten Tumoren. Es unterdrückt auch die Expression der Lipoproteinlipase (7 Kap. 12.1.3) und verhindert dadurch die Aufnahme und Speicherung von Triacylglycerinen durch das Fettgewebe. Bei Versuchstieren führt rekombinanter TNF-D zu Appetit- und Gewichtsverlust, daher auch das Synonym Kachektin für dieses Molekül.
der Fälle wird die chronische Granulomatose X-chromosomal, in den übrigen 40% autosomal-rezessiv vererbt. Die Diagnose wird durch einen funktionellen Test gestellt, der die respiratorische Aktivität misst: Normalerweise wird der NBT-Test verwendet, dem die Reduktion des Farbstoffs Nitroblautetrazolium (NBT) zu einem violetten, unlöslichen Präzipitat durch das unter der Einwirkung der aktivierten NADPH/H+-Oxidase gebildeten Wasserstoffperoxids zugrunde liegt. Da bei der chronischen Granulomatose keine NBT-Reduktion nachweisbar ist, muss die NADPH/H+-Oxidaseaktivität gestört sein. Biochemisch kann diese fehlende Aktivität durch ein defektes Enzymprotein oder auch durch einen gestörten Aktivierungsmechanismus verursacht werden. Dies wird durch den oben erwähnten unterschiedlichen Vererbungsmechanismus unterstrichen. So sind Mutationen als Ursache der septischen Granulomatose bei Patienten nicht nur im Gen für die 91 kD- und 22 kD-Untereinheiten des Enzyms beschrieben worden, sondern auch in den Genen für die 47 und 67 kD-Untereinheiten des Aktivatorproteins (. Abb. 29.19). In Kürze Neutrophile Granulozyten müssen unter Vermittlung von Selectinen an das Gefäßendothel adhärieren, bevor sie das Gefäßsystem verlassen können. Die Granula der Granulozyten enthalten Enzyme, mit denen sie Bakterien vernichten können. Dazu ist auch die Erzeugung reaktiver Sauerstoffverbindungen erforderlich, die unter dem Einfluss der Enzymsysteme NADPH/H+-Oxidase und Myeloperoxidase erfolgt. Makrophagen besitzen eine Schlüsselfunktion im Immunsystem als Antigen präsentierende Zellen.
29.4 29.3.2
Thrombozyten
Pathobiochemie ! Thrombozyten sind für die Blutstillung zuständig.
! Bei der septischen Granulomatose können die NADPH/ H+-Oxidase oder deren Aktivierung gestört sein.
Von den zahlreichen bekannten Störungen der Funktion polymorphkerniger Leukozyten ist die chronische granulomatose Erkrankung (septische Granulomatose) am besten untersucht. Klinisch stellt sie die wichtigste der verschiedenen Defekte des oxidativen Stoffwechsels des Granulozyten dar. Die Krankheit ist durch das Fehlen eines vermehrten Sauerstoffverbrauchs bei der oben diskutierten Reaktion auf Phagozytosestimuli gekennzeichnet. Die Leukozyten phagozytieren zwar die Mikroorganismen, können sie aber nicht abtöten. Die Patienten leiden deshalb an immer wieder auftretenden Infektionen mit Pilzen und Bakterien. Als Folge der chronischen Entzündung treten die für die Krankheit charakteristischen Granulome auf. In 60%
Thrombozyten (Plättchen) entstehen durch Abschnürung aus dem Cytosol von Megakaryozyten des Knochenmarks. Dabei verformen sich diese Zellen und bilden Ausläufer, die sich zunehmend verlängern und den Megakaryozyten ein tintenfischartiges Aussehen verleihen. Aus diesen Ausläufern werden die Blutplättchen abgeschnürt. Das periphere Blut enthält 150.000–450.000 Thrombozyten pro Mikroliter. Die Regulation der Thrombozytenbildung unterliegt vor allem dem in Leber und Nieren gebildeten Thrombopoietin, das an den c-MPL-Rezeptor der Megakaryozyten bindet. Thrombozyten besitzen die im Cytosol lokalisierten Enzyme der Glycolyse und des Pentosephosphatwegs sowie Mitochondrien, die sie zur Ausführung der enzymatischen Schritte des Citratzyklus und der Elektronentransportphosphorylierung befähigen. Da sie noch
977 29.4 · Thrombozyten
. Tabelle 29.7. In Thrombocytengranula gespeicherte Moleküle Dichte Granula (proaggregierende Faktoren)
α-Granula (adhäsive u. heilende Faktoren)
Lysosomen (abbauende Faktoren)
Nucleotide
Adenin: ATP, ADP Guanin, GTP, GDP
Amine divalente Kationen
Serotonin, Histamin Calcium, Magnesium
Proteoglykane
E-Thromboglobulin, Plättchenfaktor 4, histidinreiches Glycoprotein
adhäsive Glycoproteine
Fibronektin, Vitronektin, von-Willebrand-Faktor, Thrombospondin
Gerinnungsfaktoren
Fibrinogen, Faktor V, VII, XI, XII, Protein S, Plasminogen
Wachstumsfaktoren
PDGF, TGF-E, EGF, VEGF
Protease-Inhibitoren
D2-Antitrypsin, D2-Makroglobulin
saure Proteasen
Cathepsine, Carboxypeptidasen, Collagenase
Glycohydrolasen
Heparinase, E-Glucoronidase etc.
(mitochondriale) DNA und stabile RNA besitzen, können Blutplättchen in geringem Maß Proteine, wie z.B. den Fibrin-stabilisierenden Faktor (Faktor XIII, 7 Kap. 29.6.4), synthetisieren. Die Glycolyse wird teilweise durch Glucoseaufnahme aus der Umgebung, zum überwiegenden Teil aber durch eigene Glycogenvorräte gespeist. Die aus dem Glucose- und auch Fettsäureabbau gewonnene Energie dient 4 der Erhaltung der Thrombozytenstruktur (Lebensdauer 8–11 Tage) 4 den plasmatischen Vorgängen der Blutstillung, der Hauptfunktion der Blutplättchen (Aktivierung des Plättchens) und 4 der Speicherung verschiedener Substanzen, zu denen biogene Amine (Serotonin), Prostaglandine, Plasmaproteine, Polypeptid-Wachstumsfaktoren und lysosomale Enzyme gehören In den Thrombozyten werden diese Substanzen in den dichten Granula, D-Granula oder Lysosomen gespeichert (. Abb. 29.21). Jede der Granulapopulationen speichert bestimmte Moleküle (. Tabelle 29.7): Die dichten Granula enthalten kleine Nichtprotein-Moleküle, die bei der Plättchenaggregation der Rekrutierung weiterer Plättchen dienen, die D-Granula enthalten große Proteine mit adhäsiver oder mitogener Aktivität. Lysosomen besitzen wie in anderen Zellen Hydrolasen. Neben den Granula enthalten Thrombozyten ein Cytoskelett (Aktinfilamente und Mikrotubuli) sowie komplexe Membransysteme: das sog. offene kanikuläre System schafft die Verbindung zwischen Cytosol und dem umgebenden Medium und das dichte Tubulussystem (DTS) enthält eine Reihe wichtiger Enzyme. So wird hier unter dem Einfluss der Enzyme Cyclooxygenase
und Thromboxan-Synthetase Thromboxan gebildet. Bei der Thrombozytenaggregation wird Thromboxan freigesetzt und bindet an den Thromboxan-Rezeptor der Plättchenmembran, was über eine autokrine Stimulation zu einer Verstärkung der Plättchenaktivierung führt. Das DTS speichert auch Calcium und cycloAMP, die für die Plättchenaktivierung ebenfalls von entscheidender Bedeutung sind (7 Kap. 29.5.2). Ruhende Thrombozyten transportieren diese Substanzen ständig durch das Gefäßsystem (. Abb. 29.21). Als Reaktion auf verschiedene Stimuli (siehe unten) werden sie aktiviert, ändern durch Rearrangement des Cytoskeletts ihre Morphologie (. Abb. 29.21), setzen die Materialien aus den Granula frei und aggregieren untereinander (»Synapsenbildung«). Diese Freisetzungsreaktion, die große Ähnlichkeit mit der Exozytose in Neuronen aufweist (7 Kap. 31.2.2), stellt einen wichtigen Schritt bei der im Folgenden beschriebenen Blutstillung dar (7 Kap. 29.5). Die Membran des Thrombozyten enthält eine Reihe von Glycoproteinen (GPI bis IX in absteigendem Molekulargewicht), die Rezeptoren bilden: Glycoprotein Ib-V-IX ist ein konstitutiv aktiver Rezeptor für den von WillebrandFaktor, Glycoprotein Ia-IIa ein konstitutiv aktiver Kollagen-Rezeptor und Glycoprotein IIb-IIIa ist ein Rezeptor, der erst nach Aktivierung des Thrombozyten durch Konformationsänderung Fibrinogen erkennt. Aus Thrombozyten können Mikropartikel (auch als »Plättchenstaub« bezeichnet) abgeschnürt werden, die Wechselwirkungen von Leukozyten untereinander und von Leukozyten und Gefäßendothelien vermitteln können. ! Die partielle Hemmung der Thrombozytenfunktion stellt ein wichtiges therapeutisches Prinzip dar.
29
978
Kapitel 29 · Blut
. Abb. 29.21. Elektronenmikroskopische Aufnahmen ruhender und aktivierender Thrombozyten. Oben: Rasterelektronenoptische Aufnahmen normaler zirkulierender Plättchen in Scheibenform (links × 20000) und aktivierter Thrombozyten, die viele lange Pseudopodien ausgebildet haben (rechts × 20000). Unten links: Schematische Darstellung der subzellulären Strukturen; Mitte dazugehörige elektro-
nenoptische Aufnahme (× 21000). Rechts: Darstellung eines aktivierten Plättchens mit einem Mikrotubulusring um die zentral angeordneten Granula und Ausbildung von Pseudopodien (× 30000). 1 kanikuläres System; 2 Mikrotubuli; 3 a-Granulum; 4 dichtes Granulum; 5 Glycogen; 6 Mitochondrium. (Aufnahmen von JG White, University of Minnesota)
29 Zur Prophylaxe von Thrombosen (z.B. Herz- oder Hirninfarkt), d.h. Thrombozytenaggregaten innerhalb der nicht eröffneten Strombahn, finden Acetylsalicylsäure (das die Thromboxansynthese durch irreversible Hemmung der Cyclooxygenase blockiert) sowie Hemmstoffe der thrombozytären ADP-Rezeptoren und Glycoprotein IIb-IIIABlocker Anwendung (7 Kap.29.5.2). In Kürze Thrombozyten, die durch cytosolische Abspaltung aus Megakaryozyten entstehen, besitzen eine überragende Bedeutung für die normale Hämostase und für die Entstehung von Thrombosen. Die Bildung von Thrombozyten wird durch Thrombopoietin reguliert, das an den c-MPL-Rezeptor von Megakaryozyten bindet. Bei Gefäßverletzungen vermitteln thrombozytäre Glycoprotein-Rezeptoren die Bindung an das subendotheliale Gewebe, was zu einer Aktivierung mit nachfolgender Aggregation der Thrombozyten führt. Medikamente, die die Thrombozytenfunktion hemmen, sind deshalb wichtig für die Therapie cardio- und cerebrovaskulärer Erkrankungen.
Infobox Automatisierte Bestimmung korpuskulärer Elemente des Blutes. Mit modernen Hämatologie-Analyzern können heute innerhalb von 5 Minuten komplette Blutzellzählungen durchgeführt werden: diese umfassen die Erythrozytenzahl (red blood cell count: RBC), die Leukozytenzahl (white blood cell count: WBC), die Thrombozytenzahl (PlateLeT count: PLT), den Hämatokrit (HCT), das mittlere Zellvolumen des Erythrozyten (MCV), den mittleren zellulären Hämoglobingehalt (MCHC) und die differenzierte Leukozytenzählung (Lymphozyten, Monozyten und Granulozyten). Daneben werden auch das mittlere Plättchenvolumen (MPV), die Größenverteilung der Erythrozyten (red cell distribution width: RDW) und die mittlere zelluläre Hämoglobinkonzentration (MCHC) ermittelt. Bei einzelnen Geräten ist auch die Bestimmung des C-reaktiven Proteins (CRP) integriert. Damit ist in der Praxis eine einfache und rasche Diagnose von Blutbildveränderungen und deren möglichen Ursachen sowie von akuten Entzündungen und deren Verlauf unter Therapie möglich.
