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  • Words: 29,833
  • Pages: 64
Skriptum zur Vorlesung

n P

1 n→∞ ν=1 ν(ν + 1)

Mathematik 1 = lim

Dr. Friedrich Hanser1

www.umit.at

Carl Friedrich Gauß (1777—1855)

Erstellt mit LATEX 2ε 1 Email:

[email protected]

Bemerkungen zum Gebrauch dieses Skriptums

Dieses Skriptum stellt den Lehrstoff aus Mathematik 1 in einer komprimierten, mathematischen Form dar. Aus diesem Grund ist es zum Selbststudium absolut ungeeignet. Es kann nur in Verbindung mit einer Vorlesung, in der die mathematischen Sachverhalte erkl¨art, diskutiert und mit Beispielen erl¨autert werden, seinen Zweck erf¨ ullen. Das vorliegende Skriptum zielt darauf ab, Sie an die zugegebenermaßen gew¨ohnungsbed¨ urftige Sprache der Mathematik heranzuf¨ uhren. Idealerweise soll das Skriptum im Anschluss an die Vorlesung zum mathematischen Nachlesen und zur Vertiefung verwendet werden. Das Skriptum folgt in Notation und Aufbau der Serie Analysis I-III, Eine integrierte Darstellung“ ” von Kurt Endl und Wolfgang Luh.

Hall i. Tirol, im WS 2007/2008

Friedrich Hanser

Inhaltsverzeichnis 1 Grundlagen

1

1.1

Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1.2

Mengen, Mengenoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

1.3

Abbildungen, Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6

1.4

K¨orper und Metrische R¨aume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

1.5

Vollst¨andige Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

1.6

Folgen und Reihen in geordneten K¨orpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1.7

Cauchy-Folgen in geordneten K¨orpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

1.8

Relationen, Klasseneinteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

1.9

Die Konstruktion der reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

1.10 Der Hauptsatz u ¨ber monotone Folgen und die Zahl e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2 Differentialrechnung

23

2.1

Das Tangentenproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

2.2

Definition und Eigenschaften der Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2.3

Ableitungsregeln, Kettenregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2.4

Der Satz von Rolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

2.5

Der 1. Mittelwertsatz der Differentialrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

2.6

Die Regeln von de l’Hospital

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

3 Integralrechnung

29

3.1

Die Idee des Riemannschen Integrals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

3.2

Untere und obere Darboux-Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

3.3

Das Riemannsche Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

3.4

Riemannsche Summen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

3.5

Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

3.6

Die Mittelwerts¨atze der Integralrechnung

3.7

Der Taylorsche Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

4 Der K¨ orper der komplexen Zahlen C

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

41

4.1

Der K¨orper der komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

4.2

Die Einbettung von R in C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

4.3

C als 2-dimensionaler Vektorraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

4.4

Konjugiert komplexe Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

4.5

Polarkoordinatendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

4.6

Potenzen und Wurzeln komplexer Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

ii

INHALTSVERZEICHNIS

5 Unendliche Reihen

49

5.1

Beispiele unendlicher Reihen

5.2

Rechenregeln f¨ ur unendlicher Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

5.3

Das Cauchysche Kriterium f¨ ur Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

5.4

Absolute Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

5.5

Vergleichskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

5.6

Reihen mit nichtnegativen Gliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

5.7

Das Wurzel- und das Quotientenkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

A Spezielle Folgen und Reihen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

57

A.1 Die Fibonacci Folge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

1 Grundlagen Dieses Kapitel soll in die Sprache und Denkweise der Mathematik einf¨ uhren. Zu diesem Zweck werden wir uns mit grundlegenden Dingen wie Logik, Mengen, Relationen, Funktionen, Abbildungen, sowie Folgen und Reihen etwas eingehender besch¨aftigen.

1.1

Aussagenlogik

In diesem Abschnitt werden wir definieren was man unter einer Aussage im logischen Sinne versteht, und wie Aussagen miteinander verkn¨ upft werden k¨onnen. Definition 1.1.1 [Aussage]: Eine Aussage ist ein Satz einer menschlichen oder k¨ unstlichen Sprache, dem einer der beiden Wahrheitswerte wahr (w) oder falsch (f ) zugeordnet werden kann. undet in das Mittelmeer“, 20 ist durch 5 teilbar“ und Die Florida Keys geh¨oren nicht zu Beispiel: Der Nil m¨ ” ” ” den Tropen“ sind Aussagen, die alle den Wahrheitswert w haben. Wann bist du geboren?“ ist nat¨ urlich ” keine Aussage. ¤ Nachdem man mit einer Aussage alleine noch nicht viel anfangen kann, definieren wir Operationen, mit deren Hilfe neue Aussagen produziert werden k¨onnen. Definition 1.1.2 [Negation]: Die Negation einer Aussage p, f¨ ur die man das Symbol ¬p oder p¯ verwendet, hat den Wahrheitswert falsch, wenn p selbst wahr ist, und umgekehrt. Verkn¨ upft man Aussagen mit “und”, “oder” und “entweder oder,” gelangt man zwangsl¨aufig zu folgender Definition: Definition 1.1.3 [Konjunktion, Disjunktion, Exklusiv Oder]: (1) Die Verkn¨ upfung der Aussagen p und q durch das logische “und” nennt man Konjunktion und man schreibt p ∧ q. Sie ist nur dann wahr, wenn p und q beide wahr sind. (2) Die Verkn¨ upfung der Aussagen p und q durch das logische “oder” nennt man Disjunktion und man schreibt p ∨ q. Sie ist wahr, wenn entweder p oder q wahr ist, oder wenn beide wahr sind. Sonst ist sie falsch. (3) Die Verkn¨ upfung “entweder . . . oder” ist nur wahr, wenn genau eines der beiden Argumente wahr ist. Man nennt diesen logischen Operator “exklusives Oder” oder “xor.” Obige Definitionen faßt man u undig in einer Wahrheitstafel, wie in Tabelle 1.1 darge¨blicherweise kurz und b¨ stellt, zusammen. Man k¨onnte sich jetzt fragen wie viel verschiedene Verkn¨ upfungen von zwei logischen Variablen u upfungen Konjunktion, Disjunktion und Exklusiv Oder ¨berhaupt existieren. Bisher haben wir die drei Verkn¨ mit den Wahrheitsverl¨aufen (f, f, f, w), (f, w, w, w) und (f, w, w, f ) kennengelernt. Insgesamt gibt es laut Kombinatorik 24 = 16 (geordnete Stichprobe mit Zur¨ ucklegen) verschiedene M¨oglichkeiten f¨ ur die Verkn¨ upfung von

2

Kapitel 1. Grundlagen

Tabelle 1.1: Wahrheitstafel einiger logischer Verkn¨ upfungen wie Konjunktion, Disjunktion, Exklusiv Oder, Impli¨ kation und Aquivalenz. Die Variablen p und q sind die unabh¨ angigen Aussagenvariablen.

p f f w w

q f w f w

p¯ w w f f

q¯ w f w f

Konj.

Disj.

Excl. O.

Impl.

¨ Aqui.

NAND

NOR

p∧q f f f w

p∨q f w w w

p xor q f w w f

p⇒q w w f w

p⇔q w f f w

p|q w w w f

p↓q w f f f

q¯ ⇒ p¯ w w f w

q⇒p w f w w

zwei logischen Variablen. Eine solche Verkn¨ upfung definiert einen (bin¨aren) Operator zwischen zwei logischen Variablen. Ein sehr wichtiges Konstruktionsprinzip der Mathematik besteht darin, ausgehend von wahren Aussagen neue wahre Aussagen abzuleiten. Diese Schlussfolgerungen werden als Wenn . . . , dann . . .“– S¨atze formuliert. In der ” mathematischen Logik entspricht dies dem Wahrheitsverlauf (w, w, f, w). Definition 1.1.4 [Implikation]: Verkn¨ upft man zwei Aussagen p und q durch Wenn p, dann q,“ dann ” nennt man den Ausdruck logische Folgerung oder Implikation. Man bezeichnet p als die Voraussetzung und q als die Behauptung der Implikation und schreibt p ⇒ q. Die Wahrheitswerte der Implikation sind durch die Wahrheitstafel in Tabelle 1.1 festgelegt. Alternative Ausdrucksweisen f¨ ur p ⇒ q sind Aus p ” folgt q,“ p impliziert q,“ p ist eine hinreichende Bedingung f¨ ur q,“ oder q ist eine notwendige ” ” ” Bedingung f¨ ur p.“ Die Wahrheitstafel in Tabelle 1.1 sagt aus, dass die Implikation nur falsch ist, wenn aus einer wahren Voraussetzung eine falsche Behauptung folgt. Beispiel: (1) Die Aussage Wenn morgen Schnee f¨allt, werden wir Ski fahren“ ist nur dann falsch, wenn morgen Schnee ” f¨allt und wir trotzdem nicht Ski fahren. (2) Die Implikation 1 < 2 ⇒ −1 < −2 “ ist falsch, da zwar die Voraussetzung, nicht jedoch die Behauptung ” wahr ist. (3) 16 ist durch 2 teilbar ⇒ 16 ist eine gerade Zahl“ ist eine wahre Implikation. ” d f (x)|x=x0 = 0 ist eine wahre (4) Die Funktion f (x) hat an der Stelle x = x0 ein lokales Maximum ⇒ dx d Implikation. Die Umkehrung gilt nicht. Ist dx f (x)|x=x0 = 0 so folgt noch lange nicht, dass die Funktion an dieser Stelle ein Maximum besitzt. Man kann aber folgendes sagen: das Verschwinden der ersten Ableitung ist eine notwendige Bedingung f¨ ur die Existenz eines Extremums. ¤ ¨ Eine weitere wichtige Verkn¨ upfung ist die der logischen Aquivalenz und durch folgende Definition gegeben: ¨ Definition 1.1.5 [Aquivalenz]: Verkn¨ upft man zwei Aussagen p und q durch p genau dann, wenn q,“ ” ¨ ¨ dann nennt man den Ausdruck logische Aquivalenz und schreibt p ⇔ q. Die Wahrheitswerte der Aquiur p ⇔ q valenz sind durch die Wahrheitstafel in Tabelle 1.1 festgelegt. Alternative Ausdrucksweisen f¨ sind p dann und nur dann, wenn q“ oder p ist notwendig und hinreichend fu ¨ r q.“ ” ” Die n¨achsten beiden Operatoren haben in der Mathematik keine Bedeutung, spielen jedoch beim Schaltungsentwurf eine ¨außerst wichtige Rolle. Deshalb, und aus Gr¨ unden einer gewissen Vollst¨andigkeit, seien sie hier angef¨ uhrt. Definition 1.1.6 [NAND, NOR]: (1) Den logischen Operator mit dem Wahrheitsverlauf (w, w, w, f ) nennt man Sheffer-Operator oder NAND und man schreibt p | q. (2) Den logischen Operator mit dem Wahrheitsverlauf (w, f, f, f ) nennt man Peirce-Operator oder NOR und man schreibt p ↓ q Logische Ausdr¨ ucke, die f¨ ur alle Kombinationen der logischen Variablen immer den selben Wahrheitswert liefern, erhalten einen Namen.

1.2. Mengen, Mengenoperationen

3

Definition 1.1.7 [Tautologie, Widerspruch]: Man nennt einen logischen Ausdruck eine Tautologie (einen Widerspruch), wenn sich f¨ ur alle Kombinationen der logischen Variablen immer der Wahrheitswert wahr (falsch) ergibt. Beispiel: ¨ (1) Die Aquivalenz p ⇒ q ⇔ q¯ ⇒ p¯ ist laut Wahrheitstafel 1.1 eine Tautologie. Auf ihr beruht das Beweisverfahren der Kontraposition. Man spricht auch von einem indirektem Beweis. (2) Der Ausdruck p ∨ p¯ ist eine Tautologie. (3) Der Ausdruck p ∧ p¯ ist ein Widerspruch.

¤

Nat¨ urlich gibt es beim Rechnen mit logischen Ausdr¨ ucken jede Menge Regeln die eine typische mathematische Struktur widerspiegeln. Satz 1.1.1: F¨ ur beliebige logische Ausdr¨ ucke p, q und r gelten folgende Rechenregeln: (1)

Kommutativgesetz: Assoziativgesetz: Distributivgesetz:

(2)

p=p

(3)

f ∧p=f

p∧q =q∧p (p ∧ q) ∧ r = p ∧ (q ∧ r) p ∧ (q ∨ r) = (p ∧ q) ∨ (p ∧ r) p∨p=w

(4) De Morgan’sche Regeln:

p∨q =q∨p (p ∨ q) ∨ r = p ∨ (q ∨ r) p ∨ (q ∧ r) = (p ∨ q) ∧ (p ∨ r)

p∧p=f

w∧p=p

f ∨p=p

p∧q =p∨q

w∨p=w p∨q =p∧q

Damit verlassen wir das Gebiet der Logik, um in die wahre Mathematik einzutauchen.

1.2

Mengen, Mengenoperationen

In diesem Abschnitt sollen die Grundbegriffe der Mengentheorie bereitgestellt werden. Dabei ben¨ utzen wir den Mengenbegriff, wie er von Georg Cantor gepr¨agt wurde. Definition 1.2.1 [Menge]: Eine Menge M ist eine Zusammenfassung von wohlbestimmten und wohlunterschiedenen Objekten unserer Anschauung oder unseres Denkens, welche die Elemente von M genannt werden, zu einem Ganzen. Die Mengenlehre basierend auf dieser Definition wird als naive Mengenlehre bezeichent. Sie f¨ uhrt zu Widerspr¨ uchen, insbesondere dann, wenn Mengen eingef¨ uhrt werden, die sich selbst als Element enthalten. Am bekanntesten ist die Russelsche Antinomie. Der Barbier von Sevillia, der alle M¨anner rasiert, die sich selbst nicht rasieren, ist eine bekannte Formulierung dieses Sachverhaltes. Dennoch werden wir an diesem Mengenbegriff festhalten. Im weiteren f¨ uhren wir folgende Bezeichnungen und Sprechweisen ein: Definition 1.2.2: (1) x ∈ M bzw. x ∈ / M bedeutet: x ist bzw. ist nicht Element von M. (2) M = {x1 , x2 , x3 , . . .} bedeutet: M ist die Menge, die aus den Elementen x1 , x2 , x3 usw. besteht (aufz¨ ahlende Charakterisierung der Menge M ). (3) M = {x : x hat die Eigenschaft E} bedeutet: M ist die Menge aller Elemente x, die die Eigenschaft E besitzen (beschreibende Charakterisierung der Menge M ). Die Gleichheit von Mengen wird erwartungsgem¨aß wie folgt definiert: Definition 1.2.3 [Gleichheit von Mengen]: Zwei Mengen M1 und M2 heißen gleich, wenn sie dieselben Elemente enthalten. Man schreibt dann M1 = M2 . Die Definition der Teilmengenbeziehung gestaltet sich folgendermaßen:

4

Kapitel 1. Grundlagen

Definition 1.2.4 [Inklusion]: Es seien M1 und M2 Mengen. (1) M1 heißt enthalten in M2 oder Teilmenge von M2 , wenn jedes Element von M1 auch Element von M2 ist. Wir schreiben dann M1 ⊂ M2 . (2) M1 heißt echte Teilmenge von M2 , wenn M1 ⊂ M2 , aber M1 6= M2 . (3) Ist M1 keine Teilmenge von M2 , so schreibt man M1 6⊂ M2 . Bemerkung: Zur besseren Unterscheidung von Teilmenge und echter Teilmenge bedient man sich auch der Symbole ⊆ und ⊂ . Beziehungen zwischen Mengen untereinander k¨onnen graphisch mit Hilfe sog. Venn-Diagramme veranschaulicht werden wie Abb. 1.1 zeigt. Hierbei werden Mengen als Teilmengen der Zeichenebene dargestellt.

M1

M2

M1

M2 M1 ⊂ M2

M1 6⊂ M2

Abbildung 1.1: Teilmengenbeziehungen veranschaulicht mit sog. Venn-Diagrammen.

Als elementare Eigenschaften der Inklusion f¨ uhren wir an: Satz 1.2.1: (1) F¨ ur jede Menge M gilt M ⊂ M ( Reflexivit¨at“). ” (2) Es seine M1 , M2 , M3 drei Mengen mit M1 ⊂ M2 und M2 ⊂ M3 . Dann gilt M1 ⊂ M3 ( Tansitivit¨at“). ” (3) Es seien M1 und M2 zwei Mengen. Genau dann ist M1 = M2 , wenn gilt M1 ⊂ M2 und M2 ⊂ M1 . Bemerkung: Obiger Satz gestattet die Gleichheit zweier Mengen zu beweisen, indem man zeigt, dass jede in der anderen enthalten ist. Die grundlegenden Mengenoperationen sind folgendermaßen definiert: Definition 1.2.5 [Vereinigung, Durchschnitt]: Es seien M1 und M2 beliebige Mengen. (1) Die Vereinigung von M1 und M2 ist

M1 ∪ M2 = {x : x ∈ M1

oder

x ∈ M2 }.

(2) Der Durchschnitt von M1 und M2 ist

M1 ∩ M2 = {x : x ∈ M1

und x ∈ M2 } .

Definition 1.2.6 [Differenz, Komplement]: Es seien M1 und M2 beliebige Mengen. (1) Die Differenz von M1 und M2 , geschrieben in der Form M1 \M2 , ist die Menge derjenigen Elemente, die zu M1 , aber nicht zu M2 geh¨oren: M1 \ M2 = {x : x ∈ M1 und x ∈ / M2 } . (2) Ist M2 ⊂ M1 , so wird die Menge M1 \ M2 auch als Komplement von M2 bez¨ uglich M1 bezeichnet. Man schreibt dann CM1 (M2 ) oder kurz M2 . Abbildung 1.2 zeigt eine grafische Darstellung obiger Definition. Es bleibt noch zu kl¨aren was passiert, wenn eine Menge kein einziges Element enth¨alt. Dazu f¨ uhrt man folgenden Begriff ein: Definition 1.2.7 [Leere Menge]: Die leere Menge ∅ oder {} ist die Menge, die kein Element enth¨alt. Beim Rechnen mit Mengen gelten die (fast schon) u ¨blichen“ Regeln (vergleiche insbesondere mit den Logikge” setzen):

1.2. Mengen, Mengenoperationen

5

M1

M2

M1

M2

M1 \ M2

CM1 (M2 )

Abbildung 1.2: Differenzmenge von M1 und M2 (links) bzw. Komplement von M2 bez¨ uglich M1 (rechts).

Satz 1.2.2: F¨ ur beliebige Mengen M1 , M2 und M3 gelten folgende Rechenregeln:

(1)

M1 ∪ M2 = M2 ∪ M1

M1 ∩ M2 = M2 ∩ M1

(M1 ∪ M2 ) ∪ M3 = M1 ∪ (M2 ∪ M3 )

(M1 ∩ M2 ) ∩ M3 = M1 ∩ (M2 ∩ M3 )

M1 ∩ (M2 ∪ M3 ) = (M1 ∩ M2 ) ∪ (M1 ∩ M3 )

M1 ∪ (M2 ∩ M3 ) = (M1 ∪ M2 ) ∩ (M1 ∪ M3 )

(2) Absorptionsgesetze: (3)

M1 ⊂ M2

M1 ∩ (M1 ∪ M2 ) = M1 ⇔

M1 ∪ M2 = M2

M1 ∪ (M1 ∩ M2 ) = M1 ⇔

M1 ∩ M2 = M1

(4) De Morgan’sche Regeln: f¨ ur M1 , M2 ⊂ M CM (M1 ∪ M2 ) = CM (M1 ) ∩ CM (M2 )

CM (M1 ∩ M2 ) = CM (M1 ) ∪ CM (M2 )

Eine grafische Darstellung der de Morgan’schen Regeln zeigt Abb. 1.3. CM (M1 ∪ M2 )

M1

CM (M1 )

M2

CM (M2 )

M2

M1

M

M

M

CM (M1 ∩ M2 ) Abbildung 1.3: Visualisierung der Regeln von de Morgan.

In der Praxis ist es nat¨ urlich erforderlich Mengenoperationen mit mehr als zwei Mengen durchzuf¨ uhren. Dazu betrachtet man ein beliebiges System F von Mengen, man spricht auch von einer Familie von Mengen, und meint damit eine Menge deren Elemente wieder Mengen sind. Vereinigung und Durchschnitt kann wie folgt auf ein Mengensystem erweitert werden: Definition 1.2.8 [Mengensystem: Vereinigung, Durchschnitt]: Es sei F ein System von Mengen. (1) Die Vereinigung der Mengen, die zu F geh¨oren, ist: S M = {x : x ∈ M f¨ ur mindestens ein M in F }. M ∈F

(2) Der Durchschnitt der Mengen, die zu F geh¨oren, ist: T M = {x : x ∈ M f¨ ur alle M in F }. M ∈F

Bemerkung: In der Praxis wird ein System F von Mengen oft dadurch gewonnen, dass man jedem Element α einer sog. Indexmenge A eine Menge Mα zuordnet. Man schreibt dann F = {Mα : α ∈ A} = {Mα }α∈A . Beispiel: Es sei A ur α ∈ A bilde eine System von Mengen. S= (0, ∞) ⊂ R eine T Indexmenge und Mα = (−α, α) f¨ Dann gilt: Mα = R und Mα = {0} α∈A

α∈A

Beispiel: Die Mengenfamilie Mr = {z ∈S C : |z| = r, r ∈ [0, ∞)} bildet ein disjunktes System von Mengen. Es 0 gilt Mr ∩ Mr0 = ∅ f¨ ur r 6= r und Mr = C. r∈[0,∞)

6

Kapitel 1. Grundlagen

Eine Familie von Mengen bildet auch die sog. Potenzmenge deren Existenz nicht verschwiegen werden soll: Definition 1.2.9 [Potenzmenge]: Als Potenzmenge bezeichnet man die Menge aller Teilmengen einer Grundmenge X. Man schreibt hierf¨ ur P(X), Π(X), 2X , oder P ot(X). P(X) = {U : U ⊂ X} Im weiteren ist das kartesische Produkt zweier und mehrerer Mengen von Bedeutung: Definition 1.2.10 [Kartesisches Produkt von Mengen]: (1) Die Menge aller geordneten Paare (a, b) (auch Tupel) zweier Mengen A und B wird kartesiches Produkt von A und B genannt und als A × B geschrieben und A kreuz B gelesen: ” A × B = {(a, b) : a ∈ A und b ∈ B}. (2) Das kartesische Produkt der Mengen A1 , A2 , . . . , An ist die Menge aller n-Tupel mit A1 × A2 × . . . × An = {(a1 , a2 , . . . , an ) : a1 ∈ A1 , a2 ∈ A2 , . . . , an ∈ An }. Beispiel: R × R = R2 , R3 , Rn , Cn , [2, 3] × [−3, 6] Damit haben wir die wichtigsten Begriffe der Mengenlehre kennen gelernt.

1.3

Abbildungen, Funktionen

Neben dem Begriff der Menge ist f¨ ur die moderne Mathematik der Begriff der Abbildung oder Funktion von zentraler Bedeutung. Definition 1.3.1 [Abbildung, Funktion]: Es seien A und B Mengen. (1) Eine Vorschrift f , welche jedem x einer Teilmenge D(f ) ⊂ A eindeutig ein Element y = f (x) ∈ B zuordnet, heißt eine Abbildung oder Funktion aus A in B. Man schreibt f : A −→ B und x 7−→ f (x). Die Menge D(f ) wird als Definitionsmenge von f bezeichnet. (2) Eine Abbildung (Funktion) f : A −→ B heißt Abbildung von A in B, wenn D(f ) = A gilt. (3) Die Menge B(f ) = {y : y = f (x) f¨ ur ein x ∈ D(f )} heißt Bildmenge oder Wertebereich der Funktion f . (4) Ist M ⊂ D(f ), so heißt f (M ) = {y : y = f (x) f¨ ur ein x ∈ M } das Bild von M unter f . (5) Zwei Funktionen f : A −→ B und g : A −→ B heißen gleich, wenn D(f ) = D(g) ist und f (x) = g(x) f¨ ur alle x ∈ D(f ) gilt. Bemerkung: f : A −→ B impliziert also nicht, dass f auf ganz A definiert sein muß! Es bedeutet nur, dass f f¨ ur gewisse Elemente x aus A definiert ist und die Bilder f (x) Elemente von B sind, wie Abb. 1.4 zeigt. f X X z

D(f ) A

x b

B(f ) » : b y = f (x) »

B

Abbildung 1.4: Grafische Visualisierung einer Abbildung oder Funktion f aus der Menge A in die Menge B.

