Kultur

  • December 2019
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kultur

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Et cetera

Maximum Pleasure Exclusive Eyewear

Ja zur Liebe: Die Pet Shop Boys sprechen über ihr neues Album

h Ihr sagt mal wieder „Ja“ zur Popmusik mit eurem neuen Album … Neil Tennant: Im Grunde haben wir schon vor zwei Jahren damit begonnen, die Stücke dafür zu schreiben. Damals wurden wir angefragt, Songs für Kylie Minogue zu schreiben. Ein Song unseres neuen Albums, nämlich „Pandemonium“, war ursprünglich für Kylie gedacht, aber sie hat ihn nicht aufgenommen. Möglicherweise hat uns dieser Song auf eine andere Schiene beim Schreiben gebracht. Das Interessante ist, dass ich den Text von „Pandemonium“ gar nicht aus meiner Sicht geschrieben habe. Und obwohl ich den Text jetzt singe, habe ich dabei an Kate Moss gedacht, die über Pete Doherty singt. Was inzwischen natürlich seit gut zwei Jahren überholt ist (lacht). h Seit „West End Girls“ seid ihr eine Konstante in der Musikszene. Was ist das für ein Gefühl? Neil Tennant: Das ist mir auch erst jetzt so richtig durch die Brit Awards bewusst geworden. Sie riefen bei uns an, um zu fragen, wie viele Singles wir veröffentlicht haben und so weiter. Das wussten die nicht (lacht). Daraufhin habe ich ihnen die Zahlen und Fakten durchgegeben. Und da wurde es mir so richtig bewusst: „Oh Gott, 2009 liegt die Veröffentlichung der ursprünglichen Version von „West End Girls” schon sage und schreibe FÜNFUNDZWANZIG Jahre zurück.“ Ich dachte zuerst, ich hätte mich geirrt. Aber nein! Das ist einfach unglaublich.

Neil Tennant: Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir so etwas jemals in Gang setzen. Und ich glaube auch nicht, dass es mit unseren Songs gut gehen würde. Wesentlich besser wäre dafür meiner Meinung nach der Katalog von Robbie Williams geeignet. Oder – auch wenn das vermutlich nie irgendjemand anfassen würde – mit den Songs von Stock Aitken Waterman, die die ersten Hits von Kylie Minogue oder Rick Astley geschrieben haben. Auch wenn ihre Songs vermutlich nicht die Qualität von ABBA-Stücken erreichen, gehe ich davon aus, dass die Leute überrascht wären, wie gut eine Zusammenstellung ihrer besten Hits in einem Musical funktionieren könnte. Brillen Contactlinsen Sonnenbrillen

h Eure neue Single heißt „Love etc.“.

Langweilt euch die Liebe? Neil Tennant: Den Titel habe ich von einer E-Mail, die ein alter Freund aus Newcastle mir und anderen Freunden geschickt hatte. Er teilte uns mit, dass sein Vater gestorben sei. Als wir Kinder waren, haben wir viel Zeit in dem Haus dieser Familie verbracht. Das ist übrigens dieselbe Sache, um die es auch in „Being Boring“ ging. Wie auch immer: Der Freund unterzeichnete die E-Mail mit den Worten „Love etc.“. Und ich dachte mir (Stimme überschlägt sich): „Was soll das denn heißen? Et cetera? Wie bitte? Et cetera?” Das habe ich mir aufgeschrieben, da es wie der Titel für einen Song klang. Im Text dazu geht es aber schließlich um eine Liste von Dingen, die weniger bedeutend als die Liebe sind.

Liebe? Chris Lowe: Genau, und alles Übrige ist nur „et cetera“. INTERVIEW: MICHAEL ERNST

Die Single „Love etc.” erscheint am 13. März, das Album „Yes” am 20. März bei Parlophone (EMI) www.p etshopboys.co.uk

Hamburg

Sylt

ABC-Straße 1 I Hamburg Telefon +49 (0)40 35716005 www.opticon-hamburg.de

h Es gibt nichts Wichtigeres als die

h Für das Musical „Closer To Heaven”

habt ihr gezielt neue Songs geschrieben. Wären eure Hits nicht auch für ein Musical im Stil von „Mamma Mia!” geeignet?

