DEUTSCHLAND
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DONNERSTAG, 11. SEPTEMBER 2008 | NR. 177
Wundermittel und ihre Folgen technik in absehbarer Zeit zum Heranzüchten von Superathleten missbraucht werden könnte. Allerdings seien gen- und zelltherapeutische Verfahren bereits heute in der Lage, selektive Leistungssteigerungen hervorzurufen, formuliert Thomas Petermann, Leiter des TAB in Berlin, als Kernaussage des Berichts. Sein Büro berät seit 1990 den Deutschen Bundestag in Fragen des wissenschaftlich-technischen und gesellschaftlichen Wandels. Mit der Studie zum Gendoping erhofften sich die Parlamentarier Hinweise darauf, wie groß das Risiko ist, dass Gentherapien zum Doping im Sport missbraucht werden. Darüber hinaus wollten sie wissen, was der Staat tun könne, um den Missbrauch zu verhindern oder aufzudecken. Die Experten schlagen den Politikern vor, die Erforschung und Entwicklung von Nachweistests und Kontrollverfahren zu unterstützen. Außerdem sollten im Sinne eines Frühwarnsystems die gendoping-relevanten wissenschaftlichen Trends genau beobachtet werden. Darüber hinaus könnte Aufklärungs- und Informationsarbeit bei Sportlern, Betreuern und Medizinern helfen, Gendoping erst gar nicht zu einem Problem werden zu lassen. Gendoping ist nur ein Beispiel. Mehr als 150 Berichte haben die Mitarbeiter des Büros inzwischen zusammen mit externen Experten zu verschiedenen Themen für das Parlament erarbeitet. „Sie haben damit Politikern in den Fachausschüssen geholfen, Entscheidungen über die finanzielle Förderung von Forschungsprojekten oder die Schaffung von entsprechenden RahmenbedinHANS SCHÜRMANN | BERLIN gungen in Form von Gesetzen zu treffen“, sagt Ulla BurEs war schon eine kleine Sensation bei den Olympischen chardt, Vorsitzende des Bildungsausschusses des BunSpielen in Peking, als Usain Bolt den 100-Meter-Sprint destages, der die Studien beim TAB in Auftrag gibt. Bereits Anfang der 70er-Jahre, als Wissenschaft und der Männer mit neuem Weltrekord lief. Hatten doch Sportmediziner im Vorfeld der Wettkämpfe in Peking Forschung eine immer größere Bedeutung für die Geselldie Erwartungen gedrückt und orakelt, dass beim Sprint schaft erlangten, suchten die Politiker nach einer Orienund beim Marathon längst das Maximum erreicht sei. tierung. Sie wollten eine Institution nach amerikaniUnd dann das. Der jamaikanische Sprinter trabte mit schem Vorbild zimmern. So wie das 1972 gegründete Offast spielerischer Leichtigkeit durchs Ziel – und sugge- fice of Technology Assessment sollte das neue Büro abrierte: Es geht noch mehr. Während sich seine Konkur- klopfen, was neue Techniken bewirken könnten und welrenten, die er mit deutlichem Abstand geschlagen hat- che Rahmenbedingungen geschaffen werden müssten, um Innovationen möglichst in die richtigen Bahnen zu ten, sichtlich abmühten. Kein Wunder, dass für viele sofort klar war: Der ist ge- lenken. „Es dauerte 15 Jahre, bis sich der Bundestag für ein dopt. Nachweisen kann man Bolt die Manipulation des Körpers nicht, doch der Verdacht bleibt. Für die Doping- Konzept entschieden hatte“, berichtet Petermann, der von Anfang an dabei ist. Das Fahnder ist es ein großes ProInstitut für Technikfolgenblem, dass HochleistungsAbschätzung und Systemanasportler, um letzte Reserven Thomas Petermann lyse (ITAS) des Forschungsrauszukitzeln, auch zu Methozentrums Karlsruhe wurde den greifen, von denen nicht Thomas Petermann, Jahrgang 1947, ist stellvertredann schließlich Anfang der bekannt ist, welche Auswirtender Leiter des Büros für Technikfolgenabschät90er mit dem Aufbau des Bükungen sie auf die Gesundzung (TAB) in Berlin. Das Büro erstellt im Auftrag ros und der Durchführung heit des