Beispiel: (1) f : R −→ R, x 7−→ f (x) = 2, D(f ) = R, B(f ) = {2} ´n ³ 1 , D(a) = N, B(a) = {1, 9 , 64 , 625 , 7776 , . . .} (2) a : N −→ Q, n 7−→ a(n) = 1 + n 4 27 256 3125 (3) f : R −→ R, x 7−→ f (x) = x2 , D(f ) = R, B(f ) = [0, ∞)

1.3. Abbildungen, Funktionen

7

  −1 : 0 : (4) f : R −→ R, x 7−→ f (x) =  1 : (5) f : R −→ R, x 7−→ f (x) =

x<0 x = 0 , D(f ) = R, B(f ) = {−1, 0, 1} x>1

1 , D(f ) = R, B(f ) = (0, 1] 1 + x2

1 , D(f ) = R \ {0} = C ({0}), B(f ) = (−∞, 0) ∪ (0, ∞) = R \ {0} (6) f : R −→ R, x 7−→ f (x) = x R π π π (7) f : [− π 2 , 2 ] −→ [−1, 1], x 7−→ f (x) = sin(x), D(f ) = [− 2 , 2 ], B(f ) = [−1, 1]

¤

Die Verkn¨ upfung, Verkettung, oder Hintereinanderausf¨ uhrung von Abbildungen ist folgendermaßen definiert: Definition 1.3.2 [Verknu ¨ pfung von Abbildungen]: Gegeben seien die Mengen A, B und C sowie die Abbildungen f : A −→ B und g : B −→ C mit B(f ) ⊂ D(g). Die Abbildung g ◦ f : A −→ C, welche durch D(g ◦ f ) = D(f ), (g ◦ f )(x) = g(f (x)) definiert ist, heißt Verkn¨ upfung von f und g.

g

H j H

f A

@ R @

D(g) D(f )

C

B(f )

B

x b

B(g)

X zb X y = f (x)

@ R b z = g(y) = g(f (x)) @ g◦f

: » »

Abbildung 1.5: Die Hintereinanderausf¨ uhrung der Abbildungen f : A −→ B, x 7−→ y = f (x) und g : B −→ C, y 7−→ z = g(y) ergibt die zusammengesetzte“ Abbildung (g ◦ f ) : A −→ C, x 7−→ z = g(f (x)). ”

Beispiel: Gegeben seien zwei Funktionen f und g mit f : R −→ R, x 7−→ f (x) = sin(x), D(f ) = R, B(f ) = [−1, 1], 1 g : R −→ R, x 7−→ g(x) = x , D(g) = R \ {0}, B(g) = R \ {0}. Dann erh¨alt man folgende zusammengesetzte Funktionen: g ◦ f : R −→ R, x 7−→ (g ◦ f ) (x) = g (f (x)) = 1 , mit sin(x) D(g ◦ f ) = R \ {0, ±π, ±2π, . . .},

B(g ◦ f ) = (−∞, −1] ∪ [1, ∞) = CR ((−1, 1)). ³ ´ 1 , mit f ◦ g : R −→ R, x 7−→ (f ◦ g) (x) = f (g(x)) = sin x D(f ◦ g) = R \ {0},

B(f ◦ g) = [−1, 1]

¤

Bemerkung: Obiges Beispiel zeigt, dass die Verkn¨ upfung von Funktionen im allgemeinen nicht kommutativ ist, d.h. f ◦ g 6= g ◦ f . Es gilt allerdings das Assoziativgesetz (f ◦ g) ◦ h = f ◦ (g ◦ h). F¨ ur die Frage der Existenz einer Umkehrabbildung zu einer gegebenen Abbildung f¨ uhrt man folgende Begriffe ein:

8

Kapitel 1. Grundlagen

Definition 1.3.3 [Injektiv, surjektiv, bijektiv]: Es sei eine Abbildung f : A −→ B gegeben. (1) Die Abbildung oder Funktion f , heißt eineindeutig oder injektiv, wenn verschiedene Elemente von D(f ) auf verschiedene Elemente von B(f ) abgebildet werden, d.h. wenn gilt x1 6= x2 ⇒ f (x1 ) 6= f (x2 ) f¨ ur alle x1 , x2 ∈ D(f ). ¨ Aquivalent dazu ist die Bedingung (Kontraposition) f (x1 ) = f (x2 ) ⇒ x1 = x2 f¨ ur alle x1 , x2 ∈ D(f ). Aus der Gleichheit der Bildpunkte folgt die Gleichheit der Urbildpunkte.“ ” (2) Die Abbildung f : A −→ B heißt surjektiv, wenn D(f ) = A und B(f ) = B gilt. (3) Die Abbildung f heißt bijektiv oder eins-zu-eins Abbildung, wenn f sowohl surjektiv als auch injektiv ist. F¨ ur eine injektive Abbildung f : A −→ B gibt es zu einem Element y ∈ B(f ) genau ein Element x ∈ D(f ). Ordnet man nun jedem y ∈ B(f ) das eindeutig bestimmte x ∈ D(f ) zu, f¨ ur welches ja y = f (x) gilt, so definiert man dadurch eine Abbildung aus B in A. Diese Abbildung heißt Umkehrabbildung von f und wird mit f −1 bezeichnet. Nachfolgende Definition und Abb. 1.6 veranschaulichen diesen Zusammenhang. Definition 1.3.4 [Umkehrabbildung]: Die Abbildungen f : A −→ B sei injektiv. Die Umkehrabbildung f −1 : B −→ A mit D(f −1 ) = B(f ) und B(f −1 ) = D(f ) ist gegeben durch: f −1 (y) = x mit y = f (x).

f −1

³ ³ ) A

f x2 b

H H j

B :b » » y2 = f (x2 )

D(f ) = B(f −1 )

B(f ) = D(f −1 )

x1 b

- b y1 = f (x1 )

Abbildung 1.6: F¨ ur eine injektive Abbildung existiert eine Umkehrabbildung.

Bemerkung: Offensichtlich gilt folgendes: f −1 (f (x)) = x ¡ ¢ f f −1 (y) = y ¡ −1 ¢−1 f (x) = f (x)

f¨ ur alle x ∈ D(f ); f¨ ur alle y ∈ B(f ); f¨ ur alle x ∈ D(f ).

Beispiel: Gegeben sei eine bijektive Funktion f i h π −→ [−1, 1], x 7−→ f (x) = sin(x). Die Umkehrfunktion f −1 ist gegeben durch: (1) f : − π , 2 2 h i π , x 7−→ f −1 (x) = arcsin(x). Es muss folgendes gelten: f −1 : [−1, 1] −→ − π , 2 2 h i π , und f −1 (f (x)) = arcsin(sin(x)) = x f¨ ur alle x ∈ − π , 2 2 ¡ −1 ¢ f f (x) = sin(arcsin(x)) = x f¨ ur alle x ∈ [−1, 1] x (2) f : R −→ (0, ∞), x 7−→ f (x) = e . Die Umkehrfunktion f −1 ist gegeben durch:

1.4. K¨ orper und Metrische R¨ aume

9

f −1 : (0, ∞) −→ R, x 7−→ f −1 (x) = ln(x). Es muss wiederum folgendes gelten: f −1 (f (x)) = ln(ex ) = x f¨ ur alle x ∈ R, und ¡ ¢ f f −1 (x) = eln(x) = x

1.4

f¨ ur alle x ∈ (0, ∞)

¤

K¨ orper und Metrische R¨ aume

Das gesamte Geb¨aude der Analysis beruht auf dem Rechnen innerhalb der K¨orper der rationalen, reellen und komplexen Zahlen, also auf Q, R und C. Die vielen Regeln, die f¨ ur das Rechnen in einem K¨orper gelten, lassen sich alle aus einem minimalen System von Grundregeln, den K¨orperaxiomen, ableiten. Definition 1.4.1 [K¨ orper]: Eine Menge K mit mindestens 2 Elementen heißt ein K¨orper, wenn f¨ ur die Elemente von K eine Addition“ und Multiplikation,“ ” ” +: K ×K →K ∗: K ×K →K (x, y) 7→ x + y, (x, y) 7→ x ∗ y, so erkl¨art sind, so dass die Summe und das Produkt wieder Elemente von K sind (die Verkn¨ upfungen also nicht aus der Menge herausf¨ uhren) und folgende Rechenaxiome f¨ ur alle x, y, z ∈ K gelten: Addition x+y =y+x

Kommutativgesetz

(x + y) + z = x + (y + z)

Assoziativgesetz

Es gibt 0 ∈ K mit x+0=x Zu jedem x ∈ K gibt es ein (−x) ∈ K mit x + (−x) = 0

Existenz eines neutralen Elementes (Nullelement) Existenz inverser Elemente

Multiplikation x∗y =y∗x

Kommutativgesetz

(x ∗ y) ∗ z = x ∗ (y ∗ z)

Assoziativgesetz

Es gibt e ∈ K, e 6= 0 mit x∗e=x Zu jedem x ∈ K, x 6= 0 gibt es ein x−1 ∈ K mit x ∗ x−1 = e Vertr¨aglichkeit von Addition und Multiplikation x ∗ (y + z) = x ∗ y + x ∗ z

Existenz eines neutralen Elementes (Einselement) Existenz inverser (reziproker) Elemente Distributivgesetz

Bemerkung: In einem K¨orper kann man beliebig Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren und Dividieren. Die Division durch 0 ist u uglich ¨brigens axiomatisch ausgeschlossen, weil es zur 0 kein inverses Element bez¨ der Multiplikation gibt. Beispiel: (1) Die Menge der nat¨ urlichen Zahlen N und die Menge der ganzen Zahlen Z bilden keinen K¨orper. p (2) Die Menge der Br¨ uche B = {x : x = q , p, q ∈ Z, q 6= 0, p und q teilerfremd} bildet mit der p1 p2 p1 q2 + p2 q1 p1 p2 p1 p2 Addition und Multiplikation q1 + q2 = q1 q2 q1 · q2 = q1 q2 den K¨orper Q der rationalen Zahlen. (3) Die reellen und komplexen Zahlen, R und C bilden einen K¨orper.

¤

Bemerkung: In einem beliebigen K¨orper gelten also genau dieselben Rechenregeln, die wir vom Umgang mit den rationalen Zahlen her gewohnt sind. Die K¨orper der rationalen und reellen Zahlen, Q und R, besitzen u ur jeweils ¨ber die algebraische K¨orperstruktur hinaus noch eine Ordnungsstruktur. Das bedeuted, dass f¨ 2 Elemente x und y genau eine der Beziehungen x = y, oder x < y, oder y > x erf¨ ullt ist. Der K¨orper der komplexen Zahlen C ist kein geordneter K¨orper. F¨ ur die (geordneten) K¨orper Q und R ist der Absolutbetrag eines Elementes wie folgt definiert:

10

Kapitel 1. Grundlagen

Definition 1.4.2 [Betrag]: Es sei x ∈ Q oder x ∈ R. Unter dem absoluten Betrag versteht man ½ x : x≥0 |x| = . −x : x < 0 Bemerkung: Der Absolutbetrag hat nichts mit dem Betrag einer komplexen Zahl zu tun. Satz 1.4.1: Seien x, y ∈ R. F¨ ur den Betrag gelten folgende Gesetze: (1) |x| = | − x| ≥ 0 (2) x ≤ |x|, −x ≤ |x|,

und |x| = 0

genau dann, wenn x = 0

Produkt und Betrag vertauschbar“ ” Dreiecksungleichung“ (4) |x + y| ≤ |x| + |y| ” (5) ||x| − |y|| ≤ |x + y| ≤ |x| + |y| (3) |x · y| = |x| · |y|

Mit Hilfe des Betrages kann man den Abstand d(x, y) zwischen Zahlen x und y bestimmen indem man |x − y| berechnet. Allgemein muss ein gutes“ Abstandsmaß folgende Eigenschaften besitzen: ” Definition 1.4.3 [Metrischer Raum]: Eine Menge M heißt metrischer Raum, wenn je zwei Elementen x, y ∈ M eine reelle Zahl d(x, y) zugeordnet ist, so dass folgende Axiome gelten: d(x, y) ≥ 0 f¨ ur alle x, y ∈ M d(x, y) = 0 genau dann, wenn x = y

Nichtnegativit¨at

d(x, y) = d(y, x)

Symmetrie

f¨ ur alle

d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y)

x, y ∈ M f¨ ur alle

x, y, z ∈ M

Dreiecksungleichung

d(x, y) heißt Abstand der Elemente x und y. Den Abstand bezeichnet man auch als Metrik. Bemerkung: Ein metrischer Raum besteht demnach aus einer Menge M und einem auf M definierten Abstand d. Man bezeichnet einen metrischen Raum deswegen oft mit (M, d) oder, wenn Verwechslungen ausgeschlossen sind, auch einfach nur mit M . Beispiel: Mit der Abstandsdefinition d(x, y) = |x − y| ist R ein metrischer Raum, denn es gilt: |x − y| ≥ 0 f¨ ur alle

x, y ∈ R

und |x − y| = 0 ⇐⇒ x = y,

|x − y| = |(x − z) + (z − y)| ≤ |x − z| + |z − y|

f¨ ur alle x, y, z ∈ R.

¤

Beispiel: folgende Mengen bilden metrische R¨aume: s n P (1) (Rn , d) mit d(x, y) = (xi − yi )2 f¨ ur x, y ∈ Rn . i=1

(2) (Rn , d)

mit

d(x, y) =

n P i=1

(3) (R, d) mit (3) (C, d) mit

d(x, y) =

|xi − yi |

f¨ ur x, y ∈ Rn .

|x − y| 1 + |x − y|

f¨ ur x, y ∈ R. p d(z1 , z2 ) = |z1 − z2 | = (x1 − y1 )2 + (x2 − y2 )2

f¨ ur z1 , z2 ∈ C.

¤

In einem metrischen Raum kann man unter anderem Folgen auf Konvergenz untersuchen, weil man ja mit Hilfe der Metrik beurteilen kann ob sich Elemente immer n¨aher“ kommen. ”

1.5

Vollst¨ andige Induktion

Zum Beweis von Aussagen A(n), die von nat¨ urlichen Zahlen n ∈ N abh¨angen, dient das Prinzip der vollst¨ andigen Induktion:

1.6. Folgen und Reihen in geordneten K¨ orpern

11

Satz 1.5.1 [Vollst¨ andige Induktion]: Es sei A(n) eine Aussage, welche von den nat¨ urlichen Zahlen n ∈ N abh¨angig ist. (1) Induktionsanfang: Es sei A(n0 ) richtig f¨ ur die nat¨ urliche Zahl n0 ∈ N. (2) Induktionsschluss: Aus der Richtigkeit von A(n) f¨ ur eine nat¨ urliche Zahl n ≥ n0 folgt stets die Richtigkeit von A(n + 1). Man muss also die Implikation A(n) ⇒ A(n + 1) zeigen. Dann folgt hieraus, dass die Aussage A(n) f¨ ur alle nat¨ urlichen Zahlen n ≥ n0 richtig ist. Beispiel: F¨ ur jede nat¨ urliche Zahl n ∈ N gilt: Induktionsanfang: Induktionsschluss: n+1 P

k=

k=1

n P

k + (n + 1)

A(1) :

A(n) :

=

k=1

n P k=1

1 P

1(1 + 1) =1 1= k= 2 k=1

A(n) ⇒ A(n + 1) A(n)sei richtig

1 + 2 + . . . + (n − 1) + n =

f¨ ur

k=

n(n + 1) 2

Behauptung richtig f¨ ur n = 1

n≥1

n(n + 1) (n + 1)(n + 2) + (n + 1) = 2 2

Aus der Richtigkeit von A(n) folgt also stets die Richtigkeit von A(n + 1). Beispiel: F¨ ur jede nat¨ urliche Zahl n ≥ 4 gilt:

A(n) :

24 = 16 ≥ 16 = 42

Induktionsanfang:

A(4) :

Induktionsschluss:

A(n) ⇒ A(n + 1) :

2n+1 = 2 · 2n

A(n)sei richtig



2n2 = n2 + n2

(n≥4)



¤

2n ≥ n2 Behauptung richtig f¨ ur n = 4

n2 + 4n = n2 + 2n + 2n

(2n≥1)

n2 + 2n + 1 = (n + 1)2



Aus der Richtigkeit von A(n) folgt also stets die Richtigkeit von A(n + 1).

¤

Beispiel: Es sei x ∈ R, mit x > −1 und x 6= 0. Dann gilt f¨ ur jede nat¨ urliche Zahl n ≥ 2: A(n) :

(1 + x)n > 1 + n · x

(1 + x)2 = 1 + 2x + x2

Induktionsanfang:

A(2) :

Induktionsschluss:

A(n) ⇒ A(n + 1) :

n+1

(1 + x)

n

= (1 + x) (1 + x)

A(n)sei richtig

>

(Bernoullische Ungleichung) (x2 >0)

>

1 + 2x

(1 + nx)(1 + x) = 1 + (n + 1)x + nx2

Richtig f¨ ur n = 2

(nx2 >0)

Aus der Richtigkeit von A(n) folgt also stets die Richtigkeit von A(n + 1).

>

1 + (n + 1)x ¤

¨ Das Arbeiten mit dem Prinzip der vollst¨andigen Induktion wird in der Vorlesung und in den Ubungen sehr ausf¨ uhrlich anhand zahlreicher Beispiele erl¨autert.

1.6

Folgen und Reihen in geordneten K¨ orpern

Wir werden uns jetzt mit den eher ungeliebten“ Folgen und Reihen besch¨aftigen. Folgen und Reihen sind in der ” Mathematik deshalb so wichtig, weil sie die Begriffe der Konvergenz und Divergenz einf¨ uhren und festlegen. Die Untersuchung einer Folge l¨auft letztendlich auf die Frage hinaus, was passiert wenn man gegen Unendlich“ geht. ” Das gesamte Geb¨aude der Analysis beruht ja auf Unendlichkeiten. Man denke etwa an den Differenzenquotienten in der Differentialrechnung und die Riemann-Summe in der Integralrechnung. Wir werden Folgen und Reihen in den geordneten K¨orpern Q und R betrachten. Genau genommen haben wir die reellen Zahlen R mathematisch“ noch nicht eingef¨ uhrt, werden dies aber sp¨ater kurz nachholen. Im folgenden ” wollen wir die zugrunde liegenden K¨orper einfach mit K bezeichnen. Wir werden jetzt definieren was wir unter einer Folge verstehen: Definition 1.6.1 [Folge]: Ordnet man jeder nat¨ urlichen Zahl n ∈ N ein Element an ∈ K zu, so entsteht eine Folge von Zahlen a1 , a2 , a3 , a4 , . . . f¨ ur die man ∞ n=1

oder einfach nur kurz

schreibt.

Eine Folge ist also eine Abbildung a : N −→ K(Q, R).

12

Kapitel 1. Grundlagen

Bemerkung: Zuweilen betrachtet man auch Folgen ∞ n=m , bei denen die ”Numerierung“ von einer Zahl m ∈ Z an l¨auft. Bemerkung: Der Unterschied zwischen einer Folge und der Menge {an } liegt darin, dass in einer Folge die Elemente angeordnet sind, im Gegensatz zur Menge, wo man die Elemente ja beliebig anordnen und umordnen darf. Beispiel: Die Folge von Zahlen < 12 , 23 , 34 , 45 , . . .> ist eine Folge in Q mit dem expliziten Bildungsgesetz n . Man k¨onnte diese Folge auch pr¨agnant in der Form < n > darstellen. an = n + ¤ 1 n+1 Beispiel: Die Folge mit c ∈ Q ist eine Konstant-Folge mit an = c.

¤

Beispiel: Durch eine rekursive Bildungsvorschrift ist die Folge mit a1 = 1 und an+1 = 12 an + a1n gegeben. Hier kann ein Glied erst berechnet werden, wenn alle vorhergehenden schon bekannt sind. ¤ Definition 1.6.2: Eine Folge heißt: (1) nach oben beschr¨ankt, wenn eine obere Schranke M ∈ K existiert mit: an ≤ M

f¨ ur alle n ∈ N;

(2) nach unten beschr¨ankt, wenn eine untere Schranke M ∈ K existiert mit: an ≥ M

f¨ ur alle n ∈ N;

(3) beschr¨ankt, wenn sie nach oben und unten beschr¨ankt ist. Bemerkung: Offensichtlich ist eine Folge genau dann beschr¨ankt, wenn eine Schranke M ∈ K existiert mit: |an | ≤ M f¨ ur alle n ∈ N. Beispiel: Die Folge mit an = (−1)n+1 1/n ist nach unten durch −1/2 und nach oben durch 1 beschr¨ankt. Sie ist deshalb auch beschr¨ankt mit |an | ≤ 1. ¤ Beispiel: Die Folge mit an = ln(n) ist nach unten beschr¨ankt durch 0. Sie ist nach oben unbeschr¨ankt da ln(n) → ∞ f¨ ur n → ∞. ¤ Wir k¨onnen sofort behaupten: Satz 1.6.1: Es seien und beschr¨ankte Folgen. Dann sind die Summenfolge und die Produktfolge ebenfalls beschr¨ankt. Beweis: Da die Folgen und beschr¨ankt sind gibt es Konstanten Ma und Mb , so dass f¨ ur alle n ∈ N gilt: |an | ≤ Ma und |bn | ≤ Mb . Aus den Absch¨atzungen |an + bn | ≤ |an | + |bn | ≤ Ma + Mb |an · bn | = |an | · |bn | ≤ Ma · Mb

(Dreiecksungleichung) und folgt die Behauptung.

¤

Wir werden jetzt die Konvergenz einer Folge definieren: Definition 1.6.3 [Konvergenz]: Eine Folge heißt konvergent zum Grenzwert a ∈ K, wenn f¨ ur jedes (noch so kleine) ε ∈ K mit ε > 0, eine nat¨ urliche Zahl Nε ∈ N existiert, so dass f¨ ur alle n > Nε gilt: |an − a| < ε.

Wir schreiben dann:

lim an = a

n→∞

oder

an → a.

Eine nichtkonvergente Folge heißt divergent. Wenn wir uns diese Definition auf der Zahlengeraden veranschaulichen, so bedeutet sie, dass bei Vorgabe eines noch so kleinen Intervalls (a − ε, a + ε) = Uε (a), von einem gen¨ ugend großen Index ab (der nat¨ urlich von ε abh¨angen wird), alle Elemente der Folge in diesem Intervall liegen, wie in Abb. 1.7 dargestellt. In jeder noch so kleinen ε-Umgebung von a liegen immer unendlich viele Folgenglieder. n gilt lim a = lim n = 1. Beispiel: F¨ ur die Folge mit an = n + n 1 n→∞ n→∞ n + 1 Es sei also ε > 0 vorgegeben und |an − 1| < ε. Es muss uns jetzt gelingen einen Index Nε zu finden, so n − 1| = 1 − n = 1 < ε. Aus dieser n − 1| < ε f¨ ur alle n > Nε erf¨ ullt ist. Es gilt | n + dass | n + 1 1m n+1 n+1 l Ungleichung folgt n > 1ε − 1. W¨ahlen wir nun f¨ ur Nε = 1ε − 1 (Aufrundungsfunktion, ceiling function), so haben wir diesen Index gefunden. Die Folge konvergiert also gegen 1. ¤

1.6. Folgen und Reihen in geordneten K¨ orpern

13

an a−ε

-

a

a+ε

Abbildung 1.7: Die Fogle konvergiert zum Grenzwert a, wenn ab einem bestimmten Index Nε alle Folgenglieder in der ε-Umgebung des Punktes a liegen.

Wir geben nun einige fundamentale Gesetzm¨ aßigkeiten u ¨ber das Rechnen mit konvergenten Folgen. Satz 1.6.2: Die Folge sei konvergent. Dann ist beschr¨ankt. Beweis: Es sei lim an = a. Dann existiert ein N ∈ N mit |an − a| < e f¨ ur alle n > N . Daraus folgt: n→∞

|an | = |an − a + a| ≤ |an − a| + |a| < e + |a|

f¨ ur alle n > N . Ferner gilt f¨ ur 1 ≤ n ≤ N :

|an | ≤ max{|a1 |, |a2 |, . . . , |aN |}. Es gilt also f¨ ur alle nat¨ urlichen Zahlen n: |an | ≤ max{|a1 |, |a2 |, . . . , |aN |, |a| + e} = M . Wir haben damit eine Schranke gefunden.