979 29.5 · Blutstillung
29.5
Blutstillung
Mit dem Mechanismus der Blutstillung (Hämostase) besitzt der Organismus ein Werkzeug, mit dem er sich bei Gewebeverletzungen, bei denen auch kleine oberflächliche Gefäße eröffnet werden, wirksam gegen den Verlust des lebenswichtigen Organs Blut schützen kann. Der komplexe Vorgang der Blutstillung ist ein Zusammenspiel von 4 vaskulären (dem verletzten Blutgefäß) 4 zellulären (insbesondere den Thrombozyten) und 4 plasmatischen (auf die Blutstillung spezialisierten Plasmaproteinen) Vorgängen
Blutgerinnung und Fibrinolyse sind enzymatisch regulierte Vorgänge, die ständig nebeneinander im strömenden Blut ablaufen (latente Gerinnung und Fibrinolyse). Normalerweise stehen beide Vorgänge miteinander im Gleichgewicht. Bei einer Störung dieses Gleichgewichts kann es einerseits zur Blutungsneigung, die durch mangelnde Gerinnung oder/und gesteigerte Fibrinolyse gekennzeichnet ist, und andererseits zur Thromboseneigung, die durch eine gesteigerte Gerinnung oder/und verminderte Fibrinolyse hervorgerufen wird, kommen.
29.5.1
Vaskuläre Blutstillung
Die plasmatischen Vorgänge werden auch als endgültige Blutstillung oder Blutgerinnung (Prokoagulation) bezeichnet. An die Blutstillung schließt sich die langsame Auflösung des Gerinnsels durch das fibrinolytische System (Antikoagulation) an, die Voraussetzung für die Rekanalisierung von Gefäßen und Heilung des geschädigten Gewebes ist. Daneben besitzt die Fibrinolyse die Aufgabe, das Blut in flüssigem Zustand zu erhalten, um Störungen der Hämodynamik zu verhindern.
Als Folge einer Verletzung kommt es zu einer reflektorischen Gefäßkontraktion. Die Gefäßkontraktion durch die Reizung glatter Muskulaturen dauert etwa 60 Sekunden. Sie wird durch die Freisetzung vasokonstriktorischer Substanzen (Serotonin, Katecholamine) aus Thrombozyten und der verletzten Gefäßwand unterstützt. Die Folge davon ist eine Verlangsamung des Blutstroms, die die zelluläre und plasmatische Blutstillung begünstigt.
. Abb. 29.22. Adhäsion von Thrombozyten an die subendotheliale Matrix unter Vermittlung des von-Willebrand-Faktor-
Rezeptors und des Fibrinogenrezeptors auf der Thrombozytenmembran
29
980
Kapitel 29 · Blut
29.5.2
29
Zelluläre Blutstillung (Thrombozytenadhäsion)
Normalerweise bleiben Thrombozyten weder am Gefäßendothel hängen noch verkleben sie untereinander. Gerät der Thrombozyt jedoch mit geschädigten venösen Gefäßen in Kontakt, deren Endothel zerrissen ist, so kann eine Wechselwirkung mit den darunter liegenden Matrixproteinen wie Kollagen, Fibronektin oder Laminin eintreten. Für jedes dieser Matrixproteine besitzt der Thrombozyt spezifische Membranrezeptoren, die den Integrinen (7 Kap. 24.5.3) ähnlich sind. So besteht der Lamininrezeptor aus einer D6-Untereinheit, die mit dem Glycoprotein IIa (GPIIa) assoziiert ist. Der Fibronektinrezeptor besteht aus einem Dimer aus den Thrombozytenglycoproteinen GPIc und GPIIa. Für die Wechselwirkung mit Kollagen Typ III sind verschiedene Membranproteinrezeptoren verantwortlich (GPIa/IIa, GPVI und möglicherweise GPIV und GPIIb). Unter den Bedingungen hoher Scherkräfte, wie sie in Arteriolen und in der Mikrozirkulation vorherrschen, reichen die genannten Wechselwirkungen für diesen als Plättchenadhäsion bezeichneten Vorgang nicht aus. In diesem Bereich sind Wechselwirkungen zwischen dem von-Willebrand-Faktor (vWF) und seinem Thrombozytenrezeptor, dem Glycoprotein Ib/V/IX, erforderlich. Der von-Willebrand-Faktor ist ein multimeres Glycoprotein, das im Plasma im Komplex mit Faktor VIII (7 Kap. 29.5.5) zirkuliert. Der vWF wird von Endothelzellen synthetisiert, die ihn in der subendothelialen Matrix deponieren und in das Plasma sezernieren, wie auch von Megakaryozyten (den Vorläufern der Thrombozyten), die es in D-Granula speichern. Für die optimale Plättchenadhäsion sind sowohl der subendotheliale als auch der lösliche vWF erforderlich. Der von-Willebrand-Faktor interagiert mit Kollagen und mit heparinähnlichen Glycosaminoglykanen im Subendothelium und schafft über den Glycoprotein Ib/V/IX-Komplex (. Abb. 29.22) die Brücke zwischen Thrombozyt und Gefäßsubendothel. Im Zuge der Anheftung an die Proteine der subendothelialen Matrix werden die genannten Membranrezeptoren aktiviert, was über intrazelluläre Botenstoffe zu einer Reihe von Folgereaktionen der Plättchen führt, die nach einer beträchtlichen Formveränderung unter Ausbildung von Pseudopodien ihren Abschluss in einer über mehrere Stufen verlaufenden Aggregation findet (. Abb. 29.21). Zunächst kommt es zur Ausschüttung von ADP aus den dichten Granula, das nach Bindung an den thrombozytären ADP-P2Y1-Rezeptor eine vorerst noch reversible Aggregation der Thrombozyten bewirkt. Sie geht dann in einen irreversiblen Zustand über, wenn weiteres ADP an den zweiten ADP-Rezeptor-Typ (P2Y12) bindet, wobei das vasokonstriktorische Thromboxan A2 (TXA2, 7 Kap. 12.4.2) und Serotonin sowie Adrenalin freigesetzt werden, die weitere Plättchen zur Aggregation veranlassen. Die Aggregation wird durch das Gerinnungsprotein Fibrinogen gefördert, welches an den Fibrinogen (GP IIb/GPIIIa)-Rezeptor
. Abb. 29.23. Aktivierung des Thrombozyten durch Bindung des von-Willebrand-Faktor-VIII-Komplexes. Nach Aktivierung bildet der Thrombozyt Pseudopodien aus und verändert die Struktur des GP-IIb/IIIa-Rezeptors, sodass unter Vermittlung von Fibrinogen Brücken zwischen den einzelnen Thrombozyten gebildet werden können
(. Abb. 29.23) bindet und damit benachbarte Thrombozyten miteinander verknüpft. Dieser Rezeptor kann Fibrinogen erst nach Aktivierung durch die erwähnten intrazellulären Botenstoffe erkennen; die Erkennung erfolgt über eine Region in der J-Kette und über die sog. RGD-Domäne, d.h. eine Sequenz von Arginin, Glycin und Glutamat, die in der D-Kette des Fibrinogens (und in vielen anderen Proteinen der extrazellulären Matrix) vorkommen. Im Rahmen der Thrombozytenaggregation kann auch die plasmatische Gerinnung beschleunigt werden. Diese Beschleunigung kommt dadurch zustande, dass der Blutgerinnungsfaktor V an die Thrombozytenmembran bindet und dadurch aktiviert wird. Der aus Thrombozyten gebildete Pfropf oder Thrombus kann das Gefäß jedoch nur dann dauerhaft verschließen, wenn ihm durch die anschließenden plasmatischen Vorgänge (Einbau von Fibrin in den Thrombus) eine ausreichende Festigkeit verliehen wird. Das Endothel besitzt eine Reihe von Abwehrmechanismen, die der Prävention und der Rückbildung unerwünsch-
981 29.5 · Blutstillung
ter Aggregationen dienen. So setzen die Endothelzellen Prostacyclin (PGI2) und den endothelzellproduzierten, relaxierenden Faktor (EDRF oder Stickstoffmonoxid) frei, die die Thrombozytenadhäsion, -aktivierung und -aggregation hemmen.
29.5.3
Plasmatische Vorgänge (Blutgerinnung)
! Die klassische Theorie zum Ablauf der Blutgerinnung wurde von Paul Morawitz entwickelt.
An diesem Konzept sind vier Gerinnungsfaktoren beteiligt, von denen drei, nämlich Calciumionen (Faktor IV) und die beiden in Leberparenchymzellen gebildeten Plasmaproteine Fibrinogen (Faktor I) und Prothrombin (Faktor II), ständig im Blut zirkulieren. Diese Faktoren können eine Gerinnung jedoch nur dann in Gang setzen, wenn bei Gewebeverletzung der als Gewebethromboplastin (tissue factor, TF) bezeichnete Faktor III ins Blut übertritt. Dieser Faktor führt in Gegenwart von Calciumionen das Proenzym Prothrombin in Thrombin über, eine hochaktive Protease, die in kurzer Zeit große Mengen Fibrinogen in Fibrin umwandelt (. Abb. 29.24). Die Bindung von Calciumionen an Prothrombin erfolgt dabei an N-terminal gelegene JCarboxyglutamylseitenketten (7 Kap. 23.2.4). Der von Paul Morawitz beschriebene Weg der Thrombinaktivierung wird heute als extravaskuläres (exogenes) System der Blutgerinnung bezeichnet, weil ein extravaskulärer, d.h. nicht im Blut vorhandener Faktor die Gerinnung in Gang setzt. Zusätzlich besteht noch eine weitere Möglichkeit der Aktivierung über das intravaskuläre (endogene) System, auf dessen Existenz die Beobachtung hinweist, dass Blut auch beim Kontakt mit Glasoberflächen gerinnt. Es müssen also auch im Blut vorhandene Faktoren die Thrombinbildung in Gang setzen können. Obwohl das klassische Konzept nach wie vor seine Gültigkeit besitzt, ist das gegenwärtige Bild vom Gerinnungsvorgang wesentlich differenzierter geworden, da erkannt worden ist, dass eine Reihe weiterer, meist mit römischen Ziffern benannter Faktoren beteiligt ist. Dabei handelt es sich vorwiegend um Proteinasen, die ihre Substrate durch limitierte Proteolyse aktivieren. ! Die Faktor X und V stellen die gemeinsame Endstrecke des intra- und extravaskulären Systems dar.
Entscheidend für die Thrombinbildung ist die Überführung des Faktors X in eine aktive Form (Xa), die mit dem Faktor V, Calcium und Phospholipiden einen Komplex mit enzymatischer Aktivität bildet, der – als Prothrombinase bezeichnet – die Umwandlung von Prothrombin in Thrombin katalysiert. Da der Faktor X durch das intra- und extravaskuläre System aktiviert wird, bilden die Faktoren X und V die gemeinsame Endstrecke
. Abb. 29.24. Klassisches Schema der Blutgerinnung
beider Systeme (. Abb. 29.25). Gewebsverletzungen bilden die Grundlage der Aktivierung des Faktor X durch das extravaskuläre System. Die Verletzung des Gewebes verursacht dabei die Freisetzung von Gewebethromboplastin (tissue factor, TF). Dieses stellt ein Membranprotein dar, das konstitutiv auf nichtvaskulären Zellen exprimiert wird. Der extrazelluläre Anteil des Moleküls ist der Faktor VII-Rezeptor, der mit dem Faktor VII, Phospholipiden und Calcium einen Komplex bildet, der den Faktor X zu Xa aktiviert (. Abb. 29.25). Daneben wird auch der Faktor IX zu IXa aktiviert. Im Gegensatz zum extravaskulären System, das in Sekundenschnelle zur Aktivierung von Thrombin führt, läuft das endogene (= intravaskuläre) System erst nach einigen Minuten an. Die Aktivierung geschieht nach Art eines Wasserfalls (Kaskadensystem): zur Einleitung der Reaktion ist die Aktivierung von Faktor XII (des Hageman-Faktors) zu XIIa notwendig, die an Proteinen der extrazellulären (subendothelialen) Matrix oder auch Phospholipiden, die während der Plättchenaktivierung von der Innenschicht der Plasmamembran in die Außenschicht transloziert werden, erfolgt, der seinerseits den Faktor XI in die aktive Form XIa überführt. Faktor XIa wiederum aktiviert den Faktor IX, der an eine Zellmembranoberfläche bindet, bis er den dort ebenfalls gebundenen, bereits durch Thrombin aktivierten Faktor VIIIa (. Abb. 29.25) trifft und mit diesem einen, als Tenase bezeichneten Komplex bildet (. Abb. 29.25). Dieser Komplex verbleibt an der Membran, bis er auf den Faktor X trifft, den er zum Faktor Xa (wie beim extravaskulären System) aktiviert. ! Durch Aktivierung von Prothrombin entsteht Thrombin, dessen Substrat Fibrinogen ist.
