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Lama Messner trifft
Jungstar David Lama und Kletterlegende Reinhold Messner. Ein Gespräch über Magie und Verfehlungen des Bergsteigens, den unattraktiven Mount Everest und die Herausforderung, den Cerro Torre frei zu begehen. Text: Christian Seiler, Bilder: Manfred Klimek
Name David Lama Geburtsdatum/-ort 4. August 1990 in Innsbruck, Tirol Wohnort Götzens, Tirol Beruf Wettkampf-, Sport- und Alpinkletterer Erfolge Europameister 2006 (Vorstieg), 2007 (Bouldern), Gesamtweltcupsieger 2008 Web www.david-lama.com
Name Reinhold Messner Geburtsdatum/-ort 17. September 1944 in Brixen, Südtirol Wohnorte Meran und Schloss Juval im Schnalstal Beruf Extrembergsteiger, Abenteurer, Buchund Filmautor Erfolge Besteigung des Mount Everest ohne Sauerstoffgerät, Besteigung aller 14 Achttausender in Himalaja und Karakorum, Durchquerung der Wüste Gobi zu Fuß Web www.reinhold-messner.de
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Ein spätherbstlicher Nachmittag in Firmian, Südtirol. In den nahe gelegenen Weingärten werden die reifen Trauben gelesen, während auf Schloss Sigmundskron bei Bozen zwei außergewöhnliche Alpinisten zusam mentreffen: Alpin-Pionier Reinhold Messner, der tags zuvor seinen 65. Geburtstag gefeiert hatte, und Shoo tingstar David Lama, 19, der jüngste Doppeleuropa meister in der Geschichte des Klettersports, der im November nach Patagonien abfliegen wird, um dort den berühmt-berüchtigten Cerro Torre (siehe Kasten auf Seite 38) im Stil des Freikletterns zu bezwingen. Messner, dessen aktuelles Buch „Westwand: Prin zip Abgrund“ Anfang Herbst erschienen ist, zeigt großes Interesse am jungen „Fuzzy“, so Lamas Spitz name. Der gefeierte Besteiger aller vierzehn Acht tausender, der als erster Mensch den Mount Everest ohne Sauerstoff und im Alleingang bezwang, sieht in David Lama eine neue Generation des Kletterns: austrainierte, technisch brillante Alpinisten, deren Können sie befähigt, weit schwierigere Touren zu unternehmen als er selbst, zu seiner Zeit. Das Gespräch zwischen Reinhold Messner und David Lama, dem Mann, der eine Legende ist, und dem, der eine werden wird, fand im Garten des Mess ner Mountain Museum in Firmian statt, bei Sonnen schein, milden Temperaturen und einem Glas Wasser. RED BULLETIN: Reinhold Messner nennt den Cerro Torre in Patagonien „senkrechte Wildnis“. Warum, David, hast du dir diesen Berg ausgesucht, um eine der schwierigsten Routen der Welt frei zu klettern? david lama: Der Torre ist wunderschön. Vielleicht der schönste Berg der Welt. Der Reiz, ihn frei zu besteigen, besteht darin, dass es noch nie jemand gemacht hat. Es ist etwas Neues. Man geht hinaus und weiß nicht, was einen erwartet. reinhold messner: Die senkrechte Arena des Cerro Torre hat historisch und bergsteigerisch eine interessante Dimension: Niemand ist sie jemals frei geklettert. Die Frage ist: Geht das? Was David erlebt,