¤

Bemerkung: Konvergenz einer Folge ist eine hinreichende Bedingung f¨ ur die Beschr¨anktheit einer Folge. Oder: Beschr¨anktheit ist eine notwendige Voraussetzung f¨ ur Konvergenz. Satz 1.6.3: Die Folgen und seien konvergent zu den Grenzwerten a und b. Dann gilt: (1) Die Folge konvergiert zum Grenzwert a + b, (2) Die Folge konvergiert zum Grenzwert a · b, ½ an /bn (3) F¨ ur b 6= 0 konvergiert die Folge mit cn = 0

falls falls

bn 6= 0 zum Grenzwert a/b. bn = 0

ur alle n > Nεa Beweis: (1) Zu ε ∈ K, ε > 0 existiert ein Nεa ∈ N so, dass einerseits |an − a| < ε/2 f¨ und andererseits ein Nεb ∈ N so, dass |bn − b| < ε/2 f¨ ur alle n > Nεb . Hieraus ergibt sich f¨ ur alle n > max{Nεa , Nεb }: |(an + bn ) − (a + b)| ≤ |an − a| + |bn − b| < ε/2 + ε/2 = ε. (2) Da die Folge beschr¨ankt ist, gibt es eine Konstante M ∈ K, M > 0, so dass |bn | ≤ M f¨ ur alle n. Ferner gibt es zu einem ε ∈ K, ε > 0, ein Nεa ∈ N, so dass |an − a| < ε/(2M ) f¨ ur alle n > Nεa und ein ur alle n > max{Nεa , Nεb }: Nεb ∈ N so, dass |a| · |bn − b| < ε/2 f¨ ur alle n > Nεb . Hieraus ergibt sich dann f¨ |an · bn − a · b| = |(an − a) · bn + (bn − b) · a| ≤ |bn | · |an − a| + |a| · |bn − b| ≤ ≤ M · |an − a| + |a| · |bn − b| < M · (ε/2M ) + ε/2 = ε. (3) Wegen (2) gen¨ ugt es, die Behauptung f¨ ur die Folge mit an = 1 zu beweisen. (a) Es existiert ein N ∈ N, so dass |b| − |bn | ≤ |bn − b| < |b|/2 f¨ ur alle n > N gilt. Hieraus folgt f¨ ur alle n > N : |bn | > |b|/2 > 0 und daher gilt cn = 1/bn . Wir haben also sichergestellt, dass bn 6= 0 f¨ ur alle n > N . (b) Zu einem ε ∈ K, ε > 0 existiert ein Nε ∈ N, so dass |bn − b| < ε|b|2 /2 f¨ ur alle n > Nε . Hieraus ergibt sich nun f¨ ur alle n > max{N, Nε }: |cn − 1/b| = |1/bn − 1/b| = |bn − b|/|bn · b| < 2|bn − b|/|b|2 < ε. Es gilt also lim cn = 1/b. ¤ n→∞

Ein wichtiges Kriterium zum Nachweis der Konvergenz einer Folge ist das Einschließungskriterium: Satz 1.6.4 [Einschließungskriterium]: Es seien , und Folgen mit an ≤ bn ≤ cn . Ferner seien und konvergent und es gelte: lim an = lim cn = a ∈ K.

n→∞

n→∞

Dann konvergiert auch , und es gilt lim bn = a. n→∞

Beweis: Wegen an → a und cn → a gibt es zu jedem ε > 0 ein Nεa und Nεc , so dass −ε < an − a < ε f¨ ur alle n > Nεa und −ε < cn − a < ε f¨ ur alle n > Nεc gilt. Aus der Voraussetzung an ≤ bn ≤ cn folgt dann f¨ ur alle n > max{Nεa , Nεc }: −ε < an − a ≤ bn − a ≤ cn − a < ε, also |bn − a| < ε. ¤

14

Kapitel 1. Grundlagen

Wir behandeln nun noch zwei wichtige Begriffe der Folgentheorie, n¨amlich den Begriff der Monotonie und der Teilfolge. Definition 1.6.4 [Monotonie]: Eine Folge heißt: (1) monoton wachsend bzw. monoton fallend, wenn f¨ ur alle n gilt: an ≤ an+1 bzw. an ≥ an+1 ; (2) streng monoton wachsend bzw. streng monoton fallend, wenn f¨ ur alle n gilt: an < an+1 bzw. an > an+1 . Beispiel: Die Folge mit an = e−n ist streng monoton fallend und beschr¨ankt.

¤

Definition 1.6.5 [Teilfolge]: Es sei < nk >∞ urlicher Zahlen. k=1 eine streng monoton wachsende Folge nat¨ ∞ Dann heißt ∞ Teilfolge der Folge . n n=1 k=1 Beispiel: Die Folgen und sind Teilfolgen der Folge .

¤

Eine besonders wichtige Klasse von Folgen bilden die sog. unendlichen Reihen. Definition 1.6.6 [Unendliche Reihe]: Gegeben sei eine Folge ∞ ν=1 . n ∞ P P aν nennen wir eine unendliche Reihe und bezeichnen sie mit aν . Die Folge <sn>∞ n=1 mit sn = ν=1

ν=1

Die Summe sn wird n-te Teilsumme oder Partialsumme der Reihe genannt. Wir machen uns klar, dass eine unendliche Reihe keine unendliche Summe“ bedeutet, sondern nur eine ” Abk¨ urzung f¨ ur die Folge ihrer Teilsummen ist. Die Untersuchung einer Reihe l¨auft daher auf die Untersuchung ihrer Teilsummenfolge hinaus. Es gibt also keinen neuen Konvergenzbegriff f¨ ur Reihen, sondern die Konvergenz einer Reihe wird durch die Konvergenz ihrer Partialsummen definiert: Definition 1.6.7 [Reihe]: Die Reihe Wir schreiben dann:

∞ P ν=1

∞ P ν=1

aν = s.

aν heißt konvergent zur Summe s, wenn gilt:

lim sn = s.

n→∞

Eine nichtkonvergente Reihe heißt divergent.

Bemerkung: Wie bei Folgen betrachten wir ¨ofters auch Reihen

∞ P ν=m

Zahl m ∈ Z an l¨auft.

aν , wo der Summationsindex von einer

Wir werden jetzt einige wichtige Folgen und Reihen auf Konvergenz oder Divergenz untersuchen und diese, wegen ihrer Wichtigkeit, als S¨atze formulieren. 1 >, konvergiert zum Grenzwert 0, d.h. es gilt: lim 1 = 0. Satz 1.6.5: Die Folge < n n→∞ n Beweis: Es sei ein beliebig kleines ε > 0 vorgegeben. Es muss uns wieder gelingen einen Index Nε zu finden, 1 − 0| < ε f¨ 1 − 0| = 1 < ε. Aus dieser Ungleichung folgt so dass | n ur alle n > lNεm erf¨ ullt ist. Es gilt | n n ahlen wir nun f¨ ur Nε = 1ε (Aufrundungsfunktion, ceiling function), so haber wir diesen Index n > 1ε . W¨ gefunden. Die Folge konvergiert also gegen 0. ¤ Mit dieser konvergenten Folgen bilden wir jetzt eine Reihe und erhalten die sog. harmonische Reihe, die wir sofort auf Konvergenz oder Divergenz untersuchen. Satz 1.6.6: Die harmonische Reihe

∞ P 1 ν ist divergent.

ν=1

n P 1 ν nicht beschr¨ankt ist. Wir werden dazu ν=1 jeweils 2, 4, 8, 16, 32, 64, . . . Summanden betrachten. Zu einer nat¨ urlichen Zahl k bilden wir die Abschnitts2k P 1 1 1 + . . . + 16 , oder allgemein σk = summe σ1 = 21 , σ2 = 13 + 14 , σ3 = 15 + 16 + 17 + 18 , σ4 = 19 + 10 ν. k−1

Beweis: Wir werden zeigen, dass die Folge der Teilsummen sn =

ν=2

+1

1.7. Cauchy-Folgen in geordneten K¨ orpern

15

Wir k¨onnen diese Abschnittssummen absch¨atzen:

σk ≥ (2k − 2k−1 ) · 1k = 12 . | {z } 2 # Summanden

n

2 n n P P P 1 1 = 1+ n Aus s2 n = σk ≥ 1 + ergibt sich, dass <sn > nicht beschr¨ankt und ν = 1+ 2 2 ν=1 k=1 k=1 somit divergent ist. Genau genommen haben wir eine unbeschr¨ankte Teilfolge <s2n > der Teilsummenfolge <sn> gefunden. ¤

Von eminenter Wichtigkeit sind die geometrische Folge und Reihe. Satz 1.6.7: Es sei q ∈ K. Dann gilt f¨ ur die geometrische Folge : (1) F¨ ur |q| < 1 gilt: lim q n = 0. n→∞

(2) F¨ ur |q| = 1 gilt: lim q n = 1. n→∞

(3) F¨ ur alle anderen Werte von q divergiert . Beweis: (1) F¨ ur q = 0 ist trivialerweise konvergent zum Grenzwert 0; f¨ ur q 6= 0 und |q| < 1 setzen wir 1 |q| = , wobei δ > 0. Nach der Bernoulli-Ungleichung gilt f¨ ur n ≥ 2 die Absch¨atzung (1 + δ)n > nδ 1+δ 1 . Ist nun ε ∈ K, ε > 0 gegeben, so ist 1 < ε f¨ 1 und daher: |q|n = ur alle n > 1 . W¨ahlen n < nδ δn δε (1 + δ) l m 1 1 n n < ε f¨ ur alle n > Nε . Somit konvergiert wir Nε = , so k¨onnen wir sagen, dass |q − 0| = |q | < δε nδ n f¨ ur |q| < 1 zum Grenzwert 0. (2) F¨ ur q = 1 konvergiert trivialerweise zum Grenzwert 1. (3) F¨ ur q = −1 gilt =<−1, 1, −1, 1, −1, . . .>, so dass die Folge nicht konvergiert. (4) F¨ ur |q| > 1 ist die Folge nicht konvergent. W¨are sie konvergent, so w¨are sie auch beschr¨ankt mit |q n | ≤ M . Setzen wir |q| = 1 + δ > 1, so folgt wieder aus der Bernoulli-Ungleichung f¨ ur n ≥ 2: |q n | = (1 + δ)n > nδ. F¨ ur gen¨ ugend großes n ist jedoch nδ > M , was im Widerspruch zur Voraussetzung ist. Also kann nicht konvergent sein. ¤ Bildet man mit der geometrischen Folge eine Reihe, so erh¨alt man die geometrische Reihe. Satz 1.6.8: Es sei q ∈ K. Dann gilt f¨ ur die geometrische Reihe

∞ P

qν :

ν=0

(1) F¨ ur |q| < 1 gilt:

∞ P ν=0

1 . qν = 1 − q

(2) F¨ ur alle anderen Werte von q divergiert

∞ P

qν .

ν=0

Beweis: Mit

n P

qν =

ν=0

1.7

1 − q n+1 1 − q folgt die Behauptung.

¤

Cauchy-Folgen in geordneten K¨ orpern

Der Konvergenzbegriff den wir kennen gelernt haben hat den Nachteil, dass man den Grenzwert schon kennen muss. Sehr h¨aufig gelingt es aber nicht, den Grenzwert zu bestimmen. Es w¨are deshalb von Vorteil, wenn man einen Konvergenzbegriff h¨atte, der nur mit den Folgegliedern arbeitet und der offensichtlichen Verdichtungs” eigenschaft“ einer konvergenten Folge ber¨ ucksichtigt. Dies f¨ uhrt uns zum Begriff der Cauchy-Folge, oder kurz C-Folge. Dieser ist von zentraler Bedeutung in der modernen Mathematik. Nicht nur bei der Konstruktion der reellen Zahlen, sondern auch in der Funktionalanalysis, Maßtheorie, Wahrscheinlichkeitstheorie, u.a. spielt dieser Begriff eine wichtige Rolle. Definition 1.7.1 [Cauchy-Folge]: Die Folge in K heißt Cauchy-Folge, oder auch C-Folge, wenn f¨ ur jedes ε ∈ K und ε > 0 ein Nε ∈ N existiert, so dass: |an − am | < ε

f¨ ur alle n, m > Nε .

16

Kapitel 1. Grundlagen

Wir wollen uns diesen Begriff etwas n¨aher anschauen. Dazu sei ein beliebiges ε > 0 gegeben und der zugeh¨orige Index Nε bestimmt. W¨ahlen wir jetzt ein festes m > Nε , so liegen alle an mit n > Nε in der ε-Umgebung um am , wie Abb. 1.8 zeigt. Dies bedeutet, dass schließlich alle Folgenglieder ganz dicht zusammenliegen, sich

an am − ε

am

am + ε

Abbildung 1.8: Bei einer Cauchy-Fogle liegen f¨ ur ein festes m > Nε alle Folgenglieder f¨ ur n > Nε in der ε-Umgebung um am .

also verdichten an einer bestimmeten Stelle. Man spricht deshalb auch von der Verdichtungseigenschaft einer Cauchy-Folge. Es gelten wieder einige, leicht einzusehende, Regeln f¨ ur das Rechnen mit Cauchy-Folgen. Satz 1.7.1: Ist eine Cauchy-Folge in K, dann ist beschr¨ankt. Beweis: Es gibt ein Ne ∈ N mit |an − am | < e f¨ ur alle n > Ne . Insbesondere gilt f¨ ur m = Ne + 1 und alle n > Ne die Absch¨atzung an − aNe +1 < e. Hieraus folgt: |an | = |an − aNe +1 + aNe +1 | ≤ |an − aNe +1 | + |aNe +1 | < e + |aNe +1 |

f¨ ur alle n > Ne . Es ergibt sich also:

|an | ≤ max{|a1 |, |a2 |, . . . , |aNe |, |aNe | + e} = M , womit wir eine Schranke gefunden h¨atten.

¤

Wieder gilt, dass Summen, Produkte und Quotienten von C-Folgen wiederum C-Folgen ergeben. Satz 1.7.2: Es seien und Cauchy-Folgen in K. Dann gilt: (1) Die Summenfolge ist eine Cauchy-Folge, (2) die Produktfolge ist eine Cauchy-Folge, (3) und falls ein δ ∈ K mit δ > 0 und ur alle n > N , so ist die ½ ein N ∈ N existieren mit |bn | ≥ δ f¨ an /bn falls bn 6= 0 Quotientenfolge mit cn = ist ebenfalls eine Cauchy-Folge. 0 falls bn = 0 Den Zusammenhang zwischen gew¨ohnlichen“ Folgen und C-Folgen kl¨art folgender Satz: ” Satz 1.7.3: Ist konvergent zum Grenzwert a ∈ K, so ist eine Cauchy-Folge. Beweis: Es sei lim an = a ∈ K. Zu jedem ε ∈ K und ε > 0 gibt es ein Nε ∈ N mit |an − a| < ε/2 f¨ ur alle n→∞

n > Nε . Ist nun n > Nε und m > Nε , so ergibt sich |an −am | = |(an −a)−(am −a)| ≤ |an −a|+|am −a| < ε. Somit ist eine C-Folge. ¤ Es ist nun von gr¨oßter Wichtigkeit, dass dieser Satz i.a. nicht umkehrbar ist. Es kann und es kommt vor, dass eine C-Folge in K keinen Grenzwert hat. Das bedeutet, dass die Folge gegen eine L¨ ucke“ konvergiert mit der ” Konsequenz, dass die Menge in der die C-Folge lebt“³ nicht vollst¨ andig ist. Ein sehr ber¨ uhmtes Beispiel hierf¨ ur ´ ” 1 1 ist die Folge in Q mit a1 = 1 und an+1 = 2 an + an . Es kann gezeigt werden, dass diese Folge eine √ C-Folge ist, die gegen die irrationale Zahl 2 konvergiert. Die Folge konvergiert also gegen eine L¨ ucke“ ” oder Loch“ in Q. Dieses Beispiel zeigt, dass die Menge der rationalen Zahlen zu schwach“ ist, zumal die ” ” triviale Gleichung x2 = 2 in Q keine L¨osung hat. Die Behebung dieser Schw¨ache f¨ uhrt uns zu den reellen Zahlen R, die wir ja schon kennen, deren Wesen“ uns aber noch unbekannt ist. Um zu kl¨aren, was eine reelle Zahl ” eigentlich ist, m¨ ussen wir uns mit Relationen besch¨aftigen.

1.8

Relationen und Klasseneinteilungen von Mengen

Umgangssprachlich versteht man unter einer Relation eine Beziehung zwischen jeglicher Art von Objekten. wie z. B. Staaten, Hauptst¨adte, Menschen, Farben, reellen Zahlen, Cauchy-Folgen, komplexen Zahlen, stetigen

1.8. Relationen, Klasseneinteilungen

17

Funktionen, Matrizen, und viele mehr. Betrachten wir die Menge der Staaten und die Menge der Hauptst¨adte ¨ so beschreibt Wien ist Hauptstadt von Osterreich“ eine Relation zwischen diesen (verschiedenen) Mengen. ” Die Beziehung ist verwandt mit“ definiert eine Relation in der Menge aller Menschen. Mathematisch werden ” Relationen folgendermaßen definiert: Definition 1.8.1 [Relation]: Eine Relation R zwischen den Mengen A und B ist eine Teilmenge des kartesischen Produktes A × B, also R ⊂ A × B. F¨ ur (a, b) ∈ R sagt man a steht in Relation oder ” Beziehung R zu b“. Oft schreibt man aRb oder a ∼ b f¨ ur (a, b) ∈ R. F¨ ur den Fall A = B = M spricht man von einer Relation in oder Relation auf M. Beispiel: In der Menge aller Menschen bildet gleich alt wie“ eine Relation. ¤ ” Im weiteren untersuchen wir bestimmte Eigenschaften einer Relation. Dazu ben¨otigen wir folgende Definition: Definition 1.8.2 [Reflexiv, symmetrisch, transitiv]: Eine Relation in der Menge M heißt: (1) reflexiv, wenn f¨ ur alle x ∈ M gilt: x ∼ x, (2) symmetrisch, wenn f¨ ur alle x, y ∈ M mit x ∼ y folgt: y ∼ x, (3) transitiv, wenn f¨ ur alle x, y, z ∈ M mit x ∼ y und y ∼ z folgt: x ∼ z. ¨ Eine Relation, die reflexiv, symmetrisch und transitiv ist, wird Aquivalenzrelation genannt. Beispiel: In der Menge der ganzen Zahlen M = Z sei eine Relation R gegeben durch: R = {(n, m) : n ∈ Z, m ∈ Z, n − m gerade} ⊂ Z × Z. Die Relation lautet hier: Die ganze Zahl n steht in Relation (oder Beziehung) zur ganzen Zahl m, wenn ” ihre Differenz n − m gerade oder durch 2 teilbar ist.“ Wir u ufen jetzt, ob diese Relation reflexiv, ¨berpr¨ symmetrsich oder transitiv ist. • reflexiv: ja, weil f¨ ur alle n ∈ M gilt: n − n = 0 und durch 2 teilbar. Dies bedeutet aber n ∼ n. • symmetrisch: ja, weil f¨ ur n ∼ m, d.h. n − m gerade oder durch 2 teilbar, gefolgert werden kann, dass m − n durch 2 teilbar ist. Dies bedeutet aber m ∼ n. • transitiv: ja, weil f¨ ur n ∼ m und m ∼ p, d.h. n − m gerade und m − p gerade, gefolgert werden kann, dass n − p = (n − m) + (m − p) als Summe zweier gerader Zahlen eine gerade Zahl ergibt. Dies bedeutet wiederum n ∼ p. ¨ Diese Relation bildet also eine Aquivalenzrelation. Welches sind nun die Zahlen, die zueinander in Relation stehen? Einerseits sind das alle ungeraden Zahlen Zu = {. . . , −3, −1, 1, 3, 5, 7, . . .} und andererseits alle geraden Zahlen Zg = {. . . , −4, −2, 0, 2, 4, 6, . . .}. Wir haben also zwei Klassen“ von ganzen Zahlen ” ¨ bekommen f¨ ur welche Zu ∩ Zg = ∅ und Zu ∪ Zg = Z gilt. Diese beiden Klassen sind sog. Aquivalenzklassen. Alle ungeraden und alle geraden Zahlen sind ¨aquivalent zueinander. Man bezeichnet diese beiden ¨ Aquivalenzklassen u ¨blicherweise folgendermaßen: [0] = {n ∈ Z : n ∼ 0} und [1] = {n ∈ Z : n ∼ 1}, d.h. ¨ die Aquivalenzklasse zur geraden Zahl 0 und zur ungraden Zahl 1. Man h¨atte aber auch [10] schreiben k¨onnen anstatt [0], da ja 0 und 10 ¨aquivalent sind. ¤ ¨ Die Vermutung, dass es einen Zusammenhang zwischen Aquivalenzrelationen und Klasseneinteilungen gibt, best¨atigt sich vollends. Wir m¨ ussen zuvor noch festlegen, was wir unter einer Klasseneinteilung einer Menge M ¨ und einer Aquivalenzklasse verstehen: Definition 1.8.3 [Klasseneinteilung einer Menge]: Es sei M eine beliebige Menge. Eine Klasseneinteilung von M ist ein Mengensystem F = {Mα }α∈A mit: (1) Mα ∩ Mβ = ∅ f¨ ur α 6= β (disjunktes Mengensystem), S (2) M = Mα . α∈A

¨ ¨ Definition 1.8.4 [Aquivalenzklasse]: In einer Menge M sei eine Aquivalenzrelation ∼ gegeben. F¨ ur ein a ∈ M heißt: ¨ [a] = Ma = {x : x ∈ M, x ∼ a} die von a erzeugte Aquivalenzklasse. ¨ Entscheidend f¨ ur den Zusammenhang von Aquivalenzrelationen und Klasseneinteilungen ist:

18

Kapitel 1. Grundlagen

Satz 1.8.1: Es sei M eine Menge. ¨ (1) Jede Klasseneinteilung von M erzeugt eine Aquivalenzrelation in M . ¨ ¨ (2) Bei gegebener Aquivalenzrelation bildet das System der verschiedenen Aquivalenzklassen eine Klasseneinteilung von M . Beispiel: In der Menge der komplexen Zahlen C sei eine Relation R gegeben durch: R = {(z1 , z2 ) : z1 ∈ C, z2 ∈ C, |z1 | = |z2 |} ⊂ C2 . Die Relation lautet hier: Die komplexe Zahl z1 steht in Relation zur komplexen Zahl z2 , wenn ihre Betr¨age ” ¨ gleich sind.“ Wir u ufen, ob diese Relation eine Aquivalenzrelation bildet. ¨berpr¨ • reflexiv: ja, weil f¨ ur alle z ∈ C gilt: |z| = |z|. Dies bedeutet aber z ∼ z. • symmetrisch: ja, weil f¨ ur z1 ∼ z2 , d.h. |z1 | = |z2 |, gefolgert werden kann, dass |z2 | = |z1 | ist und somit z2 ∼ z1 . • transitiv: ja, weil f¨ ur z1 ∼ z2 und z2 ∼ z3 , d.h. |z1 | = |z2 | und |z2 | = |z3 |, gefolgert werden kann, dass |z1 | = |z3 | gilt. Dies bedeutet wiederum z1 ∼ z3 . ¨ Diese Relation bildet also eine Aquivalenzrelation. Welches sind nun die komplexen Zahlen, die ¨aquiva” lent“ sind? Offensichtlich alle komplexen Zahlen die auf einem Kreis mit Radius r liegen, weil diese alle ¨ den Betrag r haben. Jeder Radius r ∈ [0, ∞) induziert also eine Aquivalenzklasse Mr = {z ∈ C : |z| = r}. Wiederum gilt: S Mr ∩ Mr0 = ∅ f¨ ur r 6= r0 und C = Mr . ¤ r∈[0,∞)

1.9

Die Konstruktion der reellen Zahlen

Wir haben gesehen, dass der K¨orper Q der rationalen Zahlen in mancher Hinsicht unbefriedigend ist. Unter anderem haben wir gesehen, dass es Cauchy-Folgen gibt, die in Q keinen Grenzwert haben. In der modernen Mathematik spielen K¨orper, in denen jede C-Folge konvergiert, aber eine wichtige Rolle. Dies f¨ uhrt uns zum Begriff der Vollst¨andigkeit: Definition 1.9.1: Ein geordneter K¨orper K heißt vollst¨ andig, wenn jede Cauchy-Folge in K konvergiert, d. h. in K einen Grenzwert besitzt. Es stellt sich nun die Frage, ob man Q nicht erweitern kann, d. h. ob es nicht einen gr¨oßeren geordneten Zahlenk¨orper R gibt, der Q enth¨alt, und dar¨ uber hinaus gen¨ ugend Elemente besitzt, so dass R vollst¨andig ist und jede Gleichung der Form xn = a mit a ∈ Q und a ≥ 0 eine L¨osung in R besitzt. Zur Erweiterung von Q, d. h. zur Konstruktion der reellen Zahlen werden wir C-Folgen heranziehen, da diese sich ja zu einer bestimmten Stelle“ hin verdichten. Diese Stelle“, repr¨asentiert durch die entsprechende C” ” Folge, identifizieren wir dann mit einer reellen Zahl. Es gibt aber unendlich viele verschiedene C-Folgen mit der Eigenschaft, dass sie sich an ein und derselben Stelle verdichten. Welche C-Folge soll man dann nehmen? Es w¨ urde also Sinn machen, alle C-Folgen, die sich an der selben Stelle verdichten, als ¨aquivalent zu identifizieren. ¨ Deshalb f¨ uhren wir eine Aquivalenzrelation in der Menge aller C-Folgen in Q ein. Satz 1.9.1: Sei M die Menge aller C-Folgen in Q und zwei C-Folgen < xn >∈ M und < yn >∈ M seien zueinander in Relation, geschrieben <xn >∼, wenn gilt: limn→∞ (xn − yn ) = 0. Diese Relation ¨ bildet eine Aquivalenzrelation in M . Beweis: Die Relation lautet: zwei C-Folgen sind zueinander in Relation, wenn ihre Differenzfolge gegen 0 konvergiert. Wir u ufen folgende Eigenschaften: ¨berpr¨ • reflexiv: ja, weil f¨ ur alle <xn>∈ M gilt: lim (xn − xn ) = 0. Dies bedeutet aber <xn>∼<xn>. n→∞

• symmetrisch: ja, weil f¨ ur < xn >∼< yn >, d.h. lim (xn − yn ) = 0, gefolgert werden kann, dass n→∞

lim (yn − xn ) = 0 ist, und somit ∼<xn> gilt.

n→∞

• transitiv: ja, weil f¨ ur <xn>∼ und , d.h. lim (xn − yn ) = 0 und lim (yn − zn ) = n→∞

n→∞

0, gefolgert werden kann, dass lim (xn − zn ) = lim [(xn − yn ) + (yn − zn )] = lim (xn − yn ) + n→∞

n→∞

lim (yn − zn ) = 0 gilt. Dies bedeutet wiederum <xn>∼.

n→∞

n→∞

¤

1.9. Die Konstruktion der reellen Zahlen

19

¨ Mit obiger Aquivalenzrelation haben wir eine Klasseneinteilung in der Menge aller C-Folgen erhalten. Alle C¨ Folgen in einer Klasse f¨ uhren, kurz gesagt, zur selben Stelle“. Bezeichnen wir die Aquivalenzklasse zu einer ” ¨ vorgegebenen C-Folge < xn > mit C<xn > so k¨onnen wir jetzt mit dieser Aquivalenzklasse ein neues Objekt identifizieren, n¨ amlich eine reelle Zahl X = C<xn > . ¨ Definition 1.9.2 [relle Zahl]: Eine reelle Zahl X ist eine Aquivlenzklasse C<xn > von Cauchy-Folgen rationaler Zahlen. Die Menge aller reellen Zahlen wird, wie ja schon bekannt, mit R bezeichnet. Genau genommen d¨ urften wir noch nicht von Zahlen sprechen. Bisher haben wir ja nur eine komplizierte Menge ¨ definiert, n¨amlich die Menge aller Aquivalenzklassen von C-Folgen in Q. F¨ ur diese neuen Objekte ist aber weder eine Addition noch eine Multiplikation erkl¨art, ganz zu schweigen von einer Verifikation der K¨orperaxiome. Satz 1.9.2: Es seien X, Y ∈ R. Mit den Operationen Addition

X +Y

= C<xn > + C

= C<xn +yn > ,

Multiplikation

X ·Y

=

= C<xn ·yn > ,

C<xn > · C

wobei <xn> und beliebige Repr¨ asentanten aus X und Y sind, bildet R einen K¨orper. Beweis: Der Beweis ist relativ einfach und basiert auf der Tatsache, dass Addition und Multiplikation zweier C-Folgen wieder eine C-Folge ergeben. ¤ Jetzt endlich wissen wir, was man mathematisch unter einer reellen Zahl versteht und warum man sie eingef¨ uhrt hat. Zu kl¨aren bleibt noch, wo die rationalen Zahlen geblieben sind, oder wie sie in der Menge der reellen Zahlen zu identifizieren sind. Dies geschieht durch eine in sehr nat¨ urlicher Weise gegebenen injektiven Abbildung F : Q −→ R und x 7−→ F (x) = C<x> mit D(F ) = Q, B(F ) = {X : X ∈ R mit X = C<x> , x ∈ Q}, wobei unter <x> die konstante C-Folge <x, x, x, x, . . .> gemeint ist. Zur Abbildung F existiert eine Umkehrfunktion F −1 mit D(F −1 ) = B(F ), B(F −1 ) = Q. In Abb. 1.9 sind die Gegebenheiten grafisch illustriert.