Fibrinogen ist ein längliches Protein (Molekulargewicht 340 kD), das sich aus zwei identischen Untereinheiten mit je drei Polypeptidketten (D, E und J) aus je 400–700 Aminosäuren (. Abb. 29.26) zusammensetzt. Die Gene für die D, E- und J-Ketten des Fibrinogens liegen in einem 50 kbSegment auf dem langen Arm von Chromosom 4. Die DNA-Sequenz weist erhebliche Homologien auf, sodass man davon ausgehen kann, dass die Gene durch Duplikation und anschließende Diversifikation eines gemeinsamen Vorläufergens entstanden sind. Von je zwei der Peptidketten (D, E) werden durch Thrombin kleine Bruchstücke (Fi-
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Kapitel 29 · Blut
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. Abb. 29.25. Aktivierung der plasmatischen Gerinnung über das extravaskuläre und intravaskuläre System. Für beide Systeme ist die Aktivierung einzelner Faktoren an der Oberfläche von Zellmem-
branen von entscheidender Bedeutung, da nur so eine Beschränkung der Gerinnung auf den Ort der Gewebeverletzung möglich ist. GT = Gewebethromboplastin oder tissue faktor
. Abb. 29.26. Modell des Fibrinogendimers, das aus zwei Sätzen von drei (α, β und γ) Ketten besteht. Die Ketten sind untereinander über 29 Disulfidbrücken (-S-S-) verbunden, davon 13 in jeder Dimerhälfte und 3, die die beiden Hälften miteinander verbinden. Jeder Disulfidring enthält drei Disulfidbrücken (D>E, E>J, a>J). Zwischen den Disulfidringen liegen Tripel-a-Helices. An den Enden sind die
E- und J-Ketten hydrophob und relativ kompakt aufgebaut, wohingegen die a-Kette hydrophil ist und frei in der wassrigen Umgebung flottiert. An jedem Monomer befinden sich zwei Kohlenhydratseitenketten (Sechsecke). An den Bereichen, an denen die Freisetzung der Fibrinopeptide zu a- bzw. b-»Knöpfen« führt, sind die Aminosäuren angegeben
983 29.5 · Blutstillung
. Abb. 29.27a–e. Schematische Darstellung der Polymerisation von Fibrinogen zu Fibrin. a Fibrinogen wird durch Abspaltung der Fibrinopeptide A und B (an den N-Termini) in ein Fibrinmonomer überführt. b Die jetzt exponierten Enden dienen als »Knöpfe«, die mit
Löchern in den terminalen Domänen in Wechselwirkung treten. c Dadurch kommt es zu einer Seit-zu-Seit-Anlagerung der Monomere. d,e Diese Anordnung wird zu einem langen Polymer verlängert, das durch die Ausbildung covalenter Quervernetzung stabilisiert wird
brinopeptide A und B) abgespalten, deren Molekulargewicht insgesamt rund 2% des Fibrinogens beträgt. Dadurch werden im Fibrinogenmolekül Bezirke freigelegt, die eine Zusammenlagerung der entstandenen Fibrinmonomeren zu Polymeren erlauben (. Abb. 29.27). Da die einzelnen Bestandteile des frisch gebildeten Fibringerinnsels nur über nichtcovalente Bindungen (hydrophobe Wechselwirkungen und Wasserstoffbrücken) verbunden sind, ist es mechanisch noch recht unstabil und kann durch Verbindungen, die diese Bindungen schwächen (in vitro durch
Harnstoff), wieder aufgelöst werden [lösliches (solubles) Fibrin]. Erst durch die Wirkung des Faktors XIII, der durch Thrombin zu XIIIa aktiviert wird und Fibrinmonomere durch Ausbildung von Peptidbindungen zwischen den HAminogruppen von Lysylresten und Carboxylgruppen von Glutaminylresten (im Bereich antiparallel zueinander angeordneter J-Ketten) covalent verknüpft, wird dem Fibrinpolymer die notwendige Festigkeit [jetzt unlöslich (insoluble)] verliehen (. Abb. 29.28). Das Gerinnsel zieht sich zusam-
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Kapitel 29 · Blut
. Abb. 29.28. Knüpfung einer covalenten Bindung zwischen Lysyl- und Glutaminylresten verschiedener Fibrinmonomere durch den aktiven Faktor VIIIa
men und presst dabei eine Flüssigkeit ab, die im Gegensatz zum Plasma kein Fibrinogen mehr besitzt (da dies ja verbraucht worden ist) und als Serum bezeichnet wird. Durch die Retraktion, bei der das Thrombosthenin noch intakter Thrombozyten eine wesentliche Rolle spielt, nähern sich die Wundränder stark an, was entscheidend zum Wundverschluss beiträgt. Mit Hilfe der Intravitalmikroskopie kann die Thrombusbildung heute am Tiermodel visualisiert werden (Videoclips siehe unter www.lehrbuch-medizin.de)
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! Die Blutgerinnungsfaktoren haben sich offenbar aus einem gemeinsamen Vorläufergen entwickelt.
Die Enzyme, die an der Blutgerinnung beteiligt sind, sind enge Verwandte der Verdauungsproteasen Trypsin und Chymotrypsin (7 Kap. 4.5.3, 32.1.3). Da die Blutgerinnungs-
. Abb. 29.29. Struktureller Aufbau der Proenzyme und Profaktoren der plasmatischen Gerinnung und Proteinen, die das System durch eine Hemmung regulieren. Die große Ähnlichkeit zwischen den Proteinen legt einen gemeinsamen Ursprung nahe
enzyme ihre Funktion im Gefäßsystem ausüben, ist eine präzise Regulation erforderlich, um diese potenten, prokoagulatorischen Aktivitäten in der Region der Gewebeverletzung zu halten. Prothrombin und die Faktoren VII, IX und X weisen große Ähnlichkeiten auf (. Abb. 29.29). Sie enthalten J-Carboxyglutamat- oder Gla-Domänen, EGF-ähnliche Domänen und die drei Disulfidbrücken enthaltenden Kringle-Domänen, die für die Bildung von Proteinkomplexen von Bedeutung sind. Die Cofaktoren V und VIII sind mit den Proenzymen nicht strukturverwandt, zeigen aber untereinander eine erhebliche Homologie. Tissue factor unterscheidet sich von allen anderen Faktoren dadurch, dass es ein integrales Membranprotein mit einer cytosolischen, einer transmembranären und einer extrazellulären Domäne (Faktor VII-Rezeptor) darstellt. Die regulatorischen Proteine (7 u.), Protein C und Protein S, weisen ebenfalls strukturelle
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29.5 · Blutstillung
. Tabelle 29.8. Blutgerinnungsfaktoren (die Existenz eines Faktors VI wird heute nicht mehr angenommen) Faktor
Bezeichnungen
Biologische Halbwertszeit (Stunden bzw. Tage)
Biosynthese Vitamin K-abhängig
Angeborene Koagulopathien (mit Angabe der Häufigkeit)
I
Fibrinogen
ca. 5 Tage
–
Afibrinogenämie, Hypofibrinogenämie, A-, Hypo- bzw. Dysfibrinogenämie (1:1 Mio)
II
Prothrombin
2–3 Tage
+
Hypoprothrombinämie (1:2 Mio)
III
Gewebethromboplastin
IV
Calcium
V
Accelerin, Acceleratorglobulin, labiler Faktor
ca. 1 Tag
–
Hypoaccelerinämie (Parahämophilie) (1:1 Mio)
VII
Proconvertin, stabiler Faktor
5h
+
Hypoproconvertinämie (1: 500 000)
VIII
Antihämophiler Faktor A
15 h
–
Hämophilie A (1: 10 000)
IX
Antihämophiler Faktor B, Christmas-Faktor
20 h
+
Hämophilie B (1: 60 000)
X
Stuart-Power-Faktor
2 Tage
+
Stuart-Power-Faktor-Mangel (1:1 Mio)
XI
Plasma thromboplastin antecedent (PTA)
2 Tage
–
PTA-Mangel (1:1 Mio)
XII
Hageman-Faktor
2 Tage
–
Hageman-Faktor-Mangel
XIII
Fibrin-stabilisierender Faktor (FSF), Loki-Lorand-Faktor
ca. 5 Tage
–
FSF-Mangel (1:1 Mio)
Ähnlichkeiten mit den Proenzym-Gerinnungsfaktoren auf. Fast alle Gerinnungsfaktoren werden im Hepatozyten der Leber gebildet, ihre Halbwertszeit ist relativ kurz, sie liegt zwischen Stunden und wenigen Tagen (. Tabelle 29.8). ! Antithrombotische Mechanismen sorgen dafür, dass die lokale Gerinnung sich nicht generalisiert.
Neben den prokoagulatorischen Blutgerinnungsfaktoren enthält das Blut Inhibitoren, die die Fibrinbildung verzögern und damit eine Schutzfunktion zur Aufrechterhaltung der Zirkulation und zur Vermeidung der Generalisierung der Gerinnung ausüben (. Abb. 29.30). Zu diesen gehören 4 Antithrombin III, das die aktivierten Faktoren XIIa, XIa, IXa, Xa und Thrombin durch Bildung eines stabilen Enzym-Inhibitor-Komplexes hemmt 4 Protein C und S, die die Faktoren Va und IVa inaktivieren 4 Plasminogenaktivator, der die Fibrinolyse durch Aktivierung von Plasminogen zu Plasmin fördert, und 4 der Gewebethromboplastin-Inhibitor (tissue factor pathway inhibitor, TFPI) Auch Endothelzellen sind an der Antikoagulation beteiligt: zum einen durch gebundene, heparinähnliche Glycosaminoglykane (7 Kap. 2.1.4), die die Inaktivierung von Koagulationsproteasen durch Antithrombin III beschleunigen, zum anderen durch die Biosynthese von Prostaglandin I2 (7 Kap. 12.4.2) und durch die Sekretion von Plasminogenaktivator und Thrombomodulin, ein Thrombin bindendes Protein, das die Spezifität von Thrombin ändert, indem es
. Abb. 29.30. Hemmung der Blutgerinnung. Wichtige Faktoren sind der Gewebethromboplastininhibitor (GTI, auch als TFPI = tissue factor pathway inhibitor bezeichnet), das ProteinC/Protein S-System, Antithrombin III und der Plasminogenaktivator. PC = Protein C; PS = Protein S; PT = Prothrombin; Th = Thrombin; Pl = Plasmin
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Kapitel 29 · Blut
. Abb. 29.31. Indirekte Hemmung von Thrombin durch Heparin. 1 schwache Bindung von Antithrombin an Thrombin; 2, 3 Bindung von Heparin an Lysylseitenketten von Antithrombin mit konsekutiver irreversibler Konformationsänderung von Antithrombin und damit hoher Affinität zu Thrombin
dieses in einen wirksamen Protein C-Aktivator umwandelt. Die medikamentöse Behandlung mit gerinnungshemmenden Mitteln (sog. Antikoagulantien) ist dann angezeigt, wenn der Bildung von Thromben, d.h. Blutgerinnseln innerhalb der nicht-eröffneten Gefäßbahn vorgebeugt werden soll (z.B. nach Operationen oder Herzinfarkten). Dazu haben sich Heparine und Vitamin K-Antagonisten bewährt.