wird er uns erzählen. Die Geschichte ist interessant. Wir wissen nicht, wie sie ausgeht. Das Wetter in Patagonien ist schlecht, oft stürmt und schneit es. Vielleicht gelingt es dir nicht beim ersten Mal, David. Vielleicht musst du dreimal hin, bis es gelingt. Was reizt dich an diesem Vorhaben am meisten? lama: Mich interessiert, wie ich drei Monate im schlechten Wetter ertragen werde, ohne Privat sphäre, ohne Ablenkung. Mein bester Freund Daniel Steuerer ist mit von der Partie, und trotzdem bin ich sicher, dass wir uns in die Haare bekommen werden. Aber auch das wird lehrreich sein. Man kann die Expedition nicht isoliert als bergsteigerisches Unter nehmen sehen. Sie ist ein großes Ganzes. messner: Genau. Wie hast du deinen Partner für den Cerro Torre ausgesucht? lama: Für mich ist wichtig, mit einem Freund berg steigen zu können, mit dem ich gut auskomme. Wenn man sich am Berg nicht blind versteht, hat man schon verloren. Ich habe meinen Partner also nicht nur nach den Kletterfähigkeiten ausgesucht, denn die bringe ich selbst mit. Sondern danach, wie diese Fähigkeiten ergänzt werden. Im unteren Bereich des Torre ist das Klettern noch relativ einfach, da kann auch ein Berg steiger, der nicht außergewöhnlich gut ist, voran steigen. Im zweiten Teil werde ich diese Arbeit über nehmen. messner: Das halte ich für richtig. Rivalität am Berg ist nicht positiv. Ein Freund, der im heiklen Gipfel bereich in die zweite Reihe geht und ihn unterstützt, ist viel wichtiger als ein stiller Rivale, der vielleicht besser klettern kann. Der möchte dann vielleicht nach dem Erfolg der Bessere gewesen sein. Wie haben Sie Ihre Partner für Erstbesteigungen ausgesucht, Herr Messner? messner: Für mich war es einfach. Ich habe die Leute sukzessive kennengelernt und gespürt: Das ist jetzt der richtige Partner. Ihnen verdanke ich viele meiner Erfolge, und ich kann mir nur zugute halten, dass ich
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de.redbulletin.com/print2.0 Das Video zum Gipfeltreffen.
Reinhold Messner (links) und David Lama während ihres Gesprächs im Garten des Messner Mountain Museum in Firmian bei Bozen, Südtirol.
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„Nicht das Was, sondern das Wie entscheidet. Wir müssen uns unsere Herausforderungen selbst suchen.“ David Lama
David Lama, 19 Seinen Geburtstag ver brachte er in Kirgistan, wo er zehn Stunden lang durch unwegsames Ge lände zu der Wand mar schierte, die ihn inter essierte. Sein nächstes Projekt heißt „Cerro Tor re“. Der für David Lama „schönste Berg der Welt“ soll im patagonischen Sommer zum ersten Mal im Freikletterstil bezwungen werden.
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sie gewählt habe. Im Himalaya war Peter Habeler für mich der optimale Partner, er war ungemein schnell und konditionsstark. Arved Fuchs war ein optimaler Partner für die Antarktis-Expedition, weil er navigie ren konnte – die Kletterer wollten schließlich alle nicht so weit gehen. Sie hatten ja zuweilen Differenzen mit Ihren Partnern. messner: Das Auskommen mit Partnern ist immer nur hinterher schwierig. Nach großen Erfolgen. Jeder will sie sich – zu Recht – auf den Hut stecken. Herr Messner, was sehen Sie in der Person David Lamas auf den Klettersport zukommen? messner: Ich kenne seinen Namen seit Jahren. Ich bin zwar in der Welt des Sportkletterns nicht so da heim, weil es das zu meiner Zeit noch nicht gab, aber ich habe mir einige Wettkämpfe angesehen. Es war klug, die Wettkämpfe in die Halle zu bringen, das garantiert gleiche Bedingungen für alle Teilnehmer. Mir war klar, dass die besten Sportkletterer ins alpine Fach wechseln würden. Es scheint, als ob nun die erste Generation jener Kletterer international die Leader ship in der Felskletterei übernehmen, die aus der Halle kommen. Sie können das jung angelernte Kletterkön nen auf dem Felsen in eine andere Dimension tragen.