0

1

x

Q 6 F −1

F ?

?

?

?

C<0>

C<1>

C<x>

R

Abbildung 1.9: Einbettung der rationalen Zahlen Q in der Menge der reellen Zahlen R. Die rationale Zahl x ∈ Q wird dabei mit der rational-reellen Zahl X = C<x> identifiziert.

Die Abbildungen F und F −1 haben nun die fundamentale Eigenschaft, mit den K¨orper- und Ordnungsstrukturen in Q bzw. R vertr¨aglich zu sein. F¨ ur x, y ∈ Q bedeutet dies, dass folgendes gilt: F (x+y) = F (x)+F (y), F (x·y) = F (x) · F (y), und aus x < y folgt F (x) < F (y). F¨ ur X, Y ∈ D(F −1 ) gilt: F −1 (X + Y ) = F −1 (X) + F −1 (Y ), −1 −1 −1 F (X · Y ) = F (X) · F (Y ), und aus X < Y folgt F −1 (X) < F −1 (Y ). Es ist also vollkommen gleichg¨ ultig, ob wir in Q nach den Gesetzen in Q rechnen, oder mit den Bilder in B(F ) nach den Gesetzen in R rechnen. Aus diesem Grund k¨onnen wir tats¨achlich von einer Einbettung von Q in R sprechen. Jetzt kommen wir zu dem ber¨ uhmten Satz von Dedekind: Satz 1.9.3 [Dedekind]: R ist vollst¨andig. In der Menge der reellen Zahlen R gilt desweiteren: Satz 1.9.4 [Cauchysches Konvergenzkriterium]: Eine reelle Zahlenfolge ist dann und nur dann konvergent, wenn sie eine C-Folge ist.

20

Kapitel 1. Grundlagen

Leider lassen auch die reellen Zahlen noch W¨ unsche offen. Versucht man etwa die Gleichung x2 + 1 = 0 zu l¨osen, muss man zur Kenntnis nehmen, dass diese einfache Gleichung in R keine L¨osung hat. Der Ausweg aus dieser Miesere f¨ uhrt uns zu den komplexen Zahlen C in Kapitel 4.

1.10

Der Hauptsatz u ¨ ber monotone Folgen und die Zahl e

Nachdem wir nun wissen, dass R vollst¨andig ist und somit jede Cauchy-Folge in R auch konvergiert, w¨are es w¨ unschenswert, ein weniger allgemeines, daf¨ ur aber handlicheres Konvergenzkriterium als das Cauchysche zu haben. F¨ ur monotone Folgen gibt es ein solches hinreichendes Kriterium. Satz 1.10.1 [Hauptsatz u ¨ ber monotone Folgen]: (1) Eine monoton wachsende und nach oben beschr¨ankte Folge ist konvergent. (2) Eine monoton fallende und nach unten beschr¨ankte Folge ist konvergent. Beweis:(Widerspruchsbeweis) (1) Es sei <xn > eine Folge mit xn+1 ≥ xn und xn ≤ M f¨ ur alle n ∈ N. Wir m¨ ussen zeigen, dass <xn> eine C-Folge ist. Angenommen, <xn> ist keine C-Folge, dann gibt es ein ε∗ > 0 und beliebig große Indizes m, n, so dass |xn − xm | ≥ ε∗ ist (sonst g¨abe es ja zu jedem ε > 0 ein Nε , so dass |xn − xm | < ε gilt f¨ ur alle n, m > Nε ). Wir nehmen ein Indexpaar m1 , n1 mit 1 < m1 < n1 und |xn1 − xm1 | ≥ ε∗ , dann ein weiteres Indexpaar m2 , n2 mit m1 < n1 < m2 < n2 und |xn2 − xm2 | ≥ ε∗ usw. Auf diese Weise entstehen Folgen <mi> und mit 1 < m1 < n1 < m2 < n2 < · · · < mi < ni · · · und |xni − xmi | ≥ ε∗ (f¨ ur i = 1, 2, . . .). Es folgt xnk ≥ xmk + ε∗ ≥ xnk−1 + ε∗ ≥ xmk−1 + 2ε∗ ≥ xn1 + (k − 1)ε∗ ≥ xm1 + kε∗ ≥ x1 + kε∗ . F¨ ur gen¨ ugend große k ist xnk ≥ x1 + kε∗ > M im Widerspruch zur Voraussetzung. Die Folge kann also nur eine C-Folge sein. Der Beweis von (2) geht analog. ¤ Bemerkung: Man beachte, dass bei diesem Kriterium, wie auch beim Cauchy-Kriterium, der Grenzwert der Folge nicht eingeht. Im weiteren untersuchen wir zwei Folgen die beide gegen die Eulersche Zahl e konvergieren. Dabei kommt der Hauptsatz u ¨ber monotone Folgen zum Einsatz. Satz 1.10.2 Die unendliche Reihe

∞ P 1 ν! ν=0

konvergiert.

Beweis: Nach der Definition der Konvergenz einer Reihe m¨ ussen wir die Konvergenz der Folge < yn > ihrer n P 1 Teilsummen yn = zeigen. ν! ν=0 1 >0 gilt. (1) Die Folge ist streng monoton steigend, da yn+1 − yn = (n − 1)! ν−1 (2) Mit ν! = 1 · 2 · 3 · · · ν ≥ 2 f¨ ur ν ≥ 2 gilt: h ³ ´n i n n n−1 P 1 P 1 P ³ 1 ´ν 1 yn = 2 + ≤2+ =1+ = 1 + 2 1 − < 3. ν−1 2 2 ν! ν=2 ν=2 2 ν=0 Damit ist die Folge nach oben beschr¨ankt und somit konvergent. Als n¨achstes beweisen wir: ´n ³ 1 Satz 1.10.3 Die Folge <xn> mit xn = 1 + n

ist konvergent.

Beweis: Mit Hilfe des binomischen Lehrsatzes erhalten wir f¨ ur xn folgenden Ausdruck: # " ´n ´ ³ n ¡ ¢ n n ν−1 P P P Q ³ n(n − 1) · · · (n − ν + 1) µ n 1 1 1 = =1+ xn = 1 + n 1− n . ν nν = 1 + ν! µ=0 ν!nν ν=0 ν=1 ν=1 µ µ 0 ≤ 1 − n ≤ 1 − n + 1 ≤ 1 f¨ ur µ = 0, 1, . . . , n. # # " " ´ ´ n n+1 ν−1 P P 1 ν−1 Q ³ Q ³ µ µ 1 − = xn+1 − xn = 1− n+1 1− n ν! µ=0 ν! µ=0 ν=1 ν=1

Wir bemerken ferner, dass gilt: (1) Monotonie:

¤

1.10. Der Hauptsatz u ¨ber monotone Folgen und die Zahl e

" 1 = (n + 1)!

21

# " # ´ ´ ν−1 ´ n ³ n ν−1 P Q ³ Q Q ³ µ µ µ 1 + > 0. 1− n+1 1− n+1 − 1− n ν! µ=0 µ=0 ν=1 µ=0

Damit ist die Folge <xn> streng monoton steigend. (2) Beschr¨anktheit: Mit obigen Darstellung erhalten wir f¨ ur n ≥ 2: n P 1 =y <3 2 = x1 < xn ≤ n ν! ν=0 Damit ist die Folge <xn> beschr¨ankt und mit (1) konvergent.

¤

Mit dem Einschließungskriterium k¨onnen wir zeigen, dass die Folgen < xn > und < yn > gegen den selben (unbekannten) Grenzwert konvergieren. Satz 1.10.4 F¨ ur die Folgen <xn> und gilt:

lim xn = lim yn .

n→∞

n→∞

Beweis: Es sei k eine feste nat¨ urliche Zahl, und es sei n ≥ k. Dann gilt: " # " # " # ´ ´ ´ k ν−1 n ν−1 k ν−1 P Q ³ P Q ³ P Q ³ µ µ µ 1 1 1 xn = 1 + 1− n + 1− n ≥1+ 1− n . ν! µ=0 ν! µ=0 ν! µ=0 ν=1 ν=1 ν=k+1 Lassen wir in dieser Ungleichung n gegen Unendlich gehen, so erhalten wir: lim xn ≥

n→∞

k P 1 =y . k ν! ν=1

Oben haben wir gesehen, dass xk ≤ yk gilt. Insgesamt erhalten wir f¨ ur alle nat¨ urlichen Zahlen k: xk ≤ yk ≤ lim xn . n→∞

Aus dem Einschließungskriterium folgt lim xk = lim yk . k→∞

k→∞

¤

Der gemeinsame Grenzwert der Folgen <xn > und ist eine der wichtigsten Zahlen in den Naturwissenschaften. Definition 1.10.1 [ Eulersche Zahl]: Wir bezeichnen den Grenzwert ´n ³ ∞ P 1 =e 1 = lim 1 + n als Eulersche Zahl. ν! n→∞ ν=0 Wir zeigen noch, dass die Eulersche Zahl irrational ist. Satz 1.10.5 Die Eulersche Zahl e ist irrational. Beweis:(Widerspruchsbeweis) Wir betrachten f¨ ur eine feste nat¨ urliche Zahl n ∈ N den Ausdruck: 1 1− m−1 n+m P P 1 (n + 2)m 1 1 1 n+2 yn+m − yn = ≤ < . ν = 1 ν! (n + 1)! ν=0 (n + 2) (n + 1)! (n + 1)!(n + 1) ν=n+1 1− n+2 Lassen wir in dieser Ungleichung m gegen Unendlich gehen, so erhalten wir die wichtige Absch¨atzung: n+2 = n+2 2 < 1 . 0 < lim yn+m − yn = e − yn ≤ n!n (n + 1)!(n + 1) m→∞ n!(n + 1) F¨ ur die Zahl θn = (e − yn )n!n ergibt sich wegen dieser Beziehung 0 < θn < 1 sowie n P 1, e = θn + yn = θn + n!n n!n ν=0 ν! f¨ ur jede nat¨ urliche Zahl n. Nehmen wir nun an, dass e rational ist, so gibt es p, q ∈ N mit e = p/q. Wegen obiger Beziehung gilt dann f¨ ur n = q: q P 1 θq p . q = q!q + ν! ν=0 Eine Multiplikation dieser Gleichung mit dem Faktor q! ergibt links eine ganze Zahl (q − 1)!p, rechts die Pq Summe einer ganzen Zahl q! ν=0 (1/ν!) und einer zwischen 0 und 1 gelegenen Zahl θq /q. Dies ist aber ein Widerspruch. Die Zahl e kann also nicht rational sein. ¤

2 Differentialrechnung Die Differentialrechnung spielt in den Naturwissenschaften eine zentrale Rolle, da sehr viele Naturgesetze (Newtonsche Bewegungsgleichung, Schr¨ odinger-Gleichung, Boltzmann-Gleichung, uva.) durch Differentialgleichungen beschrieben werden. Deshalb werden wir uns in diesem Kapitel mit der Methodik und Anwendung der Differentialrechnung besch¨aftigen.

2.1

Das Tangentenproblem

Die Differentialrechnung geht wie viele Gebiete der Analysis auf ein geometrisches Problem zur¨ uck, n¨amlich auf das Problem, an eine Kurve in der Ebene Tangenten zu konstruieren. Um uns diesen Sachverhalt klar zu machen betrachten wir eine auf [a, b] definierte Funktion f deren Graph in Abb. 2.1 zu sehen ist. Im Punkt

3

y

T

f (x) − f (x0 ) ∆y kP = ∆x = x − x0

2.5

SP f (x)

P

2

f (x) 1.5 f (xn )

∆y

P0

f1(x0 )

∆x

0.5

0

a −0.5 −8

−6

x0 −4

−2

0

xn

x 2

x

b 4

6

8

10

Abbildung 2.1: Graph der Funktion f . Im Punkt P0 = (x0 , f (x0 )) soll eine Tangente an die Kurve konstruiert werden.

P0 = (x0 , f (x0 )) wollen wir eine Tangente konstruieren. Dabei m¨ ussen wir akzeptieren, dass eine Tangente T an die Kurve im Punkt P0 nicht a priori existiert, sondern dass wir sie irgendwie definieren m¨ ussen. Wir folgen dabei der klassischen Idee, nach der die Tangente als Grenzlage von Sekanten definiert wird. Dazu betrachten wir einen Nachbarpunkt P = (x, f (x)) und die Sekante SP durch die Punkte P0 und P . Diese Sekante wird dann eindeutig bestimmt durch das Steigungsmaß kp . Existiert nun lim =

x→x0

f (x) − f (x0 ) = f 0 (x0 ) x − x0

24

Kapitel 2. Differentialrechnung

und ist f 0 (x0 ) ∈ R, so definieren wir die Gerade durch den Punkt P0 = (x0 , f (x0 )) mit diesem Steigungsmaß f 0 (x0 ) (die Ableitung der Funktion f an der Stelle x0 ) als Tangente im Punkt P0 .

2.2

Definition und Eigenschaften der Ableitung

Mit obigen Vorarbeiten k¨ onnen wir uns jetzt der analytischen Definition der Ableitung zuwenden. Definition 2.2.1 [Ableitung]: Es sei f : R −→ R und D(f ) = I ein beliebiges Intervall. (1) Die Funktion f heißt differenzierbar an der Stelle x0 ∈ I, wenn der Grenzwert lim

x→x0

f (x) − f (x0 ) f (x0 + ∆x) − f (x0 ) df (x ) = lim = x − x0 ∆x dx 0 ∆x→0

f¨ ur jede erdenkliche Ann¨aherung an den Punkt x0 existiert. Ist x0 linker (rechter) Endpunkt von I, so heißt f an x0 auch rechtsseitig (linksseitig) differenzierbar. (2) Die Funktion f 0 : R −→ R mit o n df df D(f 0 ) = x0 : (x0 ) existiert und f 0 (x0 ) = (x ) dx dx 0 heißt Ableitung von f . (3) Ist f 0 stetig auf X ⊂ D(f 0 ), so heißt die Funktion f stetig differenzierbar auf X. (4) Die h¨oheren Ableitungen einer Funktion werden rekursiv definiert: £ ¤ £ ¤0 f (n) (x) = d f (n−1) (x) = f (n−1) (x) . dx Die Funktion f wird auch als 0-te Ableitung bezeichnet: f = f (0) . Im folgenden wollen wir grundlegende Eigenschaften der Differentiation (oder des Differentialoperators) untersuchen. Eine der wichtigsten Eigenschaften des Differenzialoperators ist die Linearit¨at. Satz 2.2.1 [Linearit¨ at]: Die Operation des Differenzierens ist linear, d.h. es gilt f¨ ur a, b ∈ R d [af (x) + bg(x)] = a d [f (x)] + b d [g(x)] dx dx dx

oder

0

0

0

[af (x) + bg(x)] = a [f (x)] + b [g(x)] .

Als n¨achstes wollen wir kl¨aren wie Stetigkeit und Differenzierbarkeit zueinander in Beziehung stehen. Satz 2.2.2: Die Funktion f sei definiert auf I und differenzierbar an der Stelle x0 ∈ I. Dann ist die Funktion f stetig an x0 . Differenzierbarkeit ist also eine hinreichende Bedingung f¨ ur Stetigkeit. Beweis: F¨ ur jede Folge < xn > mit xn → x0 , xn ∈ I, xn 6= x0 gilt nach Voraussetzung: f (xn ) − f (x0 ) → f 0 (x0 ). Es folgt: xn − x0

f (xn ) − f (x0 ) = (xn − x0 ) ·

f (xn ) − f (x0 ) → 0 · f 0 (x0 ) = 0. xn − x0

¤

Beispiel: Die stetige Funktion f mit f (x) = |x|, D(f ) = R ist an der Stelle x0 = 0 nicht differenzierbar, weil lim

f (x) − f (x0 ) |x| − |0| x = 1, = lim+ x − 0 = lim+ x x − x0 x→0 x→0

lim

f (x) − f (x0 ) |x| − |0| = lim− x − 0 = lim− −x x = −1 x − x0 x→0 x→0

x→0+

x→0−

verschiedene Grenzwerte liefern.

(rechtsseitige Ann¨aherung an 0) und (linksseitige Ann¨aherung an 0) ¤

Wenn man rein technisch“ differenzieren muss, berechnet man nicht obigen Grenzwert, sondern man bedient ” sich einer Sammlung von Regeln, den sog. Ableitungsregeln, die im folgenden vorgestellt werden.

2.3

Ableitungsregeln, Kettenregel

In diesem Abschnitt lernen wir Ableitungsregeln kennen, mit denen man in eleganter Weise die m¨ uhsame Grenzwertberechnung umgeht. Durch geschicktes Anwenden der Ableitungsregeln kann man das Differenzieren

2.3. Ableitungsregeln, Kettenregel

25

komplizierter Funktionen in mehrere, weniger komplizierte, Teilaufgaben zerlegen. Durch diese Vorgangsweise gelingt es, jede noch so komplizierte Funktion zu differenzieren. Im Gegensatz zur Integralrechnung kann man also fast alles“ differenzieren. ” Satz 2.3.1 [Ableitungsregeln]: Die Funktionen f und g seien definiert auf dem Intervall I und differenzierbar an der Stelle x0 ∈ I. Dann gelten folgende Regeln: (1) Summenregel: f + g ist differenzierbar an x0 und d [(f + g)(x)] = d [f (x)] + d [g(x)] dx dx dx (2) Produktregel: f · g ist differenzierbar an x0 und (f + g)0 (x0 ) = f 0 (x0 ) + g 0 (x0 )

oder

(f · g)0 (x0 ) = f 0 (x0 ) · g(x0 ) + f (x0 ) · g 0 (x0 ) (3) Quotientenregel: Ist g(x0 ) 6= 0, so ist auch f /g differenzierbar an x0 und ³ ´0 f 0 (x0 )g(x0 ) − f (x0 )g 0 (x0 ) f (x ) = 0 g g 2 (x0 ) Beweis: (Produktregel) Sei < xn > eine Folge aus I mit xn → x0 , xn ∈ I, xn 6= x0 . Dann gilt f (xn ) → f (x0 ) (wegen der Stetigkeit von f ), und wir erhalten: (f · g)(xn ) − (f · g)(x0 ) f (xn )g(xn ) − f (x0 )g(x0 ) = = xn − x0 xn − x0 f (xn )g(xn ) − f (xn )g(x0 ) + f (xn )g(x0 ) − f (x0 )g(x0 ) = xn − x0 f (xn ) − f (x0 ) g(xn ) − g(x0 ) · g(x0 ) + · f (xn ) → f 0 (x0 ) · g(x0 ) + g 0 (x0 ) · f (x0 ). xn − x0 xn − x0

¤

Zur Differentiation zusammengesetzter Funktionen verwendet man die sehr m¨achtige Kettenregel: Satz 2.3.2 [Kettenregel]: Es sei h = g ◦ f definiert auf dem Intervall I. Ist f differenzierbar an der Stelle x0 ∈ I und g differenzierbar an y0 = f (x0 ), so ist h = g ◦ f differenzierbar an x0 und es gilt: h0 (x0 ) = (g ◦ f )0 (x0 ) = g 0 (f (x0 )) · f 0 (x0 )

oder

d [g(f (x))] = d [g(f (x))] · d [f (x)] dx df dx

Beweis: Sei < xn > eine Folge aus I mit xn → x0 , xn 6= x0 . Dann gilt: h(xn ) − h(x0 ) g(f (xn )) − g(f (x0 )) g(f (xn )) − g(f (x0 )) f (xn ) − f (x0 ) = = · → g 0 (f (x0 )) · f 0 (x0 ) xn − x0 xn − x0 xn − x0 f (xn ) − f (x0 )

¤

Bemerkung: Die Kettenregel besagt also folgendes: man differenziert die ¨außerste Funktion (z.B. e() hoch gibt e() ) und multipliziert mit der Ableitung der n¨achsten inneren Schicht. Dies wird dann rekursiv so lange fortgef¨ uhrt, bis man die innerste Schicht erreicht hat. Lange Rede, kurzer Sinn: ¨außere mal innere ” Ableitung.“ d £ln(arctan(ax2 ))¤ nach x. Beispiel: Wir differenzieren die zusammmengesetzte Funktion dx Die ¨außerste Funktion ist ln(·) und diese gibt differenziert 1/(·). Also erhalten wir: 1 d £ln(arctan(ax2 ))¤ = · d arctan(ax2 ). In der n¨achst inneren Schicht sehen“ wir die dx ” arctan(ax2 ) dx Funktion arctan(·) und diese gibt differenziert 1/(1 + (·)2 ). Also: £ ¤ d £ln(arctan(ax2 ))¤ = 1 1 1 2ax · · d ax2 = · ¤ 2 2 2 dx arctan(ax ) 1 + (ax ) dx arctan(ax2 ) 1 + (ax2 )2 Sehr n¨ utzlich ist auch folgende Regel f¨ ur die Differentiation von Umkehrfunktionen. Satz 2.3.3 [Umkehrfunktion]: Die Funktion f sei auf I stetig und streng monoton und im Punkt x0 ∈ I differenzierbar. Gilt f (x0 ) 6= 0, so ist die Umkehrfunktion f −1 differenzierbar an y0 = f (x0 ), und es gilt: (f −1 )0 (y0 ) = 0 1 . f (x0 ) Beweis: Sei < yn > eine Folge aus D(f −1 ) mit yn → y0 und yn 6= y0 . Ferner sei xn = f −1 (yn ). Offensichtlich gilt xn 6= x0 und xn → x0 (Monotonie und Stetigkeit) und wir erhalten:

26

Kapitel 2. Differentialrechnung

f −1 (yn ) − f −1 (y0 ) xn − x0 1 = = → 01 . yn − y0 f (xn ) − f (x0 ) f (xn ) − f (x0 ) f (x0 ) xn − x0

¤

Beispiel: Wir betrachten die Funktion f (x) = y = sin x. F¨ ur die Umkehrfunktion erhalten wir f −1 (y) = arcsin y = x. Es gilt nun: 1 d f −1 (y) = d [arcsin y] = 1 = . Aus sin2 x + cos2 x = y 2 + cos2 x = 1 bekommen wir cos x dy dy d f (x) dx p cos x = 1 − y 2 und erhalten die Formel d [arcsin y] = p 1 . ¤ dy 1 − y2

2.4

Der Satz von Rolle

In diesem Paragraphen wollen wir den f¨ ur den weiteren Ausbau der Differentialrechnung wichtigen Satz von Rolle behandeln. Wir betrachten zun¨achst lokale Extrema und beweisen das folgende notwendige Kriterium: Satz 2.4.1: Es sei die Funktion f definiert auf [a, b] und differenzierbar an x0 ∈ (a, b). Hat die Funktion f an der Stelle x0 ein lokales Maximum oder Minimum, so gilt notwendig f 0 (x0 ) = 0. Beweis: Hat f an x0 ein lokales Maximum, so gilt f¨ ur alle gen¨ ugend großen n: f (x0 ± n1 ) ≤ f (x0 ) f (x0 + 1/n) − f (x0 ) f (x0 − 1/n) − f (x0 ) ≤ 0 und f 0 (x0 ) = lim ≥0 1/n (−1/n) n→∞ 0 Insgesamt erhalten wir deshalb f (x0 ) = 0. Hieraus folgt: f 0 (x0 ) = lim

n→∞

¤

Aus diesem Satz kann jetzt leicht der Satz von Rolle gefolgert werden: Satz 2.4.2 [Rolle]: Die Funktion f sei stetig auf [a, b] und differenzierbar auf (a, b), und es gelte f (a) = f (b). Dann gibt es wenigstens eine ξ ∈ (a, b) mit f 0 (ξ) = 0. Beweis: Ist f (x) = f (a) f¨ ur alle x ∈ [a, b], so gilt f¨ ur jedes ξ ∈ (a, b) : f 0 (ξ) = 0, und wir sind fertig. Andernfalls gibt es eine Stelle ξ ∈ (a, b) an der f ihr absolutes Minimum oder Maximum annimmt. Nach obigem Satz gilt f¨ ur dieses ξ aber f 0 (ξ) = 0. ¤ Bemerkung: Der Satz von Rolle besagt anschaulich, dass der Funktionsgraph von f an einer Stelle ξ eine horizontale Tangente besitzt wie in Abb. 2.2 dargestellt. y

2

1.5

1

0.5

f (a) x

0

a

ξ

b f (x)

−0.5

−1

−1.5 −6

−4

−2

0

2

4

6

8

10

12

Abbildung 2.2: Visualisierung des Satzes von Rolle. Dieser garantiert die Existenz mindestens eines Punktes ξ ∈ (a, b) mit einer horizontalen Tangente.