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! Heparine hemmen Thrombin indirekt über eine Bindung an Antithrombin III.
Heparine werden in den basophilen Granula von Mastzellen im perikapillären Gewebe, in Lungen oder Leber (Name) und von Granulozyten des Bluts gebildet. Es handelt sich um ein Gemisch aus Molekülen mit unterschiedlicher Kettenlänge (Molekularmassen von 5–30 kDa, 7 Kap. 2.1.4). Heparine, die nur parenteral verabreicht werden können, wirken über eine Bindung an Antithrombin III, die zu dessen Aktivierung führt (. Abb. 29.31). Die Wirkung hängt vom Sulfatierungsgrad ab. Ein wesentlicher Vorteil des Heparins ist das schlagartige Einsetzen seiner Wirkung, die durch Verabreichung von organischen Proteinkationen (wie Protamin), die Heparin binden, ebenso schnell wieder aufgehoben werden kann. Der Abbau von Heparin erfolgt durch Heparinasen in der Leber. ! Protein C und Protein S inaktivieren die Faktoren Va und VIIIa.
Die Protease Protein C [so genannt, weil es bei den ersten Untersuchungen auf einer Ionenaustauschersäule (7 Kap. 2.3.4) als 3. Peak (nach A und B) eluierte] stellt ein Polypeptid aus zwei Ketten mit Molekularmassen von 41 kDa und 21 kDa dar. Sie wird als inaktives Proenzym in der Leber synthetisiert. Dabei werden – ähnlich wie bei den Blutgerinnungsfaktoren – 10 Glutamylreste Vitamin K-abhängig carboxyliert. Bei einer Behandlung mit Vitamin K-Antagonisten (7 u.) sinkt deshalb auch die Aktivität dieses Proenzyms ab. Für seine enzymatische Wirkung muss Protein C aktiviert werden (aktiviertes Protein C, APC). Das Proenzym wird zwar durch Thrombin aktiviert, der Vorgang läuft aber zu langsam ab, um physiologische Bedeu-
tung zu besitzen. Eine wesentlich schnellere Aktivierung erfolgt unter Vermittlung von Thrombomodulin, einem Rezeptorprotein an der Endothelzelloberfläche (. Abb. 29.32). Durch die Bindung von Thrombin (das ja eigentlich Teil der Prokoagulation ist) an Thrombomodulin wird Protein C in die aktive Form überführt. Das aktivierte Protein C kann mit Thrombozyten oder Endothelzelloberflächen in Wechselwirkung treten, optimal ist diese Interaktion jedoch nur in Gegenwart von Protein S (nach der Stadt Seattle, in der es entdeckt worden war). Protein S wird ebenfalls Vitamin K-abhängig in der Leber synthetisiert. Im Blut zirkuliert es entweder in freier Form (. Abb. 29.32), als Komplex mit dem C4b-Bindungsprotein (einem Inhibitor des Komplementsystems, 7 Kap. 34.4) oder als Komplex mit einem Protein S-Bindungsprotein. Der Komplex aus aktiviertem Protein C und Protein S inaktiviert die aktivierten Faktoren Va und VIIIa und wirkt dadurch antikoagulierend. Gleichzeitig inaktiviert das Enzym einen Inhibitor des Gewebe-Plasminogenaktivators, sodass es indirekt auch als Stimulator der Fibrinolyse (7 Kap. 34.4) wirkt. ! Vitamin K-Antagonisten wirken über eine Hemmung der J-Carboxylierung von Blutgerinnungsfaktoren.
Die in der Praxis häufig verwendeten Derivate von 4-Hydroxycumarin und Indan-1,3-dion (. Abb. 29.33) wirken indirekt über eine kompetitive Verdrängung von Vitamin K bei der posttranslationalen Modifikation der Faktoren II, VII, IX und X sowie von Protein C und Protein S in der Leber. Vitamin K ist Cofaktor einer Carboxylase, die Glutamylreste in den genannten Proteinen posttranslational in J-Stellung carboxyliert (7 Kap. 23.2.4); dabei entstehen JCarboxylglutamylreste, deren benachbarte Carboxylgruppen leicht Calcium binden können. Man nimmt an, dass alle Glutamylseitenketten in den Vitamin K-abhängig synthetisierten Faktoren carboxyliert werden. Vitamin K-Antagonisten verhindern die Carboxylierung durch Verdrängung des Vitamins K an der Carboxylase, sodass Faktoren entstehen, deren Glutamylreste nicht mehr verändert sind und die demnach nicht mehr Calcium und Phospholipide binden können. Sie verlieren dadurch ihre Aktivierbarkeit. Daraus wird verständlich, dass Vitamin K-Antagonisten nicht in vitro wirken und dass eine Wirkung erst nach einer
987 29.5 · Blutstillung
. Abb. 29.32. Schematische Darstellung der Proteine und Zelloberflächen, die am Protein-C-Stoffwechsel beteiligt sind. TM = Thrombomodulin; Th = Thrombin; PC = Protein C; PS = Protein S;
C4BP = C4-Bindungsprotein; PSBP Protein = PS-Bindungsprotein; SR = endothelialer Protein S-Rezeptor, APC = aktiviertes Protein C
ausreichenden Senkung (in der Regel nach 2–3 Tagen) des Blutspiegels der Faktoren II, VII, IX und X eintritt. Eine Überdosierung mit diesen Medikamenten wird durch Gabe von Vitamin K behandelt.
den Thromben lysiert, die sich im intakten Gefäßsystem gebildet haben. Auch in diesem System wird eine Endopeptidase, das Plasmin, aus der inaktiven Vorstufe Plasminogen durch limitierte Proteolyse gebildet. Die Aktivierung erfolgt über sog. Plasminogenaktivatoren. Es wird zwischen körpereigenen wie Urokinase und Gewebeplasminogenaktivator [auch t-(für tissue)PA] und externen wie Streptokinase (aus Streptokokken) unterschieden. t-PA ist ein Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von 70 kD (527 Aminosäuren) und einem Kohlenhydratanteil von rund 10%. Es kommt in den meisten Geweben vor, wenn auch in unterschiedlichen Konzentrationen. In Blutgefäßen ist es an Endothelzellen gebunden und kann durch Thrombin freigesetzt werden. In der Blutbahn komplexiert t-PA als (Serin-)Protease schnell mit Proteaseinhibitoren und wird dadurch inaktiviert. t-PA wird schnell in der Leber abgebaut, sodass die Halbwertszeit nur 3 min beträgt. Aufgrund seiner hohen Affinität zu Fibrin wird t-PA selektiv dort, wo Fibrin abgelagert ist oder wo sich Thromben gebildet haben, aus dem Endothelspeicher freigesetzt. Im Gegensatz zu allen anderen bekannten Serinproteasen (7 Kap. 9.3) entfaltet t-PA bereits in der Proform proteolytische Aktivität. Unter dem Einfluss von Plasmin wird das einkettige Polypeptid an der Peptidbindung Arg275-Ile276 gespalten, sodass ein Molekül mit einer schweren und einer leichteren Kette entsteht, die über Disulfidbrücken verbunden sind. Damit geht eine deutliche Erhöhung der Enzymaktivität einher. In Anwesenheit von Fibrin binden t-PA und Plasminogen an den Thrombus, sodass ein Komplex entsteht, der die Plasminogenaktivierung und damit die Fibrinauflösung bewirkt (lokale Lyse). Beim Abbau von Fibrin entstehen Fibrinspaltprodukte, die auch als D-Dimere bezeichnet werden. Eine Erhöhung der D-Dimere zeigt eine reaktive Fibrinolyse bei vermehr-
! Heparin, EDTA oder Citrat hemmen die Blutgerinnung in vitro.
Soll bei Blutuntersuchungen die Gerinnung verhindert werden, so kann durch Punktion gewonnenes Blut in heparinisierten Röhrchen gesammelt werden. Andere Möglichkeiten sind entweder der Zusatz von EDTA, das mit dem für die Gerinnung notwendigen Calcium einen Komplex bildet oder von Citrat, das mit Calcium ebenfalls einen Komplex bildet. Citrat wird auch zur Bereitung von Transfusionsblut verwendet.
29.5.4
Fibrinolyse
! Die Fibrinolyse ist ein wichtiger Gegenspieler der Blutgerinnung.
Mit Hilfe des fibrinolytischen Systems, das eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Blutgerinnungssystem aufweist, wer-
. Abb. 29.33. Struktur von 4-Hydroxycumarin (links) und Indan1,3-dion (rechts). Derivate dieser Verbindungen verdrängen Vitamin K kompetitiv bei der Biosynthese der Faktoren II, VII, IX sowie Protein C und Protein S in der Leber
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Kapitel 29 · Blut
ter Fibrinbildung an und dient deshalb als empfindlicher Indikator einer Gerinnselbildung (Thrombose). Plasmin baut nicht nur Fibrin ab, sondern greift auch Fibrinogen und die Faktoren V und VIII an. Die beim Fibrinogenabbau entstehenden Produkte (Fibrinogenspaltprodukte) hemmen die Thrombinbildung und die Polymerisation von Fibrinmonomeren. Damit wird die gesteigerte Fibrinolyse durch die gleichzeitige Hemmung der Gerinnung unterstützt. Streptokinase, ein Protein ohne enzymatische Eigenschaften, wirkt nicht direkt auf Plasminogen, sondern bildet mit diesem erst einen durch hydrophobe Wechselwirkungen bedingten Komplex, der dann weitere Plasminogenmoleküle in Plasmin umwandelt. Ein Nachteil der Streptokinase, die bei der Auflösung intravasaler Gerinnsel Anwendung findet, ist, dass bei Patienten, die eine Streptokokkeninfektion durchgemacht haben, Antikörper gegen Streptokinase auftreten können, die die therapeutisch zugeführte Streptokinase inaktivieren. Während Streptokinase und Urokinase (ein aus menschlichem Urin gewonnener Aktivator, der Plasminogen ohne vorherigen Kontakt mit Fibrin aktiviert) schon seit Jahrzehnten zur Thrombolysetherapie eingesetzt werden, wird rekombinantes t-PA erst seit einigen Jahren bei arteriellen Verschlüssen (Herzinfarkt) und Lungenembolien angewendet. ! Die Fibrinolyse kann durch Medikamente gehemmt werden.
Die Bildung zu hoher Mengen freien Plasmins im Blut wird durch Protein mit Antiplasminaktivität wie D2-Makroglobulin, Antithrombin III und D1-Antitrypsin (. Tabelle 29.9) verhindert. Eine pathologisch gesteigerte Fibrinolyse (z.B. bei Leukämien, Operationen an Fibrinolyseaktivator-reichen Organen wie Uterus, Prostata oder Lungen sowie beim Einbruch von Fruchtwasser in die Blutbahn) kann medikamentös durch Antifibrinolytica wie die Aminosäure H-Aminocapronsäure, p-Aminomethylbenzoesäure oder Aprotinin unterbrochen werden, die außer Plasmin auch Trypsin, Chymotrypsin und die in erster Linie für die Kininfreisetzung verantwortlichen Kallikreine hemmen.
29.5.5
Pathobiochemie
Keimbahnmutationen in den Genen (auf Chromosom 17 q21 o 23) für den Komplex GP IIb/IIIa (den Fibrinogenrezeptor) führen zu einer seltenen, autosomal rezessiven Blutungserkrankung, die durch eine verlängerte Blutungszeit, normale Thrombozytenwerte und das vollständige Fehlen der Plättchenaggregation charakterisiert ist und als Thrombasthenie Glanzmann bezeichnet wird. Bei den Plättchen ist die Gerinnselretraktion herabgesetzt oder vollständig fehlend, da die Thrombozyten offenbar die Kraft der cytoskelettalen Kontraktion nicht auf das Fibrinnetzwerk übertragen können.