lama: Wie war das zu deiner Zeit? messner: Wir trainierten nicht. Ich war einer der Ersten, die zu Hause an Mauern und Wänden etwas übten. Nicht zu vergleichen mit dem, was mein Sohn tut, der selbst nur ein bisschen in die Halle klettern geht. Wann haben Sie David Lama zum ersten Mal gesehen? messner: Vor etwa fünf Jahren, in der Halle. Ich staunte, als ich zuletzt hörte, dass er den Sagwand pfeiler (die äußerst selektive „Eiger-Nordwand der Ostalpen“ in den Zillertaler Alpen; Anm.) geklettert ist. Ein wilder Fels, eine üble Wand. Ich dachte: Aha, jetzt kommt für ihn der Sprung in eine andere Welt. Was erwarten Sie von ihm und seiner Generation? messner: Sie erfinden gerade das Klettern neu. Die Generation vor ihnen hat bereits mächtig trainiert, aber nur auf dem Fels. Die Huber-Brüder haben nur am Fels trainiert. Stefan Glowacz war dazwischen, der hat auch Wettkämpfe gewonnen und ging dann ins Gelände, um Abenteuer zu erleben. Wo beginnt das Abenteuer? messner: In einer 2000 bis 3000 Meter hohen Wand, wo der elfte Grad gefragt ist. Wo der Bergstei ger sich selber absichern können muss und selbstän dig die Route finden. Wo alles zusammenkommt. Wie weit lässt sich das Klettern steigern? messner: Bis die Finger und Sehnen das Gewicht nicht mehr halten. Wie weit ist die Entwicklung fortgeschritten? messner: Ich glaube, wir sind nahe am Plafond. Fühlst du dich von Reinhold Messner porträtiert, David? lama: Im Großen und Ganzen schon. messner: Fühlst du dich als Felskletterer? lama: Absolut. Aber man merkt, dass immer mehr starke Leute in den Hallen zu klettern begonnen ha ben, auch in Ländern, die nicht solche Felsen haben wie wir in Österreich. messner: Wie alt warst du, als du zu klettern be gonnen hast? lama: Sechs. Ich habe am Felsen angefangen und parallel in der Halle trainiert. messner: Ich glaube, dass es ein großer Vorteil ist, wenn du neben dem Techniktraining in der Halle am Felsen, vielleicht sogar im Gebirge Erfahrungen sammelst. lama: Ja. In der Halle kannst du ans Limit gehen … messner: … was am Berg unmöglich ist. Anderer seits muss ein Leistungskletterer in der Halle klein und leicht sein, weil die Hände sonst sein Gewicht nicht ziehen können – im Gebirge kannst du damit immer noch den höchsten Schwierigkeitsgrad erreichen. Ich bin gespannt, wann deine Generation die jetzigen Spitzenkletterer ablöst, ich glaube, es dauert noch ein bisschen. Um auf einem Siebentausender etwas Ver rücktes anzustellen, dafür braucht es ein paar Jahre Erfahrung. Das geht nicht von heute auf morgen. lama: Man schließt sich dafür auch Leuten an, die bereits Erfahrung mit so hohen Bergen haben, macht Teambegehungen. Unter solchen Umständen, denke ich, kann der Schritt recht rasch erfolgen. messner: Beim alpinen Klettern steht der Sport völlig im Hintergrund. Das alpine Klettern ist reines
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Abenteuer. Es ist nicht wichtig, ob du mehr oder weniger Kraft hast. Ausschlaggebend ist, was in dir drinnen passiert. Dass du weißt: Ich darf nicht mehr runterfallen. Es ist eine ernste Angelegenheit, sehr nah an der Grenze zwischen Leben und Tod. Die Angst ist ein entscheidender Faktor. Wie ist das Verhältnis von Können und Angst? messner: Wir konnten Wände im sechsten Grad mit und ohne Absicherung klettern. Wenn wir weit oben in einer 4000 Meter hohen Wand einen Vierer klet tern mussten, war das unter den Gegebenheiten – Müdigkeit, Nervosität – schon schwierig. Kamen wir zu einer Fünfer-Stelle, war das bereits unverantwort lich. Sobald einer einen Achter locker vom Hocker raufsteigt, macht er sich bei solchen Stellen keine Gedanken. Er muss keine Umwege suchen, verliert keine Zeit und durchsteigt selbstverständlich eine Stelle, um die