2.5

Der 1. Mittelwertsatz der Differentialrechnung

Mit Hilfe des Satzes von Rolle folgt nun einer der wichtigsten S¨atze der Differentialrechnung.

2.5. Der 1. Mittelwertsatz der Differentialrechnung

27

Satz 2.5.1 [1. Mittelwertsatz]: Die Funktion f sei stetig auf [a, b] und differenzierbar auf (a, b). Dann gibt es mindestens eine Stelle ξ ∈ (a, b) mit: f (b) − f (a) = f 0 (ξ). b−a Beweis: Wir wenden den Satz von Rolle auf die Funktion f (b) − f (a) (x − a) x ∈ [a, b] b−a an und stellen fest, dass F (a) = F (b) = f (a) gilt. Ausserdem ist F stetig auf [a, b] und differenzierbar auf (a, b), so dass die Voraussetzungen des Satzes von Rolle erf¨ ullt sind. Deshalb gibt es ein ξ ∈ (a, b) mit F 0 (ξ) = 0. Wegen F (x) = f (x) −

F 0 (x) = f 0 (x) −

f (b) − f (a) b−a

ergibt sich f 0 (ξ) =

f (b) − f (a) . b−a

¤

Bemerkung: Dieser Satz besagt geometrisch, dass mindestens ein ξ ∈ (a, b) existiert mit der Eigenschaft, dass die Tangente T im Kurvenpunkt (ξ, f (ξ)) und die Sekante S durch die Punkte (a, f (a)) und (b, f (b)) ¨ parallel verlaufen, wie in Abb. 2.3 dargesrtellt. Uber die genaue Lage von ξ ∈ (a, b) kann i.a. keine Auskunft gegeben werden, was einer reinen Existenzaussage gleichkommt. y

1.8

T

1.6 1.4

f (b) f (ξ)

S

1.2 1 0.8 0.6 0.4

f (a)

0.2

x

0

a

−0.2 −3

ξ −2

−1

b 0

1

2

3

4

5

6

¨ Abbildung 2.3: Visualisierung des 1. Mittelwertsatzes der Differentialrechnung. Uber die Lage von ξ ∈ (a, b) kann i.a. keine Auskunft gegeben werden.

Der Mittelwertsatz erweist sich oft als geeignet zur Absch¨atzung von Funktionen. 1 . Beispiel: F¨ ur alle x mit 0 < x < 1 gilt: 1 + x < ex < 1 − x Zum Nachweis wenden wir den Mittelwertsatz auf die Funktion et im Intervall [0, x] an und erhalten f¨ ur ein geeignetes ξ mit 0 < ξ < x: ex − e0 = eξ . F¨ ur eξ gilt die Absch¨atzung 1 < eξ < ex , und hieraus ergibt sich: x ex − 1 > 1 ⇔ ex > 1 + x ex − 1 < ex ⇔ ex < 1 und x x 1−x

¤

x < ln(1 + x) < x. Beispiel: F¨ ur alle x > 0 gilt: 1 + x Zum Nachweis wenden wir den Mittelwertsatz auf die Funktion ln(1 + t) im Intervall [0, x] an und erhalten f¨ ur ein geeignetes ξ mit 0 < ξ < x: ln(1 + x) − ln(1) 1 < 1 < 1, und hieraus ergibt F¨ ur 1 gilt die Absch¨atzung 1 + = 1 . x x 1+ξ 1+ξ 1+ξ sich: ln(1 + x) ln(1 + x) 1 ⇔ ln(1 + x) > x > 1+ < 1 ⇔ ln(1 + x) < x ¤ und x x x 1+x

28

Kapitel 2. Differentialrechnung

2.6

Die Regeln von de l’Hospital

Die Berechnung von Grenzwerten von Funktionen kann mitunter ¨außerst kompliziert werden, vor allem wenn man den Grenzwert eines Quotienten h(x) =

f (x) g(x)

f¨ ur den Fall bestimmen muss, dass f (x) und g(x) beide 0 oder beide ∞ sind. Zur Ermittlung von Grenzwerten solchen Typs stehen uns aber jetzt die Mittel der Differentialrechnung zur Verf¨ ugung. Nach de l’Hospital gelten einfache Regeln: Satz 2.6.1 [de l’Hospital]: Es sei −∞ ≤ a < b ≤ +∞ und −∞ ≤ l ≤ ∞, und ferner seien die Funktionen f und g differenzierbar auf (a, b). Es gelte g 0 (x) 6= 0 auf (a, b) und f 0 (x) = l. 0 x→b g (x) lim

Dann folgt aus

Beispiel: Es gilt f¨ ur alle a ∈ R, a 6= 0: Beispiel: Es gilt f¨ ur jedes α ∈ (0, ∞): Beispiel: Es gilt:

lim f (x) = lim g(x) = 0

x→b

lim

x→0

x→b

sin(ax) a cos(ax) = lim = a. x 1 x→0

1 = lim 1 α = 0. lim lnαx = lim x x→∞ xαxα−1 x→∞ αx

x→∞

lim x ln x = lim ln1x = lim µ 1 ¶ = − lim x = 0. x→0+ x x→0+ x − 1 x→0+ x2

x→0+

lim xx = lim ex ln x = e

x→0+

x→0+

lim

x→b

f (x) = l. g(x) ¤ ¤ ¤

¸

·

Beispiel: Es gilt:

die Aussage:

lim x ln x

x→0+

= e0 = 1.

¤

3 Integralrechnung Neben der Differentialrechnung bildet die Integralrechnung den zweiten großen Pfeiler in den Naturwissenschaften. Viele Naturgesetze, wie etwa die Boltzmann-Gleichung, enthalten einen Integralterm und die meisten dieser Naturgesetze werden durch geeignete Integrationsmethoden gel¨ost.

3.1

Die Idee des Riemannschen Integrals

So wie die Differentialrechnung geht auch die Integralrechnung auf ein geometrisches Problem zur¨ uck, n¨ amlich auf das Problem, den Fl¨acheninhalt von Punktmengen F der Ebene zu berechnen, die von Kurven begrenzt werden wie Abb. 3.1 zeigt. Wie bei der Differentialrechnung m¨ ussen wir uns klarmachen, dass der Fl¨acheninhalt der

y

y

1.8

1.8

1.6

1.6

f (x)

1.4

f (x) = c

1.4

1.2

1.2

1

1

F

0.8

0.8

0.6

0.6

0.4

0.4

0.2

0.2

0

x0

a

−0.2 −3

−2

b −1

0

1

2

3

4

5

F

a

−0.2 6

−3

−2

b −1

0

1

2

3

4

5

x 6

Abbildung 3.1: Fl¨ acheninhalt der Punktmenge F unterhalb der Kurve f (x).

Punktmenge F nicht a priori definiert ist. Wir m¨ ussen vielmehr definieren, was wir unter einem Fl¨acheninhalt einer Punktmenge verstehen. Dabei verwenden wir selbstverst¨andlich den gel¨aufigen und bew¨ahrten Fl¨ acheninhalt von Rechtecken. Ist etwa f (x) = c > 0 auf [a, b], so wollen wir weiterhin als Fl¨acheninhalt von F das Produkt (b − a) · c nehmen. Wir wollen kurz die ¨außerst einfache aber geniale Idee von Riemann darstellen. Dazu ben¨otigen wir einige Definitionen:

30

Kapitel 3. Integralrechnung

Definition 3.1.1 [Partition]: Gegeben sei ein Intervall [a, b]. (1) Je n + 1 Zahlen P = {x0 , x1 , . . . , xn } mit a = x0 < x 1 < . . . < xn = b

bilden eine Partition (Zerlegung) von [a, b].

(2) F¨ ur 1 ≤ k ≤ n heißt Ik = [xk−1 , xk ]

k-tes Teilintervall der Partition, und

∆xk = xk − xk−1

L¨ange von Ik .

(3) Die Zahl kP k = max {∆xk } heißt Norm oder Feinheit der Partition P . 1≤k≤n

Offensichtlich gilt:

n P

∆xk = b − a.

k=1

Die Verfeinerung einer Partition wird wie folgt definiert: Definition 3.1.2 [Verfeinerung einer Partition]: Eine Partition P 0 = {x00 , x01 , . . . , x0n } eines Intervalls [a, b] heißt Verfeinerung einer Partition {x0 , x1 , . . . , xn } ⊂ {x00 , x01 . . . , x0n }.

P = {x0 , x1 , . . . , xn } des Intervalls [a, b], wenn gilt: Jetzt k¨onnen wir Ober- und Untersummen definieren:

Definition 3.1.3 [Ober- und Untersumme]: Die Funktion f sei beschr¨ankt auf [a, b], und es sei P = {x0 , x1 , . . . , xn } eine Partition von [a, b]. Wir setzen: (1) mk (f ) = inf f (x)

Mk (f ) = sup f (x)

(2) m(f ) = inf f (x)

M (f ) = sup f (x)

Ik

[a,b]

(3) S P (f ) = (4) S P (f ) =

P

Minimum und Maximum von f (x) im Intervall [a, b].

[a,b] n P

mk (f ) · ∆xk =

P

P

Minimum und Maximum von f (x) im Intervall Ik .

Ik

Mk (f ) · ∆xk =

P

k=1 n P

mk (f ) · ∆xk

Untersumme von f bzgl. P .

Mk (f ) · ∆xk

Obersumme von f bzgl. P .

k=1

Abbildung 3.2 veranschaulicht oben eingef¨ uhrte Begriffe. Die Partition P erzeugt eine untere und obere 1.8

y

1.6

f (x)

1.4 1.2 1 0.8 0.6 0.4 0.2 0

a = x0

−0.2 −3

−2

I1 I2 x1 x2 −1

I3

x3 0

I4

x4 1

I5

x5

I6

I7 x6 x7

2

3

I8

x

I9

x8 x9 = b 4

5

6

Abbildung 3.2: Approximation des Fl¨ acheninhaltes der Punktmenge F durch eine Ober- und Untersumme der Funktion f bez¨ uglich der Partition P .

Treppenfunktion, deren zugeh¨orige Fl¨acheninhalte gerade S P (f ) und S P (f ) sind. Dabei gilt offensichtlich ur immer feiner werdende Unterteilungen S P (f ) und S P (f ) einem gemeinsamen S P (f ) ≤ S P (f ). Streben nun f¨ Wert zu, was einer Approximation der Funktion f von unten und oben durch Treppenfunktionen entspricht,

3.2. Untere und obere Darboux-Integrale

31

so definieren wir nach Riemann diesen gemeinsamen Wert als Fl¨acheninhalt der Punktmenge F . Die Funktion f nennt man dann Riemann-integrierbar. Abbildung 3.3 zeigt die Ober- und Untersumme f¨ ur eine feinere Unterteilung und ein Vergleich mit Abb. 3.2 zeigt, dass die Obersummen kleiner und die Untersummen gr¨oßer werden. 1.8

y

1.6

f (x)

1.4 1.2 1 0.8 0.6 0.4 0.2 0

a = x0

xk

xn = b

x

−0.2 −3

−2

−1

0

1

2

3

4

5

6

Abbildung 3.3: F¨ ur feiner werdende Partitionen werden die Obersummen kleiner und die Untersummen gr¨ oßer. Streben sie einem gemeinsame Wert zu, so nennt man die Funktion f Riemann-integrierbar.

Die Ober- und Untersummen besitzen eine Reihe von Eigenschaften die f¨ ur den weiteren Ausbau wichtig sind. Es gilt folgende Absch¨atzung: Satz 3.1.1: Die Funktion f sei beschr¨ankt auf [a, b], und es sei P eine Partition von [a, b]. Dann gilt: m(f ) · (b − a) ≤ S P (f ) ≤ S P (f ) ≤ M (f ) · (b − a). Beweis: Da m(f ) ≤ mk (f ) ≤ Mk (f ) ≤ M (f ) f¨ ur k = 1, 2, . . . , n ist, ergibt sich nach Multiplikation mit ∆xk und Aufsummieren: P P ¤ mk (f ) · ∆xk ≤ Mk (f ) · ∆xk ≤ M (f ) · (b − a). m(f ) · (b − a) ≤ P

P

Die wichtigste Eigenschaft von Ober- und Untersummen ist die Tatsache, dass bei Verfeinerung der Partition die Obersummen nicht wachsen und die Untersummen nicht fallen. Satz 3.1.2: Die Funktion f sei beschr¨ankt auf [a, b], es seien P und P 0 Partitionen von [a, b] und P 0 eine Verfeinerung von P . Dann gilt: S P 0 (f ) ≤ S P (f )

und

S P 0 (f ) ≥ S P (f ).

Aus diesen beiden S¨atzen folgt nun: Satz 3.1.3: Die Funktion f sei beschr¨ankt auf [a, b]. Es seien P1 und P2 beliebige Partitionen von [a, b], dann gilt: S P1 (f ) ≤ S P2 (f ). Beweis: Die Partition P = P1 ∪ P2 ist eine Verfeinerung sowohl von P1 als auch P2 . Deshalb gilt: S P1 (f ) ≤ S P (f ) ≤ S P (f ) ≤ S P2 (f ).

3.2

Untere und obere Darboux-Integrale

Wir k¨onnen jetzt die oberen und unteren Darboux-Integrale definieren.

¤

32

Kapitel 3. Integralrechnung

Definition 3.2.1 [Darboux-Integrale]: Die Funktion f sei beschr¨ankt auf [a, b]. Man bezeichnet: (1)

Rb a

(2)

Rb

f (x) dx = sup S P (f )

als unteres Darboux-Integral, und

f (x) dx = inf S P (f )

als oberes Darboux-Integral.

P

P

a

Wir k¨onnen leicht nachvollziehen, dass das untere Darboux-Integral immer kleiner oder gleich dem oberen Darboux-Integral sein muss: Satz 3.2.1: Die Funktion f sei beschr¨ankt auf [a, b]; dann gilt: Rb

f (x) dx ≤

Rb

f (x) dx.

a

a

Beweis: F¨ ur beliebige Partitionen P1 und P2 gilt S P1 (f ) ≤ S P2 (f ). Halten wir P2 fest, so folgt: sup S P1 (f ) ≤ S P2 (f ).

Hieraus ergibt sich:

P1

Rb a

f (x) dx = sup S P1 (f ) ≤ inf S P2 (f ) = P1

P2

Rb

f (x) dx.

¤

a

Eine weitere wichtige Eigenschaft ist die Additivit¨at des unteren und oberen Darboux-Integrals bez¨ uglich des Integrations-Intervalls. Satz 3.2.2: Die Funktion f sei beschr¨ankt auf [a, b], und es sei a < c < b. Dann gilt: (1)

Rb

f (x) dx =

a

(2)

Rb

f (x) dx +

a

f (x) dx =

a

3.3

Rc Rc

Rb

f (x) dx

c

f (x) dx +

a

Rb

f (x) dx

c

Das Riemannsche Integral

Mit Hilfe des oberen und unteren Darboux-Integrals definieren wir jetzt das Riemannsche Integral. Definition 3.3.1 [Riemannsches Integral]: Die Funktion f sei beschr¨ankt auf [a, b]. Gilt Rb

f (x) dx =

Rb

f (x) dx,

a

a

so heißt f Riemann-integrierbar auf [a, b]. Der gemeinsame Wert heißt das bestimmte Riemann-Integral von f auf [a, b] und wird mit Rb

f (x) dx

bezeichnet.

a

Rb Ist f (x) ≥ 0 auf [a, b] und f Riemann-integrierbar, so k¨onnen wir jetzt mit Recht die Zahl a = f (x) dx als den Fl¨acheninhalt der Punktmenge unter der Kurve“ bezeichnen. Das Riemannsche Integral stellt also unsere ” konstruktive Definition des Fl¨acheninhaltes dar. Die Frage, ob der Fl¨acheninhalt der Punktmenge unter der ” Kurve“ existiert, ist jetzt a¨quivalent mit der Frage, ob die Funktion f Riemann-integrierbar ist. Beispiel: Wir betrachten auf [a, b] die Funktion f mit f (x) = 1 f¨ ur alle x ∈ [a, b]. F¨ ur jede Partition P von [a, b] gilt offenbar: S P (f ) = b − a und S P (f ) = b − a. Hieraus ergibt sich Rb a

1 dx =

Rb

1 dx = b − a. Also ist f auf [a, b] Riemann-integrierbar, und es gilt

a

Beispiel: Wir betrachten auf [a, b] die Funktion f mit ½ 1 falls x ∈ [a, b] und x rational f (x) = . 0 falls x ∈ [a, b] und x irrational

Rb a

1 dx = b − a.

¤

3.4. Riemannsche Summen

33

F¨ ur jede Partition P von [a, b] gilt offenbar: S P (f ) = b − a und S P (f ) = 0. Hieraus ergibt sich Rb

1 dx = 0 6=

Rb

1 dx = b − a. Also ist f auf [a, b] nicht Riemann-integrierbar.

¤

a

a

F¨ ur die Praxis ist es erforderlich, ein Kriterium zu haben, mit dessen Hilfe man die Integrierbarkeit einer gegebenen Funktion entscheiden kann. Der folgende Satz liefert uns dazu eine notwendige und hinreichende Bedingung. Satz 3.3.1 [Riemannsche Integrabilit¨atskriterium]: Die beschr¨ankte Funktion f ist auf [a, b] genau dann Riemann-integrierbar, wenn zu jedem ε > 0 eine Partition P existiert mit S P (f ) − S P (f ) < ε. Mit Hilfe dieses Satzes k¨onnen wir die Integrierbarkeit zweier wichtiger Klassen von Funktionen beweisen. Satz 3.3.2: Die Funktion f sei monoton auf [a, b]. Dann ist f Riemann-integrierbar auf [a, b]. Satz 3.3.3: Die Funktion f sei stetig auf [a, b]. Dann ist f Riemann-integrierbar auf [a, b].

3.4

Riemannsche Summen

Wir wissen jetzt, dass jede stetige Funktion Riemann-integrierbar ist. Doch ist vorl¨aufig von dieser Erkenntnis Rb bis zur tats¨achlichen Berechnung von a f (x) dx ein weiter Weg. Wir m¨ ußten etwa explizit alle Obersummen berechnen und von dieser Zahlenmenge das Infinum bilden. In einigen F¨allen kann die Berechnung durch die sog. Riemannschen Summen erleichtert werden. Definition 3.4.1 [Riemannsche Summe]: Die Funktion f sei beschr¨ankt auf dem Intervall [a, b], P = {x0 , x1 , . . . , xn } sei eine Partition von [a, b]. Ferner sei ξ = {ξ1 , ξ2 , . . . , ξn } eine Menge von Punkten mit der Eigenschaft ξk ∈ [xk−1 , xk ] = Ik f¨ ur k = 1, 2, . . . , n. Dann heißt n P P f (ξk )∆xk = f (ξk )∆xk eine Riemannsche Summe zur Partition P . SP (f, ξ) = P

k=1

Wir notieren, dass es zu einer Partition P unendlich viele Riemannsche Summe gibt, da es f¨ ur die Wahl der Zwischenpunkte unendlich viele M¨oglichkeiten gibt, wie Abb. 3.4 zeigt. Auf den ersten Blick erscheint diese Theorie noch komplizierter als die Theorie der Ober- und Untersummen, von denen es wenigstens zu einer Partition nur je eine gibt. Die freie Auswahl der Zwischenpunkte ξk bietet manchmal numerische Vorteile. Wir bemerken ferner noch, dass i.a. eine Ober- und Untersumme keine Riemannsche Summe ist, da die Zahlen Mk (f ) und mk (f ) in Ik nicht angenommen zu werden brauchen. 1.8

y

1.6

f (x)

1.4 1.2 1 0.8 0.6 0.4

SP (f, ξ)

0.2 0

a = x0

−0.2 −3

−2

ξ1 ξ2 ξ3 x1 x2 −1

x3 0

ξ4

x4 1

ξ5

x5

ξ6

ξ7 x6 x7

2

3

ξ8 ξ9 x8 x9 = b 4

5

x 6

Abbildung 3.4: Approximation des Fl¨ acheninhaltes der Punktmenge F durch eine Riemannsche Summe. Zu einer gew¨ ahlten Partition gibt es unendlich viele Riemannsche Summen.

