Warnung vor Koinzidenzen Cornelis Kater Letztens hörte ich eine Radiosendung namens „Lied‐, Welt‐ und Folkmusik“ (die näheren Umstände, warum ich mir diese antat, lasse ich hier weg) und darin die Originalversion eines Songs, den ich bisher nur aus Alpträumen von Discobesuchen in von Minderbemittelten überbevölkerten Badeorten in südländischen Regionen mit geringer Originalbevölkerung kannte: „We are going to Ibiza“ von den Vengaboys. Nur dass hier „Ibiza“ durch „Barbados“ ersetzt wurde, was dem Song, der in dieser Fassung als nettes bis durchgeknalltes Stück im Raggae‐Disco‐Stil daherkam, gleich wesentlich sympathischer erscheinen ließ und den Alptraum von Sangria‐saufenden Gehirnbesitzverweigeren in einen Traum von sympathischen (wenn auch diverse Drogen konsumierenden) südamerikanischen Lebensstilinhabern verwandelte. Ich dachte mir schnell noch, schade, dass viele schlimme Iditiotenschlager von Perlen des Weltschatzes an vergessener Musik abstammen und die Täter dieser Verhunzung zumeist reicht und gelegentlich berühmt wurden, während die Urheber sich nicht einmal das Geld für eine neue Gitarre zusammenkomponiert hatten oder – ohne Rechteinhaber hinterlassen zu haben – schon lange tot waren. In den darauf folgenden Tagen geschah es dennoch, dass ich ab und an im Kopf die Zeile „Hey, ho, we are going to Ibiza“ vor mich hindachte, und mich dafür hasste, dass ich die ursprüngliche Textzeile bereits wieder vergessen hatte. Etwa eine halbe Woche nach dem ersten Ereignis saß ich dann in einem ansonsten leeren Café im brütend heißen Hamburg, hörte mit einem halben Ohr (was dann wohl ein Viertel meiner Hörkraft ausmachte) den im Hintergrund eingespielten sommerlichen Musikteppich, der aus irgendwelchen Internetradios der gesamten Welt eingespeist wurde, als plötzlich ein Moderator erklärte, dass es ja viele bekannte Songs gäbe, die allesamt auf einer völlig unbekannten Ursprungsversion beruhen würden. Und spielte „We are going to Barbados“. Ich hatte eine Gänsehaut und verspürte gleichzeitig dieses Gefühl eines seltsamen Taumels ob der so eng beieinander liegenden Ereignisse und der großen Unwahrscheinlichkeit, zweimal in so kurzer Zeit auf das gleiche Thema zu stoßen. Und einen abgrundtiefen Hass auf alle diese Koinzidenzen, die mein Leben heimsuchten. Das widerliche an Koinzidenzen ist, dass diese sofort und grundsätzlich meine volle Aufmerksamkeit beanspruchen. Hey, ich bin wichtig, ich bin mysteriös, ich habe vielleicht sogar etwas zu bedeuten! Ich glaube nicht an die Bedeutung von Zufällen, und dennoch, wann immer mich eine an sich extrem unwahrscheinliche Kopplung von Ereignissen überfällt, muss ich mich gegen ihre aufdringliche scheinbare Bedeutsamkeit wehren und darauf Acht geben, dass ich dem Inhalt dieser Koinzidenz nicht nachgehe und ihrem Werben nach Bedeutsamkeit nachgebe. Vor einigen Monaten lernte ich auf einer Party jemanden kennen, von dem sich einige Tage später herausstellte, dass er ein guter Freund der Freundin eines ehemaligen guten Freundes aus meiner Schulzeit war; noch ein paar Tage später stellte sich heraus, dass er gleichzeitig einer der besten Freunde meiner Nachbarin war, mit der ich mich gerade anfreundete. Natürlich wohnte er weit entfernt in einer anderen Stadt und ich lernte ihn nur kennen, weil ich meinen besten Freund nach längerer Zeit wieder einmal sehen wollte, was nur auf besagter Party wiederum seines besten Freundes aus der Schulzeit möglich war. Dort dann schloss sich der Kreis. Mir gruselte ein wenig, als sich dieses alles herausstellte, doch wusste ich auch, dass theoretisch jeder Mensch mit jedem anderen Menschen auf dieser Welt über wenige
Stationen irgendwie verbunden ist, wenn man nur tief genug graben würde. Und das komplett ohne eine irgendwie geartete Bedeutung. Die Koinzidenz ist also ein Wesen mit schrecklich stark ausgeprägten Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Beachtung – in etwa so viel wie damals der klassenbeste Aufschneider, dem die Mädchen zu Füßen lagen, dessen Parties immer die begehrtesten waren und dieser sich am Ende doch als fieses Arschloch ohne soziale Fähigkeiten aber stark ausgeprägten Weltbeherrscher‐Habitus herausstellte. Damit dürfte klar sein: So eine Koinzidenz ist zu meiden, wann immer auch nur die entfernte Gefahr besteht, dass man sich den Kopf an ihr zerbrechen könnte. Denkt an meine Worte, wenn ihr das nächste Mal glaubt, das Schicksal hätte euch erwischt. 19.06.2008