wir einen halben Tag lang einen Um weg suchen mussten. Es verändert sich die Psychologie des Abenteuers. messner: Nein, die Psychologie bleibt die gleiche. Aber die Angst kommt später. Der neue Kletterer ist schneller, muss weniger Material dabeihaben, weni ger Proviant, also weniger Gewicht: Da tut sich eine neue Welt auf. lama: Zum Beispiel? messner: Tomaž Humar, ein slowenischer Kletterer, ist die Dhaulagiri-Südwand, 4000 Meter hoch, solo gegangen. Ich habe dieselbe Wand mit Peter Habeler versucht. Bei Wandmitte haben wir mit vollen Hosen abgebrochen. Ich kann vor so viel kletterischem Kön nen und seelischer Kraft nur den Hut ziehen. David, was bedeutet die Figur Reinhold Messner für dein Bild vom Bergsteigen? lama: Als ich anfing bergzusteigen, stand nicht der Sport, sondern der Berg im Vordergrund, und Reinhold Messner war ein Name, der jedem Berg steiger Respekt einflößte. Mittlerweile haben sich die Grenzen verschoben. Aber man muss Leistungen immer in ihrer Zeit, im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten sehen. So betrachtet sind seine Erfolge noch immer extrem beeindruckend. Messner ist ein Anwalt des puren Bergsteigens, wie er auch in seinem neuen Buch „Westwand: Prinzip Abgrund“ ausführlich schreibt. Wie stehst du dazu? lama: Es ist nicht allein das Was, sondern das Wie entscheidend. Auf den Mount Everest kommt heute ja schon jeder. Aber ohne Sauerstoff, das ist schon eine andere Sache. Die Wahl der Route kommt dazu. Wir müssen uns unsere Herausforderungen selbst suchen. messner: Das „Prinzip Abgrund“ sagt nur, dass ich exponiert bin. Wenn ich exponiert bin, zählen die Herausforderungen ganz anders. Knapp über dem Boden kann ich alles klettern, nicht aber in tausend Meter Höhe. David sagt ganz richtig: Die großen Bergsteiger waren die wenigen, die das Limit ihrer Zeit erreicht haben. Die Erstbegehung der EigerNordwand ist das Highlight ihrer Zeit. Besser ging’s nicht. Das ist genauso wertvoll wie der Erstbesteigung der Nanga-Parbat-Rupalwand von Steve House, ma ximale Exposition: ein kleiner Fehler, und die wären mausetot gewesen. Die großen Bergtouren haben
i mmer unter den maximalen Schwierigkeiten ihrer Zeit stattgefunden. Das hat sich allein während meiner Lebenszeit um sechs Schwierigkeitsgrade nach oben verschoben, eine enorme Steigerung. Wir müssen eines verstehen: Jede Zeit hat ihre Grenzen, ihre eige ne Exposition. Serienbesteigungen von Achttausen dern zählen für den Alpinisten nichts, wenn nicht die Route schwierig ist, die Exposition maximal. Wenn die Sherpas auf dem Everest jeden Meter befestigen, wenn die Lager fast schon Hütten sind, in jeder Hütte ein Koch, der für die Touristen kocht, dann ist das Urlaub. Es hat nichts mit dem zu tun, was wir beide machen: was David tun wird; was ich getan habe. lama: So gehen alle Aspekte des Bergsteigens ver loren, die mich interessieren. messner: Es ist Tourismus. Konsum-Alpinismus. Bergsteigen beginnt, wo der Tourismus aufhört. Aber das Bergsteigen beginnt auch, wo der Spaß aufhört. Das ist nicht mehr Spaß, wenn du 700 Meter runter fallen kannst. Es ist kalt. Du hast Angst. Vielleicht bist du verletzt. Vielleicht weißt du nicht, wie du wieder runterkommst. Diese Art des Bergsteigens wird immer interessant bleiben. Es freut mich, wenn David sagt, dass nur ganz wenige Sportkletterer in die Wildnis wechseln werden. Das Abenteuer ist
Reinhold Messner, 65 Der prägende Bergstei ger seiner Generation veröffentlichte gerade das packende Bergstei gerbuch „Westwand: Prinzip Abgrund“ (S. Fi scher). Er ist dabei, sein monumentales Projekt von fünf Museen (Mess ner Mountain Museum) zu vollenden. Vier Aus stellungsstätten sind be reits eröffnet (messnermountain-museum.it), die fünfte folgt 2010.