34

Kapitel 3. Integralrechnung

Satz 3.4.1: Die Funktion f sei beschr¨ankt auf [a, b]. F¨ ur jede Partition P von [a, b] gilt bei beliebiger Wahl der Zwischenpunkte ξk ∈ Ik , k = 1, 2, . . . , n: S P (f ) ≤ SP (f, ξ) ≤ S P (f ). Beweis: F¨ ur jedes k gilt mk (f ) ≤ f (ξk ) ≤ Mk (f ). Multipliziert man mit ∆xk und summiert u ¨ber k = 1, 2, . . . , n, so folgt die Behauptung. ¤ Wir definieren jetzt die Konvergenz Riemannscher Summen. Alternativ h¨atten wir auch diese Definition f¨ ur die Riemann-Integrierbarkeit verwenden k¨onnen. Definition 3.4.2 [Konvergenz Riemannscher Summen]: Die Funktion f sei beschr¨ankt auf dem Intervall [a, b]. Existiert eine Zahl I ∈ R und zu jedem ε > 0 ein δε > 0 so, dass f¨ ur alle Partitionen P von [a, b] mit kP k < δε bei beliebiger Wahl der ξk ∈ Ik folgt: |SP (f, ξ) − I| < ε, so heißen die Riemannschen Summen konvergent gegen I und wir schreiben: I = lim SP (f, ξ). kP k→0

Wir beobachten, dass der Nachweis der Konvergenz von Riemann-Summen SP (f, ξ) außerordentlich schwierig ist, da man ja, bei vorgegebenen ε > 0, alle Partitionen und bei fester Partition noch jede Wahl der Zwischenpunkte in Betracht ziehen muss. Dieses Verfahren ist f¨ ur die Praxis also vollkommen unbrauchbar. Wissen wir jedoch, dass die Funktion f auf [a, b] Riemann-integrierbar ist, so gen¨ ugt es, eine einfache Folge von RiemannSummen zu betrachten. Satz 3.4.2: Es sei die Funktion f Riemann-integrierbar auf [a, b], < P (n) > eine Folge von Partitionen mit lim kP (n) k = 0, und ξ (n) eine feste Wahl von Zwischenpunkten zur Partition P (n) . Dann gilt: n→∞

Rb a

f (x) dx = lim SP (n) (f, ξ (n) ). n→∞

R1 Beispiel: Es soll 0 x2 dx berechnet werden. Da f (x) = x2 auf [0, 1] stetig ist, existiert das Integral, und wir k¨onnen obigen Satz verwenden. Dazu betrachten wir die Folge < P (n) > von Partitionen des Intervalls [0, 1] (n) mit xk = k/n f¨ ur k = 0, 1, 2, . . . , n. Es gilt dann offensichtlich lim kP (n) k → 0. F¨ ur die Zwischenpunkte n→∞

(n)

w¨ahlen wir ξk

= k/n f¨ ur k = 1, 2, . . . , n. Dann folgt: ´ ³ n n P P (n) (n) k2 k − k − 1 = 1 P k2 = SP (n) (f, ξ (n) ) = f (ξk )∆xk = 2 3 n n n k=1 k=1 n P (n)

R1 2 n(n + 1)(2n + 1) 1 )(2 + 1 ) 1 → 2 = 1 . = 13 · = 1(1 + Es gilt also x dx = 13 . ¤ n n 6 6 6 3 n 0 Ra Beispiel: Es soll f¨ ur ein a > 1 das Integral 1 (1/x) dx berechnet werden. Dieses Integral existiert, da f (x) = 1/x (n) auf [1, a] stetig ist. Wir betrachten die Folge < P (n) > von Partitionen des Intervalls [1, a] mit xk = ak/n ¡ ¢ (n) (n) (n) f¨ ur k = 0, 1, 2, . . . , n. Es ist dann ∆xk = xk − xk−1 = ak/n − a(k−1)/n = a(k−1)/n · a1/n − 1 , so dass (n)

also lim kP (n) k → 0 gilt. F¨ ur die Zwischenpunkte w¨ahlen wir ξk n→∞

SP (n) (f, ξ (n) ) = ¡

¢

P P (n)

1/n

= n a1/n − 1 = a

3.5

(n)

(n)

f (ξk )∆xk

=

− 1 → ln a. 1/n

n P

(n)

= xk−1 f¨ ur k = 1, 2, . . . , n. Dann folgt:

n ¡ ¡ ¢ ¢ P a−(k−1)/n · a(k−1)/n · a1/n − 1 = a1/n − 1 =

k=1

k=1

Ra 1 Wir bekommen also x dx = ln a.

¤

1

Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung

Zur Berechnung eines Integrals stehen uns bisher nur die Theorien der Unter- und Obersummen sowie der Riemann-Summen zur Verf¨ ugung. Die numerische Berechnung mit diesen Mitteln bereitet allerdings erhebliche M¨ uhen. Es ist deshalb erforderlich, einfachere Integrationsmethoden bereitzustellen. Solche Methoden erhalten

3.5. Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung

35

wir praktisch nebenbei, wenn wir jetzt die Verbindung zwischen den beiden Hauptdisziplinen der Analysis, der Differentiations- und Integrationstheorie, herstellen. Dazu brauchen wir folgende Definition: Definition 3.5.1: Es sei I ein beliebiges Intervall und die Funktion f Riemann-integrierbar auf jedem Intervall [a, b] ⊂ I. Ist x0 ∈ I, so heißt die Funktion F mit D(f ) = I und Rx F (x) = f (t) dt Integral von f als Funktion der oberen Grenze. x0

F¨ ur eine Funktion f (t) ≥ 0 stellt F (x) anschaulich den in Abb. 3.5 eingef¨arbten Fl¨acheninhalt dar. 1.8

y

1.6

f (t)

1.4 1.2 1 0.8

F (x)

0.6 0.4 0.2 0

a

x0

x

t

b

−0.2 −3

−2

−1

0

Abbildung 3.5: Darstellung der Funktion F (x) = Abh¨ angigkeit der oberen Grenze x.

1

Rx x0

2

3

4

5

6

f (t) dt als bestimmtes Integral der Funktion f (t) in

Wir wollen nun Eigenschaften der Funktion F (x) untersuchen. Satz 3.5.1: Es sei I ein beliebiges Intervall und die Funktion f Riemann-integrierbar auf jedem Intervall [a, b] ⊂ I. Dann ist F stetig auf I. Beweis: Es sei x ∈ I und [a, b] ⊂ I ein beliebiges Intervall mit x ∈ (a, b). Auf [a, b] gilt |f (x)| ≤ M mit einer geeigneten Konstanten M . Ist < xn > eine Folge aus I mit xn → x, so gilt xn ∈ [a, b] f¨ ur alle gen¨ ugend großen n, und es folgt dann: ¯ ¯ ¯ ¯ ¯x ¯ ¯ xRn ¯ ¯ xRn ¯ ¯ Rn ¯ Rx ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ |F (xn ) − F (x)| = ¯ f (t) dt − f (t) dt¯ = ¯ f (t) dt¯ ≤ ¯ |f (t)| dt¯¯ ≤ |xn − x| · M . ¯x0 ¯ x0 x x Es gilt daher F (xn ) → F (x).

¤

setzen wir die Stetigkeit von f an einem Punkt voraus, so k¨onnen wir sogar die Differenzierbarkeit von F an diesem Punkt beweisen. Satz 3.5.2 [Haupsatz der Differential- und Integralrechnung]: Es sei I ein beliebiges Intervall und die Funktion f Riemann-integrierbar auf jedem Intervall [a, b] ⊂ I. Ist f stetig an x ∈ I, so ist F differenzierbar an x, und es gilt: F 0 (x) = f (x). Beweis: Da f an x stetig ist, gibt es zu jedem ε > 0 ein δε > 0, so dass f¨ ur alle t mit t ∈ I und |t − x| < δε gilt: |f (t) − f (x)| < ε. Ist nun < xn > eine Folge aus I mit xn 6= x und xn → x, so gibt es ein Nε , so dass |xn − x| < δε f¨ ur alle n > Nε . F¨ ur diese n gilt dann: ¯ " # ¯ ¯¯ ¯ ¯ x ¯ ¯ 1 ¯ F (xn ) − F (x) Rn Rx ¯ ¯ f (t) dt − f (t) dt − f (x)¯ = − f (x)¯¯ = ¯ x − x ¯ xn − x ¯ ¯ n x0 x0 ¯x ¯ ¯ Rn ¯ |x − x| 1 · ¯¯ [f (t) − f (x)] dt¯¯ < n · ε = ε. ¤ = |xn − x| x |xn − x|

36

Kapitel 3. Integralrechnung

Dieser Satz heißt mit Recht Haupsatz oder Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung. Er stellt das Bindeglied zwischen Differentiations- und Integrationstheorie dar und ist damit von eminenter Bedeutung f¨ ur die gesamte Analysis. Als erste Anwendung benutzen wir ihn zur Berechnung von Integralen. Dazu brauchen wir den Begriff der Stammfunktion einer Funktion. Definition 3.5.2 [Stammfunktion]: Es sei I ein beliebiges Intervall und die Funktionen f und F seien definiert auf I und F sei differenzierbar auf I. Gilt auf I F 0 (x) = f (x)

so heißt F Stammfunktion von f auf I.

¨ Uber die Gesamtheit der Stammfunktionen, welche eine Funktion besitzen kann, gilt: Satz 3.5.3: Es seien F1 und F2 Stammfunktionen von f auf I. Dann gilt mit einer geeigneten Konstanten c auf I: F1 (x) = F2 (x) + c. Eine der wichtigsten Anwendungen des Hauptsatzes ist: Satz 3.5.4: Es sei f stetig auf [a, b] und F eine Stammfunktion von f auf [a, b]. Dann gilt: Rb

f (t) dt = F (b) − F (a).

a

Rx Beweis: Die Funktion F1 (x) = a f (t) dt ist eine Stammfunktion von f auf [a, b]. Es gilt also F1 (x) = F (x) + c mit einer geeigneten Konstanten c. F¨ ur x = a erhalten wir 0 = F (a) + c und f¨ ur x = b: Rb

f (t) dt = F1 (b) = F (b) + c = F (b) − F (a).

¤

a

Bemerkung: Wir benutzen bisweilen folgende Schreibweise: ¯b Rb ¯ f (t) dt = F (x)¯ = F (b) − F (a). a

3.6

a

Die Mittelwerts¨ atze der Integralrechnung

Wie in der Differentialrechnung, so gibt es auch in der Integralrechnung Mittelwerts¨atze, welche in der Praxis insbesondere zur Absch¨atzung von Integralen benutzt werden. Satz 3.6.1 [1. Mittelwertsatz]: Es sei f stetig auf [a, b]. Dann existiert ein ξ ∈ (a, b) mit Rb

f (x) dx = f (ξ) · (b − a).

a

Rx Beweis: Wir betrachten die Funktion F (x) = a f (t) dt. Nach dem Mittelwertsatz der Differentialrechnung gibt es eine Stelle ξ ∈ (a, b) f¨ ur die F (b) − F (a) = F 0 (ξ) · (b − a) gilt. Rb Wir erhalten also a f (x) dx = f (ξ) · (b − a). ¤ F¨ ur eine auf [a, b] positive Funktion f besagt dieser Satz, dass die Fl¨ache unter der Kurve f¨ ur ein geeignetes ξ ∈ (a, b) gleich dem Inhalt des Rechtecks mit den Seiten b − a und f (ξ) ist, wie in Abb. 3.6 angedeutet. Eine Verallgemeinerung des 1. Mittelwertsatzes ist: Satz 3.6.2 [Erweiterter 1. Mittelwertsatz]: Es sei f und g stetig, sowie g(x) ≥ 0 (oder g(x) ≤ 0) auf [a, b]. Dann existiert ein ξ ∈ (a, b) mit Rb a

f (x)g(x) dx = f (ξ)

Rb

g(x) dx.

a

Bemerkung: W¨ahlen wir als spezielle, zul¨assige Funktion g(x) = 1 auf [a, b], so folgt wieder die Aussage des 1. Mittelwertsatzes. Zum Schluss und der Vollst¨andigkeit halber zeigen wir noch:

3.7. Der Taylorsche Satz

37

y

1.8

f (x)

1.6 1.4 1.2

f (ξ)

1 0.8

f (ξ) · (b − a)

0.6 0.4 0.2 0

a

ξ

x

b

−0.2 −3

−2

−1

0

1

2

3

4

5

6

Abbildung 3.6: Visualisierung des 1. Mittelwertsatzes der Integralrechnung.

Satz 3.6.3 [2. Mittelwertsatz]: Die Funktion f sei monoton auf [a, b], f 0 und g seien stetig auf [a, b]. Dann existiert ein ξ ∈ (a, b) mit Rb

f (x)g(x) dx = f (a)

a

3.7



Rb g(x) dx + f (b) g(x) dx.

a

ξ

Der Taylorsche Satz

In der Diferentialrechnung haben wir gesehen, dass aus dem Verhalten der Ableitungen einer Funktion wesentliche Aussagen u ¨ber die Funktion gemacht werden k¨onnen. In diesem Abschnitt werden wir dies noch deutlicher herausarbeiten. Wir wenden uns dabei der Aufgabe zu, eine auf einem Intervall [a, b] definierte Funktion f durch ein Polynom zu approximieren. Hierzu besch¨aftigen wir uns zun¨achst mit dem Fall, dass die Funktion f selbst ein Polynom ist. Pn Satz 3.7.1 [Taylorscher Satz f¨ ur Polynome]: Ist f (x) = ν=0 aν xν ein Polynom und x0 ∈ R, so hat f auf R die Darstellung: f (x) =

n P f (ν) (x0 ) (x − x0 )ν . ν! ν=0

Beweis: Durch Anwendung des binomischen Satzes ergibt sich mit gewissen Koeffizienten bν : " # n n n ν ¡ ¢ n P P P P P ν−µ ν µ f (x) = aν xν = aν (x − x0 + x0 )ν = aν (x − x ) x = bν (x − x0 )ν . 0 0 µ ν=0

ν=0

ν=0

µ=0

ν=0

f (0) (x0 ) . F¨ ur ein k mit 1 ≤ k ≤ n differenzieren Setzen wir x = x0 so erhalten wir: f (x0 ) = b0 , d.h. b0 = 0! n P wir f k-mal und erhalten: f (k) (x) = bν ν(ν − 1) · . . . · (ν − k + 1)(x − x0 )ν−k . Setzen wir wieder x = x0 , µ=k

f (k) (x0 ) . Somit ist die Behauptung bewiesen. ¤ k! Aus diesem Satz folgt insbesondere, dass ein Polynom f vom Grad n schon vollkommen bestimmt ist, wenn an einer beliebigen Stelle x0 die Ableitungen f (0) (x0 ), f (1) (x0 ), . . . f (n) (x0 ) bekannt sind. Diese kennt man, sobald man das Polynom in einer beliebigen Umgebung U (x0 ) kennt. Die Taylorsche Formel gestattet also, aus dem lokalen Verhalten in einer beliebig kleinen Umgebung auf das globale Verhalten des Polynoms auf der ganzen reellen Achse zu schließen. so erhalten wir: f (k) (x0 ) = bk · k!, d.h. bk =

Unser n¨achstes Ziel ist die Formulierung eines analogen Satzes f¨ ur Funktionen, die hinreichend oft differenzierbar sind. Wir werden sehen, dass solche Funktionen durch gewisse Polynome approximiert werden k¨onnen.

38

Kapitel 3. Integralrechnung

Satz 3.7.2 [Taylorscher Satz]: Es sei I ein beliebiges Intervall, es sei x0 ∈ I, n ∈ N0 und die Funktion f sei (n + 1)-mal stetig differenzierbar auf I. Dann gilt: (1) F¨ ur alle x ∈ I l¨aßt sich f durch die Taylorsche Formel mit der Entwicklungsmitte x0 darstellen: f (x) =

n P f (ν) (x0 ) (x − x0 )ν + Rn (x, x0 ). ν! ν=0

Rx Rn (x, x0 ) = 1 · (x − t)n f (n+1) (t) dt n! x

(2) F¨ ur das Restglied Rn (x, x0 ) gilt:

0

Beweis: Es sei x ∈ I. Rx Rx F¨ ur n = 0 ist x0 f 0 (t) dt = f (x) − f (x0 ), und daraus f (x) = f (x0 ) + x0 f 0 (t) dt = f (0) (x0 ) + R0 (x, x0 ). Ist n > 0, so nehmen wir an, dass f¨ ur ein k mit 0 ≤ k < n die Behauptung schon gilt: f (x) =

k P f (ν) (x0 ) (x − x0 )ν + Rk (x, x0 ). ν! ν=0

Dann erhalten wir durch partielle Integration: # ¯x x x k+1 k+1 R R (x − t) −(x − t) ¯ f (k+1) (t)¯ + f (k+2) (t) dt = Rk (x, x0 ) = 1 (x − t)k f (k+1) (t) dt = 1 k! x k! k+1 k+1 x0 x "

0

0

Rx f (k+1) (x0 ) f (k+1) (x0 ) 1 = (x − x0 )k+1 + (x − t)k+1 f (k+2) (t) dt = (x − x0 )k+1 + Rk+1 (x, x0 ). (k + 1)! (k + 1)! x0 (k + 1)! Hieraus folgt die Behauptung f¨ ur k + 1.

¤

F¨ ur die praktische Anwendung dieses Satzes ist es wichtig, das Restglied absch¨atzen zu k¨onnen. Mit Hilfe der Mittelwerts¨atze der Integralrechnung k¨onnen wir zwei integralfreie Darstellungen des Restgliedes angeben: Satz 3.7.3: Es gibt ein ϑ ∈ (0, 1) und ein Θ ∈ (0, 1), so dass gilt: (1) Rn (x, x0 ) =

f (n+1) (x0 + ϑ(x − x0 )) (x − x0 )n+1 (n + 1)!

(2) Rn (x, x0 ) =

f (n+1) (x0 + Θ(x − x0 )) (1 − Θ)n (x − x0 )n+1 n!

Lagrangesche Form. Cauchysche Form.

Beweis: Durch direkte Anwendung des erweiterten 1. Mittelwertsatzes folgt die Lagrangesche Form und durch Anwendung des 1. Mittelwertsatzes folgt die Cauchysche Form. ¤ Ist nun f auf I beliebig oft differenzierbar, so gilt die Taylorsche Formel f¨ ur alle n ∈ N. F¨ ur jedes feste x ∈ I sind dann die Taylorpolynome n X f (ν) (x0 ) Tn (x, x0 ) = (x − x0 )ν ν! ν=0 Teilsummen der unendlichen Reihe

∞ X f (ν) (x0 ) ν=0

ν!

(x − x0 )ν ,

der Taylorschen Reihe von f bzgl. der Entwicklungsmitte x0 . Die Frage unter welchen Voraussetzungen diese Reihe konvergiert und gegen welchen Wert, wird durch folgenden Satz beantwortet: Satz 3.7.4: Ist f auf I beliebig oft differenzierbar, so l¨aßt sich f an der Stelle x ∈ I genau dann durch die Taylorreihe mit Entwicklungsmitte x0 darstellen: f (x) =

∞ P f (ν) (x0 ) (x − x0 )ν , ν! ν=0

wenn gilt:

lim Rn (x, x0 ) = 0.

n→∞

Bemerkung: Es kann durchaus vorkommen, dass die Folge der Restglieder an einer Stelle x konvergiert, aber nicht gegen 0. In diesem Fall konvergiert zwar auch die Taylorreihe an x, aber nicht gegen den Funktionswert. Beispiel: Wir betrachten auf R die Funktion f mit ½ 2 e−1/x falls x = 6 0 f (x) = . Die Funktion f ist auf R beliebig oft differenzierbar, und es ist f (ν) (0) = 0 falls x = 0

3.7. Der Taylorsche Satz

39

∞ P f (ν) (0) ν (x) = 0 auf R, und nur f¨ ur die Entwicklungsmitte x0 = 0 stellt die ν! ν=0 Taylorsche Reihe von f die Funktion dar! ¤

0 f¨ ur ν ∈ N0 . Also gilt

Ein handliches Kriterium zur Entscheidung u ¨ber Konvergenz der Taylorreihe an einer Stelle liefert: Satz 3.7.5: Es sei f auf I¯ beliebig ¯ oft differenzierbar und ¯ x ∈¯ I. Existiert ein von ν ∈ N0 unabh¨angiges bzw. max ¯f (ν)(ξ) ¯ ≤ K so folgt: K > 0 mit max ¯f (ν)(ξ) ¯ ≤ K [x0 ,x]

f (x) =

∞ P ν=0

f

[x,x0 ]

(ν)

(x0 ) (x − x0 )ν . ν!

Beweis: Die Aussage eribt sich aus der Absch¨atzung ¯ (n+1) ¯ ¯f ¯ K|x − x0 |n+1 |x − x0 |n+1 (x0 + Θ(x − x0 )) |Rn (x, x0 )| = ¯¯ · (x − x0 )n+1 ¯¯ ≤ , da lim = 0 ist. (n + 1)! (n + 1)! (n + 1)! n→∞

¤

4 Der K¨ orper der komplexen Zahlen C Komplexe Zahlen sind nicht so komplex wie ihr Name andeuten mag. Es stellt sich berechtigterweise die Frage nach der Notwendigkeit dieser Zahlen. Bei der Menge der rationalen Zahlen Q haben wir gesehen, dass man mit diesen zwar uneingeschr¨ankt endliche Operationen durchf¨ uhren kann, es aber bei Unendlichkeitsprozessen zu Problemen kommt, wie wir anhand nicht-konvergenter C-Folgen gesehen haben. Dar¨ uberhinaus besitzt die sehr einfache Gleichung x2 = 2 in Q keine L¨osung. Dieses waren die ausschlaggebenden Gr¨ unde die Menge der reellen Zahlen R, als Erweiterung der rationalen Zahlen, einzuf¨ uhren. Leider haben auch die reelen Zahlen einige Schw¨achen. Zum einen besitzt eine einfache Gleichung wie x2 + 1 = 0 keine L¨osung in R, zum anderen kann man bei Polynomen keine allgemeinen Aussagen bez¨ uglich der Nullstellen machen. Ein Polynom 3. Grades hat mindestens eine Nullstelle, man kann aber nicht sagen ob es zwei oder drei Nullstellen besitzt. Ein Polynom 4. Grades kann auch keine Nullstelle haben. Diese Ungewissheit ist mathematisch sehr unbefriedigent. Wir werden sehen, dass in der Menge der komplexen Zahlen C ein Polynom n-ten Grades genau n Nullstellen besitzt. Wir werden in diesem Kapitel den K¨orper R zum K¨orper C der komplexen Zahlen erweitern. Hierbei wird es sich im Gegensatz zur Erweiterung von Q zu R, die im wesentlichen durch einen analytischer Prozess (CauchyFolgen) gegeben ist, jetzt um eine wesentlich einfachere Erweiterung algebraischer Natur handeln.

4.1

Der K¨ orper der komplexen Zahlen

Eine komplexe Zahl ist als ein geordnetes Paar reeller Zahlen definiert. Definition 4.1.1 [Komplexe Zahl]: (1) Eine komplexe Zahl z ist ein Zahlenpaar z = (x, y)

mit x, y ∈ R.

Dabei heißen x = Re(z) und y = Im(z) Realteil und Imagin¨arteil von z. (2) Zwei komplexe Zahlen z1 = (x1 , y1 ) und z2 = (x2 , y2 ) heißen gleich, wenn ihre Real- und Imagin¨arteile gleich sind, d. h. wenn x1 = x2 und y1 = y2 gilt. (3) Die Menge der komplexen Zahlen wird mit C bezeichnet. Bis jetzt haben wir nur die Menge der komplexen Zahlen definiert und d¨ urften eigentlich nicht von Zahlen sprechen. Mit einer geeigneten Definition von Addition und Subtraktion wir C zum K¨orper. Satz 4.1.1: Es seien z1 , z2 ∈ C mit z1 = (x1 , y1 ) und z2 = (x2 , y2 ). Mit den Operationen Addition

z1 + z2

= (x1 + x2 , y1 + y2 ),

Multiplikation

z1 · z2

= (x1 x2 − y1 y2 , x1 y2 + x2 y1 ),

bildet C einen K¨orper.

42

Kapitel 4. Der K¨ orper der komplexen Zahlen C

Beweis: Die K¨orperaxiome k¨onnen leicht u uft werden. Das Nullelement ist durch 0 = (0, 0) , das Einsele¨berpr¨ ment durch 1 = (1, 0) gegeben. Das inverse Element der Multiplikation zu z = (x, y) ist gegeben durch µ ¶ x , −y z −1 = . ¤ x2 + y 2 x2 + y 2 Komplexe Zahlen werden als Punkte im R2 veranschaulicht, wie Abb. 4.1 zeigt. Man spricht auch von der Gaussschen oder komplexen Zahlenebene. y = Im(z) 6

z2 r

C

y2

rz1

y1

x2

x1

- x = Re(z)

Abbildung 4.1: Eine komplexe Zahl z = (x, y) wird durch einen Punkt in der Gaussschen Zahlenebene veranschaulicht.

4.2

Die Einbettung von R in C

Wir haben jetzt mit C einen K¨orper konstruiert, dessen Elemente aus Paaren reeller Zahlen bestehen. Das eigentliche Ziel war ja, den K¨orper der reellen Zahlen so zu erweitern, dass die bekannten Schw¨achen“ von ” R behoben werden k¨onnen. Wir wollen uns deshalb mit der Frage besch¨aftigen, ob C auch tats¨achlich eine Erweiterung von R ist und, wenn ja, wie wir die reellen Zahlen unter den komplexen Zahlen wiederfinden“ ” k¨onnen. Dazu ben¨otigen wir den Begriff der Isomorphie. Definition 4.2.1 [Isomorphie]: Zwei K¨orper K1 und K2 heißen isomorph, wenn eine injektive Abbildung F : K1 −→ K2 mit D(F ) = K1 und B(F ) = K2 existiert, so dass f¨ ur alle x, y ∈ K1 gilt: F (x + y) = F (x) + F (y),

F (x · y) = F (x) · F (y).

Bemerkung: Die in Kapitel 1, Abschnitt 1.9 auf Seite 19 betrachtete Abbildung F : Q −→ R liefert die Isomorphie von Q und der Menge der rational-reellen Zahlen. wir betrachten nun eine besonders wichtige Teilmenge von C, n¨amlich die Menge CR = {z : z ∈ C, z = (x, 0)}. Wenig u ¨berraschend gilt: Satz 4.2.1: Die Menge CR ist bez¨ uglich der Operationen in C ein K¨orper. Jetzt zeigen wir: Satz 4.2.2: Die K¨orper R und CR sind isomorph. Beweis: Wir betrachten die Abbildung F : R −→ CR mit F (x) = (x, 0) und D(F ) = R. (1) F ist offenbar eine injektive Abildung mit B(F ) = CR . (2) F¨ ur alle x, y ∈ R gilt:

F (x + y) = (x + y, 0) = (x, 0) + (y, 0) = F (x) + F (y) F (x · y) = (x · y, 0) = (x, 0) · (y, 0) = F (x) · F (y).

