Neue Therapie Gegen Alzheimer?

  • Uploaded by: Dr. Matthias Junkers-Koch
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  • June 2020
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Neue Therapie gegen Alzheimer ? Am Computer entwickelt und bereits patentiert: Neue Wirkstoffe schützen im Tierversuch vor Ablagerungen im Gehirn

Die Gesundheitssituation der Bevölkerung in den Industrieländern hat sich in den letzten Jahrzehnten stetig verbessert. Damit einhergehend stieg die durchschnittliche Lebenserwartung stark an und wuchs die Zahl älterer Menschen. In der Folge sind altersbedingt verstärkt auftretende Krankheiten heute deutlich weiter verbreitet als früher. Fast jeder kennt Verwandte, die mehr oder weniger stark unter den Symptomen von Demenzerkrankungen wie der Alzheimerschen Krankheit leiden. Allein in Deutschland sind nach Schätzungen zwischen 830.000 und 1,1 Millionen Menschen über 65 Jahre derzeit von einer Alzheimer-Erkrankung betroffen: Unter den 65-jährigen ist es etwa jeder Hundertste, unter den 90-jährigen bereits mehr als jeder dritte. Ab dem 65. Lebensjahr verdoppelt sich die Anzahl der Kranken innerhalb einer Altersgruppe etwa alle fünf Jahre. Die steigende Bedeutung der Alzheimer'schen Krankheit führte zu großen Bemühungen um die Erforschung der molekularen Mechanismen, die ihr wie auch anderen Demenzerkrankungen zu Grunde liegen. Obschon dabei deutliche Erfolge erzielt wurden, fehlt nach wie vor eine wirksame Therapie, die Morbus Alzheimer heilen oder aufhalten könnte. Bisherige Ansätze verzögern lediglich den Krankheitsverlauf und verbessern die kognitiven Leistungen der Patienten. Sie lindern also Symptome, ohne die tatsächlichen Ursachen anzugreifen. Mittlerweile zeigte sich, dass der molekulare Entstehungsmechanismus von Morbus Alzheimer Krankheit auch einer ganzen Reihe anderer Krankheiten mit zum Teil ganz unterschiedlichen Symptomen zugrunde liegt. Von ähnlicher gesellschaftlicher Relevanz sind die Typ-2-Diabetes, aber auch die Spongiformen Encephalopathien wie Creutzfeld-Jakob beim Menschen (beziehungsweise der Rinderwahnsinn BSE beim Rind) sowie Parkinson und eine Reihe verhältnismäßig seltener Krankheiten. 42

Alle Bilder: Thomas Schrader

Alzheimer kann jeden treffen: 95 Prozent der Fälle treten spontan auf, nur fünf Prozent sind auf Vererbung zurückzuführen. Könnten neue Wirkstoffe helfen?

Links: Amyloid-Ablagerungen von Aβ-Amyloid und Tau-Protein, wie sie bei der Alzheimer'schen Krankheit im Gehirn auftreten, unter dem Mikroskop beobachtet (die Keile weisen auf Tau, der Pfeil auf Aβ). Rechts: Typische Prionstäbchen unter dem Elektronenmikroskop, wie sie bei BSE auftreten. Der weiße Balken entspricht hundert Nanometern. Bei all diesen Störungen formt ein normalerweise lösliches Protein Aggregate, die der Organismus nicht mehr auflösen kann: Ablagerungen in Knochen- oder Muskelgewebe und in Organen wie Leber, Herz oder Gehirn. Sie schädigen die betroffenen Zellen entweder direkt oder indem sie zu Entzündungen führen – die Zellen sterben schließlich ab. Im Falle von Morbus Alzheimer führt die allmähliche Zerstörung von Millionen neuronaler Zellen im Gehirn, die nicht mehr nachgebildet werden, nach und nach zu deutlichen Symptomen. Einer der Vorboten: das Vergessen kürzlich erlebter Episoden des täglichen Lebens. Schließlich kommt es zu fortschreitenden Ausfällen kognitiver Funktionen – vor allem zu schlechtem Erinnerungsvermögen, zu Aufmerksamkeits- und Orientierungsstörungen – sowie zu Stimmungsschwankungen und Persönlichkeitsveränderungen bis hin zur totalen Pflegebedürftigkeit.