Berlin

Foto: Parlophone

25 Jahre nach „West End Girls“ machen Neil Tennant und Chris Lowe immer noch Popmusik. „Yes” ist bereits das zehnte Studioalbum des britischen Elektronik-Pop-Duos.

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genial

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mies

Liebeskummer lohnt sich doch Ein weltfeindlicher, verbissengriesgrämiger Frank Sinatra. So ungefähr stellte man sich nach den beiden letzten, schwelgerischen Soloalben Morrisseys Zukunft vor. Der bald 50-Jährige war aber immer für Überraschungen gut. So rockig wie auf „Years Of Refusal“ war er zuletzt in alten Tagen mit The Smiths. Ohne Rücksicht auf den aktuellen musikalischen Zeitgeist hat Morrissey die Streicher wieder in den Hintergrund gedrängt, stattdessen treibt nun das Schlagzeug diese melancholischen Songs voran. Nach seinen bitterbösen Rundumschlägen auf „You Are A Quar-

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HouseSchlager

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Indie-Pop/ Rock

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Indie-Pop

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Klassik

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ry“ beklagt der Pop-Maestro nunmehr wieder ganz alleine sich selbst: Mit bisweilen zynischem Humor seziert er unerwiderte Lieben („Black Cloud”) oder trauert verflossenen Liebhabern hinterher („I’m OK By Myself” und „It‘s Not Your Birthday Anymore”). „I was wasting my time/trying to fall in love/disappointment came to me … and hurt me“, singt er auf „That‘s How People Grow Up“ und der Hörer wünscht sich insgeheim, dass Morrissey noch ein paar weitere Alben lang keinen Mann fürs Leben findet. AXEL SCHOCK

Foto: Polydor Records

❚❚❚❚❚❚

Morrisseys neues Meisterwerk „Years Of Refusal“

Morrissey: „Years Of Refusal” (Decca/Polydor) www.itsmorrisseysworld.com

Nina Queer und DJ Divinity: „Discopony“ So manche Damenwäscheträgerin mit Kunstbusen träumt nicht nur vom Rampenlicht, sondern auch von den höheren Weihen der Hitparade. Nun also hat es auch die Berliner Vollzeittranse Nina Queer ins Plattenstudio gedrängt, um ein Album mit Selbst-

V.A.: „Dark Was The Night“

AS

www.ninaqueer.com

kollegen um Exklusiv-Songs angehauen. Die Liste der musikalischen Spender reicht von Arcade Fire über Yo La Tengo bis The New Pornographers. Bemerkenswert sind dabei insbesondere die ungewöhnlichen Kollaborationen. So hat sich beispielsweise

Antony Hegarty mit Bryce Dessner zusammengetan, die Dirty Projectors mit David Byrne und Feist sind auf ihrem „Train Song“ mit Ben Gibbard zu hören. SVEN KIELAU www.redhot.org

(EMI)

Hach, was ist nur an dieser Band dran, dass man sich ihrer Musik nicht entziehen kann? Sind es die schönen, zeitlosen Melodien, die unaufgeregte Instrumentierung, der herzerweichende Gesang von Sänger James Walsh? Keine Ahnung! Man muss einfach hin-

„Händel Gold“

weilen schön blöde Textzeilen sprechsingt: Unangefochten auf Platz 1: „Fickifickiauaaua – Don‘t Do It!“, dicht gefolgt von „Aloha vom Sonnenstudio“.

(Beggars Group)

Die Aids-Benefiz-Alben der Red Hot Organization erscheinen zwar nur alle Jubeljahre, sind aber jedes Mal aufs Neue außergewöhnlich. Für das Doppelalbum „Dark Was The Night“ haben Aaron und Bryce Dessner von The National im Indie-Pop-Bereich Künstler-