Damit folgt die Isomporphie der beiden K¨orper.

¤

4.3. C als 2-dimensionaler Vektorraum

43

6

C

(0, 1) 0

1

x c

R

(1, 0)

-

CR

(x, 0) c » : »»»

F

Abbildung 4.2: Einbettung der reellen Zahlen R in der Menge der komplexen Zahlen C. Die Abbildung F vermittelt einen Isomoporphismus zwischen den K¨ orpern R und CR ⊂ C.

Eine grafische Veranschaulichung des Isomorphismus zwischen R und CR zeigt Abb. 4.2. Es ist also vollkommen gleichg¨ ultig, ob wir in R nach den Rechengesetzen in R oder mit den Bildern in CR nach den Gesetzen in C rechnen. Aus diesem Grunde identifizieren wir, so wie wir die rationalen Zahlen mit den rational-reellen Zahlen identifiziert haben, die reellen Zahlen mit den reell-komplexen Zahlen. F¨ ur eine reell-komplexe Zahl (x, 0) k¨onnen und werden wir ab sofort einfach nur (x, 0) = x schreiben. Bezeichnet man dar¨ uberhinaus die komplexe Zahl (0, 1) als imagin¨ are Einheit i = (0, 1) so kann man f¨ ur z = (x, y) = (x, 0) + (0, y) = (x, 0) + (0, 1)(y, 0) schreiben. Mit den eben eingef¨ uhrten Abk¨ urzungen gelangen wir zur Normaldarstellung einer komlexen Zahl z = x + iy die wir fortan verwenden werden. Summen, Produkte und Quotienten von komplexen Zahlen schreiben sich in Normaldarstellung wie folgt: Satz 4.2.3: Es seien z1 , z2 ∈ C, sowie z1 = x1 + iy1 und z2 = x2 + iy2 . Dann gilt: (1) z1 + z2 = (x1 + x2 ) + i(y1 + y2 ), (2) z1 z2 = (x1 x2 − y1 y2 ) + i(x1 y2 + x2 y1 ), −x y + x y x x + y1 y2 + i 1 22 22 1 , (3) zz12 = 1 22 x + y2 x +y 2

2

2

2

Bemerkung: F¨ ur das Quadrat von i erhalten wir i2 = (0, 1)(0, 1) = (−1, 0) = −1, d.h. i ist eine L¨osung der Gleichung z 2 + 1 = 0.

4.3

C als 2-dimensionaler Vektorraum

Die Menge der komplexen Zahlen C bildet einen 2-dimensionalen Vektorraum, wenn man als Addition im Vektorraum die Addition in C und als skalare Multiplikation im Vektorraum die Multiplikation in C mit einer reellen komplexen Zahl nehmen. Satz 4.3.1: C bildet mit der Addition in C und der skalaren Multiplikation λz = (λ, 0)(x, y) = (λx, λy)

mit

λ∈R

einen 2-dimensionalen Vektorraum u ¨ber R mit der Basis 1 und i. Beweis: Da die Addition identisch ist mit der Addition in C und die skalare Multiplikation als Spezialfall der Multiplikation in C definiert ist, folgen aus den K¨orperaxiomen sofort die Vektorraumgesetze. ¤ Im folgenden werden wir die komplexen Zahlen sowohl durch Punkte im R2 als auch durch Vektoren des V2 veranschaulichen. Durch die Vektordarstellung ko¨onnen wir uns sofort die Addition zweier komplexer Zahlen veranschaulichen. Diese entspricht genau der Vektoraddition, wie Abb. 4.3 zeigt.

44

Kapitel 4. Der K¨ orper der komplexen Zahlen C

iy

Im(z) 6

Im(z) 6

z1 £±XXXX XXX £ XXX £ X: z z1 + z2 X £ »»» » » ££± £ »» » » £ £ »»» £ » £X» - Re(z) XXX £ XXX £ XXX XX z2 z£

z =r x + iy ´ 3 ´ ´

i ´

´

´

´

´

´

´

´

´

- Re(z)

x

1

Abbildung 4.3: Eine komplexe Zahl z = (x, y) kann durch einen Punkt oder durch einen Vektor dargestellt werden. Die Addition zweier komplexer Zahlen entspricht der Vektoraddition.

4.4

Konjugiert komplexe Zahlen

F¨ ur das weitere Rechnen mit komplexen Zahlen f¨ uhren wir den Begriff der konjugiert komplexen Zahl ein. Definition 4.4.1 [Konjugiert komplexe Zahl]: F¨ ur eine komplexe Zahl z = x + iy = (x, y) heißt z = x − iy = (x, −y) die zu z konjugiert komplexe Zahl. Zuweilen wird die konj. komplexe Zahl auch mit z ∗ bezeichnet. F¨ ur die Operationen mit konjugiert komplexen Zahlen gelten wieder eine Reihe von Rechenregeln: Satz 4.4.1: F¨ ur die komplexen Zahlen z, z1 , z2 ∈ C gelten folgende Regeln: (1) z1 + z2 = z1 + z2 , (2) z1 · z2 = z1 · z2 , ³ ´ (3) zz12 = zz1 , 2

Addition und Konjugation vertauschen“ ” Multiplikation und Konjugation vertauschen“ ” Division und Konjugation vertauschen“ ”

(4) (z) = z, (5) Re(z) = 12 (z + z),

1 (z − z). Im(z) = 2i

Von großer Wichtigkeit f¨ ur die weiteren Untersuchungen ist die Einf¨ uhrung des Betrages einer komplexen Zahl. Definition 4.4.2 [Betrag]: F¨ ur eine komplexe Zahl z = x + iy = (x, y) heißt die reelle Zahl p |z| = x2 + y 2 der Betrag von z. F¨ ur das Rechnen mit Betr¨agen gelten folgende Regeln: Satz 4.4.2: F¨ ur die komplexen Zahlen z, z1 , z2 ∈ C gelten folgende Regeln: (1) |z| ≥ 0,

|z| = 0

(2) |z| = |z|,

|z| =

(3) |z1 · z2 | = |z1 | · |z2 |.



genau dann, wenn

z = 0;

zz; Multiplikation und Betrag vertauschen“ ”

Dar¨ uberhinaus erf¨ ullt der komplexe Betrag“ noch die wichtige Dreiecksungleichung. ” Satz 4.4.3 [Dreiecksungleichung]: F¨ ur komplexe Zahlen z1 , z2 ∈ C gilt die Absch¨atzung: ¯ ¯ ¯|z1 | − |z2 |¯ ≤ |z1 + z2 | ≤ |z1 | + |z2 |. Beweis: Mit Hilfe der Minkowskischen Ungleichung.

¤

4.5. Polarkoordinatendarstellung

4.5

45

Polarkoordinatendarstellung

Zur Beschreibung von Punkten in der komplexen Zahlenebene C verwendet man außer den cartesischen Koordinaten (x, y) sehr oft die Polarkoordinaten (r, ϕ). F¨ ur eine komplexe Zahlp z = (x, y) 6= 0 existiert ein Zahlenpaar (r, ϕ) ∈ R2 mit der Eigenschaft x = r cos ϕ und y = sin ϕ, wobei r = x2 + y 2 = |z| und ϕ den bis auf ein additives Vielfaches von 2π bestimmten Winkel im Bogenmaß zwischen der positiven x-Achse und dem Vektor z bedeutet, wie Abb. 4.4 zeigt. Wir wollen dies in folgender Definition zusammenfassen: Im(z) 6

z = x + iy = r (cos ϕ + i sin ϕ) = reiϕ = |z|ei arg z r © © p √ ©© © r = x2 + y 2 = zz = |z| ©

y r ©

© ©©

©©

© ©©

³ ´ y ϕ = arctan x = arg z

ϕ

©©

x

- Re(z)

Abbildung 4.4: Darstellung oder Adressierung“ einer komplexen Zahl z in cartesischen Koordinaten z = (x, y) ” sowie in Polarkoordinaten z = (r, ϕ).

Definition 4.5.1 [Polarkoordinatendarstellung]: Eine Darstellung einer komplexen Zahl z in der Form z = r (cos ϕ + i sin ϕ)

heißt Polarkoordinatendarstellung der Zahl z.

F¨ ur den Winkel ϕ mit 0 ≤ ϕ < 2π setzen wir

ϕ = arg z.

Mit Hilfe der Taylorreihen der Funktionen ex , sin x und cos x l¨aßt sich ein Zusammenhang herleiten, mit dem man die Polarkoordinatendarstellung noch viel eleganter ausdr¨ ucken kann: Satz 4.5.1: Es gilt die Eulersche Identit¨at

eiϕ = cos ϕ + i sin ϕ.

∞ P xk ; F¨ Beweis: Die Taylorreihe f¨ ur ex lautet ex = ur x = iϕ erhalten wir: k! k=0

eiϕ =

k ∞ ∞ k k ∞ 2ν 2ν ∞ 2ν+1 2ν+1 ∞ ∞ P P P P P P (iϕ) i ϕ ϕ2ν ϕ2ν+1 i ϕ i ϕ = = + = (−1)ν +i (−1)ν , k! k! (2ν)! (2ν + 1)! (2ν)! (2ν + 1)! ν=0 ν=0 ν=0 ν=0 k=0 k=0

wobei wir (1) die Summe in gerade und ungerade Potenzen zerlegt und (2) f¨ ur i2ν = (−1)ν und i2ν+1 = ν i(−1) gesetzt haben. Die beiden Potenzreihen identifizieren wir als die Taylorreihen der Funktionen cos ϕ und sin ϕ und wir erhalten : eiϕ = cos ϕ + i sin ϕ. ¤ F¨ ur die Polarkoordinatendarstellung konjugiert komplexer Zahlen gilt Satz 4.5.2: Ist z = r (cos ϕ + i sin ϕ) = reiϕ so gilt f¨ ur die konjugiert komplexe Zahl: z = r (cos ϕ − i sin ϕ) = re−iϕ . Beweis: Mit cos(−ϕ) = cos ϕ und sin(−ϕ) = − sin ϕ erhalten wir: z = r (cos ϕ + i sin ϕ) = r (cos ϕ − i sin ϕ) = r [cos(−ϕ) + i sin(−ϕ)] = re−iϕ .

4.6

¤

Potenzen und Wurzeln komplexer Zahlen

Die Menge der komplexen Zahlen C bilden einen K¨orper undQdeshalb k¨onnen wir wie im Reellen die Potenz n z n f¨ ur z ∈ C und n ∈ N0 definieren durch z 0 = 1 und z n = ν=1 z. F¨ ur die Polarkoordinatendarstellung der n Potenz z gilt: Satz 4.6.1: Ist z = r (cos ϕ + i sin ϕ) = reiϕ so gilt f¨ ur die Potenz z n = rn [cos(nϕ) + i sin(nϕ)] = rn ei(nϕ) .

46

Kapitel 4. Der K¨ orper der komplexen Zahlen C

Beweis: Wir beweisen die Behauptung wieder einmal mit vollst¨andiger Induktion. (1) F¨ ur den Fall n = 0 ist die Behauptung trivial. (2) F¨ ur ein n ≥ 0 gelte z n = rn [cos(nϕ) + i sin(nϕ)]. Dann bekommen wir: z n+1 = z n · z = rn [cos(nϕ) + i sin(nϕ)] · r (cos ϕ + i sin ϕ) = rn+1 [cos(nϕ) cos ϕ − sin(nϕ) sin ϕ + i (sin(nϕ) cos ϕ + cos(nϕ) sin ϕ)] = rn+1 [cos(n + 1)ϕ) + i sin(n + 1)ϕ] . Damit folgt die Behauptung.

¤

F¨ ur den Fall z 6= 0 und n ∈ N setzen wir wie im Reellen: z −n = 1/z n . Es gilt dann allgemein: Satz 4.6.2: Ist z = r (cos ϕ + i sin ϕ) = reiϕ 6= 0 so gilt f¨ ur m ∈ Z: z m = rm [cos(mϕ) + i sin(mϕ)] = rm ei(mϕ) . Beweis: F¨ ur m ≥ 0 haben wir die G¨ ultigkeit schon gezeigt. Sei also m = −n f¨ ur n ∈ N: cos(nϕ) − i sin(nϕ) 1 · = z −n = 1n = n z r [cos(nϕ) + i sin(nϕ)] cos(nϕ) − i sin(nϕ) cos(nϕ) − i sin(nϕ) = r−n [cos(−nϕ) + i sin(−nϕ)] = r−n ei(−nϕ) . ¤ 1 Bemerkung: Ist z eine komplexe Zahl vom Betrag 1, d.h. gilt z = cos ϕ + i sin ϕ, und ist n ∈ Z, so ergibt sich aus obigem Satz die interessante Formel von Moivre: ¡ iϕ ¢n n e = (cos ϕ + i sin ϕ) = cos(nϕ) + i sin(nϕ) = ei(nϕ) r−n

Nachdem wir nun gekl¨art haben, was man unter einer Potenz einer komplexen Zahl versteht, wollen wir uns der umgekehrten Fragestellung widmen, n¨amlich der Wurzel aus einer komplexen Zahl. Dazu untersuchen wir die Gleichung z n = ζ mit z, ζ ∈ C und n ∈ N. Definition 4.6.1: Eine L¨osung z der Gleichung

zn = ζ

heißt n-te Wurzel aus ζ.

Im Falle ζ = 0 haben wir als L¨osung offenbar nur z = 0. F¨ ur ζ 6= 0 machen wir den Ansatz ζ = ρ(cos ψ + i sin ψ) = ρeiψ ,

z = r(cos ϕ + i sin ϕ) = reiϕ ,

und erhalten z n = rn ei(nϕ) = ρeiψ = ζ. Aus dieser Gleichung folgt sofort, dass rn = ρ und nϕ = ψ+2πk, k ∈ Z erf¨ ullt sein muss. Zwei komplexe Zahlen sind gleich, wenn sie gleiche Real- und Imagin¨arteile haben, oder gleichwertig, gleiche Betr¨age und Argumente haben. Eine L¨osung der obiger Gleichung muss also notwendig von folgender Form sein: · µ ¶ µ ¶¸ ψ 2πk ψ 2πk ψ 2πk √ √ zk = n ρ cos + + i sin + = n ρ ei( n + n ) , k ∈ Z. n n n n Dieses Ergebnis w¨ urde bedeuten, dass es unendlich viele L¨osungen zur Gleichung z n = ζ gibt. Dem ist aber nicht so, da nur n L¨osungen voneinander verschieden sind. Setzten wir n¨amlich k = κn + ν mit κ ∈ Z und ν = 0, 1, 2, . . . , n − 1, so gilt: ψ 2πk ψ 2π(κn + ν) ψ 2πν + = + = + + 2πκ. n n n n n n Ein Resultat der Tatsache, dass der Winkel oder das Argument einer komplexen Zahl eben nur bis auf ein Vielfaches von 2π bestimmt ist (wegen der Periodizit¨at der Winkelfunktionen). Bez¨ uglich der L¨ osungen der n-ten Wurzel aus einer komplexen Zahl k¨onnen wir zusammenfassend behaupten: Satz 4.6.3: F¨ ur n ∈ N und ζ 6= 0 hat die Gleichung

z n = ζ = |ζ|ei arg ζ = ρeiψ = ρ(cos ψ + i sin ψ)

genau n verschiedene Wurzeln (L¨osungen). Diese sind gegeben durch: p √ arg ζ 2πν zν = n ρeiϕν = n |ζ|eiϕν mit ϕν = ψn + 2πν n = n + n , und ν = 0, 1, 2, . . . , n − 1. Bemerkung: Die Wurzeln von z n = ζ bilden die Ecken eines regelm¨aßigen n-Eckes auf dem Kreis |z| = wie Abb. 4.5 demonstriert.

p n

|ζ|,

4.6. Potenzen und Wurzeln komplexer Zahlen

47

ψ = arg ζ ρ = |ζ|

Im(z)

ζ

Im(z)

1.5 1 1

ζ

z2

z0 ρ

0.5

ψ

0.5

z1

ψ 3

z1 0

Re(z) √ 3

−0.5

z0

0

ρ

−0.5

z2

−1

Re(z) z19 2π 20

−1

−1.5 −1.5

−1

−0.5

0

0.5

1

1.5

−1

−0.5

0

0.5

1

Abbildung 4.5: L¨ osungen (Wurzeln) zur Gleichung z 3 = − 23 + i (links) und z 20 = − 31 + 43 i (rechts). Die L¨ osungen bilden die Ecken eines regelm¨ aßigen n-Eckes.

Beispiel: Wir wollen die 3-te Wurzel der komplexen Zahl −1 + i bestimmen, d.h. wir suchen die L¨osungen der Gleichung z 3 = −1 + i = ζ. Als erstes wir Betrag und Argument der Zahl ζ und erhalten ³ bestimmen ´ p √ Im(ζ) 3π |ζ| = ζζ = 2 und arg ζ = arctan Re(ζ) = 4 (der Winkel muss im 2. Quadranten liegen). Wir p √ iϕ √ 3 1 2πk erhalten genau 3 L¨osungen: zk = 2e k = 6 2eiϕk mit ϕk = 3π 4 3 + 3 und k = 0, 1, 2. √ 3π √ 11π √ 19π Die einzelnen L¨osungen lauten: z0 = 6 2ei 12 , z1 = 6 2ei 12 und z2 = 6 2ei 12 . Wir k¨onnen die Probe h √ 19π i3 √ 19π √ 3π 16π √ 3π ¤ machen f¨ ur z2 indem wir z23 berechnen: z23 = 6 2ei 12 = 2ei 4 = 2ei 4 ei 4 = 2ei 4 . Beispiel: Die 4-te Wurzel der (reellen) Zahl −1 kann nur L¨osungen im Komplexen besitzen. Wir suchen also L¨osungen zur Gleichung z 4 = −1+i0 = ζ. Als erstes bestimmen wir wieder √ Betrag und Argument der Zahl ζ und erhalten |ζ| = 1 und arg ζ = π. Es gibt genau 4 L¨osungen: zk = 4 1eiϕk = 1eiϕk mit ϕk = π4 + 2πk 4 und k = 0, 1, 2, 3. π

Die einzelnen L¨osungen lauten: z0 = ei 4 , z1 = ei

3π 4

, z2 = ei

5π 4

und z3 = ei

7π 4

.

¤

Beispiel: Die 10-te Wurzel der (reellen) Zahl 1 hat im Rellen nur eine L¨osung. Im Komplexen erhalten wir genau 10 L¨osungen. Wir bestimmen Betrag und Argument der Zahl ζ und erhalten |ζ| = 1 und arg ζ = 0. Die 10 L¨osungen sind von der Form: zk = 1eiϕk mit ϕk = 2πk 10 und k = 0, 1, 2, . . . , 9. 2π







Die einzelnen L¨osungen lauten: z0 = ei0 = 1, z1 = ei 10 , z2 = ei 10 2 , z3 = ei 10 3 , . . ., z9 = ei 10 9 .

¤

5 Unendliche Reihen In Kapitel 1 Abschnitt 1.6 haben wir den Begriff der unendlichen Reihe und ihrer Konvergenz eingef¨ uhrt. Wir P∞ haben insbesondere erw¨ahnt, dassPeine unendliche ReiheP ν=1 aν nur eine andere Schreibweise f¨ ur die Folge n ∞ < sn > der Partialsummen sn = ν=1 aν darstellt und ν=1 aν = s f¨ ur die Aussage limn→∞ sn = s steht. Bisher sind wir den unendlichen Reihen im Zusammenhang mit den Taylor-Reihen von Funktionen begegnet. In diesem Kapitel wollen wir etwas allgemeiner in das sehr wichtige Gebiet der unendlichen Reihen eintauchen. Dabei werden wir den K¨orper R der reellen Zahlen zugrunde legen.

5.1

Beispiele unendlicher Reihen

Wir wollen uns zun¨achst mit ein paar konkreten Beispielen besch¨aftigen, die wir mit den bisher gewonnenen Methoden behandeln k¨onnen. Satz 5.1.1: Die Reihe

∞ P 1 konvergiert. 2 ν=1 ν

1 > 0 gilt. Wir Beweis: Die Folge der Teilsummen sn = 12 ist monoton wachsend da sn+1 − sn = ν (n + 1)2 k¨onnen aber auch zeigen, dass sie nach oben beschr¨ankt ist: i n−1 n−1 n−1 P P P h1 1 1 1 1 sn = 1 + ≤ 1 + = 1 + − ν ν + 1 = 1 + 1 − n < 2. ν(ν + 1) (ν + 1)2 ν=1

ν=1

ν=1

Nach dem Hauptsatz u ¨ber monotone Folgen ist die Folge <sn> also konvergent.

¤

Wir bemerken, dass wir bei der vorangegangenen Reihe nur die Konvergenz zeigten, ihre Summe aber nicht angeben konnten. Im folgenden Beispiel gelingt es sogar die Summe zu berechnen. Satz 5.1.2: Es gilt

∞ P ν=1

1 = 1. ν(ν + 1)

Beweis: F¨ ur die Folge der Teilsummen gilt: sn =

i n h P 1− 1 1 1 = ν ν + 1 = 1 − n + 1 −→ 1. ν=1 ν(ν + 1) ν=1 n P

Eine der wichtigsten Reihen ist die geometrische Reihe

∞ P

q k die wir ja schon kennengelernt haben. Wir fassen

k=0

nochmals die Resultate bezgl. der geometrischen Reihe zusammen: Satz 5.1.3: Es sei q ∈ R. Dann gilt folgendes: ∞ P

(1) F¨ ur |q| < 1 konvergiert die geometrsiche Reihe und es gilt:

k=0

(2) F¨ ur alle anderen Werte von q divergiert die geometrsiche Reihe.

49

¤

1 . qk = 1 − q

50

Kapitel 5. Unendliche Reihen

Beweis: Aus

n P

qk = 1 + q + q2 + . . . + qn =

k=0

1 − q n+1 1−q

folgt die Behauptung.

¤

Beispiel: Im Zusammenhang mit der Taylor-Entwicklung haben wir noch weitere Reihen erhalten: ∞ ∞ 2k+1 P P xk , ex = x∈R sin x = (−1)k x , x∈R k! (2k + 1)! k=0 k=0 ln(1 + x) =

∞ P

k

(−1)k+1 x , x ∈ (−1, 1] k k=1

cos x =

∞ P

2k (−1)k x , (2k)! k=0

x ∈ R.

Man beachte, dass jedes erlaubte“ x eine konvergente unendliche Reihe ergibt. Dadurch erh¨alt man eine ” Funktion (Abbildung), weshalb man auch von einer Funktionenreihe spricht. ¤

5.2

Rechenregeln fu ¨ r unendlicher Reihen

F¨ ur das Rechnen mit unendlichen Reihen gilt folgende wichtige, einfache Regel: P∞ P∞ Satz 5.2.1: Es seien ν=1 aν und ν=1 bν zwei konvergente Reihen und α, β ∈ R beliebig. ∞ P

Dann konvergiert auch

ν=1

(αaν + βbν ), und es gilt:

∞ P ν=1

(αaν + βbν ) = α

∞ P ν=1

aν + β

∞ P ν=1

bν .

Pn Pn Pn Beweis: Mit und den Grenzwerts¨atzen u ¨ber Folgen (Summe ν=1 (αaν + βbν ) = α ν=1 aν + β ν=1 bν konvergenter Folgen konvergiert) folgt sofort die Behauptung. ¤ ∞ ∞ ∞ P 2k + 3 und stellen fest, dass sowohl P 1 als auch P 1 konvergieren. k k k 4 k=0 2 k=0 4 k=0 Deshalb k¨onnen wir obigen Satz anwenden: i ∞ ∞ h ∞ ∞ P 2k + 3 = P 1 + 3 = P 1 + 3 P 1 = 1 +3 1 = 6. ¤ k k k 1 − 1/2 1 − 1/4 4k 4k k=0 k=0 2 k=0 2 k=0 4 P∞ Man gilt. Ist ν=1 (αaν + βbν ) konvergent, so brauchen weder P∞die Umkehrung dieses Satzes nicht P P∞ beachte, dass ∞ ν=1 bν zu konvergieren. ν=1 aν noch P∞ Die Reihe ν=1 (ν + (−1)ν) ist trivialerweise konvergent, weil alle Reihenglieder Null sind. Die Reihe ν=1 ν ist jedoch divergent.

Beispiel: Wir betrachten die Reihe

5.3

Das Cauchysche Kriterium fu ¨ r Reihen

Wir wissen, dass eine Folge aus R genau dann konvergiert, wenn sie eine C-Folge ist, gem¨aß dem Cauchyschen Konvergenzkriterium. Dieses Kriterium haben wir als ein inneres Kriterium“ bezeichnet, weil es ganz ohne ” Kenntnis des Grenzwertes erlaubt auf die Konvergenz der Folge zu schließen. In diesem Abschnitt lernen wir ein inneres Kriterium“ f¨ ur Reihen kennen. ” Folgende Definition ist von Vorteil: P∞ Definition 5.3.1: Ist ν=1 aν eine unendliche Reihe, so heißt f¨ ur n > m ≥ 0 sm,n =

n P ν=m+1

aν = am+1 + am+2 + · · · + an

ein Teilst¨ uck der Reihe.