Synthese- oder Strukturänderungen des von-Willebrand-Faktors bedingen ebenfalls eine Thrombozytenfunktionsstörung. Da der von-Willebrand-Faktor für die Plättchenadhäsion von großer Bedeutung ist, fallen Patienten mit einem Mangel an diesem Faktor durch vermehrte Blutergüsse, Nasenbluten oder Monatsblutungen bzw. starke Blutungen nach Verletzungen oder operativen Eingriffen auf. ! Die Hämophilien (A und B) werden durch Fehlen der Faktoren VIII bzw. IX verursacht.
Angeborene Mangelzustände sind für alle Faktoren beschrieben worden (. Tabelle 29.8). Die bekannteste und häufigste Krankheit ist die Hämophilie A, die durch den Mangel des Faktors VIII zustande kommt. Dadurch ist die Aktivierung von Faktor X durch das intravaskuläre System gestört, sodass die Aktivierung von Prothrombin verlangsamt oder ganz verhindert wird. Die Krankheit ist durch eine erhöhte Blutungsneigung charakterisiert, wobei v.a. Blutungen nach geringfügigen Verletzungen unstillbar sind. Eine Therapie erfolgt mit aus Plasma isoliertem oder gentechnologisch hergestellten Faktor VIII-Konzentrationen, die wegen der kurzen Halbwertszeit (6–20 h) häufig verabreicht werden müssen. Das Gen für Faktor VIII macht etwa 0,1% des gesamten X-Chromosoms aus. Es enthält 186.000 Basenpaare mit 26 Exons, zwischen denen die Introns liegen, die etwa 95% des gesamten Gens ausmachen (. Abb. 29.34). Die Exons codieren in ihrer Gesamtheit für das Protein mit 2351 Aminosäuren und einer Molekularmasse von 400 kDa (ohne die Kohlenhydratseitenketten). Da die Krankheit klinisch sehr heterogen ist, ist zu erwarten, dass – auch bedingt durch die Größe des Gens – viele verschiedene Mutationen als Ursache in Frage kommen: tatsächlich sind bisher 943 (!) verschiedene Missense-Mutationen und Deletionen (des gesamten Gens oder auch einer einzigen Base) beschrieben worden. Auf der anderen Seite zeigt die Analyse großer Patientenkollektive, dass bestimmte Punktmutationen, so z.B. CG o TG-Transition mit Bildung eines Nonsensecodons in den Exons 18 und 22 gehäuft auftreten (mutational hotspots, 7 u.). Außerdem müssen bei dieser Erkrankung zur Aufrechterhaltung ihrer Häufigkeit in der Population de novo-Mutationen auftreten (7 Kap. 7.3). Die Hämophilie A tritt mit einer Häufigkeit von 1:10.000 beim männlichen Geschlecht auf und ist damit die häufigste, schwere Blutgerinnungsstörung des Menschen. Sie manifestiert sich klinisch nur bei Männern, heterozygote Frauen bleiben aufgrund ihres zweiten intakten X-Chromosoms ohne Symptome. Die Hämophilie A zeigt kein einheitliches Krankheitsbild. Dieses reicht von schwersten, sich bereits bei der Geburt oder im Säuglingsalter manifestierenden (Restaktivität <2%) Blutungsneigungen über mittlere (Restaktivität 2–5%) bis hin zu subklinischen Verlaufsformen (Restaktivität 6–30%), die oft erst im Erwachsenenalter erkannt werden.
989 29.5 · Blutstillung
. Abb. 29.34. Aufbau des humanen Faktor VIII. Oben: Struktur des menschlichen Faktor-VIII-Gens. Das aus 186000 Basenpaaren mit 26 Exons besteht. Mitte: Das Faktor VIII-Protein besitzt 6 Domänen. Durch intrazelluäre limitierte Proteolyse zwischen den B- und A3-Domänen entsteht ein Protein, dessen schwere und leichte Ketten durch nichtcovalente Wechselwirkungen zusammengehalten werden. Bei der
proteolytischen Aktivierung durch Thrombin werden 3 Peptidbindungen gespalten (Positionen 372, 740 und 1689): die entstehenden Fragmente werden durch nichtcovalente Bindungen zusammengehalten. Unten: Mutationen, die zur Hämophilie führen: zwei der gezeigten Mutationen führen dazu, dass das Protein durch Thrombin nicht aktiviert werden kann
Etwa ein Drittel aller entdeckten Punktmutationen finden sich im CG-Basendinucleotid. Dieses Nucleotid ist ein Hotspot für C/T- und G/A-Mutationen (7 Kap. 7.3). Das in dieser Kombination vorliegende Cytosin ist häufig methyliert, sodass nur ein Desaminierungsschritt nötig ist, um das Cytosin durch Thymin zu ersetzen. Auf dem codierenden Strang bewirkt die Mutation den Austausch eines ArgininCodons (CGA) durch ein Stopcodon (TGA); auf dem nichtcodierenden Strang führt dieselbe Mutation zum Austausch
der Aminosäure Arginin (CGA) durch Glutamin (CAA). Zusätzlich zu gerinnungsphysiologischen Untersuchungen werden heute Hämophilien durch molekularbiologische Analysen (z.B. Restriktions-Analyse PCR-amplifizierter DNA) untersucht. Diese methodischen Ansätze werden auch zur pränatalen Diagnostik der Hämophilien verwendet. Die Mutationen haben z.T. auch erlaubt, StrukturFunktions-Beziehungen des Faktor VIII-Gens besser zu verstehen. So führen z.B. Mutationen der Aminosäuren 372
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990
29
Kapitel 29 · Blut
bzw. 1689 zur Beeinträchtigung von Regionen, in denen die Aktivierung durch Thrombin stattfindet. Eine Mutation in Position 1709 hat Einfluss auf die Bindung des von-Willebrand-Faktors, eine andere Mutation in Position 1680 führt zum Verlust eines Tyrosylrests, dessen Sulfatierung ebenfalls an der Wechselwirkung mit dem von-Willebrand-Faktor beteiligt ist. Die Mutation von Arginin zu Glutamin in Position 2209 hat eine unterschiedliche Ausprägung zur Folge (von einer milden bis schweren Blutungsneigung), was dafür spricht, dass die Schwere der Erkrankung möglicherweise durch eine zweite Mutation oder durch Mutationen in anderen Proteinen, die mit der Faktor VIII-Funktion vergesellschaftet sind, bestimmt wird. Das Fehlen bzw. der funktionelle Mangel des Faktors IX verursacht die als Hämophilie B bezeichnete Bluterkrankheit. Das Gen für diesen Faktor liegt ebenfalls auf dem X-Chromosom (Xq27) und besteht aus acht Exons mit einer Gesamtlänge von 40 kb. Die Expression des Gens in der Leber führt zur Bildung eines Prä-Profaktors IX, aus dem – nach Abspaltung eines Signalpeptids und einer Vorsequenz von 18Aminosäuren – das reife Protein mit 415 Aminosäuren entsteht. Während der Biosynthese finden Glycosylierungen und J-Carboxylierungen statt. Auch hier existiert eine erhebliche molekulare Heterogenität, die seit der Klonierung des Gens genau analysiert werden kann. Zur Aktivierung des Faktors wird ein Peptid durch Spaltungen der Peptidbindungen Arg145-Ala146 und Arg180-Val181 entfernt. Bei der Mutation, bei der der Arginylrest in Position 145 durch einen Histidylrest ersetzt wird, ist die Konzentration des Profaktors im Plasma zwar normal, seine Aktivierung jedoch gestört. Dies führt nur zu einer milden Hämophilie, wohingegen die Mutation des Arginylrests 180 ein schweres Krankheitsbild bedingt. Dies spricht für eine unterschiedliche Bedeutung der beiden zu spaltenden Peptidbindungen für die Aktivierung von Faktor IX. Bei einer anderen Mutation führt die Substitution eines Arginyldurch einen Serylrest im Proenzym dazu, dass die post-
translationale Prozessierung zum Enzym nicht stattfinden kann. Dadurch entsteht ein am N-terminalen Ende um 18 Aminosäuren verlängertes Polypeptid, das nicht als Substrat für die Vitamin K-abhängige Carboxylierung dienen kann, sodass J-Glutamylreste nicht carboxyliert werden. Ein geringer Prozentsatz der Patienten (1%) bildet Antikörper gegen therapeutisch substituierten Faktor IX, was wahrscheinlich durch Deletionen des Gens bedingt ist (sodass das Protein als körperfremd angesehen wird). Eine interessante Variante der Hämophilie B, die eine Störung der Regulation der Genexpression anzeigt, ist der Leyden-Phänotyp. Normalerweise wird die Faktor IX-Genexpression im dritten Trimester angeschaltet. Bei Patienten mit der Leyden-Variante erfolgt dies jedoch erst zu Beginn der Pubertät. Dies bedeutet, dass sich die Faktor IX-Spiegel bei Kindern mit einer milden bis schweren Hämophilie nach der Kindheit normalisieren. Alle bisher untersuchten Familien mit dieser Konstellation weisen unterschiedliche Punktmutationen in einer kleinen Gruppe, der sog. Leyden-spezifischen Region, im 5´-nichttranslatierten Anteil des Faktor IX-Gens auf. Diese Region ist offenbar für die altersabhängige Regulation der Transkription dieses Gens von Bedeutung. ! Mangel an Hemmstoffen der Blutgerinnung begünstigt die Entstehung von Thrombosen.
Die Entstehung von Thrombosen, d.h. die Bildung von Blutgerinnseln innerhalb der nicht-eröffneten Strombahn, wird durch den partiellen Mangel an Hemmstoffen der Blutgerinnung begünstigt. Dazu gehören vererbbare Protein C-, Protein S- oder Antithrombin III-Mangelzustände. Deshalb ist bei einer familiären Häufung von Thrombosen immer nach derartigen Mangelzuständen zu suchen. Die häufigste Ursache für thrombotische Geschehen ist allerdings die sog. APC-Resistenz, d.h. das aktivierte Protein C kann sein Substrat, den Faktor V, nicht spalten, da durch eine Mutation im Faktor V-Gen die Spaltstelle verändert wird.
In Kürze Die Hämostase kommt durch das koordinierte Zusammenspiel vaskulärer, thrombozytärer und plasmatischer Vorgänge zustande. Bei der zellulären Blutstillung adhärieren Thrombozyten an die Matrix von Endothelzellen. Der Kontakt führt zur Aktivierung der Plättchen mit konsekutiver Änderung der Morphologie, Aggregatbildung und Verschluss des verletzten Gefäßes. Rezeptoren auf der Thrombozytenoberfläche für Laminin, Fibrinogen oder Fibronektin spielen eine Schlüsselrolle bei diesen Vorgängen. An der Aktivierung des Thrombozyten sind die plättcheneigenen Thromboxane und ADP beteiligt, die über
entsprechende Rezeptoren zu einer Autostimulation des Thrombozyten führen. Prothrombinase und Tenase sind die wichtigsten Bestandteile der plasmatischen Gerinnungskaskade. Dabei entsteht aus Prothrombin Thrombin, welches Fibrinogen in Fibrin überführt. Antithrombotische (oder fibrinolytische) Faktoren sorgen dafür, dass die Hämostase lokal begrenzt bleibt. Die plasmatische Gerinnung kann therapeutisch durch die Gabe von Vitamin K-Antagonisten gehemmt werden, die die J-Carboxylierung von Gerinnungsfaktoren blockieren. Die häufigsten genetischen Defekte der Blutgerinnungsfaktoren sind die Hämophilie A und B. Über 600 ver6
991 29.6 · Plasmaproteine
schiedene Mutationen können die klinisch unterschiedlichen Formen der Hämophilie A verursachen. Da die Faktoren VIII und IX in rekombinanter Form verfügbar sind, können sie zur Substitutionstherapie verwendet werden. Genetische Störungen antithrombotischer Proteine wie Protein S, Protein C, Antithrombin III oder die APC-Resistenz können zur Entstehung von Thrombosen führen.
29.6
Plasmaproteine
29.6.1
Konzentration, Biosynthese und Abbau von Plasmaproteinen
! Im gesamten menschlichen Blutvolumen zirkulieren zwischen 180 und 240 g Proteine.