ser Bruchstücke mit einer Länge zwischen 39 und 42 Aminosäuren – als Amyloid-Aβ oder kurz Aβ-Peptid bezeichnet – löst nun unter Umständen den weiteren pathogenen Verlauf aus. Entscheidend für dessen Beginn scheint eine Reorganisation des dreidimensionalen Aufbaus von Aβ zu sein. Seine gesunde Form besitzt eine „random coil“-Struktur, bei der die lange Aminosäurekette ein ungeordnetes, unregelmäßi-

Gefährliche Fragmente Das vermutlich für die Alzheimer'sche Krankheit verantwortliche Eiweißmolekül nennt sich Amyloid Precursor Protein, kurz APP. Dieses natürlich vorkommende Protein ist in die Zellwand eingebettet. Auch wenn seine genaue Funktion noch immer unklar bleibt, so weiß man jedoch, dass APP für den Organismus zunächst ungefährlich ist und sich auch im Plasma und in der Cerebrospinalflüssigkeit gesunder Menschen nachweisen lässt. Sekretasen allerdings, körpereigene Enzyme, können es in kleinere Fragmente zerschneiden. Eines die-

Molekülstruktur eines β-Faltblattes. Die bei Proteinfaltungskrankheiten auftretenden Amyloid-Plaques sind besonders reich an solchen Strukturen.

ges Knäuel bildet. Die kranke Form hingegen hat eine so genannte geordnete β-Faltblattstruktur eingenommen. (Viele andere Proteine nehmen solche Faltblattstrukturen ebenfalls ein, allerdings ohne böse Folgen.) Dabei verläuft die Aminosäurekette entlang einer Ebene und kehrt in einer Schleife wieder zurück. Weil diese Ebene kleine Knicke aufweist, ähnelt die Struktur einem zur Ziehharmonika gefalteten Blatt oder einem Wellblech (siehe Abbildung links unten). Aus chemischer Sicht, ungeachtet also ihrer räumlichen Anordnung, sind die gesunde und die kranke Form des Aβ-Peptids ein und dasselbe Molekül. Bei Letzterer allerdings scheint die Abfolge bestimmter Aminosäuren der Ober- und Unterseite des „Wellblechs“ eine gewisse Klebrigkeit zu verleihen: Aβ-Moleküle können über Wasserstoffbrücken aneinander haften bleiben. Sie bilden dann wachsende Molekülansammlungen: zunächst „Paranuclei“, die schnell zu höheren Oligomeren, dann zu Protofibrillen und schließlich zu Fibrillen heran wachsen. Die Fibrillen schließlich, als feste Ablagerungen bereits unter dem Mikroskop erkennbar, sind nicht mehr löslich. (Bei Alzheimer induzieren diese Ablagerungen, auch amyloide Plaques genannt, übrigens auch das Verklumpen eines weiteren Eiweißes: des Tau-Proteins – neben dem Aβ-Peptid der zweite wichtige Hinweis auf die klassische Alzheimer-Erkrankung.) Ein Wirkstoff gegen Morbus Alzheimer könnte an verschiedenen Stellen dieses Mechanismus ansetzen. So ließen sich möglicherweise Hemmstoffe entwickeln, die die Bildung von APP oder Sekretasen un-

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terdrücken. Umgekehrt könnte auch der natürliche Abbau von APP oder der bereits missgefalteten Fragmente beschleunigt werden. Einer der bislang Erfolg versprechendsten Ansätze setzt auf eine Immuntherapie, bei der Antikörper gegen das AβPeptid hergestellt wurden. Bei damit immunisierten, transgenen Mäusen erzielte man auf diese Weise einen deutlichen Rückgang von Amyloidablagerungen. Klinische Versuche am Menschen allerdings mussten wegen schwerer Nebenwirkungen bereits in einer frühen Phase abgebrochen werden: Einige Patienten erkrankten an schweren Entzündungsprozessen. Dennoch gilt die Immuntherapie weiterhin als viel versprechend und wird weiterentwickelt. Ermutigenderweise wirken Antikörper gegen das Aβ-Peptid auch den Amyloidablagerungen anderer Proteinfaltungskrankheiten entgegen. Ein einzelnes Medikament, das die Bildung von Fibrillen unterdrückt oder diese

wieder abbaut, könnte also gegen eine ganze Familie von Krankheiten eingesetzt werden, auch wenn diese von jeweils anderen Proteinen verursacht werden. Alternative dank Computerhilfe

Entstehung von unlöslichen Amyloid-Plaques durch Umfaltung einzelner Proteinmoleküle und anschließende Zusammenlagerung zu Stapeln.