Starsailor: „All the Plans“

erzeugtem aufzunehmen. Sagen wir‘s mal so: Davon geht die Welt nicht unter, sie hat aber auch nicht darauf gewartet. DJ Divinity liefert akzeptable, aber nicht gerade mitreißende House-Melodien, zu denen die medienversierte Barbesitzerin und Partymacherin bis-

hören und mitleiden. Zwar hatte die Faszination mit der letzten, etwas zu rockig geratenen Platte ein wenig nachgelassen. Doch zum Glück besinnen sich die Jungs mit Album Nummer vier wieder auf ihre Stärken: tolle, emotionale Songs zu schreiben und

diese mit Leidenschaft vorzutragen. Vergleiche sind zwar immer bäh, einer soll trotzdem erlaubt sein: Für uns sind Starsailor einfach die besseren Coldplay. BJÖRN REINFRANK

historischer Aufführungspraxis. Das Doppelalbum voller Lieblingsstellen versammelt Legenden aus der Vergangenheit und aktuelle Stars: Kathleen Ferrier, Fritz Wunderlich, Joan Sutherland, Marilyn Horne, Luciano Pavarotti, Plácido Domingo sind neben

Cecilia Bartoli, Renée Fleming, Andreas Scholl und Rolando Villazón zu hören. Diesem starken Aufgebot wird das kärgliche Booklet leider nicht gerecht ECKHARD WEBER

www.starsailor.net

(Decca)

Zum 250. Todestag von Georg Friedrich Händel hat die Decca seine Opern- und Oratorienhits auf zwei CDs versammelt – mit Aufnahmen aus 50 Jahren. Dementsprechend vielfältig sind die Annäherungen an Händel, von fettem Opernpathos bis zu raffinierter

www.deccaclassics.com

On the road again In Hamburg feiert Marc Almond den Abschluss seiner „Stardom Road“-Tour Der 17. Oktober 2004 war für Marc Almond ein schicksalhafter Tag. Nach einem Motorradunfall lag er mehrere Tage im Koma. Ein Luftröhrenschnitt drohte seine Gesangskarriere zu beenden. Doch nach und nach fand der britische Pop-Dandy zurück ins Leben und zu seiner Stimme. Axel Schock sprach mit dem Sänger. h Marc, dein letztes Album „Stardom Road“o ist bereits 2007 erschienen. Wie kommt es, dass die dazugehörige Tour erst zwei Jahre später zu Ende geht? Bedingt durch den Unfall wollte ich mir eine lange durchgehende Tour nicht zumuten und hab sie deshalb in kleine Etappen aufgeteilt. Songs von „Stardom Road“ bilden allerdings nur einen kleinen Teil. Die Setliste wird ein Querschnitt durch meine gesamte Karriere sein. h Was ist dran an den Gerüchten, dass du künftig nur noch Coverversionen aufnehmen willst? Ich muss zugeben, dass mir zunehmend schwerer fällt, eigene Songs zu schreiben, zumindest solche, die ich auch für wertvoll genug halte, um sie auf CD aufzunehmen. Natürlich schreibe ich ständig welche und nehme mein Demo dazu auf. Danach packe ich das aber in die Kiste.

entdecken, die großartigere Songs geschrieben haben, als sie mir vielleicht jemals gelingen werden. h In den letzten Jahren haben Singer/Songwriter wie Rufus Wainwright, Coco Rosie und Antony & The Johnsons geradezu eine QueerNeofolk-Pop-Chanson-Welle losgetreten. Fühlst du dich dieser Szene verbunden? Damit habe ich absolut nichts zu tun. Gegen all diese Kategorisierungen, ob sie nun „Queer Music“ heißen oder anders, verwahre ich mich. Ich war immer ein Außenseiter in der Musikbranche, selbst mit Soft Cell, als wir von der Branche in diese Synthie-Wavepop-Ecke gepackt worden sind. Um nicht missverstanden zu werden: Antony ist ein guter Freund von mir, und ich habe großen Respekt vor der Arbeit von Rufus Wainwright. Er ist sicherlich als Songwriter weitaus cleverer als ich. Aber ich sehe für mich keinerlei Verbindung zu deren Arbeit. h Mit Antony aber verbindet dich zumindest

eine intensive Arbeitsfreundschaft.

h Vertraust du etwa deinen eigenen Qualitäten nicht mehr?