Die Proteine des Plasmas stellen ein heterogenes Gemisch von wahrscheinlich über 100000 Proteinen (Proteom), meist Glycoproteinen dar, die zum überwiegenden Teil in der Leber und im Lymphgewebe synthetisiert werden. Viele von ihnen konnten aufgereinigt werden (. Tab. 29.9). Der Gesamtproteingehalt des Plasmas (oder auch Serums) liegt zwischen 60 und 80 g/l (6 und 8 g Protein/100 ml). Bei einem Gesamtblutvolumen von 5 Litern beträgt das Plasmavolumen bei einem Hämatokrit (7 Kap. 29.2.1) von 40% 3 Liter, die darin enthaltene Proteinmenge zwischen 180 und 240 g. Darüber hinaus befinden sich Albumine auch im extravasalen Raum (15 l) in einer Konzentration von etwa 10 g/l (1 g/100 ml); sie stehen mit den intravasalen Plasmaproteinen im Gleichgewicht. Unter Einbeziehung der extravasalen Proteinmenge mit etwa 150 g ergibt sich eine Gesamtmenge des extrazellulären Proteins von rund 400 g, das sind 4% des Gesamtbestandes des Organismus von etwa 10 kg. Zwischen Biosynthese und Abbau der Plasmaproteine, der u.a. durch Ausscheidung in den Gastrointestinaltrakt und Verstoffwechselung in den peripheren Organen erfolgt, besteht ein dynamisches Gleichgewicht. Störungen dieses Gleichgewichts z.B. durch verringerte Biosynthese bei vermindertem Aminosäureangebot bei Nahrungskarenz oder infolge von Leberparenchym-Schädigungen, durch vermehrte Ausscheidung in den Gastrointestinaltrakt (exsudative Gastroenteropathie) und bei Nierenschädigungen (Proteinurie, 7 Kap. 28.2.3) führen zum Absinken des Plasmaproteinspiegels (Hypoproteinämie). Andererseits kann eine vermehrte Biosynthese, z.B. aufgrund der klonalen Expansion von J-Globulin produzierenden Plasmazellen (7 Kap. 29.6.5) zu einer Erhöhung der Konzentration im Blut führen (Hyperproteinämie). Da bei den Proteinbestimmungen nur die Konzentration, d.h. die Menge der Proteine pro Volumeneinheit, ermittelt wird, täuschen auch Vermehrungen oder Verminderungen des extrazellulären Wassers entsprechende Änderungen des Plasmaproteingehalts vor. So können bei-
Thrombosen können durch Heparine, Acetylsalicylsäure oder Antagonisten bestimmter Thrombozytenrezeptoren behandelt oder vorgebeugt werden. Die Bestimmung der Fibrin D-Dimere erlaubt eine Diagnose von Thrombosen.
spielsweise Wasserverluste infolge von Diarrhöen eine Eindickung des Bluts (Hämokonzentration) und damit eine scheinbare Erhöhung der Proteinkonzentration verursachen. Deshalb sollte zur Unterscheidung von Störungen des Proteinstoffwechsels und Wasserhaushalts gleichzeitig der Hämatokrit ermittelt werden. Die Bestimmung der Gesamtproteinkonzentration besitzt nur eine beschränkte Aussagekraft, da sie keine Information über die qualitative und quantitative Änderung einzelner Proteinfaktoren liefern kann. Deshalb ist man bestrebt, zusätzlich die große Zahl der Plasmaproteine in einzelne Fraktionen aufzutrennen, deren quantitative Veränderungen wertvolle diagnostische Hinweise geben können. Von den zahlreichen in der Praxis angewendeten blutchemischen Untersuchungsmethoden nimmt die Trennung der Plasmaproteine in Einzelfraktionen eine wichtige Stellung ein.
29.6.2
Trennung von Plasmaproteinen in Einzelfraktionen
Zur analytischen Auftrennung der Plasmaproteine stehen die Trägerelektrophorese und die Immunelektrophorese zur Verfügung, bei der die Trägerelektrophorese mit einer Immunpräzipitation kombiniert wird. ! Bei der Elektrophorese werden Folien aus acetylierter Cellulose als Träger verwendet.
Bei der Untersuchung trägt man die Serumprobe nahe der Kathode auf dem Trägerstreifen auf, der dann in die Elektrophoresekammer eingelegt wird. Durch Anlegung einer definierten Gleichspannung beginnen die Proteine nach Ladung und Teilchengröße (je größer das Proteinmolekül, desto mehr Widerstand muss bei der Wanderung im wässrigen Medium überwunden werden) unterschiedlich schnell in Richtung Anode zu wandern. Nach Beendigung des Laufs entnimmt man den Trägerstreifen aus der Kammer und legt ihn in ein Färbebad, in dem die Proteine gefärbt und durch Denaturierung an die Folie fixiert werden. Anschließend erfolgt die photometrische Messung der entstandenen Farbbänder. Im gleichen Arbeitsgang wird durch Integration der Flächen unter den einzelnen Gipfeln der
29
992
Kapitel 29 · Blut
. Tabelle 29.9. Proteine des menschlichen Blutplasmas (Auswahl) Proteine
Proteinanteil [%]
Normalbereich im Serum des Erwachsenen [g/l]
Funktion
Pathobiochemie
0,1–0,4 35–55
p bei schweren Leberleiden Thyroxinbindung Transportfunktion, kolloid- p bei Leberzirrhose, Nephrose osmotischer Druck
Albumine Präalbumin Albumin
61 69
99 100
α1-Globuline Saures α1-Glykoprotein (Orosomucoid)
44
62
0,55–1,40
Unklar
n bei entzündlichen Prozessen, die mit Gewebezerfall einhergehen (Akutphase-Reaktion)
α1-Antitrypsin (α1-Antiprotease)
54
86
2–4
Proteaseinhibitor (Trypsin, Chymotrypsin, Plasmin, Elastase)
n bei entzündlichen Prozessen (Akutphase-Reaktion); genetisch bedingter Mangel führt zum Lungenemphysem
200
45
2,90–7,70
Transport von Lipiden, Hormonen
p bei Lebererkrankungen
0,05–0,1 (Plasma)
Proenzym des Thrombins (Gerinnung)
p bei Lebererkrankungen Anticoagulantentherapie
α1-Lipoprotein (high density lipoprotein) Prothrombin (Gerinnungsfaktor)
29
Molekulargewicht (kD)
60
Transcortin
45
Thyroxin-bindendes Globulin
45
86
Cortisolbindung
α1-Antichymotrypsin
68
α1-Fetoprotein
68
Gc-Globulin (group-specific component)
50
96
0,2--0,55
Vitamin D-Bindung
p bei schwerem Leberleiden
α2-Caeruloplasmin (Ferrooxidase I)
160
89
0,2--0,6
Enzymatische Eisenoxidation
n bei Schwangerschaft p bei Morbus Wilson
α2-Antithrombin III
65
85
0,17–0,3
Thrombininhibitor
p genetisch bedingter Mangel, Verbrauchscoagulopathie
α2-Haptoglobin
100
81
0,8–3,0
Hämoglobinbindung
p Leberleiden und hämolytische Anämien n bei Entzündungen (Akutphase-Reaktion)
α2-Makroglobulin
820
92
Plasmininhibitor
Serumcholinesterase (Pseudocholinesterese)
348
76 E/l
Plasminogen (Profibrinolysin)
143
91
0,06–0,25
Proenzym des Plasmins (Fibrinolysins)
n bei entzündlichen Prozessen (Akutphase-Reaktion)
3200
19
2,5–8
Transport von Lipiden
n Nephrose
185
97
0,8–1,4
Komplementfaktor
80
77
0,5–1,15
Häminbindung
Thyroxinbindung 73
0,3–0,6
Chymotrypsininhibitor
< 15 × 10–6
n bei entzündlichen Prozessen (Akutphase-Reaktion) Nur beim Fetus und Neugeborenen nachweisbar; bei Erwachsenen mit Lebercarcinom oder Hodentumoren
α2-Globuline
p bei schweren Leberleiden
3000–8000 (z.B. Leberzirrhose)
β-Globuline β-Lipoprotein (low density lipoprotein) β1C-Globulin (Cc3-Komponente) Hämopexin (β1B-Globulin)
p bei hämolytischen Anämien
993 29.6 · Plasmaproteine
. Tabelle 29.9 (Fortsetzung) Proteine
Molekulargewicht (kD)
Proteinanteil [%]
Normalbereich im Serum des Erwachsenen [g/l]
Funktion
Pathobiochemie
90
95
2–4
Bindung und Transport von Eisen
n in der Schwangerschaft und bei Einnahme von Ovulationshemmern n Anämien, Leberkrankheiten, Infekte
Fibrinogen (Gerinnungsfaktor 1)
340
97
2–4,5 (Plasma)
Blutgerinnung
n bei Leberparenchymschäden, Hyperfibrinolyse, bei Entzündungen (AkutphaseReaktion)
C-reaktives Protein
140
100
< 0,012
Phagozytoseförderung
n bei akut entzündlichen Prozessen (Akutphase-Reaktion)
150
97
8–18
Antikörper
n bei Leberleiden, chronischen Infekten p bei Antikörpermangelsyndrom
0,9–4,5
Antikörper (bes. in Sekreten)
Wie oben
Antikörper (Isoagglutinine u.a.)
Wie oben n Makroglobulinämie Waldenström
Transferin (Siderophilin)
γ-Globuline IgG (γG, γ2, 7S-γ-Globulin)
IgA (γA, γ1A, β2A-Globulin)
160 sowie Aggregate
92
IgM (γM, β2M, 19S-γ-Globulin)
900 sowie Aggregate
89
0,6–2,5 0,7–2,8
IgD (γD-Globulin)
170
88
< 0,15
Antikörper?
n bei Plasmozytom
IgE (γE-Globulin)
190
89
< 6 × 10–4
Antikörper (Reagine)
n bei Plasmocytom und Allergien
Lysozym (Muraminidase)
15
100
5–15 × 10–3
Bakterienauflösung
n beim Zerfall leukämischer Varianten von Monocyten/ Granulozyten
Extinktionskurve der relative Anteil der einzelnen Proteine errechnet (. Abb. 29.35). Bei Kenntnis der Gesamtserumproteinkonzentration können die Relativwerte in Absolutkonzentrationen umgerechnet werden. Bei der allgemein üblichen Technik werden fünf Fraktionen beobachtet, in denen sich Proteine mit ähnlicher Ladung und Teilchengröße angesammelt haben (. Tabelle 29.10): Albumine und Globuline mit den Untergruppen D1, D2, E und J. Die klinische Bedeutung der Trägerelektrophorese ist die Erfassung von Dysproteinämien (7 Kap. 29.6.5), d.h. Verschiebungen der Proportion der einzelnen Plasmaproteinfraktionen. ! Bei der Immunelektrophorese wird die Elektrophorese mit einer anschließenden Immunfällung kombiniert.
Dabei wird die Serumprobe zuerst in einem Agarosegel elektrophoretisch getrennt. Anschließend wird eine Rinne ausgestanzt, in die ein z.B. durch Immunisierung von Kaninchen gewonnenes Humanantiserum (7 Kap. 34.3.4) gegeben wird. Das Antiserum diffundiert nun gegen die Proteine des Serums. Beim Zusammentreffen eines Serumproteins mit seinem entsprechenden Antikörper aus dem Antiserum kommt es im Verlauf mehrerer Stunden zu einer
Antigen-Antikörper-Reaktion, die in Form einer halbkreisförmigen bis länglichen Präzipitationslinie sichtbar wird (. Abb. 29.36). Mit Hilfe der Immunelektrophorese können bis zu 40 Präzipitationslinien und damit Proteine im Serum nachgewiesen werden (. Abb. 29.37 und . Tabelle 29.9). Die bei der einfachen Trägerelektrophorese homogen erscheinenden Fraktionen, in denen sich Proteine ähnlicher Ladung und Teilchengröße ansammeln, können so in ihre verschiedenen Einzelbestandteile zerlegt werden. Die Immunelektrophorese gestattet jedoch nur eine qualitative
. Tabelle 29.10. Normalwerte der Plasmaproteinfraktionen Proteinfraktion
Relativprozent
Albumine
55–70
(60)
3,85–4,90
2–5
(4)
0,14–0,35
α2-Globuline
5–10
(8)
0,35–0,7
β-Globuline
10–15
(12)
0,7–1,05
γ-Globuline
12–20
(16)
0,84–1,4
α1-Globuline
Absolutkonzentration [g/dl] bei einer Konzentration von 7 g Protein/dl Serum
29
994
Kapitel 29 · Blut
a
b
29
. Abb. 29.35. Trennung der Proteine eines normalen Serums auf Celluloseacetatfolie. Rechts: Trägermaterial nach Beendigung der Elektrophorese. Links: Die bei der photometrischen Auswertung der Färbebänder entstandene Extinktionskurve; die Zahlen geben die Werte an, die bei der Integration der Flächen unter den einzelnen Gipfeln der Extinktionskurve ermittelt werden (Relativprozente). Bei bekanntem Gesamteiweißwert kann daraus die absolute Menge (g/dl) der einzelnen Fraktionen berechnet werden
+
–
c
d
und keine quantitative Bestimmung der verschiedenen Serumproteine. Soll die Konzentration eines bestimmten Serumproteins ermittelt werden, so kann dies unter Anwendung eines spezifischen Antikörperproteins, das durch Immunisierung von Versuchstieren gewonnen wird und im Handel erhältlich ist, erfolgen (ELISA, RIA etc., 7 Kap. 25.2.4). Die Domäne der Immunelektrophorese ist die Diagnostik der sog. monoklonalen Gammopathien oder Paraproteinämien (7 Kap. 29.6.5).