Jetzt zeigen wir: P∞ Satz 5.3.1 [Cauchysches Konvergenzkriterium]: Die Reihe ν=1 aν ist genau dann konvergent, wenn es zu jedem (noch so kleinem) ε > 0 ein Nε existiert, so dass f¨ ur alle m, n ∈ N mit n > m > Nε gilt: ¯ n ¯ ¯ P ¯ |sm,n | = ¯¯ aν ¯¯ < ε. ν=m+1

Beweis: Mit sm,n = sn − sm

folgt die Behauptung sofort aus dem Cauchyschen Kriterium f¨ ur Folgen. ¤

Bemerkung: Das Cauchyschen Konvergenzkriterium besagt also, dass eine Reihe genau dann konvergiert, wenn |sm,n | unabh¨angig von der L¨ange“ des Teilst¨ uckes sm,n beliebig klein gemacht werden kann, wenn ” man nur weit genug hinausgeht,“ d.h. m gen¨ ugend groß w¨ahlt. ”

5.4. Absolute Konvergenz

51

Beispiel: Wir zeigen P∞mit Hilfe des Cauchyschen Konvergenzkriteriums nochmals die Divergenz der harmonischen Reihe ν=1 ν1 . Dazu betrachten wir die speziellen Teilst¨ ucke sn,2n . F¨ ur diese gilt 2n P 1 1 1 sn,2n = mit der Konsequenz, dass das Cauchysche Kriterium nicht erf¨ ullt ν ≥ n · 2n = 2 ν=n+1

werden kann, d.h. die harmonische Reihe ist divergent.

¤

Bemerkung: Es ergibt sich unmittelbar aus dem Cauchyschen Konvergenzkriterium, dass sich das Konvergenzverhalten sowie das Divergenzverhalten durch Weglassen, Hinzuf¨ ugen oder Ab¨andern endlich vieler Glieder nicht a¨ndert. Außerdem folgt, dass die Glieder einer konvergenten Reihe eine Nullfolge bilden: Satz 5.3.2: Ist die Reihe

∞ P ν=1

aν konvergent, so gilt:

lim aν = 0.

ν→∞

Beweis: Wir setzen im Cauchyschen Konvergenzkriterium n = m + 1 und erhalten f¨ ur alle m > Nε : |sm,m+1 | = |am+1 | < ε.

Hieraus ergibt sich die Behauptung.

¤

Bemerkung: Wir beachten, dass dieser P∞ Satz nur ein notwendiges, nicht aber ein hinreichendes Kriterium darstellt. So ist etwa die Reihe k=1 k1 divergent, obwohl limk→∞ ak = limk→∞ k1 = 0 gilt.

5.4

Absolute Konvergenz

Wir wollen jetzt den Begriff der absoluten unendlichen Reihen einf¨ uhren. Zur Motivierung P∞ Konvergenz P∞ von ν+1 1 1 1 1 betrachten wir die konvergente Reihe a = (−1) = 1 − + − ± · · · und die divergente ν ν=1 ν=1 ν 2 3 4 P∞ P∞ Reihe ν=1 bν = ν=1 ν1 = 1 + 12 + 13 + 41 + · · ·. Diese beiden Reihen unterscheiden sich offenbar nur durch ¨ das Vorzeichen ihrer Reihenglieder, denn es gilt n¨amlich |aν | = bν f¨ ur alle ν ∈ N. Beim Ubergang zu der mit den Absolutbetr¨agen gebildeten Reihe geht dramatischerweise die Konvergenz verloren. In der Theorie der unendlichen Reihen spielen nun diejenigen eine besonders wichtige Rolle, wo dies nicht passiert, d.h. wo auch die mit den Absolutbetr¨agen gebildete Reihe noch konvergiert. Definition 5.4.1: Die Reihe

∞ P ν=1

aν heißt:

(1) absolut konvergent, wenn

∞ P ν=1

|aν | konvergiert;

(2) bedingt konvergent, wenn sie konvergiert, aber nicht absolut konvergiert. Beispiel: Die Reihe

¯ ∞ ¯ ∞ P P ¯ ¯ 1 ist konvergent. ¤ (−1)ν+1 12 ist absolut konvergent, denn ¯(−1)ν+1 12 ¯ = 2 ν ν ν=1 ν=1 ν=1 ν ∞ P

Beispiel: Die oben erw¨ahnte Reihe

∞ P

(−1)ν+1 ν1 ist (nur) bedingt konvergent.

¤

ν=1

Aus der Konvergenz einer Reihe folgt also nicht immer ihre absolute Konvergenz. Das Umgekehrte ist jedoch immer gegeben, denn es gilt: Satz 5.4.1: Ist die Reihe

∞ P ν=1

aν absolut konvergent, so ist sie auch konvergent.

¯ n ¯ ¯ P ¯ ¯ Beweis: Es sei n > m und wegen ¯ aν ¯¯ ≤ ν=m+1 vergenzkriterium.

5.5

n P ν=m+1

|aν | folgt die Behauptung aus dem Cauchyschen Kon¤

Vergleichskriterium

In sehr vielen F¨allen gelingt der Nachweis der Konvergenz bzw. Divergenz einer unendlichen Reihe durch Vergleich mit einer anderen Reihe, einer sog. Majorante“ bzw. Minorante“. ” ”

52

Kapitel 5. Unendliche Reihen

Satz 5.5.1 [Vergleichskriterium]: Gegeben sei die unendliche Reihe

∞ P ν=1

(1) Gilt |aν | ≤ cν f¨ ur alle ν ≥ N und ist

∞ P ν=1

(2) Gilt |aν | ≥ dν ≥ 0 f¨ ur alle ν ≥ N und ist

cν konvergent, so ist ∞ P ν=1

aν und N ∈ N.

∞ P ν=1

cν divergent, so ist

aν absolut konvergent.

∞ P ν=1

|aν | divergent.

P∞ Beweis: (1) sei ε > 0 gegeben. Aus der Konvergenz von die Existenz eines ν=1 cν folgtP PEs Pn Nε , so dass n n 0 ≤ ν=m+1 cν < ε f¨ ur alle m, n ∈ N mit n > m > Nε . Daher gilt ν=m+1 |aν | ≤ ν=m+1 cν < ε f¨ ur alle m, n mit n > m > max{N, Nε }. Die Reihe konvergiert also nach dem Cauchyschen Kriterium absolut. P∞ P∞ (2) W¨ urde ν=1 |aν | konvergieren, so w¨ urde nach (1) auch ν=1 dν konvergieren, im Widerspruch zu unserer Voraussetzung. ¤ Beispiel: Die Reihe

∞ P √1 ist wegen √1 ≥ ν1 divergent. ν ν ν=1

Beispiel: Die Reihe

∞ P (−1)ν · ν! ist absolut konvergent. νν ν=1

¤

P 1 F¨ ur alle ν ≥ 2 gilt n¨amlich |aν | = ν!ν = ν1 ·· 2ν ·· ·· ·· νν ≤ 22 . Aus der Konvergenz der Reihe 2 folgt also ν ν ν=1 ν die absolute Konvergenz der betrachteten Reihe. ¤ P∞ die Existenz eines Beweis: (1) sei ε > 0 gegeben. Aus der Konvergenz von ν=1 cν folgtP Pn Nε , so dass PEs n n ur alle m, n ∈ N mit n > m > Nε . Daher gilt ν=m+1 |aν | ≤ ν=m+1 cν < ε 0 ≤ ν=m+1 cν < ε f¨ f¨ ur alle m, n mit n > m > max{N, Nε }. Die Reihe konvergiert also nach dem Cauchyschen Kriterium absolut. P∞ P∞ urde nach (1) auch ν=1 dν konvergieren, im Widerspruch zu (2) W¨ urde ν=1 |aν | konvergieren, so w¨ unserer Voraussetzung. ¤

5.6



Reihen mit nichtnegativen Gliedern

In diesem Abschnitt untersuchen wir Reihen mit ausschließlich positiven (nichtnegativen) Gliedern, d.h. Reihen P∞ ur ν ∈ N. Wir beginnen mit einem einfachen, aber wichtigen Kriterium, das wir implizit ν=1 aν mit aν ≥ 0 f¨ schon mehrfach verwendet haben. Satz 5.6.1: Eine Reihe

∞ P ν=1

aν mit nichtnegativen Gliedern konvergiert genau dann, wenn die Folge ihrer

Teilsummen beschr¨ankt ist. Pn Beweis: Die Folge der Teilsummen sn = ν=1 aν ist offenbar monoton wachsend, so dass sich die Behauptung sofort aus der Definition der Konvergenz einer Reihe und dem Hauptsatz u ¨ber monotone Folgen ergibt. ¤ Ein weiteres, sehr n¨ utzliches, Kriterium geht auf Cauchy zur¨ uck. Satz 5.6.2[ Cauchyscher Verdichtungssatz]: Es sei die Folge der Reihenglieder monoton fallend ∞ ∞ P P und aν ≥ 0. Dann konvergiert die Reihe aν genau dann, wenn 2ν a2ν konvergiert. ν=1

ν=0

Pn Pn Beweis: Wir f¨ uhren die Bezeichnungen sn = ν=1 aν und σn = ν=0 2ν a2ν ein und bemerken, dass sowohl <sn> als auch <σn> monoton wachsende Folgen sind. P∞ (1) Ist ν=0 2ν a2ν konvergent, so ist <σn > beschr¨ankt. Wegen der Monotonie von erhalten wir P2n+1 −1 f¨ ur n ≥ 1: sn ≤ ν=1 aν = a1 + (a2 + a3 ) + (a4 + · · · + a7 ) + · · · + (a2n + a2nP +1 + · · · + a2n+1 −1 ) ≤ ∞ 20 a1 + 21 a2 + 22 a4 + · · · + 2n a2n = σn . Also ist auch <sn> beschr¨ankt und somit ν=1 aν konvergent. P∞ (2) Ist £ ν=1 aν konvergent, so ist <sn> beschr¨ankt, ¤ und wir erhalten: σn = 2 12 a1 + 20 a2 + 21 a4 + 22 a8 + · · · + 2n−1 a2n ≤

5.6. Reihen mit nichtnegativen Gliedern

53

≤ 2 [a1 + a2 + (a3 +P a4 ) + (a5 + · · · + a8 ) + · · · + (a2n−1 +1 + · · · + a2n )] = 2s2n . Also ist auch <σn > be∞ schr¨ankt und somit ν=0 2ν a2ν konvergent. ¤ Beispiel: Wir betrachten f¨ ur ein α ∈ (0, ∞) die Reihe

∞ P 1 . α ν=1 ν

(1) Ist α ≤ 0, so ist mit aν = 1/ν α keine Nullfolge und in diesem Falle divergiert die Reihe. (2) Ist α > 0, so ist eine monotone Nullfolge. Nach dem Cauchyschen Verdichtungssatz konvergiert ∞ ¡ ∞ ∞ ¢ν P P P 21−α konvergiert. die betrachtete Reihe genau dann, wenn die Reihe 2ν a2ν = 2ν ν1 α = (2 ) ν=0 ν=0 ν=0 Diese geometrische Reihe ist jedoch genau dann konvergent, wenn 21−α < 1 also α > 1 gilt. ¤ Ein weiteres Kriterium zur Beurteilung der Konvergenz von Reihen mit nichtnegativen Gliedern ist das folgende Integralkriterium, welches ebenfalls auf Cauchy zur¨ uckgeht. Satz 5.6.3 [Integralkriterium]: Es sei < aν > eine monoton fallende Nullfolge, und es sei f (x) monoton fallend in [1, ∞) mit der Eigenschaft f (ν) = aν f¨ ur ν ∈ N. ∞ R∞ P Dann ist die Reihe aν genau dann konvergent, wenn das Integral f (x) dx konvergiert. ν=1

1

Beweis: Die Funktion f (x) sei Riemann-integrierbar auf jedem Intervall [A, B] ⊂ [1, ∞), und es gilt ν+1 R aν+1 ≤ f (x) dx ≤ aν , wie Abb. 5.1 graphisch veranschaulicht. Durch Summation ergibt sich: ν n P ν=1 ∞ P ν=1

aν+1 ≤

n ν+1 R P

f (x) dx ≤

ν=1 ν

n P ν=1



oder

sn+1 − a+1 ≤

Rn

Pn ν=1

f (x) dx ≤ sn . Hieraus folgt, dass

1

Rn aν geanu dann konvergiert, wenn die Folge < f (x) dx > beschr¨ankt ist. Wegen f (x) ≥ 0 ist dies

gleichbedeutend mit der Existenz von lim

RR

R→∞ 1

1

f (x) dx =

R∞

f (x) dx.

¤

1

y 1

0.8

f (x)

0.6

0.4

aν 0.2 a

ν+1

0

ν 0

1

2

3

ν+1 4

x 5

6

7

Abbildung 5.1: Visualisierung des Cauchyschen Integralkriteriums.

Beispiel: Wir betrachten die Reihe

∞ P

νe−ν . Offenbar bilden die Glieder dieser Reihe eine monoton fallende

ν=1

Nullfolge. F¨ ur die Funktion f (x) = xe−x gilt: ¯R RR RR RR ¯ f (x) dx = xe−x dx = −xe−x ¯ + e−x dx = −Re−R + 1e − e−R + 1e . 1 1

Mit

1

R∞ 1

1

f (x) dx = 2e und wegen f (ν) = νe−ν folgt hieraus die Konvergenz der Reihe.

Beispiel: Wir betrachten f¨ ur ein α ∈ (0, ∞) noch einmal die Reihe

∞ P 1 . Es gilt f¨ ur ein R > 1: α ν=1 ν

¤

54

Kapitel 5. Unendliche Reihen

(

ln R ³ ´ falls α = 1 , 1 · 1− 1 falls α = 6 1 α−1 Rα−1 ∞ P 1 f¨ so dass mit Hilfe des Integralkriteriums die Konvergenz der Reihe ur α ur α > 1 und die Divergenz f¨ ν=1 ν α ≤ 1 folgt. ¤ RR dx = xα 1

5.7

Das Wurzel- und das Quotientenkriterium

In diesem Abschnitt untersuchen wir wieder Reihen mit beliebigen reellen Gliedern. Durch Anwendung des Vergleichskriterium beweisen wir die beiden Standardkriterien der Reihentheorie. Satz 5.7.1 [Wurzelkriterium]: Gegeben sei die unendliche Reihe Wir setzen

α = lim

ν→∞

ν=1

1 |aν | ν .

(1) Ist α < 1, so konvergiert (2) Ist α > 1, so divergiert

∞ P

aν .

Dann gilt: ∞ P

ν=1 ∞ P ν=1

aν absolut.

aν .

(3) Ist α = 1 kann keine Aussage bezgl. Konvergenz oder Divergenz gemacht werden. Beweis: (1) Ist α < 1, so existiert ein q ∈ (0, 1) und ein N ∈ N mit |aν | ≤P q ν f¨ ur alle ν > N . Aus der Konvergenz P∞ ∞ ν der geometrischen Reihe ν=1 q folgt daher die Konvergenz von ν=1 |aν |. (2) Ist α > 1, so k¨onnen wir eine Folge <νk > nat¨ urlicher Zahlen bestimmen mit limk→∞ |aνk |1/νk = α. Es gibt dann ein K ∈ N, so dass f¨ urP alle k > K gilt: |aνk |1/νk ≥ 1 oder |aνk | ≥ 1. Hieraus folgt, dass |aν | ∞ keine Nullfolge ist. Somit divergiert ν=1 aν . P∞ P∞ (3) F¨ ur die beiden Reihen ν=1 12 und ν=1 ν1 gilt jeweils limν→∞ |aν |1/ν = 1. Die erste konvergiert, ν die zweite divergiert. Das Wurzelkriterium versagt also im Fall α = 1. ¤ 1

Beispiel: Die Reihe Beispiel: Die Reihe

2 ∞ P k 2 ist konvergent, da lim |a | k1 = lim (k ) k = 1 < 1 gilt. k k 2 2 k→∞ k→∞ k=0 2 ∞ P

1 1 1 = 0 < 1 gilt. ν ist konvergent, da lim |aν | ν = lim ν→∞ ν→∞ ln ν ν=2 (ln ν)

Satz 5.7.2 [Quotientenkriterium]: Gegeben sei die unendliche Reihe Wir setzen

ν=1

¯ ¯ ¯ aν+1 ¯ α = lim ¯ a ¯. ν ν→∞

(1) Ist α < 1, so konvergiert (2) Ist α > 1, so divergiert

¤

aν mit aν 6= 0 f¨ ur ν = 1, 2, . . ..

Dann gilt:

∞ P

ν=1 ∞ P ν=1

∞ P

¤

aν absolut.

aν .

(3) Ist α = 1 kann keine Aussage bezgl. Konvergenz oder Divergenz gemacht werden. ¯ ¯ ¯ aν+1 ¯ Beweis: (1) Ist α < 1, so existiert ein q ∈ (0, 1) und ein N ∈ N mit ¯ a ur alle ν > N . ¯ ≤ q f¨ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ν |aN | n ¯ an ¯ ¯ an−1 ¯ ¯ aN +1 ¯ Ist nun n > N , so erhalten wir: |an | = ¯ an−1 ¯ · ¯ an−2 ¯ · · · ¯ aN ¯ · |aN | ≤ q n−N · |aN | = N ·q . q P∞ Mit dem Vergleichskriterium folgt die Konvergenz von ν=1 |aν |. ¯ ¯ ¯ aν+1 ¯ (2) Ist α > 1, so gibt es ein N ∈ N mit ¯ a ur alle ν > N . Hieraus folgt f¨ ur alle n > N : ¯ ≥ 1 f¨ ν |an+1 | ≥ |an | ≥ · · · ≥ |aN | > 0. Also ist keine Nullfolge.

5.7. Das Wurzel- und das Quotientenkriterium

55

¯ ¯ P∞ P∞ ¯ aν+1 ¯ (3) F¨ ur die beiden Reihen ν=1 12 und ν=1 ν1 gilt jeweils limν→∞ ¯ a ¯ = 1. Die erste konvergiert, ν ν die zweite divergiert. Das Quotientenkriterium versagt also auch im Fall α = 1. ¤ ∞ P ν! xν . Beispiel: F¨ ur ein festes x ∈ R betrachten wir die Reihe ν ν ν=1 ¯ ¯ ¯ ¯ ´ν i−1 ³ ´ν h³ ν+1 ν ¯ (ν + 1)!x (ν) ¯¯ ¯ aν+1 ¯ ν 1 ¯ Wir erhalten: ¯ a = · = |x| = |x| 1 + , und es ergibt sich ¯ ν ν+1 ν ¯ (ν + 1) ν+1 ν (ν)!x ¯ ¯ ¯ ¯ aν+1 ¯ |x| lim ¯ a ur alle x mit |x| < e und divergiert f¨ ur alle ¯ = e . Die betrachtete Reihe konvergiert absolut f¨ ν ν→∞

x mit |x| > e. F¨ ur |x| = e ist leider keine Aussage m¨oglich.

¤

A Spezielle Folgen und Reihen In diesem Anhang werden wir einige ausgew¨ahlte Themen aus dem unersch¨opflichen Bereich der Folgen und Reihen, die in vielen Gebieten der Naturwissenschaften immer wieder vorkommen, etwas genauer untersuchen, mit dem Ziel, die mathematischen Hintergr¨ unde und Methoden zu erhellen und vertiefen.

A.1

Die Fibonacci-Folge

In diesem Abschnitt werden wir den Zusammenhang zwischen der Fibonacci-Folge und dem Goldenen Schnitt etwas genauer unter die Lupe nehmen. Wir beginnen mit dem Goldenen Schnitt: dieser wird auch als stetige Teilung oder g¨ ottliche Teilung bezeichnet. Im Englischen bezeichnet man ihn als golden ratio, golden section, oder auch golden mean. Dabei wird eine Strecke dermaßen geteilt, dass das Verh¨altnis des k¨ urzeren zum l¨ angeren Abschnitt gleich dem Verh¨altnis des l¨angeren Abschnitts zur gesamten Strecke ist, wie in Abb. A.1 dargestellt. Bezeichnet man den l¨angeren Abschnitt mit a, den K¨ urzeren mit b, so gilt im Goldenen

a=1

b=φ−1 a+b=φ

Abbildung A.1: Teilung einer Strecke im Goldenen Schnitt.

φ−1 Schnitt ab = a . Mit der Normierung a = 1 und a + b = φ erh¨alt man die Gleichung 1 = 1 , welche a+b φ der quadratischen Gleichung φ2 − φ − 1 = 0 entspricht. Diese hat zwei L¨osungen, welche u ¨blicherweise in der folgenden Form dargestellt werden: √ √ 1− 5 1+ 5 = ϕ = 1.618 und φ2 = = 1 − ϕ = −0.618. φ1 = 2 2 Dieses Verh¨altnis ϕ, der Goldene Schnitt, wird in der Kunst und Architektur als ideale Proportion zwischen ¨ verschiedenen L¨angen angesehen. Es gilt auch als Inbegriff f¨ ur Asthetik und Sch¨onheit, und hat einige interessante mathematische Eigenschaften, welche wir im Folgenden untersuchen wollen. Dazu schwenken wir zur Fibonacci-Folge, welche rekursiv folgendermaßen definiert ist: Definition A.1.1 [Fibonacci-Folge]: Die Folge =<0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, . . .> mit  0 ,n=0  1 ,n=1 fn = wird als Fibonacci-Folge bezeichnet.  fn−1 + fn−2 , n ≥ 2 57

58

Anhang A. Spezielle Folgen und Reihen

Die Fibonacci-Folge ist offensichtlich nicht beschr¨ankt und deshalb divergent. Aber was hat diese Folge dann mit dem Goldenen Schitt ϕ zu tun? Dazu definieren wir die Funktion (Folge) Fa,b (n) = aϕn + b(1 − ϕ)n mit a, b ∈ R und n ∈ N0 und behaupten, dass diese die Fibonacci-Rekursion erf¨ ullt. Satz A.1.1: Die Funktion Fa,b (n) = aϕn + b(1 − ϕ)n mit a, b ∈ R, n ∈ N und Goldener Schnitt ϕ erf¨ ullt die Fibonacci-Rekursion Fa,b (n) = Fa,b (n − 1) + Fa,b (n − 2). Beweis: Fa,b (n − 1) + Fa,b (n − 2) = aϕn−1 + b(1 − ϕ)n−1 + aϕn−2 + b(1 − ϕ)n−2 = ³ ´ ³ ´ £ ¤ £ ¤ 1 + b(1 − ϕ)n−1 1 + 1 a ϕn−1 + ϕn−2 + b (1 − ϕ)n−1 + (1 − ϕ)n−2 = aϕn−1 1 + ϕ 1−ϕ . 1 = ϕ − 1 in geeigneter Form und erhalten: Wir verwenden die Gleichung des Goldenen Schnitts ϕ Fa,b (n − 1) + Fa,b (n − 2) = aϕn−1 (1 + ϕ − 1) + b(1 − ϕ)n−1 (1 + (−ϕ)) = aϕn + b(1 − ϕ)n = Fa,b (n). ¤ Die Funktion Fa,b (n) gestattet bei passender Wahl der Parameter a und b eine explizite Darstellung oder Formel f¨ ur die Fibonacci-Folge. Satz A.1.2: Erf¨ ullt ϕ die Gleichung des Goldenen Schnittes, so hat die Fibonacci-Folge die explizite Darstellung fn = √1 [ϕn − (1 − ϕ)n ] mit n ∈ N0 . 5 Beweis: Wir versuchen die Parameter a und b f¨ ur die Funktion Fa,b (n) geeignet zu w¨ahlen. Es muss folgendes gelten: (1) Fa,b (0) = a + b = 0 und (2) Fa,b (1) = aϕ + b(1 − ϕ) = 1. Aus diesen beiden Gleichungen ergibt √ sich a = √1 und b = − √1 unter Verwendung von 2ϕ − 1 = 5. ¤ 5 5 Wie eingangs schon erw¨ahnt ist die Fibonacci-Folge divergent. Betrachtet man aber das Verh¨altnis zweier benachbarter Folgeglieder fn+1 /fn , so erh¨alt man wieder Konvergenz. Satz A.1.3: F¨ ur die Fibonacci-Folge und dem Goldenen Schnitt ϕ gilt: Beweis: Mit der expliziten Darstellung f¨ ur die Fibonacci-Folge erh¨alt man: · ³ ´n+1 ¸ . h ³ ´n i n+1 n+1 ϕ − (1 − ϕ) fn+1 1−ϕ n+1 =ϕ 1− ϕ = ϕn 1 − 1−ϕ −→ ϕ. n n ϕ fn ϕ − (1 − ϕ)

lim

n→∞

fn+1 = ϕ. fn

¤

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