Wir haben sehr engen Kontakt. Seine Musik ist großartig, und er ist ein großartiger Mensch. Er war es auch, der mich nach meinem Unfall auf die Bühne zurückgeholt hat, indem er mich bei seinem London-Konzert 2005 zu einem Gastauftritt überredete. Das hat mir mein Selbstvertrauen zurückgegeben. INTERVIEW: AXEL SCHOCK

Ich habe in allen Phasen meiner Karriere fremdes Material gesungen und einige meiner größten Erfolge waren Coverversionen. Und es gibt so viele Komponisten zu

Marc Almond: „Stardom Road“, 15. März, 20 Uhr, Docks www.marcalmond.co.uk

kultur

Mehr Glamour! Thomas Hermanns huldigt der Disco-Ära mit einem autobiografischen Buch

Das Jugendzimmer von Thomas Hermanns verschönerten nicht nur Poster von ABBA. Auch Amanda Lear, John Travolta und Silver Convention zierten die Wände. Die Disco-Ära hat den Comedian nie losgelassen. Nun hat er dieses Kapitel außerordentlich schwuler Musikgeschichte mit einem sehr autobiografischen Buch aufbereitet. h Thomas, wenn man heute auf Outfit und

Styling der Disco-Ära zurückblickt, wirkt das mit all dem Glitter sehr grell und schwul. Das hat meines Erachtens zwei Ursachen. Gloria Gaynor und andere haben mir erzählt, dass sie sich mehr Glamour wünschten. Denen war der 68er-Hippiekram einfach zu ranzig. Sie orientierten sich deshalb vielmehr an alten Hollywoodstars wie Bette Davis. Die Männer wiederum waren erstmals sehr stark sexualisiert. Nicht nur wie sie sich anzogen, sondern auch wie sie abgefilmt wurden, etwa John Travolta in „Saturday Night Fever“. Es war eben eine sehr sexy Zeit und sexy Musik. h Die Männer mussten ja recht viel Mut aufbringen, um sich so ins Rampenlicht zu stellen und womöglich sogar in Verruf zu kommen. Mutig mussten sie auch deshalb sein, weil sie sonst gar nicht durch die Tür der großen Clubs gekom-

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men wären. Das „Studio 54“ in New York war da besonders extrem. Männliche Attraktivität war Pflicht. Wenn die Heteromänner ihr Hemd auszogen, kamen sie rein. Oder wie der Designer Halston sagte: Man brauchte als Mann einen großen Schwanz und einen guten Rollkragenpullover. h Die Anfänge der Disco-Ära waren allerdings wenig glamourös und glitzernd. Die Discomusik hat die Welt ursprünglich aus dem schwulen Untergrund heraus erobert. In den ersten Clubs in New York tanzten Schwule, Schwarze und Puerto Ricaner zusammen. Das waren Arbeiterclubs mit ganz normalen Leuten. h Sylvester und die Village People sind

sicherlich die bekanntesten schwulen Protagonisten der Disco-Ära. Aber auch unter Managern, DJs und Komponisten waren Schwule ja offensichtlich in der Mehrheit. Die saßen überall in den ganzen Plattenlabels. Das Ende der Disco kam nicht etwa nur, weil die Zeit dafür vorbei war. Disco war einfach zu mächtig geworden, wie mir Gloria Glaynor etwa erzählt hat: In den entscheidenden Positionen der Plattenfirmen saßen zu viele Schwule. Da mussten die Heteros wieder zurückschlagen und Rock in den Vordergrund holen.

h Wolltest du mit dem Buch deine DiscoLeidenschaft abschließen oder einfach dein gesammeltes Wissen präsentieren? Ich habe das Buch natürlich auch geschrieben, um das ganze Nerd-Wissen loszuwerden, aber auch um zu forschen und meine vielen offenen Fragen zu beantworten. Der biografische Teil – Pubertät und Coming-out, die alten Tagebücher wieder zu lesen – das hatte schon etwas von einer therapeutischen Aufarbeitung. Sie gipfelt in der Erkenntnis: 15 ist einfach das schlimmste Alter im Leben. Man kann nur allen die Daumen drücken, dass es schnell vorbeigeht. h Einen Großteil deines Buches machen die biografischen Schilderungen aus. Gäbe es andere Leidenschaften, anhand derer du dein Leben erzählen könntest? Disco ist schon der größte Strang in meinem Leben, weil sie so viele Dinge beeinflusst hat: das Coming-out, den ersten Sex, die Verlobung mit meinem Freund – das fand alles in Discotheken und zur Discomusik statt. Disco ist definitiv der Soundtrack zu großen Teilen meines Lebens. INTERVIEW: AXEL SCHOCK Thomas Hermanns: „Für immer D.I.S.C.O.“. Scherz Verlag, 272 Seiten, 18,95 Euro www.fuerimmerdisco.de

