Weristwer

  • Uploaded by: Gunter Neeb
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  • May 2020
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Zurück zu den Wurzeln – Was ist wichtiger: Phytotherapie oder Rezepturkunde ? Während der Streit um „was war zuerst da, die Punkte oder die Leitbahnen“ noch nicht entschieden ist (die 11 Leitbahnen ohne Punkte in den Ma Wang Dui-Gräbern vs. andere Ausgrabungen mit Punktbüchern ohne Leitbahnen), besteht kein solcher Zweifel in der chinesischen Phytopharmakologie: In China, wie auch in allen anderen Kulturen waren zunächst die Einzelarzneien bekannt, wie z.B. vor zweieinhalbtausend Jahren im „Shan Hai Ben Cao“ oder „Shen Nong Ben Cao“, dann deren einfache effektive Kombinationen, die sog. „Dui-Yao oder Pei Yao“, wie die simplen aus 2-4 Arzneien bestehenden „52 Bingfang“, aus den Ma Wang Dui-Ausgrabungen zeigen. Erst die Erfahrung kreativer und erfahrener Ärzte wie Zhang Zhong-jing im 2. Jh. n.d.Z. im „Shang Han Za Bing Lun“ machte die Kombination der Kombinationen und so die Entstehung von Formeln möglich. Nach gründlicher Kenntnis der Arzneien wurde so die Wiederholung bewährter Kombinationen als Werkzeug eine Erleichterung für die ohnehin im Auswendiglernen brillierenden chinesischen Therapeuten möglich. Wie ich selbst immer wieder in meinen 12 Jahren in den beiden Chinas erlebte, ist es aufgrund der Masse der Patienten üblich, das der erfahrende Arzt für sein Fachgebiet ein Dutzend Standardformeln kreiert, wie z.B. Ha Li-Tian’s Gynäkologische Standardformeln, die dem jeweiligen Patienten durch Weglassen und Ergänzen („JianJia“) individuell angepasst werden. Während die Kenntnis der Arzneimittel (Zhong Yao Xue) den wichtigsten und elementarsten Teil der Arzneimitteltherapie bildet und die Rezepturenlehre (Fang Ji Xue) den praktischen Anwendungsteil bildet die Kenntnis der sich ergänzenden Arzneikombinationen die verbindende Brücke dazwischen. Für die kreative Zusammenstellung einer Individualformel, die Höchste Form der Arzneimittelanwendung, aber auch um die für Einsteiger leichtere Modifizierung von fertigen Formeln präzise vornehmen zu können ist es ebenso nötig zu wissen, wie sich zwei oder drei Arzneien ergänzen und warum sie zusammenpassen (das sog. “Pei Yao“), da viele Formeln eben aus diesen „Bausteinen“ bestehen. Zu den klassischen Kombinationen die in vielen Büchern bekannnter Ärzte beschrieben wurden, kommen neueren Datums auch noch die Erkenntnisse der pharmakologischen Forschung hinzu, die teils moderne Erklärungen liefern, warum die Kombinationen so gut funktionieren, und teils auch weitere, neue Kombinationen anregen. Soweit so gut – doch welchen Stellenwert hat die Formelkunde heute für den westlichen Studenten und Therapeuten ? Man stelle sich einmal vor, es würden an einem Wochenende in der Akupunkturausbildung gleichzeitig eine Leitbahn, ihre Punkte und deren Wirkungen und dann noch Kombinationen dieser Punkte mit anderen, aus noch nicht gelernten Leitbahnen unterrichtet werden. Wie soll ein Lernender die Punktkommbinationen verstehen, geschweige sich merken können, bevor er alle Leitbahnen und alle Punkte gelernt hat ? Genau das aber ist an einer deutschen Universität im TCM-Unterricht der Phytotherapie wie auch an vielen anderen Institutionen der Fall. Dort werden Arzneien und – gleichwertig – Formeln zugleich gelehrt. Das Zwischenstück, die Kombinationskunde (Dui Yao oder Pei Yao) entfällt stattdessen.