Eine mögliche Alternative hat nun in den letzten Jahren die Gruppe um den Marburger Chemieprofessor Thomas Schrader entwickelt. Das neue Konzept will das Übel an der Wurzel packen: Nicht Antikörper, sondern künstlich hergestellte und maßgeschneiderte Moleküle sollen die Bildung der gefährlichen Proteinfibrillen verhindern. Die ersten Versuche fanden am Computer statt: In dreidimensionalen Darstellungen wurden starre heterozyklische Moleküle – ringförmige Bausteine, in denen neben Wasserstoff und Kohlenstoff auch Stickstoff enthalten ist – virtuell an Peptide angedockt, um passgenaue Partner zu entdecken.

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Verbinden sich zu stabilen Komplexen: Aneinander gekettete Aminopyrazole (erstes und drittes Molekül von oben) passen genau zu Peptiden in der β-Faltblatt-Form (zweites Molekül) und lagern sich über Wasserstoffbrücken von oben und unten an. So können sie Schutzkappen für die klebrigen Kanten des Prion-Proteins bilden. Das unterste Bild zeigt ebenfalls ein Peptik, allerdings um neunzig Grad gedreht.

Schließlich wurde man fündig: Aminopyrazole erwiesen sich als genau komplementär zu den klebrigen Kanten der Aβ-Moleküle, sind aber im Gegensatz zu Peptiden auf ihrer Rückseite nicht klebrig, sondern glatt. Sie könnten sich also schon sehr früh als Schutzkappen auf die wachsenden Peptidaggregate setzen und deren weiteres Wachstum stoppen oder sie gar auflösen. Erwartungsvoll führte die Forschergruppe eine Synthese der kleinsten Vertreter der Aminopyrazole und erste Tests im Analysenröhrchen durch und fand tatsächlich heraus: Kleine Peptide mit β-Faltblattstruktur bilden zusammen mit Aminopyrazolen stabile Komplexe in organischen Lösungsmitteln. Glücklicher Zufall Dann kam ein glücklicher Zufall ins Spiel, in diesem Fall in Person des bekannten Biophysikers Detlev Riesner. Nur wenige Schritte vom organisch-chemischen Labor in Düsseldorf entfernt – hier hatte sich Schrader habilitiert und diese Forschungsarbeit begonnen – arbeitete Riesner, Professor am dortigen Institut für Physikalische Biologie, an biologischen Untersuchungen über Proteinfaltungskrankheiten. Vor kurzem hatte seine Arbeitsgruppe einen

verlässlichen Test auf Prionen- und Alzheimer-Erkrankungen entwickelt, indem sie die Proteinplaques mittels spezieller Lasertechnik (der Fluoreszenzkorrelationsspektroskopie, FCS) nachgewiesen. Im Gespräch erkannten Schrader und Riesner, dass sie möglicherweise jeweils einen Teil des Schlüssels für eine völlig neue Therapie von Proteinfaltungskrankheiten in Händen hielten: Während die Schrader-Gruppe neue synthetische Wirkstoffe entwickeln konnte, war die Riesner-Gruppe in der Lage, ihre Wirkung sofort zu testen. Die ersten Versuche mit einfachen Aminopyrazolen verliefen allerdings enttäuschend – ihre Verbindungen erwiesen sich im Aggregationsversuch als komplett unwirksam. Sobald jedoch mehrere davon geschickt aneinandergekettet wurden, änderte sich das Bild: Schon das kleinste Dimer (eine Molekülkette aus zwei Untereinheiten) verhinderte bei einem beträchtlichen Anteil des untersuchten Prionproteins, in diesem Fall des BSE-Erregers, dessen Verklumpung. Diese sensationelle Entdeckung bestätigte das Konzept prinzipiell. Nun folgte eine lange Zeit der Syntheseentwicklung und -optimierung im Labor, bis mehrere weiterentwickelte Generationen von Wirkstoffmolekülen vorlagen und getestet werden konnten.