Coming-out mit Geist Peter Nathschlägers Roman „Geheime Elemente“ „Sommersturm“ trifft „Die Geisterflüsterin“ – so etwa lässt sich das Rezept des Romans „Geheime Elemente“ von Peter Nathschläger in Kürze beschreiben. Den Sommersturm ihrer Gefühle erleben die beiden achtzehnjährigen Schulkameraden Martin und Kai, die nach ein wenig Platzhirsch-Rangeleien entdecken, dass sie doch mehr Interesse am jeweils anderen haben als für die Mädchen der Klasse. Dass ihre Eltern mit ihren Pensionen Konkurrenten sind und Kais Vater sich keine Schwuchtel als Sohn wünscht, macht ein ungestörtes Testen der Sexualität problematisch. Das fantastische Element schwimmt wortwörtlich in Form eines Elementals, einer Art Wassergeist namens Abris, in die Geschichte. Angelockt wurde er von Martins Trauer um den älteren Bruder, der in einem kleinen, abgelegenen Waldsee ertrunken ist. Jenen hatte Abris, wie alle Ertrinkenden, im Moment des Todes ihre Angst genommen und so beim Übergang in irgendein Jenseits geholfen. In seine eigentliche Welt kann der Elemental allerdings erst wieder, wenn er eine weitere Seele begleitet. Bis dahin muss er sich – mal amüsant,

mal schmerzhaft – mit irdischen Gewohnheiten beschäftigen. Dass er schließlich in der Badewanne von Martins Mutter beim Scheißen entdeckt wird, gehört zu den frechen Ideen, von denen man sich im Roman mehr gewünscht hätte. Doch Nathschläger nutzt das Genre des Fantastischen meist, um Unpassendes allzu rasch passend zu machen. Das ist gut fürs Gemüt, sehr angenehm zu lesen, und kleistert doch das Eigentliche zu: die Brüche in der Welt. Die erscheinen erst am Schluss des Romans, an dem sehr skurril und pathetisch von einem Freitod erzählt wird. Da spürt man, dass ein Thema wie der Wille zum Sterben heutzutage möglicherweise ein größeres Tabu ist als Homosexualität. Spätestens hier hätte Nathschläger auf simple Schutzengelbotschaften à la „Es ist alles nicht so schlimm“ verzichten und sich, den Figuren der Geschichte und dem Leser getrost mehr zumuten dürfen. RAINER HÖRMANN Peter Nathschläger: „Geheime Elemente“. 216 Seiten, Himmelstürmer Verlag, 15,90 Euro.

Die neue Single ab 27. März Blaue Flecken 1 – Die Maxi CD mit 5 Titeln inkl. zwei neuen, unveröffentlichten Songs + Blaue Flecken Live Blaue Flecken 2 – Die Single inkl. Blaue Flecken (AnNa Elektronika) Blaue Flecken – Die Remix Maxi mit 7 Titeln, u. a. The Disco Boys, Boogie Pimps + Mike Candy

Fotos: Nachlass Ronald M. Schernikau

kultur

Kommunistische Diva Matthias Frings erzählt „Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau“ Für alle, die es eilig haben: Kaufen Sie sich Matthias Frings‘ „Der letzte Kommunist“, und Sie können versichert sein, eines der wichtigsten Bücher dieses Jahres Ihr eigen zu nennen. „Der letzte Kommunist“ ist mehr geworden als eine klassische Schriftstellerbiografie über Ronald M. Schernikau – jenen Mann, den der Aufbau Verlag knallig und treffend als „Diva, Don Quichotte und schillernde Ikone der 80er Jahre“ bewirbt. Weil Frings eine enge Freundschaft mit Schernikau verband, ist das Buch auch Lebensgeschichte des Autors, Journalisten und Fernsehmoderators („Liebe Sünde“). Auch Schernikaus Mutter Ellen porträtiert Frings eindrücklich. Sie, eine aufrechte Sozialistin, hatte 1966 als alleinerziehende Mutter mit ihrem Jungen im Kofferraum Republikflucht begangen – der Liebe wegen. In der Bundesrepublik angekommen, musste sie feststellen, dass der Mann verheiratet und Nazi war. In Lehrte bei Hannover fanden Mutter und Sohn eine neue Bleibe, zu Hause aber fühlte sie sich im Westen nie. Mit 18 Jahren schrieb Schernikau sein erstes Buch. Die „Kleinstadtnovelle“ über das Coming-out eines Schülers wurde ein Überraschungserfolg. Schernikau zog zum Studium nach Westberlin, verfolgte seine Schriftstellerkarriere und wurde Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins. 1986 gelang es ihm als ersten Bundesbürger am Leipziger Institut für Literatur zu studieren. Schernikau liebte die DDR. Genauer gesagt: seine Idee, wie die DDR sein müsste. Seine Abschlussarbeit „die tage in l.“ wollte kein DDR-Verlag drucken. Dafür war sein Blick auf