Körpers haben. des Bildungsausschusses des Bundestags Techerster Studien beauftragt – zuHauptsache, sie können nicht nologiestudien. Der Politikwissenschaftler interesnächst als Experiment für nachgewiesen werden. sierte sich bereits während seines Studiums für drei Jahre. Nachdem die neue Längst wird auch über die Auswirkungen von neuen Technologien auf die Institution ihre Feuertaufe beerste Fälle von Gendoping Gesellschaft. Das TAB gibt es seit 1990. Es hat bis standen hatte, wurde der Verspekuliert. Dabei geht es um heute mehr als 150 Berichte für das Parlament vertrag um fünf weitere Jahre Methoden, die eigentlich für fasst. Petermann ist von Anfang an verantwortlich verlängert. die Behandlung schwerer, bisfür die Projekte. Er koordiniert die Aufgaben und Das ist bis heute so geblielang unheilbarer Erkrankunkommuniziert die Ergebnisse der Studien gegenben: Im Fünfjahresrhythmus gen entwickelt werden wie über dem Parlament. wird der Sinn des Büros überParkinson, Muskelschwund, prüft und der Betreiber neu Krebs oder Diabetes. Die Definieren Sie das Wort „Risiko“ in einem kurausgeschrieben. Bis 2003 haHoffnung der Athleten: Verzen Satz! ben die Forscher vom Karlsänderte Erbinformationen Risiko heißt, es könnte etwas Negaruher Forschungszentrum albringen den Körper dazu, tives passieren – vielleicht aber leine den Zuschlag erhalten. mehr Muskelmasse oder auch nicht. „Dann haben wir das Fraunschnellere Muskelfasern zu Welches Risiko fürchten Sie hofer ISI hinzugenommen“, bilden, beziehungsweise Horam meisten? sagt Burchardt. Aufgabe der mone zu produzieren, mit deUnbedachtes Handeln, unangeForscher für System- und Inren Hilfe sie im Wettkampf passtes Verhalten. novationsforschung, die in dann die entscheidende LeisWelches Risiko wird am Karlsruhe arbeiten, sei die tungssteigerung mobilisieren meisten überschätzt? langfristige Technikvorauskönnen. Das Risiko, etwas Guschau. Nicht erst nach den Berichtes zu tun. Die Fraunhofer-Forscher ten über Auffrischungen des Was war die gesollen beispielsweise ExpertiErbguts in chinesischen Klinifährlichste Situasen darüber erstellen, wie ken, die wenige Wochen vor tion Ihres LeTechnik die Gesellschaft und den Spielen durch die Mebens? das Leben verändert. Beidien gingen, sind sich FachEine kritische Situaspiel „Pervasive Computing“, leute sicher: „Gendoping fintion in den Bergen. die Digitalisierung des Alldet bereits heute statt.“ Zu tags. „Wenn in allen unseren dem Schluss kommt auch eine vom Bundestag in Auftrag gegebene Studie beim Alltagsgegenständen kleine intelligente Teilchen eingeBüro für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) in Berlin: baut sind, dann stellt sich doch die Frage, was passiert da Angesichts der Entwicklungen in den biotechnologi- eigentlich, wenn sich die Gegenstände miteinander verschen und pharmazeutischen Labors müsse davon ausge- netzen und Daten austauschen, ohne dass der eigentligangen werden, dass derartige Methoden bereits heute che Träger und Eigentümer dies noch erfährt“, sagt Burvon Sportlern und deren betreuenden Medizinern ge- chardt. Das berühre nicht nur Fragen des Datenschutzes, sondern führe letztlich zu der Frage, wie wir leben nutzt werden. Die Experten, die an der Studie beteiligt waren, haben wollen. „Wir wollen der Entwicklung nicht hinterherlauzwar keine konkreten Hinweise gefunden, dass die Gen- fen, sondern vorausschauende Politik machen“, sagt die
Georgien-Krieg, Finanzkrise, verheerende Wirbelstürme: Risiken beherrschen die Welt. Das Handelsblatt stellt in einer Serie Menschen vor, die solche Risiken meistern. SERIE
Wie die Abgeordneten im Bundestag sich über Themen wie Gendoping, Biometrie und Nanotechnik informieren.