29.6.3
Die einzelnen Proteinfraktionen des Serums
! Die Albumine stellen mit 50–60% die Hauptfraktion der Serumproteine.
Vor den Albuminen wandern in der Elektrophorese die Präalbumine, die in beschränktem Umfang Thyroxin binden können. Die Albumine (Halbwertszeit 17–27 Tage) transportieren nicht-veresterte Fettsäuren, Tryptophan, Pharmaka, Vitamine, Kationen (Magnesium und Calcium), Spurenelemente sowie Abbau- und toxische Produkte und besitzen eine hohe Wasserbindungsfähigkeit. Sie sollen auch eine Aminosäurereserve für den Organismus darstellen. Die Albuminkonzentration des Serums gilt seit langem als Parameter für die Funktion der Leber, da die Albumine einen wesentlichen Teil der Proteine, die von der Leberzel-
. Abb. 29.36a–d. Prinzip der Immunelektrophorese. a Auftragung der Antigenmischung in das Probenloch. b Elektrophoretische Auftrennung. c Auftragung des Antiserums in die nach Abschluss der Elektrophorese ausgestanzte Rinne. d Bildung von Präzipitationslinien bei der Diffusion
le synthetisiert und in den Extrazellulärraum sezerniert werden, ausmachen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Serumalbuminspiegel nur die Resultante von Biosynthese im Hepatozyten, Verteilung im Organismus und Abbau ist und dass über diese Prozesse, insbesondere die Regulation der Biosynthese – die durch die Ernährung, einzelne Aminosäuren, Hormone und den kolloidosmotischen Druck beeinflusst wird –, nur wenig bekannt ist. Bei einem Plasmaspiegel von 3,5–4,5 g/dl beträgt die täglich synthetisierte Albuminmenge beim erwachsenen Mann (Frau) 120–200 (120–150)mg/kg Körpergewicht. Nur etwa 40% des gesamten Albumins im menschlichen Organismus befinden sich im Plasma. Die Hauptmenge der restlichen 60% ist im Extrazellulärraum des Hautgewebes lokalisiert. Albumine können in der Tränenflüssigkeit, in Schweiß, Speichel, Magensaft und Ödemen nachgewiesen werden und kommen wahrscheinlich in jeder Körperflüssigkeit vor. Die Konzentrationen reichen dabei von weniger als 1 g/l bei Ödemen bis zu 20–30 g/l bei Exsudaten (durch Entzündung bedingter Austritt von Flüssigkeit aus den Blutgefäßen).
995 29.6 · Plasmaproteine
! Die Globuline stellen eine äußerst heterogene Gruppe von Proteinen dar.
Globuline unterscheiden sich von den Albuminen durch ihre schlechtere Wasserlöslichkeit und ihr höheres Molekulargewicht. Mit Ausnahme der Proteine, die an anderer Stelle besprochen werden, wie z.B. die Lipoproteine (7 Kap. 18.5.1), die Blutgerinnungsfaktoren (7 Kap. 29.5.3), Caeruloplasmin (Ferrooxidase) und Transferrin (7 Kap. 22.2.1), Enzyme (z.B. Pseudocholinesterase, Amylase), Hormone (z.B. Insulin und Hypophysenhormone) sowie die Immun(J-)Globuline (7 Kap. 34.3.4), wird im Folgenden auf einige Globuline hingewiesen. α1-Globuline. Mit einem Kohlenhydratanteil von 38% ist
das saure α1-Glycoprotein das kohlenhydratreichste Serumprotein. Die Konzentration dieses Proteins, das als Akutphase-Protein (7 Kap. 29.6.4) an der Immunmodulation beteiligt ist, ist bei akuten und chronischen Infekten, bei Karzinomen und während der Schwangerschaft erhöht. Zur D1-Fraktion gehören auch die Proteaseinhibitoren D1Antitrypsin und D1-Antichymotrypsin, Hormon bindende Proteine (Transcortin und Thyroxin-bindendes Globulin) und das α1-Fetoprotein. Letzteres ist im fetalen Plasma in höherer Konzentration vorhanden (Bildungsort: Leber und Dottersack), beim gesunden Erwachsenen jedoch nur noch in geringen Konzentrationen. Es besitzt die Fähigkeit zur Östrogenbindung und könnte somit den Fetus vor einem Überschuss mütterlicher Östrogene schützen. Bei Patienten mit Leberzellkarzinomen und Hodentumoren findet eine Biosynthese dieses Proteins in den Tumorzellen statt, von denen es ins Plasma abgegeben wird und dort nachgewiesen werden kann (7 Kap. 35.10). α2-Globuline. Haptoglobin kann das bei Hämolysen frei
im Serum auftretende Hämoglobin binden, sodass dieses nicht in den Urin übertreten kann und ein Eisen- und Aminosäureverlust verhindert wird. Haptoglobin und Hämoglobin bilden einen Komplex, der schnell von der Leber aufgenommen wird. Bei Hämolysen ist deshalb der SerumHaptoglobin-Spiegel erniedrigt. β-Globuline. Zu diesen Globulinen gehören
4 Hämopexin, das Hämin bindet 4 Transferrin, das Eisen bindet 4 Properdin, das in unspezifischer Weise zur Abwehr beiträgt 4 Faktoren des Komplementsystems, das im Zusammenspiel mit Antikörpern bei der Immunabwehr wirkt (7 Kap. 34.4), und 4 das C-reaktive Protein (CRP)
. Abb. 29.37. Schematische Darstellung der immunelektrophoretisch nachweisbaren Präzipitationslinien der wichtigsten Serumproteine. Darüber das Nativpräparat einer Immunelektrophorese
verursachen) gemeinsam ist. Das C-reaktive Protein kommt beim Gesunden nur in sehr geringer Konzentration vor (<0,5 mg/100 ml). Es ist bei Prozessen erhöht, die mit Gewebeläsionen (bakterielle Infektionen, Entzündungen, bösartige Tumoren) einhergehen (7 u.). β2-Mikroglobulin. Dieses Protein weist eine strukturelle
Ähnlichkeit mit einem Abschnitt des Immunglobulins G auf und kann in Zellmembranen Teil des Histokompatibilitäts-Antigens (Klasse I-Antigene, 7 Kap. 34.2.2) sein. Da das Protein ständig von Zellmembranen abgegeben wird, ist es in verschiedenen Körperflüssigkeiten nachweisbar (Liquor cerebrospinalis, Speichel, Colostrum, Spermaflüssigkeit, Amnionflüssigkeit, Serum und Urin). Die Serumwerte sind bei Krankheiten mit verändertem Zellumsatz, wie z.B. neoplastischen, entzündlichen oder immunologischen Prozessen, erhöht. γ-Globuline. Bei den Proteinen, die bei der Elektrophorese
Letzteres Protein hat diesen Namen erhalten, weil es in vitro mit dem C-Kohlenhydrat reagiert, das der Polysaccharidkapsel aller Pneumokokken (die z.B. Lungenentzündungen
im J-Bereich wandern, handelt es sich um die Antikörper, die mit Hilfe der Immunelektrophorese in fünf Immunglobulinklassen (. Abb. 29.37) getrennt und quantifiziert wer-
29
996
Kapitel 29 · Blut
den können (IgG, IgA, IgM, IgD, IgE). Ihre Struktur und Funktion wird ausführlich in 7 Kapitel 34.3.4 diskutiert. In diesem Bereich findet sich auch Lysozym, das die Mukopeptidschicht der Bakterienwand (7 Kap. 2.1.4) spaltet und somit unspezifisch zur Immunabwehr beiträgt. Außer im Blut (als Produkt von Monozyten) wird dieses Enzym in den meisten Körpersekreten (Nasenschleim, Cervicalschleim, Haut, Tränenflüssigkeit) gefunden.
29.6.4
29
Funktionen der Plasmaproteine
Die Plasmaproteine tragen zur Erfüllung der genannten Aufgaben des Bluts bei. Ihre wichtigste Funktion, die insbesondere von den Albuminen ausgeführt wird, ist die Aufrechterhaltung eines konstanten Plasmavolumens. Weiterhin transportieren die Plasmaproteine (. Tabelle 29.9) wasserunlösliche Substanzen (Pharmaka, Fettsäuren, Cholesterin, Bilirubin), Metalle (Eisen, Kupfer), Hormone (Thyroxin, Cortisol) und Vitamine (Vitamin B12) und leisten einen entscheidenden Beitrag bei der Blutgerinnung (Prothrombin und Fibrinogen) und Fibrinolyse (Plasminogen) sowie bei der Abwehr von Infektionen (J-Globuline, Lysozym, C-reaktives Protein, Faktoren des Komplements). In beschränktem Umfang können Plasmaproteine auch als Puffer wirken. ! Plasmaproteine sind im Rahmen der Akutphase-Reaktion an Entzündungen beteiligt.
Die meisten Gewebeverletzungen (z.B. Trauma, Operation oder Infektion) gehen mit einer Reihe entzündungstypischer, zellbiologischer Veränderungen einher. Bei dieser unspezifischen Reaktion steigt die Plasmakonzentration mehrerer, meist im Hepatozyten gebildeten Proteine an (. Abb. 29.38). Von den etwa 30 beteiligten und als Proteine der akuten Phase (7 Kap. 33.2.3) bezeichneten Moleküle ist das C-reaktive Protein (CRP) am besten für diagnostische Zwecke geeignet, da es leicht bestimmt werden kann. Die Synthese der Akutphase-Proteine unterliegt der Regulation durch verschiedene Cytokine (Interleukin-1, Interleukin-6, TNFD, Interferon-J, TGFE, epidermaler Wachstumsfaktor (EGF), Leukämie inhibierender Faktor (LIF)), die von Makrophagen und anderen Entzündungszellen auf die Verletzung hin gebildet werden (. Abb. 29.39). ! Plasmaproteine sind an der Aufrechterhaltung eines konstanten Plasmavolumens beteiligt.
Im Bereich der Kapillaren findet der Austausch von Stoffen zwischen intra- und extravasalem Raum statt. Pro Minute werden im Kapillarbereich etwa 70% des Plasmawassers ausgetauscht. Mit dem Wasser gelangen Nährsubstrate vom Blutplasma durch die Kapillarmembran ins Gewebe und Abfallprodukte von den Geweben ins Blut. Dabei ist die Entfernung von Stoffwechselmetaboliten ebenso wichtig wie die Bereitstellung von Sauerstoff und Nährsubstraten.