„Bergsteigen beginnt, wo der Tourismus aufhört. Aber auch, wo der Spaß aufhört.“ Reinhold Messner
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C e r ro To r r e
nicht für viele. Wenn Hansjörg Auer den „Fisch“ (eine extrem schwierige Route durch die Marmolata-Südwand; Anm.) ohne nichts durchturnt, dann hätte ich nicht zuschauen können, aber ich habe ihn nachher angebettelt, dass er mir seine Ausrüstung für mein Museum gibt. Welches Ziel ist wert, all das in Kauf zu nehmen: Angst, Anstrengung, Gefahr, Exposition? lama: Es müssen persönliche Ziele sein. Ich muss selbst von meinem Ziel begeistert sein. Die Gefahr spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Ich gehe nicht da rauf, um mein Leben zu riskieren, sondern um einen Traum zu verwirklichen. Ob der Traum darin besteht, den Cerro Torre frei zu klettern oder ihn überhaupt zu besteigen, ist egal. Jeder lebt seinen eigenen Traum. messner: Ich sehe das genauso. Wenn du morgen anfängst, ein Ziel nach seiner Verwertbarkeit auszu suchen, wirst du nicht weit kommen. Im Mittelpunkt muss die Idee stehen, etwas in deinem Stil zu erledi gen. Du musst dich fragen: Hab ich den richtigen Partner? Bin ich ausreichend trainiert? Kann ich das? Aber auch: Bin ich gut ausgerüstet? Habe ich die aus reichenden Mittel? Wenn du den Cerro Torre auf der Maestri-Route von 1970 frei klettern willst, hockst du ja drei Monate in Patagonien. Die Gefahr ist nicht das entscheidende Thema? messner: Gefahren sind immer im Spiel, egal ob du den Cerro Torre oder den Sagwandpfeiler kletterst. Ein Stein löst sich und fällt dir auf die Hand, mit der du dich gerade hältst. Schon fällst du aus der Wand. Die Kunst besteht darin, dieser Gefahr auszuweichen. Der Berg ist ein Gefahrenraum. Die Halle ist nur ein Als-ob-Gefahrenraum. Wer meint, man kann die Berge sicher machen, täuscht sich. Die Berge bleiben gefährlich.
Senkrechte Wildnis „Schrei aus Stein“ nennt Reinhold Messner die patagonische Granitnadel (vgl. auch Werner Herzogs Film), die David Lama diesen Winter als erster Kletterer frei begehen will. Um den Cerro Torre ranken sich Mythen und Legenden. Die Erst besteigung durch Cesare Maestri (1959) ist umstritten. Maestris Wiederholung der Besteigung unter Verwendung eines Kompressors und hunderter Haken gilt unter Alpinisten wenig – David Lama ist da keine Ausnahme. Mit seinem Freund und Kollegen Daniel Steuerer plant Lama die freie Besteigung des Cerro Torre. Die dreimonatige Expedition nach Patagonien startet Anfang November.