SPD-Politikerin. Dafür sollen die Studien zur Innovationspolitik, die das ISI erstellt, die Basis liefern. In seiner Sitzung im Oktober 2007 hat der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung den Vertrag mit dem ITAS in Kooperation mit dem Fraunhofer ISI verlängert, so dass das TAB-Büro seine Beratungstätigkeiten bis 2013 fortführen wird. Das Budget ist bis heute konstant geblieben. Gestartet mit vier Millionen DM stehen heute umgerechnet zwei Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Das reicht, um mit sieben festangestellten Wissenschaftlern und externen Gutachtern rund zehn bis zwölf Themen zu bearbeiten. Ein Projekt dauert in der Regel zwischen 15 und 24 Monate. Das Büro für Technikfolgenabschätzung liegt ein gutes Stück vom Parlament entfernt im Viertel am Hackeschen Markt, im ehemaligen Ostberlin. Die Distanz habe auch einen symbolischen Charakter, sagt Petermann, dem die Unabhängigkeit des Büros am Herzen liegt. Im Gegenzug sei man bemüht, die Berichte objektiv und ausgewogen zu formulieren. „Das ist unser Markenzeichen“, sagt der 61-Jährige, der in den 18 Jahren gelernt hat, mit seinen Auftraggebern diplomatisch umzugehen. „Wir arbeiten ja nicht im luftleeren Raum“, sagt Petermann. Je nach Zeitgeist drehe sich der Wind. Während beispielsweise Anfang der 90er-Jahre unter dem Einfluss von Umweltkatastrophen wie dem Reaktorunfall in Tschernobyl eher eine gesunde Skepsis gegenüber neuen Technologien angebracht schien, habe sich das gegen Ende des Jahrzehnts drastisch geändert. „Dann rückten zunehmend die Chancen in den Vordergrund, und man musste aufpassen, dass Risiken nicht kleingeredet wurden“, erinnert sich Petermann. 2002 hat das TAB einen eher skeptischen Bericht zur Fusionsforschung abgeliefert. „Da fanden wir uns plötzlich in der Ecke der Technikgegner wieder“, sagt Petermann. Der Bericht sollte eine Antwort geben auf die Frage: Ist Kernfusion eine unerschöpfliche, billige und umweltfreundliche Energiequelle der Zukunft oder ein Milliardengrab für Forschungsgelder? „Obwohl wir glauben, auch hier ausgewogen über die Chancen der Technik berichtet zu haben, warfen uns einige Politiker und Wissenschaftler vor, wir hätten uns einseitig auf die Seite der regenerativen Energien geschlagen und hätten diesen größere Chancen vorausgesagt“, sagt der TABBüroleiter. Petermann ist nicht Ingenieur, Chemiker oder Physiker wie die meisten seiner Kollegen, sondern Politikwissenschaftler. Ihn interessiert besonders, welche Auswirkungen Innovationen auf die Gesellschaft haben. Er hat beispielsweise eine Studie begleitet zum Thema Biometrie, in der untersucht wurde, wie leistungsfähig diese Verfahren (etwa die Erkennung von Fingerabdrücken oder Gesichtszügen) sind und welche Risiken die neue Technik für den Schutz privater Daten bringen könnte. In den Anfängen war die Besorgnis groß, das Büro für Technikfolgenabschätzung könnte die Studien für die eigene Profilierung missbrauchen. Die ersten Berichte wurden daher zunächst nur intern in den Ausschüssen diskutiert. Das hat sich Ende der 90er-Jahre nach und nach geändert. Seitdem werden immer mehr Studien zusammen in der Öffentlichkeit präsentiert. Nicht alle Themen wurden so frühzeitig angegangen wie das der Biometrie oder des Gendopings. Eine Studie zu den Chancen und Risiken von Nanotechnik beispielsweise wurde erst in Auftrag gegeben, als erste Produkte mit den nur wenige tausendstel Millimeter großen Partikeln bereits auf dem Markt waren. Und mit den Chancen und Herausforderungen neuer Energiepflanzen beschäftigt sich das TAB erst jetzt – in einer Zeit, in der bereits