Nun mag die Begründung sein, das man in möglichst kurzer Zeit das an chinesischen Universitäten gelehrte Curriculum auch erreichen möchte, doch ist das sinnvoll ? Zunächst einmal müssen wir eingestehen, das durch die als Grundlage der Sprache bedingten (ca. 90000 Schriftzeichen) und das im chinesischen Erziehungsystem extrem geforderte Auswendiglernen im Gegensatz zu dem im Westen geforderten (und hoffentlich auch geförderten) kreativen Denken eine andere Voraussetzung schafft, und sich ein westlicher Lehrplan folglich das kreative Erstellen eigener Formeln zu nutze machen sollte. Zweitens sind stures Auswendiglernen vieler klassischer Standardformeln nicht nur eine Verschwendung der Zeit, die zur Vermittlung gründlicherer Kentnnis der Arzneien verwendet werden könnnte, sondern auch in der Praxis weit weniger effektiv: das liegt daran, das wir uns heute immer wieder mit neuen Krankheiten (HCV, AIDS, hypoglykämische Panikattacken, Anorexie, ADS, SARS um nur einige zu nennen) auseinander setzen müssen und daher neue kreative Formeln für unsere Patienten finden müssen. Drittens muß lege artis eine klassische Formel, die für historische Patienten erstellt worden war ohnehin für jeden unserer Patienten verändert und individuell an ihn angepasst werden, will man sich die individualspezifische, der westlichen Allopathie überlegenen (d.h. den Kranken, nicht die Krankheit behandeln) Aspekt der Chinesischen Medizin zu Nutzen machen. Alte Formeln können uns also nur Beispiele und Vorbilder sein, wie erfahrene Ärzte vor uns eine Krankheitskonstellation oder ein Syndrom elegant und ausgewogen gelöst haben. Ein Kunststudent, und die TCM ist auch eine Kunst, wie sie eine Wissenschaft ist, wird einem Picasso oder Dali einige Kniffe abschauen können, aber wenn er nur perfekte Kopien deren Bilder herstellen kann, ist er bestenfalls ein guter Kunstfälscher aber kein Künstler. Viertens stellt eine Kenntnis von modifizierbaren Grundformeln nur für die chinesischen Fachärzte eine Verbesserung dar, da die meisten nicht mehr als zehn, bestenfalls zwanzig Formeln benutzen. Der westliche Therapeut hingegen sieht sich häufig Fällen aus der Geriatrie wie aus der Pädiatrie gegenüber, oder gynäkologischen Beschwerden gemischt mit endokrinologischen, oder einfach multmorbide Patienten, die „ganzheitlich“ in allen Fachgebieten zu behandelt werden wünschen. Welchen Sinn macht es da noch, fünf Grundformeln zunächst zu kombinieren, dann die doppelten Arzneien zu entfernen und dann individuell schlecht geignete durch besser passende zu ersetzen. Weniger Aufwand ist es statt dessen, gleich von Grund auf eine Arzneikombination (d.h. Formel) für den Patienten zu erstellen und bei jedem Besuch seiner Veränderung dynamisch anzupassen. Während also in China in einem 5-jährigen Grundstudium zum Bachelor genug Zeit ist, ein Semester Fangjixue (Rezepturkunde) zu studieren, stellt sich die Frage, ob in einer westlichen Ausbildung in chinesischer Phytotherapie der zweite Schwerpunkt von Rezepturenkunde nicht besser auf ein Studium der Grundmodule einfacher Arzneimittelkombinationen (Dui-Yao, Pei Yao) verlegt werden sollte. Denn – zurück zu den Wurzeln – Standardformeln sind auf genau diese Art und Weise entstanden. Und die gründliche Kenntnis der Grundlage, ob in der Akupunktur der Punkte oder in der Phytotherapie der Arzneien war, ist, und wird auch immer der wichtigste Teil der Therapie sein. Dr. Gunter Neeb, Idstein im Herbst 2006

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