Mit ihnen wagten sich die zwei Teams sogar an das weitaus „klebrigere“ Alzheimerpeptid heran. Zu ihrer großen Freude verhinderten die wirksamsten Vertreter bei Aggregationsversuchen mit isoliertem Aβ fast komplett das Auftreten von größeren Aggregaten im Reagenzglas. Der nächste Schritt bestand im Anbringen von „Adressen“, die den Wirkstoff nur an das „böse“ Aβ heften und gute Peptide verschonen. Dazu wurde an den bereits fertigen Wirkstoff ein kleines Peptidbruchstück gehängt, welches auch im AβPeptid vorkommt und wahrscheinlich dessen Aggregation auslöst. In Zusammenarbeit mit der TransMIT GmbH – einer Gesellschaft für Technologietransfer, zu deren Gründern auch die Philipps-Universität gehört – wurde die Erfindung schließlich zum Patent angemeldet und Biotech-Firmen weltweit zur Kooperation angeboten. Großes Interesse zeigte die Firma JSW Research aus dem österreichischen Graz. Sie war für die Forschergruppen aus Chemie und Biologie zudem eine wertvolle Ergänzung, weil sie nicht nur über lebende Kulturen von Nervenzellen verfügte, sondern auch führend in der Herstellung transgener Mäuse für die Erforschung der Alzheimer- und Parkinson-Krankheit war. Schnell einigte man sich und ließ Tests an lebenden Nervenzellen aus Hühnerembryos folgen, denen man gefährliche, klebrige Alzheimerfibrillen zusetzte. Das Ergebnis: In beiden Fällen lebten die untersuchten Zellen beträchtlich länger, wenn man ihnen die besten in Marburg und Düsseldorf entwickelten Wirkstoffe zusetzte (Abbildung unten). Gegenwärtig geht man noch einen Schritt weiter: Das potentiell beste Medikament wird nun in ersten Tierversuchen an transgenen Mäusen erforscht. Diese Tiere produzieren viel größere Mengen des APP-Vorläuferproteins, weisen bereits im Alter von sechs bis acht

Nervenzellen aus dem Bereich der Hirnrinde unter dem Mikroskop Links: Ungeschädigte Zellen. Mitte: Schädigung mit 20 Mikromol pro Liter Aß am 8. Tag. Rechts: behandelte Zellen. 44

Monaten β-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn auf und leiden infolgedessen unter Gedächtnisstörungen – sind also echte Alzheimer-Modellpatienten. Kann den Mäusen geholfen werden, wäre das kritische Teststadium der ersten Tierversuche erfolgreich überstanden. Für diesen Fall planen die Forscher die (kostspielige) internationale Patentanmeldung. Danach könnte die mehrjährige Phase der klinischen Tests beginnen, bei der die Toxizität des Medikaments und seine potentiellen Nebenwirkungen untersucht werden und außerdem die Frage geklärt werden muss, wie es die Blut-HirnSchranke passieren kann, durch die es an seinen Einsatzort gelangt. Im Trend der Zeit Was wird in Zukunft angestrebt? Natürlich besteht ein Hauptziel in der Entwicklung eines wirksamen Medikaments gegen Alzheimer. Darüber hinaus wollen die Forscher aber den Mechanismus der spontanen oder induzierten Proteinaggregation besser verstehen und lernen, ihn gezielt zu beeinflussen. Dafür ist in diesem Fall eine stark interdisziplinäre Kooperation nötig: Modeling, Synthese, Bindungsassays im Labor, biophysikalische Experimente, Zellkulturassays und Tierversuche bringen schon jetzt Chemiker, Biologen, Pharmakologen und Mediziner zusammen. Damit liegen sie ganz im Trend der heutigen Zeit: Für die Lösung der großen medizinisch-biologischen Fragestellungen unserer Tage wird fächerübergreifende Kooperation stets notwendiger. Gegenüber seinen Diplomanden und Doktoranden betont das Schrader immer wieder: „Wir betreiben hier nicht l’art pour l’art. Ihr forscht nicht im luftleeren Raum, sondern braucht andere Wissenschaftler, um komplexe natürliche Vorgänge fundamental verstehen und heilen zu lernen.“ >> Thomas Schrader, Matthias Junkers Kontakt: Professor Dr. Thomas Schrader Fachbereich Chemie Universität Marburg, Hans-Meerwein-Strasse 35032 Marburg Tel. (06421) 28 25544 E-Mail: [email protected]

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