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Illustration: CAEPSELE Foto: Dbutzmann
RISIKONOMICS
klar ist, dass Biosprit aus Nutzpflanzen keine Zukunft haben wird. Von anderen Themen sind die Experten geradezu überrollt worden. Niemand habe vorausgesehen, welche Bedeutung die Vernetzung durch das Internet erlangen würde, sagt Petermann. Die TAB-Experten haben zwar zahlreiche Expertisen erstellt, beispielsweise zu E-Commerce – dem Internet als Vertriebskanal – oder darüber, wie das weltweite Datennetz die Politik verändere. Die Dynamik, mit der das Netz gewachsen sei, habe aber niemand vorausgesehen. Petermanns Büro wird nie von sich aus aktiv. Es behandelt Themen nur dann, wenn es den Auftrag dazu aus dem Parlament erhalten hat. „Dadurch ist sichergestellt, dass es keine doppelten Studien gibt“, nennt die Vorsitzende des Bildungsausschusses als wesentlichen Grund für das Vorgehen. Denn es komme immer wieder vor, dass Fachausschüsse eigene Studien in Auftrag gäben. Doch nicht alle vorgeschlagenen Themen haben eine Chance: Bei der Vergabe gilt das Prinzip der Einstimmigkeit. Die Vertreter aller Parteien müssen zustimmen. Dadurch sei gesichert, dass das TAB nicht für Fraktionsinteressen missbraucht werde, erläutert Burchardt. Um im Streit der Interessen nicht zwischen die Fronten zu geraten, müssen die TAB-Mitarbeiter bei der Formulierung der Studienergebnisse Fingerspitzengefühl zeigen. Die Experten geben keine Empfehlungen, sondern zeigen Handlungsoptionen auf. Ob diese letztlich aufgegriffen und wie sie umgesetzt werden, hängt dann von den politischen Interessen der einzelnen Parteien und Akteure ab. „Einige Studienergebnisse wurden beherzigt, andere ignoriert“, sagt die Ausschussvorsitzende. Im Falle der Cargolifter-Studie, die die Chancen von Zeppelinen in der Logistik beleuchtet hatte, haben sich später alle Abgeordneten gegen eine weitere Förderung der Technik ausgesprochen. Die Studie zur Biometrie hingegen, die Schwächen in der Sicherheit der Technik bemängelt hatte, habe der damalige Innenminister Otto Schily ignoriert. Er habe keine Konsequenzen gezogen. „Im Gegenteil“, sagt Burchardt. „Er hat alles in Bewegung gesetzt, um die Erkennungstechnik durchzusetzen.“ Auch die TAB-Mitarbeiter verfolgen gespannt, welche Auswirkungen die Studienergebnisse auf die Politik haben. „Oft wird dies erst nach Jahren deutlich“, sagt Petermann. Nicht nur in den parlamentarischen Prozessen, auch in den Formulierungen politischer Strategien der Ministerien tauchten plötzlich bekannte Formulierungen auf. Manchmal werden Jahre später Folgestudien angefordert. So geschehen zum Beispiel bei den Themen Internet und Biometrie. Petermann kann sich ein „Follow-up“ auch bei der Gendoping-Studie vorstellen. Schließlich würden Medikamente nicht nur im Sport missbraucht. „Auch im Alltag greifen immer mehr Menschen zu Aufputschmitteln, um im Beruf mithalten zu können, oder zu Arzneien, um den Muskelaufbau fürs Body-Building zu unterstützen“, sagt der Politologe. Es wäre beispielsweise interessant, herauszufinden, wie groß die Gefahr ist, dass Eltern ihre Kinder gen- oder zelltherapeutisch behandeln lassen würden, damit diese bessere Leistungen bringen und somit Chancen haben, einen bestimmten Beruf zu ergattern. Einzelne Abgeordnete hätten schon Interesse gezeigt.
MORGEN LESEN SIE: Teil 9 – Wie die Techniker im Kernkraftwerk Tag für Tag
dafür sorgen, dass es nie einen GAU gibt.