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den Sozialismus zu kritisch. Auch im Westen hatte man damit Probleme. Die DDR war längst im Umbruch, die rosarote Brille erschien trotz pointierter Beobachtungen suspekt. Tatsächlich hat Schernikau sich für die Oppositionsbewegung nie recht interessiert. Er glaubte, man könne das System von der Basis aus aufmischen und begnügte sich damit, sich seine Wunschrepublik zurechtzuschreiben. Die DDR blieb Schernikaus geistige Heimat, hier wollte er leben. Am 1. September 1989 erhielt er die Staatsbürgerschaft. Als Zehntausende sich in die Gegenrichtung aufmachten, zog der schwule Schriftsteller nach Ostberlin. Der Zusammenbruch des Staates und das Ende seiner Illusionen fielen zusammen mit dem Ausbruch seiner Aidserkrankung. Sein Opus Magnum „legende“ vollendete er noch kurz vor seinem Tod am 20. Oktober 1991. Frings steht dieser schillernden Person mit ihrer streitbaren Weltsicht kritisch gegenüber, vor allem aber wird er Schernikaus Komplexität gerecht. Herausgekommen ist dabei keine trockene Biografie, sondern echtes Lesefutter. „Der letzte Kommunist“ – nominiert für den Deutschen Literaturpreis – ist eine oft komische, dann wieder zu Tränen rührende Geschichte von verkorksten (linken) Träumen, das Porträt eines Jahrzehnts und seiner Underground-Kultur. Nicht zuletzt ist das Buch ein Stück deutscher Geschichte aus schwuler Sicht. Kaufen Sie sich gleich mehrere Exemplare zum Verschenken. Man wird es Ihnen danken. AXEL SCHOCK Matthias Frings: „Der letzte Kommunist. Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau“, Aufbau, 488 Seiten, 19,95 Euro Lesung mit Matthias Frings, 4.3., 20 Uhr, Polittbüro

Klingende Körper OPTIC

Thomas Marek steppt auf Kampnagel

Der Choreograf und Stepptänzer Thomas Marek bringt im März auf Kampnagel seine neue Produktion „Orchestra“ zur Aufführung. Hierbei ist der Titel des Stücks durchaus programmatisch zu verstehen, denn der Hamburger Künstler setzt sein zehnköpfiges Ensemble als Klangkörper ein: die Akteure werden als lebendiges Orchester Mareks Choreografie gemeinschaftlich visuell und musikalisch umsetzen. Der Tänzer ist dabei sowohl Element der Musikkomposition als auch der choreografischen Komposition. In dieser Konstellation experimentiert das Ensemble mit den Elementen des Stepptanzes, traditionelle Bewegungsabläufe werden bearbeitet und in eine neue Bewegungs- und Klangsprache überführt. Eine spannende Produktion (für die wir auf Seite 80 Tickets verlosen). Thomas Marek (34) entdeckte im Alter von 14 Jahren seine Begeisterung für den Stepptanz. 2006 begeisterte er auf Kampnagel mit seinem Bühnenstück „about_tap vol. 2“.