. Abb. 29.38. Reaktion der Akutphase-Proteine nach Gallenblasenentfernung
Treibende Kraft für den Flüssigkeitsaustausch durch die Kapillaren ist der hydrostatische Druck, der in den Kapillaren höher als außerhalb ist. Auf der anderen Seite verhindert die Wasser anziehende Kraft der Plasmaproteine, die als kolloidosmotischer (onkotischer) Druck bezeichnet wird, dass das Plasmawasser vollständig in den interstitiellen Raum abgepresst wird. Unterschiede in diesen beiden Drucken im arteriellen und venösen Schenkel der Kapillare (Starling-Mechanismus, Einzelheiten 7 Lehrbücher der Physiologie) sorgen dafür, dass die Zelle stets in einem nährsubstratreichen Milieu gebadet wird, da mit der Flüssigkeit Glucose, Aminosäuren, Fettsäuren, Sauerstoff und andere lebenswichtige Stoffe an die Zelle herangeschwemmt werden. Auf dem gleichen Wege werden die Stoffwechselprodukte abtransportiert. Daraus wird verständlich, warum eine Reduktion des Plasmaproteinspiegels (Hypoproteinämie) Störungen des Wasseraustauschs im Kapillarbereich verursacht.
29.6.5
Pathobiochemie
! Homozygoter Mangel an D1-Antitrypsin führt zum Lungenemphysem.
D1-Antitrypsin (D1-AT), das ein breites Spektrum von Proteasen hemmt, darunter auch die Elastasen neutrophiler Granulozyten, und deshalb besser als D1-Antiprotease bezeichnet werden sollte, schützt die Lungen vor der Wirkung von Proteasen, die von Leukozyten und phagozytierenden Zellen freigesetzt werden. Normalerweise sind diese Proteasen für den Abbau beschädigter Lungenzellen und eingedrungener Bakterien erforderlich. Bei Patienten mit D1Antiproteasenmangel wird die protektive Funktion der Proteasen nicht durch Gegenspieler, d.h. Antiproteasen reguliert, sodass sie sich gegen intakte, körpereigene Substanzen, in diesem Fall das Elastin, und andere Proteine der extrazellulären Matrix wendet, die das architektonische
997 29.6 · Plasmaproteine
. Abb. 29.39. Bildung der Proteine der Akutphase-Antwort. Nach Gewebeverletzung werden Entzündungszellen (Monozyten, Fibroblasten, Makrophagen) aktiviert, woraufhin sie Cytokine wie Interleukin-1, Interleukin-6 oder TNFα freisetzen, die in der Leber zur Synthese
und Freisetzung von Akutphase-Proteinen führen. Die in Stresssituationen freigesetzten Corticosteroide wirken als Cofaktoren der Genexpression der Akutphase-Proteine
Rückgrat der dünnen Alveolarwände darstellen. Da die Lungenzellen postmitotisch sind, führt die kontinuierliche Zerstörung der Alveoli zum Emphysem. D1-Antitrypsin (394 Aminosäuren), das zu den sog. Akutphase-Proteinen (7 Kap. 29.3.1, 33.2.3) gehört, wird hauptsächlich von Hepatozyten und in geringerem Maße von Monozyten und Neutrophilen gebildet. Das verantwortliche 12 kb-Gen liegt auf Chromosom 14q31 und besteht aus sieben Exons (. Abb. 29.40). Die ersten drei Exons (1a–c) codieren für den Genpromotor, der wichtig für die Änderung der Genexpression im Rahmen der Akutphase-Antwort ist. Die anderen vier Exons enthalten die Information für das D1-Antitrypsinprotein. Der nor-
male Phänotyp wird als Pi-(Proteaseinhibitor)-Typ bezeichnet. Insgesamt sind nahezu 75 Allele für den Pi-Locus bekannt. Mindestens 20 von ihnen können zu Mangelzuständen führen. ! 95% der Mutationen führen zur Bildung des Z-Allels.
Die Nomenklatur für die D1-Antitrypsin-Allele gründet sich auf der Wanderung des Proteins im elektrischen Feld, d.h. Varianten, die am schnellsten in Richtung Anode wandern, werden mit Buchstaben zu Beginn des Alphabets versehen. Die häufigen, normalen Varianten (M1 [Ala213], M1 [Val213], M2 und M3) wandern in der Mitte (daher »M«). Die häufige, mutierte Z-Variante ist positiv geladen und
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dessen Oxidation zur Inaktivierung des Moleküls führt. Diese Oxidation kann auch durch von Neutrophilen freigesetzte Sauerstoffradikale erfolgen (7 Kap. 15.3). Eine gentechnologisch hergestellte Variante des Enzymhemmstoffs besitzt deshalb einen Valyl- anstelle des Methionylrests in Position 358, der die enzymatische Aktivität nicht beeinträchtigt, das Protein aber gegen Sauerstoffradikale unempfindlich macht. Die Oxidation des Methionylrests kann auch durch Zigarettenrauch und die durch die Inhalation bei Rauchern auftretenden Reaktionen in der Lunge begünstigt werden. Deshalb kommt es bei Patienten mit D1-Antitrypsinmangel, die rauchen, zu einer schnelleren Ausbildung des Emphysem. ! Dysproteinämien sind Verschiebungen des quantitativen Verhältnisses der einzelnen Proteinfraktionen zueinander.
. Abb. 29.40. α1-Antitrypsin. a Struktur des menschlichen a1Antitrypsin-Gens mit der Mutation in Position 342 (Glu o Lys), die zur Z-Variante führt b Vererbung der M1, M2 und Z-Allele bei gemischtheterozygoten Personen. Eine Erniedrigung unter 11 μmol/Liter α1Antitrypsin-Plasmagehalt bei der homozygoten ZZ-Konstellation führt zu klinischen Folgen des α1-Antitrypsinmangels
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wandert deshalb zur Kathode. Von beiden Elternteilen können unterschiedliche Allele ererbt werden. Die Vererbung von zwei normalen Allelen ist mit normalen D1-Antitrypsin-Plasmaspiegeln verbunden, die eines normalen und eines mutierten Gens mit mittleren Spiegeln und die zweier mutierter Gene mit einem D-Antitrypsin-Mangel (. Abb. 29.40). Nur bei einem Abfall der Serumspiegel unter etwa 11 μmol/Liter steigt das Risiko, ein Lungenemphysem zu entwickeln. Dies bedeutet, dass ein Individuum zwei mutierte D1-Antitrypsingene geerbt haben muss (entweder homozygot oder gemischt heterozygot). Darüber hinaus bedingen nur bestimmte, mutierte Allele das Risiko einer Manifestation der Erkrankung in der Leber. Normalerweise wird die D1-Antitrypsin-mRNA am rauen endoplasmatischen Retikulum translatiert, das neu synthetisierte Molekül in die Zisternen sezerniert, Kohlenhydrate hinzufügt und das Molekül schließlich in das Blutplasma sezerniert. Im Falle der Z-Mutation führt die heteropolare Substitution von einem negativ geladenen Glutamyl- zu einem positiv geladenen Lysylrest zu einer Veränderung der dreidimensionalen Struktur des Moleküls, sodass es teilweise im rauen endoplasmatischen Retikulum aggregiert (. Abb. 29.40). Als Folge wird nur etwa 15% der Z-Typ-D1-Antitrypsinmoleküle sezerniert. Möglicherweise führt das aggregierte D1Antitrypsin Z zu einer Schädigung der Hepatozyten mit einer Entzündungsantwort, die bei einzelnen Patienten zur Leberzirrhose führt. Das Emphysem entwickelt sich bei den Patienten i. Allg. gegen Ende des 3. Lebensjahrzehnts. Die Krankheit wird durch Substitution mit D1-Antitrypsin behandelt. D1-Antitrypsin besitzt im aktiven Zentrum einen Methionylrest,
In Abhängigkeit davon, welche Globulinfraktion erhöht ist, werden folgende Typen unterschieden: α-Typ. Bei deutlicher Verminderung der Albumine (Hypal-
buminämie) sind die D1-Globuline vermehrt, die D2-Globuline stark (bis 25 Relativprozent) erhöht. Die J-Globulinfraktion ist häufig erhöht oder aber auch normal. Der D-Typ ist Ausdruck akut entzündlicher Prozesse (Akutphase-Proteine gehören zu den D1- und D2-Globulinen (. Tabelle 29.9). α2-β-Typ. Bei deutlicher Verminderung der Albumine sind die D2-Globuline sehr stark, die J-Globuline deutlich vermehrt. Die J-Globuline sind meist vermindert, können aber auch normal oder vermehrt sein. Meist besteht eine Hypoproteinämie. Der D2-E-Typ kommt z.B. beim nephrotischen Syndrom (degenerative Veränderungen der Glomerulumkapillaren, 7 Kap. 28.2.3) vor. β-Typ. Die isolierte Vermehrung der E-Fraktion kommt sel-
ten vor. γ-Typ. Bei Verminderung der Albumine sind die J-Globuline vermehrt. Die Hyperglobulinämie ist heterogen, d.h. breitbasig (polyklonale Gammopathie). Immunelektrophoretisch besteht meist eine starke Vermehrung der IgG-, aber auch der IgA- und IgM-Globuline. Die Immunglobulinlinien zeigen eine allgemeine Verstärkung, jedoch keine Deformierung wie bei den Paraproteinämien (7 u.). Der J-Typ ist Ausdruck chronisch entzündlicher Erkrankungen, der schweren Hepatitis und der Leberzirrhose (. Abb. 29.41). ! Defektproteinämien sind durch den genetischen Mangel einzelner Proteine gekennzeichnet.
Beispiele sind die – seltenen – Krankheiten Analbuminämie, Afibrinogenämie, A-E-Lipoproteinämie und die Agammaglobulinämie (Antikörpermangelsyndrom, 7 Kap. 34.7.1). Patienten mit Analbuminämie sind klinisch unauffällig; die
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. Abb. 29.41. Elektrophoresediagramm einer Dysproteinämie vom γ-Typ (Beispiel schwere Hepatitis; 7 auch Abb. 29.35)
Laboratoriumsbefunde zeigen eine ausgeprägte Hypoproteinämie, die auf dem fast vollständigen Fehlen der Albumine beruht. Gleichzeitig sind sämtliche Globulinfraktionen stark vermehrt. Dieser kompensatorische Anstieg ist offenbar der Grund dafür, dass bei den betroffenen Patienten hypoproteinämische Ödeme (7 o.) nicht obligat sind.
Es handelt sich hierbei um einheitliche Immunglobuline, d.h. von einem Zellstamm (Klon, 7 Kap. 34.3.4) gebildete Antikörper (monoklonale Gammopathien). Diese Immunglobuline werden exzessiv von Plasmazellen (Plasmozytom oder Myelom) gebildet. Die Einheitlichkeit der Immunglobuline äußert sich in der Serum- und Urinelektrophorese in Form einer schmalbasigen, hochaufstrebenden Zacke. Da diese immer beim Myelom (Plasmozytom) und beim Morbus Waldenström (Makroglobulinämie) auftritt, wird dieser diagnostisch wichtige Hinweis auf das Vorliegen einer Paraproteinämie als M-Gradient bezeichnet. Der sichere Nachweis und die weitere Differenzierung sind jedoch nur durch die immunelektrophoretische Untersuchung möglich, wobei die entsprechende Immunglobulinlinie nicht nur eine Verstärkung wie bei der heterogenen polyklonalen Vermehrung der Immunglobuline (z.B. bei Patienten mit Leberzirrhose) zeigt, sondern auch eine pathologische Form. Bei den Plasmozytomen werden entweder IgG-, IgA-, IgD- oder IgE-Proteine, beim Morbus Waldenström IgM-Proteine (Makroglobulinämie) vermehrt gebildet.
! Bei Paraproteinämien werden monoklonale Immunglobuline gebildet.
In Kürze Albumine stellen die Hauptfraktion der Serumproteine. Sie besitzen Transportfunktion. Die Globuline stellen eine äußerst heterogene Gruppe von Proteinen mit unterschiedlichsten Aufgaben dar. Das C-reaktive Protein (CRP) ist der wichtigste Parameter akuter Entzündungen. Es kann schnell und einfach quantitativ bestimmt werden und hat deshalb für die klinische Praxis
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eine große Bedeutung erlangt. Durch die Serumelektrophorese können Dys- und Defektproteinämien erkannt werden. Bei Paraproteinämien kommt es zur Überproduktion monoklonaler Immunglobuline. D-1-Antitrypsinmangel kann – je nach Genotyp – zum Lungenemphysem oder zur Leberzirrhose führen.
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