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Was ist das richtige Handwerkszeug, um diese Gefahren zu bewältigen? messner: Das Ausweichen von Gefahren ist eine Sache der Erfahrung. Das Meistern von Schwierig keiten ist eine Sache der Klettertechnik: Du musst besser klettern können als die anderen. Hier liegt der Grund, warum die neue Generation von Kletterern Dinge machen kann, die wir nicht machen konnten: Sie bringen ihr besseres Kletterkönnen viel früher mit einem Erfahrungsmaximum zusammen, nicht mehr mit vierzig Jahren, wie wir, sondern mit fünfund zwanzig. Mit fünfundzwanzig kann man aber ganz anders klettern als mit vierzig: Da sieht die Welt gleich ganz anders aus. David, was reizt dich am Erstbegehen von Routen? lama: Die Neuerfindung. Das Sich-Einlassen auf das Ungewisse. Bei Erstbegehungen gibt es oft kein Zurück mehr. Die Wand lässt dich nicht mehr aus, du musst sie meistern. Es ist der Mangel an Information. Wenn ich eine Route wiederhole, kenne ich den Schwierig keitsgrad der Stelle, die vor mir liegt, und weiß, wie ich mich sichern muss. Für einen Sechser muss ich keine Placements (Zwischensicherungen; Anm.) legen, was ich bei einem Neuner eben doppelt mache. Die Herausforderung besteht darin, diese Entscheidungen selbständig treffen zu müssen. Warum haben Sie Ihr Leben dem Bergsteigen gewidmet, Herr Messner? Was macht den Berg so interessant? messner: Der Berg interessiert mich weniger als die Menschennatur. Am Berg erfahre ich, wie ich ticke. Was die Angst mit mir macht. Wie ich mit der Situati on umgehe, dass ich nur noch hinauf, nicht mehr hin unter kann. Was macht meine Psyche dann mit mir? Was macht sie? messner: Ich habe beobachtet, dass die Gefahr uns oft ganz ruhig macht. Dass alles Weitere dann wie in der Kletterhalle abläuft. Und wenn nicht? messner: Dann ist das Umkommen am Berg oft wie eine Erlösung. Keine Verzweiflung. Irgendwo weit draußen oder hoch oben. Der „höchste Berg der Welt“. Eine Herausforderung für dich, David? lama: Überhaupt nicht. messner: Ich hätte mit neunzehn genau dasselbe ge sagt: Ich geh doch nicht Schnee treten da drüben. Wir haben dann Schnee getreten, aber ohne Sauerstoff. Aber ein junger, guter Kletterer hat sicher kein Inter esse, im Gänsemarsch auf den Everest zu steigen. lama: Auch für mich ist der Gebrauch der Sauer stoffmaske ein Tabu. Es geht schließlich nicht um den Gipfel, sondern nur darum, wie man ihn erreicht. IFSC Climbing Worldcup: 6./7. November 2009, Brünn, Tschechien; www.ifsc-climbing.org
Westwand: Prinzip Abgrund S. Fischer Verlag Reinhold Messners spannende Analyse des wahrhaftigen Bergsteigens. Pflichtlektüre für Aficionados.
bild: mauritius images/michael fischer
Natur pur. Sie gilt als Königsdiszi plin des alpinen Berg steigens: die Erstbege hung von Wänden und Steigungen. Der Reiz des Unbekannten, sagt David Lama, die Heraus forderung, Gefahren zu vermeiden und zur gleichen Zeit unbekannte Schwierigkeiten zu meis tern, nennt es Reinhold Messner. Beide Berg steiger sind sich einig, dass Haken nur zur Si cherung dienen sollen, die Fortbewegung muss ausschließlich an den von der Natur vorgege benen Strukturen wie Fels und Eis erfolgen. Dies ist der Grundge danke des Freikletterns.