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Premiere am 11. März, weitere Termine: 13., 14./18.-21. März, 20 Uhr, Kampnagel, K2, Eintritt: 12 Euro www.kampnagel.de

DAS FACHGESCHÄFT IN PÖSELDORF FÜR BRILLEN UND KONTAKTLINSEN

Hamburgs Stimme „Mit Friedhelm Mönter verlieren wir einen unserer prägnantesten Radiomacher“, erklärte NDR-Landesfunkhauschefin Maria von Welser. Das war nicht nur so dahergesagt. Friedhelm Mönter war für viele Hamburger die Stimme ihrer Stadt. Zumindest für all jene, die sich dem Radiosender NDR 90,3 verschrieben haben, für den der gebürtige Duisburger seit 1981 arbeitete, als die Hamburg-Welle gegründet wurde. Zum Radio fand Friedhelm Mönter auf Umwegen. Nach Ausbildungen zum Einzelhandelskaufmann und zum Krankenpfleger zog er 1971 der Liebe wegen nach Hamburg. Mönter wohnte auf der Uhlenhorst und etablierte sich ab 1979 als profilierter Kenner der Theater- und Kulturszene: zunächst als Kritiker der Hamburger Morgenpost, danach beim NDR, wo er die Erfolgssendung „Sonntakte“ aus der Taufe hob. Auch in der legendären „Schmidt Show“ des NDRFernsehens hatte Friedhelm Mönter seine feste Rolle als „der Herr Friedhelm“. Die passte zu ihm, denn „der

Foto: NDR

NDR-Moderator Friedhelm Mönter ist nach schwerer Krankheit gestorben

Friedhelm“ war er auch sonst: Ein zurückhaltender Mann, der kein großes Aufhebens um sich machte und sich nie wichtiger nahm als seine Gäste oder Interviewpartner. Sein Schwulsein hat Mönter nicht verheimlicht, ließ sich gerne mit seinem Partner Frank Schulze fotografieren, den er auch heiraten wollte – mit kirchlichem Segen. Mönter war gläubiger

Christ, trat aber aus Protest gegen deren Haltung zur Homosexualität aus der katholischen Kirche aus. Hamburgs ehemaliger Aidspastor Rainer Jarchow holte ihn wieder zurück, seither war Mönter evangelisch. Am 18. Februar starb der beliebte Moderator nach schwerer Krankheit. Friedhelm Mönter wurde 62 Jahre alt. STEFAN MIELCHEN

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Foto: Warner Bros.

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Alles oder nichts Eine Art deutscher Weltstar: Heike Makatsch spielt Hildegard Knef „Ich glaube, du trittst gleichzeitig aufs Gas und auf die Bremse.“ In einem einzigen Satz bringt Ehemann David Cameron (Dan Stevens) das Leben von Hildegard Knef auf den Punkt. Die Knef war eine ständige Überforderung: für die Mutter, die Männer, die Medien. In einer Zeit, in der Spießigkeit erste Bürgerpflicht war. In einem Land des Aussitzens von Schuld und Schande, das für Tabubrüche keinen Platz bot. Hildegard Knef bekam dies lange zu spüren. Regisseur Kai Wessel nähert sich der ersten Lebenshälfte dieses Grenzen überschreitenden Stars in langen Rückblenden. Der Blick auf die Wurzeln im NaziDeutschland soll das Verstehen einer an Höhen und Tiefen reichen Biographie erleichtern. Vielleicht war Hilde das erste deutsche It-Girl. Allein, sie hatte eine Geschichte und daher etwas zu sagen. Ihre Fähigkeiten als Schauspielerin indes werden bis heute überschätzt. Wenn man so will ist es konsequent, dass Heike Makatsch nun die Knef spielt. Oder besser: imitiert? Schauspieler haben nichts zu sagen. Sie tun nur, was man ihnen sagt: So fasst es Knefs Lehrerin Else Bongers (Monica Bleibtreu) richtig zusammen. Es ist

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also auch eine Entscheidung der Regie, wie viel Persönlichkeit einer Schauspielerin hinter der realen Figur zugestanden wird. Makatsch sieht zweifellos beeindruckend aus und versteht es, Knefs besonderen Sprachduktus nachzuahmen. Doch Film ist nicht Travestie, der Versuch perfekter Illusion. Die Knef wollte nie gefällig sein, Makatsch ist es. Sie setzt auf Effekt statt Eigenständigkeit und offenbart genau hiermit ihre Grenzen. So wie sie die pfiffig arrangierten Knef-Songs ordentlich bewältigt, gibt sich auch der Film: schön ausgestattet, erwartbare Unterhaltung. Aber eben keine Charakterstudie. Ein besseres Drehbuch hätte „Hilde“ allemal verdient. Manche Dialoge klingen wie aneinandergereihte Lebensklugheiten aus der Knefschen Aphorismensammlung. Das wirkt mitunter ärgerlich platt. Dabei gibt es große Momente: Als die Knef nach dem Skandal der „Sünderin“ den Journalisten entgegendonnert, dass moralische Entrüstung fehl am Platze sei in einem Land, das zum Holocaust schweige. Und das von einer, über die Goebbels gesagt hatte: „Sie ist nett, allerdings muss ihre Nase operiert werden.“

„Wer ist Hildegard Knef?“, wird sie von Förderer und Produzent Erich Pommer (Hanns Zischler) einmal gefragt – und weiß darauf zunächst keine Antwort. Die kann auch der Film nicht geben. Er bleibt im Ungefähren. Verklärt wird Hilde nicht: Da sind die Liebe zu einem hochrangigen Nazi, die Überspanntheiten der Diva, die Tabletten. Der Film endet, wo er beginnt: 1966, mit dem umjubelten Konzert in der Berliner Philharmonie. Es ist einer der wenigen berührenden Momente; einmal mehr Gaspedal und Bremse. Endlich erkennt die Knef als Sängerin ihrer eigenen Chansons: Das hier, das bin ich. Alles oder nichts. STEFAN MIELCHEN „Hilde“, Regie: Kai Wessels. Mit: Heike Makatsch, Dan Stevens, Monica Bleibtreu, Hanns Zischler, Roger Cicero. Kinostart: 12. März Der Soundtrack zum Film („Hilde“ – Heike Makatsch singt Hildegard Knef) entstand in Zusammenarbeit mit der WDR Big Band. Die neue Album-Edition „Knef“ (Universal) bietet Hildes Philips-Alben digital remastert. Die limitierte Box enthält den Live-Mitschnitt „Tournee, Tournee“.

Rebellion und Exzess Das Metropolis-Kino widmet Derek Jarman eine Retrospektive Wie will man das Phänomen Derek Jarman jemandem erklären, der von dem britischen Filmemacher noch nie etwas gehört hat? „In seiner finanziellen Unabhängigkeit, Selbstgenügsamkeit und Ausdruckskraft war Derek einmalig, und nur so konnte er ein Werk hervorbringen, das einmalig war“, versucht es Tilda Swinton im Gespräch mit hinnerk auf den Punkt zu bringen. In acht Filmen des Aids- und Schwulenaktivsten, Schriftstellers, Gartengestalters, Malers und Filmemachers Jarman hat die Schauspielerin mitgewirkt: beginnend mit seinem bildgewaltigen Meisterwerk „Caravaggio“ über den exzessiv lebenden Barockmaler und dem PostPunk-Experimentalfilm „The Last Of England“ bis hin zu seinem Abschiedswerk „Blue“, das er kurz vor seinem Tod 1994 fertigstellte. Gemeinsam mit Isaac Julien hat Tilda Swinton mit dem auf der Berlinale 2008 uraufgeführten „Derek“ ihrem langjährigen Freund einen sehr persönli-

chen Dokumentarfilm gewidmet. Kernstück dieser Hommage ist ein unveröffentlichtes Interview aus dem Jahr 1991, das einer Lebensbeichte gleichkommt, in der Jarman mit Witz und Selbstironie die wichtigsten Stationen seines Lebens Revue passieren lässt. Hier wie in seinen Filmen sind Politisches und Privates nicht zu trennen. Der rebellische und zugleich so unkonventionelle, kreative Geist, der sich in all seinen – stets konsequent aus einem schwulen Blick heraus gestalteten – Arbeiten spüren lässt, funkelt auch aus diesem Interview. Wer, von „Derek“ angeregt, einige von Jarmans Filmen auf der Leinwand (wieder-) sehen möchte, hat dazu ab 12. März im Metropolis-Kino Gelegenheit. Neben „Caravaggio“ und „The Last Of England“ gibt es auch seine Shakespeare-Adaption „The Tempest“ zu sehen. Die Reihe wird im April fortgesetzt. AS www.metropolis-hamburg.de

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